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FENSTER IN FLAMMEN - Carmen-Francesca Banciu

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

(Print) ISBN: 978-3-941524-65-1

(EBook) ISBN: 978-3-941524-68-2

Neuauflage, Oktober 2015

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 1992 , Rotbuch Verlag, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Carmen-Francesca Banciu

PalmArtPress, Pfalzburger Str. 69, 10719 Berlin

www.palmartpress.com

Herausgeberin: Catharine J. Nicely

Umschlagfoto: Carmen-Francesca Banciu
Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin

Hergestellt in Deutschland

Carmen-Francesca Banciu

FENSTER IN FLAMMEN

Aus dem Rumänischen
von Rolf Bossert und Ernest Wichner
Nachwort von Prof. Dr. Dieter Wrobel

Inhalt

Aus dem Tagebuch der Andromaca P.

Verlaufen

Das Abenteuer

Fingerübungen

Das strahlende Getto

Fenster in Flammen

Thérèse Dussaut

Der Zug fährt auch nach Marrakesch

Die Party

Der Widerspruch

Angehlina, deren Großmutter
von einem Traum erschlagen wurde

Helena Rubinstein

Laetitia

 

Glossar

Nachwort

Aus dem Tagebuch der Andromaca P.

Es blitzt. Draußen blitzt es. Manche Frauen fürchten sich. Ich nicht. Aber auch ich könnte mich fürchten. Nicht wahr. Es ist das Risiko der selbstbewussten Frauen. Niemand zerbricht sich darüber den Kopf. Also über sie. Denn man weiß ja. Sieh, eine Frau. Sie fürchtet sich vor nichts. Also musst du dir keine Gedanken darüber machen. Ihr keine Blumen bringen. Du wirst sie nicht lieben können. Nur dem unbeholfenen Tier gegenüber verspürst du die Notwendigkeit, es zu schützen. Mit dem Instinkt, mit dem du dich ängstigst. Mit dem du liebst.

Wir teilen hier ein Rezept für‘s Glücklichsein mit. Für diejenigen, die das wahre Glück nicht auf den Schultern tragen können.

Man nehme eine Dosis Heiterkeit und hänge sie sich um den Hals. Man nehme eine Dosis Gleichgültigkeit. Vermenge sie gut. Bis sie zu einer Paste werden. Mit der man sich gleichmäßig einschmieren kann. Für eventuelle affektive Bedürfnisse besorgt man sich eine Katze. Mit den Hunden ist das etwas schwieriger. Man muss sie ausführen. Sie bürsten. Sie lieben. Du kaufst dir einen Kühlschrank mit Gefrierfach für die Fische. Und ansonsten. Setzt du dich in den Sessel. Die Katze schnurrt. Im Ofen brennt das Feuer. Du aber scherst dich einen Dreck um die Dramen der Menschheit. Zwischendurch hörst du Like a roller in the ocean, was in freier Übersetzung im Radio – hier ist Bukarest, Rumänien – in etwa darauf hinausliefe: Immer vorwärts für den Sieg.

Zur Erlangung der absoluten Glückseligkeit studiere man die chinesische Sprache. Oder eine andere schwer verständliche Sprache. Sho-hua. Xie-xie. Zai-zien. Zai-zien. Ohnehin versteht es niemand.

Zur unzweckmäßigen Nutzung der Zeit. Aktives Un-ausgeruhtsein. Empfehlen wir Ihnen das Glücksrezept Nummer zwei. Das authentische. Eine Liebe. Verrückt. Eine rasend verrückte Liebe. Mit Anfällen von Wut. Angeboten und Angriffen. Unvermeidlichen und endlosen Skandalen. Vorwürfen. Persönlichkeitskrisen. Sexuell-politisch-ideologischem Erfahrungsaustausch. Schließlich. Salz und Pfeffer.

In beiden Fällen ist etwas roher Tabak zu empfehlen. Virginia. Wir warnen vor. Auf dem Markt gibt es keinen mehr.

Ein Piratensender teilt allerdings mit, dass alles vergeblich ist. Alles ein Irrtum.

Er sagt. Wenn ihr das Glück erstrebt. Sie, meine Damen und Herren. Lassen Sie ihren Verstand entfliehen. Treiben Sie ihre Seele ab. Und verschaffen Sie sich Beziehungen auf dem Schwarzmarkt.

Gestatten Sie. Nach alledem. Ich. Persönlich. Will Ruhe haben. Ich bin die Frau, die sich vor nichts fürchtet. Das Gas in meinem Feuerzeug ist alle. Selbst über solch eine Kleinigkeit kann ich in Wut geraten.

2.

Draußen blitzt es. Dieser Regen will wohl überhaupt nicht mehr beginnen. Herrgott nochmal.

Ich glaube, ich werde etwas trinken müssen. Werde mich betäuben müssen. Die Betäubung wegspülen. Beides. Keines von beidem.

Ein Ring unter den Augen, Ring unter den Augen. Er umrandet. Die Augen. Meine Augenringmüdigkeit.

Schließt ein.

Ich drehe das Radio voll auf. Damit es brüllt. Bitteschön. Damit es brüllt. Damit es die Unordnung im Zimmer überdeckt. Weil ich keine Katze habe. Ich rauche Arberia. Ekelhaft. Wie man weiß. Und frage mich, wie ich mich noch ertrage. Während aus Leibeskräften aus der transistorenbestückten Kiste gebrüllt wird. Vielleicht sollte auch der Fernseher brüllen. Und der Kühlschrank. Aber der hat keinen Thermostat. Nicht einmal ein Gefrierfach. Und trotzdem sind meine Hände kalt. Ich erwarte einen Anruf. Aber ich habe kein Telefon. Und doch kann man sagen, ich erwarte etwas.

Un dia tu. Un dia yo. Me quieres tu. Te odio yo. Die Luft ist aufgeladen. So dass ich das Bedürfnis empfinde, zu tanzen.

Ich bin 23 Jahre alt. Habe braune Augen. Sex-Appeal. Jede Menge. Eine Abtreibung. Und das akute Bedürfnis, zu revoltieren.

Ich verspüre das Bedürfnis, Kaffee zu trinken. Hellas. Saft. Zitronensaft. Produced and packed by Bross. Wir wissen schon, von wem. Lust auf Pfefferminze. Einfache Pastillen. Extra feines Salz. Rekristallisiertes. STAS 1465-72. Saline Cacica. Und alles, was mir die moderne Zivilisation anbieten kann.

Take my hand in yours. Lass uns am Sonntag spazieren gehen. Und an den gesetzlichen Feiertagen.

In den Weichteilen meines Selbstbewusstseins empfinde ich den Geschmack der Revolte. Und mir ist danach, es auszuspucken. Das Selbstbewusstsein. Und ich lege mir eine Käfersammlung für meine Sonntage an. Ich kann nichts mit ihnen anfangen. Und auch mit diesem Regen nichts, der nun angefangen hat. Und sich schüttelt wie ein Kirschbaum Ende Mai.

Wir treten für die Verwirklichung der 5-Tage-Arbeitswoche ein.

3.

Es regnet. Es hat zu regnen begonnen. Im Block vis-a-vis. Auf dem gleichen Stockwerk. Eine japanische Familie. Sie sitzen auf dem Balkon, geben eine Party. Five-o-c1ock. Mit Musik. Ich würde gewiss nicht sagen, dass mich dies nicht aufregt. Ich kann kein Japanisch. Aber ich begreife, dass auch sie verregnet werden. Auch sie haben Kinder. Auch sie also ...

Tür an Tür mit mir, eine Familie Roma. Schwarze. Sie fluchen ständig. Verprügeln sich und prostituieren sich im Flur.

Ich würde nicht sagen, dies rege mich nicht auf. Ich kann nicht die Sprache der Zigeuner. Empfehle trotzdem ein Lehrbuch. Zum Selberlernen.

Als ich in Bulgarien war, schüchterte mich die Schrift auf den Reklametafeln ein. Die Grenze aber ist ein Witz, der eine halbe Stunde dauert. Mit dem Auto.

Auch dort wurde Hellas verkauft. Kaffee ist gefragt. Schokolade. Man zieht Pfirsiche. Strebt nach Glück. Ich gebe zu bedenken, dass ich kein Bulgarisch kann.Jetzt aber. Während ich zuhöre, wie sich der Regen verausgabt. Also. Fühle ich ein akutes Bedürfnis nach Revolte. Die Revolution geht weiter.

Eigentlich. Das extra-feine Salz schmeckt mir nicht. Es interessiert mich: Der Krieg in Indochina. Die Witze über Bulă. Der III. Weltkrieg. Die Rolle des C.O.M. Die fehlende Initiative. Die Disko-Zivilisation. Die Verteuerung der Verkehrsmittel. Die Neufestlegung der Preise. Der Kosmopolitismus. Die affektive Impotenz. Und der Import von Verhütungsmitteln.