Der ganz große Knall
Rolf Landua produziert am Europäischen Kernforschungszentrum CERN Antimaterie
Hollywoodfilme und Teilchenbeschleuniger haben normalerweise nicht viel miteinander zu tun. Und normalerweise arbeitet ein deutscher Physiker auch nicht an der Produktion eines US-Thrillers mit. Aber es gibt Ausnahmen. Etwa, wenn es sich um einen Antimaterie-Spezialisten wie Rolf Landua handelt – und um einen Kinofilm nach dem Roman des amerikanischen Bestsellerautors Dan Brown. Für Brown, Sohn eines Mathematikprofessors und einer Kirchenmusikerin, sind Wissenschaft und Religion keine Gegensätze, sondern die Grundlage für packende Geschichten. Zum Beispiel Illuminati: Der Vatikan soll durch eine gigantische Explosion ausgelöscht werden – nicht durch eine Atombombe, sondern eine »Antimaterie-Bombe«. Das Material dafür stammt aus einem Experiment am Europäischen Kernforschungszentrum CERN, bei dem der Urknall simuliert wurde. Das macht Rolf Landua auch.
Der Physiker ist einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Antimaterie. Seit 1987 arbeitet er am CERN, in der Nähe von Genf, wo er heute die Abteilung für öffentliche Fortbildung leitet. Zuvor hat er die sogenannte »Antimaterie-Fabrik« mit initiiert und war Leiter des ATHENA-Experiments, das im Jahr 2002 erstmals Millionen von Antimaterie-Atomen produzierte. Das Europäische Kernforschungsinstitut, in den 1950er Jahren als Symbol einer neuen Zusammenarbeit in Europa gegründet, befindet sich im schweizerisch-französischen Grenzgebiet. Dort entstand die erste Internetadresse der Welt: www.info.ch. Heute wird sie allerdings von einer Weiterbildungsplattform genutzt. Pionierleistungen und Superlative kann das CERN auch sonst für sich beanspruchen: Es ist z.B. das weltweit größte Forschungsinstitut für Teilchenphysik; hier arbeiten mehr als 11.000 Wissenschaftler aus 98 Ländern. Und es birgt mit dem Large Hadron Collider (LHC) den größten Teilchenbeschleuniger der Welt.
Abb. 1 (Quelle: picture-alliance/dpa-Grafik)
Der hat einen Umfang von 27 Kilometern und verläuft 100 Meter unter der Erde. Er erstreckt sich an der Grenze zu Frankreich auf einer Fläche, die 600 Fußballfeldern entspricht. Mit Hilfe dieses Ringbeschleunigers versuchen Wissenschaftler nichts weniger, als die Bedingungen unmittelbar nach dem Urknall nachzustellen. Sie simulieren einen Moment kurz nach der Entstehung des Universums – das war vor 13,8 Milliarden Jahren. Davon erhoffen sie sich grundlegende Erkenntnisse, etwa in der Frage, warum es keine Antimaterie im Kosmos gibt. Und viel mehr noch: Wie kam es zu jener winzigen Verschiebung im Verhältnis von Antimaterie und Materie kurz nach dem Urknall, der wir überhaupt erst unsere Existenz verdanken?
Abb. 2: Transport von LHC-Magneten im Ringbeschleuniger (Foto: CERN/Maximilien Brice)
Natürlich lebt ein Film wie Illuminati von den Special Effects, doch nicht alles, was man auf der Leinwand sieht, stammt aus der FX-Trickkiste: Die leuchtend blauen Röhren etwa, die man in einer der ersten Einstellungen sieht, gehören wirklich zum LHC. Der Regisseur und sein Team haben das CERN besucht und sich von Rolf Landua über den wissenschaftlichen Hintergrund der Romanvorlage beraten lassen. Im Inneren dieser blauen Röhren liegen die Vakuumstrahlröhren, mit einem Durchmesser von etwa drei Zentimetern. Durch die sausen sogenannte Hadronen, Teilchen wie Protonen oder Blei-Ionen, in unvorstellbarer Menge. Sie werden durch viele extrem starke Magnete in ihrer Bahn gehalten und fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. »Sogenannte supraleitende Magnete erzeugen bei einer Betriebstemperatur von minus 271 Grad Magnetfelder, die 150.000-mal so stark sind wie das Magnetfeld der Erde. Dadurch halten sie die beschleunigten Teilchen in ihrer Bahn. Mehr als 9000 Magnete bilden zusammen mit dem Beschleunigungs-, Vakuum- und Kühlsystem das größte und komplexeste Forschungsgerät, das Menschen je erbaut haben«, erklärt Landua nicht ohne Stolz.
Die Beschleunigung findet in zwei gegenläufigen Strahlen statt, die dort kollidieren, wo die sogenannten Detektoren stehen, im Prinzip riesige Kameras. Die Protonen kollidieren unvorstellbare 600 Millionen Mal pro Sekunde, dabei setzen sie jedes Mal eine Energiemenge frei, die dem 15.000-Fachen der Protonenmasse entspricht. Und es entstehen Hunderte von neuen Teilchen. »Mit diesen Kollisionen versuchen wir«, so Landua, »einen kleinen Ausschnitt kurz nach der Entstehung des Universums zu simulieren – das, was eine billionstel Sekunde nach dem Urknall passiert ist.« Von diesen Riesenkameras gibt es vier, zum Beispiel den ATLAS-Detektor, der ebenfalls in Illuminati zu sehen war (noch bevor er offiziell in Betrieb genommen wurde). Er nimmt Bilder auf, von denen jedes einzelne eine Auflösung von 100 Millionen Pixel hat. Und er ist unfassbar schnell – registriert er doch eine Milliarde Kollisionen pro Sekunde. Um diese ungeheure Menge an Bildern überhaupt verarbeiten zu können, ein »Daten-Tsunami«, wie Landua das nennt, brauche man hunderttausend modernste Computer sowie Hunderte von Doktoranden, die sich mit Akribie und detektivischem Spürsinn auf die Suche nach neuen Phänomenen, Teilchen und Anti-Teilchen begeben.
Abb. 3: Nur in Shut-down-Phasen möglich: Wartungsarbeiten am ATLAS-Detektor (Foto: CERN/Claudia Marcelloni)
So weit, so beeindruckend. Und einleuchtend. Aber zugleich fast schwindelerregend, wenn man sich zu fragen beginnt, was Materie eigentlich ist – und was dann Antimaterie sein muss.
Alles um uns herum besteht aus Materie: unsere Umwelt, das Weltall und wir selbst. Materie lässt sich in immer kleinere Einheiten zerlegen, von den Molekülen bis zu den Atomen, die lange als kleinste Einheit galten. »Atom« stammt aus dem Griechischen und bedeutet »unteilbar«. Dass sich das scheinbar Unteilbare doch in noch kleinere Bestandteile zerlegen lässt, wissen Physiker etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Atommodelle des Neuseeländers Ernest Rutherford und des Dänen Niels Bohr postulierten, dass ein Atom aus einem Kern und einer Hülle besteht. Für ihre bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Atomstruktur bzw. zur Chemie der radioaktiven Strahlung erhielten Bohr und Rutherford später Nobelpreise.
Ein Atomkern ist erheblich kleiner als die ihn umgebende Hülle; er macht aber fast die gesamte Masse aus. Der Kern enthält Protonen (positiv geladene Teilchen) und Neutronen (ohne elektrische Ladung). Die Atomhülle besteht aus Elektronen (negativ geladenen Teilchen). Da ein Atom im Grundzustand die gleiche Menge von Protonen und Elektronen hat, ist es elektrisch neutral. Bei chemischen Reaktionen ändert sich das, Atome können Elektronen aufnehmen oder abspalten und werden entsprechend negativ oder positiv geladen – dann spricht man von Ionen. Seit den 1960er Jahren weiß man, dass sich die Bestandteile des Atomkerns – Protonen und Neutronen – weiter untergliedern lassen: in sogenannte Quarks. Das sind Elementarteilchen, die sich ebenfalls in ihrer Ladung unterscheiden. Die sogenannten Up-Quarks sind positiv geladen, die Down-Quarks negativ.
»Alles, was wir sehen und fühlen«, resümiert Landua, »besteht aus drei Bausteinen: Elektronen, Up-Quarks und Down-Quarks. Das sind die fundamentalen Bausteine der Natur und des Universums.«
Und nun gibt es zu all diesen Teilchen der Materie noch jeweils ein Anti-Teilchen. »Nehmen wir beispielsweise ein Elektron, das wir nach seiner elektrischen Ladung per Definition ›negativ‹ genannt haben«, sagt Landua. »Zu diesem Elektron gibt es ein Anti-Teilchen, das sich zunächst mal nur durch die Ladung unterscheidet. Dieses Anti-Elektron wird auch Positron genannt. Entsprechendes gilt für die anderen Teilchen: Also zum Up-Quark gibt es ein Anti-Up-Quark, zum Down-Quark ein Anti-Down-Quark und so weiter. Der wesentliche Unterschied zwischen einem Teilchen und seinem Anti ist einfach nur die umgekehrte Ladung. Deshalb würden wir auch keinen Unterschied merken, wenn es möglich wäre, die gesamte Materie in Antimaterie zu verwandeln: Alles sähe genauso aus wie vorher. Es wäre genau die gleiche Welt, mit den gleichen Naturgesetzen, so wie wir sie kennen. Wir haben Experimente mit Antimaterie gemacht, und deshalb wissen wir: Alle Eigenschaften von Materie und Antimaterie sind gleich – zum Beispiel die Masse, die Ladung –, und das mit einer Genauigkeit von mindestens zehn Stellen hinter dem Komma. Nur das Vorzeichen der Ladung ist andersherum.«
Was für Physiker sonnenklar ist, bringt Laien kurzfristig aus dem gedanklichen Konzept – man beschäftigt sich ja eher selten mit der subatomaren Ebene. Selbst in Schulen spielen diese Erkenntnisse kaum eine Rolle. Daher setzt sich Landua besonders für die Vermittlung der modernen Physik an Schulen ein. Im Jahr 2003 wurde er mit dem Kommunikationspreis der Europäischen Physikalischen Gesellschaft ausgezeichnet.
Abb. 4: Der Physiker Rolf Landua leitet u.a. die Abteilung für öffentliche Fortbildung des CERN. (Foto: ullstein bild – Schleyer)
Wie hat man so kleine Teilchen und Antimaterie überhaupt entdecken können?
»Das ist eine ganz interessante Geschichte«, sagt Landua. »Im Jahr 1928 stellte der britische Physiker und ebenfalls spätere Nobelpreisträger Paul Dirac eine Gleichung auf, in der er zum ersten Mal die Spezielle Relativitätstheorie von Einstein mit der Quantenphysik vereinigte. Er fragte sich, was passiert, wenn man in die Berechnungen hohe Geschwindigkeiten, nahe der Lichtgeschwindigkeit, mit einbezieht. Da kommt die Relativitätstheorie ins Spiel, und die Konsequenz war, dass das negativ geladene Elektron ein positiv geladenes Anti-Teilchen haben müsste.« Damit war die Idee des Positrons in der Welt, obwohl der junge Theoretiker das anfangs noch nicht so nannte. 1932 wurde dieses Teilchen dann in der kosmischen Strahlung tatsächlich nachgewiesen, vom amerikanischen Physiker Carl David Anderson, der, man ist wohl nicht überrascht, für seine Entdeckung später ebenfalls mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Damit war also nur vier Jahre später bewiesen: Diracs Theorie stimmte.
Dirac hat die Quantenphysik mit begründet, zu deren wichtigsten Prinzipien der Welle-Teilchen-Dualismus gehört. Das bedeutet, dass sogenannten Quantenobjekten wie Elektronen und Photonen – Lichtquanten – sowohl die Eigenschaften einer Welle zugeschrieben werden können als auch die eines Teilchens. Das zeigt schon, wie kompliziert und schwer fassbar die Quantenphysik im Vergleich zur klassischen Physik ist, die sich etwa bis Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Die Gesetze der Mechanik, der Optik oder der Elektrodynamik lassen sich im Alltag noch einigermaßen nachvollziehen, bei der Quantenphysik ist das schon schwieriger. Salopp gesagt könnte man den Welle-Teilchen-Dualismus auch als so etwas wie das »Yin und Yang« in der Physik bezeichnen: Das eine trägt immer das andere in sich, und beide Eigenschaften durchdringen sich.
Und getreu dem Postulat von Dirac, dass jedes Teilchen ein Anti-Teilchen hat, gelang 1955 erstmals der Nachweis eines Anti-Protons – in einem Teilchenbeschleuniger. Da Anti-Protonen nicht von Natur aus auf der Erde vorkommen, müssen sie künstlich erzeugt werden. Dabei macht man sich folgenden Effekt zunutze: Wenn in einem Beschleuniger Elementarteilchen mit anderen Teilchen kollidieren, heizt sich die Materie auf extrem hohe Temperaturen auf, ungefähr auf 1015 Grad. Ab einer gewissen Grenze wandelt sich die Energie, die in dieser Bewegung steckt, in Materie um – und es entstehen neue Teilchen. Einsteins weltberühmte Formel E=mc2 wird hier also Wirklichkeit. »Masse ist im Prinzip so etwas wie kondensierte Energie«, erklärt Landua. »Will man aber Energie in Masse kondensieren, funktioniert das nur, wenn man genauso viel Materie wie Antimaterie erzeugt. Das geht immer zusammen. Das heißt, wenn man ein Positron herstellen will, muss man auch ein Elektron erzeugen.« Bei den Anti-Protonen ist es genauso; allerdings braucht man dafür viel mehr Energie, weil Protonen und Anti-Protonen erheblich schwerer als Elektronen sind. Deswegen hat es, historisch betrachtet, auch so viel länger gedauert, bis man Anti-Protonen produzieren konnte. Zusammengefasst lässt sich sagen: Bis auf Anti-Teilchen, die in der kosmischen Strahlung vorkommen, ist Antimaterie aus dem Universum weitestgehend verschwunden. Anti-Teilchen haben in unserer Materiewelt keine Überlebenschance – sie können nur kurzzeitig existieren, bis sie sich mit dem nächsten Materieteilchen unter Energiefreisetzung vernichten. Auf der Erde können Anti-Teilchen – und sogar Anti-Atome – mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern produziert und im Hochvakuum gespeichert werden.
Was der Regisseur Ron Howard dann in Illuminati mit Materie und Antimaterie so eindrucksvoll in Szene setzte, ist die »Annihilation« – die große Vernichtung oder Auslöschung, die stattfindet, wenn man viele Teilchen mit ihren Anti-Teilchen vereinigt. Dabei wird eine riesige Menge an Energie frei. Diesen physikalischen Prozess gibt es tatsächlich, erläutert Landua. »Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Glas Wasser und vereinigen es mit einem Glas Anti-Wasser. Das wäre ziemlich gefährlich: Beide würden sich in einer gewaltigen Reaktion vernichten, und dann wäre nichts ›Handfestes‹ mehr übrig, nichts, was man anfassen könnte, weil alles in Energie übergegangen ist.« »Zunichtewerden«, nichts anderes bedeutet »annihilieren« wörtlich.
Welche Dimension so eine Vernichtung hat, wird einem klar, wenn man sich vor Augen führt, dass die Vereinigung von nur einem halben Gramm Materie mit einem halben Gramm Antimaterie eine Energiemenge freisetzen würde, die etwa der Sprengkraft von 20 Kilotonnen TNT entspricht. Das ist wiederum ungefähr die Sprengkraft der Atombombe, die das US-Militär 1945 über der japanischen Stadt Nagasaki abwarf und die auf Anhieb Zehntausende von Menschen das Leben kostete.
Vor der Produktion einer vergleichbaren Antimaterie-Bombe braucht sich allerdings niemand zu fürchten: Sie ist reine Fiktion. Schon das eine Gramm Antimaterie, das Dan Brown für seinen Plot benutzt, ist unmöglich herzustellen – dank der Ineffizienz des Prozesses, wie Landua erklärt. Nach heutigem Stand der Technik könnte das CERN 10 Nanogramm (milliardstel Gramm) Antimaterie pro Jahr erzeugen. Abgesehen von dem Problem, wie man diese Anti-Teilchen speichern sollte, bräuchte man 100 Millionen Jahre, um 1 Gramm Antimaterie herzustellen – was zudem Tausende von Milliarden Euro verschlingen würde, für die Energiekosten. Warum also, fragt Landua, sollte jemand diesen Aufwand für eine Bombe mit einer Sprengkraft von 20 Kilotonnen TNT betreiben wollen, wenn in den Atomarsenalen der Welt schon heute tausend Mal stärkere Wasserstoffbomben lagern?
Die Ineffizienz des Prozesses ist auch der Grund dafür, warum Antimaterie nie die Energiequelle (oder auch nur ein Energiespeicher) der Zukunft werden kann, anders als im Roman behauptet. »Auch wenn ich ein Science-FictionFan bin«, sagt Landua, »aber hier liegt Dan Brown falsch.« Allerdings gibt es seit Längerem eine Anwendung von Antimaterie, um die gar kein Aufhebens gemacht wird: in der medizinischen Diagnostik. Die sogenannte Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ist ein bildgebendes Verfahren, das vor allem der Diagnose von Krebserkrankungen dient. Mit Hilfe von PET-Scannern – großen grauen Apparaten mit einer Röhre, in der der Patient liegt – kann die Lage eines Tumors lokalisiert werden. Der Patient hat zuvor eine schwach radioaktiv markierte Substanz verabreicht bekommen. Die Positionsbestimmung erfolgt aufgrund einer Annihilationsreaktion im Körper, wenn ein Positron und ein Elektron sich gegenseitig auslöschen. Dabei werden hochenergetische Lichtquanten (Photonen) frei, die von ringförmig um den Patienten liegenden Detektoren aufgezeichnet werden. In der Medizin bzw. in der Krebsbehandlung liegt möglicherweise auch ein zukünftiger Nutzen der Antimaterie-Forschung. Die große Frage ist, ob Anti-Protonen in der Lage sind, Tumorzellen gezielt und effektiv zu zerstören. Am Europäischen Kernforschungszentrum läuft dazu ein Experiment über die biologischen Folgen der Annihilation.
Abb. 5: Am CERN wird ebenfalls zum medizinischen Einsatz von Antimaterie geforscht. Hier ein Gerätetest zur Positronen-Emissions-Tomographie. (Foto: CERN/Anna Pantelia)
Therapeutisch mag dies richtungsweisend sein, und die praktische Anwendbarkeit der Erkenntnisse ist nicht zuletzt im Hinblick auf die Kommunikation der Arbeit an einer Forschungseinrichtung immer erfreulich. Für die Grundlagenforschung selbst sind das aber eher Nebeneffekte. Denn um die Grundlagen unserer gesamten Existenz geht es am CERN. Die Arbeit dort soll den Wissenschaftlern vor allem Zugang zu neuen Phänomenen ermöglichen, denkbarerweise sogar zu zusätzlichen Raumdimensionen. »Vielleicht ergeben sich neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Raum, Zeit und Materie«, erklärt Landua. »Das neu gefundene Higgs-Boson wird es uns erlauben, das Higgs-Feld und damit eine Eigenschaft des leeren Raums besser zu verstehen. Das Higgs-Feld gibt allen elementaren Bausteinen der Materie ihre Masse. Vielleicht finden wir auch einen Beweis für die Existenz supersymmetrischer Teilchen. Durch sie könnten wir die dunkle Materie erklären, die immerhin den Hauptbestandteil des Universums ausmacht. Dunkle Materie gilt als eines der größten Rätsel der modernen Physik; seit mehr als 80 Jahren zerbrechen sich Wissenschaftler darüber den Kopf. Vielleicht finden wir sogar winzige Schwarze Löcher – damit könnten wir belegen, dass der Raum mehr als drei Dimensionen hat. Wie auch immer, der LHC wird entscheidend dazu beitragen, ein neues Fundament für die Physik zu errichten. Es könnte unser Weltbild revolutionieren.«