Bruno Staffelbach (Hrsg.)
HR Spotlights
Geistesblitze zur
Personalführung
VERLAG NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2013 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2013 (ISBN 978-3-03823-774-7).
Titelgestaltung: GYSIN [Konzept + Gestaltung], Chur
Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf andern Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
ISBN E-Book: 978-3-03823-981-9
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung
Prolog: HR Spotlights
Gedankenblitze zur Personalführung
Die Abkürzung «HR» kann für vieles stehen. HR steht etwa für Heart Rate, Human Rights, Human Relations oder House of Representatives. Die Abkürzung HR bringt also Wichtiges zum Ausdruck. Im vorliegenden Buch meint HR Human Resources. Das sind die von einem Unternehmen beschäftigten Menschen mit ihrem Wissen, Können und Wollen, mit ihren Erfahrungen, Erwartungen und Gefühlen, mit ihren Überzeugungen, Rechten und Pflichten. Diese Menschen sind für ihre Unternehmen von zentraler Bedeutung. Betriebswirtschaftlich sind sie Quellen von Wettbewerbsvorteilen (oder -nachteilen), sie sind Mittel zur Differenzierung von der Konkurrenz (oder nicht) und sie sind Träger und Präger von Unternehmensstrategien (oder nicht). In diesem Sinne sind es nicht die Unternehmen, welche erfolgreich sind, nicht die Strukturen, die wirksam sind und nicht die Prozesse, die effizient sind, sondern die Menschen, die sie entsprechend bilden und verwirklichen. Umgekehrt sind die Unternehmen aber auch für ihre Beschäftigten zentral. Sie sind Grundlage für Einkommen und Entwicklung, sie sind Teil ihrer Lebenswelt und Orte, wo gearbeitet, geleistet und geführt wird (oder nicht), wo Menschen hoffen, leiden und sich freuen (oder nicht), wo Risiken, Konflikte und Emotionen entstehen und wo gegeben und genommen, gelehrt und gelernt und berechnet und vertraut wird (oder nicht).
Wenn die HR für ein Unternehmen so bedeutsam sind, so muss das Management der HR erst recht wichtig sein. Aber was heisst Human Resource Management (HRM)? Die einen verstehen HRM als eine Gesamtheit von Institutionen, Prozessen und Instrumenten, die dazu dienen, HR zu gewinnen, zu belohnen und auszubilden. Im Zentrum steht dann die Frage, wie man am besten auswählt, motiviert und trainiert. Andere versuchen HRM über die Menschen zu verstehen, um die es geht. Im Zentrum steht dann die Frage, wie, warum und wozu Menschen in Unternehmen so ticken, wie sie ticken. Dabei interessieren Präferenzen und Kompetenzen, Emotionen und Kognitionen, Organisationen und Kooperationen. In beiden Auffassungen ist HRM nicht nur das, was die Personalabteilung tut; HRM ist eine Führungsaufgabe.
Woher nehmen HRM-Entscheidungsträger ihr Wissen? Lassen sie sich von den Erfahrungen anderer Unternehmen leiten, von Moden und Traditionen und/oder von den Tipps und Tricks ihrer Kolleginnen und Kollegen? Oder denken und handeln sie evidenzbasiert und suchen sie wissenschaftliche Befunde? Das Angebot dazu ist reich. Die Ökonomik liefert Wissen zu Ursachen und Wirkungen von Institutionen und Anreizen, die Psychologie fokussiert persönliche Voraussetzungen wie Bedürfnisse und Erwartungen und die Verhaltensökonomik sucht beides zu verbinden.
In diesem Buch berichten Angehörige des Lehrstuhls für Human Resource Management der Universität Zürich in 64 Artikeln von verschiedenen Forschungsfronten, -brennpunkten und -resultaten, die für Entscheidungsträger im HRM relevant sind. Dabei suchten sie nicht nur Erfolgsfaktoren. Sie interessierten sich auch für Anomalien, Fallstricke und Misserfolgsfaktoren, für versteckte Kosten, kontraproduktive Nebeneffekte und überraschende Folgen. Die 64 Artikel gliedern sich in zwei Gruppen. 55 Artikel sind Kurzreports über ausgewählte Forschungsprojekte und -ergebnisse an verschiedenen Universitäten und Hochschulen. Das Gros davon erschien in den Jahren 2008 bis 2011 in der Wochenendausgabe der Neuen Zürcher Zeitung. Die NZZ-Artikel wurden überarbeitet und mit neuen Kurzbeiträgen ergänzt, wovon ein Teil in der Zeitschrift HR Today erschienen ist. Diese Reports markieren eine wichtige Aufgabe eines universitären Lehrstuhls: die Vermittlung von neuem Wissen als Aufgabe der Lehre. Die andere – zentrale – Aufgabe eines universitären Lehrstuhls kommt in den anderen Artikeln zum Ausdruck, die umfangreicher sind: die eigene Forschung. In neun längeren Beiträgen werden Befunde, Erkenntnisse und mögliche Konsequenzen aus Forschungsprojekten am Lehrstuhl der letzten Jahre dargestellt und diskutiert.
Die Kurzreports und die Artikel aus der eigenen Forschung werden in fünf Bereiche gruppiert. Der erste Bereich fokussiert die Humanressource, die uns am nächsten liegt: die eigene. Dabei geht es um die Führung der eigenen Person, z. B. um die persönlichen physischen, psychischen und intellektuellen Ressourcen oder um Selbstdisziplin, Selbsteinschätzung und das eigene Gewissen. Im zweiten Bereich geht es um die Führung von Projekten und damit verbunden etwa um Fragen betreffend Arbeitsüberlastung, Kommunikation in Meetings und die Beurteilung von Risiken, Talenten und dem, was uns Projekte wichtig und dringlich erscheinen lässt. Die direkte Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist Bestandteil des dritten Abschnittes. Dabei geht es etwa um Vertrauen und psychologische Verträge, um Feedback und Leistungsvergütung und um Reden, Lachen und Kommunikation. Der vierte Abschnitt thematisiert das klassische HRM: die Führung von Unternehmen über Auswahl-, Beurteilungs- und Belohnungssysteme und -programme. Dazu gehören etwa Fragen, ob ein höherer Lohn ein Grund ist für einen Jobwechsel, welche Effekte eine Familienunterstützung bewirkt oder welches die versteckten Folgen hoher Lohndisparität sind. Im fünften Bereich geht es letztlich um die Bedeutung verschiedener Kontexte, um die Macht der Situation und um besondere Bedingungen, die sich aus Krisen, Familienverpflichtungen und in der Freiwilligenarbeit ergeben.
Ich danke allen, die sich für diese Publikation engagiert haben. Dazu gehören vorerst die Autorinnen und Autoren. Sie haben Freude an ihren Forschungen und Erkenntnissen und daran, diese mit Entscheidungsträgern im und zum HRM teilen zu können. Ein besonderer Dank gilt Philippe Mahler, der die Wochenendrubrik in der Neuen Zürcher Zeitung organisierte. Jan Mühlethaler ermunterte zur Produktion, Eva-Maria Aulich, Anna Sender, Andrea Keller und Anton Stadelmann übernahmen Teile des Lektorats und Nadja Brylka redigierte das ganze Manuskript. NZZ Libro, dem Buchverlag der Neuen Zürcher Zeitung, danke ich für die gute Zusammenarbeit.
Immanuel Kant formulierte den Kategorischen Imperativ u. a. wie folgt: «Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst.» Mögen die vorliegenden Geistesblitze zur Personalführung nicht nur der Verzweckung von Mitteln, sondern auch der Vermittlung möglicher Zwecke im Human Resource Management dienen.
Bruno Staffelbach
Führung der eigenen Person
Selbstüberschätzung
Grund und/oder Folge von Beförderungen?
Welche Rolle spielt Überkonfidenz – die Neigung von Menschen, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen zu überschätzen – in Beförderungsprozessen? Werden wirklich die Fähigsten befördert oder eher diejenigen, die sich für die Fähigsten halten? Wie wirkt sich eine Beförderung auf die Selbstüberschätzung aus? Werden wir mit jeder Beförderung überkonfidenter? Diese Studie gibt Antworten auf diese Fragen.
Täglich treffen Menschen wichtige und weniger wichtige Entscheidungen: Familien entscheiden, wohin sie in den Urlaub fahren, Ärzte über die Behandlungsmethode ihrer Patienten, Arbeitnehmende über ihren nächsten Karriereschritt, CEOs über die Übernahme eines anderen Unternehmens, Politiker über eine Gesetzesvorlage – diese Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Unser Leben besteht aus einer Aneinanderreihung unzählig vieler Entscheidungen. Dabei kommen vor allem zwei Rahmenbedingungen zum Tragen. Erstens gilt: Die Güte der eigenen Urteilsfähigkeit hat einen direkten Einfluss auf die Güte der Entscheidungen. Zweitens wird der Grossteil aller Entscheidungen in Unsicherheit getroffen. Was Menschen trotz der bestehenden Unsicherheit zu einer Entscheidung veranlasst, ist ihre Zuversicht (Konfidenz), dass ihr Entscheid richtig ist. Doch inwiefern ist diese Zuversicht gerechtfertigt? Sie allein garantiert nicht, dass eine Entscheidung auch tatsächlich richtig ist. Ob die Konfidenz ein geeigneter Indikator für die Entscheidungsqualität ist, hängt davon ab, wie gut eine Person kalibriert ist, d. h., wie gut das, was sie zu wissen oder zu können glaubt, übereinstimmt mit dem, was sie tatsächlich weiss oder kann. Für einen ungerechtfertigt hohen Glauben an das eigene Wissen und/oder Können wird der Begriff Überkonfidenz verwendet.
Überkonfidenz tritt in verschiedenen Formen auf. Grundlegend kann man zwischen absoluter und relativer Überkonfidenz unterscheiden. Glaubt ein Entscheidender z. B., mehr zu wissen oder zu können, als er tatsächlich weiss oder kann, so unterliegt er der absoluten Überkonfidenz. Denn der Referenzpunkt für den Vergleich der subjektiven Einschätzung des eigenen Wissens und/oder Könnens und der objektiven Realität ist das urteilende Individuum selbst. Formen der relativen Überkonfidenz bezeichnen hingegen Situationen, in denen eine Person ihr Wissen und/oder Können relativ zu einer anderen Person oder einer anderen Personengruppe überschätzt. Im Folgenden steht die absolute Überkonfidenz im Fokus.
Überkonfidenz gilt nicht nur als weitverbreitetes Verhaltensmuster, sondern auch als äusserst gefährliche Entscheidungsanomalie. Welch katastrophale Auswirkungen überkonfidentes Verhalten nach sich ziehen kann, wird deutlich, wenn man sich die eingangs genannten Entscheidungssituationen in Erinnerung ruft. Ist sich ein Arzt fälschlicherweise sicher, dass seine Behandlungsmethode für einen Patienten geeignet ist, kann dies für den Patienten verheerende Folgen haben. Zwar führt Überkonfidenz nicht zwangsläufig zu Fehlentscheidungen, sie erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens. Scott Plous meint gar: «No problem in judgment and decision making is more prevalent and more potentially catastrophic than overconfidence.» (Plous 1993, S. 217) Überkonfidenz kann in allen Lebens- und Arbeitsbereichen auftreten und dort grosse Schäden nach sich ziehen. Ein aktuelles Beispiel ist die gegenwärtige Staats- und Bankenkrise, die in hohem Masse auf die Überkonfidenz der beteiligten Akteure in Politik und Wirtschaft zurückzuführen ist.
Gegeben, dass Überkonfidenz weitverbreitet und potenziell gefährlich ist, sind vor allem zwei Fragen entscheidend: In welchen Situationen tritt Überkonfidenz auf und welche Auswirkungen kann Überkonfidenz haben? Allein das Wissen um potenzielle Überkonfidenz erhöhende oder gar auslösende Faktoren und potenziell von Überkonfidenz betroffene Situationen ermöglicht ein frühzeitiges Gegensteuern und kann die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Fehlentscheidungen reduzieren. Hier setzt der vorliegende Beitrag an, der sich sowohl den Ursachen als auch den Folgen von Überkonfidenz widmet.
Ein typischerweise in allen hierarchisierten – sowohl staatlichen als auch privatwirtschaftlichen – Organisationsformen vorkommender Prozess ist die Beförderung. Beförderungen sind nicht nur ein Instrument, um Beschäftigte zu hohen Leistungen zu motivieren, sie stellen auch einen Selektionsmechanismus dar, der die besten Mitarbeitenden den in der Hierarchie höher angesiedelten Arbeitsplätzen zuordnen soll. Damit soll sichergestellt werden, dass die Spitzen der Organisationen mit den Besten besetzt sind und dass gute Entscheide getroffen werden. Für die Beförderten selbst sind Beförderungen ein nach aussen hin sichtbar gewordener Ausweis ihrer Leistungen. Beförderungen erfüllen ihre Motivations- und Selektionsfunktion aber nur dann im Sinne der organisationalen Ziele, wenn erstens tatsächlich die Besten selektiert werden und sich zweitens Beförderungen nicht negativ auf die Beförderten selbst auswirken.
Beförderungen würden ihren Zweck beispielsweise dann nicht optimal erfüllen und sogar dazu beitragen, dass Fehlentscheidungen getroffen werden, wenn entweder systematisch überkonfidente Menschen auf die höheren Hierarchieebenen befördert würden oder Beförderte durch die Beförderung selbst überkonfident(er) werden. Im vorliegenden Beitrag werden diese beiden Zusammenhänge untersucht. Zunächst wird der Frage nachgegangen, ob tatsächlich die Besten befördert werden oder eher diejenigen, die sich für die Besten halten. Anschliessend wird untersucht, ob sich Beförderungen auf das Ausmass der Überkonfidenz auswirken. Wären die Beförderten nach ihrer Beförderung stärker überkonfident, hätte das negative Konsequenzen für die Güte ihrer Entscheidungen. Da mit Beförderungen typischerweise eine Erweiterung des Entscheidungsspielraums einhergeht, wäre dies für das befördernde Unternehmen besonders gefährlich.
Empirisches Vorgehen
Um den Effekt von Überkonfidenz auf die Beförderungswahrscheinlichkeit und den Effekt von Beförderungen auf die Überkonfidenz zu analysieren, wurde in Kooperation mit der Schweizer Armee ein soziales Feldexperiment durchgeführt. Ein Teil der Probanden wurde im Laufe des Experiments tatsächlich befördert. Experimente erlauben Aussagen über kausale Effekte von einer unabhängigen Variablen auf eine abhängige Variable. Feldexperimente haben den Vorteil, dass sich ihre Ergebnisse durch eine hohe Aussagekraft für die betriebliche Praxis auszeichnen.
Um kausale Schlüsse ziehen zu können, wurde nicht nur auf ein weitestgehendes Between-Subjects-Design hingesteuert, sondern auch ein Within-Subjects-Design angestrebt. So konnten sowohl Unterschiede zwischen den Probanden als auch Veränderungen innerhalb eines Probanden erfasst werden. Dies bedingte, dass wiederholt dieselben Messungen an denselben Untersuchungssubjekten erfolgten (Panelstudie). Das Feldexperiment erstreckte sich über einen Zeitraum von November 2008 bis September 2009. Insgesamt 699 männliche Rekruten der Schweizer Armee nahmen als Probanden an der vier Sitzungen umfassenden Experimentalreihe teil. Ein Teil der Probanden wurde im Verlauf des Experiments zu Offizieren oder (höheren) Unteroffizieren befördert. In jeder der vier experimentellen Sitzungen wurden die Probanden auf Überkonfidenz bezüglich berufsspezifischen – hier: militärspezifischen – Fachwissens und bezüglich ihres Allgemeinwissens getestet. Ausserdem wurden eine ganze Reihe psychologischer Konstrukte, wie z. B. Persönlichkeitsfaktoren und Selbstwertgefühl sowie verschiedene sozioökonomische Merkmale, erhoben. Die erste experimentelle Sitzung fand kurz nach dem Start der Rekrutenschule statt – zu diesem Zeitpunkt war nicht bekannt und auch nicht absehbar, wer zu späteren Zeitpunkten einen Beförderungsvorschlag erhalten und befördert würde. Die zweite Sitzung fand sechs Wochen später statt, als bereits bekannt war, wer einen Beförderungsvorschlag erhalten und angenommen hatte. Etwa zehn Monate später, zwei Tage vor der Beförderung, wurde die dritte Sitzung durchgeführt. Vier Tage später, zwei Tage nach der Beförderung, war die vierte und letzte experimentelle Sitzung.
Blendkraft Überkonfidenz
Beförderungen erfüllen ihre Motivations- und Selektionsfunktion nur, wenn die Besten befördert werden. Angesichts der Tatsache, dass die wahre Leistung der Beförderungskandidaten selten perfekt messbar ist, ist diese Annahme allerdings zu hinterfragen. Die Ergebnisse des Feldexperiments zeigen, dass das Ausmass der Überkonfidenz einen deutlichen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, befördert zu werden. Auch unter Kontrolle eines breiten Spektrums explizit beförderungsrelevanter Kriterien bleibt der Überkonfidenzeffekt stark, hoch signifikant und robust. Doch heisst dies zugleich, dass die Überkonfidentesten anstelle der Kompetentesten befördert werden? Gemäss dem Reglement der Schweizer Armee ist das Fachwissen der Beförderungskandidaten ein explizites Kriterium für die Beförderungsentscheidung. Tatsächlich hat Fachwissen zwar einen schwach positiven, statistisch hoch signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, befördert zu werden, aber dieser Effekt ist nicht robust. Das Ausmass der Überkonfidenz einer Person ist daher insgesamt ein zuverlässigerer, weil robusterer Indikator für die Beförderungswahrscheinlichkeit als das tatsächliche Fachwissen. Vereinfacht lässt sich sagen: Je überkonfidenter die Beförderungskandidaten sind, desto wahrscheinlicher erhalten sie ein Beförderungsangebot. Erklärbar ist dieses Ergebnis damit, dass in Beförderungsentscheidungen die von den Vorgesetzten wahrgenommene Kompetenz der Beförderungsanwärter ausschlaggebend ist. Diese ist wiederum von der – möglicherweise ungerechtfertigt hohen – Konfidenz der Kandidaten abhängig. Denn die empirische Forschung zeigt: Je konfidenter man ist, desto kompetenter wirkt man auf andere (Ludwig & Nafziger 2010). Überkonfidenz wird demnach als hohe Kompetenz missinterpretiert.
Die Forschungsergebnisse implizieren, dass Beförderungen Fehlanreize setzen und ineffektiv sein können – falls sich die Vorgesetzten in ihren Selektionsentscheidungen von der Überkonfidenz der Beförderungskandidaten blenden lassen. Um die damit einhergehenden negativen Konsequenzen zu verhindern, sollten zum einen Beförderungskandidaten explizit auf Überkonfidenz getestet werden, und zum anderen sollten sich Vorgesetzte des Überkonfidenzeffektes bewusst sein und Entscheidungen daher möglichst auf Grundlage objektiver Signale treffen.
Als experimentelles Umfeld die Schweizer Armee zu nutzen, lässt die Frage nach der Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf Unternehmen der Privatwirtschaft aufkommen. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass Beförderungen in staatlichen Organisationen die gleichen Funktionen erfüllen sollen wie in privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen. Im Vordergrund stehen die Motivations- und die Selektionsfunktion. In Abhängigkeit der Unternehmensstrategie, -kultur und -struktur können jedoch die Ausgestaltung des Beförderungsselektionsprozesses sowie die angewandten Selektionskriterien differieren – dies gilt aber auch innerhalb der Gruppe privatwirtschaftlicher Unternehmungen. Je ähnlicher die Prozesse und Kriterien sind, desto geeigneter ist der Transfer der Ergebnisse.
Diese Studie könnte in vielerlei Hinsicht erweitert werden. So belegen zahlreiche Studien, dass das Geschlecht einen entscheidenden Einfluss auf die Beförderungswahrscheinlichkeit hat. Frauen werden signifikant seltener befördert. Eine Erklärung dafür könnte im Licht der Erkenntnisse der vorliegenden Studie die bei Frauen grundsätzlich weniger stark ausgeprägte Neigung zu Überkonfidenz sein (Niederle & Vesterlund 2007; Barber & Odean 2001; Lenney 1977). Aufgrund des Mangels an weiblichen Probanden bietet die vorliegende Studie jedoch keine Antwort auf die Frage, ob Überkonfidenz auch bei Frauen einen positiven Effekt auf die Beförderungswahrscheinlichkeit hat.
Erhöhen Beförderungen die Selbstüberschätzung?
Dass Überkonfidenz zu Karriereerfolg führt, belegt der erste Teil dieser Studie empirisch – kann Karriereerfolg jedoch umgekehrt auch zu Überkonfidenz führen oder die Überkonfidenz noch steigern und damit die Chancen der eben Beförderten für die nächste Beförderung erhöhen? Basierend auf psychologischen, soziologischen und physiologischen Überlegungen gibt es eine Reihe von Gründen, anzunehmen, dass Beförderungen zu Überkonfidenz führen. Anhand des Wirkungskanals «Macht» soll dies veranschaulicht werden: Aus der empirischen Forschung ist bekannt, dass Machtgefühle zu Überkonfidenz führen (Sivanathan & Galinsky 2007). Beförderungen sind typischerweise mit einer Ausweitung der Entscheidungskompetenzen über finanzielle und personelle Ressourcen und damit mit einem Machtzuwachs verbunden. Folglich ist anzunehmen, dass die Überkonfidenz von Beförderten aufgrund des Machtanstiegs nach der Beförderung höher ist als zuvor.
Ob Beförderungen einen Effekt auf das Ausmass der Überkonfidenz von Beförderten haben, wurde überprüft, indem diejenigen Probanden aus dem Längsschnitt-Feldexperiment mit der Schweizer Armee, die tatsächlich befördert wurden, darauf getestet wurden, ob sie nach der Beförderung stärker überkonfident waren als vor der Beförderung. Dabei wurde die absolute Überkonfidenz im Bereich des allgemeinen Wissens wie auch im Bereich des berufsspezifischen (hier: militärspezifischen) Wissens gemessen. Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass die theoretischen Überlegungen nicht von der empirischen Evidenz gestützt werden. Im Gegenteil – die durchschnittliche Überkonfidenz bezüglich beider getesteter Wissensbereiche ist nach der Beförderung nicht nur nicht gestiegen, sondern sogar deutlich und statistisch signifikant gesunken. Die Ergebnisse überraschen. Sie lassen darauf schliessen, dass sich eine Beförderung nicht überkonfidenzsteigernd, sondern -senkend auswirkt. Besonders bemerkenswert ist, dass die Überkonfidenz nach der Beförderung nicht nur gesunken, sondern im Bereich des militärspezifischen Wissens sogar annähernd verschwunden ist, nachdem sie in diesem Bereich (nicht aber im Bereich Allgemeinwissen) schon während der Kaderausbildungszeit vor der Beförderung, zwischen der zweiten und der dritten experimentellen Sitzung, signifikant gesunken ist. Dieser Befund könnte darauf zurückzuführen sein, dass in der Schweizer Armee eine perfekte Kalibrierung bezüglich der Einschätzung des eigenen Wissens bei Personen mit Führungsverantwortung angestrebt wird und die Probanden durch die spezielle Ausbildung ihr Metawissen besser beurteilen konnten.
Das Sinken der Überkonfidenz nach der Beförderung, zwischen der dritten und vierten Sitzung, wird jedoch aus zwei Gründen auf das Ereignis der Beförderung selbst zurückgeführt: Erstens sinkt die Überkonfidenz überproportional stark, sodass die Ausbildung alleine die Veränderung nicht hinreichend erklären kann. Zweitens sinkt die Überkonfidenz bezüglich beider Wissensbereiche innerhalb des kurzen Zeitraums von vier Tagen, in den die Beförderung fällt, statistisch signifikant und deutlich stärker als im gesamten Zeitraum zuvor, der zehn Monate umfasst.
Wie ist das den theoretisch deduzierten Hypothesen widersprechende Resultat, dass sich eine Beförderung überkonfidenzreduzierend auswirkt, zu erklären? Erwarten die Beförderten, dass ihr Umfeld von ihnen als Vorgesetzte herausragende und vorbildliche Leistungen erwartet, glauben aber selbst nicht daran, diesen hohen Erwartungen gerecht werden zu können, so könnte dies zu einem Sinken der Überkonfidenz führen. Denn das Gefühl, Erwartungen nicht erfüllen zu können, kann Versagensängste auslösen und sich negativ auf das die Überkonfidenz beeinflussende Selbstwertgefühl auswirken. Theoretisch wie auch empirisch ist die Fristigkeit des Effekts offen. Falls Versagensängste für das Sinken der Überkonfidenz verantwortlich sind, könnte mit der Zeit die Überkonfidenz wieder ansteigen, je sicherer sich die Beförderten in ihrer neuen Position fühlen. Dieser Effekt wäre jedoch nicht auf das Ereignis der Beförderung zurückzuführen, sondern vielmehr dem Erfolg oder Misserfolg der Beförderten im neuen Job zuzuschreiben. Untersuchungsgegenstand der empirischen Analyse war die erste Beförderung innerhalb der militärischen Laufbahn der Probanden. Da nur 14 Prozent der Probanden im zivilen Beruf eine Position mit Führungsaufgaben innehatten, war es für die meisten der Beförderten darüber hinaus die erste Beförderung überhaupt. Es ist anzunehmen, dass die erste Beförderung die Gefühlswelt der Beförderten in besonderem Masse beeinflusst. Unter diesen Umständen könnten der gefühlte Druck und die mit der neuen hierarchischen Position einhergehenden Erwartungen sowie die mit der Ausweitung des Verantwortungsbereiches eventuell aufkommenden Versagensängste besonders stark zum Tragen gekommen sein. Ob der Effekt einer Beförderung nach der zweiten oder dritten Beförderung noch immer überkonfidenzsenkend wäre, gilt es in Folgestudien herauszufinden.
Fazit
Diese Studie hat zu zwei Erkenntnissen geführt. Erstens zeigt sich, dass die Beförderungswahrscheinlichkeit von Beförderungskandidaten umso höher ist, je stärker diese überkonfident sind. Der gefundene Effekt ist hoch signifikant und robust. Theoretisch wurde argumentiert, dass das Äussern einer hohen Konfidenz von anderen Individuen, z. B. von Vorgesetzten, als Signal für hohe Kompetenz wahrgenommen wird und Überkonfidenz infolgedessen als Kompetenz missinterpretiert werden kann. Überkonfidente haben somit anderen gegenüber bei Beförderungsentscheidungen einen Wettbewerbsvorteil. Dieser Befund hat Konsequenzen für das befördernde Unternehmen. So ist anzunehmen, dass es nicht im Interesse eines Unternehmens liegt, die Überkonfidentesten anstelle der tatsächlich Besten zu befördern. Denn es besteht nicht nur die Gefahr der Fehlselektion und das erhöhte Risiko von Fehlentscheidungen auf hohen Hierarchieebenen. Dies kann auch negative Auswirkungen auf die Zufriedenheit und die Motivation der Nichtbeförderten haben, welche möglicherweise geeigneter wären, aber zu wenig überkonfident sind. Unternehmen sind gut beraten, sich in Beförderungsentscheidungen möglichst auf objektive Masse zur Bestimmung der Eignung von Kandidaten zu verlassen anstatt auf den subjektiven Eindruck, den Vorgesetzte von Kandidatinnen und Kandidaten haben.
Eine zweite Erkenntnis ist, dass Beförderungen die Überkonfidenz der Beförderten zumindest auf kurze Frist nicht erhöhen. Im Gegenteil: Beförderte weisen unmittelbar nach der Beförderung eine deutlich niedrigere Überkonfidenz auf als vorher. Theoretisch begründbar ist der Befund des überkonfidenzreduzierenden Effekts damit, dass insbesondere die erste Beförderung in der Laufbahn eines Individuums – diese war Untersuchungsobjekt in der empirischen Analyse – eine verunsichernde Wirkung auf den Beförderten haben kann. Die gestiegene Verantwortung und die zusätzlich seitens des sozialen Umfelds an das beförderte Individuum veränderten Erwartungen könnten die Angst auslösen, den neuen Aufgaben nicht gerecht zu werden und in der neuen Position zu scheitern. Ein Sinken der Überkonfidenz bei Entscheidungsträgern hat keine negativen Konsequenzen für das befördernde Unternehmen – solange sich die Überkonfidenz nicht in eine Unterkonfidenz umkehrt. Denn Unterkonfidenz kann ebenso betriebswirtschaftlich negative Auswirkungen nach sich ziehen wie Überkonfidenz. So neigen Unterkonfidente dazu, zu risikoavers zu sein. Auch können sie andere weniger gut von der Erfolgswahrscheinlichkeit eines Projekts überzeugen oder zu hohen Anstrengungen motivieren. Unternehmen sind daher gut beraten, wenn sie sich der Problematik Überkonfidenz – und Unterkonfidenz – bewusst sind und nicht nur ex post den Entscheidungen von Managern Beachtung schenken, sondern ex ante das Urteilsvermögen von Entscheidungsträgern überprüfen.
Eva-Maria Aulich
Literatur
Aulich, E.-M. (2011). Zusammenhang zwischen Überkonfidenz und Beförderung. Göttingen: Cuvillier Verlag.
Barber, B. M. & Odean, T. (2001). Boys will be boys: Gender, overconfidence, and common stock investment. Quarterly Journal of Economics, 116 (1), 261 – 292.
Lenney, E. (1977). Women’s self-confidence in achievement settings. Psychological Bulletin, 84 (1), 1 – 13.
Ludwig, S. & Nafziger, J. (2011). Beliefs about overconfidence. Theory and Decision, 70 (4), 475 – 500.
Niederle, M. & Vesterlund, L. (2007). Do women shy away from competition? Do men compete too much? Quarterly Journal of Economics, 122 (3), 1067 – 1101.
Plous, S. (1993). The psychology of judgment and decision making. New York: McGraw-Hill.
Sivanathan, N. & Galinsky, A. D. (2007). Power and overconfidence. IACM 2007 Meetings Paper.
Persönliche Ressourcen
Ausgeschlafen währt am längsten
In der heutigen Leistungsgesellschaft wird es für Beschäftigte immer schwieriger, ausreichend Schlaf zu bekommen. Der Tag ist auf 24 Stunden beschränkt, und somit konkurriert die Schlafzeit mit der Arbeitszeit, mit den Stunden für Kinder- und Elternbetreuung und mit einem wachsenden Freizeitangebot. Unternehmen kommt der Schlafentzug ihrer Mitarbeitenden teuer zu stehen. Zu wenig Schlaf reduziert die Leistung. Das stellt man spätestens dann fest, wenn nach dem Durchfliegen mehrerer Zeitzonen der Jetlag zuschlägt. Schlafmangel und Müdigkeit reduzieren die Aufmerksamkeit, das Reaktionsvermögen und die Reaktionszeit. Zusätzlich zur Verminderung der Produktivität erhöht sich die Unfallgefahr. In vielen Bereichen spielt das Schlafmanagement deshalb eine wichtige Rolle, etwa im Transportgewerbe, im Leistungssport oder in der Armee. Sind Leistungsreduktion und erhöhte Unfallrisiken aber die einzigen Folgen von zu wenig Schlaf? Wie steht es mit dem Fehlverhalten am Arbeitsplatz?
Die Professoren Michael Christian von der Universität North Carolina und Aleksander Ellis von der Universität Arizona führten zwei Studien durch, um den Einfluss von Schlafentzug auf das Fehlverhalten am Arbeitsplatz zu untersuchen (siehe Quellenverzeichnis). In ihrer ersten Studie wurden 171 Pflegepersonen mittels zweier Fragebögen zu partiellem Schlafentzug, Selbstkontrolle, Feindseligkeit und innerbetrieblichem Betrug befragt. In einer zweiten Studie, einem Laborexperiment, teilten sie 75 Studierende zufällig in eine Kontroll- und in eine Experimentalgruppe auf, in welcher der Schlafentzug systematisch manipuliert wurde. Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass Schlafentzug zu geringerer Selbstkontrolle und zu höherer Feindseligkeit führen. Dies erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass übermüdete Führungskräfte und Mitarbeitende eher zu Fehlverhalten am Arbeitsplatz tendieren. Beschäftigte mit Schlafentzug stehlen häufiger, konsumieren öfter Drogen oder Alkohol, verhalten sich gegenüber Arbeitskolleginnen und -kollegen unhöflicher und bleiben häufiger unerlaubterweise der Arbeit fern.
Nickerchen oder Naps von 10 bis 30 Minuten erhöhen also nicht nur die Leistung und sie reduzieren nicht nur die Unfälle, sondern sie vermindern auch das Fehlverhalten am Arbeitsplatz. Ausgeschlafene sind fitter, höflicher, kollegialer, kontrollierter und produktiver. Übermüdete hingegen bringen wenig, sie sind gefährlich und sie vergiften das Klima. Warum nicht Power-Naps ermöglichen und Nickerchenzonen einrichten? Genügend Wasser, Bewegung und regelmässige Pausen stärken zudem das Leistungsvermögen, die Resilienz und die Belastbarkeit der Beschäftigten. Zudem wirken sie den negativen Auswirkungen von zu wenig Schlaf entgegen. Werden Nickerchenzonen, Wasserstationen, Erholungspausen und Bewegungsmöglichkeiten nicht genutzt, ist es in der Verantwortung der direkten Vorgesetzten und der Kolleginnen und Kollegen, übermüdete Mitarbeitende durch direktive Einflussnahme zu ihrem Glück zu zwingen. Ehrlich währt am längsten, ausgeschlafen auch.
Alexandra Arnold
Entschlossen und bescheiden
Sich selber einordnen können
Welcher Leader führt uns zum Erfolg? Was unterscheidet ein mittelmässig erfolgreiches Unternehmen von einem sehr erfolgreichen? An einer Rezeptur für äusserst erfolgreiche Unternehmen wäre wohl jeder interessiert. Jim Collins, selbstständiger Managementforscher, meint mit seinem Level-5-Leadership-Konzept eine solche Rezeptur oder zumindest eine entscheidende Zutat dafür gefunden zu haben (siehe Quellenverzeichnis).