Dirk Fox ist Informatiker, Gründer und Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens für IT-Sicherheit, Herausgeber einer Fachzeitschrift für Datenschutz und Datensicherheit, Vorstand eines großen IT-Netzwerks – und begeisterter »fischertechniker«. Er gibt die fischertechnik-Zeitschrift »ft:pedia« heraus und setzt sich für den Ausbau des Technikunterrichts an deutschen Schulen ein – mit fischertechnik.
Thomas Püttmann ist außerplanmäßiger Professor für Mathematik an der Ruhr-Universität Bochum. Zur Vermittlung von Themen aus den Bereichen Mathematik, Technik und Naturwissenschaften entwickelt er gezielt lehrreiche Modelle, wenn möglich aus fischertechnik. Als echter Mathematiker optimiert er seine Konstruktionen so lange, bis man keinen Stein mehr weglassen oder verschieben kann. Regelmäßig schreibt er Beiträge für die ft:pedia.
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16 Meilensteine zum Nachbauen
Dirk Fox |
E-Mail: dirk.fox@secorvo.de |
Thomas Püttmann |
E-Mail: Thomas.Puettmann@rub.de |
Lektorat: Dr. Michael Barabas
Copy-Editing: Sandra Gottmann, Münster-Nienberge
Herstellung: Susanne Bröckelmann, Heidelberg
Satz: Ulrich Borstelmann, Dortmund
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de
Druck und Bindung: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN:
Buch 978-3-86490-296-3
PDF 978-3-86491-791-2
ePub 978-3-86491-792-9
mobi 978-3-86491-793-6
1. Auflage 2015
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Wieblinger Weg 17
69123 Heidelberg
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1 Der Flaschenzug
Faktorenflaschenzug
Potenzflaschenzug
Differenzialflaschenzug
Differenzialwinde
Krane mit Wellrad
Tretradkrane
Literatur
2 Das Getriebe
Sakijen und Mühlen
Steinsägemühlen
Kraftverstärkung
Übersetzungen
Das Hodometer
Der Antikythera-Mechanismus
Literatur und Links
3 Das Differenzialgetriebe
Angetriebene Fahrzeuge
Das White’sche Dynamometer
Das White’sche Differenzialrad
Mathematische Beschreibung
Äquationsuhren
Kompasswagen
Literatur und Links
4 Die Uhr
Einleitung
Uhren und Zeiteinteilung
Spindel mit Waagbalken
Frühe Uhren mit Schlagwerk
Das Pendel
Die Ankerhemmung
Die Unruh
Ruhende Hemmungen
Das Turmuhr-Modell
Aufbau und Funktion
Die Antriebseinheit (Gehwerk)
Die Spindelhemmung
Stabpendel
Gewichte und Seile
Die Anzeigeeinheit
Der Antrieb des Schlagwerks
Die Auslösung des Schlagwerks
Die Schlossscheibe
Das Schlagrad
Laufzeit und Genauigkeit
Literatur und Links
5 Das Planetarium
Armillarsphären
Astronomische Uhren
Mondphasen
Epizykel
Wechsel des Weltbilds
Tellurien
Planetarien
Merkur, Venus, Erde
Der Aufbau
Merkur- und Venusgetriebe
Sonne und Planeten
Bahngeschwindigkeiten
Konjunktionen und Transite
Sternbilder
Venus- und Merkurphasen
Motorisierung
Literatur und Links
6 Die Rechenmaschine
Einleitung
Geschichte
Der Abakus
Uhren und Zählwerke
Die Rechenuhr
Ein zweiter Anfang
Leibniz
Planetengetriebe
Das Rechenmaschinenmodell
Addierwerk
Eingaberegister
Koppeln mehrerer Maschinen
Bedienung
Literatur und Links
7 Der Sextant
Warnung
Geschichte
Der Quadrant
Geografische Breite
Mittagshöhe der Sonne
Geografische Länge
Standlinien
Der Sextant
Aufbau
Handhabung und Funktion
Nachbau
Anbringen der Skalen
Messungen
Literatur und Links
8 Die Dampfmaschine
Geschichte
Das Dampfmaschinenmodell
Das Getriebe
Das Schwungrad
Die Geradführung
Die Druckluftzufuhr
Literatur
9 Die Achsschenkellenkung
Die Entwicklung der Lenkung
Schwenkachslenkung
Knicklenkung
Einzelradlenkung
Die Achsschenkellenkung
Entwicklung
Konstruktion
Lenkfehler
Spurkreis
Varianten und Alternativen
Funktionsmodelle
Spezialteile für Lenkungen
Literatur
10 Der Elektromotor
Funktionsweise
Jakobi-Motor
fischertechnik-Elektromotor
Synchronmotor
Synchronuhr
Literatur
11 Der Telegraf
Optische Telegrafen
Erster elektrischer Telegraf
Nadeltelegrafen
Zeigertelegrafen
Morsetelegraf
Literatur
12 Die Normalzeit
Die gesetzliche Zeit
Das Zeitsignal
Funksignal
Referenzzeit
Vollständige Zeitinformation
DCF77-Zeitcode
DCF77-Empfänger
Die Hardware
Die Software
Weitere Funktionen
Literatur
13 Der Film
Lichtbilder
Bewegte Bilder
Fotografie
Projektoren
Literatur
14 Das Raupenfahrzeug
Geschichte
Raupenkette
Lenkung
Getrennter Antrieb
Kupplungen
Schaltung
Differenzial mit Bremse
Kontrollierte Differenzialsteuerung
Überlagerungsgetriebe
Gleichlaufgetriebe
Einsatz von Raupenantrieben
Einbau in Raupenfahrzeuge
Einbau in Wasserfahrzeuge
Einbau in autonome Fahrzeuge
Literatur
15 Das Radar
Geschichte
Echoortung
Ultraschallsensor
Funktionsmodelle
Fahrzeugradar
Radarfalle
Literatur
16 Der Hubschrauber
Dynamischer Auftrieb
Drehflügler
Entwicklung
Igor Sikorsky
Funktionsmodell
Der Heckrotor
Hauptrotor mit Taumelscheibe
Literatur
Zeitleiste
Bildnachweise
Die Geschichte der Entwicklung der Menschheit ist vor allem eine Geschichte der Entwicklung der Technik.
Denn dass ein biologisch wenig spezialisiertes und angepasstes Lebewesen wie der Mensch bis heute überlebt hat, verdankt er in erster Linie seiner (technischen) Erfindungsgabe. Technische Errungenschaften erlauben es dem Menschen, Arbeiten zu verrichten, die weit über seine physischen Kräfte hinausgehen, sich Energien dienstbar zu machen, Distanzen zu überwinden, sich von Temperatur und Wetter weitgehend unabhängig zu machen und über große Entfernungen mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.
In den vergangenen 2000 Jahren haben technische Entwicklungen das Leben der Menschheit grundlegender und umfassender verändert als Millionen von Jahren davor.
Dennoch ist die Geschichte der jüngsten 2000 Jahre, die heute in der Schule gelehrt wird, in erster Linie eine Geschichte von Macht und Krieg, von Herrschaft und sozialen Verhältnissen. Bis auf die Phase der industriellen Revolution, in der sich der Einfluss von Technik nicht ignorieren lässt, spielt die Geschichte der Technik darin keine Rolle.
Wer aber hat – auf lange Sicht – die Entwicklung der Welt wohl nachhaltiger beeinflusst: Ludwig XIV. oder Christiaan Huygens’ Pendeluhr? Napoleon Bonaparte oder die Erfindung der Dampflokomotive durch seinen Zeitgenossen Richard Trevithick? Karl Marx oder die von Samuel Morse entwickelte Telegrafie?
Dieses Buch erzählt daher eine andere Geschichte. Es ist die Geschichte einiger großer Erkenntnisse und Innovationen, die unser heutiges Leben geprägt haben. Es ist eine Geschichte, die nicht werten, aber würdigen will. Sie erzählt von Erfindern und Machern, die sich nicht mit dem theoretischen Verständnis von Zusammenhängen zufrieden gegeben haben, sondern so lange an ihrer praktischen Umsetzung und Nutzbarmachung getüftelt haben, bis sie eine funktionierende Lösung vor sich hatten.
Unsere Auswahl von 16 Meilensteinen ist subjektiv, und zweifellos lassen sich mit guten Argumenten weitere nennen, die in einer Geschichte der Technik eigentlich nicht fehlen dürfen. Unstrittig dürfte aber sein, dass den von uns ausgewählten Innovationen der Ehrentitel »Meilenstein« gebührt.
Wir erzählen unsere Geschichte mit der Unterstützung von prototypischen Modellen. Sie sollen zum Nach- und Weiterbauen anregen, denn erst durch die eigene Konstruktion wird die Genialität vieler Innovationen nachvollziehbar, manchmal geradezu haptisch erlebbar. Wir haben die Modelle mit einem Baukastensystem nachkonstruiert, das eine äußerst schnelle Entwicklung von Prototypen erlaubt und zugleich realen Verhältnissen sehr nahe kommt: mit fischertechnik.
In diesem Jahr feiert das fischertechnik-Baukastensystem, das nach unserer festen Überzeugung in keinem Kinderzimmer der Welt fehlen sollte, seinen 50sten Geburtstag. Wie kein zweites technisches Spielzeug vermittelt es technisches Grundverständnis und begeistert zugleich für technische Zusammenhänge.
Entwickelt wurde es von dem genialen Tüftler Artur Fischer, mit weit über 1000 Patenten ein zweiter Thomas Alva Edison.
Ihm widmen wir dieses Buch – zum Dank für die ungezählten wunderbaren, faszinierenden und erkenntnisreichen Stunden, die seine Erfindung uns und unseren Kindern beschert hat.
Dirk Fox und Thomas Püttmann
Im Anhang haben wir eine Zeitleiste mit den in diesem Buch genannten technischen Innovationen beigefügt – eingebettet in den historischen Kontext. Sie gibt einen Eindruck davon, mit welcher Macht und Geschwindigkeit technische Entwicklungen vor allem die jüngsten 200 Jahre unserer Zeitrechnung geprägt haben.
Ein Buch ist in der heutigen Zeit schon fast ein Anachronismus. Tatsächlich lassen sich viele Informationen (wie z. B. Onlinequellen, Bauanleitungen oder Programmdateien) viel leichter über ein Onlinemedium vermitteln. Daher gibt es eine Webseite zu diesem Buch mit weiterführenden Materialien: http://www.technikgeschichte-mit-fischertechnik.de
Die Modelle in diesem Buch können alle mit heute noch käuflich zu erwerbenden fischertechnik-Bauteilen nachgebaut werden. Wem einzelne Bauteilbezeichnungen, die wir verwenden, nicht geläufig sind, kann sie in der offiziellen Bauteilliste von fischertechnik nachschlagen, die wir auf der Webseite zum Buch verlinkt haben. Dort finden sich auch Bezugsquellen für fischertechnik-Baukästen und Einzelteile.
Zu allen Modellen, die sich nicht so leicht anhand der Fotos in diesem Buch nachbauen lassen, haben wir eine 3D-Bauanleitung mit Bauteilliste erstellt und zum Download auf der oben angegebenen Webseite bereitgestellt. Die 3D-Bauanleitungen wurden mit dem Programm fischertechnik designer von Michael Samek entworfen. Auf der Webseite http://3dprofi.de gibt es ein kostenloses Demo-Programm für Windows und einen Apple-Reader zum Download, mit dem die Anleitungen genutzt werden können.
Einige wenige Modelle verwenden einen fischertechnik-Controller (ROBO TX oder ROBOTICS TXT). Die Programme in der Programmiersprache ROBO Pro können ebenfalls von der Webseite zum Buch heruntergeladen werden.
Alle Literaturhinweise, die über eine Internetquelle erreichbar sind, finden sich ebenfalls auf der Webseite zum Buch und können dort direkt angeklickt werden.
Schon in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte war die Überwindung der Begrenztheit menschlicher Kraft eine der großen Herausforderungen. Vor über 2000 Jahren entdeckten die Menschen eine technische Lösung, um selbst tonnenschwere Gegenstände, wie z. B. große Steinblöcke, mit Menschenkraft anzuheben.
Abb. 1–1 Kuppel des Doms von Florenz, Zeichnung von Filippo Brunelleschi (um 1419)
In einer Zeit, in der als Kraftquelle nur die Muskelkraft von Mensch und Tier zur Verfügung stand, war die Entdeckung einer Mechanik, mit der es gelang, die Kraftwirkung zu vergrößern, von größter Bedeutung. Neben dem Hebelgesetz, das bereits in der Antike von dem griechischen Mathematiker und Physiker Archimedes von Syrakus (287–212 v. Chr.) aufgestellt wurde und die Grundlage der Mechanik bildet, revolutionierte die Erfindung des Flaschenzugs die Bautechnik. Mit Flaschenzügen gelangen in der Antike und Renaissance architektonische Leistungen wie das Colosseum in Rom oder die Kuppel des Florenzer Doms von Filippo Brunelleschi (1377–1446), bis heute beeindruckende Meisterwerke.
Die Funktion eines Flaschenzugs – dessen Bezeichnung übrigens nichts mit Gefäßen für Flüssigkeiten zu tun hat, sondern von den Rollenhalterungen stammt, die dieselbe Bezeichnung trugen – ist schnell erklärt. Die für eine bestimmte Hubarbeit – das Anheben eines bestimmten Gewichts um eine definierte Höhe – erforderliche Kraft lässt sich über die Länge des zu überwindenden Hubwegs steuern, da die Hubarbeit als Produkt aus Kraft und Weg berechnet wird: Mit einem längeren Hubweg benötigt man weniger Kraft für dieselbe Hubarbeit.
Ein Flaschenzug verlängert nun künstlich den Hubweg, genauer: die Länge des für die Leistung der Hubarbeit aufzuwickelnden Zugseils. Damit ist weniger Kraft für die Hubarbeit erforderlich. Der Preis, den man für diese »Kraftverstärkung« zahlt: Man muss länger ziehen oder kurbeln.
Abb. 1–2 Flaschenzug
Wenn wir heute von einem Flaschenzug sprechen, meinen wir in der Regel einen Faktorenflaschenzug, der die Seillänge durch »Schlingen« und Seilrollen künstlich verlängert.
Schon ein einfacher Flaschenzug mit einer Schlinge verdoppelt die Länge des Zugseils und halbiert damit die benötigte Kraft: Ein Mensch, der maximal 50 kg bewegen kann, kann mit einem solchen Flaschenzug bis zu 100 kg Last anheben.
Abb. 1–3 Römischer Trispastos nach Vitruv
In der Antike wurden Flaschenzüge von Griechen und Römern in einfachen Kränen eingesetzt. Der römische Ingenieur Marcus Vitruvius Pollo (ca. 80–15 v. Chr.) beschrieb den zu seiner Zeit verbreiteten Trispastos, einen einfachen Kran mit Drei-Rollen-Flaschenzug, der die Kraft des Bedieners mit einem zusätzlichen Hebel an der Winde insgesamt etwa verzwölffachte (Abb. 1–3).
Solche Flaschenzüge waren wahrscheinlich schon seit etwa 750 v. Chr. bekannt und kamen auf Baustellen und im Theater zum Einsatz. Dabei sorgte der Flaschenzug für eine Verdreifachung der Kraftwirkung; der Hebel an der Winde (Haspel) bewirkte eine zusätzliche Vervielfachung der Kraft des Bedieners.
Abb. 1–4 fischertechnik-Modell eines Trispastos
Die beeindruckende Wirkung eines solchen »Kraftverstärkers« lässt sich durch einen Nachbau des Trispastos in fischertechnik demonstrieren. Abb. 1–4 zeigt ein Modell, das einen Verstärkungsfaktor von etwa 18 besitzt. Problemlos kann man mit dieser einfachen Konstruktion eine mit Gewindestangen gefüllte Kiste (450 g) hochziehen.
Die Krafteinsparung (oder -verstärkung) lässt sich mit weiteren »Schlingen« vergrößern: Die für die Hubarbeit benötigte Kraft FZ sinkt bei n Seilwegen (= Seilrollen) auf ein n-tel der Gewichtskraft der Last FL:
Daher liegt es nahe, die von einem Kran oder einer Seilwinde leistbare Hubarbeit zu vergrößern, indem man den Flaschenzug um weitere Rollen ergänzt.
Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Ansätze: die Anordnung der Rollen nebeneinander (horizontal) und die Anordnung übereinander (vertikal). Mit letzterer lässt sich der Flaschenzug schlanker realisieren; dafür reduziert sich konstruktionsbedingt die maximale Hubhöhe, da ein Teil für die vertikale Anordnung der Rollen benötigt wird.
Abb. 1–5 Flaschenzug von Leonardo da Vinci
Eine kompakte Konstruktion eines sowohl horizontalen als auch vertikalen Flaschenzugs mit 12 Rollen, bei der die Rollen sowohl nebeneinander als auch übereinander angeordnet sind, ist vom Universalgenie der Renaissance, Leonardo Da Vinci (1452–1519), überliefert (Abb. 1–5).
Flaschenzüge aus fischertechnik finden sich schon in der Anleitung zum Grundkasten aus dem Jahr 1966 (S. 20, Abb. 1–6).
In hobby 1, Band 1 [4] wurde dem Flaschenzug 1972 ein eigenes Kapitel gewidmet. Wirken die frühen fischertechnik-Flaschenzüge noch etwas plump und eher wie grobe Funktionsmodelle, gelingt unter Verwendung von Statikkomponenten wie z. B. den S-Laschen (oder den heutigen Laschen 21,2) eine deutlich elegantere Konstruktion (linke Variante in Abb. 1–7) – zu finden z. B. in der Anleitung zum Aufbau-Statikkasten 50S/3 aus dem Jahr 1975. Auch die Kreuzknotenplatten aus den frühen Statikkästen von 1970 erlauben eine ansprechende Konstruktion wie die zweite Variante von rechts in Abb. 1–7, zu finden z. B. in hobby 2 Band 4 [5], (S. 18, 20, 49).
Abb. 1–6 fischertechnik-Flaschenzug von 1966 (aus: Bauanleitung Grundkasten)
Das Rollenlager, 1990 eingeführt mit dem Modellkasten Starlifters, eignet sich ebenfalls zur Konstruktion eines Flaschenzugs (rechte Variante in Abb. 1–7).
Auch mit den Kupplungsstücken aus dem Universal-Baukasten von 1997, verwendet in der zweiten Variante von links in Abb. 1–7, lässt sich ein Flaschenzug konstruieren, siehe die zugehörige Bauanleitung (Abb. 1–8).
Abb. 1–7 Konstruktionsvarianten einfacher fischertechnik-Flaschenzüge
Bei der Montage der Seilrollen muss man darauf achten, dass die Rollen nicht eingeklemmt werden, sondern möglichst widerstandsarm frei rotieren.
Abb. 1–8 Flaschenzug im Baukasten Universal
Bei allen gezeigten Varianten wird das Seilende jeweils mit einer der Klemmbuchsen an der oberen Achse befestigt, über die untere Rolle und von dort über die obere Umlenkrolle zu einer Seilwinde geführt.
Will man mehr als eine Verdoppelung der Kraftwirkung erreichen, benötigt man einen Flaschenzug mit weiteren Seilrollen. Auch mit fischertechnik lassen sich die zusätzlichen Rollen sowohl vertikal als auch horizontal anordnen. Abb. 1–9 zeigt vier Realisierungsalternativen für n-fache Flaschenzüge.
Die drei linken Varianten sind auf jeweils vier Rollen beschränkt; damit lässt sich die Kraftwirkung vervierfachen. In der Anleitung zum Teleskop-Mobilkran von 1983 (S. 45) findet sich eine kompakte vertikale Konstruktion.
Abb. 1–9 Realisierungsalternativen für n-fache Flaschenzüge
Ein Flaschenzug mit horizontal angeordneten Rollen wird im hobby 2, Band 4 [5], (S. 10) vorgestellt. Er verwendet I-Streben, um Haken und Rollenachse miteinander zu verbinden. Die rechte Variante in Abb. 1–9 erreicht eine Verachtfachung der Kraftwirkung; sie kann zudem leicht um weitere Führungsrollen erweitert werden.
Abb. 1–10 7-facher Flaschenzug
Eine ähnliche Konstruktion findet sich im Abenteuer-Bau-Buch [6], (S. 50 ff.) aus dem Jahr 1985 (Abb. 1–10).
Zu weit sollte man es aber nicht treiben, denn auch mit einem fischertechnik-Flaschenzug lassen sich nicht beliebig große Gewichte anheben – die Hubarbeit geht irgendwann nicht mehr spurlos am Material vorüber.
Spätestens wenn am Antrieb (Schnecke, Zahnrad) Abrieb entsteht, sollte man das Gewicht reduzieren.
Der Faktorenflaschenzug ist zwar der einfachste, aber keineswegs der einzige Flaschenzugtyp.
Eine andere Konstruktion liegt dem Potenzflaschenzug (Abb. 1–11) zugrunde. Man kann sich ihn als eine Art »Hintereinanderschaltung« mehrerereinfacher Faktorenflaschenzüge vorstellen. Dabei wird mit jeder zusätzlichen Rolle ein weiteres Zugseil eingeführt und damit die erforderliche Kraft halbiert.
Die für die Hubarbeit erforderliche Zugkraftliegt bei n »losen« Rollen also bei einem 2n-tel der Gewichtskraft der Last:
Die Wirkung ist größer als bei einem Faktorenflaschenzug, denn mit nur fünf losen Rollen erreicht man eine Verstärkung von 32. Dennoch findet man diesen Flaschenzugtyp eher selten.
Abb. 1–11 Potenzflaschenzug
Abb. 1–12 Differenzialflaschenzug
Ein dritter Flaschenzugtyp ist der Differenzialflaschenzug. Er besteht aus zwei auf einer Achse fest miteinander verbundenen Rollen mit unterschiedlichem Radius und einer dritten, losen Rolle.
Die Seilführung erfolgt wie bei einem Faktorenflaschenzug, allerdings werden die Seilenden miteinander zu einer großen »Schlaufe« verbunden (Abb. 1–12). Die Kraftverstärkung berechnet sich hier aus der Differenz der Radien der beiden Rollen.
Denn während über die kleinere Rolle mit Radius r je Umdrehung eine Seillänge von 2π·r abrollt, verkürzt sich die Seilschlinge zugleich um die an der großen Rolle mit Radius R aufgerollte Seillänge 2π·R. Die erforderliche Zugkraft berechnet sich daher aus der Last mit:
Ist der Radius R wie in Abb. 1–12 doppelt so groß wie r, genügt ein Viertel der Kraft für die nötige Hubarbeit. Da der Seilzug auf den Rollen nicht durchrutschen darf, werden meist statt eines Seils eine Kette und statt der Rollen Zahnräder verwendet.
Ein fischertechnik-Modell eines Differenzialflaschenzugs mit Kette findet sich in hobby 2, Band 4 [5] auf S. 19 (Nachbau in Abb. 1–13). Das Z20 hat einen Innenradius von R = 1,5 cm, beim Z10 ist r = 0,75 cm. Statt der Radien können wir auch mit der Anzahl der Zähne rechnen und kommen zu demselben Ergebnis: Die Kraftverstärkung liegt Kraftverstärkung liegt in unserem Modell bei vier. Wir sehen: Je enger die Radien der beiden Zahnräder zusammen liegen, desto größer ist die Kraftverstärkung des Differenzialflaschenzugs. Ersetzen wir das Z10 durch ein Z15, bewirkt der Flaschenzug eine Kraftverstärkung von acht.
Abb. 1–13 Differenzialflaschenzug
Nach demselben Prinzip arbeitet die Differenzialwinde. Sie kommt allerdings ohne Rollen (bzw. Zahnräder) aus. Stattdessen verwendet sie zwei Winden mit unterschiedlichem Durchmesser auf derselben Achse. Die beiden Enden des Zugseils werden auf den Winden in entgegengesetzter Richtung aufgewickelt. Damit wird beim Drehen der Achse das eine Ende des Zugseils auf einer der Winden ab- und das andere auf der anderen Winde aufgewickelt – wegen des unterschiedlichen Durchmessers mit unterschiedlichen Seillängen (Abb. 1–14).
Abb. 1–14 Prinzip der Differenzialwinde
Abb. 1–15 Differenzialwinde
Das Verhältnis der Zugkraft zur Gewichtskraft der Last berechnet sich nach derselben Formel wie beim Differenzialflaschenzug.
Ein Konstruktionsbeispiel für eine solche Differenzialwinde findet sich im hobby 2, Band 4 [5], (S. 18). Das eine Seilende wird dabei auf einer Seiltrommel (R = 3,75 mm), das andere direkt auf der Achse (r = 2 mm) aufgewickelt (Abb. 1–15).
Diese Differenzialwinde verstärkt also um den Faktor 4,3 – beim Faktorenflaschenzug benötigen wir dafür mindestens vier Rollen.
Abb. 1–16 Römischer Kran mit Wellrad
Waren größere Gewichte zu heben, wurde bereits in antiken Kranen neben der Haspel ein Wellrad (meist ein Speichenrad) mit großem Durchmesser montiert. Um das Wellrad wurde ein langes Zugseil gewickelt und mit einer Winde verbunden.
Diese Konstruktion bewirkte eine weitere Zugkraftverstärkung. Sie berechnet sich unmittelbar aus dem Verhältnis der beiden Radien von Haspel (r) und Wellrad (R):
Bereits bei Vitruv findet sich eine Beschreibung eines solchen römischen Baukrans (Abb. 1–16).
Ersetzt man in unserem Trispastos-Modell die Winde durch ein Speichenrad, so werden das Funktionsprinzip und die Wirkung dadurch veranschaulicht (Abb. 1–17).
Abb. 1–17 Trispastos mit Wellrad
Die Kraftverstärkung des Trispastos vergrößert sich durch das Wellrad (R = 4,5) um den Faktor 12 auf 216. Bei der Konstruktion muss man darauf achten, dass das Zugseil am Wellrad die 12fache Länge des Seils an der vorderen Seiltrommel haben muss.
In großen römischen (und später mittelalterlichen) Kranen wurde statt eines Speichenrads ein Tretrad verwendet, in dem Sklaven oder Arbeiter (Kranknechte) die Hubarbeit nicht mehr nur mit Armkraft, sondern durch Einsatz ihres Körpergewichts verrichteten, was eine weitere Leistungssteigerung bewirkte.
Abb. 1–18 Römischer Kran mit Tretrad nach Vitruv
Krane mit Tretrad wurden bereits im 1. Jahrhundert von Vitruv beschrieben (Abb. 1–18).
Die älteste bekannte Darstellung eines solchen Tretradkrans findet sich in einem Grabrelief des römischen Bauunternehmers Quintus Haterius Tychicus (Haterier-Grab) aus dem 2. Jahrhundert (Abb. 1–19).
Abb. 1–19 Tretradkran auf dem Grabrelief von Quintus Haterius Tychicus (Haterier-Grab)
Auf dem Relief ist nur ein Ausschnitt des Baukrans abgebildet; dennoch erkennt man deutlich, dass der Kran bereits mit mehreren Flaschenzügen und einem Tretradantrieb arbeitete.
Abb. 1–20 Alter Moselkran in Trier (von 1413)
Nach dem Ende des römischen Reichs ging das Wissen der Römer zunächst verloren. Tretradkrane tauchten erst im späten Mittelalter wieder auf und wurden auf Baustellen und in Häfen eingesetzt. Einer der ältesten Hafenkrane mit Tretrad stand in Brügge (gebaut 1287/88).
Die Tretradkrane des Mittelalters wurden überwiegend drehbar konstruiert, sodass der Kranausleger mit seiner Last geschwenkt werden konnte. Bei vielen Konstruktionen schwenkte das gesamte Tretrad mit, da es zugleich als Gegengewicht für die Kranlast diente. So auch in den Turmhebekränen, von denen es allein in deutschen Binnenhäfen über 60 gab. Europaweit sind nur noch 15 erhalten; einer der ältesten ist der Moselkran in Trier aus dem Jahr 1413, der für eine höhere Entladegeschwindigkeit mit zwei Treträdern ausgestattet und bis 1910 im Einsatz war (Abb. 1–20/1–21). Hier wurde der gesamte Turm mit Ausleger, Last und den beiden Treträdern geschwenkt.
Eine deutliche Verbesserung des Wirkungsgrads der Gewichtskraft brachte die 1615 von Fausto Veranzio (1551–1617) vorgeschlagene Verwendung von Sprossenrädern als »Außentretrad« (Abb. 1–22).
Von Baukranen mit Tretrad gibt es zahlreiche Nachbauten in Originalgröße, z. B. im Limesmuseum bei Aalen und in der Burg Fleckenstein (Elsass). Mit dem Tretradkran im Technoseum in Mannheim darf man sogar – unter Aufsicht – größere Steinblöcke anheben.
Abb. 1–21 Treträder des Alten Moselkrans
Ein Kranmodell mit Tretrad findet sich auch im hobby 2, Band 4 [5], (S. 10). Abb. 1–22 zeigt ein etwas größeres Modell: Das Tretrad (Sprossenrad) hat einen Radius von 11,5 cm, die Seilrolle ca. 0,375 cm – das ergibt einen Faktor 30 für den Hebel. Der Flaschenzug sorgt zusätzlich für einen Faktor drei.
Ein Mensch kann mit einem solchen Tretradkran theoretisch – wenn wir Reibungsverluste vernachlässigen – etwa das 90fache seines Körpergewichts anheben. Damit könnte ein 30 kg leichtes Kind einen etwa 2,5 Tonnen schweren Stein bewegen. Tatsächlich konnten Tretradkrane der Antike mit einem Fünf-Rollen-Flaschenzug mit zwei Personen Lasten von sechs Tonnen anheben.
Abb. 1–22 fischertechnik-Tretradkran mit dreifachem Flaschenzug
Flaschenzüge, Differenzialwinden und Wellräder sind einfache mechanische Maschinen, mit denen eine Zugkraft verstärkt oder auch abgeschwächt werden kann. Bei Winden mit Motorantrieb sind sie eine Alternative zu Über- oder Untersetzungen durch Getriebe.
Flaschenzüge haben zudem einen positiven Nebeneffekt: Sie stabilisieren das Zugseil, indem sie Verdrillungen erschweren. Ein Objekt lässt sich damit sehr gerade nach oben ziehen. Je mehr Seilstränge, desto widerstandsfähiger ist ein Flaschenzug gegen Torsion.
Schließlich wird das Zugseil entlastet, da auf jeden einzelnen Seilstrang nur ein Bruchteil der Gewichtskraft des zu hebenden Gegenstands wirkt. So kann man mit einem Flaschenzug auch sehr schwere Gegenstände mit einem relativ dünnen Seil anheben.
[1] Theodor Beck: Beiträge zur Geschichte des Maschinenbaus. Springer-Verlag, 1899.
[2] Brian Bolt: Was hat der Bagger mit Mathematik zu tun? Klett Verlag, 1995.
[3] Hans-Liudger Dienel, Wolfgang Meighörner: Der Tretradkran. Technikgeschichte und Rekonstruktion, Deutsches Museum, 1995.
[4] Artur Fischer: Der Flaschenzug. In: fischertechnik hobby, Experimente und Modelle, hobby 1, Band 1, Fischerwerke, 1972, S. 40–43.
[5] Artur Fischer: Krane. fischertechnik hobby, Experimente und Modelle, hobby 2, Band 4, Fischerwerke, 1975.
[6] Artur Fischer: Das Abenteuer-Bau-Buch. Fischerwerke, 1985.
[7] Heribert Keh: Der Flaschenzug. Unterrichtshilfe Technik (u-t). Fischerwerke, 1980.
Nachdem der Mensch einfache technische Hilfsmittel wie das Rad und den Hebel zu nutzen gelernt hatte, war ein nächster wesentlicher Schritt das gezielte Umformen und Anpassen von Bewegungen durch Getriebe. Das beinhaltete die Änderung von Bewegungsformen, die Nutzbarmachung von Wind-, Wasser- oder tierischer Kraft und die Auslösung oder Simulation von sich wiederholenden Vorgängen.
Abb. 2–1 Untersuchung des Schiffswracks vor der Insel Antikythera im Winter 1900/1901
Im Oktober 1900 stießen Schwammtaucher vor der griechischen Insel Antikythera auf ein Schiffswrack. Viele Artefakte (Statuen, Münzen) konnten in den folgenden Monaten aus dem Wrack geborgen werden, anhand derer der Zeitpunkt des Untergangs ins 1. Jahrhundert v. Chr. datiert wurde.
Eines der Fundstücke war ein unscheinbarer Klumpen aus stark korrodierten Bronzeteilen, der bei oder nach der Bergung in mehrere Bruchstücke zerfiel, die sich jetzt im Archäologischen Nationalmuseum in Athen befinden. Die drei größten Fragmente sind ausgestellt, weitere 79 archiviert.
Die große wissenschafts- und technologiegeschichtliche Bedeutung dieses Fundes wurde erst viel später bekannt. Es handelt sich um einen erstaunlich komplexen, feinmechanischen Mechanismus mit mehr als 30 Zahnrädern zur Simulation des Sonnen-, Mond- und möglicherweise auch des Planetenlaufs. Er besaß kalendarische Fähigkeiten und konnte Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagen.
Unser Wissen über antike mechanische Apparate und Maschinen stammt zum großen Teil aus wenigen schriftlichen Hauptquellen wie den Zehn Büchern über Architektur von Vitruv (1. Jahrhundert v. Chr.) oder den Werken des Heron von Alexandria (wahrscheinlich 1. Jahrhundert n. Chr.) und einzelnen Erwähnungen oder Beschreibungen nicht immer technisch versierter Autoren. Artefakte oder bildliche Darstellungen sind selten, und neue Funde bringen bisweilen größere Veränderungen unserer bruchstückhaften Vorstellung von antiker Technologie mit sich. So deutet in den Hauptquellen nichts darauf hin, dass ein Instrument wie der Mechanismus von Antikythera existiert haben könnte. An zwei Stellen seiner Werke erwähnt Cicero (106–43 v. Chr.) Planetarien, aber erst durch den Mechanismus von Antikythera wurde klar, wie solche Geräte konkret funktioniert haben und welche komplexen Getriebe sie enthalten konnten.
Abb. 2–2 Fragment A des Antikythera- Mechanismus. Das große Speichenrad hatte 224 Zähne.
Wo die Geschichte der Getriebe anfängt, liegt ebenso im Dunkel wie die Erfindung des Rads. Getriebe formen Bewegungen um, machen Wasser-, Wind- oder tierische Kraft nutzbar und erzeugen periodische Vorgänge – zum Beispiel zur Simulation von Himmelskörperbewegungen in Planetarien, zur Zeitmessung in Uhren oder zur Entfernungsmessung im Hodometer. Für jeweils einen dieser Zwecke geben wir in diesem Kapitel ein frühes Beispiel an. Weitere Beispiele finden sich in den folgenden Kapiteln.
Aus den Quellen geht eindeutig hervor, dass Getriebe immer wieder Gegenstand von Gedankenspielen waren. Wir gehen hier auf das repräsentative Beispiel der vielstufigen Übersetzungen ein, mit denen theoretisch unmessbar große Kräfte oder unmessbar langsame Bewegungen erzeugt werden können.
Im größeren Umfang wurden Zahnräder schon vor mindestens 2000 Jahren in Ägypten zur Bewässerung landwirtschaftlicher Nutzflächen eingesetzt, und diese Art des Schöpfens hat sich an einzelnen Stellen bis heute in nahezu unveränderter Form erhalten.
Abb. 2–3 Sakije in Luxor (Ägypten)
Kamele oder Ochsen treiben ein horizontales Rad an, in dessen Rand radial Holzpflöcke eingesteckt sind, die als Zähne dienen. Durch diese Zähne wird die Drehbewegung auf ein in gleicher Weise gebautes vertikales Rad übertragen. Die Welle dieses Rads läuft unter einer Brücke und endet in einem zweiten vertikalen Rad. Auf dem Rand dieses Rads sind horizontale Stangen angebracht, die eine mehrere Meter lange Strickleiter in einer Endlosschleife drehen. An dieser Strickleiter sind Gefäße befestigt, die das Wasser aus der Tiefe schöpfen und am höchsten Punkt in ein kleines Becken entleeren, von wo aus es durch Kanäle auf die Felder verteilt wird.
In unserem fischertechnik-Modell einer solchen Sakije (Abb. 2–4) folgen wir der antiken Strategie und stecken Elemente des fischertechnik-Systems (S-Riegel, Klemmstifte) so in andere Elemente (Flachträger, Innenzahnrad), dass ein Getriebe entsteht, das erstaunlich gut funktioniert. Als Gefäße dienen Riegelsteine, die mit Federnocken an zwei parallelen endlosen Seilen befestigt sind. Die Klemmhülsen an den Enden der Riegelsteine garantieren ein Auskippen des Wassers am höchsten Punkt. Auf ein Auffangbecken wurde wegen der Übersichtlichkeit auf dem Foto verzichtet.
Abb. 2–4 Modell einer Sakije – wegen fehlender Tiere im System muss selbst gearbeitet werden.
Unser fischertechnik-Getriebe kann auch in umgekehrter Richtung genutzt werden. Wenn man die Eimerkette zum Beispiel durch ein Wasserrad ersetzt und mit der vertikalen Welle einen Mühlstein antreibt, erhält man ein Modell für eine Getreidemühle, wie sie schon Vitruv beschrieben hat. Es gab dabei zwei Typen: einen mit konischen Mühlsteinen, bei dem die Drehbewegung des Wasserrads wie in unserem Modell und in Abb. 2–5 ins Langsame übersetzt wurde, und einen, bei dem ebene Mühlsteine verwendet wurden und die Bewegung ins Schnelle übersetzt wurde.
Es wird vermutet, dass die Nutzung des Sakijengetriebes in umgekehrter Richtung tatsächlich der historische Entwicklungsweg zur Mühle war.
Den Antrieb eines horizontalen Rads durch Tiere nennt man auch Göpel. Göpel wurden ab dem ausgehenden Mittelalter in Mitteleuropa im Bergbau zur Entwässerung und Förderung eingesetzt.
Abb. 2–5 Getreidemühle bei Vitruv
Mühlen wurden nicht nur zum Mahlen von Getreide eingesetzt, sondern auch zum Sägen. Dazu benötigt man ein Schubkurbelgetriebe, bei dem die Drehbewegung des Mühlrads durch eine exzentrisch gelagerte Pleuelstange in eine geradlinige Vor- und Rückwärtsbewegung umgesetzt wird.
Bis vor wenigen Jahrzehnten wurde angenommen, dass Schubkurbelgetriebe erst im Mittelalter erfunden wurden. Nur ein Gedicht von Ausonius (ca. 310–394 n. Chr) deutete darauf hin, dass an der Ruwer schon im 4. Jahrhundert n. Chr. Steine mit Wasserkraft gesägt wurden. Funde in Gerasa und Ephesus zeigten dann, dass Sägemühlen im 6. Jahrhundert n. Chr. existierten. Spektakulär ist schließlich das Relief auf einem Sarkophag-Deckel aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. im Gräberfeld von Hierapolis in der heutigen Türkei. Im Jahr 2005 erkannte Klaus Grewe, dass es sich um die Darstellung einer wassergetriebenen Doppelsteinsäge mit Schubkurbelantrieb handelt.
Abb. 2–6 Reliefdarstellung einer Steinsägemühle aus dem 3. Jhd. n. Chr. (Foto: Klaus Grewe)
Auf dem Relief in Abb. 2–6 ist rechts ein Wasserrad mit Zuleitung zu sehen. Eine Welle verbindet dieses Wasserrad mit einem Zahnrad links, das wiederum ein darunter befindliches Rad antreibt. Von diesem unteren Rad gehen zwei Pleuelstangen zu den beiden Bügelsägen.
Unser primitives fischertechnik-Modell in Abb. 2–7 gibt diese Struktur grob wieder. Die Führung der Sägen ist wie auf dem Relief nicht ausgeführt.
Abb. 2–7 Grobes Funktionsmodell der Hierapolis-Sägemühle. Die beiden Sägen wurden aus Platzgründen in die gleiche Richtung gelegt.
Abb. 2–8 Wellrad
Das Problem, mit einer kleinen Kraft eine große Last bewegen zu können, war eines der wesentlichen Modellprobleme in der Antike. Verschiedene Lösungen zum Heben großer Lasten wurden schon im vorigen Kapitel dargestellt. Ein anderer Lösungsweg ist der Einsatz von Getrieben. Die Kraftverstärkung von Getrieben beruht dabei auf dem ebenfalls schon im vorigen Kapitel angesprochenen Prinzip des Wellrads (Abb. 2–8).
Auf einer Welle sind zwei Räder unterschiedlicher Radien R und r befestigt. Greift am Umfang des größeren Rads tangential eine Kraft FR und am kleineren tangential eine Kraft Fr im entgegengesetzten Drehsinn an, so bewegt sich das Rad nicht, wenn Fr·r = FR·R ist. Der Zusammenhang mit dem Hebelgesetz ist sofort ersichtlich, und mit genau dieser Analogie argumentiert Heron in seinem Werk Mechanica.
Abb. 2–9 Das Hebelgesetz an der Waage: 5 Gewichtseinheiten · 3 Längeneinheiten = 3 Gewichtseinheiten · 5 Längeneinheiten.
Will man nun eine sehr große Kraftverstärkung erzielen, so kann man statt des kleineren Rads die Welle selbst nehmen (daher stammt der Name Wellrad = Welle mit Rad). Aus praktischen Gründen sind aber dem Radius des großen Rads Grenzen gesetzt. Daher schaltet man mehrere zur Vermeidung von Durchrutschen verzahnte Wellräder hintereinander. Die Kraftverstärkung der einzelnen Wellräder multipliziert sich dabei. Genau das hat Heron in seinem Barulkos gemacht, um eine 200fache Kraftverstärkung zu erzielen.
Abb. 2–10 Herons Barulkos – in der dargestellten Version verstärkt das rechte Wellrad die Kraft vierfach, die anderen beiden jeweils siebenfach. Insgesamt ergibt sich damit eine 7·7·4 = 196fache Kraftverstärkung
Abb. 2–11 13-stufiges Getriebe von Leonardo da Vinci, Codex Madrid I.1, f 36v
Das gleiche Modellproblem wurde viel später von Leonardo da Vinci (1452–1519) aufgegriffen und in vollkommen unpraktische Ausmaße gesteigert. Der Codex Madrid, der heute in Madrid sich befindende Teil seines Notizbuchs, enthält die in Abb. 2–11 wiedergegebene Skizze – wohl als Studie von Kräften und Weglängen in mehrstufigen Getrieben.
Wenn man das Getriebe von rechts nach links durchläuft, so findet an jeder der zwölf rechten vertikalen Wellen eine zehnfache Kraftverstärkung statt. An der 13. vertikalen Welle ganz links wird die Kraft nicht verstärkt, sondern die Drehbewegung nur weitergegeben. Die Effekte der Horizontal-/Vertikalumsetzungen an den beiden Enden heben sich gegenseitig auf. Die gesamte Kraftverstärkung beträgt somit theoretisch 1012 – das ist also eine 1 mit zwölf folgenden Nullen – und die Anordnung ist im Gleichgewicht, wenn die Masse des linken Gewichts 1012-mal so viel beträgt wie die des rechten.
Kämmen sich ein Zahnrad mit 10 und eins mit 30 Zähnen, so sagt man, dass eine Übersetzung von 3:1 vorliegt, weil das Zahnrad mit 10 Zähnen drei volle Umdrehungen macht, während das Zahnrad mit 30 Zähnen eine volle Umdrehung (in entgegengesetzter Richtung) macht.
Abb. 2–12 Übersetzung von 3:1
Wir kehren zu Leonardos Getriebe in Abb. 2–11 zurück und gehen auf die Auslenkungen der beiden Gewichte ein. Wie schon oben erwähnt, heben sich die Effekte der Horizontal-/Vertikalumsetzungen auf beiden Seiten auf. Macht die rechte vertikale Welle 1012 Umdrehungen, so macht die links benachbarte 1012/10 = 1011 Umdrehungen und so weiter bis zur ganz linken vertikalen Welle, die genau eine Umdrehung macht. Zieht man also das rechte Gewicht um eine Strecke s nach unten, so wird sich das linke nur um s/1012 nach oben bewegen.
Abb. 2–13 Ewigkeitsmaschine
Diese Idee steigerte der US-amerikanische Maschinenkünstler Arthur Ganson (*1955) in seiner Machine with Concrete noch weiter, indem er zwölf hintereinander geschaltete Übersetzungen von 50:1 durch einen Motor mit 200 Umdrehungen pro Minute antrieb und das letzte Zahnrad einbetonierte. Da es sich erst in 46,45 Milliarden Jahren um einen Zahn weitergedreht haben wird, stellt das sicher kein Problem dar.
Abb. 2–14 Rückansicht der Ewigkeitsmaschine
Die Abbildungen 2–13 und 2–14 zeigen eine fischertechnik-Adaption mit zehn Übersetzungsstufen von 40:1. Damit macht das letzte Zahnrad eine Umdrehung, wenn die Welle des Antriebsmotors 4010 ≈ 1,05·1016 Umdrehungen macht. Bei 8000 Umdrehungen pro Minute braucht der Motor dafür 2,5 Millionen Jahre.
Wir schließen diesen Abschnitt mit einer kurzen Bemerkung zum Begriff des Drehmoments ab. Im vorigen Abschnitt haben wir die Kraftverstärkung durch mehrstufige Getriebe behandelt und dabei das Getriebe in Wellräder gruppiert. Die Kräfte wirken entlang des Umfangs der Räder auf den Wellen und sind vom Radius abhängig. Das Produkt aus Kraft entlang des Umfangs und Radius ist nach dem Hebelgesetz für alle Räder auf einer Welle konstant. Im 17. Jahrhundert etabliert sich dieses Produkt als eigenständige physikalische Größe. Sie heißt Drehmoment. Kämmen sich zwei Zahnräder, so überträgt sich die Kraft von einem Umfang zum anderen unverändert, das Drehmoment wird aber bei einer Übersetzung von beispielsweise 3:1 dreimal so groß. Dieser Umstand kann am Anfang verwirren.
Die gezielte Verlangsamung einer Drehbewegung ist auch Gegenstand unseres nächsten Modells, des Hodometers. Das Hodometer ist der antike Kilometerzähler. Beschreibungen finden sich bei Vitruv und Heron, erwähnt wird es auch in der offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung ab der Jin-Dynastie (um 300 n. Chr).
Abb. 2–15 Hodometer
Es wird angenommen, dass sich das chinesische Hodometer aus einem Trommelwagen entwickelt hat. In regelmäßigen Abständen wurde eine Trommel durch eine oder mehrere Figuren automatisch geschlagen. Im Vitruv’schen Hodometer fielen statt dessen Kugeln in einen Behälter. In beiden Fällen ging es um die Auslösung einer Aktion nach einer festen zurückgelegten Wegstrecke wie einem Li oder einer Meile.
In unserem fischertechnik-Modell fallen die Achsen 30 mit einem deutlich hörbaren Klacken ziemlich genau alle 50 cm in den Behälter, sodass man sehr gut sein Zimmer mit dem Hodometer vermessen kann. In Kurven sollte man darauf achten, dass die Bewegung des linken Rads gemessen wird.
Abb. 2–16 Unterseite des Hodometers
Abb. 2–17 Oberteil abgenommen
Zur Verlangsamung der Drehbewegung wird eine Schnecke eingesetzt, die ein Rastritzel Z10 antreibt. Mit jeder Umdrehung des linken Laufrads wird das Rastritzel so um einen Zahn weitergedreht. Es liegt also eine Übersetzung von 10:1 vor. Heron kannte Schnecken und verwendete sie in Getrieben, Pressen und Automaten.
Der obere Drehkranz unseres Modells besteht aus zwei Innenzahnrädern und einer I-Strebe 60, die alle drei durch zwei rote Klemmstifte fest miteinander verbunden sind.
Dieses Modell bereitet selbst kleineren Kindern viel Spielspaß.
Abb. 2–18 Schematischer Aufbau des Antikythera-Mechanismus in der Draufsicht. Der obere Getriebeteil ist nicht gesichert.
Wir kehren noch einmal zum Ausgangspunkt dieses Kapitels zurück und erklären zwei charakteristische Bestandteile des Antikythera-Mechanismus etwas ausführlicher.
Auf der Vorderseite des Apparats wurden zu einem vorgegebenen Datum die Positionen von Sonne und Mond im Tierkreis und vermutlich auch die Mondphasen dargestellt. Auf der Rückseite befanden sich zwei Anzeigen, die der Vorhersage von Sonnen- und Mondfinsternissen dienten, auf die wir aber nicht näher eingehen werden.
Abb. 2–19 An das fischertechnik-System angepasste Sonnen- und Mondzeiger mit Anzeige der Mondphasen
In Abb. 2–19Abb. 2–19Optics