Anne Frank
Gesamtausgabe
Tagebücher – Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus – Erzählungen – Briefe – Fotos und Dokumente
Herausgegeben vom Anne Frank Fonds, Basel
Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
FISCHER E-Books
Mit Beiträgen von Gerhard Hirschfeld, Mirjam Pressler und Francine Prose
Anne Frank, am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren, flüchtete 1933 mit ihren Eltern vor den Nazis nach Amsterdam. Nachdem die Nazi-Armee 1940 die Niederlande überfiel und besetzte, 1942 außerdem Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung in Kraft traten, versteckte sich ihre Familie Fr in einem Hinterhaus an der Prinsengracht. Sie wurden im August 1944 von Nazi-Schergen nach Auschwitz verschleppt. Anne Frank starb im März 1945 in Bergen-Belsen an den Folgen ihrer Haft, der genaue Todestag ist nicht bekannt.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Ein Ereignis: Zum ersten Mal erscheinen sämtliche Texte von Anne Frank in einem Band, darunter auch bislang Unveröffentlichtes: die verschiedenen Fassungen des Tagebuchs, ihre Erzählungen und Essays sowie ihre Briefe und Aufzeichnungen. Ergänzt wird diese sorgfältig edierte, teilweise neu übersetzte Gesamtausgabe durch zahlreiche Fotos, Faksimiles und Dokumente sowie durch kenntnisreiche Einführungen in die Lebens- und Familiengeschichte Anne Franks (Mirjam Pressler), in den historischen Kontext (Gerhard Hirschfeld) sowie in die Wirkungsgeschichte des Tagebuchs (Francine Prose). Eine Zeittafel, ein Familienstammbaum und eine Auswahlbibliographie runden diese Edition ab und tragen dazu bei, dass sie auf Jahrzehnte die verbindliche Gesamtausgabe der Werke Anne Franks bleiben wird.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2013 by Anne Frank Fonds, Basel/Schweiz
für alle Texte Anne Franks und ihre Zusammenstellung
sowie für sämtliche weiteren Texte in dieser Ausgabe und,
falls im Bildnachweis nicht anders vermerkt, für alle Fotos und Faksimiles.
Übersetzungsrechte dieser Edition liegen beim Anne Frank Fonds, Basel,
vertreten durch die Literary Agency Liepman AG, Zürich.
Für die deutschsprachige Übersetzung:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
Redaktionelle Mitarbeit: Dr. Rebekka Göpfert, Berlin
Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hißmann, Hamburg
Coverabbildung: Anne Frank im Mai 1942 © Anne Frank Fonds, Basel
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402068-6
Rin-tin-tin hieß der Hund in einem bekannten Kinderfilm; A. d. Ü.
Zehn ist die beste Note, fünf bedeutet knapp ungenügend; A. d. Ü.
Van Daan ist ein guter Bekannter des Vaters und Teilhaber der Firma.
Gemeint ist die erste Klasse einer weiterführenden Schule nach sechs Klassen Grundschule; A. d. Ü.
Gemeint sind ihre Cousins Stephan und Bernhard (Buddy); A. d. Ü.
Margot zog nach Dussels Ankunft ins Zimmer der Eltern; A. d. Ü.
S’il vous plait; A. d. Ü.
Mof, pl. Moffen: Name für Deutsche; A. d. Ü.
HAFEN VON AMSTERDAM; A. D. Ü.
Die Großmutter war schwer krank; A. d. Ü.
Omi ist die Großmutter mütterlicherseits, Oma die Mutter des Vaters; A. d. Ü.
Deutsch im Original; A. d. Ü.
Mitglieder der niederländischen Exilregierung in London; A. d. Ü.
Nationalsozialistische Bewegung der Niederlande; A. d. Ü.
Cousin Bernhard (genannt Buddy) Elias; A. d. Ü.
Bemerkung von Anne Frank am Rand: »Im Dezember schrieb ich: Dezifiziermittel!«; A. d. Ü.
Bemerkung von Anne Frank am Rand: »Der letzte Satz hat sich nicht bewahrheitet.«; A. d. Ü.
Erste Note (5) für die Leistung, zweite Note (6) für die Schrift; A. d. Ü.
Scherzhafte Abwandlung des niederländischen Wortes »natuurhistorie«, Naturkunde; A. d. Ü.
Imitation des Den Haager Dialekts; A. d. Ü.
Wörtlich: Schnatterschnabel; A. d. Ü.
Vgl. den Tagebucheintrag vom 11. November 1943; A. d. Hg.
Hier fehlt ein Wort im niederländischen Originalmanuskript; A. d. Ü.
Titel der Zeitschrift: Cinema & Theater; A. d. Ü.
An der Stelle dieses Satzes stand zunächt folgender Text, mit dem Anne Frank aber offenbar nicht zufrieden war; also hat sie ihn neu geschrieben: »Was sollten die beiden nun zusammen in einem Häuschen anfangen? Hinaus durften sie nicht, streiten durften sie auch nicht, und den ganzen Tag mussten sie viel arbeiten, das waren die drei Dinge, die ihnen der Zwerg aufgetragen hatte. Also arbeitete Dora und machte danach Spaß, und so ging Peldron auch an die Arbeit und war danach traurig. Jeden Abend um sieben Uhr kam der alte Zwerg, um ihre Arbeit zu besehen, und überließ sie anschließend wieder ihrem Schicksal.
Ja, was mussten sie tun, um wieder freigelassen zu werden? Es gab nur ein Mittel, und das war: alles zu tun, was der Zwerg sagte, und das war schon allerhand.« A. d. Hg.
Am 9. Mai 1944 schrieb Anne Frank in ihr Tagebuch: »Die Geschichte ›Ellen, die Fee‹ ist$Z$fertig. Ich habe sie auf schönem Briefpapier abgeschrieben, mit roter Tinte verziert und$Z$die Blätter aneinandergenäht. Das Ganze sieht jetzt hübsch aus, aber ich weiß nicht, ob es nicht etwas wenig ist.« Die Abschrift war als Geburtstagsgeschenk für ihren Vater am 12. Mai gedacht; A. d. Ü.
Hier wurde, wahrscheinlich von Anne Frank, eine ganze Seite Text weggestrichen: »Schließlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und sagte ihm auf den Kopf zu, dass ich mich amüsieren wollte. Über die Wirkung meiner Worte erschrak ich wirklich sehr. Es war nämlich gerade an einem Bahnhof, als ich ihm eingestand, ich wollte amüsiert werden. Sofort nach meinem letzten Wort nahm er seinen Hut, grüßte höflich und sagte mit einem Kopfnicken in die Richtung der alten Frau, ›dann sollten Sie sich an diese Adresse wenden!‹
Ich verstand das nicht, und die alte Frau, die ihn vermutlich nicht einmal verstanden hatte, ebenfalls nicht.
Plötzlich rückte jedoch der vornehme Zeitungsleser mit folgenden Worten heraus: ›Ich werde dir erklären, was der Herr gemeint hat, ich fahre jeden Tag mit ihm zusammen, und da er immer für interessant gilt‹«; A. d. Ü.
Eine ausführlichere Erklärung zum Entstehen von »Cadys Leben« findet sich in Gerrold van der Strooms Einführung zur 2003 erschienenen Taschenbuchausgabe der »Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus« (Frankfurt am Main); A. d. Hg.
Durchgestrichen: »dass ihr Gang dem einer alten Gans glich«; A. d. Ü.
Hier handelt es sich wahrscheinlich um einen Hörfehler. Gemeint war vermutlich das A. N. P. (Algemeen Nederlands Persbureau), das Allgemeine Niederländische Pressebüro, oder D. N. B., das Deutsche Nachrichtenbüro; A. d. Ü.
Gemeint ist Bernd; A. d. Ü.
Gemeint ist Skimännchen; A. d. Ü.
Gemeint ist Küsschen; A. d. Ü.
Naschen; A. d. Ü.
Gemeint ist Eisbahn; A. d. Ü.
Bernd »Buddy« Elias, den jüngeren Bruder von Stephan Elias; A. d. Ü.
Hier folgen Name und Adresse von Anne Franks Freundin Susanne Ledermann; A. d. Ü.
Entspricht den deutschen Schulnoten 1 und 2; A. d. Ü.
Hogere Burgerschool – weiterführende Schule; A. d. Ü.
Gemeint ist eine Zahnspange; A. d. Ü.
Vgl. Agnes Sneller im »Nieuw Letterkundige Magazijn«, Jahrgang 26, Leiden 2008. Rea taucht auch noch auf in Version a des Tagebuchs am 28. Februar 1944 und am 24. März 1944; A. d. Hg.
Das Buch Hiob, 22:21; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Multatuli, Fürstenschule, J. C. C. Bruns, Minden 1903 (aus dem Holländischen von Wilhelm Spohr); A. d. Hg.
Die folgenden Verse wurden von Anne Frank auf Deutsch abgeschrieben; A. d. Hg.
Johann Wolfgang Goethe; A. d. Hg.
Johann Gaudenz von Salis-Seewis; A. d. Hg.
Die folgenden Verse stammen aus August Wilhelm Schlegels Übersetzung des Dramas »Julius Cäsar« und wurden von Anne Frank auf Deutsch abgeschrieben; A. d. Hg.
Auf Deutsch erschienen unter dem Titel: André Maurois, Byron. Don Juan oder Das Leben Byrons. München 1930. Das folgende Zitat wurde von Anne Frank auf Deutsch abgeschrieben; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Thomas Morus, Utopia, hrsg. von Jürgen Teller, Leipzig 1974 (aus dem Lateinischen übersetzt von Curt Woyte); A. d. Hg.
Pseudonym von Wilhelmina Angela Douwes-Schmidt; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Zsolt von Harsányi, Das herrliche Leben. Der Lebensroman des P. R. Rubens. Deutsche Buch-Gemeinschaft 1961 (aus dem Ungarischen übersetzt von Gitta Heinig und Horst Wolf); A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Sigrid Undset, Kristin Lavranstochter, Frankfurt/M. 1925ff. (aus dem Norwegischen übersetzt von J. Sandmeier und S. Angermann); A. d. Hg.
Das gesamte Zitat ist auf Deutsch; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Harsányi, Das herrliche Leben (siehe oben); A. d. Hg.
Australischer Originaltitel: Salute to Freedom. Anne Frank erwähnt den ersten Teil der Trilogie am 12. Januar 1944 in ihrem Tagebuch; A. d. Hg.
Diese Zeile gehört nicht zum Zitat, sondern stammt von Anne Frank; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: John Galsworthy, Die Forsyte Saga, Reinbek 1954 (aus dem Englischen übersetzt von Luise Wolf); A. d. Hg.
In Version a des Tagebuchs findet sich am 15. März 1944 folgender Eintrag: »Die ersten fünf Bände der Forsytes habe ich fertig. Jon erinnert mich in vielen Dingen an Peter, Fleur ist in manchen Dingen besser und schlechter als ich, aber ähnelt auch ein bißchen.«; A. d. Hg.
Diese und die nächsten Seiten des 12. Februar 1944 sind im Original deutsch; A. d. Hg.
Anne Frank erwähnt das Gedicht im Tagebucheintrag vom 24. Dezember 1943; A. d. Hg.
Der ganze Absatz findet sich auch im Tagebucheintrag vom 2. März 1944; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Zsolt Harsányi, Und sie bewegt sich doch. Der Galilei-Lebensroman. Oswald Möbius Verlag, Wien 1987 (aus dem Ungarischen übersetzt von J. P. Toth und A. Luther). Anne Frank erwähnt das Buch im Tagebucheintrag vom 11. Mai 1944; A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Harsányi, Und sie bewegt sich doch (siehe oben); A. d. Hg.
Deutsche Übersetzung zitiert nach: Harsányi, Und sie bewegt sich doch (siehe oben); A. d. Hg.
Auf Deutsch erschienen als: Zsolt von Harsányi, Ungarische Rhapsodie (biographischer Roman über Franz Liszt), Leipzig 1935. Anne Frank erwähnt das Buch im Tagebucheintrag vom 9. Juni 1944; A. d. Hg.
Auf Deutsch erschienen als: Oscar Wilde, Ein idealer Gatte, Leipzig 1914. Anne Frank erwähnt das Buch im Tagebucheintrag vom 30. Juni 1944; A. d. Hg.
Am 12. Mai war Otto Franks Geburtstag; A. d. Hg.
Anne Frank erläutert diesen Satz ausführlich im Tagebucheintrag vom 15. Juli 1944; A. d. Hg.
Gemeint ist hier vermutlich Ägypten; A. d. Hg..
Hier fehlt offensichtlich ein Wort.
Vgl. hierzu Willy Lindwer, Anne Frank. Die letzten sieben Monate. Augenzeugen berichten. Frankfurt am Main, 1993
Amsterdam Zentrum; A. d. Ü.
Amsterdam Zentrum; A. d. Ü.
Vgl. hierzu ausführlich Melissa Müller, Das Mädchen Anne Frank. Die Biographie.
Frankfurt am Main 2013; A. d. Hg.
Vorwort des Anne Frank Fonds, Basel
Das Werk von Anne Frank ist klein – und groß zugleich. Als die Familie Frank 1944 von den Nationalsozialisten aus dem Amsterdamer Versteck deportiert wurde, war Anne 15 Jahre alt. Die Familien im Hinterhaus wurden verraten. Anne und ihre Schwester starben nach der Deportation nach Auschwitz in Bergen-Belsen.
Vor diesem Hintergrund ist Anne Franks erhaltenes Werk immens. Erstmals werden in dieser Gesamtausgabe sämtliche bekannten Texte von Anne Frank publiziert. Tagebücher, Geschichten, Essays, Aufsätze und Briefe. Sie zeugen nicht nur von der außerordentlichen Begabung des in Frankfurt am Main geborenen Mädchens, sondern zeigen auch eine in der Familie gepflegte Schreibtradition und -kultur, die nicht nur Jugendlichen heute fast schon weltfremd erscheinen mag.
Mit der vorliegenden Gesamtausgabe macht der Anne Frank Fonds Basel alle Texte von Anne Frank in einem Band zugänglich und tut dies in einer populären Gesamtausgabe mit Kontext, Erklärungen sowie weiterführendem Material. Die Gesamtausgabe eignet sich als Primär- und Sekundärliteratur für Schülerinnen und Schüler sowie für den Unterricht. Mit Mirjam Pressler und Francine Prose versammelt das Buch renommierte Expertinnen für Anne Franks Texte und mit Gerhard Hirschfeld einen exzellenten und einschlägig ausgewiesenen Historiker.
Der Anne Frank Fonds Basel wurde 1963 von Anne Franks Vater Otto, dem einzigen Überlebenden der Familie, gegründet und als Universalerbe eingesetzt. Nach der ersten Publikation im Jahre 1947 und den weltweiten Reaktionen durfte Otto Frank hoffen, dass das Tagebuch nicht nur ein einzigartiges Zeugnis der Zeitgeschichte, sondern auch ein nachhaltiger Welterfolg werden könnte. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Bücher, von Theater- und Filmrechten unterstützt der Anne Frank Fonds karitative und edukative Zwecke auf aller Welt im Sinne von Anne und Otto Frank.
Hauptanliegen des Anne Frank Fonds ist es, Anne Franks zeitlose Botschaft von Frieden, Gerechtigkeit und Humanismus in jeder Generation neu in die Welt hinauszutragen mit den authentischen Texten. Zugleich ist es seit jeher ein Anliegen des Anne Frank Fonds Basel, die Geschichte der jüdischen Familie Frank im historischen und kulturellen Kontext ganzheitlich darzustellen. Mit der vorliegenden Publikation aller Texte von Anne Frank schließt sich eine Lücke und gleichsam ein Kreis in ihrem Schaffen.
Basel, Oktober 2013
Weitere Informationen finden sich unter www.annefrank.ch
Tagebucheintrag vom 22. Oktober 1942
Edition Mirjam Pressler (Version d) unter Berücksichtigung der Fassung von Otto H. Frank (Version c)
Anne Frank führte vom 12. Juni 1942 bis 1. August 1944 Tagebuch. Bis zum Frühjahr 1944 schrieb sie ihre Briefe an »Kitty« nur für sich selbst. Dann hörte sie im Radio aus London den niederländischen Erziehungsminister im Exil, der davon sprach, dass man nach dem Krieg alles über die Leiden des niederländischen Volkes während der deutschen Besatzung sammeln und veröffentlichen müsse. Als Beispiel führte er unter anderem Tagebücher an. Unter dem Eindruck dieser Rede beschloss Anne Frank, nach Kriegsende ein Buch zu veröffentlichen. Ihr Tagebuch sollte dafür als Grundlage dienen.
Sie begann, ihr Tagebuch ab- und umzuschreiben, korrigierte, ließ Passagen weg, die sie für uninteressant hielt, und fügte anderes aus ihrer Erinnerung hinzu. Gleichzeitig führte sie ihr ursprüngliches Tagebuch weiter, das Version a genannt wird, im Unterschied zu Version b, dem umgearbeiteten zweiten Tagebuch. Version a und Version b sind erstmals in einer durchgängig lesbaren Fassung im Anhang dieses Buches abgedruckt, um die Genese der heute weltweit verbindlichen Fassung d zu verdeutlichen.
Anne Franks letzter Eintrag datiert vom 1. August 1944. Am 4. August wurden die acht untergetauchten Juden, also die Bewohner des Hinterhauses in der Amsterdamer Prinsengracht 263, von der »Grünen Polizei« abgeholt. Miep Gies und Bep Voskuijl stellten noch am Tag der Verhaftung die Aufzeichnungen Anne Franks sicher. Miep Gies bewahrte sie in ihrem Schreibtisch auf und übergab sie nach dem Krieg ungelesen Otto H. Frank, Annes Vater, als endgültig feststand, dass Anne nicht mehr lebte.
Otto Frank entschloss sich nach reiflicher Überlegung, den Wunsch seiner toten Tochter zu erfüllen und ihre Aufzeichnungen als Buch zu veröffentlichen. Dazu stellte er aus beiden Fassungen von Anne, der ursprünglichen (Version a) und der von ihr selbst umgearbeiteten (Version b), eine gekürzte dritte (Version c) zusammen. Der Text sollte in einer Buchreihe erscheinen, deren Umfang vom niederländischen Verlag vorgegeben war.
Als das Buch 1947 in den Niederlanden publiziert wurde, war es noch nicht üblich, ungezwungen über sexuelle Themen zu schreiben, besonders nicht in Jugendbüchern. Ein anderer wichtiger Grund, ganze Passagen oder bestimmte Formulierungen nicht aufzunehmen, war, dass Otto Frank das Andenken an seine Frau und die anderen Schicksalsgenossen des Hinterhauses schützen wollte. Anne Frank schrieb im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren und äußerte in ihren Aufzeichnungen ihre Abneigungen und ihren Ärger ebenso deutlich wie ihre Zuneigungen.
Otto Frank starb 1980. Die Originalaufzeichnungen seiner Tochter vermachte er testamentarisch dem Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie (heute: NIOD Institut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies – Niederländisches Staatliches Institut für Kriegsdokumentation) in Amsterdam. Da seit den fünfziger Jahren die Echtheit des Tagebuchs immer wieder angezweifelt wurde, ließen die Wissenschaftler des Instituts sämtliche Aufzeichnungen prüfen. Erst als die Echtheit zweifelsfrei feststand, veröffentlichten sie sämtliche Tagebuchaufzeichnungen von Anne Frank, zusammen mit den Ergebnissen ihrer Forschungen 1986 in einer Kritischen Ausgabe unter dem Titel »Die Tagebücher der Anne Frank«: Sie hatten dabei unter anderem die familiären Hintergründe, die Umstände der Verhaftung und Deportation, die verwendeten Schreibmaterialien und die Schrift von Anne Frank untersucht und in ihrem umfangreichen Werk auch die Verbreitung des Tagebuchs beschrieben.
Der Anne Frank Fonds in Basel, der als Universalerbe von Otto Frank sämtliche Autorenrechte dessen Tochter geerbt hat, entschloss sich im Jahr 1986, von den inzwischen vorliegenden Texten Anne Franks weitere Passagen in die neue Fassung aufzunehmen. Die von Otto Frank geleistete editorische Arbeit, die dem Tagebuch zu großer Verbreitung und politischer Bedeutung verholfen hat, wird dadurch in keiner Weise geschmälert. Mit der Redaktion wurde die Autorin und Übersetzerin Mirjam Pressler beauftragt. Dabei wurden die Tagebuchversionen a und b zu einer Leseausgabe zusammengeführt, die nun weltweit in über 80 Sprachen und über 100 Ländern publiziert worden ist. Diese vom Anne Frank Fonds autorisierte Fassung ist wesentlich umfangreicher als die Version c und wird heute als Version d bezeichnet. Sie soll dem Leser einen tieferen Einblick in die Welt der Anne Frank ermöglichen und ist die heute weltweit verbindliche Fassung, die im Folgenden abgedruckt wird.
Ende der neunziger Jahre tauchten fünf bisher unbekannte Manuskriptseiten auf. Mit Erlaubnis des Anne Frank Fonds wurde nun auch eine längere Passage mit dem Datum 8. Februar 1944 aufgenommen und dem bereits existierenden Eintrag desselben Datums hinzugefügt. Die kurze Fassung des Eintrags vom 20. Juli 1942 wurde nicht berücksichtigt, weil bereits eine ausführlichere Version im Tagebuch existiert. Ferner wurde der Eintrag vom 7. November 1942 auf den 30. Oktober 1943 verschoben, wo er nach neuesten Erkenntnissen hingehört.
Als Anne Frank ihre zweite Version (Version b) schrieb, legte sie fest, welche Pseudonyme sie den Personen in einem zu veröffentlichenden Buch geben wollte. Sich selbst wollte sie zuerst Anne Aulis, dann Anne Robin nennen. Otto Frank hat diese Namen nicht übernommen, sondern den Familiennamen beibehalten; ihre Namensvorschläge für die anderen Personen hat er hingegen berücksichtigt. Die Helfer, die heute allgemein bekannt sind, verdienen es, namentlich genannt zu werden; die Namen aller anderen Personen entsprechen der Kritischen Ausgabe: In Fällen, in denen die Personen anonym bleiben wollten, wurden die vom Rijksinstituut willkürlich gewählten Anfangsbuchstaben zum Teil übernommen; einige der Kürzel wurden für die vorliegende Ausgabe aufgelöst.
Die richtigen Namen der Versteckten waren: Familie van Pels (aus Osnabrück):
Auguste (geboren 29. 9. 1890), Hermann (geboren 31. 3. 1889), Peter (geboren 8. 11. 1926) van Pels; von Anne genannt: Petronella, Hans und Alfred van Daan; in Version d: Petronella, Hermann und Peter van Daan.
Fritz Pfeffer (geboren 1889 in Gießen); von Anne und in Version d genannt: Albert Dussel.
Anne Franks Liste der geplanten Namensänderungen
Anne = Anne Aulis Robin. | J. Kleiman = Simon Koophuis |
Margot = Betty Aulis Robin. | V. Kugler = Harry Kraler |
Pim = Frederik Aulis Robin. | Bep = Elly Kuilmans |
Mutter = Nora Aulis Robin. | Miep = Anne v. Santen |
G. v. Pels = Petronella v. Daan | Jan = Henk v. Santen |
H. v. Pels = Hans v. Daan | Gis & Co = Kolen & Cie |
P. v. Pels = Alfred v. Daan | Opekta = Travies. |
F. Pfeffer = Albert Dussel |
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Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große Stütze sein.
Ich habe bis jetzt eine große Stütze an dir gehabt. Auch an Kitty, der ich jetzt regelmäßig schreibe. Diese Art, Tagebuch zu schreiben, finde ich viel schöner, und ich kann die Stunde fast nicht abwarten, wenn ich Zeit habe, in dich zu schreiben.
Ich bin, oh, so froh, dass ich dich mitgenommen habe!
Ich werde mit dem Augenblick beginnen, als ich dich bekommen habe, das heißt, als ich dich auf meinem Geburtstagstisch liegen gesehen habe (denn das Kaufen, bei dem ich auch dabei gewesen bin, zählt nicht).
Am Freitag, dem 12. Juni, war ich schon um sechs Uhr wach, und das ist sehr begreiflich, da ich Geburtstag hatte. Aber um sechs Uhr durfte ich noch nicht aufstehen, also musste ich meine Neugier noch bis Viertel vor sieben bezwingen. Dann ging es nicht länger. Ich lief ins Esszimmer, wo ich von Moortje, unserer Katze, mit Purzelbäumen begrüßt wurde.
Kurz nach sieben ging ich zu Papa und Mama und dann ins Wohnzimmer, um meine Geschenke auszupacken. An erster Stelle warst du es, die ich zu sehen bekam und was wahrscheinlich eines von meinen schönsten Geschenken ist. Dann ein Strauß Rosen, eine Topfpflanze und zwei Pfingstrosen. Von Papa und Mama habe ich eine blaue Bluse bekommen, ein Gesellschaftsspiel, eine Flasche Traubensaft, der ein bisschen nach Wein schmeckt (Wein wird ja aus Trauben gemacht), ein Puzzle, Creme, Geld und einen Gutschein für zwei Bücher. Dann bekam ich noch ein Buch, »Camera Obscura«, aber das hat Margot schon, darum habe ich es getauscht, selbst gebackene Plätzchen (von mir gebacken, natürlich, denn im Plätzchenbacken bin ich zur Zeit stark), viele Süßigkeiten und eine Erdbeertorte von Mutter. Auch einen Brief von Omi, ganz pünktlich, aber das ist natürlich Zufall.
Dann kam Hanneli, um mich abzuholen, und wir gingen zur Schule. In der Pause bewirtete ich Lehrer und Schüler mit Butterkeksen, dann ging es wieder an die Arbeit.
Ich kam erst um fünf Uhr nach Hause, weil ich zum Turnen gegangen war (obwohl ich nie mitmachen darf, da ich mir leicht Arme und Beine ausrenke) und für meine Klassenkameraden Volleyball als Geburtstagsspiel ausgesucht habe. Sanne Ledermann war schon da. Ilse Wagner, Hanneli Goslar und Jacqueline van Maarsen habe ich mitgebracht, die sind bei mir in der Klasse. Hanneli und Sanne waren früher meine besten Freundinnen, und wer uns zusammen sah, sagte immer: »Da laufen Anne, Hanne und Sanne.« Jacqueline van Maarsen habe ich erst auf dem Jüdischen Lyzeum kennengelernt, sie ist jetzt meine beste Freundin. Ilse ist Hannelis beste Freundin, und Sanne geht in eine andere Schule und hat dort ihre Freundinnen.
Sonntagnachmittag war meine Geburtstagsfeier. Rin-tin-tin[1] hat meinen Klassenkameraden gut gefallen. Ich habe zwei Broschen bekommen, ein Lesezeichen und zwei Bücher. Der Club hat mir ein tolles Buch geschenkt, »Niederländische Sagen und Legenden«, aber sie haben mir aus Versehen den zweiten Band gegeben. Deshalb habe ich zwei andere Bücher gegen den ersten Band getauscht. Tante Helene hat noch ein Puzzle gebracht, Tante Stephanie eine Brosche und Tante Leny ein tolles Buch, nämlich »Daisys Ferien im Gebirge«.
Heute Morgen im Bad dachte ich darüber nach, wie herrlich es wäre, wenn ich so einen Hund wie Rin-tin-tin hätte. Ich würde ihn dann auch Rin-tin-tin nennen, und er würde in der Schule immer beim Pedell oder, bei schönem Wetter, im Fahrradunterstand sein.
Ich möchte noch einiges von meiner Klasse und der Schule erzählen und will mit ein paar Schülern anfangen.
Betty Bloemendaal sieht ein bisschen ärmlich aus, ist es, glaube ich, auch. Sie ist in der Schule sehr gescheit. Aber das liegt daran, dass sie so fleißig ist, denn nun lässt die Gescheitheit schon was zu wünschen übrig. Sie ist ein ziemlich ruhiges Mädchen.
Jacqueline van Maarsen gilt als meine beste Freundin. Aber eine wirkliche Freundin habe ich noch nie gehabt. Bei Jopie dachte ich erst, sie könnte es werden, aber es ist schiefgegangen.
Lenij Duijzend ist sehr nervös, vergisst alles mögliche und bekommt Strafarbeit um Strafarbeit. Sie ist sehr gutmütig, vor allem Miep Lobatto gegenüber. Naomi Blitz schwätzt so entsetzlich, dass es nicht mehr schön ist. Wenn sie einen etwas fragt, fasst sie einen immer an den Haaren oder Knöpfen an. Man sagt, dass Nannie mich nicht ausstehen kann. Aber das ist nicht schlimm, weil ich sie auch nicht sehr sympathisch finde.
Henny Mets ist fröhlich und nett, nur spricht sie sehr laut und ist, wenn sie auf der Straße spielt, sehr kindisch. Es ist sehr schade, dass sie eine Freundin hat, Beppy, die einen schlechten Einfluss auf sie hat, weil dieses Mädchen schrecklich schmutzig und schweinisch ist.
Über Danka Zajde könnten ganze Romane geschrieben werden. Sie ist ein angeberisches, tuschelndes, ekliges, erwachsentuendes, hinterhältiges Mädchen. Sie hat Jopie eingewickelt, und das ist schade. Sie weint beim kleinsten Anlass und ist schrecklich zimperlich. Immer muss Fräulein Danka recht haben. Sie ist sehr reich und hat einen ganzen Schrank voll mit goldigen Kleidern, in denen sie aber viel zu alt aussieht. Das Mädchen bildet sich ein, sehr schön zu sein, aber sie ist gerade das Gegenteil. Danka und ich können einander nicht ausstehen.
Ilse Wagner ist ein fröhliches und nettes Mädchen, aber sie ist sehr genau und kann stundenlang jammern. Ilse mag mich ziemlich gern. Sie ist auch sehr gescheit, aber faul.
Hanneli Goslar oder Lies, wie sie in der Schule genannt wird, ist ein bisschen eigenartig. Sie ist meist schüchtern und zu Hause sehr frech. Sie tratscht alles, was man ihr erzählt, an ihre Mutter weiter. Aber sie hat eine offene Meinung, und vor allem in der letzten Zeit schätze ich sie sehr.
Nannie v. Praag-Sigaar ist ein kleines, gescheites Mädchen. Ich finde sie ganz nett. Sie ist ziemlich klug. Viel ist über sie nicht zu sagen.
Eefje de Jong finde ich großartig. Sie ist erst zwölf Jahre alt, aber ganz und gar eine Dame. Sie tut, als wäre ich ein Baby. Und sie ist sehr hilfsbereit, deshalb mag ich sie auch.
Miep Lobatto ist das schönste Mädchen in der Klasse. Sie hat ein liebes Gesicht, ist aber in der Schule ziemlich dumm. Ich glaube, dass sie sitzenbleibt, aber das sage ich natürlich nicht zu ihr.
(Nachtrag)
Sie ist zu meiner großen Verwunderung doch nicht sitzengeblieben.
Und am Schluss von uns zwölf Mädchen sitze ich, neben Miep Lobatto.
Über die Jungen lässt sich viel, aber auch wenig sagen.
Maurice Coster ist einer von meinen vielen Verehrern, aber er ist ein ziemlich unangenehmer Junge.
Sally Springer ist ein schrecklich schweinischer Junge, und es geht das Gerücht um, dass er gepaart hat. Trotzdem finde ich ihn toll, denn er ist sehr witzig.
Emiel Bonewit ist der Verehrer von Miep Lobatto, aber sie macht sich nicht viel daraus. Er ist ziemlich langweilig.
Rob Cohen war auch verliebt in mich, aber jetzt kann ich ihn nicht mehr ausstehen. Er ist heuchlerisch, verlogen, weinerlich, verrückt und unangenehm und bildet sich schrecklich viel ein.
Max van de Velde ist ein Bauernjunge aus Medemblik, aber ganz annehmbar, würde Margot sagen.
Herman Koopman ist auch arg schweinisch, genau wie Jopie de Beer, der ein richtiger Schürzenjäger ist.
Leo Blom ist der Busenfreund von Jopie de Beer und auch vom Schweinischsein angesteckt.
Albert de Mesquita kommt von der Montessorischule und hat eine Klasse übersprungen. Er ist sehr klug.
Leo Slager kommt von derselben Schule, ist aber nicht so klug.
Ru Stoppelmon ist ein kleiner, verrückter Junge aus Almelo, der erst später in die Klasse gekommen ist.
Pim Pimentel tut alles, was nicht erlaubt ist.
Jacques Kocernoot und Pam sitzen hinter uns, und wir lachen uns oft krank (Miep und ich).
Harry Schaap ist der anständigste Junge aus unserer Klasse, er ist nett.
Werner Joseph auch, ist aber zu still und wirkt dadurch langweilig.
Sam Salomon ist ein Rabauke aus der Gosse, ein Mistjunge. (Verehrer!)
Appie Riem ist ziemlich orthodox, aber auch ein Dreckskerl. Jetzt muss ich aufhören. Beim nächsten Mal habe ich wieder so viel in dich zu schreiben, d.h. dir zu erzählen. Tschüs! Ich finde dich so toll!
Es ist für jemanden wie mich ein eigenartiges Gefühl, Tagebuch zu schreiben. Nicht nur, dass ich noch nie geschrieben habe, sondern ich denke auch, dass sich später keiner, weder ich noch ein anderer, für die Herzensergüsse eines dreizehnjährigen Schulmädchens interessieren wird. Aber darauf kommt es eigentlich nicht an, ich habe Lust zu schreiben und will mir vor allem alles Mögliche gründlich von der Seele reden.
Papier ist geduldiger als Menschen. Dieses Sprichwort fiel mir ein, als ich an einem meiner leicht-melancholischen Tage gelangweilt am Tisch saß, den Kopf auf den Händen, und vor Schlaffheit nicht wusste, ob ich weggehen oder lieber zu Hause bleiben sollte, und so schließlich sitzen blieb und weitergrübelte. In der Tat, Papier ist geduldig. Und weil ich nicht die Absicht habe, dieses kartonierte Heft mit dem hochtrabenden Namen »Tagebuch« jemals jemanden lesen zu lassen, es sei denn, ich würde irgendwann in meinem Leben »den« Freund oder »die« Freundin finden, ist es auch egal.
Nun bin ich bei dem Punkt angelangt, an dem die ganze Tagebuch-Idee angefangen hat: Ich habe keine Freundin.
Um noch deutlicher zu sein, muss hier eine Erklärung folgen, denn niemand kann verstehen, dass ein Mädchen von dreizehn ganz allein auf der Welt steht. Das ist auch nicht wahr. Ich habe liebe Eltern und eine Schwester von sechzehn, ich habe, alle zusammengezählt, mindestens dreißig Bekannte oder was man so Freundinnen nennt. Ich habe einen Haufen Anbeter, die mir alles von den Augen ablesen und sogar, wenn’s sein muss, in der Klasse versuchen, mit Hilfe eines zerbrochenen Taschenspiegels einen Schimmer von mir aufzufangen. Ich habe Verwandte und ein gutes Zuhause. Nein, es fehlt mir offensichtlich nichts, außer »die« Freundin. Ich kann mit keinen von meinen Bekannten etwas anderes tun als Spaß machen, ich kann nur über alltägliche Dinge sprechen und werde nie intimer mit ihnen. Das ist der Haken. Vielleicht liegt dieser Mangel an Vertraulichkeit auch an mir. Jedenfalls ist es so, leider, und nicht zu ändern. Darum dieses Tagebuch.
Um nun die Vorstellung der ersehnten Freundin in meiner Phantasie noch zu steigern, will ich nicht einfach Tatsachen in mein Tagebuch schreiben wie alle andern, sondern ich will dieses Tagebuch die Freundin selbst sein lassen, und diese Freundin heißt Kitty.
Meine Geschichte! (Idiotisch, so etwas vergisst man nicht.)
Weil niemand das, was ich Kitty erzähle, verstehen würde, wenn ich so mit der Tür ins Haus falle, muss ich, wenn auch ungern, kurz meine Lebensgeschichte wiedergeben.
Mein Vater, der liebste Schatz von einem Vater, den ich je getroffen habe, heiratete erst mit 36 Jahren meine Mutter, die damals 25 war. Meine Schwester Margot wurde 1926 in Frankfurt am Main geboren, in Deutschland. Am 12. Juni 1929 folgte ich. Bis zu meinem vierten Lebensjahr wohnte ich in Frankfurt. Da wir Juden sind, ging dann mein Vater 1933 in die Niederlande. Er wurde Direktor der Niederländischen Opekta Gesellschaft zur Marmeladeherstellung. Meine Mutter, Edith Frank-Holländer, fuhr im September auch nach Holland, und Margot und ich gingen nach Aachen, wo unsere Großmutter wohnte. Margot ging im Dezember nach Holland und ich im Februar, wo ich als Geburtstagsgeschenk für Margot auf den Tisch gesetzt wurde.
Ich ging bald in den Kindergarten der Montessorischule. Dort blieb ich bis sechs, dann kam ich in die erste Klasse. In der 6. Klasse kam ich zu Frau Kuperus, der Direktorin. Am Ende des Schuljahres nahmen wir einen herzergreifenden Abschied voneinander und weinten beide, denn ich wurde am Jüdischen Lyzeum angenommen, in das Margot auch ging.
Unser Leben verlief nicht ohne Aufregung, da die übrige Familie in Deutschland nicht von Hitlers Judengesetzen verschont blieb. Nach den Pogromen 1938 flohen meine beiden Onkel, Brüder von Mutter, nach Amerika, und meine Großmutter kam zu uns. Sie war damals 73 Jahre alt.
Ab Mai 19403586