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Alexander Kords

Thomas Müller

Alexander Kords

THOMAS MÜLLER

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Originalausgabe

1. Auflage 2015

 

© 2015 CBX Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Frankfurter Ring 150

80807 München

info@cbx-verlag.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Lektorat: Cornelius Traub / Vivian Jansen

Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber

Umschlagfoto: Imago / Sven Simon

Layout und Satz: Julia Swiersy

Illustrationen: Salome / Fotolia.com

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN: 978-3-945794-39-5

Inhalt

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1. Der junge sportliche Müller vom Ammersee
2. Von der Jugend zu den Profis in einem Jahr
3. Die erste Saison als Profi:
»Müller spielt bei mir immer«
4. Frau Müller, Dressurreiterin
5. Die Weltmeisterschaft 2010:
»Diego, der Junge heißt Müller«
6. Der Raumdeuter verliert seinen Förderer
7. Torkrise und vierfache Enttäuschung
8. Das Triple 2013:
Auf dem Gipfel des Vereinsfußballs
9. Müller und die Bayern unter Pep Guardiola
10. WM 2014:
Am Ziel aller Fußballer-Träume
11. Auswechseltheater und Transfergerüchte
12. Die Werbefigur Thomas Müller
13. Anekdoten rund um Thomas Müller
14. Der Müller und seine Sprüche
15. Thomas Müller in Zahlen und Fakten
Quellenverzeichnis
Bilderverzeichnis

1. Der junge sportliche Müller
vom Ammersee

 
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Müller ist bekanntlich der häufigste Nachname in Deutschland. Geschätzte 700.000 Menschen in der Bundesrepublik, also fast jeder hundertste Bürger des Landes, heißt so. Kein Wunder, war doch der Beruf des Müllers im Mittelalter enorm wichtig und anerkannt, und gab es doch in jedem noch so kleinen Dorf eine Mühle. Wie auch in Pähl, einer Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Weilheim-Schongau, idyllisch am Ammersee gelegen. Unweit der Gasthöfe »Alte Post zu Pähl« und »Müllers Lust« steht die ehemalige Mühle, die später erweitert und um ein Sägewerk ergänzt wurde. Die Vorstellung, dass der Pähler Gerhard Müller von den Müllern abstammt, die einst das Dorf mit Mehl versorgten, ist angesichts von nur knapp 2.500 Einwohnern nicht ganz unwahrscheinlich. Zweifelsfrei steht allerdings fest, dass der gelernte Ingenieur der Vater des berühmtesten Sohnes der Gemeinde ist. Am 13. September 1989, als in Pähl noch weniger als 1.700 Menschen lebten und der Mauerfall sich anschickte, die Bundesrepublik mit noch mehr Müllers zu versorgen, gebar Gerhard Müllers Frau Klaudia das erste Kind des Ehepaares. Allerdings nicht in Pähl, wo es kein Krankenhaus gibt, sondern in der nächstgrößeren Stadt Weilheim in Oberbayern, rund zehn Kilometer südlich. Als Vornamen für den Jungen wählten sie und ihr Mann einen, der zwar in den 1960er-Jahren der beliebteste Jungenname in Deutschland war, dessen Popularität in den späten 1980ern aber langsam zurückging: Thomas. Was der Sohn später beruflich machen würde, ahnte Klaudia schon während ihrer Schwangerschaft, schließlich habe er schon im Bauch »gestrampelt wie ein Fußballer«. Zweieinhalb Jahre später kam sein Bruder zur Welt, der einen zu dieser Zeit ähnlich beliebten Vornamen bekam: Simon.

Schon früh entdeckten die beiden Brüder ihre Leidenschaft für den Fußball. Im Sommer spielten sie auf der Straße oder im Garten ihres Elternhauses, für die kalten Wintermonate hatte Vater Müller einen ungenutzten Kellerraum zum Kleinfeld umfunktioniert. Dort standen zwei Hockeytore, auf die die Familie zuweilen Zwei-gegen-zwei-Matches austrug. Als Thomas vier Jahre alt war, schloss er sich schließlich dem örtlichen Fußballverein TSV Pähl an, sein Bruder tat es ihm wenig später nach. Regelmäßig versuchte sich Thomas auch in anderen Sportarten und griff beispielsweise im verschneiten und vereisten bayerischen Winter zum Eishockey-Schläger. Doch nichts faszinierte ihn so sehr wie der Fußball. Vor allem der FC Bayern München hatte es ihm angetan, was im Hause Müller durchaus Tradition hatte. Schon Thomas' Großeltern hielten es mit dem Großverein aus der rund 50 Kilometer entfernten Metropole. Auch deshalb war es von frühester Kindheit an das erklärte Berufsziel des kleinen Thomas, Fußballprofi zu werden – nicht zwangsläufig bei den Bayern, aber trotzdem: Die Hauptsache für ihn war, irgendwann mit dem Kicken seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Um stilecht von der großen Karriere zu träumen, trug Thomas tagsüber das Trikot der Bayern, schlief nachts in Bettwäsche mit den Farben des Clubs und träumte von Stars wie Lothar Matthäus, Mehmet Scholl und Mario Basler. Sein großes Vorbild allerdings, das war ein Spieler, der bereits sieben Jahre vor Thomas' Geburt seine Karriere beendet hatte: Gerd Müller, der »Bomber der Nation«, der Rekordtorschütze der Bundesliga und damals auch der deutschen Nationalelf. Wohl auch deshalb entschied sich Thomas dafür, im Angriff zu spielen.

Sein erster Trainer beim TSV Pähl, Peter Hackl, musste dem kleinen Müller schon früh und auf anschauliche Weise beibringen, dass er im Sinne des Mannschaftserfolgs auch seine Mitspieler in die Angriffe einzubeziehen hatte. Regelmäßig holte ihn Hackl aus der Partie, setzte ihn auf die Bank und sagte zu ihm: »Thomas, du darfst erst wieder mitspielen, wenn du abgibst, ansonsten bleibst du draußen.« Dennoch behielt der Spieler seine enorme Torgefahr und erzielte Treffer wie am Fließband. Doch nicht nur Thomas glänzte, der gesamte Jahrgang 1989 bestand aus talentierten Spielern, wie sich Hackl Jahre später zurückerinnerte. »Ich hatte einfach eine ganz perfekte Mannschaft«, so der damalige Jugendtrainer. »Und Thomas war der Kopf dieser Mannschaft. Er hat nicht nur die meisten Tore erzielt, sondern er war auch die bestimmende Persönlichkeit auf dem Platz. Er war damals schon der herausragende Spieler.«1 Einige Kicker aus dem Team waren laut Hackl später in Landesund Bezirksoberliga aktiv, keiner jedoch legte nur ansatzweise eine so beeindruckende Karriere hin wie Thomas Müller.

Im Jahr 1996, wenige Tage vor seinem siebten Geburtstag, kam Thomas in die Grundschule von Pähl. Seine erste Klassenlehrerin Irmgard Hupfauf erinnerte sich viel später noch daran, dass Thomas ein guter Schüler war, aber zumindest am Anfang seiner schulischen Laufbahn kaum in der Lage war, ruhig auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben. Außerdem rief er seine Antworten lieber laut in die Klasse, statt die Hand zu heben und geduldig zu warten, bis er aufgerufen wurde. Im Turnunterricht konnte Thomas dann seinen Bewegungsdrang ausleben und avancierte schnell zum Klassenbesten. Auf der Wiese vor dem hohen Schulgebäude mit der gelben Fassade fanden unter anderem die Fußballübungen im Rahmen des Sportunterrichts statt. Regelmäßig trug Thomas dabei sein Bayern-Trikot, ebenso wie einige seiner Klassenkameraden. Ein besonders mutiger Junge traute sich tatsächlich mit einem Hemd vom Lokalrivalen 1860 München in die Schule – und schon begannen die kindlichen Neckereien. Der Bub musste sich dann etwa von Thomas und den anderen Bayern-Fans anhören, dass sein Club ein »Flaschenverein« sei.

Schon früh zeigte sich auch das komödiantische Talent von Thomas. Das führte dazu, dass Irmgard Hupfauf ihn in der zweiten Klasse für eine Aufführung als Karl Valentin besetzte. Vor allem der schmale Körperbau und die schlaksigen Bewegungen von Thomas passten perfekt, um den großen bayerischen Komiker zu imitieren. Folgerichtig gehörten auch Comics zu den Leidenschaften des jungen Müller. Regelmäßig machte er sich nach dem Unterricht auf den Weg zur Bäckerei Scholz, einem typischen Tante-Emma-Laden, wie er zu der Zeit noch mindestens einmal in jedem Dorf existierte. Dort gab er sein Taschengeld für Süßigkeiten und Comic-Hefte aus. Vor allem die Klassiker hatten es ihm angetan, »Micky Maus«, »Lucky Luke« und »Asterix« zählten zu seiner Lieblingslektüre.

In der Saison 1998/1999 wurde der TSV Pähl E-Jugend-Meister in Bayern, mit einer Tordifferenz von 175 zu sieben. 120 der Tore seiner Mannschaft schoss der neunjährige Thomas und spielte sich damit in die Notizbücher der großen Vereine der Region. Plötzlich schickten die Bayern, 1860 München und die Spielvereinigung Unterhaching ihre Scouts nach Pähl und ließen den talentierten Flitzer beobachten. Im Jahr 2000 nahm Thomas mit seiner Mannschaft am Merkur CUP teil. Der von der Tageszeitung Münchner Merkur organisierte und nach ihr benannte Wettbewerb war damals, im fünften Jahr seiner Existenz, bereits das größte E-Jugend-Turnier Bayerns. Mit über 400 teilnehmenden Teams und deren 6.000 Spielern sind seine Dimensionen für diese Altersklasse heute weltweit unerreicht. In verschiedenen Vor-, Bezirks- und Kreisfinalrunden, die aus Rücksicht auf die jungen Teilnehmer nicht im K.-o.-, sondern im Gruppenmodus ausgetragen werden, qualifizieren sich die besten acht Teams des Freistaats für die Endrunde, die an einem jährlich wechselnden Spielort stattfindet. Im Juli 2000 war das Markt Schwaben, und die Mannschaft aus Pähl erreichte tatsächlich das Finalturnier. Zum Auftakt gab sich Peter Pacult, der damalige Trainer von 1860 München, als Zuschauer die Ehre, zudem gab es ein paar Grußworte von Ministerpräsident Edmund Stoiber, der die Siegerehrung zur Aufgabe seiner Staatsministerin für Unterricht und Kultus Monika Hohlmeier machte. Den Pokal gewannen am Ende die E-Jugendlichen von Bayern München, dahinter lagen mit 1860 und der SpVgg Unterhaching die Jugendteams der beiden anderen teilnehmenden Großvereine. Unter den acht Mannschaften belegte der TSV Pähl letztlich einen respektablen sechsten Rang. Sehr viel wichtiger für die spätere Karriere von Thomas Müller war allerdings die Anwesenheit eines 54 Jahre alten Mannes bei einer der Partien der Pähler. Jan Pienta hieß der Mann, und seine Aufgabe war es, für den FC Bayern talentierte Fußballer bis 15 Jahre im Raum München zu finden und zum größten Verein Deutschlands zu holen. Ein hochkarätig besetztes Turnier wie der Merkur CUP war daher ein Pflichttermin für den Scout. Und bei dem Spiel des TSV Pähl, das er beobachtete, wurde er Zeuge, wie Thomas Müller dank seiner ständigen Laufbereitschaft, seiner Geistesgegenwart und seiner Technik acht Tore schoss.

Umgehend machte Pienta Thomas' Mutter ausfindig und versuchte sie davon zu überzeugen, dass ihr Sohn unbedingt zu den Bayern kommen müsse. Klaudia Müller war jedoch alles andere als überzeugt, da München immerhin fast 50 Kilometer von Pähl entfernt ist und ihr Thomas doch gerade einmal zehn Jahre alt war. Weil sich Pienta das Talent aber auf keinen Fall entgehen lassen wollte, handelte er mit Frau Müller eine Vereinbarung aus: Thomas sollte im ersten Jahr nur einmal pro Woche nach München kommen, um dort zu spielen, und ansonsten weiterhin in Pähl trainieren. Dieses »Gewöhnungsjahr" war normalerweise vom Verein nicht vorgesehen, war aber ein Glücksfall für die Bayern. Denn ein halbes Jahr später rief die Jugendabteilung von 1860 München bei Thomas an und wollte ihn unter Vertrag nehmen. Voller Stolz konnte der kleine Kicker dann aber verkünden, dass er bereits beim FCB unterschrieben hatte. Gleichzeitig mit dem Wechsel seines Fußballvereins begann Thomas auch, eine neue Schule zu besuchen. Da es in Pähl außer der Grund- keine weitere Schule gibt, fuhr er fortan die knapp zehn Kilometer in seine Geburtsstadt Weilheim, um das Gymnasium zu besuchen.

Dort lernte Thomas einen Jungen kennen, der schnell und über die Schulzeit hinaus sein bester Freund werden sollte: Thomas Oppenheimer, der aus Peißenberg, einer Gemeinde im Süden von Weilheim, stammte und in der Klasse neben Thomas saß. Neben der Schulbank teilten die beiden auch ihre Leidenschaft für Sport, wobei Oppenheimer eher dem Eishockey zugetan war. Wie Müller im Fußball schaffte auch Oppenheimer später den Sprung ins Profigeschäft und spielte für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft. In jeder Menge Sportarten duellierten sich Müller und Oppenheimer über die Jahre, wobei sich beide durch einen unbändigen Ehrgeiz auszeichneten. Im Fußball konnte Oppenheimer seinem Freund natürlich nicht das Wasser reichen, im Tennis etwa war er jedoch der bessere Spieler. Dass auch Thomas gut mit dem kleinen gelben Ball umgehen konnte, stellte er als Zwölfjähriger unter Beweis. Damals meldete er sich für ein Turnier an, das eigentlich nur für erwachsene Spieler gedacht war – und gewann es sogar.

Als einer der Gründe für Thomas Müllers sympathische Art, die er sich auch im späteren Verlauf seiner Karriere erhalten hat, wird nicht selten seine Herkunft herangezogen. Jeder kennt jeden in Pähl, dieser beschaulichen Gemeinde am Ammersee, die umgeben ist von wunderschöner Landschaft. Zwei der drei Schlösser, die es in der Umgebung des Örtchens einmal gab, stehen noch heute, in einem davon, dem heute in Privatbesitz befindlichen Hochschloss Pähl, wohnte ein Klassenkamerad von Thomas, den er des Öfteren in den historischen Gemäuern besuchte. In der Kirche St. Laurentius, die zu den Baudenkmälern des Dorfes zählt, war Thomas zu Schulzeiten als Messdiener tätig. Wenn Thomas heute seine Heimat besucht, wird er nicht wie der große Fußballstar behandelt, der er ist, sondern als ganz normaler Pähler. Seine Mutter, die sich als Sozialmanagerin darauf versteht, mit Menschen respektvoll umzugehen, hat ihrem Sohn dies mitgegeben. Und sein Vater, der Ingenieur, brachte Thomas bei, analytisch zu denken und strebsam auf ein Ziel hinzuarbeiten – ein Leitmotiv, das sich wie ein roter Faden durch das Leben des Menschen und des Fußballers Thomas Müller zieht. Wie ihrem Sohn ist es auch Gerhard und Klaudia Müller nicht unbedingt angenehm, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Wenn sich Reporter nach Pähl verirren, um unangemeldet ein Gespräch mit Thomas' Eltern zu führen, werden sie häufig schon von den Dorfbewohnern abgewimmelt. Denn obwohl die natürlich die Adresse der Müllers kennen, rücken sie mit der Information nicht heraus. Auf diese Weise bleibt das Dorfleben genauso ruhig und gelassen wie eh und je.

2. Von der Jugend zu den Profis
in einem Jahr

 
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