Tanja und Samy Bakry
Shades of Love
Die Facetten der Liebe
für eine erfüllte Beziehung
Tanja und Samy Bakry
Shades
of
LOVE
Die Facetten der Liebe für eine erfüllte Beziehung
CBX Verlag, ein Imprint der Singer GmbH
Frankfurter Ring 150
80807 München
info@cbx-verlag. de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form -auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Vivian Jansen / Ulla Bucarey
Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber
Umschlagabbildung: Desktop Wallpaper Home
Layout und Satz: Julia Swiersy
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-945794-29-6
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort | ||||
Einleitung | ||||
KAPITEL 1 WARUM „FIFTY SHADES OF GREY“ DIE GESCHLECHTER ERHITZT |
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Pol 1: | Die weibliche Faszination | |||
Facette 1: | Die Prinzessin und der Held -Was „Fifty Shades of Grey“, „Pretty Woman“ und „Dirty Dancing“ gemeinsam haben | |||
Facette 2: | Der weibliche Wunsch nach Hingabe | |||
Facette 3: | „Verbotenes tun“ | |||
Facette 4: | Von der Lust, genommen zu werden | |||
Pol 2: | Die weibliche Abscheu | |||
Facette 5: | Rückschritt und Unterdrückung der Frau | |||
Facette 6: | Hingabe = Aufgabe | |||
Facette 7: | Gewalt gegen Frauen wird legitimiert | |||
Pol 3: | Die männliche Faszination | |||
Facette 8: | Zurück auf Los | |||
Pol 4: | Die männliche Abscheu | |||
Facette 9: | Der austauschbare Erfüllungsgehilfe sein | |||
Facette 10: | Die männliche Angst vor der weiblichen Sexualität | |||
Facette 11: | Nicht mithalten können – materiell und sexuell | |||
KAPITEL 2 MANN UND FRAU UND DIE MACHT DER POLARITÄT |
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Geben vs. empfangen | ||||
Sucht vs. Freiheit | ||||
Altbekanntes vs. Neues ausprobieren | ||||
Fantasie vs. Wirklichkeit | ||||
Nähe vs. Distanz | ||||
Blümchensex vs. Fetisch | ||||
Macht vs. Ohnmacht | ||||
Polygamie vs. Monogamie | ||||
Unterwürfigkeit vs. Führung oder Sub vs. Dom | ||||
Schuld vs. Unschuld | ||||
Mensch vs. Verhalten | ||||
Mangel vs. Fülle | ||||
Verbundenheit vs. Freiheit | ||||
Kontrolle vs. Vertrauen | ||||
Mut vs. Rücksicht | ||||
Vertraut vs. fremd | ||||
Gesundheit vs. Krankheit | ||||
Stärken vs. Begrenzungen | ||||
Angst vs. Liebe | ||||
KAPITEL 3 GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH AN – WIE WIR SINNVOLL „POLARISIEREN“ |
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Hin zu vs. von weg | ||||
Internal vs. external | ||||
Proaktiv vs. reaktiv | ||||
Prozedural vs. optional | ||||
Detailorientiert vs. globalorientiert | ||||
Mensch vs. Aufgabe | ||||
Gleich/Gleich vs. Gleich/Unterschied vs. Unterschied/Unterschied | ||||
Gegenbeispielbringer vs. Gleichbeispielbringer | ||||
KAPITEL 4 WARUM WIR WISSEN, WAS BEIM ANDEREN FALSCH LÄUFT |
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KAPITEL 5 DER SEX UND DIE BEZIEHUNG |
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1. | Die Phase der Verliebtheit | |||
2. | Die Phase der Verantwortung | |||
3. | Die Phase der Enttäuschung | |||
4. | Die Phase des Konflikts | |||
Das „Ich muss funktionieren“-Muster | ||||
Das „Harmonie um jeden Preis“-Muster | ||||
Das Drama-Muster | ||||
5. | Die Phase der Selbsterkenntnis | |||
6. | Die Phase des Muts und der Selbstverantwortung | |||
7. | Die Phase der freien, verbundenen Liebe | |||
8. | Unsere sexuellen Fantasien – per se ein Mysterium! | |||
KAPITEL 6 WIE WIRD AUS ZWEI HÄLFTEN EIN GANZES? |
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Sich auf die Welt des anderen einlassen | ||||
Annahme | ||||
Verstehen und Verständnis – Synonym oder was ganz anderes? | ||||
Toleranz und Interesse schmieden den Verständnis-Schlüssel | ||||
Veränderungsbereitschaft | ||||
Dankbarkeit | ||||
Fokussierung | ||||
Raus aus dem Drama, hinein in die Gelassenheit! | ||||
Epilog |
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir haben uns gut überlegt, ob wir in unserem Buch direkt auf den Bestseller „Fifty Shades of Grey“ Bezug nehmen oder nur den Hype darum und die Facetten, die für die Liebe, die Sexualität und die Beziehungen wichtig sind, herausgreifen sollten.
Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass gerade der direkte Bezug zu dieser Trilogie, welche Millionen von Menschen gelesen haben, hilfreich ist, um Mechanismen zwischen Menschen deutlich zu machen, die unsere Partnerschaften negativ wie positiv beeinflussen können. Für das Verständnis unseres Buches ist es allerdings unerheblich, ob Sie „Fifty Shades of Grey“ gelesen beziehungsweise den Film gesehen haben oder nicht. Wir empfinden, genau wie viele Menschen, mit denen wir im Vorfeld gesprochen haben, sowohl die Bücher als auch den Kinofilm und die Geschichte selbst inhaltlich und aus literarischer Sicht recht trivial. Die Story könnte tiefgreifender sein und wirkt auf uns eher oberflächlich.
Was uns jedoch absolut fasziniert hat – und diese Faszination hält noch immer an –, ist der Hype, die Auswirkung, die diese Geschichte und die anschließende erste Verfilmung bei Frauen und Männern weltweit ausgelöst hat. Die Bücher wie auch der Film haben Rekorde um Rekorde in Kinos und in Bestsellerlisten aufgestellt. Zweifellos hat diese Geschichte den Nerv der Zeit getroffen!
Sowohl die Bücher als auch der Film haben vor allem das weibliche Geschlecht in die Buchläden und Kinos gelockt. Dabei war der Antrieb ganz unterschiedlich. Ob nun aus bloßer Neugier, um mitreden zu können, um einen geselligen Frauenabend mit anschließendem Gefühlsaustausch zu verbringen oder gar aus „geheimen Sehnsüchten“. Und die Männer? Die meisten Männer hielten sich fern! Warum nur?
Dieses Buch, das Sie nun in den Händen halten, hat den Anspruch, die Faszination und Anziehung dieses „Erfolgsphänomens“ und die versteckten Sehnsüchte und Bedürfnisse dahinter deutlich zu machen. Wir möchten aber auch Anregungen und Hilfestellung geben, wie wir Hürden und Schwierigkeiten in unseren Beziehungen und insbesondere auch in der Sexualität positiv überwinden können. Aus unserer täglichen Arbeit mit vielen Frauen und Männern, vor allem mit Liebespaaren, ist uns bewusst geworden, wie wenig wir Menschen über Sexualität und Partnerschaft wirklich wissen. Wir leben – zumindest hier im westlich geprägten Kulturkreis – in einer übersexualisierten Welt. Kaum ein Duschgel, Auto, Urlaubsland, Kosmetikprodukt oder Lebensmittel wird hierzulande verkauft, ohne mit nackter Haut oder einer eindeutig erotischen Pose beworben zu werden. Wir alle glauben, alles über Sex zu wissen, und wissen doch oft nur erschreckend wenig.
Denn in Wahrheit leben wir mitunter eine eher prüde und verkopfte Sexualität. So sprechen wir auch im wahrsten Sinne des Wortes von Liebestechniken. Wir trauen uns häufig nicht, offen über unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte zu sprechen und uns einander anzuvertrauen und hinzugeben. Kein Wunder, dass wir dann froh sind über ein bisschen Abwechslung, und sei es eben nur in unserer Fantasie oder in Gesprächen mit besten Freunden und Freundinnen.
Was genau hat diese weltweite Faszination ausgelöst? Was steckt hinter der weiblichen Neugier und Sehnsucht, aber auch der Abscheu? Was hinter der männlichen Ablehnung, ja gar Abneigung, diese Art Bücher zu lesen oder Filme zu betrachten? Was können wir dadurch über uns selbst, unsere persönliche Sexualität und unsere Beziehungen erkennen, und zwar unabhängig davon, ob wir die Bücher gelesen oder den bislang verfilmten ersten Teil gesehen haben, und auch gleichgültig, ob es uns gefallen hat, oder nicht?
In unserem Buch beziehen wir uns weder auf die inhaltliche Geschichte um die zwei Protagonisten Christian und Anastasia noch auf die Thematik des Sadomasochismus.
Wir wollen in diesem Buch beschreiben, wie die Dualität unserer Welt unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Sexualität und unsere Liebe mitunter polarisiert und beeinflusst. Und so ist dieses Buch auch von zwei Personen, von einem Mann und einer Frau, unabhängig voneinander geschrieben worden. Das führt mitunter dazu, dass Sie als Leserin oder Leser vielleicht an der einen oder anderen Stelle das Gefühl haben, wir würden uns widersprechen oder den einen oder anderen Aspekt wiederholen, jedoch geschieht dies aus ganz unterschiedlicher – nämlich männlicher und weiblicher – Perspektive. Auch das ist Dualität und eine der Besonderheiten dieses Buches.
Mit Beispielen aus unserer Arbeit mit Männern und Frauen möchten wir die Faszination hinter der Faszination beschreiben. Menschen ermutigen, sich in ihrer Partnerschaft und Sexualität selbst zu entdecken und das zum Ausdruck zu bringen, was sie wirklich berührt und was sie sich wirklich wünschen. Viel Freude dabei!
Ihre
Tanja und Samy Bakry
Faszination und Abneigung – Liebe und Angst – Nähe und Distanz – die zwei Seiten einer Medaille.
Es ist doch eine, wie wir finden, faszinierende Frage, warum diese Polaritäten in verschiedensten Facetten zu unserem Leben, zur Liebe, zur Sexualität und zu unseren Beziehungen zu gehören scheinen. Ist es möglich, trotz oder gerade wegen unserer Vielschichtigkeit und Unterschiedlichkeit das Abenteuer Beziehung, Liebe und Sex lustvoll zu leben? Uns beschäftigt schon lange die Frage, warum vielen Paaren in langjährigen Beziehungen der Sex abhanden kommt und wie wir diesen in positiver Weise für beide Partner in die Beziehung zurückbringen können. Wir stellen uns, angeregt durch den Hype um „Fifty Shades of Grey“ die Frage: „Warum polarisiert Blümchensex nicht, und wie kann das Gegenteil davon für neue Impulse sorgen?“
Bei all diesen Fragen geht es um unsere persönlichen „Trigger“, das heißt unsere persönlichen Auslöser, die uns zum Denken, Fühlen und Handeln bringen. Was treibt dich persönlich an und bringt etwas in dir zum Schwingen, negativ wie positiv? Das Buch beziehungsweise der Film oder die Geschichte von „Fifty Shades of Grey“ ist dafür ein wundervolles Instrument, weil es auf besondere Weise dazu geeignet ist, zu polarisieren, Emotionen auszulösen und die Gemüter zu erhitzen. Der Stoff, aus dem neue Gedanken und Blickwinkel entstehen können, denn diese entwickeln sich aus komprimierter Energie und nicht aus dem luftleeren Raum. Es braucht im wahrsten Sinne des Wortes Reibung, um Verhaltensmuster bewusst, Gegensätze sichtbar und Erkenntnisse erlebbar zu machen.
Die Reaktionen zu den Büchern, dem Film oder der Geschichte an sich erstrecken sich von: sich lustig machen, sich schämen, als banal abtun, so tun, als hätte man sich nie damit beschäftigt, oder das ist doch „Kindergeburtstag“. Ob Faszination oder Abscheu, Desinteresse oder Neugier, Rückzug oder Anziehung – immer geht es um einen zentralen Punkt: die Polarität im Leben, unsere persönliche Sichtweise auf die Dinge und was wir, wenn wir das möchten, für uns selbst, unser Leben und vor allem unsere (Liebes-)Beziehung daraus erkennen können.
Als ich (Tanja) zum ersten Mal von dem Roman „Fifty Shades of Grey“ hörte, war ich sofort neugierig. Eine Freundin, die viel auf privaten und geschäftlichen Reisen unterwegs ist, erzählte mir, dass sie, egal ob im Flugzeug, im Zug, am Pool, in Wartezimmern oder in der Bahnhofshalle, Frauen sah, die völlig gebannt und „unverschämt“ in dieser Lektüre blätterten. Das interessierte mich nicht nur thematisch und inhaltlich, sondern auch als Frau und als Coach. Ich besorgte mir die Bücher umgehend und las sie in einem durch. Ich gebe zu, dass ich bestimmte Längen und Wiederholungen der Trilogie überblätterte und mir noch ein bisschen mehr Spannung gewünscht hätte. Prinzipiell fand ich sie leicht zu lesen und durchaus anregend fürs Kopfkino. Natürlich erzählte ich Samy (meinem lieben Mann und Co-Autor dieses Buches) ausführlich davon.
Was mich und uns im Laufe der Zeit mehr und mehr faszinierte, war nicht die Geschichte an sich, sondern die Geschichte um die Geschichte. Gerade als sich ankündigte, dass der erste Teil verfilmt werden sollte, die Marketingmaschinerie anrollte und der Kinohype wirklich losging, faszinierte uns hauptsächlich die Faszination auf der einen Seite und die Abscheu auf der anderen Seite. Die Lust und Freude, die dieses Phänomen vermehrt bei Frauen auslöste, und die verständnislose Ablehnung eher auf der männlichen Seite. Was sind und waren die unterschiedlichen Empfindungen? Was wird da in den beiden Geschlechtern an unterdrückten und unbewussten Gefühlen hervorgebracht? Was ist die Polarisierung darin? Was bringt sie zum Ausdruck? Wo stehen wir mit unserer sexuellen Befreiung im Jahre 2015? Diese und weitere Fragen begannen uns mehr und mehr zu interessieren. Auch Samy las dann die Bücher und wir schauten uns den Film gemeinsam noch einmal an. Er war einer von drei Männern in einem vollbesetzten, großen Kino.
Wir machten uns an die Befragung und Recherche und stellten Folgendes fest: Trotz des großen Hypes auf der weiblichen Seite gab es auch hier Frauen, die über das Thema, die Art der Darstellung, die vermeintliche Idee dahinter wetterten und zum Teil sehr negativ emotional reagierten. Auf der männlichen Seite gab es die, die sich freuten, dass ausgelöst durch die Bücher oder den Film die Partnerin eine neue sexuelle Initiative ergriff und die Sexualität einen neuen Aufschwung erlebte. Die Sexspielzeuge in Erotik-Shops sowie Kabelbinder in Baumärkten wurden zu Bestsellern. Doch gerade bei den Männern hörten wir Sätze wie „Da fühle ich mich entmannt“ und „So etwas würde ich mir nie anschauen“. Je mehr Gespräche wir zu diesem Thema führten und je mehr unterschiedliche Facetten sich durch jeden einzelnen Gesprächspartner zeigten, umso mehr begannen uns die verschiedenen Ansichten und persönlichen Wahrheiten, die sich dahinter verbargen, zu interessieren. Was versteckt sich hinter den Menschen und den Geschlechtern, welche Rollen haben wir uns über Jahrtausende zugelegt, und welche unterdrückten sexuellen Bedürfnisse beginnen sich durch ein einfaches Tor plötzlich Bahn zu brechen? Für uns war klar, dass wir uns diesem Thema hinter dem Thema annehmen wollen. Eine Sache, die in dieser Form die Gemüter erhitzt, so stark auch zwischen den Geschlechtern polarisiert und die unterschiedlichsten Facetten ans Licht bringt, durfte nicht einfach so vergeudet werden. Nichts geschieht zufällig und oft sind es die vermeintlichen Banalitäten, die richtig betrachtet enorme Wirkung erzielen können.
Es braucht dabei auch die Provokation. Es geht bei „Fifty Shades of Grey“ und seiner Faszination oder Ablehnung aus unserer Sicht ja nicht wirklich um das Thema Sadomasochismus. Es hätte wahrscheinlich auch eine Geschichte über eine Frau, die sich einen Harem hält, oder die Geschäftsfrau, die ein Bordell für Frauen führt, sein können. Also etwas jenseits von Blümchensex, ungewöhnlich genug, um zu faszinieren und die „Massen“ zu mobilisieren und vor allem tiefe, innere Bedürfnisse zu wecken und zum Vorschein zu bringen. Auch wenn das dem ein oder anderen aufgrund der Trivialität der Geschichte im ersten Moment zu weit gehen mag, geht es doch In letzter Konsequenz um das Thema der sexuellen „Befreiung“, und zwar von Frau und Mann beziehungsweise des weiblichen und männlichen Prinzips. Aus unserer Sicht eine essenzielle Voraussetzung für wirkliche tiefe Liebe und Sexualität zwischen Mann und Frau.
Geschützt durch den Hype und die Massenbewegung, können sich noch mehr Frauen mit ihren sexuellen Wünschen und Bedürfnissen beschäftigen. Die Geschichte ist dabei nur ein Platzhalter. Ein Platzhalter für den Ausbruch aus den Konventionen, Anderssein, Verbotenes tun, (s)experimentieren, für uns Frauen auch ein Stück Befreiung aus der Rolle der Eva hin zur Lilith – der zweiten, wilden Seite der Weiblichkeit.
Die Frage ist erlaubt, wie aus solch einer platten, trivialen Geschichte ohne jeglichen literarischen Anspruch und Tiefgang irgendeine wie auch immer geartete Erkenntnis oder Wahrheit für die Menschheit beziehungsweise Liebesbeziehungen herauskristallisiert werden kann? Das ist ja wie im Kaffeesatz lesen. Ganz genau! Deshalb geht es in unserem Buch nicht um die Geschichte zwischen Anastasia und Christian als solche oder allgemein um SM-Praktiken, sondern um die Facetten, die sie in uns allen auf unterschiedliche Art und Weise zum Vorschein bringt. Es geht darum, diesen Hype nicht ungenutzt für uns und unsere Beziehungen verstreichen zu lassen. Alle Massenbewegungen haben einen tiefen Antrieb, zum Beispiel den nach Veränderung, Zugehörigkeit, intensiven Gefühlen. Und es ist wichtig, selbst für sich herauszufinden, warum mich etwas magisch anzieht und fasziniert oder angewidert abstößt. Denn darin liegt keine allgemeingültige Wahrheit von richtig und falsch, sondern eine ganz persönliche, individuelle und einzigartige Befindlichkeit. Diese für sich zu entdecken ist einer der wichtigsten Schlüssel für ein freudvolles Leben, liebevolle Beziehungen, freie Sexualität und mehr Frieden in der Welt.
Die Facetten, die wir in Kapitel 1 aufzeigen, erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, dazu ist der Mensch viel zu vielschichtig. Wir haben aufgrund unserer eigenen Erfahrung in der Arbeit mit unseren Klienten und durch diverse Interviews die Facetten herausgefiltert, die sich öfters zeigen und einen roten Faden erkennen lassen. Entscheidend ist, diese Facetten und ihre Beschreibung zu nutzen, um die Idee dahinter zu verstehen. Wann immer uns etwas fasziniert oder abstößt, das heißt, wann immer uns etwas in eine intensive oder zumindest spürbare Emotion und ein inneres Erleben bringt, können wir davon ausgehen, dass es etwas in uns selbst in Resonanz bringt. Dabei bleibt es nicht aus, dass wir an der ein oder anderen Stelle unseres Buches verallgemeinern und generalisieren, um Aspekte deutlich zu machen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Unser Anliegen ist es, Neugier zu wecken, neue Blickwinkel möglich zu machen und vielleicht den ein oder anderen Aha-Effekt oder ein „Ist ja interessant“ zu erzeugen.
Denn nicht der Film, das Buch oder die Geschichte an sich bringt diese polarisierenden Gedanken, Meinungen, Bewertungen und Gefühle hervor, sondern die ganz individuelle und persönliche Art, wie einzigartig Sie und wir darüber denken und urteilen. Und diese Gedanken und Urteile resultieren aus unserer ganz persönlichen und einzigartigen Erfahrung und Biografie. Habe ich also im Laufe meines Lebens als Frau zum Beispiel eher schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht, wird mein Urteil über diese Geschichte und das daraus resultierende Gefühl ein anderes sein als bei denen, die ein positives Männerbild haben. Dies gilt umgekehrt genauso für die Männer.
Uns geht es darum, unterschiedliche Sichtweisen zu beleuchten und Sie als Leserin und Leser dazu anzuregen, Ihre eigenen tiefer liegenden Gefühle und Antriebe zu verstehen und Ihnen bewusst zu machen. Wenn wir selbst erkennen, wie wir über bestimmte Dinge denken und fühlen, und aus dieser Erkenntnis heraus beginnen, uns selbst und unsere Bedürfnisse wahr- und wichtig zu nehmen und auch etwas daran zu verändern, können wir persönlich und auch in unseren Beziehungen wachsen.
Das, was wir mitunter als Binsenweisheit abtun oder als Kalenderspruch überlesen, birgt doch auch eine Wahrheit. Der Satz, dass die Medaille zwei Seiten hat, ist ja zuerst einmal logisch, im übertragenen Sinn definiert er die Polarität und die Dualität unserer Welt. Vom Großen zum Kleinen können wir in allem immer wieder die Polarität entdecken.
Die unterschiedlichen Pole, welche die Geschichte um „Fifty Shades of Grey“ aufzeigt, betreffen sowohl die Unterschiede zwischen Mann und Frau als auch die innerhalb der Geschlechter. Da finden wir zum einen die weibliche Faszination, zum anderen die weibliche Abscheu. Und es zeigt sich die männliche Faszination sowie die männliche Abscheu. Diese verschiedenen Trigger und diese Polarisierung, die weltweit die Geister scheidet und die Gemüter erhitzt, wollen wir beleuchten. Denn sie beschreiben auf eine faszinierende Weise uns Menschen, unsere Art, Beziehungen zu führen, und wie wir leben und lieben. Uns wurde bewusst, dass wir aus dieser Geschichte beziehungsweise dem Hype darum viel Erhellendes und damit Positives für unsere Beziehungswelt extrahieren können. Wir haben im Folgenden verschiedene Aspekte hervorgehoben, die bei vielen der Menschen, mit denen wir gesprochen haben, starke oder zumindest spürbare Gefühle hervorgebracht haben. Löst ein Reiz, ein Umstand oder eine Situation, das heißt etwas, das wir mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen, eine Emotion in uns aus, und zwar unabhängig, ob negativ oder positiv, hat diese immer mit uns ganz persönlich zu tun. Die unterschiedlichen Gefühlsbeschreibungen und Trigger, die wir ausgewählt haben, können und wollen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, dazu ist der Mensch zu vielschichtig. Sie dienen letztendlich als Ideen, um diese verschiedenen inhaltlichen Gefühlsbeschreibungen deutlich zu machen. Vielleicht werden Sie sich als Leserin und Leser an der einen oder anderen Stelle wiederfinden, vielleicht werden Sie aber auch einen ganz neuen und unbekannten anderen Aspekt, der hier nicht beschrieben ist, für sich entdecken. Wir wollen Sie als Leser und Leserin anregen, das grundsätzliche Prinzip dahinter zu erfahren. Das Prinzip, dass die Wahrnehmung und Bewertung unserer Welt, der äußeren Umstände und unserer Erlebnisse eine sehr persönliche Angelegenheit ist.
Millionen Frauen weltweit machten den Roman „Fifty Shades of Grey“ zu einem Weltbestseller und den Film zu einem Blockbuster. Es gibt Jahr für Jahr Tausende von Frauenromanen und Liebesfilmen, die mehr oder weniger Anklang finden. Doch hier scheint etwas besonders oder zumindest anders zu sein! Welche Faszination löste der Hype um diese Geschichte bei Frauen aller Altersgruppen, Hautfarben, Gesellschaftsschichten und Nationalitäten aus? Welches sind einige der unterschiedlichen Empfindungen, Meinungen und vor allem versteckten Bedürfnisse und Antriebe, die durch die Faszination sichtbar werden?
Es ist seit „Dirty Dancing“ und „Pretty Woman“ einer der Filme beziehungsweise eine der Geschichten, die bei Frauen weltweit in allen Altersgruppen und sozialen Schichten diese Art von Hype ausgelöst haben. Wie könnten die Frauen dieser Welt je die Gefühle vergessen, die der berühmte Satz „Mein Baby gehört zu mir“ von Patrick Swayze ausgelöst hat? Oder das Bild von Richard Gere aus den Köpfen löschen, als er trotz Höhenangst mit roten Rosen in der Hand die Feuerleiter für Julia Roberts erklomm? Was steckt hinter dieser vielleicht kindlich anmutenden Sehnsucht nach dem „Prinzessinsein“ – nach dem „Gerettetwerden“ oder „diejenige zu sein, die den Helden ganz für sich gewinnt“? Warum ist das tiefe und heutzutage oft verleugnete Bedürfnis vieler Frauen, das Wichtigste im Leben eines Mannes, seine Göttin zu sein, so groß?
Wir können auch diesen Aspekt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Im tiefsten Innern wünschen wir Menschen uns vor allem eins (und zwar unabhängig, ob Mann oder Frau): gesehen zu werden, Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Liebe und Zuwendung zu erfahren. Das ist ein Grundbedürfnis, das wir alle in uns haben. Als Babys und Kleinkinder hängt unser Überleben davon ab, ob unsere Eltern sich für uns interessieren und uns alles angedeihen lassen, was wir brauchen. Wir sind anders als andere Säugetiere sehr lange abhängige Wesen. Es gab Gerüchte von grausamen Experimenten in der Zeit Friedrichs II. Die Idee war, Säuglingen alle notwendigen Maßnahmen, wie Essen, Trinken, Wärme und Sauberkeit, angedeihen zu lassen, allerdings keine Zärtlichkeit, emotionale Zuwendung oder Ansprache. Viele der Kinder sollen gestorben sein oder hatten zeit ihres Lebens mit dieser Erfahrung zu kämpfen. Ob Gerücht oder grausige Wahrheit, scheint es doch, dass nicht nur die reine materielle Versorgung entscheidend für unser Wohlbefinden und unsere emotionale Gesundheit ist, sondern insbesondere die Liebe und Aufmerksamkeit, die wir von unserem Umfeld erfahren.
Es liegt in der Natur der Sache, dass wir von diesem Lebenselixier alle nicht genug bekommen haben. Unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern übrigens auch nicht. Paradoxerweise empfinden dies sogar die Kinder, die von ihren Eltern als Lebensmittelpunkt betrachtet und mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet werden, so. Offensichtlich ist es nicht möglich, einem anderen Menschen so viel Liebe und Achtsamkeit zu schenken, dass er sich wirklich voll und ganz und zu jeder Zeit genährt und versorgt fühlt. Es scheint so, dass wir in diesem Bereich alle ein mehr oder weniger großes Maß an gefühlter Unterversorgung aufweisen. Vor allem unser Ego empfindet das so. Dieser Teil in uns hat ständig das Gefühl, zu kurz zu kommen, egal, wie viel wir tatsächlich bekommen.
Ist es ein Klischee oder empfinden Frauen dieses Gefühl oftmals noch stärker als Männer und fordern es auch insbesondere von ihren Männern massiver ein? Warum zerren viele Frauen an ihren Männern, im Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Liebesbeweisen und Nähe?
Die Antwort auf diese Frage hat viel mit den unterschiedlichen weiblichen und männlichen Prinzipien und der entsprechenden Energie zu tun.
Männer und Frauen sind unterschiedlich! Ja, das ist nicht wirklich neu. Eines jedoch vorweg: Nach unserer Überzeugung gibt es keine typischen weiblichen oder männlichen Talente, Fähigkeiten oder Ressourcen. Wir kommen alle „full stuffed“, das heißt komplett ausgerüstet auf diese Welt. Welche Talente und Fähigkeiten sich in unserem persönlichen Leben zeigen, aufblühen und entwickeln, hat dann ganz viel mit der Förderung, Konditionierung und Prägung zu tun und nur wenig mit dem Geschlecht. Was die Wissenschaft an unterschiedlichen Stellen nachhaltig belegt hat und sich in unserer Gesellschaft ja auch immer mehr zeigt. Uns ist das wichtig im Hinblick auf Vergleiche und um die Idee von „besser“ und „schlechter“ aufzulösen. Wir sind an manchen Stellen einfach nur unterschiedlich und anders, und das ist nicht nur gut, sondern auch sehr intelligent.
Uns geht es vielmehr um die weibliche und männliche Energie beziehungsweise das weibliche und männliche Prinzip. Das Weibliche und das Männliche sind zwei gleichwertige Seiten einer Medaille, zwei Hälften eines Ganzen, die sich im Idealfall wunderbar ergänzen. An kaum einer Stelle wird das Gesetz der Dualität so deutlich wie bei Mann und Frau. Zwei sich ergänzende Teile, die zu einem Ganzen verschmelzen, und zwar nicht nur sinnbildlich, sondern auch wirklich und sinnlich konkret.
Das Weibliche steht hierbei in der Dualität für Nähe und das Aufnehmende und Passive, das Männliche für die Distanz und für das Gebende, Eindringende und Aktive. Was sich in der körperlichen Vereinigung deutlich zeigt, ist auch auf der emotionalen Ebene spürbar. Auch wenn Männer das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Nähe, Wertschätzung und Bestätigung ebenso in sich tragen, ist es doch in der gelebten Realität oft mehr ein weibliches Bedürfnis.
Die Problematik an diesem Umstand ist, dass wir, wie bereits erwähnt, in dieser Bedürftigkeit nach Liebe und Aufmerksamkeit von anderen immer zu kurz kommen. Nicht weil andere uns diese Bedürfnisbefriedigung vorsätzlich vorenthalten, sondern weil das Pferd von hinten aufgezäumt wird. Die einzige Art, unsere Bedürfnisse tatsächlich zu nähren und uns gesättigt und voll zu fühlen, ist der Weg von innen nach außen. Spüre ich keine Wertschätzung für mich selbst und bin ich auch nicht bereit, Wertschätzung zu geben, so wird die Wertschätzung, die ich von anderen bekomme, nie wirklich erfüllend sein. Erst wenn ich die Chronologie von innen nach außen beherzige, kann das, was ich von anderen bekomme, als Sahnehäubchen meine Torte verzieren, ohne von ihr aufgesogen zu werden.
Bei sehr vielen Frauen wird durch eine Geschichte, wie sie in „Fifty Shades of Grey“, „Pretty Woman“ oder „Dirty Dancing“ beschrieben wird, eine innere Sehnsucht spürbar und diese Seite zum Klingen gebracht. Die Sehnsucht, die Einzige für ihn zu sein, seine ganze Aufmerksamkeit zu bekommen, weil wir etwas Besonderes (für ihn) sind, wird als starkes inneres Bedürfnis spürbar. Das ist an sich kein Problem, wenn die Befriedigung dieses Gefühls nicht von einem anderen abhängig ist. Und dazu darf es uns erst einmal bewusst werden.
Viele Frauen und Männer verspüren auf der einen Seite das große Bedürfnis nach Nähe, Liebe und Aufmerksamkeit durch einen anderen Menschen, können es aber häufig gar nicht annehmen, wenn sie es dann tatsächlich bekommen. Ein scheinbares Paradoxon. Nein – nicht wirklich! Denn es bestätigt ein Lebensprinzip – das Prinzip, dass ich nur so viel von einer Qualität von außen aufnehmen kann, wie ich selbst bereits für mich selbst in mir trage.
Erleben wir diesen Wunsch nach Aufmerksamkeit und Wichtigkeit also aus einem Gefühl von Verbundenheit und Wertschätzung mit uns selbst, verliert dieses Gefühl an Bedürftigkeit. Dann können wir uns und anderen, von innen nach außen, Wichtigkeit und Aufmerksamkeit schenken und es in vollen Zügen genießen, wenn wir es empfangen.
Bei dem ganz individuellen Maß der Bedürftigkeit nach Anerkennung, Aufmerksamkeit und Wertschätzung scheinen die Väter eine große Rolle zu spielen. Schon Sigmund Freud beschäftigte sich mit der Rolle, die der Vater für die Tochter und damit für die Entwicklung jeder einzelnen Frau spielt. Der Vater ist der erste und wichtigste Mann im Leben einer Frau. Die Art des Verhältnisses zwischen Vater und Tochter scheint im Erwachsenenalter eine große Rolle zu spielen, und zwar sowohl bezüglich der Partnerwahl als auch des grundsätzlichen Verhältnisses zu Männern. Als Töchter haben und hatten wir im Prinzip drei Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit unseres oftmals eher distanzierten Vaters zu bekommen:
a) Seine Prinzessin sein
In dieser Rolle versucht das kleine Mädchen alles, um ihrem Papa, ihrem Helden zu gefallen. Ob optisch oder durch ihr Verhalten, sie will von ihm bewundert und beachtet werden. Denn nicht nur, dass er zu dieser Zeit der wichtigste Mensch und Mann in ihrem Leben ist, sie will auch der wichtigste Mensch in seinem Leben sein. Heiraten wird sie ihn sowieso irgendwann. Da wird die Mutter mitunter sogar als störende Konkurrentin empfunden. Da kein Mann und Vater dieses kindliche Bedürfnis wirklich erfüllen kann, kommt das kleine Mädchen irgendwann auf dem Boden der Tatsachen an. Und selbst als erwachsene Frau, unabhängig, ob der Vater noch lebt oder nicht, spürt sie mitunter diese tiefe Sehnsucht nach der Liebe und ungeteilten Aufmerksamkeit des Vaters.
b) Mit Leistung glänzen
Während die Strategie des Gefallens und Bewundertwerdens durch den Vater mehr aus früheren Epochen stammt, wird in der heutigen Zeit und Gesellschaft das Thema „Leistung“ immer präsenter. „Papa, schau, was ich alles kann. Ich bin die Beste und besser als alle anderen. Du kannst stolz auf mich sein.“ Eine Tugend, die im Erwachsenenalter mitunter zum Fluch werden und in Perfektionismus und Kontrollsucht ausarten kann. Eine der grassierenden und zerstörerischen „Errungenschaften“ der modernen Frau.
c) Rebellion
Nach dem Prinzip „besser negative Aufmerksamkeit als gar keine“ wird hier mit Provokation, Anderssein und Ausbruch aus dem Wertesystem und den Konventionen des familiären Establishments gearbeitet. Schlechte Noten, grüne Haare oder die falschen Freunde, egal was, Hauptsache, es hilft, eine Reaktion auszulösen.
Alle drei Strategien haben eines gemeinsam: Sie sind unbewusst entwickelt worden, machen uns unfrei und ketten uns an das Verhalten des Vaters. Unglücklicherweise ist dies kein kindliches Phänomen, das mit der Pubertät, dem Auszug aus dem Elternhaus oder der Heirat und dem Mutterwerden enden würde. Klären wir diese Mechanismen nicht im Erwachsenenalter, binden sie uns unter Umständen ein Leben lang und beeinflussen auch die Beziehung zu anderen Männern, selbst wenn der Vater schon längst nicht mehr auf Erden wandelt.
Das Bedürfnis, vom Partner oder Männern im Allgemeinen bewundert und mit Aufmerksamkeit überschüttet zu werden, ist also sehr zweischneidig. Es liegt in der Natur der Sache, dass kein Vater und Mann diesen Wunsch allumfassend erfüllen kann. Tragischerweise verstärkt dieser Umstand in vielen Frauen das Gefühl, nicht liebenswert und wichtig genug zu sein. Genau hier ist der Hebel von „Fifty Shades of Grey“, der bei vielen Frauen und ihrer Sehnsucht nach ungeteilter Liebe ansetzt.
Doch nicht nur das Verhältnis zum Vater, sondern auch Erziehung im Allgemeinen spielt eine große Rolle in Bezug auf das weibliche Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl. Mädchen und Jungen werden, auch wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten viel verändert hat, nach wie vor unterschiedlich erzogen. Auch wir haben dies bei uns und unseren Kindern festgestellt. Obwohl wir die besten Vorsätze hatten, es anders zu machen, haben auch wir uns dabei ertappt, von unserer Tochter in manchen Situationen mehr zu erwarten als von unserem Sohn. Unsere alte Prägung hat ihre Wirkung noch nicht verloren, auch wenn sie bereits abgeschwächt ist in Bezug auf die Generation davor. Nach wie vor werden Mädchen mehr zu Zurückhaltung, Anpassung und Fokussierung auf das Wohl anderer ermutigt als zu Selbstbewusstsein und positiver Ichbezogenheit. Mit der Konsequenz, dass viele Frauen sich selbst und ihren Bedürfnissen nicht trauen, ihren Selbstwert vom Verhalten und der Wertschätzung anderer abhängig machen und sich, ihren Partner und ihre Beziehungen oftmals damit überfordern, was sich glücklicherweise verändern lässt.
Alle hier beschriebenen Aspekte führen dazu, dass Frauen im Erwachsenenalter oft von Selbstzweifeln und Selbstkritik geplagt werden und das Sehnen nach Anerkennung und Ermutigung durch andere groß ist. Auch das Bedürfnis, sich in Hinblick auf die Weiblichkeit und Attraktivität zu vergleichen und sich von Idealen anderer steuern zu lassen, ist eher ein weibliches Thema.
Die Geschichte von Christian Grey und Anastasia Steele bedient also einige unserer tief liegenden weiblichen Bedürfnisse und Sehnsüchte nach Aufmerksamkeit und dem Wunsch, die eine zu sein. Er umgarnt sie, er beeindruckt sie, er vernachlässigt sein erfolgreiches Business für sie, er jettet für sie durch die Weltgeschichte, beschützt sie, beschenkt sie. Sie ist sein Lebensinhalt, das, um das sich alles dreht.
Und Stück für Stück verändert er sich für sie und durch sie. Dies stellt quasi die Krönung der Anerkennung und Wertschätzung dar. Viele Frauen fühlen sich in ihrem Inneren stark von dieser romantischen Vorstellung angesprochen, ihn zu verwandeln und zu retten. Die Liebe und der damit verbundene Einfluss scheint so groß, dass er bereit ist, seine alte Welt für sie aufzugeben, seine Wunden zu heilen und sich auf ihre Welt einzulassen. Welch größeren Liebesbeweis könnte es geben.
Eines haben wir in den vielen Gesprächen mit Frauen zu diesem Aspekt des „Prinzessin oder seine Göttin sein“ festgestellt: Ganz unabhängig, ob die hier beschriebenen Facetten von den Frauen gefühlt und als ein Teil ihrer persönlichen Wahrheit entdeckt wurden oder ob es als nicht zutreffend abgetan wurde – wann immer dieser Aspekt Frauen emotional berührte, waren sie darin verstrickt. Jede Emotion, ob negativ oder positiv, ist ein Ausdruck der eigenen Resonanz auf das Wahrgenommene. Und sobald die Verstrickung entdeckt, die individuelle Bewertung, die dieser zugrunde liegt, entlarvt und die Gefühle darunter wahrgenommen werden, kann Heilung und Veränderung stattfinden.
Wir leben in einer dualen Welt, die unaufhörlich von ihren Gegensätzlichkeiten und unterschiedlichen Polen im Gleichgewicht gehalten wird. So, wie es hell und dunkel, oben und unten, Süd- und Nordpol und Tag und Nacht gibt, so gibt es auch, wie schon die Chinesen vor mehr als 2.500 Jahren wussten, ein Ying und Yang – ein weibliches und ein männliches Prinzip. Dargestellt in dieser Form, in der sich das eine im anderen widerspiegelt. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Wann immer eine Seite der Polarität überwiegt oder dominiert, gerät das System ins Ungleichgewicht.
Das weibliche Prinzip steht für Annahme und Hingabe, für das Rezeptive, Passive und Aufnehmende, für das Kreative und Überfließende. Beim weiblichen Prinzip geht es nicht nur um die Frau als solche, sondern insbesondere um die weiblichen Qualitäten, die übrigens auch in jedem Mann vorhanden sind. Auch jeder Mann hat einen weiblichen Teil, eine Anima, so wie jede Frau einen männlichen Teil, einen Animus, in sich trägt.
Interessant ist, dass Frauen in der Regel ein geringeres Problem mit diesem Aspekt haben als Männer. Das liegt vor allem daran, dass in unserer Gesellschaft das männliche Prinzip einen sehr hohen Stellenwert auch bei Frauen genießt. Das männliche Prinzip steht für Aktivität, Zielgerichtetheit, Dynamik und auch Aggression. Aggression ist nicht per se negativ, sondern in ihrer Essenz eine treibende Kraft, solange sie nicht in den negativen Pol der Gewalt umschlägt. Diese nach außen gerichtete, aktive und dynamische männliche Energie hat momentan noch einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft als das Weibliche. Wird sie doch mit den in unseren Breiten so wichtigen Werten wie Durchsetzungsvermögen, Struktur und Erfolg in Verbindung gebracht.
Demzufolge fühlen sich viele Frauen, denen männliche Attribute zugesprochen werden, eher aufgewertet, wohingegen Männer, denen man weibliche Qualitäten oder Attribute attestiert, sich eher in die Ecke des Weicheis oder der Homosexualität gedrängt fühlen. Es bringt jedoch das Dilemma auf den Punkt. Nicht nur dass unsere Welt und unsere Gesellschaft unter dem immer noch herrschenden Ungleichgewicht zwischen dem männlichen und weiblichen Prinzip zu kämpfen haben, bringt es auch die Frauen immer mehr in ein Ungleichgewicht. Eine Gesellschaft, die auch den Frauen immer mehr männliche Qualitäten und Eigenschaften abverlangt, führt dazu, dass sich das Weibliche mehr und mehr verschließt. Das Ergebnis sind harte und toughe Frauen, die ihren Mann stehen, ihre Weiblichkeit und Libido verlieren und die besseren Männer werden.
Die Emanzipation und die Frauenrechtsbewegung des letzten Jahrhunderts waren eine herausragende Errungenschaft für die Frauen in unserer Gesellschaft. Da hat sich vieles zum Positiven verändert. Auch wenn dort noch einiges zu tun ist, wurde doch auf fast allen Ebenen für die gleichen Rechte von Männern und Frauen gesorgt.
In einem anderen Bereich hat sich allerdings noch nicht viel bewegt. Denn die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird erst dann zur wirklich wunderbaren Errungenschaft werden, wenn der Gedanke und das Gefühl von Gleichwertigkeit zwischen dem weiblichen und männlichen Prinzip wirklich ins Bewusstsein von Männern und Frauen dringt und zu einer Haltung wird. Damit Männer wirklich Männer und Frauen wirklich Frauen sein können, dürfen sich beide im tiefsten Innern ihres Herzens als gleichwertig wahr- und annehmen. Leider hat das jahrtausendealte Patriarchat und die Macht der religiösen Institutionen zum Gegenteil beigetragen. Es gilt einen neuen Weg einzuschlagen. Einen Weg, auf dem Männer und Frauen die weiblichen und männlichen Qualitäten anerkennen, wertschätzen, sich auf Augenhöhe sehen und als zwei ebenbürtige, sich ergänzende und sich bedingende Teile eines Ganzen betrachten. Erst dann wird der „Geschlechterkampf“ wirklich enden. Zum Wohle aller. Denn paradoxerweise gereicht die noch herrschende männliche (Über-)Macht für beide Geschlechter zum Nachteil.
Solange in den Köpfen von Männern und Frauen allerdings noch der Gedanke vorherrscht, dass das Männliche dem Weiblichen überlegen wäre, werden wir nicht nur weiter Unterdrückung, Krieg und Armut auf der Welt erleben, sondern auch mit unbefriedigenden (Liebes-)Beziehungen, frustrierender Sexualität, zwischenmenschlichen Konflikten und fehlender Liebe zu tun haben.
Keinen Sinn macht es hier und heute, den Schwarzen Peter nur den Männern zuzuschieben. Es darf akzeptiert und angenommen werden, dass sowohl die männlich dominierten Strukturen als auch die weibliche Opferhaltung ihren Teil zu dieser Entwicklung und diesem Ungleichgewicht beigetragen haben. Es geht hier weder um richtig und falsch noch um Schuld und Unschuld. Es geht darum, das Erbe der Vergangenheit durch eine klare Vision auf eine ausgeglichene, liebevolle und positive männliche und weibliche Zukunft im Heute zu verändern.
Einer der großen Schlüssel dieser Veränderung liegt in den weiblichen Händen, und da kann der Hype um die Geschichte von „Fifty Shades of Grey“ tatsächlich ein Meilenstein sein. Ja tatsächlich – diese triviale Geschichte um Unterwerfung und Dominanz. Eine Geschichte über die scheinbare Macht des Mannes über die Frau soll einen Paradigmenwechsel im Bewusstsein der Gleichwertigkeit der Geschlechter einleiten? Das kann doch wohl nur ein schlechter Witz sein, oder? Wie kann diese Geschichte helfen, das weibliche Selbstverständnis zu stärken und die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zu befördern? Es scheint doch eher in die gegensätzliche Richtung zu gehen.
Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen, dass in den meisten SM-Beziehungen, deren Beteiligte wir kennenlernen und auch interviewen durften, der devote Partner im Zentrum des Liebesspiels steht. Er oder sie entscheidet, bis zu welchem Punkt der Reiz getrieben wird. SM-Paare gehen in der Regel sehr achtsam mit dieser Art von Sexualität und ihrem Partner um. Es hat in der Regel nichts mit Gewalt zu tun, denn die Dinge passieren in Übereinstimmung und freiwillig.