Über dieses Buch

Cover

Ein Vergnügen für jeden, der etwas gegen seine Vorurteile tun will. Barley, der witzige, kluge Querschläger unter den ethnologischen Schriftstellern, erzählt seine Expedition ins kamerunische Hügelland. Komisch und ohne Angst vor der Blamage. Ehrlicher und amüsanter hat wohl noch kein Ethnologe von seinem Tun und Treiben berichtet.

Nigel Barley

Nigel Barley (*1947) studierte moderne Sprachen und Ethnologie in Cambridge und Oxford. In den Siebzigerjahren betrieb er Feldforschung im Norden Kameruns beim Volk der Dowayo. Von 1981 bis 2003 war er am British Museum in London tätig.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

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Nigel Barley

Die Raupenplage

Von einem, der auszog, Ethnologie zu betreiben

Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1986 unter dem Titel A Plague of Caterpillars. A Return to the African Bush bei Viking Penguin Inc., New York.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1989 bei Klett-Cotta, Stuttgart.

Originaltitel: A Plague of Caterpillars. A Return to the African Bush (1986)

© by Nigel Barley 1986

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30595-3

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Version vom 01.08.2020, 21:26h

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1

Wiedersehen mit Duala

Sie sind also noch nie in unserem Land gewesen?« Der Grenzbeamte musterte mich misstrauisch und durchblätterte lustlos meinen Pass. Schweißflecke, die im Umriss dem afrikanischen Kontinent glichen, breiteten sich auf seinem Hemd unter den Achselhöhlen aus; denn in Duala war die heiße, trockene Jahreszeit auf ihrem Höhepunkt. Jeder einzelne Finger hinterließ einen braunen schweißigen Abdruck auf den Seiten.

»So ist es.« Ich hatte es mir längst zur Regel gemacht, afrikanischen Beamten nie zu widersprechen. Der Aufwand an Zeit und Kraft war am Ende mit Sicherheit größer, als wenn man Fügsamkeit bewies und einfach nur zustimmte. Ein alter französischer Kenner der Kolonien hatte mir das als Verfahren erläutert, »die Tatsachen mit der Bürokratie in Einklang zu bringen«.

In Wahrheit war es nicht mein erster, sondern mein zweiter Besuch im Land. Beim ersten Mal hatte ich achtzehn Monate in einem Bergdorf im Norden verbracht, wo ich als Ethnologe vom Dienst einen heidnischen Stamm erforschte. Da indes mein Pass von den mit allen Wassern gewaschenen Ganoven Roms gestohlen worden war, gab es kein Belastungsmaterial in Form alter Sichtvermerke, das mich hätte verraten können. Ich beglückwünschte mich zu der nichtssagenden Unauffälligkeit meines hübschen neuen Passes. Schwierigkeiten waren damit eigentlich nicht zu befürchten. Falls ich mich zu meinem früheren Aufenthalt im Land bekannte, würde man sogleich von mir verlangen, dass ich mich auf eine Orgie bürokratischer Aktivitäten einließ, Ein- und Ausreisedaten lieferte, die Anzahl früherer Sichtvermerke angab usw. Dass es schlicht unsinnig war, von einem einfachen Reisenden zu erwarten, er müsse all das im Kopf haben, würde mir dabei als Entschuldigung nicht helfen.

»Warten Sie hier.« Mit herrischer Gebärde wurde ich zur Seite gewinkt, woraufhin mein Pass weggebracht wurde und hinter einem Wandschirm verschwand. Ein Gesicht tauchte über dem Wandschirm auf und musterte mich prüfend. Ich hörte das Rascheln von Buchseiten. Ich stellte mir vor, wie in den dicken Verzeichnissen unerwünschter Personen, die ich in der Kameruner Botschaft in London gesehen hatte, nach meinem Namen gesucht wurde.

Der Beamte kam zurück und fing an, die Reisepapiere eines Libyers von zutiefst zwielichtigem Aussehen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Dieser Herr behauptete, »Generalunternehmer« zu sein, und besaß eine unwahrscheinliche Menge Gepäck. Mit atemberaubender Unverfrorenheit gab er als Grund für seinen Aufenthalt »die Suche nach geschäftlichen Gelegenheiten zum Nutzen des kamerunischen Volkes« an. Zu meinem großen Erstaunen wurde er ohne Weiteres durchgewinkt. Dann folgte eine ganze Kette schräger Vögel, ein grotesker Aufmarsch von Dieben, Schwindlern, Kunsthändlern – alle als Touristen verkleidet. Sie alle wurden unbesehen durchgelassen. Schließlich war nur ich noch da.

Der Beamte durchwühlte gemächlich meine Papiere. Er hatte es nicht eilig. Als er seine Machtstellung mir gegenüber zu seiner Zufriedenheit etabliert hatte, schenkte er mir einen Blick, der von hochnäsiger Durchtriebenheit troff. »Auf Sie, Monsieur, wartet der Chefinspektor.«

Ich wurde durch eine Tür einen Korridor entlanggeführt, der eindeutig nicht für den Publikumsverkehr bestimmt war. In einem kahlen Raum, dem jeder Komfort fehlte, wies man mir einen harten Sitzplatz an. Das Linoleum war abgewetzt und trug die Spuren unzähliger Schandtaten. Es herrschte eine glühende Hitze.

In Sachen Gewissen haben wir alle ein überzogenes Konto. Sobald uns eine Autorität auch nur anschaut, werden tiefe Schuldgefühle in uns aufgerührt. In diesem Fall war meine Position mehr als nur ein bisschen wacklig. Während meines ersten Aufenthalts bei den Dowayos, meinem Bergstamm, hatte ich erfahren, was für eine zentrale Bedeutung für die ganze Stammeskultur die Beschneidungszeremonie besaß. Aber da diese nur in Abständen von sechs oder sieben Jahren stattfindet, hatte ich sie nie erleben können. Gewiss, ich hatte Schilderungen davon notiert und Teile der Zeremonie, die bei anderen Festen wiederkehren, fotografiert. Aber die Sache selbst war mir entgangen. Durch Kontakte, die ich am Ort hatte, war mir vor einem Monat die Nachricht zugegangen, dass die Zeremonie unmittelbar bevorstand. Wer konnte sagen, wann sie wieder einmal stattfinden würde – wenn überhaupt? Es war eine einzigartige Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen durfte. Frühere Erfahrungen hatten mich gelehrt, dass ich keine Chance hatte, rechtzeitig die Erlaubnis für die Durchführung einer behördlich genehmigten ethnologischen Feldforschung zu bekommen; deshalb reiste ich als einfacher Tourist ins Land ein. Ich selbst machte mir daraus kein Gewissen; ich tat nur, was alle Touristen taten – ich fotografierte. Bei der Zeremonie würden garantiert noch andere Touristen anwesend sein und fleißig Bilder fürs Album zusammenknipsen. Es war nicht einzusehen, warum mir, dem Ethnologen, verboten sein sollte, was jedem Buchhalter im Urlaub erlaubt war.

Aber nun war klar, dass sie Bescheid wussten. Wie hatten sie es herausgefunden? Ich konnte nicht glauben, dass all die Papiere, die ich in der Botschaft und am Flughafen hatte ausfüllen müssen, jemals von jemandem gelesen worden waren. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich ja noch 1500 Kilometer vom Gebiet der Dowayos entfernt war und mich deshalb eines großen Vergehens noch nicht schuldig gemacht haben konnte.

Das Wartezimmer des Chefinspektors ist nicht der allerbeste Aufenthaltsort. Es ist geeignet, sogar das heiterste Gemüt mit Verzweiflung zu erfüllen. Die lange Wartezeit lieferte neuen Stoff für paranoische Ängste. Ich fing an, um mein Gepäck zu fürchten. (Vor meinem inneren Auge tauchten grinsende Zollbeamte auf, wie sie in meine Koffer griffen und meine Gewänder unter sich aufteilten. »Hier. Dieses Gepäck hat niemand abgeholt. Wir können es uns nehmen.«)

Endlich führte man mich in ein spartanisch eingerichtetes Büro. Hinter dem Tisch saß ein gepflegt aussehender Mann mit soldatischem Schnurrbart und entsprechender Haltung. Er rauchte eine lange Zigarette, deren Rauch sich zu einem eiernden Deckenventilator hinaufkräuselte, der niedrig genug hing, um jeden nordischen Unhold, der den Raum betrat, zu enthaupten. Ich war unentschlossen, ob ich die beleidigte Unschuld spielen oder es mit französischer Kameraderie versuchen sollte. Da ich nicht wusste, was gegen mich vorlag, schien es mir das Beste, auf »bekloppter Engländer« zu machen. Die Engländer sind tatsächlich in der glücklichen Lage, von den meisten Völkern für ein bisschen absonderlich und für völlig hoffnungslos in bürokratischen Dingen gehalten zu werden.

Der adrette Beamte schwenkte meinen Pass, der bereits von Zigarettenasche grauweiß bestäubt war.

»Monsieur, das Problem heißt Südafrika.«

Ich war ehrlich verblüfft. Was war passiert? Sollte ich als Vergeltung dafür ausgewiesen werden, dass irgendeine englische Cricket-Mannschaft in Südafrika fraternisiert hatte? Hielt man mich für einen Spion?

»Aber ich habe keinerlei Verbindungen zu Südafrika. Ich bin da nie gewesen. Ich habe dort nicht einmal Verwandte.«

Er seufzte. »Wir gestatten niemandem den Eintritt in unser Land, der die faschistische, rassistische Clique unterstützt, die jenes Land terrorisiert und sich den gerechten Forderungen der unterdrückten Völker widersetzt.«

»Aber…« Er hob die Hand.

»Lassen Sie mich ausreden. Um zu verhindern, dass wir in Erfahrung bringen, wer jenes unselige Land besucht hat und wer nicht, sind viele Regime so töricht, ihren Bürgern nach einem Aufenthalt in Südafrika neue Pässe auszustellen, damit sich in ihren Ausweispapieren keine verräterischen Visa finden. Sie, Monsieur, hat man mit einem nagelneuen Pass ausgestattet, obwohl ihr vorheriger noch gar nicht abgelaufen war. Für mich ist klar, dass Sie in Südafrika waren.«

Eine Eidechse huschte die Wand entlang und sah mich mit ihren wachen Äuglein anklagend an.

»Aber ich war nicht in Südafrika.«

»Können Sie das beweisen?«

»Natürlich nicht.«

Wir wendeten das logische Problem, wie sich etwas Nichtexistentes beweisen lässt, hin und her, bis der Inspektor – ganz unvermittelt – genug hatte von unserem handgestrickten Philosophieren. Mit wahrem bürokratischem Ingenium brachte er einen Kompromiss in Vorschlag. Ich sollte mündlich meine Bereitschaft zu einer schriftlichen Erklärung erklären, dass ich nie in Südafrika gewesen sei. Das würde reichen. Die Eidechse bekundete durch Nicken ihre begeisterte Zustimmung.

Draußen lag mein Gepäck auf einem Haufen, ausgesondert und zur Seite gedrängt. Als ich mich danach bückte, um es zur Zollabfertigung zu tragen, packte mich ein Mann von gewaltigem Umfang am Arm. »Pst, patron«, hauchte er. »Sie fliegen morgen in die Hauptstadt weiter?« Ich nickte.

»Fragen Sie, wenn Sie Ihr Gepäck zur Abfertigung bringen oder wenn Sie auf der Rückreise sind, nach mir, Jacquo. Keine Gewichtsbeschränkung. Es kostet Sie nur ein Bier.« Er verdrückte sich.

Der Zollbeamte war beleidigt, weil ich mich so lange bei den Kollegen von der Passbehörde aufgehalten hatte. Missgestimmt weigerte er sich, mein Gepäck auch nur zur Kenntnis zu nehmen, und winkte mich durch zu der Stelle, wo, wie ich wusste, die Taxifahrer lauerten.

Irgendwo in Afrika gibt es sicher Taxifahrer, die nett, friedfertig, intelligent, ehrlich und höflich sind. Nur leider habe ich nie herausgefunden, wo. Der Neuankömmling kann mit ziemlicher Sicherheit damit rechnen, dass er ausgeplündert, übers Ohr gehauen und mit Beschimpfungen überhäuft wird. Bei einem früheren Besuch Dualas, als ich mit der Topografie der Stadt noch unvertraut war, hatte ich ein Taxi genommen, das mich an einen nicht einmal einen Kilometer entfernten Ort bringen sollte. Der Fahrer hatte vorgegeben, der Ort sei gut fünfzehn Kilometer weit weg, hatte einen irrsinnig hohen Fahrpreis verlangt und mich im Kreis herumgefahren, bis ich völlig die Orientierung verlor. Die bezahlte Fahrt hatte er genutzt, um Zeitungen in entlegenen Außenbezirken abzuliefern. Erst als ich mich wieder zurück zum Hotel durchschlagen wollte, erspähte ich plötzlich dessen unverwechselbare Kontur in einer Entfernung von höchstens zehn Minuten Fußweg. In Afrika ein Taxi zu nehmen ist fast immer Schwerstarbeit. Oft ist es viel einfacher, zu Fuß zu gehen.

Ich holte tief Atem und warf mich in die Schlacht. Sofort stürzten sich zwei Fahrer auf mich, die mir mein Gepäck zu entreißen suchten. Gepäck spielt in Westafrika gewöhnlich die Rolle eines Faustpfands, das durch hohe Lösegelder zurückgekauft werden muss.

»Hierher, patron, mein Taxi wartet. Wo gehts hin?«

Ich klammerte mich eisern an mein Gepäck. Die Umstehenden witterten eine interessante Szene, drehten sich um und sahen zu. Ich war für mehrere Stunden der letzte Fahrgast, eine Beute, die man nicht so einfach fahren ließ. Es folgte ein unziemliches Hinundhergeschubse, wobei ich den Knochen spielen durfte, um den sich zwei Hunde streiten. »Sagen Sie beiden, sie sollen abhauen!«, rief ein hilfsbereiter Zuschauer. Wohl wissend, dass dies die zwei dazu bringen würde, gemeinsam gegen mich Front zu machen, wandte ich mich einem dritten Fahrer zu. Sofort brachen die zwei mit dem dritten einen Streit vom Zaun. Ich machte mir ihre Ablenkung zunutze und kämpfte mich zur Tür durch, wo ein vierter Fahrer auf mich lauerte.

»Wo gehts hin?« Ich nannte das Hotel.

»In Ordnung. Ich nehme Sie.«

»Erst machen wir den Preis aus.«

»Sie geben mir Ihr Gepäck. Dann reden wir.«

»Wir reden erst.«

»Ich verlange nur 5000 Francs.«

»Der Fahrpreis beträgt 1200.« Er machte einen geknickten Eindruck.

»Sie waren schon mal hier? 3000.«

»1300.«

Er fuhr mit allen Anzeichen tiefster Erschütterung zurück. »Wollen Sie mich verhungern lassen? Bin ich kein Mensch? 2000.«

»1300. Schon das ist zu viel.«

»2000. Weniger ist ausgeschlossen.« Seine Augen füllten sich mit Tränen der Aufrichtigkeit. Wir hatten unverkennbar eine Verhandlungsebene erreicht, auf der er eine ganze Weile auszuharren gedachte. Ich spürte, wie meine Kraft und Entschlossenheit schwanden. Wir einigten uns auf 1800. Es war, wie gewöhnlich, zu viel.

Das Taxi hatte alles, was man so braucht: ein Radio, aus dem ständig Musik dröhnte, eine Vorrichtung, die das Gezwitscher von Kanarienvögeln ertönen ließ, wenn auf die Bremse getreten wurde, eine Sammlung von Amuletten, die für sämtliche bekannten Formen der Hoffnung und der Verzweiflung das Passende enthielt. Die Griffe zum Öffnen der Fenster waren entfernt. Das Auto schien keine Kupplung zu haben, und der Wechsel in den Gängen war von einem unheimlichen Knirschen begleitet. Die Fahrt selbst bestand, wie üblich, aus einer Folge wüster Beschleunigungen und Notbremsungen.

In Westafrika gibt es ein Bedürfnis, alle Beziehungen bis zum Zerreißen auf die Probe zu stellen, einen unwiderstehlichen Zwang, herauszufinden, wie weit man eigentlich gehen kann. Vielleicht hatte ich bei den Fahrpreisverhandlungen die Hartnäckigkeit übertrieben. Ich sah, wie der Fahrer eine riesige Frau ins Auge fasste, die ihm vom Straßenrand winkte. Er trat voll auf die Bremse. Es gab eine kurze Diskussion, und dann wollte er das ausladende Weib, das eine riesige emaillierte Schale mit Salat trug, ins Auto einsteigen lassen. Ich protestierte. Die voluminöse Dame drängte mit Schale und Schenkeln gegen mich an. Kaltes Wasser schwappte mir aufs Bein. »Sie hat fast den gleichen Weg. Keine Mehrkosten für Sie.« Er sah gekränkt aus. Die Dame versuchte, mir einen Salatkopf zu verkaufen. Wir wurden alle laut und schüttelten die Fäuste. Die Dame drohte mir mit Schlägen Ich drohte, mich ohne Bezahlung aus dem Geschäft zurückzuziehen. Wir kreischten und tobten. Schließlich trat die Frau den Rückzug an, und wir setzten die Fahrt fort. Von Bitterkeit oder Verstimmung war nichts zu spüren, der Fahrer summte sogar ein Liedchen vor sich hin.

Vor wenigen Stunden erst war ich angekommen, entspannt, gelassen, im Vollbesitz meiner Kräfte dank einer sechsmonatigen Erholungspause in England. Jetzt war ich schon wieder verhärmt, erschöpft, am Boden zerstört und hatte noch nicht einmal das Hotel erreicht.

Wir kamen an. Der Fahrer drehte sich zu mir um, ein Lächeln auf seinem Gesicht.

»2000.«

»Wir haben 1800 ausgemacht.«

»Aber Sie haben jetzt gesehen, wie weit es ist. 2000.« Einmal mehr trugen wir unsere Meinungsverschiedenheiten mit ritueller Umständlichkeit aus. Schließlich zog ich 1800 Francs aus der Tasche und knallte sie auf das Dach des Autos.

«Sie kriegen das hier oder gar nichts, und ich rufe die Polizei.» Er lächelte lieb und steckte das Geld ein.

Nicht lange, so fand ich mich in einem kleinen stickigen Raum untergebracht, dessen Boden mit kühlem Linoleum bedeckt war. Der Ventilator klapperte entsetzlich, erzeugte aber immerhin einen Hauch kühler Luft. Mit Mühe versank ich in einen unruhigen Schlaf.

Es klopfte an die Tür. Draußen stand eine stämmige Gestalt mit kräftigen Gesichtsfarben und kurzen Hosen im Stil der Kolonialepoche. Er stellte sich schlicht und einfach als Humphrey vor, aus dem Zimmer nebenan, und sprach mit unverkennbar britischem Tonfall. Er legte eine Haltung nicht eigentlich der Verärgerung, sondern vielmehr abgrundtiefer Gekränktheit an den Tag.

«Es geht um Ihren Ventilator», erklärte er, »der macht so viel Krach, dass ich nachts nicht schlafen kann, wenn er läuft. Der Kerl vor Ihnen war so zivil, ihn ausgeschaltet zu lassen. War wirklich ein ziviler Mensch, zumal für einen Holländer.«

»Also, es tut mir sehr leid, wenn er sie belästigt, aber ich kann hier bei abgeschaltetem Ventilator unmöglich schlafen. Die Fenster sind nicht aufzumachen. Ich würde vor Hitze ersticken. Warum beschweren Sie sich nicht beim Manager?«

Er schenkte mir einen vernichtend mitleidsvollen Blick.

»Habe ich natürlich schon. War nutzlos. Tat so, als spräche er kein Englisch. Kommen Sie mit in mein Zimmer, wir trinken einen und reden darüber.«

Nach einigen Gläsern entwickelte sich jene schnellwüchsige, kurzlebige Freundschaft zwischen uns, die Landsleute schließen, wenn sie sich im Ausland treffen. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte. Wie es schien, hatte er mit irgendeinem Entwicklungshilfeprojekt im Landesinnern zu tun, einem Plan, Fruchtsaftkonserven für den Export zu produzieren. Das Projekt war vorher von Taiwan finanziert worden, das sich aber zurückgezogen hatte, als Kamerun Rotchina anerkannte. Humphrey verbrachte die meiste Zeit mit der Suche nach Ersatzteilen für die taiwanesischen Traktoren, die ihm die vorherige Verwaltung hinterlassen hatte.

Ich erzählte Humphrey von meinen Erlebnissen auf dem Flugplatz. Er fand sie noch ziemlich harmlos. Umständlich setzte er mir auseinander, der Mann an der Abfertigung wolle in Wirklichkeit kein Bier, sondern 1000 Francs Bestechungsgeld. Ich bedankte mich für die Aufklärung, aber ich war nicht zum ersten Mal im Land. Humphrey schlug vor, essen zu gehen, und führte mich zum Hotelrestaurant. Überall rotes PVC und nackte Glühbirnen, das Ganze erinnerte ein bisschen an ein Luxushotel in der Tschechoslowakei der Fünfzigerjahre. Eidechsen kurvten in unberechenbaren Bahnen zwischen den Glühbirnen umher.

Der riesige glänzende Oberkellner trat auf uns zu und deutete auf Humphreys bloße Knie. »Gehen Sie und ziehen Sie etwas anderes an!«, tönte er. Wir blieben stehen und sahen einander an. Humphrey sträubte sich der Kamm. Ich konnte sehen, dass er vor Wut kochte. Betont leise sagte er: »Nein. Ich bin gerade erst aus dem Busch gekommen. Meine Sachen sind alle in der Wäsche. Mehr als das hier habe ich nicht.«

Der Oberkellner blieb ungerührt. »Sie gehen und ziehen etwas anderes an, oder es gibt nichts zu essen.« Wir standen wie kleine Kinder vor ihrer Gouvernante.

Humphrey machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte hoheitsvoll aus dem Saal. Ich musste hinterher, auch wenn ich nur einen schwachen Abglanz seiner hellen Empörung zustande brachte.

In einem Anfall brüderlicher Solidarität vertraute er mir an, dass er etwas Besseres kenne. Er musterte mich abschätzend.

»Das verrate ich nicht jedem x-Beliebigen.« Ich gab mir Mühe, geehrt auszusehen.

Er ging mir durch die Eingangstür voran, dorthin, wo die Taxis warteten – und die Schönen der Nacht. Es ist immer interessant zu sehen, was für Vorstellungen verschiedene Kulturen voneinander haben. Einen sicheren Aufschluss in dieser Hinsicht gibt, was sie einander zu verkaufen suchen. Mit derselben blinden Gewissheit, mit der Engländer von Amerikanern annehmen, dass diese nichts lieber möchten als auf einem herrschaftlichen Landsitz den Tee einzunehmen, setzen die Westafrikaner voraus, dass alle Europäer nichts anderes wollen als Holzschnitzereien und käufliche Liebe. Als Gesichtsausdruck scheint bei der Damenwelt der westafrikanischen Städte derzeit temperamentvolle Aufmüpfigkeit in Mode. Diese Mädchen, die wie Basketballspieler gebaut waren, hatten sich das zu Herzen genommen. Sie schlenderten mit übertriebenem Schmollmund und trotzig zurückgeworfenem Kopf herum. »Danke, heute nicht«, sagte Humphrey in entschiedenem Ton.

Seine Methode, ein Taxi zu mieten, war meiner ohne Frage überlegen. Die Verhandlungen wurden schroff und kompromisslos geführt. Wir stiegen ein. Mehrere der Damen suchten mit uns einzusteigen. Humphrey wies sie mit väterlicher Hand zurück.

Dann folgte eine lange Fahrt auf schmutzigen, urwaldgesäumten Straßen. Wir überquerten mehrfach Eisenbahngleise, die im Mondlicht unheilvoll schimmerten. Wir wurden von fremdartigen Gerüchen überflutet, die von fruchtbarer Erde, menschlichen Exkrementen und Sumpfland herrührten. Schließlich erreichten wir in der Nähe der Hafenanlagen, wo aus öligem Wasser verlassene Schiffe emporragten, eine asphaltierte Straße.

Wir kamen auf einen Platz, den auf drei Seiten Gebäude im imperialen französischen Stil bildeten, die wohl noch vor ihrer Fertigstellung angefangen hatten, wieder in Trümmer zu fallen. Von den Mauern löste sich der Putz. In den schweren durchbrochenen Zementgeländern der Balkone machten sich Kriechpflanzen breit. Ohne zu zögern, führte mich Humphrey auf die vierte Seite des Platzes, wo sich die Urwaldflora im Kampf gegen die Brennholzsammler aus der Stadt zu behaupten suchte. Das Ergebnis war ein wüstes Gewirr aus zottigen Ranken.

»Wir sind da«, sagte Humphrey schwer atmend. Das Gedächtnis hat so seine Art, uns blauen Dunst vorzumachen, Eindrücke zu verstärken und zu vereindeutigen. Vielleicht war es nur, weil ich das Haus mit Humphreys Augen sah. Jedenfalls habe ich es in der Erinnerung deutlich als das einzige frisch getünchte Gebäude der ganzen Stadt vor Augen. Es schimmerte im Mondlicht. Ein silbernes Juwel inmitten eines grünen Pflanzenmeers. Es war ein vietnamesisches Restaurant.

Man kannte Humphrey hier offenbar gut. Die Hausherrin, eine orientalische Dame von porzellanener Schönheit, begrüßte ihn mit einem delikaten Lächeln und einer Verneigung. Der Besitzer des Lokals, ihr Ehemann, war ein im Ausland lebender Franzose, der sich viele Jahre in Indochina aufgehalten hatte. Honigfarbene Kinder traten auf den Plan, die wie die Orgelpfeifen aufeinanderfolgten und Humphrey anlächelten. Sie verbeugten sich, umarmten ihn und nannten ihn »Tonton Oomfray«. Humphrey konnte sich einer gewissen Rührung nicht erwehren. Ich glaubte zu sehen, wie er sich eine männlich verstohlene Träne aus dem Auge wischte. Der Wirt setzte sich zu uns und schenkte Cassis und Weißwein ein, während gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht und Neuigkeiten aus der Familie beredet wurden. Es stellte sich heraus, dass Humphrey eine Frau in Nordengland und außerdem ein, wie er es nannte, »festes Verhältnis« in der Hauptstadt hatte.

Die nächste Stunde lang nahmen wir eine ebenso delikate wie fein abgestimmte Mahlzeit zu uns, deren Geschmacksrichtungen und Bestandteile mit dem größten Raffinement wechselten. Im Hintergrund lief ein Tonband mit sanfter orientalischer Musik, einem fein gesponnenen Filigran aus Flöten und Gongs.

Beim Obst wurde Humphrey noch vertraulicher. »Es treibt mich immer wieder hierher«, erklärte er. »Zu oft darf ich nicht kommen, sonst würde es nicht mehr funktionieren. Ich gewinne hier Abstand von der unsäglichen Grobschlächtigkeit Afrikas. Das Schlimmste sind die Frauen – die Art, wie sie gehen, wie sie spreizfüßig herumlatschen. Schauen Sie sich das an!«, rief er überwältigt.

Unsere Gastgeberin kam elegant an unseren Tisch geglitten und brachte Schalen mit Zitronenwasser, die sie mit einer einzigen fließenden Bewegung absetzte. Ein leises Kleiderrascheln, und sie war verschwunden.

Ich musste Humphrey gut zureden, um ihn überhaupt wieder nach Afrika zurückzubringen. Missgestimmt und deprimiert tauchte er aus dem fremdartigen Rankengewirr auf.

Als wir auf den Platz traten, brachte ihn der Anblick eines schlaksigen, geschniegelten Jugendlichen auf der anderen Seite jäh in die Gegenwart zurück.

»Meine Güte. Da ist ja unser Früchtchen.«

So geheimnisvoll die Äußerung klang – es stellte sich heraus, dass Früchtchen einfach nur der Spitzname des Jugendlichen war.

»Er ist ein Original. Los, hin!« Humphrey war schon auf und davon.

So eindeutig Humphrey Früchtchen wiedererkannte, so deutlich war aber auch, dass Früchtchen sich an Humphrey nicht erinnerte. Wahrscheinlich sahen für ihn alle Weißen gleich aus. Er bleckte ein weißes ebenmäßiges Gebiss. »Sie wollen Frau?«, erkundigte er sich mit deprimierender Unvermeidlichkeit.

»Bestimmt nicht«, sagte Humphrey.

»Ganja?« Pantomimisch sog er Rauch ein und fiel in eine tiefe Ekstase, die ihn dieser Welt so ziemlich entrückte. Er war unverkennbar jemand mit einem beschränkten Programm.

»lass gut sein, Früchtchen. Ich bins.«

Früchtchen musterte Humphrey ziemlich unsicheren Blickes und lüftete sogar seine modische verspiegelte Sonnenbrille. Seinem verdutzten Gesicht war deutlich zu entnehmen, dass er Humphrey immer noch nicht unterbringen konnte.

»Der weiße Peugeot.«

»Ah.«

Offensichtlich war bei Früchtchen der Groschen jetzt gefallen, aber er sah alles andere als erfreut aus. Humphrey indes bestand auf freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen beiden, duldete keinen Widerspruch und führte uns zu einer nahe gelegenen Bar, wo die Wahrheit ausgepackt wurde – während Früchtchen mit obligat glutvoller Miene dabeisaß.

Früchtchen hatte in seinem kurzen Leben schon vielfach dem Glück als Spielball gedient und bereits zahlreiche kometenhafte Aufstiege und Abstürze erlebt. Als Humphrey ihn kennenlernte, sonnte er sich gerade im Besitz eines weißen Peugeot, der seine ganze Wonne war. Wie er an den Wagen gekommen war, blieb dunkel. Über diesen Punkt ging man lieber hinweg. Offenbar waren er und Humphrey ausgezogen, um das Nachtleben in einem besonders anrüchigen Klub namens »Der Sumpf« unter die Lupe zu nehmen. Eine liebenswerte Angewohnheit von Kindern in allen westafrikanischen Städten ist es, Autos in Abwesenheit der Besitzer zu »bewachen«. Tatsächlich handelt es sich dabei im Keim um einen Fall von organisiertem Erpressertum. Zahlt man eine kleine Summe, ist der Wagen sicher. Weigert sich der Besitzer, die kleine Gratifikation springen zu lassen, kann es leicht geschehen, dass er bei der Rückkehr den Lack zerkratzt, die Reifen zerschnitten, die Türschlösser demoliert findet.

Ein ahnungsloses Kind, das Humphrey und Früchtchen aussteigen sah, hatte in seiner Unschuld angenommen, Humphrey sei der Besitzer und Früchtchen bloß sein Fahrer. Humphrey war angehauen worden, etwas »lockerzumachen«, und hatte sich geweigert. Seine Weigerung war außerordentlich entschieden ausgefallen – manch einer würde sagen, ein bisschen zu entschieden.

Als Früchtchen zu seinem Wagen zurückkam, waren die Scheinwerfer ausgebaut. Daran war nach seiner Ansicht Humphrey schuld. Humphrey müsse ihm neue Scheinwerfer kaufen. Da sie beide betrunken waren, hatte sich eine lange und – am Ende – hitzige Diskussion entsponnen. Früchtchen hatte Humphrey stehen gelassen. Er hatte versucht, sein Auto ohne Licht nach Hause zu steuern. Es war zu einem Unfall gekommen. Die Überprüfung der Wagenpapiere hatte verfängliche Unregelmäßigkeiten ans Licht gebracht. Dies war das Ende des Lieds vom weißen Peugeot.

Früchtchen hatte genug davon, in Erinnerungen zu schwelgen. Hoffnungsvoll wandte er sich mir zu. Ich war wohl gerade erst angekommen? Da hatte ich aber Glück, dass ich auf ihn gestoßen war. Er war nämlich ein Künstler, der Elfenbeinanhänger fertigte. Er zauberte welche aus seiner Jacke hervor und ließ keinen Zweifel daran, dass ich sie jederzeit käuflich erwerben konnte. Er legte Wert auf die Feststellung, dass er an dem Verkauf nichts verdiene. Der Preis decke kaum seine Unkosten. Für ihn seien die Anhänger Ausdruck seiner Künstlerseele. Normalerweise verkaufe er sie gar nicht.

Ich sah sie mir an. Seine Künstlerseele hatte ihm eingegeben, Miniaturelefanten aus Elfenbein, elfenbeinerne Umrisse von schwarzen Schönen mit aufgetürmten Frisuren – kurz, all das übliche Zeug für Touristen herzustellen, das man entlang der ganzen Küste in jedem Andenkenlädchen erstehen konnte. Angeblich musste er die Sachen verkaufen, um sich neue und sehr teure Drillbohrer aus Deutschland kaufen zu können, die er brauchte, um seine Kunst weiter ausüben zu können.

Humphrey beugte sich vor. Er sprach langsam und mit Nachdruck.

»Er kauft sie nicht, Früchtchen. Er ist nicht neu hier.« Er zwinkerte mir zu. »Aber vielleicht spendiert er dir ein Bier.«

Humphrey und ich kehrten zum Hotel zurück. Draußen sah man immer noch die undeutlichen Umrisse käuflicher Damen die Runde machen. Wir gingen auf unsere Zimmer. Weil Humphrey jetzt mein Freund war, schwitzte ich mich bei abgeschaltetem Ventilator durch eine unruhige Nacht.

2

In die Berge

Flugreisen in Afrika haben immer einen etwas unwirklichen Charakter. Man sitzt eingekapselt in einem klimatisierten Raum, trinkt gekühlten Fruchtsaft und gleitet über die Köpfe von Leuten weg, die aus dem Schatten ihrer Lehmhütten heraufschauen und selbst nie auf den Gedanken gekommen sind, sich weiter als dreißig Kilometer von ihrem Geburtsort zu entfernen. Sie verbringen ihr Leben und erleiden ihren Tod in Sichtweite ein und desselben Höhenzugs. Das soll nicht heißen, dass nicht manche Afrikaner große Reisen gemacht haben. Die dem achtzehnten Jahrhundert entstammenden Tagebücher eines Schriftstellers wie Gustavus Vassa berichten von Reisen, die von Afrika nach Westindien, nach Virginia, ans Mittelmeer und sogar in die Arktis führten. Aber sie legen auch beredtes Zeugnis ab von den Gefahren und Bedrängnissen, die jeden erwarten, der töricht genug ist, sich zu weit über die Grenzen jenes winzigen Bereichs hinauszuwagen, in dem Sippenbande und Blutsverwandtschaft dem Betreffenden einen gewissen Schutz gewähren. Die meisten afrikanischen Dorfbewohner verfügen über geografische Kenntnisse, die sich rasch in mythologische Dimensionen verlieren. In meinem eigenen Dorf hatte keiner jemals das Meer zu Gesicht bekommen, und abends wurde ich von den um das Feuer versammelten alten Männern immer wieder gefragt, ob es dergleichen überhaupt gebe. Sie waren entsetzt beim bloßen Gedanken daran und schworen, wenn ich ihnen den Wellengang beschrieb, sie wollten so etwas niemals sehen. Ein erfahrener Reisender unter ihnen behauptete, das Meer bei der nächstgelegenen Stadt, gut hundert Kilometer entfernt, gesehen zu haben, und schilderte es mit großem Brimborium. Ich brachte es nie über mich, ihm zu sagen, dass er nur den Hochwasser führenden Fluss gesehen hatte.

Wir machten Zwischenlandung in der Hauptstadt Jaunde, ehe wir zur zentralen Hochebene weiterflogen, wo ich versuchen wollte, eine Mitfahrgelegenheit zu finden, die mich zurück zu meinem Bergvolk brachte. Während das Flugzeug ausrollte, teilte uns die Stewardess mit, dass es uns freistand, während der halben Stunde Aufenthalt auf dem Rollfeld im Flugzeug sitzen zu bleiben oder aber zu Fuß hinüber zum Terminal zu gehen.