Essay
Chris Moser, geboren 1976, lebt als Künstler und politischer Aktivist in Tirol. Im Kyrene.Literaturverlag von ihm erschienen: „Die Kunst, Widerstand zu leisten. Wie mit § 278a und im Tierschutzprozess Freiheit untergraben und Kunst zum Verbrechen wurde“.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung
des Landes Tirol.
1. Auflage 2013
Kyrene Verlag Innsbruck-Wien
Alle Rechte vorbehalten
Satz & Korrektur: Joe Rabl
Umschlag: Carina Haberl
Printed in the EU
ISBN: 978-3-902873-44-6
www.kyrene-verlag.com
Gabriela Kompatscher: Vorwort
M. E.
Das soll Kunst sein? Kunst soll doch das Auge erfreuen!
Warum politische Kunst? – Geh doch in die Politik!
Wäre es nicht vernünftiger, weniger direkt zu agieren? Derart radikale Werke, Ausdrucksformen und Aussagen schrecken Leute eher ab, als dass sie zum Denken anregen!
Menschenrechte schön und gut, aber warum Tierrechte?
Und wenn das JedeR täte?
Dank
Literaturauswahl
„Fürsorgliche Emotionen können zu Subversion führen“, schreibt der Verhaltensforscher Frans de Waal in seinem Buch „Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind“ (Carl Hanser Verlag, 2006) und führt als Beispiel dafür Oskar Schindler an, der gegen den allgemein herrschenden politischen und gesellschaftlichen Konsens agierte, um Menschen zu retten.
Sehr oft zeitigt dieses Ringen um Gerechtigkeit für unterdrückte menschliche und nichtmenschliche Individuen und Ethnien unverhältnismäßige Reaktionen von Seiten jener Wirkmächte, die den Status quo aus Eigennutz aufrechterhalten wollen.
Nicht wenige Freiheitskämpfer_innen wurden und werden mundtot gemacht. Bei Chris Moser biss man auf Granit. Noch deutlicher als je zuvor tritt seine Überzeugung, dass die Welt zu einem gerechteren Ort gemacht werden muss, zu Tage, noch aufrechter als je zuvor tritt er für dieses Ziel ein, und mit ihm unzählige weitere Menschen, z. B. für Tierrechte:
„Nichts ist so unwiderstehlich wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ So Burkhard Müller in der Süddeutschen Zeitung zu Jonathan Safran Foers kritischem Buch „Tiere essen“.1 Zur selben Einschätzung gelangt man, wenn man sieht, wie ursprünglich minoritäre Tendenzen mittlerweile gesamtgesellschaftliche Bedeutung erlangt haben: Bücher mit Titeln wie „Anständig essen“ von Karen Duve landen auf Bestsellerlisten; es werden Artikel in der ZEIT, der FAZ, im Standard etc. publiziert, die z. T. sehr provokant und schonungslos unsere Doppelmoral aufzeigen – die einen Tiere essen wir, die anderen streicheln wir; es werden auf hohem intellektuellen und wissenschaftlichen Niveau Diskussionen darüber geführt, ob der Mensch überhaupt berechtigt sei, Tiere für seine Zwecke zu verwenden; parallel dazu wird in vielen Lebensbereichen an einer Umsetzung dieser neuen ethischen Haltung gearbeitet: Supermärkte bieten eigene vegane Linien an; Metzger_innen kreieren vegane Wurst; es entstehen Forschungszentren zu Mensch-Tier-Beziehungen wie das Messerli Forschungsinstitut in Wien sowie interdisziplinäre Forschungsinitiativen an zahlreichen Universitäten (übrigens auch an der Universität Innsbruck) und es werden sogar Studiengänge zu Human-Animal Studies eingerichtet. Bei der Betrachtung der Verbesserungstendenzen bezüglich des Mensch-Tier-Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart lässt sich sicherlich von einer anthropologischen Konstante sprechen. Und eine wohl angeborene, kulturell beeinflusste Biophilie2 kann vielleicht als Antwort auf die Frage nach dem Warum dienen: Warum sind uns Fairness und Gerechtigkeit auch gegenüber der Tierwelt ein Anliegen? Und dieses Anliegen scheint immer dringlicher zu werden; Doris Griesser spricht in einem Artikel im Standard von einem „wachsende[n] Unbehagen an unserem Umgang mit Tieren“, das sich in der westlichen Welt bemerkbar mache.3
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist nicht mehr Privatsache. Das diffuse Mitleidsgefühl und das vage Wissen vieler tierfreundlicher Menschen, dass Tiere nicht für den Menschen geschaffen sind, wie Cicero (nat. II 153–61) noch glaubte, sondern einen intrinsischen Wert haben, erhalten durch die öffentliche Diskussion, die Begegnung von Menschen mit Chris Mosers Kunst und die Information auf der Straße, wie Chris Moser sie betreibt, Rückenwind. Chris Moser macht die Tierrechtsbewegung in doppeltem Sinn zu einer sozialen Bewegung: Nicht nur gelingt es ihm, Menschen zu einer sozialeren Einstellung gegenüber nichtmenschlichen Tieren zu bewegen, sondern auch er selbst wirkt dabei Generationen verbindend, Geschlechter verbindend, Parteien verbindend, Nationen verbindend – Punk steht neben Bankkauffrau, Künstler neben Technikerin, Wissenschaftlerin neben Handwerker, Pensionistin neben Schüler, weil sie alle ebenfalls das genannte Unbehagen spüren und einen Spezies verbindenden Prozess in Gang bringen wollen. Die Energie und die Dynamik, die sich daraus entwickeln, haben die Kraft, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, der unsere zukünftige Gesellschaft in ihrem Umgang mit Tieren maßgeblich prägen wird.
Chris Moser kämpft mit Feder und Pinsel, Wort und Bild, Buch und Kunstwerk für die Befreiung von Mensch und Tier. Das Prinzip Ars gratia artis – Kunst um der Kunst willen – erscheint ihm unersprießlich, er ist überzeugt von einem Mehrwert der Kunst. Er geht wohl nicht so weit, sie als ancilla iustitiae – Dienerin der Gerechtigkeit – zu betrachten, aber zumindest hat sie für ihn eine wichtige Transferfunktion: Kunst soll wirken, gesellschaftlich und politisch; dazu bedarf es auch der Provokation.
Renitent, provokant und subversiv – Chris Moser ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie an und für sich gesellschaftlich geprägte „negative“ Eigenschaften eine neue positive Konnotation erlangt haben, da sie bei ihm im Dienst der Gerechtigkeit wirken. Renitenz, Provokation und Subversivität – als Eigenschaften von Chris Moser nehmen diese Wörter die Bedeutung von „Aufrichtigkeit“, „Engagement“ und „Integrität“ an.
Ich wünsche dem Buch viele Leser_innen.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gabriela Kompatscher
Innsbruck, April 2013
1 „Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer holt mit seinem Bestseller ‚Eating Animals‘ den Vegetarismus ins Zentrum der Gesellschaft. Nichts ist so unwiderstehlich wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
2 Biophilie: die Veranlagung des Menschen, sich für alles Lebende zu interessieren, eine Veranlagung, die durch Lernen und „kulturelle Einflüsse geformt wird“, vgl. C. Otterstedt in: Gefährten – Konkurrenten – Verwandte, Göttingen 2009, S. 182.
3 www.standard.at, 22.5.2012: „Die Hackordnung zwischen Mensch und Tier. In der westlichen Welt macht sich ein wachsendes Unbehagen an unserem Umgang mit Tieren bemerkbar.“
Seit 1994 werden meine Arbeiten in Ausstellungen gezeigt, und im selben Jahr war ich auch zum ersten Mal allein, das heißt ohne meine Mutter und Geschwister, auf einer Demo. Ausstellungen besucht haben wir als Familie eigentlich schon immer, und an meiner allerersten Demo haben wir auch gemeinsam teilgenommen; das war 1991 während des ersten Jugoslawienkriegs.
Seit meine Werke ausgestellt werden, das heißt eigentlich schon vorher, schon während meiner Ausbildung zum Bildhauer, und auch seit ich mich aktivistisch auf Demos und Aktionen einbringe, werden mir nahezu die gleichen Fragen gestellt. Besucher_Innen fragen mich auf meinen Vernissagen, Passant_Innen fragen bei politischen Aktionen.
Seit fast nunmehr 20 Jahren beantworte ich diese Fragen ähnlich. Oft ausführlicher, wenn ich merke, dass es meinem Gegenüber tatsächlich um Austausch und Diskussion geht, manchmal knapp, wenn offensichtlich ist, dass die betreffende Person nur ihren Frust entladen will.
Ich sehe klare Verbindungen von meiner Arbeit als bildender Künstler zu meiner politischen Tätigkeit, sehe klare Verbindungen von meiner emanzipatorisch-politischen Arbeit zur Tierbefreiungsphilosophie und -idee.
M. E. steht für meines Erachtens und genau darum geht es hier – es kann aber auch englisch als me gelesen werden.
Zum Zeitpunk der Arbeit an diesem Buch bin ich 36 Jahre alt und ich habe nicht vor, hier einen unverrückbaren theoretischen Unterbau zum Leben zu verfassen. Das kommt vielleicht später. Das hier ist ein Versuch, die oben skizzierten Zusammenhänge deutlich zu machen.
Die Aufteilung in Fragen, sozusagen Kapitel, bedeutet keine strikte Trennung der Inhalte; wie im täglichen Leben gibt es auch hier Überschneidungen.
Es ist kein akademisch-theoretisches Buch. Ich lese lieber Bücher über Selbsterlebtes und die Schlüsse daraus. So habe ich es auch hier gehalten. Im Sinne von m. E. (meines Erachtens) finden sich hier in erster Linie Schlüsse aus meinen Erfahrungen und Erlebnissen sowie Gedanken und Denkanstöße, basierend auf meiner Arbeit als bildender Künstler, Menschen- und Tierrechtsaktivist und Betreuer an einem freien Schulprojekt; Schlüsse und Gedanken zu Gesprächen und Fragen auf Vernissagen, Demos und Aktionen.
Wo ich Ansätze von Dritten parat hatte, habe ich das eingebracht, manchmal zitiert. Auf Fußnoten und ähnliche akademische Krücken wurde verzichtet.
Was ist Kunst? Was Unterhaltung oder Dekoration?
Was mich bereits bei ersten Ausstellungen, die ich besuchte, stets beeindruckte, war, wenn ich spürte, dass es der Künstler_In um mehr als „Dekoration“ ging, um mehr als lediglich das Auge zu erfreuen. Die Aussage eines Kunstwerks wurde für mich zu einem sehr wichtigen Faktor. Die Dadaist_Innen beeindruckten mich, ebenso beispielsweise der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka (1928 bis 2009), welcher das offenbar ähnlich sah.
Mit etwa 20 las ich sein Buch „Die Ästhetik des automatischen Faschismus“, und Hrdlickas Bemerkung: „Wer die unzählbaren Publikationen über Kandinsky kennt, wird sich wundern, wie viel sich über diese vom Schmutz der realen Umwelt gesäuberte Malerei sagen lässt, wie selig die Museumsfachleute sind, hier nicht mit Politik, sozialen Problemen und anderen Widerwärtigkeiten konfrontiert zu werden, aber dafür tiefschürfende Abhandlungen verfassen zu können über die Welt der Flecke, Striche, Kringel, die keiner Weltanschauung verpflichtet sind, oder etwas zuleide tun“ sprach mir aus der Seele.
Ich finde diesen Satz noch heute sehr treffend und er sagt viel von dem, was ich mir damals dachte und worauf ich meine Sichtweise, Kunst betreffend, weiter aufbaute.
Ich bin davon überzeugt, dass Kunst sich sehr wohl mit, wie Hrdlicka schrieb, „Widerwärtigkeiten“, Politik und sozialen Problemen beschäftigen muss.
War es nicht schon immer so, dass sich Künstler_Innen (auch) politisch ausdrückten?
Keine Frage, dass jegliche Deutungen der beispielsweise ersten Höhlenmalereien rein spekulativ sind, darin sind sich auch die verschiedenen Forscher_Innen einig. Dennoch wurde hier klar ein Realismus betrieben, und eine der gängigen Interpretationen ist, dass die Macher_Innen mit diesen künstlerischen Äußerungen sozusagen auf ihre Umwelt reagierten. Erlebtes verarbeiteten, Realitäten darstellten. Auch religiöse Deutungen sind durchaus verbreitet, und es ist wahrscheinlich so, dass das Weltliche in dieser Zeit nicht so klar vom Spirituellen zu trennen war. Setzten sich die Künstler_Innen der Höhlenmalereien also mit ihrer Lebensrealität auseinander? Oder wie Hrdlicka schrieb, mit ihrer Weltanschauung, ihren sozialen Problemen, Politik, Religion und anderen Widerwärtigkeiten? Wer weiß? Aber das ist nicht auszuschließen. Auch was spätere Kulturen betrifft, ist leider wenig bekannt, inwieweit sich Künstler_Innen klar gesellschaftskritisch äußerten, was natürlich in erster Linie daran liegt, dass Geschichte seit jeher von den Herrschenden geschrieben wurde. Bekannt ist allerdings, dass es spätestens im Mittelalter in erster Linie Theaterstücke, aber auch Liedtexte gab, welche das herrschende System – allen voran die große Kluft zwischen den Herrschenden auf der einen und den leibeigenen Bauern auf der anderen Seite – kritisierten und religiöse Doppelmoral thematisierten. Richtig fassbar werden sozialkritische Strömungen und Absichten in der Kunst allerdings spätestens im Zuge der Aufklärung im 17. Jahrhundert, und dabei handelte es sich aus naheliegenden Gründen in erster Linie um Religionskritik. Im deutschsprachigen Raum sind es zum Beispiel Namen wie Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 bis 1792) oder Georg Büchner (1813 bis 1837), die für eine Tradition gesellschaftskritischer Theaterstücke stehen.
Später, aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik, sind mehrere Künstler_Innen bekannt, die sich in ihrer Arbeit ganz klar politisch äußern und positionieren. Künstler, die sich beispielsweise über die Satirezeitschrift Simplicissimus gesellschaftskritisch und politisch betätigten, waren unter anderen Hermann Hesse (1877 bis 1962), George Grosz (1893 bis 1959) oder Alfred Kubin (1877 bis 1959). Ab seiner Gründung 1896 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs nahm der Simplicissimus neben der Kirche oder der bürgerlichen Moral zum Beispiel auch die Politik Kaiser Wilhelms II. ins Visier. Und das sehr erfolgreich. Einer der Herausgeber, Thomas Theodor Heine (1867 bis 1948), sowie der Schriftsteller und Schauspieler Frank Wedekind (1846 bis 1918) wurden sogar wegen „Majestätenbeleidigung“ gefangen genommen. Bereits 1898 wurde der andere Herausgeber, Albert Langen (1869 bis 1909), zu einer Geldstrafe von 30.000 Mark verurteilt und verbrachte fünf Jahre im Schweizer Exil, um einer Verhaftung zu entgehen. Immer wieder wurden ganze Ausgaben der Zeitschrift konfisziert, und in Österreich-Ungarn war der Simplicissimus gleich vollständig verboten.
George Grosz, der bekannterweise auch außerhalb seiner Beiträge im Simplicissimus eine rege künstlerische Tätigkeit aufzuweisen hat, arbeitet klar sozial- und gesellschaftskritisch. Seine drastischen und provokanten Darstellungen entstanden überwiegend in den 1920er Jahren und verspotten die herrschenden Kreise der Weimarer Republik, kritisieren Klerus, Militär und Politik und thematisieren soziale Ungerechtigkeiten. 1920 präsentierte Grosz auf der DADA-Kunstmesse die Mappe „Gott mit uns“ und wurde deshalb wegen „Beleidigung der Reichswehr“ 1921 zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark verurteilt. 1923 wurde ein weiteres Verfahren gegen ihn wegen „Angriffs auf die öffentliche Moral“ eingeleitet. Für die Arbeit „Maul halten und weiter dienen“ wurde er 1927 wegen „Gotteslästerung“ angeklagt und erst nach fünf Instanzen 1930 freigesprochen.
Auch Otto Dix (1891 bis 1969), Bekannter und Zeitgenosse von George Grosz, wird wie dieser der Neuen Sachlichkeit und hier dem Verismus zugeordnet. Klar dem Realismus verpflichtet, verarbeitete auch Dix beispielsweise Kriegsgräuel und soziale Kritik in seiner Arbeit. Wenn auch meist weniger aggressiv und direkt wie Grosz. Dennoch wurden zahlreiche Arbeiten von Dix 1937, wie auch Werke von Grosz, im Zuge der von den Nationalsozialisten initiierten Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt und unter anderem als „gemalte Wehrsabotage“ bezeichnet. Wie Grosz nahm auch Rudolf Schlichter (1890 bis 1955) 1920 an der DADA-Kunstmesse teil und wurde wegen seiner Installation, er präsentierte eine an der Decke hängende Soldatenpuppe mit einem Schweinekopf, wegen „Beleidigung der Reichswehr“ angeklagt. Eine weitere Arbeit auf dieser Messe zeigte eine Puppe in deutscher Offiziersuniform, auf welcher ein Schild mit der Aufschrift „Gehenkt von der Revolution“ befestigt war.
Otto Griebel (1895 bis 1972) lernte Otto Dix auf der „Königlichen Zeichenschule“ in Dresden kennen und wird wie jener der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Auch er verarbeitete proletarisch-revolutionäre Themen und sein Werk wurde unter den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnet. 1931 veröffentlichte Kurt Tucholsky (1890 bis 1953) unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel in der Zeitschrift Die Weltbühne die Glosse „Der bewachte Kriegsschauplatz“, woraus der berühmte Satz stammt: „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ Da sich Tucholsky in Schweden aufhielt, war er für die deutsche Justiz unerreichbar. Allerdings wurde Carl von Ossietzky (1889 bis 1938) als verantwortlicher Redakteur von Reichswehrminister Wilhelm Groener (1867 bis 1939) geklagt. Ossietzky befand sich zu dieser Zeit bereits in Haft, denn er war schon vorher als Herausgeber der Weltbühne unter anderem wegen „Landesverrats“ zusammen mit dem Journalisten Walter Kreiser (1898 bis 1958) zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Mit ihrem Zitat: „Ich will wirken in dieser Zeit“ unterstreicht auch Käthe Kollwitz (1867 bis 1945) klar, dass Kunst die Aufgabe hat, die sozialen Bedingungen darzustellen. Nach der Ermordung Karl Liebknechts (1871 bis 1919) widmete sie ihm einen Holzschnitt, und auch sie wurde während der Naziherrschaft mit einem Ausstellungsverbot belegt.
Elfriede Lohse-Wächtler (1899 bis 1940) schuf Arbeiten mit Darstellungen aus dem Arbeiter- und Prostituiertenmilieu, wurde 1935 zwangssterilisiert und 1940 im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms „T4“ umgebracht.
Otto Pankoks (1893 bis 1966) Werk thematisierte das Leben mobiler ethnischer Wenigerheiten, und in seinem Vorwort zu „Zigeuner“ schrieb er 1947: „Ach, Freunde, wohin seid ihr verweht, wo seid ihr zertreten, in welche Gruben haben euch schutzlose Kinder die Würger verscharrt wie Dreck? Man zerrte sie fort in die Todeslager und die östlichen Schlachthäuser. Wir hörten die Kinder schreien und die Mütter schluchzen unter den Peitschen der braunen Henker. Noch bevor die Synagogen aufloderten, waren die Zigeunerfamilien hinter den Gittern des Stacheldrahtes zusammengepfercht, um später das jüdische Schicksal in den Todeslagern des Ostens zu teilen.“ Womit seine politische Intention sehr deutlich wird.
Oskar Schlemmer (1888 bis 1943) wurde von den Nazis als Kunstbolschewist bezeichnet, seine Ausstellungen wurden abgehängt und sein Werk als entartet klassifiziert.
Wie für Max Beckmann (1884 bis 1950) und John Heartfield (1891 bis 1968), so waren auch für George Grosz, Otto Dix und Käthe Kollwitz vor allem ihre traumatisierenden Kriegserlebnisse politisierend. Und auch Picassos „Guernica“ von 1937 verarbeitet direkt den Bombenangriff auf die gleichnamige spanische Stadt, was Pablo Picasso (1881 bis 1973) mit den Worten kommentiert: „Der mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann.“
Zu den repressiven Konsequenzen gegen Künstler_Innen, beispielsweise des Wiener Aktionismus, weiter unten mehr, wenn ich näher auf Provokation und Kunst eingehe.