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Bella Bloom, Susan Meier, Kate Walker, Maggie Cox

ROMANA EXTRA BAND 36

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
für Bella Bloom: „In Rom schenk ich dir tausend Rosen“

© 2014 by Linda Susan Meier
Originaltitel: „The Twelve Dates of Christmas“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANC
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Dorothea Ghasemi

© 2014 by Kate Walker
Originaltitel: „A Question of Honor“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Sabine Robin

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 36 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2008 by Maggie Cox
Originaltitel: „The Spanish Billionaire’s Christmas Bride“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Marion Koppelmann
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA EXTRA, Band 304
Erste Neuauflage by HarperCollins Germany, Hamburg;
in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 36 2015

Abbildungen: Ridofranz / Thinkstock, pepmiba / Istockphoto, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733742553

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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BELLA BLOOM

In Rom schenk ich dir tausend Rosen

Wie kann Emily es wagen, ihm einen Korb zu geben? Die Abfuhr der schönen Blumenhändlerin erwischt Millionär Sean Night kalt. Kurz darauf bietet sich ihm in Rom die Chance, sie doch noch zu erobern …

SUSAN MEIER

Vom Fest der Liebe verzaubert

Ricky Langley würde das Fest der Liebe am liebsten abschaffen. Bis ihn die bezaubernde Eloise zu einer Weihnachtsfeier begleitet – und Gefühle in ihm weckt, die er für immer verloren glaubte …

KATE WALKER

Küss mich, mein Schneeprinz

Groß, breitschultrig, sexy: Prinz Karim ist Clementinas Traummann. Aber sie verzehrt sich vergeblich nach seinen Küssen. Denn ihre arrangierte Ehe mit einem anderen Wüstenprinzen steht kurz bevor …

MAGGIE COX

Spanisches Weihnachtsmärchen

Cristiano Cordova ist gegen seinen Willen fasziniert von Dominique. Nur solange sich der feurige Spanier nicht den Schatten der Vergangenheit stellt, ist in seinem Herzen kein Platz für die Liebe …

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In Rom schenk ich dir tausend Rosen

1. KAPITEL

„Das ist die romantischste Story, die ich je gehört habe!“ Becky schaute Emily mit einem verträumt entrückten Blick an, der nicht von dieser Welt war. „Ich wünschte, mir würde so etwas mal passieren.“

Emily nickte zustimmend.

„Glaub mir, ich mir auch“, bestätigte sie.

Es war Samstagabend, draußen fegte ein kalter Dezemberwind durch die nächtlichen Straßen Londons, und Emily saß mit ihrer Freundin, die sie ein Weilchen nicht gesehen hatte, im Phoenix – der kleinen Weinbar um die Ecke in ihrem über alles geliebten Viertel Notting Hill. Soeben hatte sie Becky die ganze David-gegen-Goliath-Geschichte erzählt: Wie die übermächtige Blumenkette Nightflowers versucht hatte, ihren kleinen Blumenladen namens DAYSIES zu übernehmen, den sie sich in jahrelanger Arbeit mit ihrer älteren Schwester Rose aufgebaut hatte. Und dass es letzten Endes einem Mann – nein: einem Traum von einem Mann – namens Richard Night zu verdanken war, dass sein Bruder Sean, der wiederum ein einziger Albtraum war, seinen teuflischen Plan in letzter Minute wieder aufgegeben hatte. Und nun lebte ihre Schwester Rose mit Richard Night in einer weißen Villa an der Steilküste Mallorcas – die ganze Sache war noch so frisch, dass Emily sich manchmal fragte, ob all das wirklich passiert war oder ob sie es tatsächlich nur träumte.

„Und was ist mit Sean Night?“, fragte Becky, die ihr offensichtlich nicht richtig zugehört hatte. „Ist der noch zu haben?“

„Sean Night? Bist du noch bei Verstand?“ Emily riss entsetzt die Augen auf. „Gott bewahre, dann könnte ich ja gleich den Leibhaftigen daten.“

Doch Becky schien nicht wirklich überzeugt.

„So schlimm ist er nun auch wieder nicht, finde ich. Ich meine, am Ende hat er doch auf euren Laden verzichtet, oder? Was zeigt, dass auch knallharte Business-Millionäre ein Herz haben …“

Nun, auf den Laden verzichtet – das hatte er. Aber eben nur auf den Druck seines Bruders Richard hin, der sein komplettes Gegenteil war: ein guter Mensch. Und auf den Druck in seiner Brust, um auf die Sache mit dem Herzen zurückzukommen, denn ein Infarkt hatte ihn in letzter Sekunde zum Umdenken gebracht. Doch wer weiß für wie lange, dachte Emily schaudernd und hoffte, dass ihre Sorgen unbegründet waren.

„Weißt du, ich glaube einfach nicht daran, dass Menschen sich ändern. Sie können es, aber sie wollen es nicht“, beantwortete sie die Frage ihrer Freundin. „Sean Night ist ein Löwe, der in einem schwachen Moment ein Reh hat laufen lassen. Aber in der Zukunft wird er es sich wieder schnappen – hoffentlich nicht dieses Reh, aber eben andere.“

Becky blickte sie an, als überlege sie ernsthaft, ob es sich lohnte, sich absichtlich in das Revier des Löwen zu verirren. Sie hatte schon immer ein Faible für gefährliche Typen gehabt.

„Hm. Wäre er vielleicht etwas für mich?“, fragte sie wie von Emily vorausgeahnt.

„Becky!“

„Komm, sag schon! Ist er sexy?“

Sie zwinkerte ihr frech über das kleine Bistro-Tischchen hinweg zu. Offensichtlich hatte sie ein wenig zu tief ins Glas geschaut.

„Nun, wie ich dir schon sagte, habe ich ihn nur einmal gesehen – und zwar in einem Krankenhausbett.“

„Und du fandest ihn trotzdem attraktiv?“

Emily schüttelte den Kopf.

„Los, raus mit der Sprache!“

„Nun … er hat was, ja – wenn man auf Machos steht.“

Becky blickte sie begeistert an.

„Tu ich! Du musst ihn mir unbedingt vorstellen!“

Emily stieß einen tiefen Seufzer aus, um ihre Missbilligung zu demonstrieren.

„Manche Rehe müssen wohl erst von einem Löwen gefressen werden, bevor sie verstehen, auf was sie sich da eingelassen haben.“

Becky nickte ihr übertrieben zu.

„Und zwar mit Haut und Haaren!“, bestätigte sie und ahmte das Knurren eines Löwen nach. Gespräche unter Freundinnen am Samstagabend – was konnte man anderes erwarten? dachte Emily und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Als sie wenig später die Tür zu ihrer kleinen Wohnung über dem Laden aufstieß, erfüllte sie ein Gefühl der Erleichterung. Alles erschien ihr in einem völlig neuen Licht, nicht nur die Wohnung – nein, ihr ganzes Leben. Es war erst ein paar Wochen her, dass sie geglaubt hatte, all das verloren zu haben. Doch in letzter Sekunde hatte sich alles völlig unverhofft zum Guten gewendet. Mit einem einzigen Unterschied: Die Wohnung wirkte ein wenig leer – denn Rose war nicht mehr da. Sie hatte ihr Glück gefunden, und Emily gönnte es ihr von ganzem Herzen.

Und doch: Neben dem Gefühl der Erleichterung schlich sich eine zweite Empfindung in ihr Herz: ein Gefühl der Verlorenheit. Ein Leben lang hatte sie alles mit Rose geteilt, und sie hatte es als selbstverständlich hingenommen, dass sie all das zu ihrem Leben zählen durfte: eine Schwester, die rund um die Uhr für sie da war, ein Blumenladen, in dem sie Tag für Tag ihre Träume verwirklichen konnte – und so weiter und so fort. Erst jetzt stellte Emily fest, dass es eben keine Selbstverständlichkeit war. Würde auch sie ihr Glück finden genau wie Rose? Aber wie? Es war noch früh am Abend, denn Becky hatte sie vorzeitig allein zurückgelassen, um mit ihrem Freund auszugehen. Emily hingegen war solo – der schrecklichste Zustand für eine Frau im Alter von fünfundzwanzig Jahren.

Um diese Zeit solltest du da draußen sein in den Bars und Restaurants von London und dich amüsieren!

Der Gedanke daran war nur schwer zu verdrängen. Dass es nicht so war, lag nicht daran, dass sie schwer vermittelbar war. Im Gegenteil: blond, blauäugig, ein Meter fünfundsechzig und oben herum eher ein bisschen zu viel als ein bisschen zu wenig. Das glatte Gegenteil ihrer sportlich-schlanken brünetten Schwester. Kurz gesagt: Rose war der Kopf und sie der Bauch eines perfekten Duos. Und doch: Was sie zu bieten hatte, schien den Männern zu gefallen. Sie konnte sich jedenfalls nicht über zu wenig Verehrer beklagen. Das Problem war nur, dass die Männer, die ihr gefielen, grundsätzlich verheiratet oder vergeben waren – und die Männer, denen sie gefiel, nun … die wiederum gefielen ihr nicht.

„Was genau erwartest du eigentlich vom Leben, Emily Day?“, fragte sie sich, während sie sich ein Glas Wein einschenkte und auf die romantisch erleuchtete kleine Straße vor ihrem Wohnzimmerfenster hinunterblickte, auf der sie jetzt eigentlich unter einem Laternenpfahl von ihrem Traummann geküsst werden müsste, wenn die Geschichten wirklich wahr wären, die in Filmen und Werbespots gezeigt wurden. Vor allem in der Vorweihnachtszeit. Natürlich war ihr vollkommen klar, was sie erwartete. Was sie vom Leben wollte:

Einfach ALLES.

Die große Liebe, das große Glück.

Aber so einfach war es leider nicht.

Und Träume wie ihre gingen eben nur für die wenigsten Menschen in Erfüllung. Hätte sie nicht erst kürzlich diesen entrückten Glanz in den Augen ihrer Schwester gesehen, zum allerersten Mal in ihrem Leben, sie hätte gesagt: Träume dieser Art gehen nie in Erfüllung. Sie sind und bleiben Träume. Schäume. Aber das, was Rose passiert war, hatte Emily zum Umdenken gebracht. Möglicherweise war es doch möglich – die große Liebe, das große Glück.

Kurz gesagt: ALLES.

Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als es plötzlich unten an der Haustür klingelte. Um diese Zeit? Das konnte nur Becky sein. Vielleicht hatte sie etwas vergessen oder sich doch entschieden, den Rest des Abends lieber mit ihr als mit dem vermeintlichen Mann ihrer Träume zu verbringen?

„Ja?“, sagte sie in den Hörer der Gegensprechanlage. Ein großes Fragezeichen klang in ihrer Stimme mit.

„Ähm, hier ist Sean. Sean Night. Von Nightflowers. Wir haben uns im Krankenhaus kennengelernt. Darf ich raufkommen?“

Sean Night?

Was zum Teufel …? Emily glaubte, sich verhört zu haben. Ja, genau so musste es sein: Das Gespräch mit Becky wirkte noch in ihr nach. Ihre lebhaften Schilderungen der Geschichte. Und sie hatte noch dazu etwas getrunken. Von daher waren Halluzinationen als Nebenwirkung nur eine logische Folge.

Sie warf einen Blick aus dem Fenster.

Und erschrak. Ihre Halluzinationen waren realistischer, als sie befürchtet hatte. Unten am Eingang neben dem Laden stand ein Mann in einem dunklen Mantel. Und mit einem Blumenstrauß in der Hand.

„Darf ich raufkommen?“, wiederholte er.

Ihr Puls beschleunigte sich.

„Entschuldigung, aber ich bin eigentlich gar nicht auf Besuch eingestellt …“, griff sie nach der erstbesten blöden Ausrede, warum sie ihm die Tür nicht öffnen konnte.

„Ich wollte mich nur kurz bei Ihnen bedanken“, vernahm sie seine Stimme durch den kleinen blechernen Lautsprecher neben der Tür. „In einer Minute bin ich wieder verschwunden, keine Sorge.“

„Bedanken? Ähm … das … ist doch überhaupt nicht nötig …!“

„Doch, ist es! Eine Minute, ja?“

„O…kay“, erwiderte Emily, als hätte er sie durch den Lautsprecher mittels Gedankenübertragung gefügig gemacht, und drückte auf den Knopf, der die Haustür mit einem bis zu ihr hinauf vernehmbaren Summen öffnete. In derselben Sekunde bereute sie es bereits wieder. Ihre Wohnung war das reinste Chaos. Seit Kurzem führte sie den Blumenladen unten quasi allein. Aus den zwei DAYSIES – der Name war ein Wortspiel aus Roses und ihrem Nachnamen – war eine geworden. Ein einsames Gänseblümchen sozusagen. Denn ausgesprochen klang der Name wie daisies. Gänseblümchen.

Rose blühte gerade auf Mallorca zu neuer Schönheit auf, während auf Emilys eigenen Schultern nun die ganze Arbeit und ein Großteil der Verantwortung ruhten. Sie war allein in London zurückgeblieben – zugegeben: auf ihren Wunsch hin –, während Rose unter südlicher Sonne auf Wolke sieben schwebte. Emily war nicht mal dazu gekommen, den Abwasch in die Geschirrspülmaschine zu räumen. Und zwar seit drei Tagen.

Ding-Dong!

Schon klingelte es an ihrer Wohnungstür. Erneut meldete sich ihr Fluchtinstinkt, doch dafür war es nun zu spät.

Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt weit.

Sie erkannte ihn kaum wieder, doch er war es: Sean Night – der Mann, der um ein Haar ihre Existenz vernichtet hätte und den sie nur einmal persönlich getroffen hatte, als er in einem Krankenhausbett lag. Heute jedoch trug er ein edles dunkelgraues Sakko unter seinem offensichtlich maßgeschneiderten schwarzen Wollmantel; ein weißes Hemd, dunkelgraue Stoffhosen und schwarze Budapester. Aus einem leicht gebräunten, frisch wirkenden Gesicht strahlten seine beim letzten Mal noch müden graublauen Augen sie charmant an. Sein ehemals fahles dunkelblondes Haar hatte deutlich an Länge gewonnen, auch wenn es hier und da bereits in ein seriös wirkendes Silber überging. Insgesamt sah er frisch und erholt aus. Er wirkte größer, als sie ihn in Erinnerung hatte – bestimmt einen Meter achtzig oder mehr.

Für einen Moment stutzte er.

„Wollen Sie ausgehen?“, fragte er sie verdutzt.

Erst jetzt fiel Emily auf, dass sie immer noch ihren Mantel anhatte und auch ihre Lederstiefel. Schließlich war sie gerade erst zur Tür hereingekommen. Einzig und allein den Schal hatte sie abgelegt.

„Ich? Nein, ich bin gerade erst wiedergekommen – ich habe eine Freundin getroffen“, erklärte sie ihm.

Er nickte verständnisvoll.

„Bitte schön“, sagte er und streckte ihr einen Blumenstrauß entgegen.

Weiße Rosen. Ihre Lieblingsblumen. Woher wusste er …?

Für Emily waren es die geheimnisvollsten Blumen überhaupt, denn das Weiß stand für Unschuld, Reinheit und neue Anfänge. Doch gleichzeitig erinnerten einen die Dornen daran, dass sich hinter dieser vermeintlichen Unschuld und Reinheit, die einen möglicherweise dazu verführten, einen neuen Anfang zu suchen und den gefährlichen Sprung in unbekannte Gewässer zu wagen, eventuell etwas ganz anderes verbarg – die Gefahr, verletzt zu werden. Es war genau diese mysteriöse und nicht zu erklärende Spannung, die weiße Rosen für Emily unwiderstehlich machte. Denn sie waren so zweideutig und geheimnisvoll wie der Beginn eines Märchens. Ob es ein Schauermärchen war oder ein Liebesmärchen, würde man erst sehr viel später herausfinden.

Das Einzige, was ihr nicht gefiel, war das edle nachtschwarze Papier mit der in Gold gestanzten Aufschrift Nightflowers, in das die Rosen gewickelt waren. Nicht, weil es nicht hübsch gewesen wäre, sondern weil es eben diese schreckliche Kette war, die kleinen, aber wunderschönen Blumenläden wie dem DAYSIES den Garaus machten.

„Nun kommen Sie schon, Emily! Nehmen Sie die Blumen“, forderte er sie auf.

Emily? Sie konnte sich nicht daran erinnern, mit ihm per Du gewesen zu sein. Auch wenn er es ihr im Krankenhaus angeboten hatte. Ein Angebot, auf das sie jedoch nie eingegangen war.

Miss Day, bitte!“, korrigierte sie ihn. „Und was verdanke ich Ihren überraschenden Besuch, Mister Night?“

Sean, bitte!“, spielte er den Ball mit einem frechen Augenzwinkern zurück. „Nun, ich wollte mich wie gesagt nur kurz bei Ihnen bedanken – für Ihren Besuch im Krankenhaus.“

Noch immer streckte er ihr den Blumenstrauß entgegen. Schließlich fasste sie sich ein Herz und ergriff die Blumen, bemühte sich aber, eine nicht zu enthusiastische Miene dabei aufzusetzen.

„Aber das war doch selbstverständlich, nach allem, was Sie für mich und Rose getan haben“, log sie ihm lächelnd ins Gesicht. War er ein Held, weil er ihren Laden verschont hatte, den er eigentlich hatte vernichten wollen? Nun: In ihren Augen nicht, aber in seinen offensichtlich schon. Er blickte sie an, als habe er sich eine Belohnung verdient. Erst jetzt fiel ihr auf, an wen er sie erinnerte: an den Schauspieler Sean Penn. Nicht nur derselbe Vorname verband ihn mit ihm. Auch der Star war auf eine mysteriöse Art und Weise attraktiv, aber gleichzeitig hatte er dieses schwer zu deutende Funkeln in seinen Augen, das einem signalisierte, dass man ihm nicht ungestraft den Rücken zudrehen konnte. Kurzum: anziehend, aber gefährlich.

So wie weiße Rosen.

„Es scheint Ihnen ja schon viel besser zu gehen“, schnitt sie schnell das unverfängliche Thema Gesundheit an, bevor sie sich noch weiter in ihre psychologischen Beobachtungen hineinsteigerte, worin sie ziemlich gut war. Wenn sie jetzt nicht damit aufhörte, würde sie ihn in zwei Minuten oder weniger möglicherweise als gemeingefährlichen Psychopathen einstufen.

„Ja, das ist wahr“, erwiderte er, erneut mit einem zweideutigen Augenzwinkern. „Mein Arzt hat mir empfohlen, mich im Treppensteigen zu trainieren. In der Medizin sagt man, wenn man nach einem Herzinfarkt wieder ohne größere Probleme eine Treppe hochkommt, kann man auch wieder Sex haben.“

Oh, wie schön und danke für die intime Information … So viel zum Thema Psychopath! dachte sie.

„Nun, dann vielen Dank, Mister Night! Ich …“, versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen und ihn hier und jetzt abzuwimmeln, bevor er Morgenluft witterte, aber schon kam er ihr zuvor.

„Da Sie den Mantel nun schon einmal anhaben: Würden Sie mit mir ausgehen?“

Emily erstarrte.

Mit ihm ausgehen?

„Sie … meinen … jetzt?“

„Ja, wieso nicht?“, erwiderte er. „Ich kenne ein nettes Restaurant hier direkt um die Ecke und würde Sie gern einladen.“

„Mich einladen – wozu?“

„Wozu?“ Ein erstauntes Lächeln umspielte seinen Mund, der von einem stoppeligen Ein-Tag-Bart eingerahmt war. „Wozu Sie auch immer wollen – Sie dürfen alles bestellen, was auf der Karte steht!“

Emily rollte mit den Augen.

„Nein, ich meinte nicht wozu, ich meinte eigentlich: Wofür?

Endlich schien er zu begreifen. Sein fragender Gesichtsausdruck jedenfalls signalisierte ihr, dass er solch detaillierte Nachfragen möglicherweise nicht gewohnt war. Dass er sie schlichtweg nicht kannte. Dass Frauen, die ihm nicht augenblicklich in die Falle gingen, auf einer fernen Umlaufbahn außerhalb seines Universums schwebten.

Wofür? Nun … um Sie besser kennenzulernen?“

Emily schüttelte den Kopf.

„Ich … nun … ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das eine gute Idee ist!“, erklärte sie so tapfer und entschlossen wie nur irgend möglich. „Außerdem … habe ich … eine Menge … zu tun. Ja … Arbeit – viel, viel Arbeit!“

„An einem Samstagabend?“

„Nun“, sagte sie und wies mit der Hand hinter sich. „Meine Wohnung ist ehrlich gesagt der reinste Schweinestall. Ich muss dringend aufräumen, was unter der Woche so liegen geblieben ist … Sie wissen ja: Der Laden da unten liegt jetzt ganz allein in meiner Verantwortung.“

Sean blickte sie nachdenklich an.

Ein Weilchen sagte er gar nichts, sondern musterte sie nur, als benötigte er Zeit, um zu verstehen. Schließlich fuhr er doch fort: „Oh, das tut mir wirklich leid. Und ich war überzeugt, ich hätte das Richtige getan. Jetzt verstehe ich Ihre Ablehnung.“

Was sollte das nun wieder? Langsam wurde Emily nervös.

„Wie … meinen Sie das?“

„Nun, dadurch, dass ich auf Ihren Laden verzichtet habe, haben Sie nun jede Menge zusätzlichen Stress, und mir wiederum ist eine tolle Chance auf einen interessanten Standort für Nightflowers entgangen. Sieht so aus, als hätten wir beide nichts bei dem Deal gewonnen, oder?“

Oh, oh. Dieser Unterton in seiner Stimme gefiel ihr gar nicht.

„Wollen Sie mich nicht wenigstens auf einen Kaffee hereinlassen, bevor ich mich wieder auf den Weg mache?“, fragte er sie. „Ist ziemlich kalt draußen.“

„Ich … das würde ich liebend gern, Mister Night“, beeilte sie sich zu sagen. „Aber heute geht es wirklich nicht – vielleicht ein anderes Mal?“

Für einen Moment wirkte er tatsächlich enttäuscht. Oder war es eher Überraschung, was sie in seinem Gesicht las? Überraschung darüber, dass sie sich nicht augenblicklich bei ihm, dem unwiderstehlichen Multimillionär Sean Penn Night, unterhakte?

Doch dann trat er einen Schritt zurück und senkte den Blick.

„Nun, wenn das so ist, wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend, Emily“, sagte er, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und eilte die schmale steile Treppe, die hinauf zu ihrer Wohnung führte, genauso schnell hinab, wie er sie offensichtlich hinaufgekommen war. Nachdem unten die Tür ins Schloss gefallen war, spähte Emily ihm durch die halb geöffneten Vorhänge nach. Er ging zügigen Schrittes durch die Dunkelheit in Richtung eines nagelneuen Aston Martin, der ungefähr so viel kosten musste wie ihre Wohnung. Die Blinker leuchteten auf und ein futuristisch anmutender Piepton erklang, als er den Wagen über die Fernsteuerung öffnete. Nur Sekunden später fuhr er langsam an, bis die Rücklichter schließlich um die nächste Ecke verschwanden.

Er hatte sich nicht einmal zu ihr am Fenster umgedreht auf dem Weg zu seinem Wagen, um festzustellen, ob sie ihm nachsah.

Etwas, das ihr einerseits mehr als recht war.

Andererseits: War es ein gutes Zeichen? Oder ein Zeichen dafür, dass sie ihn mit dem Korb, den sie ihm hier und jetzt verpasst hatte, gegen sich aufgebracht hatte?

„Hoffentlich war das kein Fehler“, sagte sie leise zu sich selbst.

Ein Weilchen nippte sie noch unentschlossen an ihrem Weinglas. Um dann das zu tun, was nach einer spektakulären Entwicklung wie dieser getan werden musste: Rose auf Mallorca anzurufen. Es war erst kurz nach neun in London, also eine Stunde später auf der Insel. Das war kein Problem, da in Spanien die Lichter nie vor Mitternacht erloschen, wie sie gehört hatte. Davon abgesehen: Emily brauchte jetzt jemanden, mit dem sie sich austauschen konnte. So wie früher. So wie es immer gewesen war.

Vor Roses Abreise.

Denn auch das ließ sich nicht länger verleugnen: Je länger sich die Stille in ihrer Wohnung ausbreitete, in der sie nie allein gelebt hatte, desto unheimlicher wurde sie ihr. Und desto mehr beschlich Emily das Gefühl, dass sie möglicherweise soeben wirklich einen schweren Fehler begangen hatte, der nicht wiedergutzumachen war.

Einen Fehler, der sie vielleicht doch noch den Laden kosten würde. Schließlich hatte sie keine Ahnung, zu was Sean Night fähig war, wenn er nicht bekam, was er wollte.

Schließlich war er ein Bösewicht, wie er im Buche stand.

„Mach dir keine Sorgen, Emily“, beruhigte Rose sie wenig später, nachdem sie ihr die ganze Geschichte im Detail erzählt hatte. „Richards Bruder mag knallhart sein, wenn es um seine geschäftliche Strategie geht, aber ich glaube schon, dass er Privates und Berufliches voneinander trennen kann. Wobei …“

„Wobei was?“ Emily kannte diesen Unterton in der Stimme ihrer älteren Schwester.

„Nun, ich meine – was spricht eigentlich dagegen, mit ihm auszugehen?“

Was dagegensprach?

Emily konnte es nicht fassen.

„Rose, glaubst du wirklich, ich gehe mit dem Feind aus?“

„Aber Emily – er hat uns den Laden doch zurückgegeben! Reicht das nicht als Versöhnungsangebot?“

„Als Versöhnungsangebot ja, aber deshalb muss ich mich wohl nicht gleich mit ihm verloben, oder?“

„Natürlich nicht! Aber du musst ihm auch nicht die Tür vor der Nase zuschlagen“, seufzte Rose. „Und … geht es dir sonst gut?“, wechselte sie schnell das Thema.

„Hervorragend!“, erwiderte Emily blitzschnell, um jegliche Diskussionen über ihr brach liegendes Liebesleben unverzüglich im Keim zu ersticken. Sie hatte ohnehin keine Zeit für eine Beziehung, jetzt wo die ganze Arbeit im Laden an ihr hängen blieb.

„Dann schlaf einfach eine Nacht darüber, und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus“, beruhigte ihre Schwester sie mit demselben Spruch, mit dem schon ihre Mutter sie beide durch schwierige Nächte gebracht hatte. Damals, als ihre Eltern noch lebten.

Als Emily auflegte, wurde sie für einen Moment von einer wehmütigen Melancholie erfasst. Jetzt wo Rose weit weg von ihr auf einer Insel im Süden lebte, hatte sie das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein.

Ja: Der Laden und die Arbeit waren ihr geblieben.

Aber der Spaß – wo war er in den vergangenen Wochen hin entschwunden?

Erst jetzt begriff sie es: Ohne jemanden, mit dem man es teilen konnte, machte das Leben nur halb so viel Spaß.

Als Emily am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich deutlich besser. Allein die weißen Rosen in der schlanken Porzellanvase auf dem Küchentisch erinnerten sie daran, dass sie Sean Nights Besuch nicht geträumt hatte – sondern, dass er tatsächlich vor ihrer Tür gestanden hatte. Dieser Sonntag verlief ohne weitere Störungen. Und als sie am Montag den Laden betrat, schien die Welt wieder in Ordnung zu sein. Alles war beim Alten. Auch am Dienstag noch.

Doch offensichtlich hatte sie sich zu früh gefreut.

Denn der Tag, der alles ändern sollte, war der Mittwoch.

Sie erblickte den strahlend weißen Briefumschlag bereits durch das Schaufenster, als sie an diesem Morgen kurz nach neun ihr nach Blumen duftendes Reich betrat. Der Postbote musste ihn gerade erst zusammen mit anderen Umschlägen – braunen, grauen, blauen, unbedrohlichen – durch den schmalen Schlitz in der Tür eingeworfen haben.

Sie erkannte das Wappen sofort:

Harris & Company – der Absender war ihr Vermieter.

Alles war exakt so wie erst vor ein paar Wochen, als ihnen aus heiterem Himmel die Kündigung ins Haus geflattert war. Kurz gesagt: das perfekte Déjà-vu.

Mit zitternden Fingern öffnete Emily den Umschlag. Und ließ ihren Blick nervös über den strahlend weißen Briefbogen schweifen, der kein Wässerchen trüben zu können schien und auf dem nur wenige Sätze zu finden waren.

„… bitte teilen Sie uns mit, wann Sie den Laden endgültig räumen werden …“, las sie, während die Buchstaben langsam vor ihren Augen verschwammen.

Sie schaffte es so gerade noch bis zu der kleinen Holzbank.

Wo sie sich kraftlos niederfallen ließ und tief Luft holte.

„Du … hinterhältiger … Mistkerl!“, stieß sie aus.

2. KAPITEL

Es war nicht zu fassen!

Im Grunde hatte er es immer gewusst. Und aus genau diesem Grund hatte er sein Leben bislang so gelebt, wie er es gelebt hatte: ohne Rücksicht auf Verluste. Ja, überhaupt ohne Rücksicht auf andere. Denn diese nahmen ja auch keine Rücksicht auf ihn und seine Bedürfnisse. Sean fragte sich ernsthaft, welcher Teufel ihn geritten hatte, als er sich dazu entschlossen hatte, wie der letzte Depp, der es nötig hatte, mit Blumen vor Emily Days Tür aufzutauchen.

Dieses … arrogante … Weibsstück!

Erst rettete er ihren Laden – und jetzt akzeptierte sie nicht einmal, dass er sie bei ihrem Vornamen ansprach. Und schon gar nicht, dass er sie zum Essen in ein Restaurant ausführte, das sie in ihrem bisherigen Leben höchstens von außen bewundert haben konnte, in ehrfürchtiger Anbetung! Jedenfalls wenn es stimmte, was er über ihren Kontostand annahm, worüber er sich ziemlich sicher war. Das einzig Gute an der Sache war, dass die Erinnerung an sein altes Leben auf einen Schlag zurückgekehrt war. Eine Erinnerung, die der Herzinfarkt über Wochen hatte verblassen lassen. Tatsache war: Um ein Haar hätte dieser äußerst unangenehme Vorfall ihn in einen anderen Menschen verwandelt. Doch jetzt wusste Sean wieder, warum er nie an die große Liebe geglaubt hatte. Emily Day hatte ihn daran erinnert, warum es für ihn – und für jeden halbwegs erfolgreichen Mann auf diesem Planeten – besser war, sich auf One-Night-Stands, Affären und hübsche Escort-Girls zu konzentrieren.

Lieber tausend Euro für eine Nacht als tausend und eine Nacht mit einer Frau wie Emily Day. Dabei war sie ihm im Krankenhaus so nett vorgekommen. Zugegeben: Sie hatte etwas in ihm ausgelöst.

Etwas, das sie nun auf einen Schlag wieder ausgelöscht hatte.

Bravo!

Es war nun einmal so, dass für die meisten Frauen das Alphabet erst mit dem Buchstaben F begann: F wie Feindseligkeit. Dabei wäre der Buchstabe davor – D wie Dankbarkeit – eigentlich angebracht gewesen.

„Haben Sie sich entschieden, Mister Night?“

Es war die hübsche Kellnerin in ihrem strahlend weißen Dress, die ihn mit einem nicht minder strahlend weißen Lächeln aus seinen trüben Gedanken zurück in eine schönere Welt holte. Die Welt, in der er immer zu Hause gewesen war. Bars, Restaurants, hübsche Frauen, die nur spielen wollten. Es war Mittwoch gegen Mittag, und er saß in seinem Lieblingsrestaurant, dem Dinner von Starkoch Heston Blumenthal im Mandarin Oriental Hotel mit Blick auf den Hyde Park. Wobei, in dieser Sekunde wusste er nicht, welche Aussicht ihm besser gefiel: die auf den Park, die Menükarte – oder die Kellnerin direkt vor seinen Augen. Verträumt ließ er den Blick unauffällig über ihre unter einer ebenfalls strahlend weißen Bluse versteckten apfelförmigen Brüste schweifen, um sich dann über ihre sinnlichen Lippen hinauf zu ihren glitzernden eisblauen Augen hochzuarbeiten.

Ahhh! Es war ein Fest für die Sinne. Genau das, was ein Mann brauchte, um sein krankes Herz wieder in Schuss zu bringen.

„Ich denke, ich starte mit dem gegrillten Tintenfisch. Und als Hauptgang hätte ich gern ein saftiges Angus Steak, Darling“, bestellte er, wie er es immer getan hatte. Vor dem Infarkt. Wie ein Mann. „Dazu ein Perrier und ein Gläschen Chateau Lafite.“

Die Augenweide an seinem Tisch tippte es fleißig in ihren kleinen Computer.

„Und zum Nachtisch?“

„Nun – ich schwanke noch zwischen Ihnen, Verehrteste, und dem karamellisierten Apfelkuchen. Was ist süßer?“, fragte er augenzwinkernd.

„Ganz klar der Apfelkuchen!“, kicherte die Bedienung. Er war hier Stammgast und konnte sich etwas erlauben. Jeder wusste, wer er war, sein Trinkgeld stimmte und sein Auftreten ebenfalls: Anzug: Prada, Uhr: Rolex, Schuhe: maßgeschneidert in der Portobello Road. Noch Fragen?

„Hm“, erwiderte er. „Kann ich Ihnen in diesem Punkt wirklich glauben, oder sollte ich es besser ausprobieren?“

„Den Apfelkuchen können Sie gern probieren, Mister Night, und das andere …“ Sie schüttelte den Kopf, aber nur ganz leicht und ein wenig verlegen, so als würde sie tatsächlich erwägen, auf sein Angebot einzugehen.

„Wie wär’s? Gehen wir morgen Abend zusammen aus?“, fragte er. „Eine Schönheit wie Sie verdient es, in den besten Restaurants der Stadt zu speisen und nicht nur dort zu arbeiten.“

Nun war sie es, die ihm verführerisch zuzwinkerte.

„Ich überlege es mir“, hauchte sie ihm zu. „Aber morgen kann ich nicht, da muss ich arbeiten. Vielleicht am Wochenende …?“

„Ich nehme Sie beim Wort, Prinzessin“, erwiderte er erfreut über die Tatsache, dass er offenbar nichts verlernt hatte.

Ja, jetzt würde diese Emily Day Augen machen! Schade, dass sie nicht hier war, um seine Wirkung auf attraktive Frauen mit eigenen Augen zu beobachten. Und um festzustellen, was sie so leichtfertig ausgeschlagen hatte. Und das, obwohl er sich wie ein formvollendeter Gentleman verhalten hatte. Nun ja, den Spruch mit dem Treppensteigen und dem Sex hätte er sich vielleicht sparen können. Aber konnte er ahnen, dass sie so humorlos war? Mein Gott, sie lebten in England! Und wofür waren Engländer in der ganzen Welt berühmt, wenn nicht für ihren ein wenig schrägen Humor und Mutterwitz?

„Mister Night! Wir haben Sie vermisst! Wo haben Sie sich rumgetrieben?“

Vom Nachbartisch winkte Peter Norton rüber, ein Investmentbanker, der noch schwerer wog als er selbst. Vom Kontostand her, verstand sich. Er saß da mit einer Neuerwerbung, blond, blauäugig und mit üppigen Investmentanreizen. Sie konnte sich noch nicht viel länger als drei Wochen in seinem Portfolio befinden, denn kurz vor seinem Herzinfarkt hatte Sean ihn noch mit einer anderen gesehen.

„Ich? Geschäftsreise!“, log er. Niemand musste wissen, was passiert war. Zwei Wörter waren unter Geschäftsleuten in der City unbekannt und durften nicht ungestraft ausgesprochen werden, wollte man nicht aufs Abstellgleis geschoben werden: Das eine war Urlaub, das andere war Herzinfarkt.

„Und? Erfolgreich?“, hakte Peter Norton nach.

„Sehr erfolgreich sogar!“, bestätigte Sean, während ihm die an seinen Tisch zurückgekehrte hübsche Kellnerin mit einem charmanten Lächeln den Wein einschenkte. „Und Sie auch, wie ich unschwer feststellen kann …“, spielte er den Ball mit einem anerkennenden Blick auf Nortons Neuerwerbung zurück.

Norton nickte, während die Blondine nicht das Geringste zu verstehen schien.

Es war ein altes Spiel zwischen ihnen beiden – das ging schon seit Jahren so: Wer hatte die Schönste? Wer hatte die meisten? Das waren die Fragen, um die sich das Spiel drehte. Eine amüsante Sache, die Sean eigentlich immer genossen hatte.

Sie erhoben das Glas und prosteten einander aus der Entfernung zu.

Als Sean ein Stündchen später an die frische Luft trat und diese tief in seine Lungen einsog, fühlte er sich fast, als wäre er wirklich auf einer erfolgreichen Geschäftsreise gewesen.

Und nicht im Krankenhaus.

Wahrscheinlich musste er einfach nur diese innere Stimme aus seinem Kopf löschen, mit der so viele Menschen zu kämpfen hatten, die in letzter Sekunde dem Tod von der Schippe gesprungen waren. Jedenfalls hatte er das mal im Fernsehen gesehen. Die innere Stimme, die einem zuflüsterte, dass man eine zweite Chance bekommen hatte, um es diesmal besser zu machen. Ein besserer Mensch zu werden. Eine erleuchtete Version seiner selbst.

Aber das war Nonsens. Denn was passierte, wenn man es auch nur ansatzweise versuchte, hatte er vor ein paar Tagen erlebt. Man stieß auf nichts als Ablehnung und Unverständnis. Wahrscheinlich funktionierte die Besserer-Mensch-Schiene nur mit Menschen, die eine ähnliche Nahtoderfahrung durchgemacht hatten.

Und deren Gehirne dabei ebenfalls ein paar Kratzer abbekommen hatten.

Sean jedenfalls war froh, dass seines jetzt wieder halbwegs zu funktionieren schien.

Am Wochenende würde er Nicole, die Kellnerin, wiedersehen – die Sache war so gut wie geritzt. Er hatte ihre Nummer und sie seine. Und bis dahin würde er schauen, was ihm sonst noch so vor die Flinte kam. Langsam fing das Leben wieder an, Spaß zu machen.

Ein Gedanke, der jäh durch das Klingeln seines Handys unterbrochen wurde. Unbekannte Nummer, stellte Sean mit einem Blick auf das Display fest, entschloss sich aber, den Anruf trotzdem entgegenzunehmen. Man konnte nie wissen. Auch manche seiner Geschäftspartner aus aller Welt hatte er auf diese Weise kennengelernt.

„Ja?“

„Mister Night?“

Die Stimme kam ihm bekannt vor. Sie gehörte einer jungen Frau.

„Am Apparat“, bestätigte er, während er überlegte, woher genau er ihre Stimme kannte.

„Sie … sind wirklich der gemeinste … Mistkerl! … der mir je begegnet ist.“

Sean zuckte augenblicklich zusammen. Jetzt wusste er, wem die Stimme gehörte – niemand anderem als Emily Day! Der Frau, mit der er um ein Haar ausgegangen wäre. Hätte sie ihrem eigenen Glück nicht so stur im Wege gestanden.

„Was …“ Zu mehr reichte die Zeit nicht. Denn sie war schneller.

„… und zwar von der schlimmsten Sorte!“, fuhr sie fort mit ihrer verbalen Tracht Prügel, die Sean ein absolutes Rätsel war. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, womit er das nun wieder verdient hatte.

„Sie meinen, weil ich mit Blumen vor Ihrer Tür stand und Sie zum Abendessen ausführen wollte? Meinen Sie das?“, ließ er den schief gelaufenen Anmachversuch vor seinem geistigen Auge Revue passieren – in der Hoffnung, dass ihm der Grund ihres Ärgers dabei doch noch einleuchten könnte.

„Sie wissen ganz genau, was ich meine!“

„Nein, das weiß ich nicht, Emily“, stellte er nüchtern fest.

„Miss Day!“, korrigierte sie ihn erneut. Ja, sie schrie es ihm fast ins Ohr. Langsam, aber sicher war er froh, dass sie nicht zusammen ausgegangen waren. Denn offensichtlich hatte sie wie so viele Frauen ein ziemliches Problem mit sich selbst. Wenn sie nicht sogar absolut verrückt oder zumindest schwer gestört war. Eine Schande, dachte Sean, denn sie war so hübsch. Wieso mussten Frauen sich selbst und anderen das Leben nur immer so schwer machen?

„Jetzt streiten Sie es bloß nicht ab!“, fuhr sie fort, ihm die Hölle heiß zu machen.

„Ach ja? Und was in aller Welt sollte ich abstreiten, Emil… Miss Day …?“, antwortete er wahrheitsgemäß. Er wollte noch Julius Cäsar zitieren und dass er seine Hände in Unschuld wusch, ließ es aber lieber bleiben, um nicht zu riskieren, dass nach seinem Herz auch noch sein Trommelfell schwerwiegende Schäden nahm.

„Dass Sie sich meinen Laden unter den Nagel reißen wollen!“

Sean lachte laut auf.

Das konnte sie unmöglich ernst meinen. Oder aber, sie war wirklich verrückt.

„Wissen Sie was, Miss Day: Sie sind ganz schön gestört! Ich bin froh, dass wir nicht zusammen ausgegangen sind!“, klärte er sie auf, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Ich bin gestört?“

Er konnte förmlich hören, wie sie Luft holte.

„Nach allem, was ich bis jetzt vernommen habe, muss ich das wohl leider annehmen“, erklärte er nüchtern.

„Wenn hier jemand gestört ist, dann Sie, Mister Night!“, schoss sie zurück. „Erst tun Sie so, als ob die Sache sich erledigt hätte – und dann greifen Sie aus dem Hinterhalt an und holen sich unseren Laden doch noch. Sie haben wirklich nichts gemeinsam mit Ihrem Bruder. Schämen Sie sich!“

Was um Himmels willen sollte das? Wäre sie nicht so außer sich gewesen, hätte er angenommen, dass ihn hier jemand gehörig auf den Arm nehmen wollte. Aber so?

„Hören Sie, Miss Day, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Würden Sie mir die Sache vielleicht einmal genauer erklären, ohne mich dabei anzuschreien?“

Doch er hatte noch nicht einmal ausgesprochen, da vernahm er bereits ein Knacken in der Leitung, gefolgt von absoluter Stille.

Aufgelegt!

Was für eine Unverschämtheit!

Für einen Moment musste Sean sich auf eine Bank setzen. Er spürte, dass die Aufregung Besitz von ihm ergriffen hatte, auch wenn er am Telefon versucht hatte, möglichst cool zu klingen. Doch es ließ sich nicht verleugnen: Sein Herzschlag hatte sich deutlich beschleunigt. Und sein Arzt hatte ihm bei der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht umsonst angeraten, dieses angeschlagene Herz gerade jetzt besonders zu schonen. Er war achtunddreißig Jahre alt. Und er verspürte nicht die geringste Lust, jetzt schon ins Gras zu beißen.

Was in aller Welt hatte dieser wutentbrannte Anruf zu bedeuten? Sean konnte sich nicht den leisesten Reim darauf machen. Doch eines war klar: Wenn es Emily Days Ziel gewesen war, ihm schlaflose Nächte zu bescheren, sollte sie damit keinen Erfolg haben. Er würde der Sache auf den Grund gehen – und zwar jetzt sofort, sobald er nur wieder etwas zu Atem gekommen war.

Kaum eine Stunde später fuhr er vor dem kleinen Blumenladen in Notting Hill vor. Er parkte seinen Aston Martin diskret in einer Seitenstraße. Und trat dann unter dem grashüpfergrünen DAYSIES-Schild hindurch in das Geschäft, begleitet von einem freundlich hellen Bimmeln eines Türglöckchens, das in einem merkwürdigen Kontrast zu der Unterhaltung stand, die die Inhaberin des Ladens ihm soeben am Telefon aufgedrängt hatte. Und die er nun an Ort und Stelle zu Ende führen würde.

„Bin gleich da!“, vernahm er ihre hell und freundlich klingende Stimme aus dem hinteren Teil des Geschäfts. Offenbar nahm sie an, er wäre ein Kunde. Nur eine Sekunde später tauchte sie auf, mit einer Blumenschere in der Hand.

Sie erstarrte, kaum hatte sie ihn erblickt – in ihrem dunkelblauen, knielangen Kleid, das sich unter ihrer DAYSIES-Schürze an ihren Körper schmiegte und perfekt zu ihren goldblonden Haaren passte.

Doch dieser Gedanke verließ seinen Kopf so abrupt, wie er sich hineingeschlichen hatte. Denn sie richtete doch tatsächlich drohend die Gartenschere auf ihn. Als wäre er ein Einbrecher!

„Nun kommen Sie schon, Miss Day!“, sagte er. „Finden Sie das nicht ein wenig übertrieben?“

Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Sie sind zu allem fähig, dafür sind Sie bekannt.“

Nun, in diesem Punkt mochte sie recht haben. Er war tatsächlich für seine, nun: hemdsärmeligen Geschäftspraktiken bekannt. Oder besser gesagt: berühmt. Denn wer so erfolgreich werden wollte, wie er es in relativ kurzer Zeit geworden war, konnte sich nun mal keine Zimperlichkeiten erlauben. All das jedoch war vor dem Infarkt gewesen. Auf Anraten seines Arztes hin hatte er sich fest vorgenommen, in Zukunft deutlich kürzer zu treten. Und, wo das Thema treten schon mal angesprochen war: Er wollte anderen Menschen nur noch auf die Füße treten, wenn es sich partout nicht vermeiden ließ.

Emily Day jedoch hatte er nicht auf die Füße getreten, die in hübschen braunen Lederstiefeln steckten, wie er in diesem Augenblick feststellte – von daher musste er sich für nichts entschuldigen. Und war sich auch keiner Schuld bewusst.

„Ich bitte Sie, meinen Laden sofort zu verlassen! Denn noch ist es mein Laden – noch gehört er mir und meiner Schwester!“, stellte sie klar.

„Und daran wird sich auch nichts ändern, denn all das hier ist drei Nummern zu klein für mich“, spielte er den Ball lässig zurück, während er langsam und durchaus ein wenig theatralisch die Hände erhob, um sie dezent darauf hinzuweisen, dass sie noch immer mit der Gartenschere auf ihn wies. „Und egal, was Sie mir vorwerfen: Ich habe damit nichts zu tun.“

„Ach ja? Und was ist dann das?“, fragte sie und wies mit ihrer Behelfswaffe auf einen weißen Briefbogen, der zwischen allerlei Blumen, Töpfen und Utensilien auf dem großen Tisch neben der Kasse lag.

„Ein Brief?“, mutmaßte er.

„Genau. Und zwar von unserem Vermieter. Der uns fragt, wann wir den Laden denn nun endgültig räumen werden.“

Sean stutzte. „Das hat nichts mit mir zu tun.“

Doch Emily Day schüttelte den Kopf. Offensichtlich traute sie ihm nicht im Geringsten über den Weg. Was hatte er ihr nur angetan? Offensichtlich hatte er mit der geplanten Übernahme des Ladens, die für ihn nur eines von vielen Themen auf seinem Schreibtisch gewesen war, ein echtes Trauma in ihr ausgelöst.

„Das glaube ich Ihnen nicht, Mister Night.“

„Nun, es gibt einen ganz einfachen Weg herauszufinden, ob ich die Wahrheit sage oder nicht“, schlug er vor.

„Und der wäre?“

„Sie rufen Ihren Vermieter an und fragen, wer hinter der Sache steckt“, empfahl er ihr. „Und zwar jetzt sofort. Wenn Sie sich nicht trauen, mache ich das auch gern für Sie. Und sei es nur, um Ihnen zu beweisen, dass ich eine absolut weiße Weste habe – strahlend weiß sogar!“

Einen Moment lang starrte sie ihn irritiert an. So als überlege sie, ob es tatsächlich Sinn ergab, was er soeben gesagt hatte – oder ob er sie damit nur von ihrem eigentlichen Plan abbringen wollte, ihn mit der Blumenschere in ihrer kleinen Hand hier und jetzt ins Jenseits zu befördern. Schließlich ließ sie die Schere sinken.

„Gut“, sagte sie. „Ich rufe dort an.“

Sie blickte ihn an, als erwarte sie von ihm, dass er den Laden verließ. Doch Sean rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck.

„Ich werde hier solange warten“, erklärte er ihr.

Sofort stemmte sie ihre Arme entrüstet in ihre Hüften. „Und wieso bitte ist das nötig?“

„Damit Sie sich bei mir entschuldigen können, sobald Sie aufgelegt haben.“

„Haha – sehr witzig …“, erwiderte sie und verdrehte genervt die Augen. Dann griff sie nach dem Brief auf dem Tisch und dem Telefon daneben. Wählte die Nummer. Und wartete.

Sean beschloss, ihr ein wenig Privatsphäre zu lassen und sah sich währenddessen die Präsentation der Schnittblumen an und begutachtete die Dekoration des Ladens. Zumindest dafür schien sie ein Händchen zu haben. Er nahm sich vor, einige Ideen bei Nightflowers einfließen zu lassen, während er mit einem Ohr ihrem Gespräch lauschte.

Als sie schließlich aufgelegt hatte, wirkte sie merkwürdig kleinlaut. Verglichen mit ihrem Auftreten kurz zuvor jedenfalls.

„Ich habe mich dazu entschlossen, mich nicht bei Ihnen zu entschuldigen!“, teilte sie ihm ziemlich frustriert mit, zwei Nummern leiser als zuvor und mit sichtlich schlechtem Gewissen.

„Wissen Sie was?“, erwiderte er.

„Nein … was?“

„Es ist mir vollkommen egal, ob Sie sich bei mir entschuldigen oder nicht. Sie wollten von Anfang an nur einen Sündenbock – und das war ich. Ehrlich gesagt fühle ich mich ganz wohl in der Rolle, also belassen wir es einfach dabei. Sagen wir so: Ich habe einen gut bei Ihnen, wenn ich das nächste Mal versuche, Ihnen etwas Schlimmes anzutun. Einverstanden?“

Da! Zum ersten Mal hatte er ihr ein kleines Lächeln entlockt. Das allerdings nicht länger währte als eine Sekunde. Dann ging es wieder über in ihren üblichen grimmigen Gesichtsausdruck, den er offensichtlich in ihr hervorrief.

„Wieso haben Sie Ihren Vermieter eigentlich nicht schon früher angerufen?“

Sein Gegenüber schaute ihn kopfschüttelnd an.

„Der Brief ist heute Morgen erst gekommen – und meine innere Stimme schwor mir, dass er nur von Ihnen sein konnte.“

„Danke für die Blumen“, erwiderte er. „Doch in diesem Fall hat Ihre innere Stimme eindeutig einen Meineid geleistet. Oder anders gesagt: Sie hat Ihnen einen Bären aufgebunden.“

Für ein paar Sekunden schlich sich eine geradezu unheimliche Stille zwischen sie. Sean war richtig gehend überrascht, dass sie nicht sofort nachlegte. Dass sie keinen anderen Grund fand, ihn zu beschimpfen.

„Ja …“, erwiderte sie schließlich, seinem Blick ausweichend. „Es tut mir … ehrlich …“

Was war das?

„Stopp!“, hielt er sie auf, das zu sagen, was sie offensichtlich urplötzlich doch noch glaubte, sagen zu müssen. „Keine Entschuldigungen, ja? Verraten Sie mir stattdessen einfach nur, wer wirklich hinter der Sache steckt?“

Emily Day zuckte mit den Schultern, als spiele das nun wirklich keine große Rolle mehr. „Ricardo Agnelli.“

Sie schien nicht im Geringsten zu ahnen, was sie da soeben von sich gegeben hatte.

„Ricardo Agnelli?“ Nun war es Sean, der ungläubig die Augen aufriss. „Der Blumengroßhändler aus Rom?“

„Sie kennen ihn?“

Natürlich kannte er Ricardo! Seit er ein kleiner Junge war! Schon sein Vater hatte mit ihm zusammengearbeitet, viele Jahrzehnte lang. Er war so etwas wie die graue Eminenz des Blumengroßhandels in Italien. Und einer seiner größten Lieferanten. Mittlerweile musste er auf die achtzig zugehen. Doch was um Himmels willen wollte er mit einem Blumenladen in London? Zeitlebens hatte Ricardo nur Blumen an Händler in aller Welt verkauft – abgesehen von ein paar Läden in Rom, die er mehr als Hobby nebenbei betrieb. Aber London? Die ganze Sache kam Sean merkwürdig vor. Irgendetwas stank hier zum Himmel – und zwar ganz gewaltig.