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Inhalt

Vorwort

Und wenn sie nicht gestorben sind?

Das Männlein im Walde

Zu Mittag bei der Hexe

Der Fischer und sein Schuh

Töpfchen steh

Der Frosch, der kein König war

Der Jäger und die sieben Geißlein

Spinnlein, Spinnlein an der Wand

Ein Esel in der Gaststube

Knüppel im Sack

Die magersüchtige Ziege

Trashmarie

Schneewittchens Tod

Cinderellas Asche

Jorinde und Joringel

Rumpelstilzchens Namenstag

Aschenputtel

Vermutung über das Verschwinden des Froschkönigs

Dornröschen erwacht

Hans und Margarethe

Der verkaterte Stiefel

Ronja

Einundzwanzig Jahre

Eine Probierphase braucht man

Die dreizehnte Fee oder Die Wahrheit über Dornröschen

Machtübernahme

Punkgirl

Auf Schritt und Tritt

Hans im Glück, die Fortsetzung

Rotkäppchen 2012

Leserbrief an Dr. Sommer

Das Böse ist immer und überall

Der Schneider und die Tiere

Frau Holle, erzählt von Pechmarie

Prinzessin für eine Nacht

Körri

Jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge

Auf Abwegen

Brot - o- koll

Die Spinnerin

Blendwerk

Thalor, der liebende Hakir

Schneeweißchen und Rosenrot

Gut gemeint

Zwei Königinnen

Ursprungsmärchen

Grimms Märchen Update 1.1


Froschkönig ungeküsst


Anthologie

Hrsg. Charlotte Erpenbeck




Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck


Haselünne

Umschlag: Michelle Hothum,  (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Illustratoren:  www.shutterstock.com

2012

ISBN 978-3-939727-91-0





 

 

Ursprungsmärchen

Allerleirauh

Die Alte im Wald

Aschenputtel

Blaubart

Brüderchen und Schwesterchen

Dornröschen

Frau Holle

Der Froschkönig

Der gestiefelte Kater

Hans im Glück

Hänsel und Gretel

Jorinde und Joringel

König Drosselbart

Die Nixe im Teich

Rapunzel

Rotkäppchen

Rumpelstilzchen

Schneeweißchen und Rosenrot

Schneewittchen

Sterntaler

Das tapfere Schneiderlein

Vom Fischer und seiner Frau


Dieses Buch hat Ihnen gefallen? Fein! Dann können wir Ihnen zu weiterem Lesevergnügen verhelfen. In unserem Verlag sind bereits drei weitere Bände dieser Reihe moderner Märchen erschienen, und auch für das kommende Jahr ist ein neuer Märchen-Band geplant.  Informationen über bereits erschienene Bücher und über geplante Neuerscheinungen finden Sie auf der Verlags-Webseite:

www.machandel-verlag.de







Vorwort

 

 

Vor genau 200 Jahren, im Jahr 1812, gaben die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm den ersten Band ihrer Kinder- und Hausmärchen heraus.

Seitdem begleiten die Geschichten von Rotkäppchen, Hänsel und Gretel, Hans im Glück, Aschenputtel, dem Froschkönig und vielen anderen Märchengestalten Generationen von Kindern.

Aber nicht nur den Kindern, auch den Erwachsenen sind diese Märchen lieb und teuer. Und wer sich die Mühe macht, einmal nach den Ursprün-gen unserer Märchen zu forschen, wird schnell feststellen, dass diese Geschichten eigentlich für Erwachsene erzählt und geschrieben wurden. Nicht zuletzt die eindeutig erkennbaren erotischen Inhalte vieler Märchen deuten, neben Mord, Totschlag und familiären Verstrickungen, auf die ursprüngliche Zielgruppe hin.

Die Autoren dieser Anthologie sind der Frage nachgegangen, wie Grimms Märchen wohl aussehen würden, hätte man sie heute geschrieben. Herausgekommen ist ein bunter Bilderbogen, denn wenn auch die Motive der Märchen zeitlos sind, so ist doch die Art ihrer Erzählung sehr wohl ein Kind unserer Zeit.

Viele Ihrer Lieblingsmärchen werden Sie unschwer wiederfinden. Einige allerdings haben sich der modernen Welt derart angepasst, dass Sie sehr überrascht sein werden, wenn Sie ihren Ursprung erkennen.

In diesem ersten Band der Anthologie finden Sie überwiegend Märchen der etwas traditionelleren Art; aufgefrischt, abgestaubt und mit Schwung erzählt.

Im zweiten Band, Der Wolf und das Böse Rotkäppchen, der ebenfalls als Ebook erhältlich ist, sind dann Märchen-Varianten zu finden, die deutlicher von der historischen Vorlage abweichen.


Im Namen aller Autorinnen und Autoren wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen!

 

 

Charlotte Erpenbeck 

(Hrsgb.)

 

 

 

Und wenn sie nicht gestorben sind?

Ramona „Trashmarie“ Müller


 

“Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, beendete ich meine Erzählung und erwartete eigentlich Applaus. Stattdessen – Schweigen. Verständnislose Blicke.

„Na, was denn nun“, rief jemand, „leben sie noch oder sind sie schon gestorben?“

„Genau“, sagte ein anderer, „eins geht doch nur!“

Weiter hinten stand einer auf: „Und wenn sie noch leben, wo stecken sie dann?“

„Ja, und wenn sie tot sind, wo sind sie begraben?“, fragte der Nächste. 

Ein regelrechter Tumult brach los. Wo war ich hier nur hingeraten? Diese staubig-düstere Bibliotheksstube, wo schon Spinnenweben zwischen den Büchern hingen. Was war das für ein Ort? Wer waren diese Menschen? Warum saßen da nicht Kinder oder ältere Leute, die sich freuten, und denen der Schluss so selbstverständlich war, dass sie ihn laut mitsprachen? Hier jagte man mich förmlich aus dem Raum ob meiner Unwissenheit. Meine Glaubwürdigkeit als Erzählerin war in Frage gestellt. Ich würde nie wieder eine Geschichte frei und unbefangen erzählen können. Ich würde überhaupt nie wieder erzählen können. 

In der Nacht konnte ich nicht schlafen, ich wälzte mich hin und her. Der Mond starrte mich an, ich starrte zurück. Nein, ich konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Also stand ich auf und packte meinen Rucksack. Ich würde ins Hessische reisen. Dahin, wo die Gebrüder Grimm ihre Geschichten gehört und aufgeschrieben hatten. Vielleicht konnte ich ja dort etwas erfahren. Ich war noch nie in Hessen, und es sollte nichts schaden, wenn ich dort ein wenig durchs Land wanderte. Und außerdem soll der Wein in Hessen recht gut sein. Also, ab nach Kassel!

Ich durchwanderte Städte und Dörfer, Wälder und Felder, besichtigte Schlösser und Burgruinen, besuchte Museen und Gasthöfe. Überall kannte man die Geschichten der Gebrüder Grimm, aber letztendlich konnte mir keiner die Fragen beantworten.

Erschöpft setzte ich mich auf eine Bank am Waldrand. Neben mir im Gezweig hockte eine dicke Spinne in ihrem Netz und lauerte auf Beute. Ich rückte etwas mehr zur anderen Seite. Die Sonne schien, ich schloss die Augen und dachte nach.

Ich musste wohl kurz eingenickt sein, denn neben mir saß eine alte Frau, deren Kommen ich nicht bemerkt hatte.

„Ich bin sehr hungrig“, sagte sie, „willst du nicht deine Brote mit mir teilen?“

So, so, eine Bettlerin. Woher wusste sie überhaupt, dass ich ein Lunchpaket bei mir hatte? Ich gab ihr von meinem Proviant. Die Alte langte kräftig zu.

„Nun bin ich durstig“, sprach sie, „gib mir von deinem Wein!“

Auch das noch, den teuren Wein. Und woher wusste sie ...? Ich öffnete die Flasche, goss mir meinen Reisebecher voll, alles andere trank sie.

„Du musst tiefer in den Wald hinein gehen, viel, viel tiefer!“, sagte die Alte. Aus den Baumwipfeln über uns erhob sich ein Schwarm Krähen und flog mit Gekrächz davon. Ich sah ihnen nach. Als ich den Blick wieder zur Seite wendete, war die Alte verschwunden. Als wäre sie nie da gewesen. Nur die Spinne saß noch in ihrem Netz neben der Bank. Das Netz vibrierte leicht.

Tiefer in den Wald hinein gehen? Was meinte sie? Ich verließ den befestigten Weg und folgte einem Wildpfad, der an einem kleinen Weiher endete. Von hier aus schlug ich mich mitten durchs weglose Holz. Zweige peitschten mir ins Gesicht, Spinnenweben verfingen sich in meinen Haaren, Dornen zerrten an meinen Kleidern, Brombeerranken angelten meine Füße und herabgebrochene Äste schienen mir Beine zu stellen. Es dauerte nicht lange und ich hatte jegliche Orientierung verloren. Woher war ich gekommen? Gab es in diesem verflixten Dickicht denn nirgends einen Forstweg oder Jagdpfad? Es wurde bereits dunkel. Mir schmerzten die Füße, ich fror und sehnte mich nach einer heißen Dusche und einem Bett. Wie es aussah, würde ich hier im Wald nächtigen müssen.

Zwei Käuzchen riefen sich schaurige Neuigkeiten zu. Der Mond spähte halbgesichtig von Himmel herab und verkroch sich hinter einer Wolke, als er mich entdeckte. Und überall diese Geräusche. Als tuschelten Bäume und Büsche und Steine miteinander. Vermutlich darüber, was ich hier wolle. Etwas huschte über meinen Kopf. Eine Fledermaus? Etwas anderes brach sich Bahn im Dickicht. Ein Wildschwein? Etwas surrte mir um die Ohren. Ein Nachtfalter? Und dann sang da auch noch jemand.

 

 

Das Männlein im Walde

 

Vorsichtig schlich ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kam, und gelangte auf eine winzige Lichtung. Hier loderte ein Feuerchen, darum herum sprang ein Männlein, alt, dürr und unansehnlich, aber topfit. Was war denn das für einer? Er sang mit knarrender Stimme:

„Gestern braut’ ich, heute buk ich, dra, la-la, la-la-la, la!“

Da entdeckte mich der Alte.

„Was!“, schrie er.

„Entschuldigung!“, sagte ich, „und Guten Abend! Ich kam zufällig vorbei und entdeckte das Feuer. Es ist schon spät und recht kalt und ich dachte ...“

„Du dachtest! Du dachtest wohl, du könntest dich hier breit machen? Ha!“ Er tanzte noch eine Runde um sein Feuer. „Nun gut, nimm Platz! Ich habe Bier gebraut, und das Brot ist auch gleich fertig.“ Er schleppte einen Holzkloben an, damit ich mich hinsetzen konnte. Ich wollte ein paar Spinnenfäden beseitigen, die mir vor dem Gesicht hingen, da schrie das Männlein: „Halt! Donner Potz Blitz! Wirst du das wohl nicht kaputt machen! Das ist Teil meines Kommunikationsnetzes.“

„Ein Spinnennetz?“

„Jo! Spinnen sind überall. Spinnen wissen alles. Sie sind nicht die besten Erzählerinnen, sie schweigen lieber. Und verschweigen oft etwas. Aber sie lügen nie.“

Der Alte tanzte weiter: „Ach, wie gut, dass niemand weiß ...“

Er bemerkte meinen Blick.

„Was?“, schrie er wieder. „Du glaubst, du weißt? Was glaubst du denn zu wissen, was!?“ Er hüpfte noch wilder umher. „Meinen Namen? Ha, den kennt doch jedes Kind! Lautstark hinausgeschrieen habe ich ihn in meiner Not. Meinen Namen, pah! Aber was weißt du noch, hm? Was alles passiert im Lande? Weißt du es? Nein! Weiß es der König? Nein! Weiß ich es? – Ja! Ich allein weiß es! Nicht nur die Spinnen, sondern alle Wesen und Unwesen des Waldes, ja selbst der Wind und die Wolken, der Sand und die Steine tragen mir die Neuigkeiten zu. Und weiter. Weißt du, wer das Land regiert? Der König? Pah! Die Königin? Ha! Das glaubst du! Und der König und die Königin glauben es auch. Ich aber“, und er drehte sich dreimal um seine eigene Achse, „ich beherrsche allerlei Zauberei und habe so meine Mittel und Wege, einen König oder auch eine Königin zu veranlassen, ganz so zu regieren, wie es mir genehm ist. Ich, ha, ich bin einfach unübertroffen.“ Und er tanzte wieder eine Runde ums Feuer. „Na, ja, mein Äußeres ist vielleicht nicht ganz so vortrefflich, aber hier im Walde kommt es darauf gar nicht an. Sollte ich hier vielleicht die neueste Mode tragen? Sollte ich mich mit Gold und Geschmeide behängen? Meinst du, mir würden dann die Bäume Komplimente machen? Oder vielleicht die Pilze den Hut vor mir ziehen? Pah! Die haben ihren eigenen Stolz! Komm, hilf mir mit dem Brot!“

Wir saßen am Feuer, aßen das frisch gebackene Brot, tranken dazu das frisch gebraute Bier und beides war einfach köstlich.

„Das ist das leckerste Brot und das süffigste Bier, dass ich je probiert habe,“ lobte ich ihn.

„Ja, selbstverständlich. Ich bin einfach unübertroffen!“

Er trank sein Bier aus einem Krug, von dem ich glaubte, der ganze Kerl würde hineinpassen, wenn man ihn nur ordentlich hineindrückte. Nach-dem er ihn zur Hälfte geleert hatte, begann er wieder zu singen:

„Es war einmal

ein Königreich,

da lebte ein König,

der war reich.

Aber das reichte ihm nicht.

Er wollte reicher sein.“

„Du kannst gut singen,“ schmeichelte ich ihm.

„Ja, natürlich. Ich bin unübertroffen. - Jedenfalls fast.“

Er saß eine Weile schweigend da. Dann hob er seinen Riesenkrug und trank ihn leer, wischte sich den Bart und erzählte: „Na, zugegeben, diese Geschichte mit dem Kind, das war schon echt peinlich. Nur weil ich alter Zausel mich verliebt hatte! Und das mir! Mir, der ich sonst nie etwas Unüberlegtes tat! Wo nur hatte ich meinen Verstand gelassen!“

Er seufzte und sprach weiter: „Mir war zu Ohren gekommen, dass ein Müller damit prahlte, seine Tochter könne Stroh zu Gold verspinnen. Stroh! Ha! Stroh spinnen! Und auch noch zu Gold! Wie sollte das möglich sein? Ich meine, jemand anderem als mir! Das wollte ich sehen, mit meinen eigenen Augen. Also begab ich mich in besagtes Dorf. Ich sah sofort – der Müller selbst hatte gesponnen, seine Tochter hatte keinerlei besondere Gaben, außer der einen: Sie war ein hübsches, junges Ding, wirklich nett anzusehen. Und sie konnte ja nicht dafür, dass ihr Vater so log. Ich beschloss, um ihre Hand anzuhalten. Ganz spontan. Ohne einen Funken Vernunft. Ohne noch mal darüber zu schlafen. Nein, keine Sorge, als ich vor sie trat, sah ich nicht so zerzaust aus wie jetzt. Ich begab mich vorher in die Badeanstalt, wusch mich und meine Sachen, kämmte mich und meinen Bart. Hat wahrscheinlich nicht viel geholfen.“

Er ging, um seinen Krug zu füllen, und trank einen tüchtigen Schluck. „Die Badefrau riet mir von der Müllerstochter ab. Es würde erzählt, dass der König sie zur Frau nehmen wolle. Und zwar nicht etwa, weil er sie hübsch fand. Der hätte tausend Hübschere haben können. Er wolle sie, weil sie angeblich Stroh zu Gold spinnen konnte. Aber ich altes Trottelgesicht ging trotzdem hin und holte mir einen Korb, um es mal blumig auszudrücken.“

Dabei wand sich der Alte, als hätte er Schmerzen. Er erhob sich, trank seinen Krug wiederum leer, und füllte ihn noch einmal. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das viele Bier in ihn hinein passte.

„Was, zum Teufel, war nur in mich gefahren! Ich habe hier doch alles, Bier, Brot, Schmalz! Und konnte doch die Gedanken nicht von ihr lassen.“ Er starrte vor sich hin und schwieg eine Weile. Dann erzählte er weiter: „Aber der König war nicht dumm. Er kaufte nicht die Katze im Sack und schon gar nicht die Müllerstochter im Mehlsack. Er wollte eine Probe ihres Könnens. Er sperrte sie kurzerhand in die Strohkammer seines Reitstalles und befahl ihr, alles darin befindliche Stroh zu Gold zu spinnen, auch den letzten Halm, und zwar bis morgen früh. Da saß nun das arme Mädchen, weinte sich die Augen rot und wartete, dass ein Wunder käme. Stattdessen kam ich, hi, hi! Sie erschrak heftig, als ich plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihr stand.

‚Ach, du schon wieder!’, sagte sie dann, ‚Was willst du denn hier? Oder kannst du etwa Stroh zu Gold spinnen?’

‚Ha, nichts leichter als das. Aber was gibst du mir dafür, wenn ich es mache?’

‚Was soll ich dir denn geben? Ich habe nichts, was ich dir geben könnte. Vielleicht meine Halskette?’

‚Gib mir deine Kette’, sagte ich. ‚Und einen Kuss. Aber einen richtigen!’

Sie zögerte etwas, aber dann tat sie es. Wouuuhw, war das ein Gefühl!“ Der Alte atmete tief durch und nahm einen großen Schluck aus seinem Kruge.

„Und?“, fragte ich.

„Und! Na, was wohl! Ich saß den Rest der Nacht und spann und spann und spann mir die Finger wund. Bevor am Morgen der König kam und die Kammer wieder aufsperrte, machte ich mich davon.

Der König aber hatte keinen besseren Gedanken, als das arme Mädel in den Stadel des Schweinestalls zu sperren. Auch das ganze Stroh solle sie spinnen, bis zum nächsten Morgen. Ein Mädel, das so küssen konnte, in den Schweinestall zu sperren! Da saß sie nun und versuchte es mit dem Stroh so zu machen wie ich in der letzten Nacht und erreichte nur, dass das mürbe Stroh völlig zerbröselte.

Diesmal erschrak sie nicht, als ich auftauchte.

‚Spinnst du mir wieder das Stroh? Bitte!’

‚Was gibst du mir dafür, wenn ich es tue?’

‚Ich habe nichts, was ich dir geben könnte. Vielleicht meinen Ring?’

‚Gib mir deinen Ring! Und deine Keuschheit!’

Sie zierte sich natürlich eine Weile, aber mit Blick auf das Geld und die Macht überwand sie ihre Scham und tat, was ich verlangte. Oh, Mmmmmannomannomann! Das war ja so ...“ Er zögerte. „Nein, dafür gibt es keine Worte“, stöhnte er und trank seinen Krug wiederum aus. „Und danach hatte ich wirklich schwer zu tun, alles bis zum Morgen zu schaffen. Ich spann und spann und spann mir den Rücken krumm. Bevor am Morgen der König kam und den Stadel wieder aufsperrte, verschwand ich zurück in meinen Wald. Und ich hätte dort bleiben sollen!

Doch als der König darauf bestand, dass die Müllerstochter auch noch alles Stroh in der Scheune zu Gold spinnen solle, bevor die Hochzeit sei, war ich natürlich der erste, der davon erfuhr. Und ich wusste ja noch mehr.

Ich erschien in der Scheune und sagte: ‚Versprich mir dein erstes Kind, und ich will dir auch dieses Stroh spinnen.’

Die Müllerstochter lachte. Wie schön sie doch ist, wenn sie lacht, dachte ich. Aber sie lachte mich aus.

‚Mein Kind? Wie kommst du nur auf diese Idee? Dass ich ein Kind haben will? Ich will das Leben einer Königin genießen, mich bedienen lassen, auf Bällen tanzen, ferne Königreiche besuchen ...“

‚Du wirst nichts davon tun können,’ erwiderte ich.

‚Und wieso nicht?’

‚Weil ich keinen einzigen Halm spinne, wenn du es mir nicht versprichst. Und überhaupt, was heißt hier wollen. Du trägst es bereit in dir.’

‚In mir? Ein Kind? Von dir? Oh, je, was soll das für ein Kind werden!’

‚Ein ganz vortreffliches. So, und nun versprich es!’

Was blieb ihr übrig? Sie versprach es und ich setzte mich und spann und spann und spann mir die Seele aus dem Leib. Bevor am Morgen der König kam und die Scheune wieder aufsperrte, hatte ich mich aus dem Staube gemacht.

Bald darauf wurde Hochzeit gehalten. Und die schafften es doch wirklich, das ganze Gold aus dem Reitstall dafür auszugeben! Reine Verschwendung! Als ob es nichts Wichtigeres gäbe! Nun, es war ja nicht meine Hochzeit.“

Der Waldschrat erhob sich und füllte seinen Riesenkrug erneut. 

„Und neun Monate nach dem Hochzeitsfest brachte die Königin ein Kind zur Welt. Mein Kind! Endlich jemand, dem ich all mein Wissen weitergeben könnte, dem ich all meine Fertigkeiten beibringen könnte. 

Aus Anlass der Geburt wurde wiederum ein Fest gefeiert, für das nun das gesamte Gold aus dem Schweinestadel ausgegeben wurde. Als ob das Kind etwas davon gehabt hätte! Dieser Krach im Schloss. Das Kleine musste es ja mit der Angst bekommen. Als die Feier endlich zu Ende war, trat ich vor die Königin und verlangte die Einlösung des Versprechens. Ich verlangte mein Kind.

‚Bist du denn verrückt geworden?’, fragte die junge Königin. ‚Du kannst das Kind unmöglich bekommen! Es steht in der Thronfolge auf Platz eins.’

‚Du hast es mir versprochen!’

‚Du hast dafür eine Nacht gearbeitet, und es ging dir leicht von der Hand. Ich dagegen habe es neun Monate in mir getragen. Ich bin die Mutter!’

‚Du hast es versprochen und ich habe das Stroh gesponnen. Ich kann es auch wieder zurückverwandeln.’

‚Oh, nein! Nur das nicht! Aber sieh mal, hier im Schloss und als Königskind hat es doch die besten Möglichkeiten!’

‚Versprochen ist versprochen. Aber ich will dir noch eine Chance geben. Wenn du einmal meinen Namen rufst, so bekommst du es zurück.’ 

‚Aber ich kenne doch deinen Namen überhaupt nicht!’

‚Na, sonst wäre es ja auch zu einfach. Rate ihn! Schlimm genug, dass du den Namen vom Vater deines Kindes nicht weißt!’

Und so nahm ich Ahnungsloser mein Kind mit mir.“

Der Alte nahm einen gehörigen Zug. Er rutschte auf seiner Holzbank hin und her. „Ähm, ja, da hatte ich mich doch etwas verkalkuliert. Hierbei half mir alles Gold der Welt nichts, nicht einmal meine Zauberkünste. Das Königskind war ein Schreikind. Windeln waschen, Fläschchen kochen, Bäuerchen machen, Bäuchlein massieren, das wiederum verfehlte seine Wirkung nicht – Windeln wechseln, Po einpudern, wie sollte ein Mann meines Alters das aushalten können? Die Nächte ohne Schlaf, ich kam nicht zum Brotbacken, nicht zum Bierbrauen und, was das Schlimmste war, ich wusste nicht mehr Bescheid über das Geschehen im Lande. Drei Tage, drei lange Tage hielt ich das aus. Dann stand ich wieder im Schloss vor der Königin. Ein Bild des Jammers muss ich abgegeben haben, meine Güte, war ich fix und fertig. Auf dem Arm ein schreiendes Bündel mit gut gefüllten Windeln.

‚Rumpelstilzchen,’ schrie ich schon von Weitem, ‚ich heiße Rum – pel – stilz – chen! R – U – M – P – E – L – S – T – I – L – Z – C – H – E - N!  Sage einmal meinen Namen und nimm dein Kind!’

Aber sie wollte nicht. Kam mit Ausflüchten. Bei dir im Wald und in der Natur und in der gesunden Luft uns so weiter und so fort. Völlig andere Töne als noch vor drei Tagen. Auf Knien flehte ich sie an. Sie schaute zu mir herab: ‚Es ist auch dein Kind, schon vergessen? Und weißt du, so ohne Windeln wechseln und nächtliches Geschrei lebt es sich gar nicht so schlecht. Nimm es wieder mit!’

Und diese Frau hatte ich mal geliebt! Wollte sich nicht mal um ihr eigenes Kind kümmern!

Also brachte ich wieder Gold ins Spiel. Ich versprach ihr, soviel Stroh zu Gold zu spinnen, wie sie wolle, wenn sie nur einmal meinen Namen sagte und den schreienden Winzling wieder zu sich nähme. Das wirkte. 

Die Königin befahl, dass alles Stroh sofort nach der Ernte im Schloss abzuliefern sei. Die armen Bauern! Und die armen Kühe und Schweine! Und ich saß da und spann und spann und spann. Tagaus, tagein. Jahraus, jahrein. Wie viele verdammte Getreidefelder gab es nur in diesem Königreich!

Ich beschwor Dürren und Überschwemmungen herauf, die armen Bauern, wie gesagt, aber die Königin importierte Stroh aus fernen Ländern und ich behielt meine Arbeit. Mit Schwielen an den Fingern zwirnte ich goldene Fäden. Und nicht nur diese. Ich spann auch so manche Intrige. Und meine Zukunftsvision.“

Rumpelstilzchen trank genüsslich einen Riesenschluck von seinem Bier. Wo trank er das alles hin? Das musste mit Zauberei zugehen.

„Und eines Tages, das Kind war nun aus dem Gröbsten heraus, sah ich meine Zeit gekommen. Ich spann die goldenen Fäden und die Intrigen so fest um den König und die Königin herum, dass diese in ihrem Golde gefangen waren und sich nicht mehr alleine regen und schon gar nicht mehr alleine regieren konnten. Ich ging, selbstverständlich mit meinem wohlgeratenen Kind, in den Wald zurück, und zog von dort aus – ungesehen von der Welt – weiterhin die Fäden. Ein Fingerschnipp von mir, und all das Gold des Königshauses – von meiner Hand gesponnen – würde zu Asche. Der König wäre ruiniert. Das Land wäre ruiniert. Also: Wer ist der Herr im Land? Der sich König nennt oder der im Hintergrund die Fäden spinnt?“

Der Waldschrat sprang auf und trank seinen Krug leer. „Ich bin unübertroffen, ich bin einfach unübertroffen!“ Er torkelte um sein Feuer und sang wieder „Ach, wie gut, dass niemand weiß, dra, la-la, la-la-la, la ...“

Obwohl der Alte so viel getrunken hatte, war er am nächsten Morgen schon lange vor mir wach. Er hatte Feuer gemacht und Tee gekocht.

„Echter Hexenkräutertee. Habe ich von der buckligen Hexe, einer alten Jugendfreundin von mir.“

Rumpelstilzchen trank ihn aus einem Blechpott, der eher als Gulaschkessel für eine zehnköpfige Familie denn als Tasse für diesen Wicht geeignet schien.

„Tja“, sagte er, „vom Bier bekomme ich immer so viel Durst.“

„Wo ist denn eigentlich dein Kind?“, wollte ich noch wissen.

„Nachdem ich ihm alles wichtige beigebracht hatte, hat es sich auf und davon gemacht. Die Welt besehen. Als ob es da etwas zu sehen gäbe! Ha! Hier hatte es doch alles! Aber wie die jungen Leute eben so sind. Na ja, zugegeben, diese kleine Lichtung ist ja für zwei Leute unseres Schlages etwas eng.“

Wir verabschiedeten uns, und der Waldschrat gab mir Brot und Bier als Wegzehrung mit. Er zeigte mir einen schmalen, fast gänzlich zugewachsenen Pfad: „Folge diesem Weg, der führt dich aus dem Wald heraus. Unterwegs kommst du am Häuschen der buckligen Hexe vorbei. Sie freut sich sicher über Besuch. Und grüße sie von mir!“

 

 

Zu Mittag bei der Hexe

 

Ich machte mich auf den Weg. Der Wald wurde noch düsterer. Erlen ragten aus schwärzlichen Tümpeln, Flechten hingen von abgestorbenen Ästen herab. Es wimmelte von Spinnen. Kein Vogel sang. Nur ein paar Raben krächzten. Und hier, wo es keiner vermuten würde, stand ein Haus. Es wirkte baufällig, schien aber bewohnt zu sein, denn aus der Esse stieg Rauch.

„Schert euch fort, ihr Lumpenpack! Oder ich verhexe euch! Ich verwandle euch in Kröten, ihr nichtsnutziges Gesindel!“

Erschrocken duckte ich mich hinter einen Busch. Doch die krummbucklige Alte mit dem zerschlissenen Spitzhut hatte mich bereits entdeckt und kam mit erhobenem Besen auf mich zugehumpelt.

„Dem Leibhaftigen sei Dank, nicht Hänsel und Gretel! Nicht diese verfluchten Rowdys. Aber wer sind Sie denn? Warum verstecken Sie sich hier?“ Sie hielt den Besen immer noch drohend in die Luft.

„Ich bin auf Wanderschaft. Komme gerade von Rumpelstilzchen und soll Sie grüßen von ihm.“

„Oh, entschuldigen Sie! Ich dachte, es wären schon wieder diese Unholde! Diese beiden lassen mich einfach nicht in Ruhe. Furchtbar ist das. Ich lebe hier in Angst und Schrecken. Sie wissen ja gar nicht, was ich schon durchgemacht habe. Ich bekomme ja so selten Besuch, und wenn hier jemand erscheint, denke ich immer gleich das Schlimmste!“

„Wer sind denn diese beiden?“

„Zwei Kinder, Geschwister, Mädel und Junge. Wohnen am Rande des Waldes. Ganz arme Leute sind das. Bedauernswert. Aber diese Kinder! So richtige Nichtsnutze! Frech und aufmüpfig. Die einzige, die denen ab und zu mal den Marsch geblasen hat, war die neue Frau des Vaters. Aber Sie kennen das ja. Dann war sie gleich die böse Stiefmutter, na klar, die den Kindern nichts gönnt und sie nur schuften lässt. Von wegen! Wenn die Familie in den Wald ging, um Holz zu machen, waren die Geschwister regelmäßig verschwunden. Die hatten keine Lust zu arbeiten und Holz zu schleppen. Sie liefen tief in den Wald hinein, machten sich dort ein Feuerchen, futterten den Proviant auf, verschliefen den Tag oder streunten umher. Wenn sie dann spätabends nach Hause kamen, erzählten sie, sie hätten sich im Wald verirrt und die ganze lange Zeit den Heimweg gesucht und gehungert und gefroren. Der Vater bedauerte die beiden sehr, die armen Kinderlein, nur die Stiefmutter durchschaute sie.

Und irgendwann hatten sie beim Herumstreunen mein Haus entdeckt. Es begann eine böse Zeit für mich, kann ich Ihnen sagen, eine böse Zeit. Sie kamen und rissen mir einfach die Ziegel vom Dach, stellen Sie sich das mal vor! Sie müssen wissen, mein Dach ist mit Lebkuchen gedeckt. Die holten sie einfach runter und knabberten daran! Sehen Sie, da sind immer noch Löcher im Dach.“

„Warum decken sie denn Ihr Dach mit Lebkuchen?“, wunderte ich mich.

„Nun fangen Sie auch noch damit an, was? Von wegen Ziegel aus Ton. Schauen Sie sich doch um! Hier gibt es weit und breit keinen Lehm und schon gar keinen Ton, alles mooriger Boden. Woraus sollte ich Ziegel brennen? Also nehme ich Lebkuchen fürs Dach. Die backe ich selbst, hexe sie wetterfest und fertig. Das ging ganz wunderbar, bis Hänsel und Gretel hier auftauchten und mir das Dach über dem Kopf wegfraßen. Die Lebkuchen wetterfest zu hexen ist ganz einfach, das mache ich nun schon jahrelang, aber sie knabberfest hexen? Das kriege ich einfach nicht hin. Mir fällt das Hexen auch nicht mehr so leicht auf meine alten Tage. Und diese Gretel erst! Hat die mir doch die Fensterscheiben zerschlagen und die Stückchen gelutscht! Wissen Sie, meine Fensterscheiben mache ich aus Zucker. Wunderschöne farbige Butzenscheiben hatte ich mir zusammengesetzt. Rote mit Himbeersaft, grüne mit Waldmeister, die Gelben mit Sanddorn. Wissen Sie, wie viel Mühe ich mir damit gegeben hatte? Und dieses Gör zerschlägt sie einfach so. Der Wind pfiff durch meine Stube, es regnete durchs Dach und ich hätte mir eine Lungenentzündung holen können! Ich alte Frau konnte alleine gar nicht so schnell Lebkuchen backen und Zuckerscheiben bauen, wie die beiden das wieder kaputtmachten! Sie hätten Hunger, sagten sie. Ich bot ihnen von meiner guten Suppe an, aber die sagten ääh und iih und Suppe essen wir nicht. Ich buk Brot für sie, aber die sagten ääh und iih, Brot mögen wir nicht. Und knabberten mir weiterhin die Ziegel vom Dach. Als ich ihnen mit meinem Besen Mores lehren wollte, rannten sie nur ums Haus herum und knusperten an der anderen Seite weiter, so schnell bin ich ja nicht mehr. Es ging sogar soweit, dass sie mich ermorden wollten! Jaha!“ Die Hexe atmete schwer. „Die hatten es tatsächlich auf mein Leben abgesehen! Können Sie sich das vorstellen? Also, wir haben früher auch Dummheiten gemacht und den Leuten Streiche gespielt. Aber einen gleich umbringen? Oder das Haus über dem Kopf abreißen? Nee, so waren wir nicht. Wir hatten noch Respekt. Vor den Lehrern. Und vor den Eltern. Sonst gab’s was mit dem Knüppel, was denken Sie! Nein, Engel waren wir gewiss nicht, aber es gab doch Grenzen. Na gut, den Herrn König, unseren Geschichtslehrer, hatte ich mal in eine Kröte verwandelt. Aber das war reine Notwehr. Eine Sechs wollte der mir geben. Und einen Brief an meine Eltern schreiben. Das hätte zu Hause Prügel gesetzt! Also, was sollte ich denn da machen? Ich wollte ihn ja auch zurückverwandeln, aber – na ja, das ist wohl ein bisschen schief gegangen. Aber umgebracht habe ich ihn nicht.“

„Was ist denn aus dem Herrn König geworden?“, fragte ich.

„Na, ja, wie gesagt, das wollte ich nicht, das ist schiefgegangen. – Ein Frosch.“

„Und keiner konnte aus ihm wieder einen Menschen machen?“

„Meinen Eltern konnte ich das ja unmöglich sagen. Und meine Tante war gerade wieder in Sibirien bei ihrer Freundin Babajaga. Keine Ahnung, wer es sonst gekonnt hätte. Der Frosch König ist zu Herrn Heinrich, unserem Biolehrer, gehüpft, und hat ihm sein Leid geklagt. Sprechen konnte er ja unglücklicherweise noch. Der Herr Heinrich hat ihn erst mal in ein Terrarium gesteckt. Und dann hat der Herr Heinrich richtig Krach geschlagen. Gleich zum Direktor und so. Und zu meinen Eltern. Hab die Prügel meines Lebens bezogen. Und bin von der Schule geflogen. Doch was hat das genützt? Gar nichts! Der Frosch war aus dem Terrarium getürmt. Wie sollte man ihn denn nun finden? Es gibt Millionen von Fröschen, und alle sehen irgendwie gleich aus. Und so konnten auch meine Eltern oder sonst wer ihm nicht mehr helfen. Vielleicht hätte ihn eine unschuldige Jungfrau erlösen können, das hilft eigentlich immer, aber so eine muss man erst mal finden. Hat eben Pech gehabt, der Herr König. Hätte mir ja keine Sechs geben müssen.

Aber das sind alte Kamellen. Ewigkeiten her. Nun bin ich alt und sitze hier ganz schutzlos im Wald, und diese Gören tyrannisieren mich nach Strich und Faden. Aber natürlich halten alle mich für die Böse. Ich sollte die beiden in Kröten verwandeln! Wenn ich es nur hinkriegen würde! Die beiden würde ich nicht zurückverwandeln. Nicht mal in Frösche. Diese beiden nicht. Nur über meine Leiche.“

Die Alte hatte sich in Rage geredet, zitterte am ganzen Leibe und musste sich erst mal auf die Bank neben den Backofen setzen.

„Umbringen wollten die mich! Hier in meinem Backofen wollten die mich bei lebendigem Leibe verbrennen lassen! Das macht man mit einer alten Hexe so, behaupteten die doch rotzfrech, das hätten sie mal irgendwo gelesen. Wundert mich nur, dass die überhaupt lesen können. Die schwänzen ja andauernd die Schule. Ist ja auch unglaublich, was heutzutage alles in den Büchern steht. Das muss die Jugend ja verderben.“

Sie keuchte. „Ich konnte gerade noch den Schürhaken zu fassen kriegen und hab der Gretel damit ordentlich eins übergezogen. Das saß! Platzwunde am Kopf, musste mit sieben Stichen genäht werden. Den Hänsel habe ich leider nicht erwischt, der ist gleich abgehauen. Tja, und dann kam die Polizei. Ich musste vors Gericht. Körperverletzung. Kindesmisshandlung. Natürlich, ich war wieder die Böse! Dabei habe ich nur mein nacktes Leben gerettet. Notwehr war das, reine Notwehr. Aber wie sollte ich das denn beweisen? Die ach so lieben Kinderlein standen in Tränen aufgelöst im Gerichtssaal. Der Richter sah ja nicht, wie sie sich in der Verhandlungspause über mich lustig machten! Knusperhexe nannten sie mich! Und wenn mein alter Freund Rumpelstilzchen mir nicht ein bisschen geholfen hätte – der hat ja gute Beziehungen, kennt immer die richtigen Leute – dann wäre ich wohl auf meine alten Tage noch im Gefängnis gelandet.“

Sie zeigte mit dem Besen auf einen Trampelpfad:

„Aber diese Lümmel, die kommen trotzdem wieder, geben einfach keine Ruhe. Wo soll das noch hinführen? Die Stiefmutter jedenfalls hat das Handtuch geworfen, die ist fortgegangen. Man kann es ihr nicht verdenken. Aber ich rede hier und rede! Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Teller Hexenkräutersuppe? Hab ich vorhin frisch gekocht. Die müssen Sie unbedingt probieren!“

Zuerst war ich skeptisch. Vielleicht war die Suppe verhext? Ich wollte mir jedoch nicht den Zorn der Alten zuziehen und womöglich in eine Kröte oder einen Frosch verwandelt werden. Also aß ich mit ihr. Und ich muss sagen: Diese Suppe war delikat.

Ich fragte nach dem Rezept. Die Hexe brachte mir eine eng beschriebene Pergamentrolle, ich solle es doch einfach abschreiben. Ich las:

„Man nehme 7 Frösche und 3 Kröten und hacke sie in Stücke ...“

„Ach, was“, sagte die Alte, „Schreiben Sie auf: ein Hühnchen!“

„... und röste sie in Molchtalg ...“

„Gänseschmalz“, sagte die Hexe, „Gänseschmalz ist viel besser. Oder Pflanzenöl.“

„Man gieße einen Sud aus ... was für Zeug?“

„Nehmen Sie normales Wurzelgemüse, also Sellerie, Mohrrübe, Petersilienwurzel, und eine Zwiebel!“

„Man köchele das ganze zusammen mit einer Natternhaut ...“

„Nein, Lorbeerblatt. Da steht doch gewiss Lorbeerblatt!“

„... und verfeinere die Suppe mit dem Saft von toten Maden ...?“

„Tomaten, den Saft von Tomaten! Was lesen Sie denn da?“

„... gebe etwas Rattenmilch dazu...“

„Wer sollte denn die ganzen Ratten fangen und melken? Nehmen Sie einfach einen Schuss saure Sahne!“

„... legiere mit verquirlten Augen von Ottern ...“

„Mit gequirlten Eidottern natürlich!“

„... und gebe sieben Kräuter dazu. Welche Kräuter denn?“

„Ist ganz egal, je nach Jahreszeit. Hauptsache es sind sieben.“

Meine Skepsis war also durchaus berechtigt. Kein Wunder, dass Hänsel und Gretel hier keine Suppe aßen. Trotzdem: Geschmeckt hat sie. Und bekommen ist sie mir auch.

Die Hexe erklärte mir noch den Weg heraus aus dem Sumpfwald.

„Wenn Sie dann dem Flüsschen folgen“, sagte sie, „kommen Sie zum besten Fischer im Lande. Mögen Sie Fisch?“

„Ja, sehr. Danke!“

 

 

Der Fischer und sein Schuh

 

Ich folgte dem Rat der Hexe und gelangte ans Wasser. Das Wandern hatte mich hungrig gemacht. Der Duft von geräuchertem Fisch wehte mir entgegen, als ich in die Fischerhütte trat. Ich grüßte, der Fischer aber knurrte nur.

„Verkaufen Sie mir bitte ein Stückchen Fisch? Am liebsten hätte ich ein großes Stück geräucherten Heilbutt. Und vielleicht hätten Sie dazu ein Stück Brot und etwas zu trinken?“

„Hier gibt’s keinen Butt!“

„Was denn? Vielleicht Lachs? Aal?“

„Hierher kommen und Sonderwünsche haben, das sind mir die Liebsten!“

Ich wollte schon wieder gehen, da sagte er: „Heute gibt es Rotbarsch, Dorsch und Flunder.“

Er öffnete den Räucherofen, und mir lief das Wasser im Munde zusammen.

„Ich nehme einen Rotbarsch, ein Stück Dorsch und eine Flunder!“

Der Fischer rief den Jungen, der draußen saß und Netze flickte: „He, Kleiner! Scher dich her und bedien mal den Gast hier!“

Der Junge kam, richtete meine Mahlzeit an und schenkte mir ein kühles Bier ein.

„Teufel noch mal, ist der Alte murrig!“, sagte ich zu ihm.

„Wem sagen Sie das! Ich bin schon seit zwei Jahren bei ihm in der Lehre und gehe jeden Tag mit ihm auf Fischfang. Man braucht schon eine ganze Portion Humor, um das auszuhalten. Aber man kann sich heutzutage nicht aussuchen, bei wem man lernt. Und wo findet man schon einen Lehrherren, der sein Tagwerk so beherrscht wie dieser hier? Es grenzt an ein Wunder, dass es hier überhaupt noch Fische gibt, so viel fangen wir Tag für Tag. Und trotz allem ist nie dieser Schuh im Netz.“

„Was denn für ein Schuh?“

„Kennen Sie denn nicht die Geschichte vom Fischer und seinem Schuh?“

„Nein. Ich kenne nur die vom Fischer un siner Fru.“

Der Lehrjunge holte zwei hölzerne Klappstühle aus dem Schuppen und fegte ein paar Spinnweben ab. Wir setzten uns hinter den Bootsschuppen, er zündete sich eine Pfeife an wie ein Alter und begann zu erzählen:

„Es war einmal ein Fischer. Kein besonders guter, mal fing er ein bisschen was und mal nicht. – Und ich persönlich glaube, es war kein anderer als mein Lehrmeister. Er gibt es zwar nicht zu, mit keiner Silbe, aber ich bin mir sicher, dass er es war. – Also, es war dieser Fischer, und der hatte keine Frau. Er ging fischen, na logisch, sonst wäre es ja kein Fischer, und eines Tages fing er ...“

„ ... einen Butt!“, ergänzte ich.

„Nee, eben nicht! Keinen Butt! Aus dem Wasser zog er – eine alte Bierdose.

‚Ach!’, sprach er zu sich, ‚wenn die wenigstens voll Bier wäre!’

Er fischte weiter und aus dem Netz holte er einen großen ...“

„... Butt?“

„Nein, keinen Butt!, -- einen Autoreifen.

‚Ach!’, seufzte der Fischer, ‚was soll ich mit einem Reifen? Ja, wenn da noch ein Auto dran wäre, ein Auto könnte ich wohl gebrauchen!’

Er fischte weiter und fing endlich ...“

„... einen B...“

„Neeeein, keinen Butt!, sondern einen alten, kaputten Schuh. Letzterer weckte keinen Wunsch in ihm, – nur Ärger. Einen Fisch, jaha --- auch einen Butt!, hätte er essen können, um seinen Hunger zu stillen. Der Schuh dagegen sah ziemlich zäh aus.

‚Verflixt noch mal, was soll ich mit dem blöden Schuh!’ Der Fischer wollte den Latschen zurück ins Wasser werfen, da rief der Schuh: ‚Ich bin kein blöder Schuh!’

‚Ja, Donnerwetter, der Schuh kann quatschen!’, sagte der Fischer.

‚Ich bin der Schuh des Manitu’, behauptete der Schuh.

‚Was soll ich mit dem Schuh des Manitu? Ich bin Fischer und kein Indianer. Und schwul bin ich auch nicht!’

‚Weißt du das genau? Immerhin hast du keine Frau ...’

‚Das heißt doch noch lange nicht, dass ich schwul bin!’

‚Jeder, der etwas auf sich hält, ist heutzutage ein bisschen schwul. Brauchst nur in die Illustrierten zu schauen ...’

‚Ich kann doch nichts dafür, dass ich nicht schwul bin.’

‚Nein, natürlich nicht, dafür kann man nichts´, tröstete der Schuh.

‚Du quatschst mir zu viel!’ Der Fischer nahm den Schuh und holte weit aus.

‚HAAALT!!! NEEIIN!!! Wirf mich nicht wieder ins Wasser, das ist so nass!’

‚Du nervst aber.’

‚Bitte, bring mich aufs Trockne! Ich will dir auch einen Wunsch erfüllen!’

‚Einen Wunsch? Nur einen?’ Der Fischer dachte an das Bier und an das Auto. Zwei Wünsche. Und im Märchen hat man sowieso drei Wünsche frei, oder? 

‚Einen Wunsch’, sagte der Schuh.

‚Ich habe aber zwei Wünsche. Eigentlich sogar – drei.’

‚Nein, das geht nicht.’

‚Dann wenigstens zwei! Oder du gehst wieder baden.’

‚Na gut, na gut, zwei. Also, was willst du?’

‚Zuerst möchte ich, dass diese Bierdose hier voll ist.’

Es machte blubb, und die Dose war voll Bier.

Der Fischer drehte die Bierdose in der Hand. ‚Geht nicht auch ein Sixpack?’

Es machte blubb, und da hatte er ein Sixpack auf dem Schoß.

‚Oder besser –  ein Kasten?’

Es machte blubb, und es stand ein voller Bierkasten im Boot.

‚Also, vielleicht doch lieber ...’

‚Stop mal,’ sagte der Schuh, ‚trink das erst mal aus!’

‚Geht klar’, sagte der Fischer, öffnete eine Bierflasche und leerte sie in einem Zug. Dann wischte er sich den Stoppelbart und sprach: ‚Als zweites wünsche ich mir, dass aus diesem alten Reifen ein Auto wird.’

Es machte blubb, und am Strand stand ein -- Trabi.

‚Heh, heh, ich habe mir ein Auto gewünscht, keine Pappschachtel!’

Es machte wieder blubb, und es stand ein Mittelklassewagen da.

‚Na, weißt du, wenn das so leicht geht, dann könntest du auch ...’

‚Okay, okay, ich weiß schon’, sagte der Schuh, ‚obwohl ich denke, das geht nicht gut.’

Blubb, und ein PS-starkes Luxus-Sportwagen-Cabrio funkelte in der Abendsonne.

Der Fischer freute sich, trank sein nächstes Bier und beeilte sich, an Land zu kommen.

Er streichelte Bier trinkend die Kühlerhaube seines Autos. Setzte sich Bier trinkend in den Wagen. Ließ Bier trinkend den Motor an. Genoss Bier trinkend einen sagenhaften Sound. Stellte den mittlerweile halbleeren Bierkasten auf den Beifahrersitz und schnallte ihn an. Sicher ist sicher. Den Schuh setzte er auf die etwas knapp bemessene Rückbank. Aber für einen Schuh war sie geradezu komfortabel, sogar für Größe 46. Dann fuhr er los.

Aber das Cabrio wollte sich nicht von einem angetrunkenen Fischer dirigieren lassen. Er kam zum Kampf zwischen dem Fischer und dem Cabrio, zum erbitterten Kampf, und schließlich landeten alle drei – der Fischer, der Schuh und das Cabrio – in einem Entwässerungsgraben. Wasser schwappte ins Wageninnere und der Schuh, der gerade begonnen hatte zu trocknen, war wieder nass.

‚Hilfe!’, schrie er.

Der Fischer zog ihn an einem Senkel ein Stück aus dem modrigen Wasser: ‚Wenn du willst, dass ich dich aus dem Schlamm ziehe, will ich einen dritten Wunsch frei haben.’

‚Nein, das geht nicht ...’

‚Na, dann nicht ...’ Der Fischer tunkte den Latschen wieder ins Nasse.

‚Halt, Stopp!’, blubberte der Schuh.

‚Jaha?’, fragte der Fischer

‚Vielleicht geht’s ja doch!’

‚Geht’s oder geht’s nicht?’

‚Okay, okay, es geht. Also, was willst du?’, fragte der Schuh.

Na, was wohl könnte sich ein alleinstehender, einsamer, heterosexueller Fischer, der Pech mit Bier und Autos hat, wohl wünschen?“

Der Fischerjunge zog an seiner Pfeife und sah mich herausfordernd an.

„Keinen Butt?“, vermutete ich.

„Nein, natürlich keinen Butt!

‚Ich wünsche mir - eine Frau´, sagte der Fischer.

‚Bist du dir sicher?’, fragte der Schuh.

‚Jo!’, sagte der Fischer.

Und blubb, da stand ein Weib – eines Fischers würdig. Nicht mehr ganz jung, aber kräftig gebaut, mit großen Händen, die zupacken können.

Und sie packten zu. Und zwar den Fischer am Kragen.

‚Ach, du großer Manitu! Hilfe, Schuh, hilf mir!’

Der Schuh half, und blubb, stand da anstelle der derben Fischerin ein blutjunges, schlankes Mädel.

‚Ach Schuh! An der ist ja nun wieder gar nichts dran.’

Blubb, erschien ein Rasseweib mit leichtem Übergewicht an den richtigen Stellen.

Der Fischer war im siebten Himmel. Na ja, vielleicht auch nur noch im sechsten, als die Frau den Mund aufmachte: ‚Wie konntest du nur den teuren Wagen in den Graben fahren!’ wetterte sie. ‚Nach Hause mit dir, und dusch erst mal, du stinkst ja wie ein Iltis!’

Wahrscheinlich war es nur der fünfte Himmel, denn der Fischer duschte üblicherweise am letzten Samstag des Monats, und das war gerade mal zwei Wochen her. Aber was tut ein Mann nicht alles für eine schöne Frau?

Und er vergaß auch seinen Schuh des Manitu nicht: Er reinigte ihn sorgfältig, ließ ihn gründlich trocknen und rieb ihn mit Schuhcreme ein, bis er blank war, dann stellte er ihn neben das Bett auf den Nachtschrank.

Der Schuh stand dort, glänzte und schwieg.

Des Fischers Frau jedoch zeterte, als er abends in die Kneipe wollte.

‚Also höchstens vierter Himmel’, flüsterte er seinem Schuh in die Öse. Der Schuh seufzte.

Die Frau entdeckte des Fischers Erspartes in der Zuckerdose und wollte es nicht nur gleich ausgeben, sondern er sollte sie auch noch ins Einkaufszentrum begleiten. Das ließ ihn noch einen Himmel herabstürzen.

‚Geraucht wird nur noch vor der Tür!’ entschied sie, als er abends auf der Couch saß und sich eine Zigarette anzünden wollte. Nichts durfte er mehr. All seine lieben Angewohnheiten sollte er ablegen.

Und so stürzte der Fischer Himmel für Himmel wieder herab, und als sein Weib eines Tages behauptete, Kopfschmerzen zu haben und ihn aus dem Bett stieß, war er wieder auf dem Erdboden angekommen. Er nahm den Schuh vom Nachtschrank: ‚Du verflixter Schuh! Was hast du mir da nur für einen Drachen angedreht!’

‚Ich hab doch gesagt, es geht nicht gut.’

‚Ich ersäufe dich!’

‚Ersäufe sie und behalte mich‘, schlug der Schuh vor.

‚Wenn ich dich wieder ins Wasser werfe, wird alles wieder wie früher, und ich habe wieder meine Ruhe!’

‚Nichts wird je wieder wie früher, nichts!’

Der Fischer kannte kein Erbarmen und fuhr hinaus, dahin, wo das Wasser am tiefsten war, und warf den Schuh über Bord.

Wieder daheim, fand er sein Haus schmutzig und unaufgeräumt vor, sein Bett ungemacht und kalt, im Kühlschrank nichts zu essen, nur ein paar Bierflaschen. Der Fischer öffnete sich eine, warf sich mit seinen schmutzigen Stiefeln auf die Couch und steckte sich eine Zigarette an. Alles war wieder wie früher. Gut so.

Oder doch nicht? Das Bier schmeckte fade, die Zigarette muffig, die Stiefel drückten und ihm war langweilig.

So nahm der Fischer sein Netz und ging wieder fischen.

Und seither waren alle seine Netze, Reusen und Haken immer voller großer, fetter Fische, doch nie ist dieser Schuh dabei. Verstehen Sie nun den Frust des Alten?“

Wir hatten noch nicht ganz ausgetrunken, da kam der Fischer um die Ecke und trieb seinen Lehrling wieder an die Arbeit.

Ich zog weiter. Hier gab es endlich einen etwas breiteren Weg, der irgendwo hinzuführen versprach. Vom Dickicht hatte ich genug.

 

 

Töpfchen steh

 

Dieser Weg führte mich in eine Gegend, die furchtbar aussah. Im Wald lagen die Bäume umgeknickt und entwurzelt. Im Tal schienen Wasser- und Schlammmassen alles mit sich gerissen zu haben, und die Ruinenstätte an den Ufern des Flussbettes musste vor kurzem noch ein Städtchen gewesen sein, mit Straßen, Gassen und Häusern. Einige Leute waren dabei, aus den breit verstreuten Resten ihr Hab und Gut herauszusuchen. Eine ältere Frau reinigte einen verbeulten Blechtopf geradezu liebevoll, als sei er aus purem Golde.

Ich fragte sie, was denn passiert sei. Sie hielt mir ihren Topf unter die Nase.

„Ein ganz normaler, solider Topf, mit dem man ganz normal Griesbrei kochen kann, auf einen ganz normalen Gasherd, wie eh und je. So einen Topf braucht man und nicht dieses neumodische Zeugs!“

„Sie meinen den Fertigbrei, den es heutzutage überall gibt?“

„Fertigbrei! Igitt, das ist ja noch schlimmer. Nein, ich meine dieses neumodische Zeugs, was keiner bedienen kann. Meine Tochter brachte da neulich so ein Töpfchen. Ein Hai-Fisch- oder Hai-Zahn-Töpfchen oder irgend so ähnlich nannte sie das.“

„High-tech vielleicht?“, fragte ich.

„Ja, ich glaube, das war’s, Hai-Deck. Ich befürchtete schon, dass der Brei dann nach Fisch schmecken würde. Aber der seltsame Topf war ganz sauber. Roch nach nichts. Meine Tochter, müssen Sie wissen, die hält mich schon für alt und tüddelig. Sie dachte, ich jage mit meinem Gasherd eines Tages das ganze Haus in die Luft. Nur weil mir mal der Brei übergekocht war und ich’s nicht gleich bemerkt hatte. Kann doch mal vorkommen. Ist Ihnen doch sicher schon passiert? Ja gut, anbrennen lassen hatte ich den Brei auch. Einmal. Da stand gleich die Feuerwehr vorm Haus. Dabei kam das bisschen Rauch nur aus meinen Breitopf. Nichts war passiert. Alles halb so schlimm. Immer so ein Theater zu machen. Jedenfalls brachte meine Tochter dieses Töpfchen an.

‚Das ist ein Zaubertöpfchen,’ sagte sie zu mir, ‚wenn du zu ihm sagst, Töpfchen, koch mir Brei, dann kocht es dir Brei, soviel du magst. Ganz ohne Gas und ohne Feuer und ohne anzubrennen. Und wenn du genug Brei hast, dann sage es dem Töpfchen einfach.’

Ich wollte anfangs nichts wissen von diesem neumodischen Kram, womit keiner umzugehen versteht.

‚Mutter’, sagte sie, ‚das ist ganz einfach, wirklich. Sprachgesteuert. Du sagst dem Töpfchen, was du willst und das Töpfchen macht es, fertig!’

Als ich nun am nächsten Tage Appetit auf Griesbrei bekam, stellte ich das Zaubertöpfchen auf den Tisch und bat es: ‚Töpfchen, koch mir Brei!’