Am Vorabend der Weltausstellung von 1889 treibt ein Serienmörder in Paris sein Unwesen. Die Meisterdetektive müssen ihr Können unter Beweis stellen. Mit viel Fantasie, Witz und Spannung verhilft Pablo De Santis den großen Detektivgestalten der Weltliteratur zu einem neuen Auftritt und setzt der Detektivgeschichte ein literarisches Denkmal.
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Pablo De Santis (*1963) wurde in seiner Heimat Argentinien mit Jugendbüchern bekannt. Den internationalen Durchbruch schaffte er mit den Romanen Die Fakultät und Die Übersetzung.
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Claudia Wuttke (*1966) studierte Soziologie, Philosophie und Komparatistik in Hamburg, Madrid und Berlin. Nach vielen Jahren als Lektorin ist sie als freiberufliche Literaturagentin und Übersetzerin tätig.
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Das Rätsel von Paris
Roman
Aus dem Spanischen von Claudia Wuttke
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Dieses Werk wurde im Rahmen des »Sur«-Programms zur Förderung von Übersetzungen des Außenministeriums der Republik Argentinien verlegt.
Originaltitel: El enigma de Paris (2007)
© by Pablo De Santis 2007
© by Unionsverlag, Zürich 2021
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Marisa Allegra Williams (Montage)
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30612-7
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Detektiv Craigs letzter Fall
Ich heiße Sigmundo Salvatrio. Mein Vater stammt aus einem kleinen Dorf nördlich von Genua. Dass er in Buenos Aires nicht unterging, verdankte er seinen Fertigkeiten als Schuhmacher. Als er meine Mutter heiratete, hatte er bereits seinen eigenen Laden, ein Spezialgeschäft für Herrenschuhe. Für den schmalen weiblichen Fuß fehlte ihm das Geschick. Ich habe damals oft bei ihm ausgeholfen, und wenn unsere Zunft heute bei der Klassifizierung von Fußspuren am Tatort von meiner Methode spricht (der Methode Salvatrio), dann schuldet sie diese Wortschöpfung den Stunden, die ich an seiner Seite mit Sohlen und Leisten zubrachte. Ermittler und Schuster sehen sich schließlich die Welt von unten an. Sowohl die einen wie die anderen beschäftigen sich mit den Schritten der Menschen, wenn diese vom Weg abkommen.
Mein Vater war kein Freund von Verschwendung. Jedes Mal, wenn meine Mutter mehr als das übliche Haushaltsgeld von ihm verlangte, verkündete Renzo Salvatrio lautstark, dass wir eines Tages noch die Stiefelsohlen in den Kochtopf werfen müssten, wie es seines Wissens die Soldaten Napoleons auf ihrem Russlandfeldzug gemacht hatten. Trotz dieses Ticks oder trotz der Erfahrungen, die er hatte machen müssen, ließ er sich einmal im Jahr nicht lumpen: Zu jedem Geburtstag schenkte er mir ein Puzzlespiel. Es fing an mit Puzzles mit hundert Teilen, steigerte sich aber mit den Jahren auf hochkomplexe Spiele mit bis zu 1500 Puzzleteilen. Die in Triest gefertigten Spiele wurden in Holzkisten geliefert, und hatte man das Rätsel einmal gelöst, hatte man plötzlich ein Aquarellgemälde vom Mailänder Dom vor sich oder vom Pantheon, wenn man nicht gar auf eine Zeichnung mit Ungeheuern blickte, die am Ende der Welt auf die Menschen lauerten. Mein Vater glaubte fest daran, dass diese Art des Zeitvertreibs die Intelligenz fördern und unauslöschliche Bilder in unser Gedächtnis brennen würde. Ich brauchte viele Tage, um ein Puzzle zusammenzusetzen; er unterstützte mich dabei immer nach Kräften, irrte sich aber oft, da er mehr auf die Farben als auf die Form der einzelnen Teile achtete. Ich ließ ihn gewähren und setzte die Puzzlestücke um, wenn er nicht hinsah.
»Eine Untersuchung hat mit einem Puzzlespiel nichts, aber auch gar nichts zu tun«, hörte ich später oft meinen Mentor Renato Craig sagen. Gleichwohl war es dieses Spiel, das mich auf ein Inserat antworten ließ, das ebenjener Craig im Februar 1888 in den Tageszeitungen veröffentlicht hatte. Renato Craig, der berühmte Detektiv, die erste Adresse in der Stadt, wollte zum ersten Mal sein Wissen mit einer Gruppe junger Menschen teilen. Für ein Jahr sollten die Auserwählten in die Kunst der Ermittlungsarbeit eingeführt werden und so die Fähigkeiten erlangen, jedem Detektiv zur Hand zu gehen. Diesen Zeitungsausschnitt habe ich bis heute aufbewahrt; auf derselben Seite, auf der die Anzeige stand, wurde auch der Besuch eines hinduistischen Magiers namens Kalidán angekündigt.
Auf mich machte der Aufruf nicht nur wegen der Chancen, die sich daraus womöglich ergaben, großen Eindruck. Mich faszinierte vor allem, dass Craig, der große Craig, sich endlich bereit erklärte, mit anderen über seine Arbeit zu sprechen. Craig war Mitglied der Vereinigung die Zwölf Detektive, zu der nur die berühmtesten Männer ihrer Zunft gehörten. Jedes Mitglied hatte seinen eigenen Adlatus1 – außer Craig.
Mehr als einmal hatte Craig seine Position in der Zeitschrift La Clave del Crimen, der Lokalausgabe der Zeitschrift Traces, verteidigt, die wiederum das offizielle Verbandsorgan der Zwölf Detektive war: So unverzichtbar seien Adlaten nicht, da die Einsamkeit sich besser mit dem Wesen eines Detektivs vertrage. Ein anderes Mitglied des Klubs und zugleich ein guter Freund von Craig, Viktor Arzaky, war in diesem Punkt stets sein schärfster Kritiker gewesen. Wenn Craig sich jetzt also doch entschlossen hatte, einen Assistenten auszubilden, dann hatte er im Kampf um das Berufsethos eine schwere Niederlage erlitten.
Um überhaupt vorstellig werden zu dürfen, mussten die Bewerber einen handgeschriebenen Brief verfassen, in dem sie ihre Motive genau darlegten. Weiter hieß es unmissverständlich: »Fügen Sie dem Schreiben keinen Lebenslauf bei. Nichts, was Sie jemals gemacht haben, hilft Ihnen bei der Ermittlungsarbeit.« Ich bat meinen Vater um einige Bogen seines Briefpapiers, auf dem oben das Signet »Schuhmachermeister Salvatrio« und die Zeichnung eines Lackschuhs abgebildet waren. Diesen Teil schnitt ich ab, ich wollte nicht, dass Craig wusste, dass ich der Sohn eines Schusters war.
In der ersten Fassung meines Briefes schrieb ich, dass ich in die Kunst der Ermittlungsarbeit eingewiesen werden wollte, da mich die großen Kriminalfälle, von denen man in den Zeitungen las, schon immer interessiert hätten. Aber dann zerriss ich das Blatt und fing wieder von vorne an. In Wirklichkeit interessierten mich nicht die blutigen Verbrechen, sondern die anderen: die perfekten und auf den ersten Blick unerklärlichen Rätsel. Ich wollte spüren, was es heißt, wenn sich in einer chaotischen, doch vorhersehbaren Welt plötzlich Überlegungen Bahn brachen, die logisch, aber völlig aberwitzig waren.
Ich konnte nicht darauf hoffen, jemals Detektiv zu werden, schon der Gedanke, als Gehilfe zu arbeiten, lag in unerreichbarer Ferne. Nachts aber, allein in meinem Zimmer, träumte ich davon, wie ich mir wie Craig, wie der Pole Arzaky, der Portugiese Zagala, der Italiener Magrelli unnahbar und spöttisch meinen Weg durch die Welt des Scheins suchen würde, um eine Wahrheit zu finden, die unter falschen Fährten, hinter ablenkenden Verweisen und dem von der Gewohnheit stumpf gewordenen Blick verborgen lag.
Ich weiß nicht, wie viele es waren, die, nervös und voller Hoffnung, einen Brief an die Calle de la Merced 171, Craigs Privatadresse, schickten, aber es mussten sehr viele gewesen sein, denn Monate später – ich war bereits glücklicher Schüler der Akademie – fand ich in einem Zimmer einen Haufen verstaubter Umschläge. Viele waren noch ungeöffnet, so als hätte Craig ein Blick auf die Handschrift gereicht, um zu entscheiden, ob der Anwärter geeignet war oder nicht. Craig behauptete, die Grafologie sei eine exakte Wissenschaft. Unter den Briefen entdeckte ich auch meinen eigenen, ebenfalls ungeöffnet, was mich sprachlos machte. So kam ich Craigs Aufforderung, die gesamte Korrespondenz zu verbrennen, auch mit einiger Erleichterung nach.
Am 15. März 1888 stand ich um zehn Uhr morgens vor dem Gebäude in der Calle de la Merced. Ich hatte mich entschieden, zu Fuß zu gehen und nicht die Trambahn zu nehmen, was ich unterwegs jedoch bitterlich bereuen sollte, da die ganze Zeit über ein Eisregen auf mich niederprasselte, ein Vorbote des nahenden Herbstes. Vor der Tür warteten bereits zwanzig junge Männer, die genauso nervös waren wie ich. Anfangs hielt ich sie für Aristokraten und glaubte, der Einzige zu sein, der ohne Empfehlung, einen Stammbaum oder sonstigen familiären Rückhalt gekommen war. Ja, sie alle wirkten nervös, doch sie versuchten, die gleiche Geringschätzung an den Tag zu legen, die man von Craig kannte, wenn er für die Titelseiten der Zeitungen oder auf der gelb umrahmten Frontseite von La Clave del Crimen posierte, dem Blatt, das alle vierzehn Tage für fünfundzwanzig Centavos verkauft wurde.
Zu unserem Erstaunen öffnete Craig selbst die Tür; wir hatten mit einem Bediensteten gerechnet, der zwischen dem Detektiv und der Welt draußen vermittelte. Die Überraschung führte dazu, dass plötzlich jeder dem anderen mit übertriebener Höflichkeit den Vortritt lassen wollte, anstatt selbst das Haus zu betreten, und hätte Craig nicht den erstbesten Arm, den er zu fassen bekam, ins Hausinnere gezogen, hätte sich dieses Schauspiel wahrscheinlich noch über Stunden hingezogen. Als wären wir miteinander verwachsen, zwängten wir uns nun alle auf einmal durch die Eingangstür.
Ich hatte über Craigs Haus bereits einiges gelesen. Da er keinen Assistenten hatte, schrieb er alle Artikel selbst, und die Eitelkeit des Detektivs hatte das Haus in einen dem Wissen geweihten Tempel verwandelt. Die Gespräche, die jeder Detektiv mit seinem Adlatus führen und damit auf ein allgemein verständliches Niveau herunterbrechen sollte, führte Craig mit sich selbst. So vermittelten die Fragen, die er sich stellte und anschließend auch selbst beantwortete, gern den Eindruck, es mit einem Irren zu tun zu haben. Immer zeichnete er sich als einen die Einsamkeit seines Arbeitszimmers liebenden Menschen, der seine Sammlung von französischen Aquarellen bewunderte oder die sicher versteckten Waffen putzte: Dolche, die er aus Fächern, Pistolen, die er aus der Bibel zog, und Schwerter, die sich in Regenschirmen verbargen. Seine heimliche Lieblingswaffe war sein Stock, der in unzähligen seiner Geschichten auftauchte: Der Griff in Form eines Löwenkopfes hatte schon mehr als einen Schädel zertrümmert, die ausziehbare messerscharfe Spitze sich häufig bedrohlich in die schützende Haut oberhalb der Halsschlagader eines Verdächtigen gebohrt, und dröhnende Schüsse waren von diesem Stock abgefeuert worden und hatten die Nacht durchlöchert, mehr, um den Gegner einzuschüchtern, als um ihn zu verletzen. Als wir nun durch die Zimmer geführt wurden, suchten wir an den hohen Wänden, auf den Möbeln und den Simsen nach jenen Waffen und Instrumenten, die für uns den Heiligen Gral symbolisierten, das Schwert Excalibur, den Helm des Mambrin.
Dieses Haus zu betreten, war für mich wie der Zugang zu einem geweihten Ort. Wenn jemand mit etwas in Berührung kommt, wovon er immer geträumt hat, dann erstaunen ihn weniger die Details als die Tatsache, dass das Ganze wirklich ist, dass es fest und geschlossen in sich ruht, ohne sich aufzulösen, wie es Personen oder Dinge tun, die man sich nur vorstellt. Darin liegt etwas Rauschhaftes und Enttäuschendes zugleich, weil es einerseits bedeutet, dass die Fantasie auf einem realen Boden fußt, aber auch, dass sie aufgehört hat zu existieren.
Craig lebte mit seiner Frau Margarita Rivera de Craig zusammen, und dennoch strahlte das Haus mit seinen Zimmern ohne Möbel und den Wänden ohne Bilder die kalte Feuchtigkeit eines unbewohnten Ortes aus. Im zweiten Stock befanden sich die Schlafzimmer; im ersten Craigs mit einem Teppich ausgelegtes Arbeitszimmer, in dem ein übergroßer Schreibtisch stand, auf dem eine Hammond-Schreibmaschine darauf wartete, benutzt zu werden, damals das neueste Modell, das es auf dem Markt gab. Auch außerhalb des Arbeitszimmers wiederholten sich die unbehausten Zimmer und leeren Salons, und einen Moment lang dachte ich, Craig wolle seine Waffen nur an uns weitergeben, um die feuchte Einsamkeit zu überwinden, die dieses Haus bewohnte. Das Gebäude war für die zwei Bediensteten einfach zu groß: Ángela, eine Frau aus Galicien, die in der Küche arbeitete, und ein weiteres Dienstmädchen. Ángela wechselte fast kein Wort mit Craig, aber zweimal wöchentlich kochte sie ihm seinen Lieblingsnachtisch: Milchreis mit Zimt, und jedes Mal blieb sie neben ihm stehen, bis er sie dafür gelobt hatte.
»Nicht einmal im Klub des Fortschritts machen sie ihn besser. Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie tun sollte«, pflegte der Detektiv kurz und bündig zu sagen.
Als würde das Haus eine höchst wechselvolle Macht auf die Köchin ausüben, unterlag sie extremen Stimmungsschwankungen. Während sie den einen Tag beim Staubwischen aus voller Kehle alte spanische Volksweisen zum Besten gab, sodass die Hausherrin energisch um Ruhe bat, was Ángela jedoch geflissentlich überhörte, wirkte sie an anderen Tagen bedrückt und resigniert. Wenn sie mir morgens die Tür öffnete, machte ich jedes Mal eine Bemerkung über das Wetter. Aber egal, wie es war, in ihren Augen war es immer schlecht: »Diese Hitze. Das verheißt nichts Gutes.« Und wenn es kalt war: »Viel zu kalt. Das verheißt nichts Gutes.« Und wenn es weder kalt noch warm war: »Bei dem Wetter weiß man ja gar nicht, was man anziehen soll. Das verheißt überhaupt nichts Gutes.«
Schauer, Regen, kein Regen, Sturmgewitter, die langen Phasen ohne Gewitter und Stürme – alle Wetterlagen riefen bei Ángela dieselbe Geringschätzung hervor. »Bis gestern Dürre. Heute Sturzbäche.«
Fünfzehn Jahre zuvor hatten die Craigs ihren damals erst wenige Monate alten Sohn verloren, und daraufhin hatten sie keine Kinder mehr bekommen. Obwohl wir versuchten, die unmenschliche Stille zu respektieren, die an diesem Ort herrschte, schien es, als würde uns das Haus für die Unruhe verurteilen, die wir verursachten und an die es nicht gewöhnt war.
An jenem ersten Tag – einem der glücklichsten in meinem Leben – sprach Craig von den Methoden der Ermittlung. Seine Worte schienen darauf ausgerichtet, uns zu entmutigen und zur unwiderruflichen Umkehr zu bewegen, so als wollte er all die loswerden, die nicht wirklich dafür bestimmt waren, einen Beruf zu ergreifen, bei dem es um Geduld und Warten ging. Er zählte die Hürden auf und beschrieb die Fehlschläge. Aber keiner von uns kannte die Sprache der Niederlage, und so sogen wir alles, was wir während der Ausbildung lernen konnten, auch das Böse, begierig in uns auf, weil es Teil einer Erfahrung war, nach der wir uns sehnten. Denn nichts schreckte uns so sehr wie das gewöhnliche Leben, die klare Vorstellung von Richtig und Falsch, die elterliche Fürsorge und die Regel, dass Kinder früh ins Bett gehörten. Alle einundzwanzig Schüler, die am ersten Tag anwesend waren, kamen auch am zweiten wieder. Das zuvor leere Haus begann sich zu füllen, langsam und stetig kamen Gegenstände hinzu, die Craig bestellt hatte. Dass diese irrationale Anhäufung von Dingen im Dienste der Vernunft geschah, war ein Widerspruch, der mich bis heute beschäftigt. Von der ersten Stunde an schien Craigs Unterricht mir nur diesen einen Zwiespalt deutlicher vor Augen führen zu wollen: Im Moment der größten gedanklichen Klarheit sind wir dem Wahnsinn am nächsten.
Körbeweise wurden die bestellten Utensilien im Hause Craig abgeladen: juristische Abhandlungen, Lupen und Mikroskope, Marionetten, die als Stellvertreter für Selbstmörder oder Totschläger gebraucht wurden, Stethoskope, um die Nachbarwohnung abzuhören, Nachtsichtbrillen, menschliche Schädel, die vom Feld des Verbrechens geerntet wurden. Zu jener Zeit wurden die Pläne der Medizinischen Fakultät zur Gründung eines forensischen Museums gerade wieder zu den Akten gelegt, und Craig zögerte nicht lange, die Bestände an Formalin kanisterweise aufzukaufen. Selbst alte Leichenfotos und ausrangierte Krankenbetten machte er sich zu eigen. Manchmal kam Señora Craig aus dem zweiten Stock zu uns herunter, um sich über den Fortgang der Dinge zu informieren. Von durchscheinender Schönheit und in ihren stets blauen Kleidern verharrte sie vor Dolchen und Stiletts – den Mordwaffen berüchtigter Verbrecher –, erhängten oder enthaupteten Puppen, aasfressenden Insekten, die in gläsernen Gefängnissen konserviert wurden. Minutiös studierte sie die Objekte, als ob sich hinter ihnen die Antwort auf das Rätsel verbergen würde, das ihr das Verhalten ihres Mannes aufgab. Sie wirkte wie eine Besucherin eines Museums, die sich verirrt hatte und von den Wachleuten versehentlich in dem Gebäude eingeschlossen worden war.
Allein Ángela, die Köchin, hatte den Mut, Craig auf die schmutzigen Körbe und all die anderen schrecklichen Dinge anzusprechen, die inzwischen das Haus bevölkerten. Da ihr Craig keinerlei Beachtung schenkte, versuchte sie es mit einer Drohung: »Ich warte auf einen Brief von meinen Neffen aus Lugo. Sobald ich den bekomme, gehe ich. Und dann ist Schluss mit Milchreis.«
Craigs Unterricht fand morgens statt. Während seine Stimme am restlichen Tag milder oder moduliert klang, strotzte sie in dieser Zeit vor Selbstsicherheit. Manchmal nahm er uns auch nachts zu einer Untersuchung mit, um in ein verdächtiges Haus einzubrechen, in dem eine Frau ermordet worden war, oder um in das Hotelzimmer des jüngsten Selbstmordopfers einzusteigen.
»Der Selbstmord ist das größte Rätsel von allen, größer noch als der Mord«, sagte Craig. »In allen Städten bleibt die Selbstmordrate stets dieselbe, unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen oder historischen Gegebenheiten. Der Selbstmord ist eine Krankheit der Stadt und nicht eine der Individuen. Auf dem Land bringt sich niemand um; es sind unsere schrecklichen Gebäude, die den Virus verbreiten, und unsere Dichter, die ihn verherrlichen.«
Als wir das erste Mal einen solchen Tatort betraten, hielten wir uns alle dicht an den Wänden und überließen Craig und dem Opfer die Bühne. Der Tote trug Sonntagskleidung und hatte das Zimmer aufgeräumt, bevor er die Flüssigkeit aus dem blauen Fläschchen getrunken hatte.
Aus der Mitte des Raumes forderte Craig uns auf, näher zu treten: »Sie sehen diesen Mann, sehen, wie ordentlich er alles an seinen Platz geräumt und seine Tasche gepackt hat, bevor er das Gift einnahm. Hotelzimmer, Pensionen – nirgendwo ist die Einsamkeit größer als hier. Selbstmördern entgeht nichts; sie sind gut vernetzt. Wenn ein Mensch in diesem Hotel seinem Leben ein Ende setzt, ist die Spur gelegt, und vier Wochen später wird der nächste kommen. Schon bald wird es Hotels geben, in denen nur noch diese ungeduldigen Reisenden Zuflucht suchen.«
Wir lernten, im letzten Winkel zu suchen; der Schlüssel unseres Abenteuers war nicht in den großen Räumen zu finden, sondern in der Symmetrie von Blutstropfen, in einzelnen Haaren, die zwischen den Fußbodendielen lagen, in ausgedrückten Zigarettenstummeln oder in den Fingernägeln der Toten. Wir suchten mit Lupen, die die Proportionen der Räume und schließlich auch die des Lebens selbst verzerrten.
So virtuos wie Craig erledigten auch alte Freunde von ihm ihre Arbeit. Einer von ihnen war Aquiles Greco, der große Phrenologe, ein kleiner und fahriger Arzt, dessen Hände so stark zitterten, als führten sie ein Eigenleben: wie Tiere, die es kaum erwarten konnten, die nächstbesten Wangenknochen oder das Stirnbein abzutasten, die sich um einen Schädel legen, um so – ohne Maßband, allein durch die Berührung – seinen Umfang abzuschätzen. Jedes Mal, wenn wir ihn sahen, erzählte er von den Jahren, als er an der Universität von Paris mit Prospère Despines zusammengearbeitet hatte, dem illustren und vergessenen Lehrer von Cesare Lombroso. Greco ließ die Schädel von Hand zu Hand wandern, damit wir die Konturen spüren und die Ausbuchtungen, die hervorspringende Kieferpartie und die flache Stirn der Mörder erkennen konnten.
»Dieb, Mörder, Betrüger?«, wollte Greco wissen. Und mit geschlossenen Augen und tastenden Daumen mussten wir seine Frage beantworten.
»Mörder«, rief ich einmal, und Greco erwiderte: »Schlimmer. Das ist der Schädel eines Jesuiten.«
Weniger unterhaltsam waren die Besuche im Leichenschauhaus. Dr. Reverter, ein groß gewachsener Mann mit der für alle im Zeichen des Saturn geborenen typischen Melancholie und Bescheidenheit, öffnete die Schädeldecke, erklärte uns die Eigenheiten der vor uns liegenden Hirnmasse und lehrte uns, die vielfältigen Verhornungen und Narben am Gehirn eines Mörders auszumachen.
»In diesen Windungen stehen die künftigen Verbrechen bereits seit der Geburt geschrieben. Wenn es ein Gerät gäbe, mit dem man das Gehirn abbilden könnte, so könnte man die Träger solcher Inschriften festnehmen, bevor sie zur Tat schreiten, und die Mörder würden aus den Städten verschwinden.«
Die kriminelle Physiologie stand seinerzeit im Mittelpunkt der Verbrechensforschung, und sowohl die Medizin als auch die Polizei träumten von einer Wissenschaft, in der man die Gerechten von den Verdammten unterscheiden konnte. Heute hat all das keinen wissenschaftlichen Wert mehr, und es reicht, in einer Vorlesung Lombrosos Namen zu nennen – was ich häufig tue –, um schlecht unterdrückte Lacher zu ernten. So unverantwortlich, wie damals der Glaube an das System war, ist es heute der mitleidlose Hohn. Nach den mehr als zwanzig Jahren, die ich inzwischen Mördern auf der Spur bin, hat mich meine Erfahrung durchaus gelehrt, dass sich die Bestimmung eines Menschen in seinem Gesicht widerspiegelt. Das Problem ist nur, dass es keine Methode gibt, die eine eindeutige Interpretation zulässt. Lombroso hatte sein Forschungsfeld nicht schlecht gewählt; sein Fehler bestand nur darin, nur eine Lesart der in den Gesichtern versteckten Zeichen zu erlauben.
Glaubte Craig im Jahr 1888 an die Lehre der Physiognomie, an die kriminelle Physiologie? Schwer zu sagen, denn offenbar interessierten ihn vor allem die Morde, bei denen man allein am Ort des Verbrechens Spuren sicherte und wo es keinen Verdächtigen gab, mit dessen Physiognomie man sich beschäftigen musste.
»Für die offensichtlichen Verbrecher, die mit den abstehenden Ohren, dem hervortretenden Stirnbein und den riesigen Händen, ist die Polizei zuständig. Für den unsichtbaren Mörder aber, den Mörder, der sich auch unter uns verirren könnte, für den bin ich da.«
Manchmal erwähnte Craig beiläufig einen der Zwölf Detektive, und mit der Zeit trauten wir uns, ihn nach dem Ursprung der Verbindung zu fragen, nach ihren nie niedergeschriebenen Regularien, nach den wenigen Malen, zu denen einige Mitglieder es geschafft hatten, sich zu treffen. Craig antwortete knapp und ungehalten auf solche Fragen, sodass wir uns den Rest selbst zusammenreimen mussten. Wir wiederholten die Namen, als hätte uns jemand dazu gezwungen oder als handelte es sich bei ihnen um eine besonders schwere Lektion. In Buenos Aires waren die bekanntesten – und La Clave del Crimen ließ keines ihrer Abenteuer unkommentiert – Magrelli, genannt das Auge von Rom, der Engländer Caleb Lawson und der aus Nürnberg stammende Deutsche Tobias Hatter. Häufig berichtete die Zeitschrift auch über die Querelen zwischen dem Veteranen Louis Darbon, der sich als Nachfolger von Vidocq verstand, und dem nach Frankreich übergesiedelten Polen und Freund von Craig, Viktor Arzaky, da beide Anspruch auf den Titel »Detektiv von Paris« erhoben. Auch wenn Madorakis’ Fälle weniger häufig Erwähnung fanden, gehörte der Detektiv von Athen zu meinen Lieblingsermittlern: Er löste die Fälle auf eine Art, die den Eindruck vermittelte, er würde nicht über einen Kriminellen im Speziellen sprechen, sondern über die Menschheit an sich.
Die spanische Gemeinde in Buenos Aires wiederum verfolgte begeistert die Abenteuer des Toledaners Fermín Rojo, dem ständig so viele Missgeschicke unterliefen, dass das Verbrechen selbst in den Hintergrund trat. Zagala, der Detektiv aus Portugal, ermittelte ausschließlich an der Küste. Er verhörte bärbeißige Besatzungsmitglieder von Schiffen, die sich im Nebel verirrt hatten, suchte am Strand nach den Resten ungeklärter Havarien und löste Fälle von »verschlossenen Kajüten«.
Vervollständigt wurde die Liste der Zwölf Detektive von Novarius, Castelvetia und Sakawa. Jack Novarius, den Vertreter aus Nordamerika, machten wir in unserer Vorstellung immer zu einem Cowboy oder Revolverhelden. Der gewissenhafte Holländer Anders Castelvetia kroch noch in die hinterste Ecke, ohne jemals seinen weißen Anzug zu beschmutzen. Über Sakawa, den Mann aus Tokio, wussten wir nichts.
Diese Namen wiederholten wir hinter Craigs Rücken ein ums andere Mal, denn in Craigs System tauchte der diffuse Zusammenschluss, der sich die Zwölf Detektive nannte, nicht auf. Dafür andere: Für die Lehre der Gesetzestexte war Doktor Ansaldi zuständig, der mit Craig den Colegio San Carlos besucht hatte. Ansaldi erklärte uns, dass das Recht eine Form der Erzählkunst sei; Anwälte versuchten, die Version einer Geschichte zu verkaufen – einer Geschichte über Schuld oder Unschuld –, die plausibler war als andere und bis zu einem bestimmten Grad auf den Gegebenheiten des Falles und der Glaubwürdigkeit der Zeugen fußte, dass Anwälte sich alles zu eigen machten, was jede andere Version widerlegen könnte. Die Einzigen, die im Rechtsunterricht nicht einschliefen und am Ende auch Anwälte wurden, waren unsere Kommilitonen Clausen und Miranda, beides Anwaltssöhne. Der Rest konnte dieser abgeschlossenen Welt und den unverständlichen Büchern nichts abgewinnen, die für uns das genaue Gegenteil der Gefahr und der intellektuellen Erregung darstellten, die die Ermittlungsarbeit versprach. Auch Craig verabscheute die Rechtslehre.
»Wir Detektive sind Künstler und die Richter und Anwälte unsere Kritiker.«
Trivak, der einzige Schüler, mit dem ich mich angefreundet hatte und der eine Sonderausgabe von De Quincey gelesen hatte, herausgegeben von einer Edinburgher Tageszeitung und aufbewahrt von seinem Vater, traute sich zu ergänzen: »Die Mörder sind die Künstler und die Detektive ihre Kritiker.«
Craig erwiderte darauf nichts. Er zog es vor, sich die Antwort für einen späteren Zeitpunkt aufzuheben. Trivak war der Schlauste der Gruppe, und wenn Craig in seinem Haus Spuren legte, um uns mit einer seiner endlosen Übungen in den Wahnsinn zu treiben, kam Trivak immer weiter als wir anderen; Gerüchte kursierten, wonach er bei seiner genauen Recherche auch nicht vor dem Schlafzimmer der Señora Craig haltmachte und angeblich schon in ihren Sachen gestöbert hatte. Weder bestätigte noch dementierte Trivak solche Behauptungen: »Bei einer Ermittlung darf es keine Grenzen geben.«
Ich vermutete ja, dass Trivak selbst dieses Gerücht in Umlauf gebracht hatte, wie auch das andere, wesentlich nachhaltigere, wonach die Akademie darauf abzielte, einen Assistenten für Craig zu finden. Das Fehlen eines Adlatus, der das Feuerwerk von Craigs Gedankengängen verfolgte und seine verwegenen Ermittlungen dokumentierte, wurde von den Zeitungen häufig kritisiert. In seinen Fähigkeiten war Craig den anderen Detektiven nicht unterlegen; im Gegenteil glaubte man, dass er zusammen mit Arzaky und Magrelli zu den besten und geschicktesten Ermittlern gehörte. Und trotzdem brachte ihn die Tatsache, dass er keinen Gehilfen hatte, in eine schlechtere Position gegenüber seinen Kollegen. Zagala, der Portugiese, hatte Benito, einen schwarzen Brasilianer, der so flink und gewandt war wie kein Zweiter; Caleb Lawson, von der Königin zum Ritter geschlagen und berühmtester Mitarbeiter von Scotland Yard, durfte auf den Hindu Dandavi zählen, der ihm wie ein Schatten folgte und manchmal falsche und wahrlich gefährliche Fährten legte, nur um etwas erzählen zu können. Arzaky, der, wie gesagt, mit Louis Darbon in Paris um den Meistertitel stritt, wurde vom alten Tanner unterstützt. Dessen Gesundheit war von den unzähligen Einsätzen aber so angeschlagen, dass er sich – schwindsüchtig, gebeugt und dem Tode näher als dem Leben – in erster Linie seinem Tulpengarten widmete und mit seinem Herrn nur noch schriftlich verkehrte.
Die Vorstellung, dass die ganze Akademie nun fieberhaft nach einem Adlatus für Craig suchte, war also gar nicht abwegig, und sie versetzte uns in einen Zustand freudiger Erregung, den wir auch vor den anderen zu verbergen versuchten. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits einige Studenten aus Furcht vor der Welt, die sich ihnen eröffnete, die Schule verlassen. Gefängnisbesuche, bei denen wir die berüchtigtsten Mörder kennenlernten, oder die Erschießung des Anarchisten Carpatti, der noch die Vollstrecker verfluchte, als er bereits von Kugeln durchsiebt war, hatten all jene in die Flucht geschlagen, die sich von der Ermittlungsarbeit ein intellektuelles Spiel erhofft hatten, ein vergeistigtes Puzzle. Selbstverständlich hatte keiner, der die Akademie verließ, seine Angst oder Enttäuschung eingestanden; alle taten so, als resultiere der plötzliche Gesinnungswandel aus einem inneren Reifeprozess, der ihnen ihre wahre Bestimmung vor Augen führte: Sie wollten Ärzte oder Anwälte werden, Familienväter wie die eigenen Väter, um sich wie diese in verqualmten Salons einzuschließen und das eigene Haus nur aus triftigen Gründen zu verlassen. Je mehr aber gingen, desto größer wurde die Hoffnung bei den anderen, dass sie unter den Auserwählten zu dem Auserwählten würden.
Und doch wussten wir insgeheim, dass Craig, auch wenn er alle Hebel in Bewegung setzte, um einen Assistenten zu finden, diesen längst gefunden hatte. Trivak konnte sich noch so sehr bemühen, sich seine ironischen Spitzen zu verkneifen, um Craigs Gunst zu gewinnen, der Favorit war und blieb Alarcón. Gabriel Alarcón, dessen Haut so weiß war, dass man die Venen darunter erkennen konnte. Gabriel Alarcón, den wir mit Fragen nach möglichen Schwestern oder Nichten löcherten, da eine solche Schönheit besser zu einer Frau als zu einem Mann passte. Craig war glücklich, wenn er wieder einmal zeigen konnte, dass er schlauer war als wir, wenn wir bei einer Denkaufgabe gescheitert waren und er seine Überlegenheit unter Beweis stellen konnte. Er wünschte sich sehnlichst, uns zu besiegen, noch mehr aber wünschte er sich, von Alarcón geschlagen zu werden, und kam aus dessen Frauenmund dann der Satz, der den Meister zur Strecke brachte, lächelte er besonders stolz.
Wir hassten Alarcón für diese Sonderbehandlung, und wir hassten ihn auch, weil er aus der reichsten Familie stammte, einer Reedereifamilie, die Ozeanriesen baute. Alarcón hätte Botschafter werden oder sein Leben dem Reisen und den Frauen widmen können; aber nein, er hatte stattdessen beschlossen, sich mit uns zu messen und glorreich zu siegen. Trotz unserer Antipathie (die bei Trivak, dem Sohn eines jüdischen Anwalts, eines der wenigen, die es damals in Buenos Aires gab, und mir, dem Sohn eines Schusters, am größten war) respektierten wir doch alle seine Leistungen (die unseren Hass nicht milderten, sondern erst recht nährten). Alarcón schien immer einen Weg abseits zu nehmen, um das Rätsel zu lösen; nie holte er für irgendetwas eine Genehmigung ein; er ging durch die Welt, als seien alle Türen nur dafür gemacht, sich vor ihm aufzutun. Sein inniges Verhältnis zu den Craigs war besorgniserregend: Jeden Nachmittag besuchte er Señora Margarita und trank mit ihr Tee. Wenn der Detektiv auf Reisen war, verbrachte er Stunden in ihrer Gesellschaft. Er war – natürlich nur, was das gemeinsame Teetrinken betraf – der Ersatz für den Ehemann.
Ich erinnere mich noch, was Alarcón erwiderte, als Craig den Fall des »verschlossenen Raumes« darlegte, von dem alle Detektive der Welt so besessen waren: »Einen Mord als ›Verbrechen in einem geschlossenen Zimmer‹ zu maskieren und ihn damit als unlösbar zu betrachten, ist nicht die richtige Herangehensweise, da man die Abgeschlossenheit des Raumes als eine unumstößliche Tatsache hinnimmt. Aber es gibt keine wirklich verschlossenen Räume. Diese Wendung setzt eine Unmöglichkeit voraus, die es in dieser Form nicht gibt. Um ein Problem zu lösen, muss man es richtig benennen und darf nicht die Schwierigkeit bei der Benennung der Dinge mit der Schwierigkeit der Dinge selbst verwechseln.«
Wir hassten ihn, aber wir wetteiferten nicht mit ihm. In einem Kampf, bei dem es nur einen Sieger geben konnte, kämpften wir um den zweiten Platz. Wenn Craig auf Reisen war, um einen neuen Fall zu lösen, wurde der Tagesablauf nicht ganz so streng eingehalten und wir gingen abends eher als sonst. An einem dieser Tage beobachtete Trivak fassungslos, wie Alarcón, statt ebenfalls das Haus zu verlassen, mit langsamen und scheinbar schwerelosen Schritten die Treppe in das Obergeschoss hinaufstieg, um die ungeheure Gastfreundschaft der Señora Craig anzunehmen.