rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, September 2016
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Umschlagfoto Erhard Hürsch/Deutsches Literaturarchiv Marbach (Gottfried Benn, 1947)
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ISBN Printausgabe 978-3-50681-9 (1. Auflage 2006)
ISBN E-Book 978-3-644-56541-8
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-56541-8
Th. Mann: Über «Königliche Hoheit». In: Ders.: Autobiographisches. Frankfurt a.M./Hamburg 1968, 34
Z.B. Wellershoff (1958), 14, in seiner ansonsten wegweisenden Studie
Koch (1957), 12
Zitiert bei Koch (1957), 11
Schröder (1978), 21 und passim
Vgl. Günter de Bruyn: Die Finckensteins. Eine Familie im Dienste Preußens. Berlin 1999; dort zu Benn 222f.
Schöne (1968), 16
Vgl. Matthias Waltz: Ordnung der Namen. Die Entstehung der Moderne: Rousseau, Proust, Sartre. Frankfurt a.M. 1993, insbesondere 267–275 (auch zur nachstehend erörterten Vaterproblematik)
Koch (1957), 15
Ein ganz anderes, gelassenes Mutter-Gedicht ist «Jena» von 1926 (III, 124); dazu erhellend Theweleit (1994), 200–202
Vgl. auch die Gedichte «Schnellzug» (III, 381) und «Ein Trupp hergelaufener Söhne schrie» (III, 378f.)
NPS, 62 (zu «Pastorensohn»)
An Holthusen (16. Mai 1954). In: AB 265
Vgl. Robert Minder: Das Bild des Pfarrhauses in der deutschen Literatur von Jean Paul bis G.B. In: Ders.: Kultur und Literatur in Deutschland und Frankreich. Fünf Essays. Frankfurt a.M. 1963, 44–72; Zitat 63
Das verbindet ihn, einmal mehr, mit dem anderen großen Agnostiker Brecht, der auf eine Umfrage der Zeitschrift «Die Dame» (1. Oktober 1928) nach dem Buch, das ihm in seinem Leben «den stärksten Eindruck gemacht» habe, antwortete: «Sie werden lachen: die Bibel.» Vgl. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 21. Berlin und Weimar/Frankfurt a.M. 1992, 248 und 697f.
Vgl. Schöne (1968), 20 und passim
Schöne (1968), 247
Erhellend Schöne (1968), 225ff., insbes. 248–258
Vgl. den vollständigen Titel von Schöne (1968); dort auch eindrucksvolle statistische Angaben zu Dichtern aus deutschen Pfarrhäusern (7–19)
Ernst Kretschmer: Geniale Menschen. Berlin 1929; zitiert nach R. Minder (wie Anm. 14), S. 44 Benn hat dieses Buch vor allem 1930–1934 immer wieder zitiert.
Vollständiger Abdruck des Briefs (mit Kommentar) in: von Wallmoden (1988), 573f.
Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. In: Ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bdn. (künftig: KSA und Bandnummer). Bd. 1. München/New York 1980, 13
Eta Harich-Schneider in: Das G.B.-Buch (1968), 10
Der Katalog der Benn-Ausstellung 1986 des Deutschen Literaturarchivs Marbach belegt, dass Benn sich nicht ganz genau, aber doch annähernd richtig erinnert. In der «Romanzeitung» Nr. 33 des Jg. 41 (1904), Spalte 504, heißt es: «Stud. G.B. in M. Warmes Gefühl, unzureichender Ausdruck […].» Vgl. Katalog (1986), 22
Vgl. Schünemann (1977), 31–33
So Rübe (1993), 95
Vgl. Benns Totenmaske und den Kommentar von Heintel (1990), 34f.
Zur fachlichen Qualität Rübe (1993), 110f.
Vgl. Rübe (1993), 114f.
Vgl. Rübe in: G.B.: Medizinische Schriften (1965), 96
Vgl. Katalog (1986), 31
Benns Verachtung dieser Art Medizin hat ihn nicht daran gehindert, zu einem der in dieser «Ithaka»-Passage verspotteten ‹Fälle› ebenfalls 1914 eine kleine wissenschaftliche Studie zu veröffentlichen; vgl. SW VII/1, 399–403. «Doppelleben» also auch hier.
Genauere Angaben zu diesem Text von seinem Entdecker Andreas Kramer in: SW VII/1, 657f., sowie in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom 22. August 2003. Identische Passagen finden sich in der drei Jahre späteren Szene «Ithaka».
Auch von Trakl und Brecht gibt es Wasserleichen-Gedichte, deren Vorbild immer die Ophelia aus Shakespeares «Hamlet» ist.
Georg Lukács: Die Theorie des Romans [1914/15]. Neuwied/Berlin 31965, 35
Hohendahl (1971), 97f.
Hohendahl (1971), 91
Hohendahl (1971), 98; vgl. auch die «Zeugnisse» in diesem Band
Zitiert nach Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler. Biographie. Göttingen 2005, 204. Dass Benn Else Lasker-Schüler in Briefen mit Sie anredete, ist kein stichhaltiger Beweis für die Lesart, die Beziehung sei rein platonisch gewesen.
Vgl. dazu Schäfer (2005), 8–14
Vgl. NPS, 13
In einem Brief an den mit Rauschmitteln erfahrenen Ernst Jünger vom 9. November 1951 hat Benn seine eigenen Drogenexperimente ausgesprochen zurückhaltend, fast kleinlaut kommentiert: «Darf ich bei der Gelegenheit erwähnen, daß ich Drogen weder selbst nehme noch genommen habe (außer einer kurzen Episode mit Kokain im 1. Weltkrieg).» (AB 220)
Brief an Wellershoff vom 22. November 1950 (AB 203)
Hierzu als Erste in ihrer Dissertation von 1953 Astrid Claes (2003), 32–38
Alle Zitate aus: Die Geburt der Tragödie (= KSA 1), 25–30
Götzen-Dämmerung (= KSA 6), 116
Die Geburt der Tragödie (= KSA 1), 47 (Sperrungen vom Autor). Nietzsche hat den Satz in seiner Vorrede zur Neuausgabe des Buches von 1886 fast wörtlich wiederholt (KSA 1, 17).
F. Nietzsche: Ecce homo (= KSA 6), 289
Vgl. R. Borchardt: Bacchische Epiphanie. München 1992
TS (2005), 8f., 11
Vgl. hierzu Holthusen (1986), 222–234, und von Wallmoden (2002)
NPS, 19
Zitiert nach Katalog (1986), 80f.
EBK, 196
G. Schuster in: ES, 123
ES, 13
Vgl. Helmut Lethen (1994). Erstaunlicherweise ist Benn in Lethens anregender Studie nur eine Randfigur: zwei Zitate von 677. Der Autor hat diese Auslassung inzwischen korrigiert – indem er ein Benn-Buch geschrieben hat.
Franz Jung: Der Torpedokäfer [Der Weg nach unten, 1961]. Neuwied/Berlin 1972, 160
Brief an G.B. vom 9. Mai 1933; bei Hohendahl (1971), 164
Vgl. u.a. Rübe (1993), 31–35
Eine vorbildlich genaue Exegese von «Staatsbibliothek» gibt Siebert (1981).
Vgl. hierzu Heintel (1997), mit einem Foto von Lili Breda
An Carl Werckshagen, in: G.B. Limes-Lesebuch 2 (1958), 49
So hat Schröder (1978) das zweite Hauptkapitel seines Buches überschrieben (89–137).
Belegtexte sind für Schröder u.a. «Heinrich Mann. Ein Untergang», «Phimose» (die Erstfassung von «Querschnitt») und das Gedicht «Der junge Hebbel».
Die Werkausgabe von Wellershoff enthält Nachlasstexte im Band III (Gedichte), 499–530 und 599–602, unter dem Titel «Fragment eines Singspiels (Nachlass)».
Neue Bücherschau, Heft 7 (1929); nach Hohendahl (1971), 128f.
Neue Bücherschau, Heft 9 (1929); nach Hohendahl (1971), 134f.
Hohendahl (1971), 145f., 149
Schröder (1978), 100
Helmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes. Stuttgart u.a. 1959, 57 und 131
Willems (1981), 33
Zu den Übernahmen Benns detailliert: Hof (1991), 54–161, und konzentriert: SW III, 557–566
Erhellend: Hof (1991)
Tagebucheintrag vom 11. Mai 1952, in: TS (2005), 219
Hof (1991), 407
Hierzu und zum Folgenden Jens (1971), 176–218 und 285–292, und Brenner (1972)
Jens (1971), 185
ES (1993), 14
Zum Verhältnis Benn/Döblin: Katalog (1986), 150–164
Vollständig in: Katalog (1986), 198–201, und in: SW IV, 510–512
Arbeitsheft 1 (1930–1933), in: Katalog (1986), 193
Pressebericht, zitiert von Loerke (1956), 277
Loerke (1956), 269, 271, 273f., 276, 283, 305, 309, 311
Traum, 127
Traum, 129
Hindemith (1999), 165, und PH, 202
Loerke (1956), 313
Hierzu Bormuth (2005), 13–18. – Mit gutem Willen kann man (was Bormuth nicht tut) die fraglichen Passagen des Aufsatzes «Geist und Seele künftiger Geschlechter», mit Benns Hinweis auf die «Grenzen derartiger Völkerzüchtungen» (I, 237), als rhetorisch unumgängliche Vorbereitung des abschließenden Plädoyers für «in erster Linie intellektuelle und moralische Züchtung», das «Geist züchten» (I, 239), lesen. Selbst dann hätte Benn sich, wie er 1935 selbst einsah, viel zu weit auf folgenschwere NS-Positionen eingelassen.
Vgl. Schröder (1978), Kap. II (189–237)
Matthias (1962), 439
Theweleit (1994) betont zu Recht, was man Benns (Thomas-)Mann-Komplex nennen könnte. Vgl. 372 und passim
Benn laut Sitzungsprotokoll der Sektion vom 20. Februar 1933; nach Brenner (1972), 53
Vgl. Stollmann (1980) und Müller (1990)
Müller (1990), 186
TS, 82 und 84
TW, 132
EBK, 119
EBK, 109
TW, 256f.
EBK, 154–158
Dieser Brief in: EBK, 235–239; zu ihrer Biographie ebd. 334–344
TW, 184
EBK, 174
Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Hg. von Joseph Wulf. Reinbek 1966, 144
EBK, 210
NPS, 48
Genauer: Schäfer (2005), 21–27
Ob der Oberfeldarzt Benn und die 15-jährige Christa Wolf einander einmal auf der Straße begegnet sind?
= TS 131
«Selige Sehnsucht», aus «West-Östlicher Divan»
Vgl. KSA 1, 26f., 30 und passim
Nachgelassene Fragmente 1886/87 (= KSA 12), 315
Vgl. Lyrik des Exils. Hg. von W. Emmerich und Susanne Heil. Stuttgart 1985, 33f. und 113–124
So bei Steinhagen (1969) und Schäfer (2001)
Zitiert nach Schäfer (2001), 20 (= DLA, 3. Oktober 1937); vgl. auch Dyck (1986), 113–126
NPS, 53f.
Ilse Benn, zitiert nach Katalog (1986), 311
Zur Rolle dieses Modells in der Lyrik Schröder (1986), 39–57
Vgl. Friedrich (2000), 333ff.
Friedrich (2000), 288f.
Erste Belege des Wortes «Doppelleben» schon 1930/34; vgl. SW V, 493
R. Grimm (1967); zitiert nach Hillebrand, Hg. (1979), 228
Vgl. Schröder (1986), 69, und die dort genannte Literatur
Traum, 179
Dazu Benn selbst: «Ich fürchte, es sind langweilige altmodische Aussagegedichte.» (OB II/2, 167)
Schröder (1986), 74
Willems (1981), 105
Zu den Parlando-Gedichten ausführlich: Willems (1981), insbes. 53–118
Ganz ähnlich in einem Brief an EBK, 142ff.
Willems (1981), der Titel und 65; vgl. P. Rühmkorf: Strömungslehre I. Poesie. Reinbek 1978, 19
Vgl. Die Struktur der modernen Lyrik. Erweiterte Neuausgabe. Reinbek 1967, 196f., 150 und passim. Die von Friedrich vorgestellten Gedichte Benns stammen nicht zufällig alle aus der Zeit vor 1945.
Vgl. Willems (1981), 117ff., der Benn ebenfalls als «modernistischen Realisten» sieht
De Mendelssohn warf Benn später, im Rückblick auf die Nazizeit, explizit Feigheit und Opportunismus vor. Vgl. Der Geist in der Despotie. Berlin 1953, 256–282
Vgl. SW VII/1, 315–341 und 652f. Benn hatte offenbar sogar Bölls Roman «Und sagte kein einziges Wort» gelesen.
Vgl. hierzu Schröder (1986), 80–99
Vgl. AC, 45 und 97, sowie das Nachwort von Bernd Witte (139–152), Benn Jahrbuch 1 (2003), 17–34, insbes. 31, und Claes (2003), 8
UZ, 376
Vgl. Benns ernüchtertes Urteil darüber in einem Brief an A. Claes vom 2. Juni 1955 (AC, 62)
AC, 13
Traum, 248
Vgl. den Titel von Hohendahl (1971)
Wellershoff (1958), 11
Dies der Untertitel von Harald Steinhagens ansonsten verdienstvollem Buch (1969)
Schröder (1986), 78
Rühmkorf (1978), 146f.
Brecht (wie Anm. 15), Bd. 22. 1, 1993, 9
Sieburg (1949), in: Hohendahl (1971), 222
Grimm (1984), in: Hillebrand, Hg. (1987), Bd. 2, 346
Rühmkorf, in: Irdisches Vergnügen in g. Fünfzig Gedichte. Hamburg 1959, 60
PH, 62
Rühmkorf (1957); zitiert nach Holbeche (1981), 325
UZ, 274
Vgl. Willems (1981), Kapitel IV und passim
Vgl. Hohendahl (1987), der, ganz anders als Willems, die Attraktivität von Benns ‹postmodernen› Gedichten als Gefahr sieht
Grünbein (2002), 81
Geboren 1886 und aufgewachsen in Dörfern der Provinz Brandenburg. Belangloser Entwicklungsgang, belangloses Dasein als Arzt in Berlin. (SW III, 448) Diese lakonischen Sätze gab Gottfried Benn, 34 Jahre alt, zu Protokoll, als er gebeten wurde, für die später berühmteste aller expressionistischen Lyrikanthologien «Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung» (1920) neben Gedichten einen kurzen Lebenslauf beizusteuern. Und in seiner Autobiographie Doppelleben (abgeschlossen Anfang 1950) finden sich zum Ende hin die Sätze: Herkunft, Lebensablauf – Unsinn! Aus Jüterbog oder Königsberg stammen die meisten, und in irgendeinem Schwarzwald endet man seit je. (IV, 164) Deutlicher kann man die Bedeutung der familiären, sozialen und regionalen Ursprünge, ja der eigenen Lebensumstände und des Biographischen schlechthin, nicht herunterspielen. Dass darin eine bewusste Autorstrategie am Werk ist, lehrt das späte Gedicht Verhülle dich – (1950/51):
Verhülle dich mit Masken und mit Schminken,
auch blinzle wie gestörten Augenlichts,
laß nie erblicken, wie dein Sein, dein Sinken
sich abhebt von dem Rund des Angesichts.
Im letzten Licht, vorbei an trüben Gärten,
der Himmel ein Geröll aus Brand und Nacht –
verhülle dich, die Tränen und die Härten,
das Fleisch darf man nicht sehn, das dies vollbracht.
Die Spaltungen, den Riß, die Übergänge,
den Kern, wo die Zerstörung dir geschieht,
verhülle, tu, als ob die Ferngesänge
aus einer Gondel gehn, die jeder sieht.
(III, 248)
Markiert Benns wegwerfend lakonischer Satz von 1920, in dem er den bürgerlichen Lebensgang als vernachlässigenswert abtut, die Künstlerexistenz als vorrangig (wenngleich unausgesprochen), so treibt das Gedicht des Fünfundsechzigjährigen die angedeutete Haltung ins Extrem: Der hier aus dem Kern der Spaltungen, des Risses, der Zerstörung heraus seine Ferngesänge spricht, also aus tief reichenden existenziellen Prägungen, ist ein anderer als der, den jeder sieht, den seine Mitmenschen, öffentlich oder privat, alltäglich wahrnehmen – höflich (immer), bescheiden (zumeist), umgänglich (nicht immer). Sich-Verbergen, Sich-Verhüllen, ja Verstellung als selbst gewählte Haltung.
Spätestens seit Mitte der 1930er Jahre hat Benn diesen schon früh angenommenen Habitus, die Lebensstrategie des Doppellebens, weiter kultiviert und ausgeformt. Seine Autobiographie unter ebendiesem Titel Doppelleben beschreibt und rechtfertigt sie, im Rückgriff auf andere eigene Texte, ausführlich. Die Einheit der Persönlichkeit ist eine fragwürdige Sache, heißt es da, und zuvor schon: wir denken etwas anderes als wir sind (IV, 135f.). Benn konstatiert damit einerseits etwas sehr Banales (und unterstützt eine solche Lesart durch ebensolche Beispiele – etwa, dass man dem Schöpfer der Relativitätstheorie oder dem Sanskritforscher im Alltag nicht anmerke, was ihr Metier sei), zum anderen nimmt er die spätestens seit Nietzsche geläufige radikale Autonomie des Künstlers, jenseits aller bürgerlichen Bindungen, emphatisch für sich in Anspruch und treibt sie auf die Spitze. Hier: Das Leben – dies Speibecken, in das alles spuckte, die Kühe und die Würmer und die Huren –, das Leben, das sie alle fraßen mit Haut und Haar (IV, 139); hier auch: die bürgerliche Pflichterfüllung als Arzt, immer up to date, ob nun als Pathologe, Dermatologe und Venerologe oder Versorgungsmediziner bei der Wehrmacht (IV, 138), jedenfalls immer zuverlässig und klaglos, alles in allem mehr als vierzig Berufsjahre lang. Dort, gänzlich abgetrennt vom normalen «Leben»: der Ausnahmezustand der künstlerischen Produktion, das «Artistenevangelium» (Nietzsche), die Ausdruckswelt (I, 391 und passim), Gesteigertes, provoziertes Leben – Spannungen, Extraits (IV, 141).
Benns so konsequent erscheinende Zweiweltentheorie – hier das Geschäft und [dort] die Halluzinationen (IV, 143) – hat freilich noch einen anderen Grund als nur das auf höchste Höhen getriebene Selbstbewusstsein des Künstlers, der seine Souveränität bis zum Äußersten verteidigt: Es ist sein eigener massiver Verstoß gegen diese Haltung im Epochenjahr der nazistischen Machtübernahme 1933/34. Vom 30. Januar 1933 bis in den Sommer 1934 hat der große Dichter sich den Mächtigen und ihren Medien in prominenter Weise zur Verfügung gestellt, Radioreden und Festansprachen gehalten und geholfen, die ‹Gleichschaltung› der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste zu bewerkstelligen. Seine schon damals ausgearbeitete Lehre vom Doppelleben hat Benn damit eklatant verletzt, ja ad absurdum geführt. Schrittweise zur Besinnung gekommen, hat er dann umso entschiedener auf sie zurückgegriffen und jede Form ‹engagierter›, sich in politische Geschäfte einmischender, gar Partei ergreifender Kunst und Literatur abgelehnt und als verächtlich dargestellt. Sich endgültig zurückziehen und «verhüllen» hieß jetzt die Devise.
Soll sich, muss sich der Leser und Interpret von Benns Dichtungen diesem Gebot fügen? Widerspricht ein Sich-Einlassen auf Zeitumstände, Herkunft, Lebensablauf des Autors einem angemessenen Verständnis von Benns literarischen Texten? Keineswegs, das Gegenteil ist der Fall – und man hat auch dabei, zunächst überraschend, den Dichter auf seiner Seite. Ich bin nicht geworfen, heißt es in Der Ptolemäer (abschätzig gegenüber dem nach 1945 modischen Existenzialismus), meine Geburt hat mich bestimmt (II, 256). Gewiss, es sind vor allem die zwischen 1930 und 1933/34 entstandenen Essays, in denen Benn über die Ursachen von Genialität und Schöpfertum räsoniert, sich dabei fatal biologistischen Vorstellungen von Erbmasse (I, 223ff.) und Züchtung (I, 214ff.) annähert und sich am Ende sogar gezwungen sieht, gegenüber Vorwürfen, selbst jüdisch bzw. «verjudet» zu sein, eine regelrechte genealogische Rechtfertigung (IV, 156) zu konstruieren. Jenseits davon bleibt die Überzeugung des Dichters über die Jahrzehnte hinweg, zutiefst von der sozialen und landschaftlichen Konstellation seiner Herkunft geprägt zu sein wie auch von späteren Einflüssen seiner schulischen und schließlich akademischen Sozialisation an einer Militärakademie. Kurze Aufsätze wie Die liebe Fremde (über seine Mutter; SW IV, 91f.) und vor allem Das deutsche Pfarrhaus (SW IV, 113f.), aber auch wiederholte Hinweise auf seine Formung durch die Pépinière, die Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin zwischen 1905 und 1911, belegen das.
So zeigt sich, dass die bedeutendsten literarischen Texte des Dichters sich ohne Kenntnis des Biographischen nie befriedigend erschließen lassen – von den Morgue-Gedichten (1912) und den Rönne-Novellen Gehirne (1916) über Prosatexte der Jahre um 1918 bis hin zu den unter dem Schreibverbot seit 1938 entstandenen Biographischen Gedichten (OB I, 297) sowie den großen Prosatexten Roman des Phänotyp (1944) und Der Ptolemäer (1947), auch den offen autobiographischen Parlando-Gedichten der letzten Jahre, ganz zu schweigen von der Autobiographie Doppelleben. Benns Lebensstrategie des kalkulierten, vieles abspaltenden und verhüllenden Doppellebens muss von seinen Lesern nicht einfach hingenommen und repetiert werden. Weder die Ausformung seiner individuellen Dichtersprache und seiner frühen geistigen Assoziationsräume noch seine spätere weltanschauliche Entwicklung, noch auch sein zutiefst irritierendes Verhalten in den Jahren 1933/34 samt den Konsequenzen daraus lassen sich ohne die Koordinaten seiner ersten Lebensjahre zureichend verstehen. Also werden sie hier dargestellt und entsprechend stark gewichtet.
Freilich sind dem ‹Verstehen› sowohl des Lebenslaufs als auch des Zusammenhangs von Leben und Werk Grenzen gesetzt. Zwar hat die biographisch orientierte Benn-Forschung der siebziger und achtziger Jahre (mit Thilo Kochs «biographischem Essay» von 1957 und F.W. Wodtkes Realienbuch von 1962 als gehaltvollen Vorläufern) Licht ins – vom Autor wie von unkritischen Verehrern oft gewollte – Dunkel bringen können. Dazu haben Psychoanalyse (Schünemann 1977; Sahlberg 1977; Theweleit 1994 – Letzterer mit einer sehr produktiven Version), Sozialisationstheorie, Sozialpsychologie und Wissenssoziologie im Verbund (Schröder 1978) sowie avancierte Versionen von Geistesgeschichte (Schöne 1958/68; von Wallmoden 1988, 2003 u.a.) und Milieutheorie (Rübe 1993) beigetragen, und doch muss man sich vor dem hüten, was Pierre Bourdieu die «biographische Illusion» genannt hat, nämlich der Vorstellung vom einzelnen Menschenleben als einem plausiblen Entwicklungsroman. Wir haben das Verlangen, uns den einzelnen Menschen als eine über den ganzen Lebenslauf hin kohärente, stimmige Persönlichkeit vorzustellen. Widersprüche, Brüche gar irritieren uns. Ist dies schon ein illusionärer Wunsch bezogen auf sogenannte Normalbürger, so erst recht, wenn es um moderne Künstler geht. Und für kaum einen gilt es vielleicht so pointiert wie für Gottfried Benn. Wer sich auf ihn einlässt, macht wieder und wieder die Erfahrung, in Sackgassen der Ambivalenz und der Rätselhaftigkeit zu geraten, seinem zunehmenden Wissen zum Trotz.
Von Thomas Mann stammen die Sätze: «Wer ist ein Dichter? Der, dessen Leben symbolisch ist. In mir lebt der Glaube, daß ich nur von mir zu erzählen brauche, um auch der Zeit, der Allgemeinheit die Zunge zu lösen, und ohne diesen Glauben könnte ich mich der Mühe des Produzierens entschlagen.»[1] Gottfried Benn eignet sich nicht als symbolischer Stellvertreter, als Repräsentant der Deutschen, auch wenn ihn in den fünfziger Jahren viele dazu machen wollten.[2] Er war viel eher Seismograph, Zeuge, Symptom – für vier politische Systeme und ihre zutiefst widersprüchlichen Triebkräfte.
In diesem Sinne ähnelt Benn mehr als Thomas Mann dem anderen großen Lyriker der ersten Jahrhunderthälfte, der im gleichen Jahr wie er, 1956, nur sechs Wochen nach ihm, gestorben ist: Bertolt Brecht – der eine in West-Berlin, der andere in Ost-Berlin. Sie waren über dreißig Jahre Antipoden, was ihr Leben und Denken, ihr politisches Handeln und ihr Verständnis der Dichtung anlangt; vereint in einer je eigenen widersprüchlichen Mischung aus Kälte und Leidenschaft, vereint auch in der Faszination durch die Sprache und darin, was ihre poetische Sprache bei Lesern auslösen konnte: Provokation und Verstörung, aber auch Betörung und Entzücken; suggestiv einleuchtend oder sogar vernünftig vieles, dann wieder rätselhaft und widersprüchlich, nicht auf einen Nenner zu bringen.
Etwas davon möge die folgende Darstellung vermitteln: zum Lesen anregen und Verständnis befördern, so weit es eben geht. Sie kann sich naturgemäß nicht messen mit Biographien und Monographien, die den drei- bis zehnfachen Umfang haben, und auch nicht mit Spezialstudien, die einen bedeutsamen Einzelaspekt über dreißig Seiten beleuchten können, wo hier fünf Zeilen reichen müssen.
[…] geboren in einem Pfarrhaus aus Lehm und Balken, erbaut im siebzehnten Jahrhundert, von einem Schafstall nicht zu unterscheiden (I, 231) – so unterrichtet uns Benn über das Haus in dem brandenburgischen Dorf Mansfeld, in dem er am 2. Mai 1886 zur Welt kam und in dem bereits sein Vater als Sohn eines Pfarrers geboren wurde. Man findet den Ort auf einer Landkarte in der Nähe von Pritzwalk, heute auf halber Strecke an der Autobahn Hamburg – Berlin. Doch wichtiger wurde ein zweites Pfarrhaus, in Sellin in der Neumark, einem Gebiet östlich der Oder und damit heute zu Polen gehörig. In diesen idyllischen Ort in der Nähe von Mieszkowice (Bärwalde) verzog die junge Pfarrersfamilie, als Gottfried Benn ein halbes Jahr alt war. Es war ein Aufstieg: Die Pfarre war größer und das Haus komfortabler, eher nach Art eines stattlichen Bauernhauses und sogar mit Wasserleitung ausgestattet. Benn hat sich immer wieder daran erinnert:
Ein Dorf mit siebenhundert Einwohnern in der norddeutschen Ebene, großes Pfarrhaus, großer Garten, drei Stunden östlich der Oder. Das ist auch heute noch meine Heimat, obgleich ich niemanden mehr dort kenne, Kindheitserde, unendlich geliebtes Land. Dort wuchs ich mit den Dorfjungen auf, sprach Platt, lief bis zum November barfuß, lernte in der Dorfschule, wurde mit den Arbeiterjungen zusammen eingesegnet, fuhr auf dem Erntewagen in die Felder, auf die Wiesen zum Heuen, hütete die Kühe, pflückte auf den Bäumen die Kirschen und Nüsse, klopfte Flöten aus Weidenruten im Frühjahr, nahm Nester aus. […] Eine riesige Linde stand vorm Haus, steht noch heute, eine kleine Birke wuchs auf dem Haustor, wächst noch heute dort, ein uralter gemauerter Backofen lag abseits im Garten. Unendlich blühte der Flieder, die Akazien, der Faulbaum. Am zweiten Ostermorgen schlugen wir uns mit frischen Reisern wach, Ostaras Wecken, alter heidnischer Brauch […]. (Lebensweg eines Intellektualisten, 1934; I, 26)
Der Ton innigen, schmerzlichen Verlangens beim bald Fünfzigjährigen ist unüberhörbar. Die märkische Landschaft, die bäuerliche Lebenswelt, das scheinbar unveränderliche Dorf, kurz, das ‹einfache Leben› – sie sind zu Topoi einer unstillbaren Sehnsucht des Bewohners der Metropole Berlin geworden. Jeder, der seine Heimat verlassen hat, kennt sie. Benn aber gelingen in der Rückwendung auf diesen Sehnsuchtsraum besonders anrührende Gedichte, wie z.B. die nebenstehenden Strophen aus Epilog 1949.
Es ist ein Garten, den ich manchmal sehe
Östlich der Oder, wo die Ebenen weit,
ein Graben, eine Brücke, und ich stehe
an Fliederbüschen, blau und rauschbereit.
Es ist ein Knabe, dem ich manchmal trauere,
der sich am See in Schilf und Wogen ließ,
noch strömte nicht der Fluß, vor dem ich schauere,
der erst wie Glück und dann Vergessen hieß.
Epilog 1949, IV (III, 345)
Allerdings enthalten die nachträglichen Entwürfe von Kindheit und Heimat unverkennbar auch Momente von erzwungener Versöhnung. Der Alltag war eher hart. «Das Einkommen eines märkischen Pfarrers war nicht groß, eine kleine eigene Landwirtschaft mußte helfen. Zwischen Wochenbett, Küche, Stall und Garten erschöpften sich die Kräfte» der Mutter.[3] Benn hatte sieben Geschwister – die ältere Schwester Ruth, fünf jüngere Brüder: Stephan (der wie der Vater Pfarrer und später Superintendent wurde), Theodor (in der Weimarer Republik in einem Fememordprozess verurteilt, dann begnadigt), Siegfried (1916 gefallen), Hansgeorg (als Kind gestorben), Ernst-Viktor (Dr. jur. und erfolgreicher Industriemanager) und die erst 1901 geborene Schwester Edith (sie lebte später auch in Berlin). Das Regiment des Vaters war streng, und Sohn Gottfried musste, als Ältester, schon früh die jüngeren Geschwister beaufsichtigen. Die Geschwister liebten und bewunderten ihn, wie die Schwester Edith berichtet hat, als einen, der zaubern konnte und wunderliche Geschichten erzählte, aber auch rätselhaft und sarkastisch sein konnte, wenn er – inzwischen längst Medizinstudent in Berlin – die kleine Edith mit dem Satz «Sieh mich an, das Laster, das bin ich …» erschreckte.[4]
Entscheidend war die soziale Schieflage, die «extreme Sozialkonstellation»[5], in der sich der Pastorensohn befand und die noch lange fortwirkte. Von den Landarbeiterkindern, mit denen Benn aufwuchs, war schon die Rede, und wenn es nicht die Arbeiterjungen waren, schreibt der Autor weiter, waren es die Söhne des ostelbischen Adels, mit denen ich umging. Diese alten preußischen Familien, nach denen in Berlin die Straßen und Alleen heißen, ganze Viertel, die berühmten friderizianischen und dann die bismarckischen Namen, hier besaßen sie ihre Güter, und mein Vater hatte einen ungewöhnlichen seelsorgerischen Einfluß gerade in ihren Kreisen. […] ihre Söhne waren der zweite Schlag, mit dem ich großwurde, später zum Teil in gemeinsamer Erziehung (IV, 26f.). Das heißt auch, dass Gottfried als Sohn eines gebildeten, sprachmächtigen und zugleich nahezu besitzlosen, gesellschaftlich ohnmächtigen Pfarrers trotz seiner geistigen Überlegenheit gerade nicht zu den Junkerssöhnen gehörte, deren künftige bedeutende Karriere ausgangs des 19. Jahrhunderts noch völlig außer Zweifel stand. Wohl war sein Vater in der Familie des Grafen Günther Finck von Finckenstein[6], der auf dem nahen Schloss Trossin lebte und das Patronat über Sellin innehatte, als Seelsorger und auch als Hauslehrer, der den Grafensohn Heinrich gemeinsam mit dem gleichaltrigen Gottfried aufs Gymnasium vorbereitete, hoch geschätzt. Aber das stellte doch in keiner Weise den Standesunterschied in Frage, und das Kind Gottfried wird den Dünkel der adligen Altersgenossen und ihrer Eltern früh erfahren haben.
Albrecht Schöne hat generalisierend von der «eigentümlichen Spannung» gesprochen, «welche die gesellschaftliche Stellung des väterlichen Standes» – eben der Pastoren, und damit auch ihrer Nachkommen – kennzeichnet: «[…] bildungsmäßig der Oberschicht zugehörig, wirtschaftlich zumeist dem Kleinbürgertum entsprechend, bestimmt ihn eine Art sozialer Labilität, von der ein Antrieb zu Unruhe und Aufbruch gerade auf die Söhne ausgehen kann.»[7] Thilo Koch, Benns Biograph noch fast zu Lebzeiten des Dichters, war der Erste, der aus dieser nicht vollendeten sozialen Identifikation des werdenden jungen Mannes in der «Ordnung der Namen»[8] eine entschieden weiter reichende These zur späteren Entwicklung Benns abgeleitet hat: «Die kleinen Verhältnisse, in denen er aufwächst, die Armut empfindet sein aristokratischer Sinn als unangemessen, als drückend. Des Vaters patriarchalisches Regiment verstärkt diese Gefühle, und in der Schule mag dann ein regelrechter Minderwertigkeitskomplex entstanden sein. Hier bildet sich das Wurzelgeflecht, aus dem später vielfältige Ressentiments erwachsen, die soziologisch zum Typus des emporstrebenden bürgerlichen Intellektuellen gehören.»[9] Noch öfter, und zumal wenn es um Benns Parteinahme für die Nazis 1933 geht, wird das Problem der prekären sozialen Schieflage des Dichters bedacht werden müssen.
Von gleicher, wenn nicht noch größerer Bedeutung ist, was Gottfried Benn aus dem spezifischen Kulturmilieu seines Pfarrhauses in sich aufgesogen hat, also das, was vom Vater ausging. Seine vorbehaltlose Liebe gehörte freilich nicht ihm, sondern der Mutter, der aus Fleurier bei Yverdon im französisch-schweizerischen Juragebiet gebürtigen Uhrmachertochter Caroline Jequier (1858–1912). Sie diente als Erzieherin, als «Mademoiselle» auf dem Gut der angesehenen Familie von Wilamowitz-Moellendorf in Gadow, wo sie Gustav Benn (1857–1939) kennenlernte, als er dort als Hauslehrer tätig war. Im Juli 1884 heirateten die beiden.
Offenbar behielt Caroline Benn immer einen französischen Akzent und verbreitete so im deutschen Pfarrhaus ein romanisches Flair, das den Sohn Gottfried von Beginn an anzog und das er nie verleugnete. Unter dem Druck nazistischer Verdächtigungen, Jude zu sein, konterte er (wobei er sich in prekärer Weise des gängigen Vokabulars bediente): In der Ehe meiner Eltern vereinigen sich also das Germanische und das Romanische […]. Es entstand also eine Mischung, aber es entstanden keine Mischlinge, eine Kreuzung, aber keine Bastarde, auf jeden Fall entstand eine arische Mischung, eine in Deutschland vielfach legitimierte, es ist die Mischung der Réfugiés: Fontane, Chamisso, Du Bois-Reymond haben sie ausgewiesen, es gab eine Zeit, wo die Bevölkerung Berlins zu einem Fünftel aus Réfugiésfamilien bestand. (IV, 25)
Noch unter dem Eindruck des Todes der geliebten Mutter im April 1912 hatte Benn im Jahr darauf eins seiner erschütterndsten Gedichte geschrieben – Mutter:
Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.
(III, 24)
Der maßlose Schmerz, die Überwältigung durch diesen Tod sind unmittelbar spürbar.[10]Pastorensohn