Martin J. Christians
Überleben
...nach der Zukunft
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Inhaltsverzeichnis
Einsame Wanderer
Schwierigkeiten
Schmerzen
Keine Ruhe
Kleiner und der Wrongojäger
Shanghait
Pläne
Pech, das Dorf und wieder Wrongos
Wut, Lil und Erkenntnisse
Rons Spiel und Rixels Alptraum
Maultiere, Toni und ein Überfall
Ein Tribunal und ein Knopf
Erwischt und Hausarrest
Alkohol, Zimmernachbarn und Rons Angebot
Fehltritt und riskante Manöver
Etappensieg für Ron
Komplikationen
Es wird eng
Flucht
Ein dunkler Weg
Am Ende des Weges
Gelb! Wie sie dieses Gelb hasste. Das war nicht der helle warme Ton der Sonne. Dieses Gelb war bleich, kraftlos und lebensfeindlich. Es stand für eine kranke Landschaft, in der es wenig anderes gab als Sand. Feiner gelber Sand, den der ständige warme Wind an vielen Stellen zu Dünen auftürmte.
Am Fuß einer dieser Dünen lag ihr Ziel. Eine Ansammlung mickriger, brauner Büsche. In all ihrer Erbärmlichkeit ein Farbtupfer in dieser falben Einöde. So schnell ihre wunden Füße und der Beutel, den sie an einem Seil hinter sich herzog, es erlaubten, taumelte sie darauf zu. Dass sie dabei eine deutlich sichtbare Schleifspur im Sand hinterließ, war ihr im Augenblick egal. Und auch was diese Art des Transportes mit den wenigen Bildern machte, die ihr geblieben waren.
Pflanzen bedeuteten Wasser und Kamherra drohte zu verdursten. Ihre Kehle und die Zunge waren schon ganz geschwollen. Ohne auf die feinen Stacheln der verkrüppelten dünnen Äste zu achten, brach sie durch den kleinen Hain und stand unvermittelt vor einem Tümpel. Er war erstaunlich klar. Sie konnte bis auf den Grund sehen. Kamherra ließ das Seil fallen und sank auf die Knie. Ihre blasse Hand berührte das Wasser. Verglichen mit der Umgebung war es kühl.
Vorsichtig schöpfte sie ein wenig von dem Nass in die Handfläche. Fast andächtig tunkte sie ihre trockene Zunge hinein, schluckte etwas davon hinunter und spürte dem Geschmack nach. Wie hatte Wasser zu schmecken? Sie erinnerte sich nicht daran. Alles was sie in der letzten Zeit getrunken hatte, stammte aus Plastikflaschen und Behelfsbrunnen aus umfunktionierten Gummireifen.
Dagegen schmeckte das hier geradezu köstlich. Sie beugte sich hinunter und schöpfte sich die Flüssigkeit mit beiden Händen in den Mund.
Abrupt hielt sie inne. Aus dem Wasser blickte ihr ein Zombie entgegen. Kleine, gerötete Augen mit tiefen schwarzen Schatten darunter. Und dieses Haar! Zerzottelt. Vollkommen verfilzt! Der Mund des Zombies im Wasser verzog sich. Krächzende Laute lösten sich von ihren Lippen. Kamherra brauchte selbst einen Moment, ehe sie ihre Laute als Lachen identifizierte.
*
Sie dachte an ihre Schuhe. Nach jeder Ausstellungseröffnung hatte sie sich mit einem neuen Paar belohnt, bis es schließlich ein ganzer Wandschrank voll gewesen war.
Und nun war alles futsch. Traurig sah sie sich um. Wirklich alles! Um sie herum gab es nichts als Sand und eine unbarmherzige Sonne, die auf die Erde herunterbrannte, als wollte sie die Menschen für das bestrafen, was sie getan hatten.
Langsam trottete Siw weiter. Schweiß lief ihr den Rücken hinunter und ließ sie das Scheuern des Tragriemens mit jedem Schritt deutlicher spüren. Der Riemen gehörte zu einem Beutel, der ihr rhythmisch gegen die Hüfte schlug und in dem sich ihr ganzer Besitz befand. Ein sorgsam gehüteter USB-Stick mit ihren Arbeiten, digital bearbeitete Fotografien und zwei leere Wasserflaschen. Sonst hatte sie nur noch ihre Kleidung. Ein Paar enge Shorts und ein Tank Top. Kaum das Richtige für die Wüste. Besser passte da schon der klobige Revolver, den sie am Gürtel trug.
Mit der Zunge fuhr sie sich über ihre spröden Lippen, ohne sie zu benetzen. Dazu war ihr Mund längst zu trocken; es war nicht mehr als eine Reflexhandlung und auch damit würde es bald vorbei sein, wenn sie nicht schnell Wasser fand.
Einen Augenblick dachte sie an den Ort zurück, den sie verlassen hatte. Rückblickend erschienen ihr die düsteren Straßen, mit den Ruinen und den rostenden Stahlgerüsten fast wie ein Paradies. Das Wasser dort war brackig, rotbraun und lauwarm gewesen, aber wenigsten hatte man es trinken können.
Sie drehte sich einmal im Kreis und versuchte sich für eine Richtung zu entscheiden. Das war schwierig, wenn alles gleich aussah. Eine Düne, die hoch aus dem Sandmeer aufragte, sah vielversprechend aus. Wenn sie dort hinaufkletterte, konnte sie mehr von der Umgebung sehen. Vielleicht gab es ja doch irgendwo eine Ansiedlung, eine Hütte oder wenigstens Wasser.
Entschlossen nahm Siw den Sandhügel in Angriff. Es war schlimmer als sie gedacht hatte. Der feine Sand rutschte ihr entgegen, sammelte sich in ihren Boots und rieb wie eine Feile an der strapazierten Haut ihrer Füße. Trotzdem kämpfte sie sich voran. Hoffentlich lohnte sich die Schinderei wenigstens.
Ein trockenes Krächzen gellte unvermittelt von der anderen Seite herauf. Siw erstarrte. Ihr Herz wummerte wie ein zu schneller Bass. Das Krächzen war eindeutig menschlich und es stammte von einer Frau. Es dauerte einen Moment, bis Siw es als Lachen erkannte.
Ihre Hand suchte den Schaft des Revolvers. Unglaublich, wie schnell sie sich an die Waffe gewöhnt hatte. Fest packte sie den Griff und ging geduckt weiter. Sie hatte den Kamm der Düne fast erreicht und war nicht gewillt so nah am Ziel aufzugeben.
Das Lachen verstummte genauso plötzlich, wie es angefangen hatte. Sie zögerte einen Moment. Hatte die Frau auf der anderen Seite sie gehört? Unwahrscheinlich! Außer dem rieselnden Sand gab es kein Geräusch. Auf Händen und Knien kroch sie den letzten Meter und sah hinunter.
Die Frau wandte ihr den Rücken zu und sie kniete an einem Tümpel. Wasser, mit einer spiegelnden Oberfläche, auf der die Sonne gleißende Reflexe verursachte. Mechanisch entsicherte Siw ihre Waffe.
Die Fremde bewegte sich plötzlich. Hatte sie das leise Spannen des Hahns gehört? Siw duckte sich wieder hinter den Dünenkamm und beobachtete, wie die Frau an einem Seil zog, an dem ein Beutel hing.
Siws Anspannung stieg. Sie spürte wie ihre Hand, mit der sie den Revolver hielt, feucht wurde. Jetzt kramte die Fremde in dem Beutel und zog etwas heraus. In einem ersten Reflex hob Siw ihre Waffe, ließ sie aber gleich wieder sinken. Zu viele schlechte Filme, schalt sie sich. Auf diese Entfernung war ein Treffer reine Glücksache. Sie ärgerte sich noch immer darüber, wie viel Munition sie verschwendet hatte, ehe sie das begriffen hatte.
Sie schwang sich auf die andere Seite der Düne und setzte sich auf den Hintern, bereit herunterzurutschen. Da unten gab es Wasser. Genug, um ihre beiden Flaschen aufzufüllen und sich sogar etwas zu waschen. Dafür lohnte sich das Risiko.
Die Frau zog einen Gegenstand aus ihrem Beutel und beugte sich über den Tümpel. Sie hob das Ding an ihren Kopf. Wollte sie sich umbringen? Widerstreitende Gefühle spülten wie eine Welle zu heißen Wassers über Siw. Endlich ein anderer Mensch und vielleicht gleich tot. Aber dieses irre Lachen! Vielleicht war ihr Geist ohnehin schon verloren. Ihr stockte der Atem. Die Fremde bürstete sich ihre langen schwarzen Haare.
*
Er fühlte wie die Tränen kamen und kämpfte verzweifelt darum sie zurückzuhalten. Diesen letzten Triumph gönnte er der grölenden Menge nicht. 'Mutant!', schrien sie und ihre Hände packten und rissen an seinen Armen, während sie ihn vorwärts durch die Straßen trieben.
Rixel stolperte, konnte sich aber fangen, ehe er auf den rissigen Asphalt stürzte. Nur nicht hinfallen! Andernfalls würden sie ihn tottreten, das hatte er schon einmal mit ansehen müssen. In einer anderen Stadt, wenn man diese Ansammlung von Ruinen und windschiefen Hütten überhaupt so nennen konnte.
Im Augenblick konnte er nichts anders tun, als auf den Beinen zu bleiben und sich möglichst schnell aus der Stadt werfen zu lassen. Es waren um die fünfzig Menschen, die ihn schreiend und boxend umringten. Nur gut, dass sie sich in ihrem Bemühen ihn zu treffen gegenseitig behinderten.
Die zusammengeflickten Holzlatten, die sie hochtrabend als Stadttor bezeichneten, kamen in Sicht. Jetzt war es gleich überstanden. Erneut stolperte er und musste sich an einem Arm festhalten, um nicht zu fallen. Ein empörter Aufschrei war die Antwort. Eine Faust traf das Glas, das den zerstörten Teil seines Kopfes schützte. Glücklicherweise war es bruchsicher. Wenigstens daran hatte man bei BASE nicht gespart.
Noch einmal flammte das Hassgeschrei der Menge auf. Jemand versuchte ihm ein Bein zu stellen. Rixel sprang drüber. Die beiden Männer, die das Tor bewachten, gafften ihnen entgegen. Vielleicht glotzten sie aber auch nur seinen Kopf an. Er war das gewohnt. Die zerlumpten Wächter gingen einfach zur Seite und ließen die Meute mit ihrem Opfer passieren. Rixel spürte Wüstensand unter seinen Füßen und einen derben Stoß in den Rücken. Darauf war er nicht mehr gefasst gewesen. Er ging zu Boden. Bäuchlings landete er im Sand und ihm blieb die Luft weg. Trotzdem hatte er noch genügend Geistesgegenwart, um beide Arme hochzureißen und schützend über seinen Kopf zu legen. Zu seiner Überraschung ließ die Menge von ihm ab. Mit einem Krach fiel das Stadttor zu und er lag allein im Wüstensand.
Misstrauisch hob Rixel den Kopf und spähte unter seinem Arm durch. Er war tatsächlich allein. Er wälzte sich auf den Rücken und starrte in den blauen Himmel. Wie hatte er nur so naiv sein können? Zu glauben, dass eine Kapuze etwas ändern konnte. Wenigstens war er lange genug in der Stadt gewesen, um ein Stück Brot zu essen und von dem braunen Zuckerwasser zu trinken, das sie Cola nannten. Ehe diese Frau ihm, im Versuch mit ihm anzubandeln, die Kapuze vom Kopf gezogen hatte.
Sie hatte geschrien wie am Spieß, ihre Hände in seinen Umhang gekrallt und dabei seine Umhängetasche zu fassen bekommen. Dann war es weitergegangen wie üblich. Man hatte ihn aus dem Gasthaus geworfen und durch die Straßen gejagt. Umständlich erhob er sich und klopfte sich den Sand von der Hose.
*
Der Knall war gigantisch und die Druckwelle schleuderte ihn gegen das einzige Stück Mauer, das im Umkreis von fünfhundert Kilometern noch stand. Nachdenklich blieb Christian einen Moment liegen. Wieso war das Ding explodiert?
Im Geist rief er sich das Bild des Würfels vor Augen. Es war ein Testobjekt, angefüllt mit Platinen und Speicherchips, die er gut gebrauchen konnte. An der Entwicklung dieser Dinger hatte er selbst mitgearbeitet. Die konnten nicht explodieren!
Mühsam rappelte er sich auf und sah sich nach dem Würfel um. Er lag, unversehrt, an genau derselben Stelle im Sand, an der er versucht hatte ihn aufzuschrauben. Christian hockte sich neben den Würfel und ging seine Handgriffe vor der Detonation durch. Der Knall war erfolgt, nachdem er den Würfel hochgehoben hatte, aber die feinen Drähte auf der Unterseite hingen locker herab. Sie waren nirgendwo befestigt gewesen. Davon hatte er sich überzeugt, ehe er das Objekt angehoben hatte.
Einem Gedanken folgend, hob er den Würfel an einer Seite mit der Spitze seines Schraubendrehers an. Die Hälfte der Drähte baumelte in der Luft, die andere hatte noch Kontakt zum Sand und zu einer Kontaktplatine, die er vorher nicht gesehen hatte. Wahrscheinlich war sie unter dem Sand verborgen gewesen und die Druckwelle hatte sie frei gepustet. Anerkennend nickte er. Man brauchte die Drähte gar nicht festlöten. Das war eine pfiffige Idee.
Unvermittelt spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Der Schatten, den der Mann warf, fiel ihm erst jetzt auf. »Was?« Verwirrt sah Christian hoch. Vor ihm stand ein bewaffneter Honk.
*
Der Knopf zog seine Hand magisch an. Gaius war schon immer der Ansicht gewesen, dass man die Wirkungsweise von Schaltern am besten herausfand, wenn man sie betätigte. Und im Moment brauchte er Licht.
Entschlossen drückte er auf den grauen Knopf. Mit einem leisen ‚Klack’, rastete er ein. Weiter geschah nichts. Kein Deckenlicht flammte auf und erleichterte es ihm, die Halle zu durchsuchen. Schade. Dann musste er sich wohl weiter auf seine Taschenlampe verlassen. Er legte sie auf eine Art Werkbank, an die er auch seinen Rucksack gelehnt hatte, und wandte sich einer der Kisten zu. Diesmal schien er Glück zu haben. Die Halle machte nicht den Eindruck, als sei sie schon oft geplündert worden.
Hinter ihm knurrte es. Dunkel und drohend. War das ein Hund? Er war sich nicht sicher. Es klang irgendwie eigenartig. Langsam, mit klopfendem Herzen wandte er sich um. Jetzt blendete ihn seine eigene Lampe. Er kniff die Augen zusammen. Da bewegte sich ein Schatten. Auf ihn zu!
Das war offensichtlich ein Tier, vielleicht sogar ein Hund. Viele waren nach der Katastrophe zu Streunern geworden. Langsam und vorsichtig wich er an die Wand zurück. Hunde waren in der Regel nicht bösartig und meistens gingen sie Konflikten aus dem Weg. Außerdem sahen sie nicht gut. Vor allem im Dunkeln nicht. Solange er sich nicht bewegte und das Tier nicht mit der Nase auf ihn stieß, sollte es ihn nicht bemerken.
*
Durch den endlosen Sand wandernd, rief er sich den Geschmack des Brotes in Erinnerung. Es war nicht frisch gewesen; trotzdem hatte es köstlich geschmeckt. Wie lange war es her gewesen, seit er das letzte Mal auf diese Weise Energie aufgenommen hatte?
Energie aufgenommen! Rixel schalt sich selbst. Jetzt übernahm er auch noch ihre Art zu Denken. Essen! So nannte man das! Er leckte sich die Lippen. Seine Zunge fühlte den Unterschied zwischen den künstlichen und seinen biologischen Lippen schon lange nicht mehr. Wenn sich die BASE-Leute doch nur überall soviel Mühe mit der Rekonstruktion gegeben hätten. Ausgerechnet bei seinem Kopf und den Haaren hatten sie das nicht getan. Aus medizinischem Interesse, hatte man ihn wissen lassen. Er lachte bitter. Eine nette Umschreibung dafür, dass diese Leute jederzeit Zugang zu seinem Gehirn hatten haben wollen.
Und deswegen lief er jetzt mit einem Fenster im Kopf in der Wüste herum. Die Kapuze, mit der er seinen Hinterkopf verdeckte, war keine Lösung. Sie forderte die Leute geradezu dazu auf, ihn nach dem ‚Warum’ zu fragen oder zu versuchen sie ihm vom Kopf zu ziehen. Anfangs hatte er den Leuten einfach die Wahrheit gesagt. Von dem Unfall und was die Chirurgen der Firma ihm angetan hatten. Aber er war nie weit gekommen. Sobald das Wort BASE fiel, jagte man ihn davon; zweimal hatte man sogar versucht ihn zu lynchen. Also sagte er gar nichts mehr und versuchte die künstlichen Teile zu verstecken.
*
Das war doch kein Hund, oder? Er war sich nicht sicher. Jedenfalls sah es nicht wie einer aus, auch wenn es so knurrte. Gaius drückte sich enger an die Wand. Mit einer Mischung aus Faszination und Ekel beobachtete er das ‚Ding’. Ein besseres Wort fiel ihm nicht ein.
Unsicher war das Vieh um die Werkbank herum gelaufen und schnüffelte abwechselnd am Boden und in der Luft. Es sah ihn tatsächlich nicht. Im Schein der Lampe beobachtete er die Kreatur. Sie reichte ihm sicher bis an die Hüfte und sie war abgrundtief hässlich. Außerdem stank sie.
Der unförmige Kopf erinnerte fast an eine Dogge. Die einzige Hunderasse, die er nicht leiden konnte. Es hatte kein Fell, nur eine ungesunde braune und schuppige Haut. Aus seiner Nase triefte es, wenn es den Kopf hob um zu schnüffeln. Und auch auf dem Boden hinterließ das Tier eine deutlich sichtbare Schleimspur. Im bescheidenen Licht seiner Taschenlampe glitzerte sie wie Quecksilber. Sicher war ein Kontakt damit auch genauso gesund.
Ungelenk tappte das ‚Hundeähnliche’, wie er es getauft hatte, auf seine Taschenlampe zu und schnupperte daran. Deutlich sah er den Sabber glitzern, der an seiner Lampe hängen blieb. Dann wandte es den Kopf seinem Rucksack zu. Das konnte Gaius nicht zulassen! Niemals durfte dieses Ding seinem Schatz zu nah kommen. Seine Hand fuhr an seinen Gürtel und zog sein Taschenmesser. Die Klinge hatte nicht einmal zehn Zentimeter, also musste er gut treffen. Das Messer in der Hand, sprang er vorwärts.
*
Erschrocken starrte er den Honk an, dessen Gesicht unter einer dicken Paste aus ranzigem Fett und Ruß verschwand. Honks, so hatte man anfangs marodierende Soldaten genannt. Mittlerweile war es zu einem Begriff für bewaffnete Männer und Frauen mit dem Intellekt eines Toastbrots geworden.
»Konntest deine Finger nicht vom Würfel lassen, was?«, kicherte jemand in Christians Rücken.
Er zuckte zusammen. Noch ein Honk! Die Hand auf seiner Schulter ließ nicht zu, dass er sich dem Sprecher zuwandte. Aber das war auch nicht notwendig. Der kam um ihn herum. Er war genauso ein Kleiderschrank wie ‚Honk 1’, nur etwas kleiner. Auch er hatte sein Gesicht mit der Tarnpaste beschmiert und er trug eine Maschinenpistole, deren Lauf auf Christians Bauch zeigte. Im Gegensatz zu ihrem Träger, sah die Waffe gepflegt aus.
»Warst du nur neugierig oder weißt du, was du da angefasst hast?«, fragte der mit der MP weiter.
Christians Blick hatte sich an der Schusswaffe festgesaugt. Das war eine UZI. Ein ziemlich altes Modell. Die Dinger waren selbst gesichert gefährlich.
»Interessiert dich mein Baby?«, fragte der Honk mit einem bösartigen Lachen.
»Was?« Verwirrt tauchte Christian aus seiner Gedankenwelt auf. Der Kerl hatte ihn etwas gefragt. Warum gelang es ihm nur nie seine Gedanken unter Kontrolle zu halten. »Ich, äh…der Würfel«, versuchte er es auf gut Glück. »Ich wollte ihn mir nur ansehen.«
»Ansehen?«, fragte der mit der Maschinenpistole hämisch. »Wolltest du testen, ob das was zu essen ist?«
Der andere Honk, der ihn noch immer an der Schulter festhielt, kicherte. Offensichtlich war das eine Art Honkhumor. Christian wusste jetzt schon, dass er damit nichts anfangen konnte. Aber jetzt war nicht die Zeit, um die Augen zu verdrehen. Er musste sich eine Antwort überlegen und das schnell.
So unschuldig wie möglich, sah er dem Mann in die Augen und versuchte zu ergründen welche Antwort die Günstigere für ihn war. Der große Knall hatte viele Menschen zu Technikfeinden werden lassen. Man machte Wissenschaftler, Ingenieure und Programmierer für die Katastrophe verantwortlich. Am meisten die Programmierer. Wenigstens kam ihm das so vor.
»Bist du stumm geworden?«, fragte ‚Maschinenpistole’ mit den ersten Zeichen von Ungeduld.
Jetzt hatte er den Faden verloren. Unvermittelt quetschte ‚Honk 1’ ihm die Schulter. »Au!« Empört sah er seinen Peiniger an.
»Kann noch immer reden«, bemerkte der zufrieden und kehrte in seine abwartende Position zurück.
Ärgerlich rieb Christian sich die schmerzende Schulter.
»Anscheinend braucht unser Gast etwas Hilfe beim Reden.« Maschinengewehr grinste böse. »Zeig ihm die Wand, Gabriel.«
Gabriel drehte ihn wie eine Puppe um seine Achse und schob ihn näher an die Mauer, die seinen Flug so unsanft gebremst hatte. Erst jetzt fielen Christian die Einschusslöcher auf. Seine Knie wurden weich.
*
Der Schmerz machte ihr nichts aus. Eher erinnerte er sie daran, dass sie noch lebte. Entschlossen zog Kamherra die Bürste ein weiteres Mal durch ihr widerspenstiges Haar. »Widerstand ist zwecklos!«, kicherte sie manisch. Aus welchem Film war das noch gewesen? Sie erinnerte sich nicht.
Rupf! Es tat weh, wenn sich die Bürste in einem Knoten verfing, aber wenigsten hatte sie keinen Haarausfall. Wie so viele andere nach dem großen Knall. Ob das ein gutes Zeichen war? Vielleicht war sie nicht so schlimm verstrahlt.
Wieder stahl sich ein hysterisches Lachen über ihre Lippen. Spielte das noch eine Rolle? Gesund sein, für ein möglichst langes, einsames Leben in dieser Sandwüste? Wann hatte sie das letzte Mal einen anderen Menschen gesehen? Einen lebenden Menschen, der seinen Verstand noch beisammen hatte und sie nicht umbringen wollte. Gab es überhaupt noch welche? Seit einer Ewigkeit hatte sie nur noch Leichen gesehen. Und sie hatte die angefasst, um an ihre Habseligkeiten zu kommen.
*
Siw schlitterte die Sanddüne herunter. Die Frau hörte und sah nichts. Sie war vollkommen in ihr monotones Bürsten versunken. Am Fuß der Sanddüne blieb Siw stehen und betrachtete die Fremde. Ihre Haare begannen unter den beharrlichen Bürstenstrichen zu glänzen. Wie Siw, trug sie ein Tank Top und dazu einen Rock.
Siws Mund wurde trocken. Was tat sie hier eigentlich? Wollte sie diese Frau wegen etwas Wasser und einer Bürste umbringen? Sie hatte noch nie jemanden ermordet und wollte damit auch jetzt nicht anfangen. Sie ließ den Revolver sinken.
Unvermittelt kicherte die Frau vor ihr wieder. Die Haare an Siws Armen richteten sich auf. Erinnerungen an die Irren in den Ruinen der Städte tauchten vor ihr auf. Weit aufgerissene Augen, wirres Haar und geifernd wie tollwütige Hunde. Sie riss die Waffe wieder hoch und zielte genau auf einen Punkt zwischen den Schulterblättern. Auch wenn sie noch nie gemordet hatte, getötet hatte sie schon. Einen dieser Wahnsinnigen, der plötzlich sabbernd vor ihr gestanden hatte. Noch immer lief es ihr kalt den Rücken herunter, wenn sie daran dachte. Das Kichern veränderte sich und die Schultern der Frau begannen zu zucken.
*
Er erstarrte zur Salzsäule. Der Hund war mit einem Aufheulen in der Dunkelheit verschwunden, obwohl er ihn nicht einmal verletzt hatte. Er hatte sich einfach erschrocken, als Gaius mit einem lauten ‚Aus!’ und dem Messer in der Hand auf ihn zugesprungen war. Und während er dem seltsamen Hund nachschaute, hatte sich etwas kaltes Rundes in sein Genick gebohrt. Den letzten Zweifel, worum es sich dabei handelte, beseitigte ein metallenes Knacken.
»Böser Junge!«, sagte jemand hinter ihm amüsiert.
Die Mündung der Waffe rutschte an seiner Wirbelsäule herunter, ohne den Kontakt mit seinem Körper zu verlieren. Auf Höhe seiner Nieren hielt sie an.
»Was ist so Wertvolles in dem Rucksack?«, erkundigte sein Angreifer sich.
Warmer Atem streifte Gaius Ohr. Mühsam unterdrückte er ein Schaudern. Er hasste es, wenn ihm jemand so nah kam, dazu brauchte es nicht einmal eine Pistole.
»Magst du mir nicht antworten?«, fragte die Stimme rau.
Der Mann hinter ihm lachte unangenehm. »Oh, und lass bitte das Messer fallen.«
*
Traurig schaute Rixel auf die Skala der Energiezelle. Ihm blieb nicht einmal mehr ein ganzer Monat. Ein paar Stunden konnte er hinzugewinnen, wenn er etwas zu essen fand. Ohne viel Hoffnung suchte er den Horizont ab. Sand im Norden, Sand im Westen und im Süden. Die einzige Erhebung in dieser lebensfeindlichen Wüste war die Stadt in seinem Rücken, aus der er hinausgeflogen war. Und in der auch seine Tasche, mit der letzten vollen Energiezelle, zurückgeblieben war.
Mittlerweile war er zu der Ansicht gelangt, dass die Hand der Frau sich nicht zufällig im Griff seiner Tasche verheddert hatte. Sie hatte vermutlich von Anfang an vorgehabt ihn zu bestehlen.
Unschlüssig schaute er auf die Stadt zurück. Sollte er sich zurückzuschleichen und im Schutz der Nacht über den Palisadenzaun klettern, um sich sein Eigentum zurückholen? Vielleicht konnte er dann auch noch etwas von dieser braunen Limonade ergattern, die sie als Cola verkauften. Diebe zu bestehlen war kein Raub. Und ihm konnte es helfen. Mit diesem Zuckerwasser und etwas Brot konnte er die Lebensdauer seiner Energiezelle strecken. Also seine eigene! Was hatte er zu verlieren?
‚Falsche Frage’ schoss es ihm durch den Kopf. Richtig musste es heißen: ‚Was konnte er gewinnen?’ Eine lange, einsame Zeit in dieser Sandwüste. Ausgestoßen aus den Resten der menschlichen Gemeinschaft. Er seufzte schwer und setzte seinen Weg fort. Weg von der Stadt.
*
Christian hätte am liebsten laut geschrien, vor Ekel und Verzweiflung. Langsam und sorgfältig tastete Gabriel seinen Körper ab. Jeden noch so unbedeutenden Gegenstand zog der Honk aus seiner Tasche und warf alles auf einen Haufen in den Sand.
Sie hatte ihn gezwungen sich mit dem Gesicht zur Mauer zu stellen und die Hände gegen die Steine zu drücken, so wie Polizisten es in Kinofilmen mit Verdächtigen machten. Als es noch Kinos gab. In dieser lächerlichen Position musste er die Durchsuchung über sich ergehen lassen. Warum machten sie sich diese Mühe? Hätten sie ihn nicht wenigstens erst erschießen können? Eine der Hände glitt in sein offenes Hemd, berührte dabei seine nackte Haut und fand die versteckte Innentasche. Der Honk stieß einen Pfiff aus.
»Sieh mal, Heinz.« Er hielt dem Mann mit dem Maschinengewehr seinen Fund unter die Nase.
Mit einem gemeinen Grinsen nahm Heinz Christians Handheld entgegen und schaltete ihn an.
»Wie ist das Passwort?«
Trotzig biss Christian sich auf die Lippe. Warum sollte er ihnen das sagen? Sie würden ihn ohnehin erschießen.
Anscheinend erriet Heinz seine Gedanken. Er beugte sich über seine Schulter und sein Mundgeruch traf Christians Nase.
»Ich wette mit dir, dass Gabriel keine halbe Stunde braucht, um das Passwort aus dir herauszuprügeln«, flüsterte er dicht neben seinem Ohr.
Christian versuchte die Luft anzuhalten und schielte über die Schulter; dorthin, wo Gabriel stand.
*
Sie weinte! Ganz leise. Siws Hand mit dem Revolver sank wieder. Leise, aus tiefstem Inneren, kam das kaum hörbare Schluchzen. So verzweifelt, als weinte sie um die ganze Welt und wahrscheinlich tat sie das auch.
Siws Daumen rutschte ab und der Hahn entspannte sich mit einem nicht zu überhörenden Klicken. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück. Die fremde Frau wandte sich nicht sofort um. Sie erstarrte und ihr Weinen brach abrupt ab. Die Hand mit der Bürste schlaff vor sich im Sand, wartete sie ergeben ab.
Siw brachte keinen Ton heraus. Was sollte sie auch sagen? Warum war sie überhaupt hier? Dumme Frage! Wegen des Wassers natürlich. Die Schultern der Frau zitterten, als ob sie fror. Siw kam sich total blöd vor, mit der klobigen Waffe in der Hand, herumzustehen. Was sagte man in so einer Situation? Hallo, fühlst du dich auch so verloren?
Langsam drehte die Fremde sich zu ihr um. Ihre Augen waren blau und, bis auf die Tränen, klar. Das waren nicht die Augen einer Wahnsinnigen. Trauer und Schmerz sprangen Siw fast physisch aus diesem Blick an. Einen Moment fühlte sie sich, als ob sie in einen Spiegel schaute.
»Ich bin Kamherra«, sagte die Fremde leise.
Siw lauschte der Stimme. Sie war traurig. Am liebsten hätte sie den Revolver unsichtbar gemacht. »Kann ich mir deine Bürste leihen?«, fragte sie spontan.
*
Hinter ihr stand keine Horde Zombies oder anderer Irrer. Es war nur eine Frau mit einem alten Revolver, die höflich um ihre Bürste bat. »Natürlich«, lächelte Kamherra unsicher. Sorgfältig zupfte sie ihre Haare aus der Büste, ehe sie diese der Unbekannten reichte.
Achtlos steckte die Frau, mit den kurz geschnittenen Haaren, ihre Waffe weg. Vorsichtig nahm sie Kamherra die Bürste aus der Hand. »Danke«, sagte sie leise und ein wenig schüchtern.
»Setzt dich doch.« Kamherras Hand deutete auf den heißen Wüstensand, als ob sie einer unerwarteten Besucherin einen Platz in einem Salon anbot.
Mit gekreuzten Beinen ließ die Frau sich neben Kamherra nieder. Fast andächtig hob sie die Büste und zog sie durch ihr volles rotbraunes Haar.
»Ich heiße Siw«, sagte sie dabei beiläufig.
Mit einer Mischung aus Unglauben und Hoffnung beobachtete Kamherra Siw. Sie war definitiv kein Trugbild. Sie saß dort im Sand vor ihr und sie wirkte nicht krank. Ihre Haut war hell und bis auf ein paar Narben und Kratzer sah sie gesund aus. Nicht wie jemand, der in den nächsten Stunden sterben, und sie erneut allein in dieser Einöde zurücklassen würde.
*
Halluzinierte er schon? Rixel rieb sich die Augen. An dem kleinen Wasserloch saßen zwei Frauen auf einer Decke und picknickten. Dabei lachten und scherzten sie, als ob sie in einem Park saßen und nicht hier in dieser trostlosen Einöde.
Ein Park! Rixel seufzte. Wie gern würde er noch einmal einen Park sehen oder besser noch, einen Wald. Er versuchte sich an üppiges Grün zu erinnern. Es gelang ihm nicht. War es wirklich schon so lange her, dass alles den Bach runter gegangen war? Er schüttelte den Gedanken ab und beobachtete die beiden Frauen eine Weile. Zu gern würde er dort hinunter gehen, mit ihnen reden und natürlich einen Schluck Wasser trinken. Aber das musste ein Wunsch bleiben. Er wollte sie nicht erschrecken, mit seinem Fenster im Kopf.
Wo die Beiden wohl her kamen? Ob es hier eine weitere Stadt gab? Oder zogen sie einfach allein durch die Wüste? Aber das konnte er sich nicht vorstellen. Dafür sahen sie zu normal und zu fröhlich aus.
Rückwärts kroch er die Düne wieder hinunter. Am besten fand er sich damit ab, dass er nicht länger Teil einer menschlichen Gemeinschaft sein konnte. Kein Wasser für ihn und auch kein nettes Gespräch. Er würde einfach in die Wüste zurück schleichen und allein seiner Wege gehen. Besser gesagt, seinen letzten Weg. Wenige einsame Tage bis seine Energiezelle ihren Dienst ganz aufgab. Vielleicht fand er vorher ja noch ein anderes Wasserloch, dann musste er wenigstens nicht durstig sterben.
*
Mit einem Piep erwachte der Handheld hinter ihm zum Leben. Aus den Augenwinkeln sah er Heinz ungeschickt damit herum hantieren. Seine groben Finger verschmierten das Display. Er hämmerte darauf herum, als sei es eine uralte Schreibmaschine, so eine wie Christian sie bei seinem letzten Museumsbesuch gesehen hatte.
Er erinnerte sich lebhaft an den alten Kasten, mit den Farbbändern und dem beweglichen Wagen. Es war ihm schwer gefallen, sich vorzustellen, wie man mit so etwas schreiben konnte. Versonnen schaute er vor sich auf die verwitterten Mauersteine. Sie erinnerten ihn an irgendetwas. Außerdem taten ihm seine Arme weh. Wie lange wollten die ihn hier noch so stehen lassen?
»Das ist Programmiercode.« Heinz ließ den Handheld sinken und musterte Christian mit neuem Interesse. »Du bist Programmierer?«
»Was?« Heinz' Frage platzte in seine Gedanken. Den Faden ihrer kurzen Unterhaltung hatte er längst verloren. »Nein.«, Christian schüttelte den Kopf. »Ich bin Elektrotechniker.«
»Dann sind die nicht von dir?«, unterbrach Heinz ihn.
»Doch. Aber das sind Skripte«, korrigierte er gewissenhaft.
»Dann bist du Programmierer«, stellte Heinz bestimmt fest. »Glück für dich, sonst müssten wir dich an die Mauer stellen.«
Aber da stand er doch schon. Verwirrt starrte Christian auf die braunen Flecken, die sich um die Einschusslöcher gruppierten. Das war Blut, erkannte er mit seltener Klarheit. Es sah ganz anders aus, als im Film.
»He?« Heinz' Finger pikste in seinen Rücken.
»Äh, ja?« Der Heinz Honk wartete offensichtlich darauf, dass er etwas sagte. Aber was? »Ja, ich bin Programmierer«, bestätigte er schließlich. Fast hätte er Skripter gesagt, aber an derart feinen Unterschieden war der Mann offensichtlich nicht interessiert.
»Dann kannst du dich entspannen.«
Erleichtert sanken Christians Arme herunter. Prickelnd kehrte das Blut in seine Hände zurück. Sie fühlten sich kalt an, trotz der Sonne.
»Durst?«
»Was…?« Wenn sie doch aufhören würden, ihn mit ihren Fragen anzufallen.
Grinsend hielt Gabriel ihm eine Flasche entgegen. Vorsichtig nahm Christian das bauchige, mit Fell bezogene Gefäß in die Hand. In dessen Inneren gluckerte es.
Er hatte tatsächlich Durst, aber die Vorstellung aus dieser Flasche zu trinken, die von den Honks mit Sicherheit schon benutzt worden war, behagte ihm nicht.
»Trink!«, ermunterte Heinz ihn.
»Äh…ich…«, abwehrend hob er die Hand.
»Trink was!«, befahl Heinz drohend.
Sein Gebaren ließ kein Zweifel daran, dass Christian keine Wahl hatte. Widerwillig schraubte er die Flasche auf. Der Geruch trug nicht dazu bei seinen Appetit zu steigern, aber was blieb ihm übrig? Sorgfältig wischte Christian den Flaschenhals ab und trank einen Schluck.
*
»Und?«, fragte die Stimme in seinem Rücken. Die Frage galt nicht ihm, sondern Tolly. Einem der drei Honks die aus der Dunkelheit in den Lichtkreis seiner Taschenlampe getreten waren. Er hatte den Befehl bekommen, Gaius’ Rucksack zu durchsuchen.
»Nur Papier.« Achtlos wühlte Tolly die einzelnen Blätter heraus und warf sie zur Seite.
Seine Manuskripte! Dieser Halbaffe brachte sie völlig durcheinander. Nur die Pistole in seinem Rücken hinderte Gaius daran, sich auf den Honk zu stürzen und ihn zu erwürgen.
»Und deswegen hast du Fiffi erschreckt?«, wunderte sich der Mann in seinem Rücken.
Fiffi? Er warf einen Blick auf die stinkende Kreatur. Sie war leise jaulend zurückgekommen, als sie die Männer gehört hatte. Jetzt hielt einer der Honks sie in den Armen und brabbelte ihr irgendeinen Blödsinn ins Ohr. Tollys überraschter Pfiff entband Gaius einer Antwort.
»Ein Computer«, verkündete der Honk und hielt Gaius' Laptop hoch.
Dann nahm Tolly mit der freien Hand eines der Blätter auf, die er zuvor so gleichgültig fortgeworfen hatte. Einen Augenblick starrte er mit gerunzelter Stirn darauf. »Da sind eine Menge Symbole drauf«, verkündete er dann. »Vielleicht ist der Typ Programmierer.«
Programmierer? Er schnaubte ärgerlich. Es war doch eindeutig, was Tolly in den Händen hielt. Mühsam schluckte er das Wort »Idiot«, das ihm auf der Zunge lag, herunter.
»Bist du Programmierer?«, fragte der Mann mit der Pistole in seinem Rücken.
»Nein«, antwortete er einsilbig. Er sah keinen Grund etwas zu erklären. Der Pistolero konnte wahrscheinlich genauso wenig lesen wie Tolly und die beiden anderen Hohlköpfe.
»Zeig mal her.«
Tolly bückte sich und klaubte die verstreuten Seiten zusammen.
Eine Pistole im Rücken zu haben, fühlte sich wirklich nicht gut an. Das war viel schlimmer als vor einem Lauf zu stehen, entschied Gaius. Das musste er unbedingt berücksichtigen, wenn er noch einmal dazu kommen sollte zu schreiben.
Ohne Vorwarnung riss ihn sein Angreifer herum und drückte ihn gegen die Wand. Schmerzhaft prallte er mit den Schulterblättern dagegen. Wenigsten sah er den Mann jetzt. Er war hager, fast einen Kopf größer als er selbst und er war bestimmt kein Honk. Die unangenehmsten hellen Augen, die er je gesehen hatte, musterten ihn eindringlich. Diese Augen verrieten ihm außerdem, dass der Mann intelligent war. Die Pistole wurde ihm seitlich gegen den Hals gedrückt. Das fühlte sich auch nicht besser an, als im Rücken, analysierte ein Teil vom ihm nüchtern.
»Du bleibst schön brav hier stehen. Ich will keine Bewegung sehen. Verstanden?«, ordnete der Hagere mit Nachdruck an.
Gaius' Mund wurde trocken. Zum ersten Mal verspürte er mehr Angst als Trotz und Ärger. Dieser Mann war gefährlich. Schweigend nickte er.
Die Pistole verschwand im Gürtel des Hageren und er nahm die zerknitterten Seiten, die Tolly ihm hinhielt. Mit einem spöttischen Lächeln in Gaius Richtung, glättete er das Papier und begann zu lesen.
»Ein Manuskript?« Überrascht hob der Kerl den Kopf und suchte seinen Blick.
Wieder nickte er nur. Jahrelang hatte er sich mit Kurzgeschichten, Zeitungsartikel und blödsinnigen Werbesprüchen über Wasser gehalten und ausgerechnet als er seinen ersten Buchvertrag in der Tasche hatte, mussten sie die Welt in die Luft jagen.
Die Honks grinsten böse und Tolly hatte plötzlich einen unförmigen Revolver in der Hand.
»Machen wir ihn kalt.«
»Steck' das Ding weg, Idiot!«
Der Hagere würdigte Tolly keines Blickes, trotzdem gehorchte der sofort. Die beiden Anderen hörten auf zu grinsen und sogar Fiffi stellte sein leises Winseln ein.
»Wir nehmen ihn mit. Ihn und seine Sachen. Und geht vorsichtig damit um.« Damit verschwand er in der Dunkelheit. Tolly beeilte sich die losen Manuskriptseiten und den Computer wieder in den Rucksack zu stopfen. Einer der anderen Honks packte Gaius am Oberarm und führte ihn hinter ihrem Anführer her.
*
Die Staubfahne entpuppte sich als Auto. Eine Art Pick-up, wenn ihn seine Augen nicht täuschten. Sie fuhren nicht in seine Richtung, waren aber nah genug, um ihn zu entdecken; was in einer fast deckungslosen Wüste kein Kunststück war.
Rixel legte sich flach auf den Boden und zog seinen Umhang über sich. Er hielt den Kopf gerade hoch genug, um den Wagen, unter seiner provisorischen Tarnung, im Auge behalten zu können. Sie fuhren schnell und wenn sie ihre Fahrtrichtung nicht änderten, würden sie ihn um fast einen Kilometer verfehlen. Endlich hatte er auch mal Glück. Rixel atmete auf.
Er wagte es, sich auf die Unterarme zu stemmen, um dem Auto besser nachsehen zu können. Es änderte die Richtung und hielt auf das Wasserloch zu, an dem die beiden Frauen saßen. Gehörten sie zu den Beiden oder bedeuteten sie eine Gefahr? Rixel erhob sich und schaute dem Wagen hinterher. Vor der Düne wurde er langsamer und ein Mann sprang heraus. Dann raste der Pick-up weiter, um die Düne herum. Der Mann hastete den Sandberg hoch.
Rixel zögerte nicht länger. Möglich, dass die Männer Freunde der Frauen waren. Ebenso gut aber konnten es auch Wüstenräuber sein. Er hatte schon öfter von Banden gehört, die sich die wenigen Wasserstellen zunutze machten, um Menschen zu überfallen.
Rixel rannte.
*
Wie lange stiefelte er jetzt schon hier durch den Sand? Christian wusste es nicht. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er hinter dem stramm marschierenden Heinz herlief.
Die Sonne brannte unbarmherzig und seine Füße versanken bis zu den Knöcheln im warmen Sand. Außerdem hatte er Durst. Sehnsüchtig suchte sein Blick die Flasche an Heinz' Gürtel. Das Wasser war eine warme Brühe und beide Honks hatten den Verschluss besabbert, aber im Augenblick war ihm das egal.
Gabriels Finger bohrten sich wieder einmal zwischen seine Schulterblätter und Christian stolperte. Das machte der Honk in regelmäßigen Abständen, unabhängig davon, ob Christian langsamer geworden war oder nicht. Vermutlich dachte er, dass so etwas zu seinen Aufgaben als Wächter gehörte, oder es machte ihm einfach nur Spaß. Christian ignorierte es jedenfalls schon lange.
Seine Gedanken kehrten zu seinem Handheld zurück. Ob Heinz seine Skulpturen gesehen hatte? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte er sicher danach gefragt. Vorsichtshalber hatte Christian sich schon eine Erklärung für die digital animierten Objekte zurechtgelegt. Falls man ihn danach fragen sollte.
Mit dem Ärmel seines zerschlissenen Hemdes wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Das brachte ihn wieder zu der Frage zurück, wohin sie gingen. Darauf hatten weder Heinz noch Gabriel ihm geantwortet. Gabriel schien überhaupt nur reden zu können, wenn Heinz ihn dazu aufforderte.
In seinem Kopf entstand das Bild eines primitiven Lagers voller Tarnfarben verschmierter Honks. Aber was konnten solche Kreaturen von ihm wollen? Dass er ihre alten Computer wieder lauffähig machte, damit sie ihre Ballerspiele weiterspielen konnten? Vielleicht sogar denkbar, wären da nicht das fehlende Stromnetz und diese ausgeklügelte Falle mit dem Würfel. Eine tiefe Denkfalte grub sich in Christians Stirn. Darüber hatte er bisher noch gar nicht nachgedacht. Dieser Hinterhalt konnte unmöglich von Heinz gelegt worden sein. Allein auf die Idee mit den flexiblen Kontaktstellen zu kommen. Christians Gedanken verloren sich in der Konstruktion des Würfels.
*
Sie wollten ihn verschleppen! Gaius konnte sich nicht entscheiden, ob ihn das mehr erschreckte oder ärgerte, einfach so, wie ein Fundstück, mitgenommen zu werden. Ohne den Kerl mit den kalten Augen, von dem er mittlerweile wusste, dass er Ron hieß, wäre die Entscheidung dazwischen nicht so schwer gefallen. Honks hatte er schon öfter ausgetrickst. Aber dieser Typ? Unwillkürlich dachte er daran, was er früher einmal über Psychopathen gelesen hatte. Sie waren intelligent, meistens erfolgreich und nur wenige wurden zu Serienmördern. Vor dem großen Knall waren die meisten Investmentbanker gewesen. Er versuchte sich Ron in einem Anzug auf einer Cocktailparty vorzustellen, wie er charmanten Smalltalk betrieb. Es gelang ihm nicht. Irgendwie schien er mehr der Typ Mafioso zu sein. Die rechte Hand eines Dons, die für Ruhe sorgte.
Wenn er sich doch nur Notizen machen könnte. Seine Erlebnisse konnten so viel zur Lebendigkeit seiner nächsten Charaktere beitragen. Dabei spielte es keine Rolle, dass er keine Krimis oder Thriller schrieb. Gaius öffnete die Augen. Warum sollte er sich eigentlich keine Notizen machen? Dagegen konnten sie doch nichts haben. Er schielte auf seinen Rucksack, der neben seinem Bewacher an der Hauswand lehnte.
»Denk nicht einmal daran!«
Ron materialisierte unmittelbar neben ihm aus dem Schatten. Wenigstens erschien es ihm so. Verglichen mit dem Typ, trampelten Katzen.
»Wieso soll ich mein Notizbuch nicht holen?«, fragte er verdutzt.
»Dein Notizbuch«, grinste Ron. »Sicher!«
Gaius nickte verwirrt. Was dachte Ron denn, was er vorgehabt hatte? Den Honk umhauen und wegrennen? Mit seinem Rucksack? Warum eigentlich nicht, fragte er sich erneut. Die Idee war gar nicht so dumm. Da hätte er auch wirklich selbst drauf kommen können. Schließlich hatte er doch mal ein paar Gürtelgrade beim Anti-Terror-Kampf erworben. Aber jetzt musste er erst einmal Ron antworten. Wenigstens sah der aus, als ob er auf eine Erklärung wartete.
»Ich möchte meine Eindrücke festhalten«, erklärte er ehrlich. »Das ist immerhin meine erste Entführung.«
Ron starrte ihn einen Moment so an, wie es früher sein Psychiater getan hatte. Aber anders als der, warf Ron unvermittelt seinen Kopf in den Nacken und lachte schallend. Ebenso schnell wie es angefangen hatte, verstummte das Lachen und Ron packte ihn am Revers.
»Und dafür riskierst du, zusammengeschlagen oder erschossen zu werden?«, fauchte Ron böse.
Erschossen? Das klang nicht gut. Würden sie tatsächlich auf ihn schießen, wenn er versuchte wegzulaufen?
»Du machst mir Spaß«, fuhr Ron fort. »Für unseren Schreiberling noch mal im Klartext: Du wirst dich nicht bewegen, ohne dass man es dir erlaubt.« Leise fügte er hinzu: »Hast du das begriffen oder brauchst du ein paar Eindrücke, die du garantiert die nächsten Tage nicht vergisst?«
*
Verblüfft blieb Christian stehen und schaute auf die Stadt hinunter. Sie war groß, hatte eine solide Stadtmauer und Elektrizität! Das war selten. Gabriel schubste ihn vorwärts.
Ihr Weg hatte sie vor knapp einer Stunde von der Sandwüste in eine Steinwüste geführt. Erst waren sie über wegloses Geröll gestolpert, aber bald hatte sich der Boden zu einem Pfad geglättet und hier, unmittelbar vor der Stadt, war es sogar eine richtige Straße. Mehrere Männer arbeiteten daran sie auszubauen.
»Willkommen in der Zivilisation, Christian«, sagte Heinz voller Stolz.
Christian konnte den Blick nicht von der Arbeitscrew wenden. Sie trugen Ketten mit massiven Kugeln an den Fußgelenken und vermieden jeden Blickkontakt.
»Was haben sie getan?«, fragte er, besorgt um sein eigenes Schicksal.
»Nichts!«, grinste Heinz. Für einen Augenblick entwickelte der Honk eine beeindruckende Empathie. »Und nichts tun, gibt es bei uns nicht. Wer leben will, muss einen nützlichen Beitrag zum Gemeinwohl liefern.«
Christian fühlte sich an seinen Geschichtsunterricht erinnert. Deutschland hatte einmal einen Außenminister gehabt, der von solchen Zuständen geträumt hatte. Er folgte Heinz die gut gepflegte Straße hinunter; Gabriel nach wie vor einen Schritt hinter sich. »Wer ist ‚uns’?« In seinem Kopf wirbelten die Eindrücke durcheinander. Eine richtige Stadt und damit Hoffnung, aber anscheinend unter der Knute einiger Honks.
»Wir alle sind ‚uns’!«, erklärte Heinz, noch immer voller Stolz. »Wir sind eine Gemeinschaft, mit dem Ziel die Zivilisation wieder aufzubauen. Und das besser als sie je war.« Heinz Arm beschrieb einen weiten Bogen, der symbolisch die Stadt umfasste. »Unsere Stadt ist nicht wie die anderen, die das Unglück überdauert haben. Wir sind ordentlich organisiert. Wir haben einen Stadtrat mit einer Bürgermeisterin.«
Bürgermeisterin? Die Honks gehorchten einer Frau? Vermutlich war das ein gutes Zeichen, jedenfalls konnte Christian sich nicht an eine Diktatorin erinnern. »Ihr habt einen Stadtrat gewählt und eine Bürgermeisterin?« Hoffnung kehrte in seine Stimme zurück.
»Wo denkst du hin?«, lachte Heinz amüsiert. »Wahlen!«, schnaubte er verächtlich. »Lana hat nach dem Knall hier alles zusammengehalten und sich so den Posten als unsere Bürgermeisterin verdient. Ihre Helfer hat sie zu Stadträten ernannt.«
Soviel dazu, dass die Welt in Frauenhand besser wird. Entmutigt trottete Christian hinter seinen Entführern her. Heinz grüßte zwei Männer, die etwas abseits der Straße träge an einem Fels lehnten und die Arbeiter beobachteten. Genau wie Heinz trugen sie Waffen. Nur ihre Gesichter waren sauber. Weitere Bewaffnete empfingen sie vor dem Stadttor. Ein Mann und eine Frau. Sie hatten im Schatten eines Wachhäuschens gewartet. Heinz wechselte leise ein paar Worte mit ihnen.
Christian nutzte die Zeit um sich umzusehen. Viele der Häuser sahen so aus, als ob sie noch aus der Zeit vor der Katastrophe stammten. Sie waren alt, massiv und wurden offenbar gut in Schuss gehalten. Allerdings hatte keines der Häuser mehr als ein Stockwerk. Nur ganz am Stadtrand standen ein paar höhere Gebäude, die ein gut gebauter Palisadenzaun miteinander verband. Diese Häuser waren unbewohnt und die Außenfassaden an den Stellen, wo sie Fenster und Türen gehabt hatten, zugemauert und mit Stacheldraht verkleidet.
»Christian?« Heinz winkte ungeduldig. »Träumst du schon wieder?«
»Was?« Zerstreut riss er sich von der Betrachtung der Häuser los.
Heinz packte ihn an der Schulter und zog ihn kopfschüttelnd durch das Stadttor.
»Wohin gehen wir?« Ihm war mulmig zumute. »Was wird aus mir?«
»Du erfährst gleich alles, was du wissen musst. Komm einfach mit und konzentriere dich ein bisschen. Ich bringe dich vor den Stadtrat und die mögen es nicht, wenn man ihnen nicht zuhört.«
»Der Stadtrat?« Das beruhigte ihn nicht.
»So halten wir das hier. Jeder der beim Herumstreunen aufgegriffen wird, muss vor den Stadtrat.«
Herumstreunen? Aufgegriffen? Das hörte sich ja an, als habe er etwas angestellt oder gegen Gesetze verstoßen. Sie bogen auf einem breiten Weg ein, der über einen gepflasterten und mit Blumenrabatten gesäumten Platz führte. Zwei Häuser standen auf der gegenüberliegenden Seite. Eine Kirche und eine Villa, an der ein handgemaltes Schild hing, das es als Rathaus auswies.
Christian blieb stehen und starrte auf den Galgen, der an zentraler Stelle vor den beiden Gebäuden aufgebaut war. Eine massive Konstruktion, dazu gedacht, lange stehen zu bleiben.
Heinz, der seinem Blick gefolgt war, hinderte Gabriel daran ihn erneut vorwärts zu schubsen. »Keine Angst! Wir benutzen ihn nicht häufig.«
Christian entspannte sich wieder.
»Die meisten Leute werden erschossen. Kugeln können wir billig herstellen.«, grinste der Honk.
*
Wo war denn der plötzlich hergekommen? In einer Wolke aus Sand, kam Rixel schlitternd zum Stehen. Der Mann mit dem Gewehr war wie eine Fata Morgana vor ihm aus dem Sand aufgetaucht und das Gewehr, das der auf ihn gerichtet hielt, war ein gutes Argument der Aufforderung zum Anhalten nachzukommen.
»Sieh mal an«, grinste der Bewaffnete. »Ein Irrer im Umhang, der durch die Wüste rennt. Bisschen zu warm zum Joggen, oder?«
»Anhalter«, keuchte Rixel außer Atem. »Ich hab ein Auto gesehen und wollte es anhalten. Einen Pick-up.«, fügte er hinzu.
»Anhalter?«, wiederholte der Mann perplex.
Rixel nickte. Er musste den Mann am Denken hindern und das ging am besten mit einem Monolog. »Bist du aus dem Pick-up?« Unbeholfen taumelte er einen Schritt nach vorn. »Ich hab gerufen, aber er hat nicht angehalten und dann…«
»He!« Der Lauf des Gewehrs zuckte ein Stück höher. »Das ist nah genug!«
»..bin ich losgerannt.« Er ignorierte das Gewehr und rückte noch ein Stück näher, wild mit den Armen gestikulierend. »Aber meine Kapuze ist mir ins Gesicht gerutscht und…« Der Mann wich einen Schritt zurück und entsicherte seine Waffe. »…fast wäre ich gestolpert, aber wer weiß, wann hier wieder ein Auto durchkommt.« Schnaufend blieb er stehen. »Ich trampe schon seit Tagen.« Betrübt schüttelte er den Kopf. »Nein, eigentlich ist das nicht korrekt, ich versuche zu trampen, aber hier kommen ja keine Autos durch, und…«
»Halt die Klappe!«, brüllte der Fremde.
Im gleichen Moment knallte ein Schuss. Auf der anderen Seite der Düne. Rixels Herz machte einen Satz. Ohne zu denken, schnellen sein Hände vor und umklammerten den Lauf der Flinte. Überrascht schrie der Mann auf, aber statt abzudrücken, versuchte er, sein Gewehr mit einem Ruck zu befreien. Dabei rutschte seine Hand vom Abzug. Rixel ließ nicht los. Er bog den Lauf zur Seite und zog daran.
»Lass los, du Irrer!«, fluchte der Mann und riss die Waffe mit aller Macht zurück.
»Nein!« Rixel stemmte beide Beine in den Sand und zerrte wild an dem kalten Metall.
»Mistkerl!« Der Mann stolperte nach vorn und trat nach Rixel.
Er fühlte den Schlag nicht, aber das ‚Ponk’ und das schmerzverzerrte Gesicht, mit dem der Mann vor ihm auf die Knie sank, verrieten Rixel, dass der gegen sein rechtes Schienbein getreten hatte.
Sein Angreifer überraschte Rixel damit, dass er nicht versuchte aufzustehen. Stattdessen hängte er sich mit seinem ganzen Gewicht an das Gewehr und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Zum zweiten Mal an diesem Tag landete Rixel im Wüstensand. Liegend kämpften sie weiter. Beißen, kratzen und Spucken! Jetzt war alles erlaubt. Und dabei darauf achten, den eigenen Kopf von der Mündung der Flinte weg zu halten.