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ÜBER DAS BUCH

»Die Kirche ist nicht auf der Welt um zu verurteilen, sondern um den Weg zu bereiten für die ursprüngliche Liebe, die die Barmherzigkeit Gottes ist. Damit dies geschehen kann, müssen wir hinausgehen auf die Straße. Hinaus aus den Kirchen und Pfarrhäusern, um den Menschen dort zu begegnen, wo sie leben, wo sie leiden, wo sie hoffen.«

PAPST FRANZISKUS

kam am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires zur Welt. Seit dem 13. März 2013 ist er Bischof von Rom und der 266. Papst der katholischen Kirche. Am 13. März 2015 hat er seinem Pontifikat eine entscheidende Wende gegeben, als er das Heilige Jahr der Barmherzigkeit verkündete, das am 20. November 2016 enden wird.

ANDREA TORNIELLI

ist Journalist und Vatikan-Spezialist. Er zählt zu den bekanntesten katholischen Autoren Italiens und arbeitet für La Stampa und verschiedene italienische und internationale Zeitschriften. Darüber hinaus ist er verantwortlich für die Webseite »Vatican Insider«.

Der Name Gottes ist Barmherzigkeit wird in 82 Ländern veröffentlicht.

PAPST FRANZISKUS

Ein Gespräch mit
ANDREA TORNIELLI

Übersetzt aus dem Italienischen
von Elisabeth Liebl

Kösel

Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel: »Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten: der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.«

Evangelium nach Lukas 18,9-14

MIT DEN AUGEN VON FRANZISKUS

Am Morgen des 17. März 2013 feierte Franziskus seine erste öffentliche Messe, nachdem er am Mittwoch zuvor zum Bischof von Rom gewählt worden war. Die Kirche Sant’Anna im Vatikan, die nur ein paar Schritte entfernt vom gleichnamigen Eingang zum kleinsten Staat der Welt liegt, dient den Menschen von Borgo Pio als Pfarrkirche. An jenem Morgen war sie brechend voll von Gläubigen. Auch ich war mit einem Freund dort. Franziskus hielt bei dieser Gelegenheit seine zweite Predigt als Papst. Und er sprach aus dem Stegreif: »Die Botschaft Jesu ist die Barmherzigkeit. Für mich, und das sage ich in aller Demut, ist dies die stärkste Botschaft des Herrn.«

Der Papst legte die Stelle aus dem Johannes-Evangelium aus, die von der Ehebrecherin spricht, der Frau, die die Schriftgelehrten und Pharisäer steinigen wollten, wie es das mosaische Gesetz vorsah. Jesus rettete ihr das Leben. Er wandte sich an die Umstehenden und sagte: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.« Daraufhin gingen alle fort. »Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr« (Johannes 8,11).

Franziskus nahm diese Stelle auf. Er sprach von den Schriftgelehrten und den Pharisäern, die diese Frau vor den Nazarener geschleppt hatten, und er sagte: »Auch wir schlagen mitunter gern auf die anderen ein und verurteilen sie.« Der erste und einzige Schritt, der nötig wäre, um die Erfahrung der Barmherzigkeit zu machen, fügte der Papst hinzu, sei die Erkenntnis, dass wir selbst der Barmherzigkeit bedürfen. »Jesus ist unseretwegen gekommen, und zwar für den Moment, in dem wir erkennen, dass wir Sünder sind.« Dazu genügt es schon, wenn wir es nicht machen wie der Pharisäer, der vor dem Altar steht und Gott dankt, dass er nicht ist »wie all die anderen Menschen«. Wenn wir sind wie dieser Pharisäer, wenn wir uns für gerecht halten, »dann haben wir das Herz unseres Herrn nicht erkannt und werden das Glück der Barmherzigkeit nie erfahren!«, erklärte der neue Bischof von Rom. Wer die anderen von oben herab beurteilt, wer sich selbst vollkommen dünkt, wer meint, er sei gerecht, gut und total in Ordnung, der verspürt nicht das Bedürfnis nach Umarmung und Vergebung. Und dann gibt es da noch die Menschen, die dieses Bedürfnis zwar spüren, aber glauben, dass das von ihnen begangene Unrecht so groß ist, dass sie keine Vergebung erfahren können.

An dieser Stelle erzählte Franziskus von seinem Gespräch mit einem Mann, der zu ihm gesagt hatte, als sie über Barmherzigkeit redeten: »Oh, mein Vater. Wenn Sie mein Leben kennen würden, würden Sie nicht so mit mir sprechen! Ich habe wirklich ganz schön was angestellt.« Und Franziskus hatte ihm darauf geantwortet: »Umso besser! Wende dich an Jesus: Er liebt es, wenn du ihm solche Sachen erzählst! Die er dann vergisst. Er hat diese ganz spezielle Fähigkeit des Vergessens. Er vergisst, küsst dich, umarmt dich und sagt dir nur: ›Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!‹ Das ist der einzige Rat, den er dir gibt. Einen Monat später sind wir dann wieder so weit … Wir kehren zum Herrn zurück. Der Herr wird nie müde, uns zu verzeihen: nie! Wir sind es, denen es mit der Zeit beschwerlich wird, ihn um Vergebung zu bitten. Daher müssen wir um die Gnade bitten, dass wir nicht müde werden, um Vergebung zu bitten, denn er wird nie müde, uns zu verzeihen.«

Schon bei Franziskus’ erster Predigt vor den Gläubigen, die mich besonders berührt hat, wurde deutlich, wie sehr für ihn die Botschaft der Barmherzigkeit im Vordergrund stand, die die ersten Jahre seines Papsttums prägten. Und das in einfachen Worten, die das Antlitz einer Kirche zeichneten, die den Menschen ihre Gebrechlichkeit, ihre Verwundbarkeit nicht vorwirft, sondern sie mit der Arznei der Barmherzigkeit heilt.

Wir leben in einer Gesellschaft, die uns immer weniger anhält, uns unserer Verantwortung bewusst zu werden und sie anzunehmen: Tatsächlich sind es immer die anderen, die die Fehler machen. Unmoralisch sind immer nur die anderen. Sie tragen die Schuld, nicht wir. Und wir begegnen immer wieder einem rückwärts gewandten Klerikalismus, dessen einziges Ziel es ist, Grenzen zu setzen und das Leben der Menschen »zu regeln« durch Gebote und Verbote, die den ohnehin schon schwierigen Alltag weiter erschweren. In einer Haltung, die weit schneller bereit ist zu verurteilen als anzunehmen. Eine Haltung, die eher richtet, als sich voller Barmherzigkeit dem Unglück der Menschheit zuzuneigen. Die Botschaft der Barmherzigkeit – Herzstück dieser »ersten Enzyklika«, die nicht schriftlich niedergelegt wurde, sondern nur in der kurzen Predigt des neuen Papstes aufschien – entzog beiden Klischees zugleich die Grundlage.

Ein wenig mehr als ein Jahr danach kam Franziskus am 7. April 2014 bei der Frühmesse in der Kapelle des Hauses der Heiligen Martha neuerlich auf diese Stelle des Evangeliums zurück und gestand seinen Zuhörern, wie sehr ihn diese Zeilen rührten: »Gott verzeiht nicht mit Erlassen, sondern mit einer zärtlichen Berührung.« Denn mit seiner Barmherzigkeit »geht Jesus über das Gesetz hinaus. Er verzeiht, indem er sachte über die Wunden unserer Sünden streicht.«

»Die heutige Lesung aus der Schrift«, erklärte der Papst, »spricht von Ehebruch«, der zusammen mit dem Fluchen und der Anbetung fremder Götzen als »schwerwiegende Versündigung gegen das Gesetz des Mose gilt« und »mit dem Tod« durch Steinigung bestraft wird. Zu dem Abschnitt aus Kapitel 8 des Johannes-Evangeliums, den der Papst ausgewählt hatte, sagte er: »Wir begegnen dort Jesus, wie er unter den Menschen sitzt. Er war dort als Katechet tätig, er lehrte.« Dann näherten sich »die Schriftgelehrten und die Pharisäer, die eine Frau mit sich zerrten. Wir können uns vorstellen, dass ihre Hände vielleicht gefesselt waren. Sie stellten die Frau in die Mitte und klagten sie an, denn sie war eine Ehebrecherin!« Es handelte sich also um eine öffentliche Anklage. Im Evangelium heißt es, dass sie Jesus eine Frage stellten: »Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?« »Sie sagten das«, so Franziskus, »um Jesus auf die Probe zu stellen, damit sie ihn anklagen konnten.« Hätte Jesus nämlich gesagt: »Ja, steinigt sie!«, dann hätten sie zu den Leuten sagen können: »Da seht, euer Meister tut immer so gütig, aber schaut nur, was er mit dieser armen Frau gemacht hat.« Hätte Jesus hingegen gesagt: »Nein, man muss dieser armen Frau vergeben!«, dann hätten sie ihn angeklagt, das Gesetz zu brechen.

Ihr einziges Ziel, so Papst Franziskus, sei es also gewesen, Jesus »eine Falle zu stellen, um ihn zu prüfen«. »Die Frau selbst war ihnen völlig gleichgültig, wie die Ehebrecher überhaupt.« Vielleicht »waren einige von ihnen ja selbst Ehebrecher«. In diesem Moment aber sagte Jesus, der »mit der Frau allein bleiben und zu ihrem Herzen sprechen wollte«: ›Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie.‹ Und: ›Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort.‹ Das Evangelium erzählt diese Szene nicht ohne eine gewisse Ironie, so Franziskus. »Alle gingen, zuerst die Ältesten: Wie man sieht, hatten sie auf der Bank des Himmels wohl einen ganzen Packen Schuldscheine angesammelt!« Dann aber kommt der Moment, in dem Jesus zum Beichtvater wird. Er bleibt »allein zurück mit der Frau«, die »noch in der Mitte stand«. Und der Papst fährt fort: »Jesus aber hatte sich hinabgebeugt und schrieb etwas in den Staub. Manche Gelehrte meinen, er habe die Sünden der Schriftgelehrten und Pharisäer hingeschrieben, doch das ist vielleicht nur eine Vermutung. Dann richtete er sich auf und sah die Frau an, die voller Scham war. Und er sagte zu ihr: ›Weib, wo sind sie? Hat dich keiner verurteilt?‹ Wir sind allein, du und ich. Du vor Gott. Ohne Kläger, ohne Gerede: Du und Gott.‹«

Die Frau – so bemerkte Franziskus bei dieser Predigt – behauptete nicht, die Anklage sei falsch. Sie verteidigte sich nicht, indem sie sagte: »Ich habe nie Ehebruch begangen.« Nein, »sie erkannte ihre Sünde an« und antwortete Jesus: »Keiner, Herr [hat mich verurteilt].« Und Jesus sagte zu ihr: »Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.« »Und so«, schloss Franziskus, »verzeiht Jesus. Doch in diesem Verzeihen liegt noch weit mehr, da Jesus als Beichtvater über das Gesetz hinausgeht.« Denn »das Gesetz schrieb vor, dass sie bestraft werden muss«. Außerdem sei Jesus schließlich rein gewesen und hätte durchaus den ersten Stein werfen können. Doch Christus »geht noch weiter. Er sagt nicht: ›Ehebruch ist keine Sünde‹, aber er verurteilt sie nicht nach dem Gesetz.« Eben dies ist »das Geheimnis von Jesu Barmherzigkeit«.

Jesus geht, »um Barmherzigkeit zu üben«, über das Gesetz hinaus, »das die Steinigung vorschrieb«. Ja, er sagt der Frau sogar, sie solle in Frieden gehen. »Die Barmherzigkeit«, erläuterte der Bischof von Rom in dieser morgendlichen Predigt, »ist schwer zu verstehen: Sie löscht die Sünden nicht aus«, denn die Sünden könnten nur durch »die Vergebung Gottes« ausgelöscht werden. Aber »die Barmherzigkeit ist die Art, in der Gott verzeiht«. Denn Jesus hätte auch sagen können: ›Ich vergebe dir, geh nun!‹ Wie er zu dem Lahmen sagte: ›Deine Sünden sind dir vergeben!‹ In dieser Situation aber »geht Jesus weiter, denn er rät der Frau, nicht mehr zu sündigen. Und hierin wird die barmherzige Haltung Jesu deutlich: Er verteidigt den Sünder gegen seine Feinde und bewahrt ihn vor der gerechten Strafe.«

Und das, hatte Franziskus hinzugefügt, »gilt auch für uns. Wer von uns hätte keine Strafe verdient! Die vermutlich auch gerecht wäre. Er aber vergibt!« Und wie? »Mit Barmherzigkeit, die die Sünde nicht auslöscht, denn das kann nur die Vergebung Gottes. Die Barmherzigkeit aber geht weiter.« Sie »ist wie der Himmel: Wir betrachten den Himmel mit all seinen Sternen, doch wenn am Morgen die Sonne aufgeht, sind die Sterne nicht mehr sichtbar. So ist die Barmherzigkeit Gottes: Das gewaltige Licht der Liebe, der Zärtlichkeit, denn Gott vergibt nicht mit einem Erlass, sondern mit einer zärtlichen Berührung.« Er tut es, indem er »über unsere Sündenwunden streicht, weil die Vergebung ihn betrifft, weil unser Heil ihn angeht«.

Auf diese Weise, schloss Papst Franziskus, handelt Jesus als Beichtvater. Er demütigt die ehebrechende Frau nicht. Er sagt nicht: ›Was hast du getan? Wann hast du es getan? Wie hast du es getan und mit wem?‹ Er sagt ihr ganz im Gegenteil: ›Gehe hin und sündige fortan nicht mehr.‹ Denn so groß ist die Barmherzigkeit Gottes, so groß ist die Barmherzigkeit Jesu: Sie vergibt, indem sie uns berührt.«

Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ist nur die logische Konsequenz aus dieser Botschaft, aus der zentralen Stellung, die sie in den Predigten des Papstes seit jeher einnahm. Am 13. März 2015, während ich der Predigt bei der Bußfeier im Petersdom lauschte, an deren Ende der Papst das Außerordentliche Heilige Jahr ausrufen sollte, dachte ich: »Es wäre schön, wenn ich ihm ein paar Fragen stellen könnte über Barmherzigkeit und Vergebung, darüber, welche Bedeutung diese Worte für ihn als Mensch und als Priester konkret haben.« Nicht, um ihm ein paar plakative Äußerungen zu entlocken, die sich vielleicht im Medienzirkus um die Familiensynode, der diese häufig auf einen Schlagabtausch zwischen gegnerischen »Mannschaften« reduziert, gut machen würden. Ohne Einzelfälle zu diskutieren. Mir schwebte da so eine Art Interview vor, in dessen Verlauf sich herauskristallisieren sollte, wie Franziskus diese Dinge sieht und empfindet. Ein Text, der Türen öffnet in einer Zeit wie der des Heiligen Jahres, in dessen Verlauf die Kirche auf besondere und bedeutsame Weise ihr Antlitz der Barmherzigkeit zeigen will.

Der Papst hat meinen Vorschlag angenommen. Dieses Buch ist Frucht eines Gespräches, das wir in seiner Unterkunft im Haus der Heiligen Martha im Vatikan begonnen haben, an einem stickig heißen Julitag 2015, nur wenige Tage nach der Rückkehr von seiner Reise nach Ecuador, Bolivien und Paraguay. Ich hatte ihm ganz kurz davor ein paar Stichpunkte zu den Themen und Fragen geschickt, die ich gerne ansprechen wollte. Und ich kam mit drei Aufnahmegeräten an. Franziskus erwartete mich, vor ihm auf dem Tisch lagen eine Bibelkonkordanz und Zitate der Kirchenväter. Auf den folgenden Seiten finden Sie den Inhalt unseres Gesprächs wiedergegeben.

Ich hoffe, mein Interviewpartner nimmt es mir nicht übel, wenn ich noch ein winziges Detail erzähle, das mir persönlich überaus bedeutsam schien. Wir hatten über die Schwierigkeit gesprochen, sich selbst als Sünder zu erkennen. In der ersten Abschrift des Gesprächs, die ich erstellt hatte, hatte Franziskus gesagt: »Die Arznei ist da, die Heilung ist da, wenn wir nur diesen kleinen Schritt auf Gott zugehen können.« Nachdem er den Text gelesen hatte, ließ er mich rufen und bat mich, Folgendes hinzuzufügen: »… oder wenn wir zumindest den Wunsch zeigen, auf ihn zuzugehen.« Diesen Teil des Satzes hatte ich ungeschickterweise weggelassen, als ich den Inhalt des Gesprächs zusammenfasste. In dieser Ergänzung, genauer gesagt, in dieser Richtigstellung, zeigt sich das ganze Herz des Hirten, der versucht, sich dem barmherzigen Herz Gottes anzuverwandeln und nichts unversucht zu lassen, um den Sünder zu erreichen. Es versäumt auch nicht die kleinste Gelegenheit, um vergeben zu können. Gott erwartet uns mit offenen Armen, es genügt, wenn wir nur einen kleinen Schritt auf ihn zugehen, wie der verlorene Sohn es tut. Bringen wir aber nicht einmal dazu die Kraft auf, weil wir schwach sind, dann reicht schon der bloße Wunsch. Auch dies ist ein hinreichender Anfang, denn dann kann die Gnade wirken und die Barmherzigkeit geschenkt werden. Das zumindest ist die Erfahrung einer Kirche, die sich nicht als Zollamt sieht, sondern als Weg zur Vergebung.

Etwas durchaus Ähnliches finden wir in einem Roman von Bruce Marshall: Keiner kommt zu kurz oder der Stundenlohn Gottes. Die Hauptfigur des Buches, Abbé Gaston, muss einem jungen deutschen Soldaten, den französische Partisanen zum Tode verurteilt haben, die Beichte abnehmen. Der Soldat beichtet seine Leidenschaft für die Frauen und seine zahllosen amourösen Abenteuer. Der Abbé erklärt ihm, dass er Reue empfinden muss, um Vergebung und Absolution zu erlangen. Und der junge Mann sagt: »Aber wie soll ich das bereuen? Ich fand es toll, und wenn ich könnte, würde ich es selbst jetzt noch tun.« In diesem Moment hat Abbé Gaston, der den jungen, vom Schicksal gezeichneten Mann lossprechen will, einen Geistesblitz und er fragt ihn: »Aber tut es dir denn leid, dass du es nicht bereuen kannst?« Und der junge Mann antwortet spontan: »Ja, es tut mir leid, dass ich nicht bereuen kann.« Und eben dieses Bedauern ist der winzige Hoffnungsschimmer, der dem barmherzigen Priester erlaubt, ihm die Absolution zu erteilen.

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ZEIT DER BARMHERZIGKEIT