Sie war dort geblieben, wo die Erde sich aufgetan hatte. Das Paradies war zerstört. Ich für meinen Teil musste nach Theos Tod zurück und mich um die Geschäfte kümmern. Beim Abschied schwor ich Valerie ein baldiges Wiedersehen.
Doch die Zeiten waren alles andere als rosig. Die Arbeit in der Agentur verlangte meine volle Aufmerksamkeit. Aus einem Monat wurden zwei, aus zwei Monaten drei – und irgendwann erhielt unsere Liebe einen Riss. Der Abgrund, der sich auftat, war erschütternd. Ich hatte einen Fehler begangen, sie so lange allein zu lassen.
Ich setzte mich in den nächsten Flieger. Der Schock saß tief: Beim Anblick des Dorfes zerbrach mir das Herz. Meine Kehle brannte, und ich spürte, wie mir Tränen über die Wangen liefen, als ich dort am Hafen auf Selma und Toni traf. Alle meine Freunde waren damit beschäftigt, auf den Trümmern ihrer Existenz etwas Neues zu errichten. Die Erdspalte, die sich nach dem Beben aufgetan hatte, teilte das Dorf weiterhin in zwei Hälften.
Valerie sei vor einer Woche abgereist, verriet mir Toni. Sei stark, hatte er gesagt, sie hat sich gemeinsam mit David aus dem Staub gemacht. Zähneknirschend quartierte ich mich für eine Woche bei Selma und Toni ein und verging vor Sehnsucht und Schmerz. Würde Valerie zurückkehren?
Kurzzeitig spielte ich mit dem Gedanken, die Brücken zur bürgerlichen Existenz endgültig abzubrechen. Doch die Realität wies mich in die Schranken. Der Alltag holte mich ein, ich musste zurück in die Agentur. Es gab untrügliche Zeichen, dass sich die Probleme dort häuften.
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-943172-01-0
Der Autor:
Georg Vetten ist geschäftsführender Gesellschafter der Public Relations-Agentur Foolproofed in Köln. Zuvor war er unter anderem Leiter der Presse von RTL und VIVA TV. Als Ausgleich zu seinem stressigen Arbeitsalltag hat er vor Jahren mit dem Schreiben begonnen und bereits zwei 3 Bücher selbst veröffentlicht und erfolgreich im Internet vermarktet. Autobiografische Parallelen verneint der Autor – sein reicher Erfahrungsschatz aus der Branche diente jedoch als Vorlage.
Originalausgabe 2011
© 2011 MARLON
Ein Imprint der Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Gutenbergstr. 1, 47443 Moers
www.marlon-verlag.de
Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
Lektorat: Eckhard Schwettmann, Gernsbach
Korrektorat: Otmar Fischer, Münster
Umschlaggestaltung: Brendow.Print, Moers
1. digitale Auflage 2013: Zeilenwert GmbH
Layout und Satz: buchsatz.com, Innsbruck
1 Vergl. Roman G. Vetten, 2005, »Eins. Zwei. Eins. Zwei. Drei. Vier – die Achtziger«.
2 Aus Greenfield, Robert 1973, in: Chapple/Garofalo 1980.
3 Vergl. Roman G. Vetten, 2007 »Signale – die Scheinwelt und der Fluss«.
4 Aus G. Vetten, 2005: Eins. Zwei … Eins. Zwei. Drei. Vier …«.
5 Aus G. Vetten, 2007: »Signale – die Scheinwelt und der Fluss«.
6 IBGE, 2005.
7 Trypanosomiasis: eine durch Parasiten verursachte Infektionskrankheit.
8 Durch Fadenwürmer ausgelöste chronische Erkrankung, die zur Erblindung führt.
9 Wenn Leishmanien in innere Organe (Milz, Leber, Darm, Lymphknoten und Knochenmark) eindringen und dort Makrophagen befallen, kann es zu Splenohepatomegalie-Symptomen (eine krankhafte Vergrößerung von Milz und Leber) kommen. Eine Leishmaniase verläuft unbehandelt in 90 % der Fälle durch Störungen der Blutgerinnung und zusätzliche Sekundärinfektionen tödlich.
10 Aus: G. Vetten, 2005, »Eins. Zwei. Eins. Zwei. Drei. Vier – die Achtziger«.
11 Aus: G. Vetten, 2005, »VICI – Direkt ins Blut«.
12 Aus G. Vetten, Roman »Signale – die Scheinwelt und der Fluss«.
Ein Roman aus der Medienwelt von Georg Vetten
Propaganda
Der Verrat
Cover
Titel
Impressum
Prolog
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Epilog
Dank
Fußnoten
Der Verrat
Ich hatte Nils spontan zu meinem Stellvertreter ernannt. Noch vor einem Jahr hatte er sich als eher unauffälliger Mitarbeiter hervorgetan. Doch ich wusste, dass er Theos volles Vertrauen genossen hatte. Mit seinen weichen Gesichtszügen, seinem schlaksigen Gang und seinen dunkelblonden Locken wirkte er trotz seiner Einsdreiundachtzig wie ein großer Junge.
Ich hatte die kleine Runde, bestehend aus Carsten, meinem Abteilungsleiter PR, Rike, Leiterin der Produktabteilung, sowie Nils und dessen Assistentin Annabelle Jacobi, an diesem regnerischen Morgen in den Konferenzraum gebeten.
»Also, wo liegen die Probleme?«, fragte ich, während ich die Beule abtastete, die ich mir am Morgen zugezogen hatte, als ich mit dem Kopf gegen den Türrahmen der Toilettentür geknallt war.
»Meines Erachtens wurden die zentralen Botschaften der Kunden unzureichend kommuniziert. Vor allen Dingen scheint es Kommunikationsschwierigkeiten mit der Pressesprecherin der Alleenstraße zu geben.«
Sie sagte das mit einem vielsagenden Blick und hob dabei ihre linke Augenbraue unmerklich an, wohl wissend, dass sie in diesem Moment die leitenden Mitarbeiter vor mir in die Pfanne haute.
Annabelle Jacobi war eine außergewöhnliche Frau. Ihre kompetente und energische Art war mir bei unserer ersten Begegnung gleich ins Auge gefallen. Theo hatte kurz vor seinem Tod von ihr geschwärmt. Auf Annabelle kannst du dich verlassen, hatte er immer wieder betont, und im Nu war sie damals zu seiner rechten Hand geworden. Und in der Tat, ich hatte in den letzten Wochen ihren scharfen Sachverstand, ihr analytisches Denken und ihre Weitsicht in manchen Dingen zu schätzen gelernt.
Annabelle war Anfang 30, und die Jungs verdrehten sich den Hals nach ihr. In ihrem sonnengebräunten Gesicht zeigten sich ein paar lustig versprenkelte Sommersprossen. Ihre Augen waren von einem klaren, dunklen Blau, ihr lockiges naturblondes Haar hielt sie in der Regel mit einem schwarzen Haarreif zusammen. Ich hatte sie noch nie in Hosen zu Gesicht bekommen. Stattdessen trug sie kurze, verdammt sexy geschnittene Röcke – und ihr könnt mir glauben, ihre langen, schlanken Beine waren eine Pracht. Doch erst dieser Hintern. Wahrhaft königlich war dieses Hinterteil. Selbst das Material der Röcke knisterte und summte leise vor Bewunderung, wenn sie ihn majestätisch durch die Büroräume wiegte. An so manchem Morgen verschlug es mir buchstäblich die Sprache. Wenn ich – einen Kaffee an den Lippen – aufblickte und sie sich nach einem Aktenordner bückte, ging für einen kurzen Moment die Sonne auf. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich diesen Anblick gerne für zwei, drei Momente länger genossen hätte. Doch meine Agentur schien vor einem wirklichen Problem zu stehen. Und dieses Problem hieß Medienkontor Fester.
Ich machte keinen Hehl daraus, wofür ich Niclas Fester hielt: für einen geschniegelten, eitlen und selbstverliebten Besserwisser, der in seinem Leben noch nie etwas Eigenes auf die Beine gestellt hatte. Okay, vielleicht habe ich auch nur Probleme mit diesen beschlipsten, eitlen Boss-Trägern und ihren zurückgegelten Haaren. Und laut Annabelle Jacobi war unser Problem weit weniger bei ihm als bei uns selbst zu suchen.
Abgesehen davon – kann mir jemand verraten, wie die Typen es anstellen, dass diese scheiß glänzenden Lackschuhe immer wie geleckt aussehen? Wie es ihnen gelingt, dass niemals die kleinste Falte auf ihren superweißen Button-down-Hemden zu sehen ist? Für mich gehörte Fester zu diesen Marketingschnöseln, deren einzige Aufgabe es ist, bei Events die richtige Platzierung des gekauften Logos zu überprüfen und dem Kunden dafür ein halbes Vermögen aus der Tasche zu ziehen.
»Was verdammt hat das alles mit PR zu tun?«, fragte ich entnervt. »Hat er jemals Trends gesetzt, die Schulhofthemen bestimmt, Fernsehgeschichte geschrieben, neue Macher oder Stars in der Öffentlichkeit etabliert, die Schlagzeilen in den großen Blättern dominiert?«
»Er war Marketingleiter bei diesem Riesendampfer in Berlin und später einer der Geschäftsführer«, erklärte Nils.
»Natürlich haben sie ausschließlich gekaufte Produkt-PR für die großen Kreativagenturen abgeliefert, die wiederum Großkonzernen die Kohle aus der Tasche ziehen. Vor zwei Jahren hat er sich in Düsseldorf selbständig gemacht. Mittlerweile zählt er an die 40 Mitarbeiter und zahlt wohl auch ganz gut, wie man hört.«
»Und weshalb machen wir das nicht?«, blaffte ich gereizt.
»Logos platzieren?«, fragte Carsten verwundert, rekelte dabei seinen untersetzten Körper auf dem Bürostuhl und massierte mit der Rechten nachdenklich seine Glatze.
»Okay, Frage überflüssig!«, fauchte ich.
In der Tat, ich hasste diese Marketingfuzzis. Frisch von der Uni, den Kopf voller Theorie und nicht imstande, eine vernünftige Zeile zu Papier zu bringen. Gekaufte Produkt-PR würde es mit mir nicht geben.
Ich blätterte noch einmal die Monatsberichte an die Großkunden durch. Wir hatten Fleißarbeit abgeliefert. Die gesamte Breite war abgedeckt, die Formate der Fernsehsender waren in allen Blättern vertreten. Es handelte sich jeweils um Neustarts teurer Eigenproduktionen. Das alte Spiel: je höher die Aufmerksamkeit, desto höher die Chance auf hohe Einschaltquoten und dementsprechende Werbeerlöse. Die Ergebnisse waren außerordentlich, doch es fehlte der letzte Pfiff, der zündende Gedanke, der das Programm zu einem bundesweiten Kneipenthema gemacht hätte. Und als hätte sie meine Gedanken erraten, schoss es aus Annabelle Jacobi hervor:
»Es fehlt an Kreativität!«
Es dauerte fünf Minuten, bis ich die Gemüter wieder beruhigt hatte. Rike war außer sich und warf Jacobi vor, sie habe keinen blassen Schimmer. Sie wisse nicht im Ansatz, über was sie rede. Ich schaute mir das Treiben zwei, drei Minuten an und fragte mich, wer von beiden die Stutenbissigere war.
»Okay, wie viele Aufträge hat er uns in letzter Zeit abgejagt, wie viel Pitches hat er gegen uns gewonnen?«, fragte ich gereizt.
»Fünf Pitches, fünf Ausschreibungen in den letzten beiden Monaten«, antwortete Rike, die mit ihrer Abteilung die Schnittstelle zu den Kunden bildete.
»Aber das Ärgerlichste ist, er macht sich gerade mit vielversprechender Aussicht an die Alleenstraße und an den Berliner Privatdampfer heran«, ergänzte Nils.
»Das kann nicht sein!«, fluchte ich. Der Kölner Privatsender war der größte Europas, der in Berlin war ebenfalls nicht von Pappe. Beide gehörten seit Jahren zu unseren Kunden.
»Verdammt, wann warst du zuletzt mit Miss Schluckspecht zum Essen verabredet?«, blaffte ich in Richtung Rike.
Meine Produktmanagerin schaute mit einer Mischung aus Verstörtheit und Verärgerung auf ihre Unterlagen und fuhr mit der rechten Hand durch ihren Pagenschnitt. Rike war eher klein und unscheinbar: rundliches Gesicht mit männlichen Zügen, mollige Figur und gerade mal eins fünfundfünfzig groß. Doch sie war eine Kämpferin, die sich festbiss und keine Ruhe gab, bis sie ein Ergebnis vorzuweisen hatte. In diesem speziellen Fall schien sie jedoch mit einem Mal überfordert. In diesem Zustand hatte ich sie noch nie erlebt.
»Annabelle, Sie machen mir auf der Stelle einen Termin mit Marc Lensing, Sie wissen schon.« Meine Anweisung war kühl, gereizt und direkt: »Leute, wie oft muss ich es sagen (ich wurde laut)! Der persönliche Kontakt hat oberste Priorität. It’s a People-Business!«, schrie ich und schlug mit der Faust auf den Tisch. Wutentbrannt zerbrach ich den Bleistift in meiner linken Hand und spürte im nächsten Moment einen brennenden Schmerz. Ein Splitter hatte sich tief in den Handballen gebohrt. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse und gab einen mordsmäßigen Fluch von mir. War tatsächlich ein Grinsen über das ein oder andere Gesicht gehuscht? Ich werde es der Bande schon zeigen, dachte ich. Verdammt, schließlich mussten wir alle an einem Strang ziehen. War das so schwer zu verstehen?
Ich schloss die Tür zu meinem Office, das durch eine Glaswand vom Großraumbüro der Mitarbeiter getrennt war. Hatte ich die richtigen Worte gefunden? War meine Ansprache angekommen? Ich hatte mich noch nie wohl in der Rolle des Einpeitschers gefühlt.
Ich war gerädert und warf einen Blick in den Spiegel. Ohne eitel wirken zu wollen – ich konnte mich noch sehen lassen: Mit meinen Einssiebenundachtzig, dem sonnengebräunten Teint und dem dichten dunkelblonden Haar ging ich als Mann von Anfang vierzig gut und gerne für Mitte, Ende dreißig durch. Die Mädels zeigten sich bis heute von meinen dunkelbraunen Augen und meinem schelmischen Jungengrinsen beeindruckt. Auch jetzt noch gehörten schwarze Edwin-Jeans und dunkle Polohemden zu meinen Standardoutfits – und nach wie vor trugen mich aus der Mode gekommene spitze, schwarze Winkelpicker durch den Tag.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog ich den Splitter mit den Zähnen aus der Hand, die ich anschließend mit einem Taschentuch umwickelte. Ich zündete mir eine Zigarette an und schaute aus dem Fenster in den begrünten Innenhof. Das Schilf wiegte sich leise im Wind. Der kleine, künstlich angelegte Wasserlauf rauschte über zwei riesige Findlinge und ergoss sich mit leisem Plätschern in einen Tümpel. Auf einer der fünf Seerosen hatte sich eine stahlblaue Libelle niedergelassen. Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen. Das Rauschen des Schilfs erinnerte mich an den Süden. Ich hatte das Biotop vor sieben Jahren mit eigenen Händen angelegt. Und in Augenblicken wie diesen schenkte mir der Anblick kurze Momente des Friedens. Besonders stolz war ich auf die erfolgreiche Ansiedlung von Triturus alpestris, Triturus vulgaris sowie Triturus helveticus. Seit nunmehr vier Jahren kehrten im Frühjahr Berg-, Teich- und Fadenmolche zum Teich zurück, um sich dort zu paaren.
Das Aufwachsen der Molchlarven in den Sommermonaten zu beobachten weckte in mir die Neugier des kleinen Jungen. Bereits im ersten Jahr hatten sich ein paar Wasserfrösche im Teich niedergelassen. Und welchem kleinen Jungen schlägt das Herz nicht höher, wenn er die Wandlung der Kaulquappe zum Frosch beobachten kann?
Ich räusperte mich und tauchte aus meinem Tagtraum an die Oberfläche zurück. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Rike, wie sie mit hängendem Kopf an ihrem Schreibtisch saß.
Verdammt, wir brauchen eine Trotzreaktion. Wir müssen kämpfen, murmelte ich halblaut mit Blick auf das Großraumbüro. Ich öffnete das Fenster mit einer offensichtlich zu dynamischen Armbewegung und schlug mir den Rahmen mit Wucht gegen das rechte Knie. Ich jaulte auf. Zum zweiten Mal innerhalb einer halben Stunde schossen mir vor Schmerz die Tränen in die Augen. Ich warf einen schnellen Blick in das Großraumbüro. Niemand hatte von meinem neuerlichen Missgeschick Notiz genommen. Ich biss auf die Zähne und sog die angenehme Abendluft tief durch meine Lungen.
Noch drei, vier Telefonate, dann ist Feierabend. Meine Stimme klang ein wenig mitgenommen und mir selbst fremd. Feierabend ist dann, wenn dir vor Erschöpfung die Augen zufallen, sprach ich, um mich selbst zur Konzentration zu mahnen. Ich beobachtete Annabelle Jacobi, wie sie beim Telefonieren mit den Fingern der freien Hand ihre Locken drehte. Sie schaute auf. Unsere Blicke trafen sich.
Am nächsten Morgen bestieg ich die Maschine nach Hamburg. Die Mitreisenden in der Business Class bestanden aus geklonten und von der Perle daheim passend eingekleideten Uniformträgern: blauer Anzug mit imitierten Goldknöpfen (wie bescheuert ist das eigentlich?), blau-weiß gestreiftem Hemd und blauer Krawatte (hier und da, als Ausdruck von Individualität, bedruckt mit lustigen Figuren). In der Regel starren sie auf ihr Laptop, bohren mit den Fingern in der Nase, kommandieren die Stewardess und furzen in die Sessel.
Ich lächelte in mich hinein: Während sie hier Obacht geben, keinen Tropfen Kaffee zu verschütten, amüsieren sich ihre Perlen daheim mit verschwitzten Klempnern in ölverschmierten Unterhemden, die sich über gestählten Oberkörpern spannten.
Nicht dein Problem: Ich schloss die Augen und sah mich in T-Shirt und Shorts an der Pinne eines kleinen Kutters sitzen, der sich langsam tuckernd einen Weg durch die Schilfstraßen suchte. Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, die ersten Krebse der Saison zu fangen. Ich war gerade im Begriff, die Handangel zu auszuwerfen, als ich verstört hochschreckte: Der Flieger hatte unsanft aufgesetzt. Jede Faser, jeder Muskel meines Körpers war verspannt.
Zum Lunch traf ich mich mit dem Chefredakteur einer großen Programmzeitschrift, besuchte anschließend die Redaktionen zweier Lifestyle-Magazine desselben Verlags, um am frühen Abend ein Bierchen mit dem Medienchef einer Nachrichtenagentur zu nehmen. Ich munterte ihn auf (St. Pauli wird mit Sicherheit bald wieder in der zweiten Liga spielen) und begab mich dann auf den direkten Weg ins Restaurant zu Marc Lensing.
Natürlich musste es Sushi sein. Keine Chance, ich hätte es wissen müssen. Marc nahm im Grunde genommen nichts anderes mehr zu sich.
»Alter, schön dich zu sehen. Wo drückt der Schuh?«
Marc kannte ich eine halbe Ewigkeit. Wir hatten zeitgleich bei einem privaten Fernsehsender der zweiten Generation angeheuert – und zwar ganz unten. Und da wir jung, gut und ehrgeizig waren, fielen wir schnell die Treppen hoch. Marc trug diese modernen Designerbrillen im Retrostil der ehemaligen Krankenkassengestelle, seitdem ich ihn kannte. Ansonsten scherte er sich nicht viel um Äußerlichkeiten. Meistens trug er verwaschene Jeans und seit Jahren aus der Mode gekommene karierte Jacketts. Marc kultivierte seinen Dreitagebart und war überdies als Eigenbrötler verschrien. Auf seinem Gebiet galt er jedoch als unschlagbar. Er schüttelte die jungen emporstrebenden Ja-Sager und Yuppies, die durch die Bank weg heiß auf seinen Stuhl im Sender waren, wie lästige Fliegen ab.
»Sag mal, was ist los, Alter. Wie lange kennen wir uns jetzt? Hast du vergessen, was ich für den Laden in den letzten Jahren bewegt habe? Wie viele Programme habe ich in den Olymp des Quotenhimmels gehievt und wie viele Urkunden habt ihr mir dafür verliehen?«
»Schau dir mal die Kellnerin an. Scharf, oder? Erinnert mich irgendwie an Salma Hajek. Mensch, dieses Lächeln und diese Beine. Die linst die ganze Zeit zu uns herüber.«
»Bekommst du überhaupt noch etwas mit?«, fragte ich entnervt.
»Na klar, sag ich doch, jetzt hat sie gelächelt.«
»Ihr drängt mich raus, und es ist dir egal?«
»Halt, was soll das? Du gestaltest doch alles für uns. Und niemand kann das besser als deine Agentur. Was willst du von mir?«
»Schon mal den Namen Niclas Fester gehört, hm?«
»Hmm? Ach dieser Typ. Ja, ich habe ihn mit Schluckspecht, pardon, unserer Pressechefin, gesehen.«
»Und klingelt’s?«
Salma Hajek bediente am Nebentisch und bückte sich nach einer heruntergefallenen Serviette. Ich schmunzelte und betrachtete Marc. Er verfolgte jede Bewegung dieser unendlich langen Beine in weißen Nylonstrümpfen, mit feierlicher Andacht im Blick. Ich schwöre, er sog den Duft jeder dieser Mikrofasern, die die weiche Haut von Salmas Beinen umschmeichelten, in sich auf.
»Ach was, die hat doch keinen Plan«, antwortete er schließlich mechanisch. »Die ist von der Geschäftsleitung als Ja-Sagerin installiert worden. Kann einem fast leidtun, die arme Wurst.
Absolut überfordert, null connected. Weshalb, meinst du wohl, bin ich in Hamburg? Habe den ganzen Tag mit dem Unterhaltungschef von TILT zusammengesessen. Eine Breitseite nach der anderen feuern die seit einer Woche gegen uns ab. Bei der nächsten Castingshow wollen sie dann jedoch wieder kooperieren und mit Geschichten über unsere Kandidaten Auflage machen.«
»Weshalb gehst du denn zu Seidenkranz? Das ist doch Sache von Schluckspecht!«
»Machst du Witze? Der nimmt die zum Frühstück! Nein, ich hab richtig auf den Putz gehauen, Alter. Ich lasse mich von diesem verkommenen Westfalen doch nicht in die Ecke drängen.«
»Hmm!«
»Was heißt hmm?«
»Weshalb kooperiert ihr weiterhin mit diesem Blatt? Du denkst, du steigerst deine Quoten, indem du dir von denen dein Programm und deine Stars durch den Dreck ziehen lässt? Verkauft ihr später eine Platte mehr, nur weil die Sängerin in der großen TILT-Serie blankgezogen hat? Ich sag’s dir: Nein!«
»Immerhin, der Hype bringt Aufmerksamkeit.«
»Welche denn? Positive? Erreichst du über dieses Blatt, dessen Auflage sich im Sturzflug befindet, deine Zuschauer? Glaubst du das? In die Breite kannst du auch auf anderen Wegen kommunizieren. Die Menschen erreichst du über andere Kanäle!«
»Wie denn?«
»Fragt doch euren Herrn Fester!«, schnaufte ich verächtlich und winkte Salma Hajek an unseren Tisch.
Wir hätten gerne noch eine Flasche von diesem wunderbaren Rotwein, deutete ich in Zeichensprache an.
Einen Moment später erschien sie an unserem Tisch, und ich schaute ihr beim Entkorken und Einschenken tief in die Augen. Sie erinnerte mich an irgendeine Frau. Ich zerbrach mir den Kopf, kam jedoch nicht darauf und gönnte mir einen tiefen Blick in ihr Dekolleté.
»Solche Bedienungen gibt es nur in Sushi-Restaurants«, flüsterte Marc gerade so laut, dass sie es hören konnte. »Jetzt sag mir endlich, wo dein Problem liegt?«, seufzte er, während sein Blick wie paralysiert Salmas Hintern folgte.
»Ach … «
»Na, komm schon, wir kennen uns zu gut. So angefressen habe ich dich selten gesehen.«
»Jetzt tu nicht so, als ob du nicht wüsstest. Die letzten beiden Aufträge sind nicht an uns, sondern an Fester vergeben worden. Und das, obwohl er sich erstens im TV-Geschäft nicht auskennt, zweitens unser Angebot wie immer günstiger war. Und drittens: Wer denkst du, kennt den Laden aus dem Effeff? Fester oder ich?«
»Verdammt!« Marc schlug mit der Faust dermaßen laut auf den Tisch, dass die versammelte Mannschaft von Heringsfressern zu uns herübersah. »Das kann ich nicht glauben! Na warte, der Kleinen werde ich morgen einen Einlauf verpassen! Wer glaubt die, wer sie ist? Von irgendwem erhält sie Rückendeckung: Doch das bekomme ich heraus, mein Lieber. Verlass dich auf mich.«
Marc polterte und schlug erneut in die Dekoration.
»Stimmt etwas nicht? Kann ich ihnen helfen?«
Wir schauten beide wie hypnotisiert auf diese vollen Lippen und entschuldigten uns mit beschwichtigenden Handzeichen. Im gleichen Moment hörte ich ein »Das darf nicht wahr sein, Tooooooom. Tom, du alter Schweinehund!«
Ich drehte mich über die Schulter, und da sah ich ihn auch schon mit seinen Einzweiundneunzig auf mich zusteuern. Das Leben hatte tiefe Falten in sein Gesicht gezeichnet, und seine Haare waren hier und da schon etwas schüttern. Mein alter Freund, J.B.
»Altes Haus!« Ich sprang auf und umarmte ihn herzlich. »Sag mal, weshalb meldest du dich nicht, wenn du in Hamburg bist? Da muss ich doch glatt eingeschnappt sein!«
Ich bot J.B einen Platz an und orderte ein weiteres Glas!
»Habt ihr diese Beine gesehen?«, flachste er, als Salma sich lächelnd mit einer leeren Flasche Rotwein von unserem Tisch entfernte.
»Und was machst du hier?«, fragte ich verwundert.
»Bestimmt keinen toten Fisch essen, Alter! Kennst mich doch, komme gerade von der Dönerbude.«
»Und?«
»Ach, schau dir doch diese Beine an, Tom. Weshalb, glaubst du wohl, bin ich hier?«
Kaum zu glauben, J.B. hatte immer noch dieses feine Näschen. Ich kannte ihn, seitdem er als Volontär bei diesem großen Hamburger Nachrichtenmagazin angeheuert hatte. Mittlerweile war er Ressortleiter Modernes Leben und Medien. Ich fühlte mich wohl in dieser Runde und erlebte einen der angenehmsten Abende der letzten Monate. Alle Probleme schienen plötzlich wie weggewischt. Der Abend hat erst begonnen, so versicherte uns J.B. Anschließend sollten wir ihn unbedingt zum Bergfest einer Produktionsfirma begleiten, die gerade eine neue Comedy-Sitcom für den Privaten in Berlin produzierte. Wir redeten über dies und das – belanglose und wichtige Themen – und hoben erst wieder die Köpfe, als sich dieser indische Rosenverkäufer vor uns aufbaute. Was soll ich sagen? J.B. kaufte den kompletten Strauß und überreichte ihn Frau Hajek mit hochrotem Kopf beim Begleichen der Rechnung. Er steckte ihr zudem noch eine Karte zu:
»Wenn du Lust hast, dann komm doch gleich rüber, ich habe dich auf die Gästeliste setzen lassen.«
»Mann o Mann!«, flüsterte J.B. immer wieder, als wir draußen auf der Straße im Nieselregen nach einem Taxi Ausschau hielten. »Ich habe mich endlich getraut, Jungs. Ich danke euch! Seit Wochen latsche ich jeden Abend in den Laden. Ob sie wohl vorbeikommen wird? Na, was meint ihr?«
Die Produktionsfirma hatte sich nicht lumpen lassen. Das Buffet war erste Sahne, und ins Set von »Tankwart Kruse« (so der Arbeitstitel der Comedy) hatten sie eine Cocktailbar hineingezimmert. Ich bestellte eine Runde Planter’s Punch und ließ den Blick durch die illustre Runde schweifen. Die Darsteller der Sitcom, der Regisseur und der Produzent standen im Mittelpunkt und ließen sich gerade von drei, vier Fotografen für die lokalen Klatschspalten ablichten. Natürlich durften die unnützen VIVA-VJs ebenso wenig fehlen wie die IT-Girls, Luder und die längst vergessenen Kandidaten irgendwelcher Castingshows. Gestern Superstar und heute vergessen oder Moderator bei einem Quizsender. Der schmächtige schwule Programmdirektor schmiss sich gerade an einen jungen, ebenso schwulen Maskenbildner heran. Ich beobachtete, wie der Produzent im weißen Hemd, den gestärkten Kragen lässig über das Revers geschlagen, sich den beiden näherte. Es machte den Eindruck, als wolle er mitspielen.
»Sind denn hier alle schwul?«, fragte ich.
»Hm, glaub nicht. Schau dir doch die Perle des Chefredakteurs an. Na, meinst du, sie bekommt den Schauspieler rum?«
Marc lag richtig. Mindestens dreißig Prozent der Anwesenden waren heterosexuell. Und wie zum Beweis entdeckte ich den selbstverliebten Gockel der Teenie-Postille, der von Musik genauso viel verstand wie meine Großmutter von Corel Draw. Er hatte fünf milchgesichtige Bubis um sich versammelt. Eine Band. Ich beobachtete, wie er ihnen einen Vortrag hielt, und hoffte inständig, dass sie seinem abgedroschenen Boulevardgewäsch keinen Glauben schenken würden. Im Übrigen hatten sich an diesem Abend die üblichen Verdächtigen versammelt: Brave Senderredakteure ließen sich die eigene Serie von den Machern der Produktionsfirma erklären. Eine kahl geschorene Aufnahmeleiterin, als Hardcore-Lesbe verschrien, lief mit Aufnahmeheadset durch die Dekoration. Aufgewühlte Caster wurden von arbeitslosen Schauspielern umringt, und umtriebige Boulevardredakteure geiferten nach einer Sensationsgeschichte. J.B. folgte meinem Blick.
»Die Kleinsten sind meist die Unangenehmsten«, schmunzelte er.
»Solange sie fair bleiben, kann ich mit allen leben«, antwortete ich.
Marc prustete, schüttelte den Kopf, lachte und winkte ab, während er uns einen neuen Drink besorgte, um wenig später mit einem bekannten Gesicht aufzutauchen.
»Hey, Tom, kennst du den?«
Ich schaute verdutzt. Vor mir stand Jack und begrüßte mich mit seinem unnachahmlichen britischen Akzent. Wir hatten uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Mitte der Achtziger hatte er vor der Kamera gestanden, später einen Versuch als Programmdirektor unternommen. Ja, ich erinnerte mich, er sprach bei unserer letzten Begegnung davon, sich ganz und gar dem Schreiben von Drehbüchern zu widmen.
»Du bist der Autor von ›Tankwart Kruse‹?«, fragte ich ungläubig. »Das verspricht dann wohl der erste Quotenhit mit echt schwarzem britischem Humor zu werden, oder?«
»Na, lass dich überraschen«, grinste Jack. »Du kennst sie ja, die Deutschen. Den Großteil der Ecken und Kanten haben sie schon weggefräst. Und der Feinschliff will come soon – feiges Pack!«
Ich freute mich für Jack. Er war immerzu von kreativen Ideen getrieben, und nach einer langen Durststrecke schien er nun endlich unter den Autoren Fuß gefasst zu haben. Wir setzen uns an die improvisierte Bar, zwischen die Zapfsäulen des Sets, und bestellten eine weitere Runde. Wir waren mittlerweile auf »Sex on the Beach«, und ich wollte nicht wirklich wissen, was mein Schädel am nächsten Morgen davon halten würde.
»Jetzt schau dir die Kleine des Chefredakteurs an. Wenn der wüsste.« J.B. schüttelte ungläubig den Kopf.
Die für meinen Geschmack etwas zu dürre Lady rieb sich inzwischen am Actiondarsteller, lächelte und sah ihm tief in die Augen.
»Schau dir die Hose an«, bemerkte Marc.
»Alter, glaubst du, wir sind blind?«, frotzelte J.B. und deutete auf die Stelle, an der sich gerade drei Augenpaare festsaugten. Der Stoff der leichten Sommerhose war transparent. Und ihr Unterleib befand sich exakt im Lichtkegel des Spots, der sie von der Seite anleuchtete.
»Das ist doch immer wieder ein erhebender Anblick«, grinste Marc.
»Jetzt fangt nicht an zu sabbern, Jungs. Wir sollten uns unauffällig an ihrem Anblick ergötzen«, mahnte ich.
»Ja, lass uns über Frauen reden«, grinste J.B. »Was ist eigentlich aus deiner großen Liebe, aus Valerie, geworden?«
»Oh Mann, die war auch nicht ohne!« Marc schüttete den Cocktail auf ex.
Ich fasste die Ereignisse der letzten Monate in knappen Sätzen zusammen, entschuldigte mich und machte mich auf den Weg zum stillen Örtchen. Aber der Ort war alles andere als still, und ich brauchte mehr Zeit als gewöhnlich, um mir mit kaltem Wasser den Nacken zu massieren. Es war unüberhörbar, dass es sich dort in der angrenzenden Kabine zwei so richtig gründlich besorgten. Lautlos verziehen, mahnte ich mich, schritt auf Zehenspitzen zur Tür und rammte im gleichen Moment mit einem ohrenbetäubenden Lärm die Zarge. »Scheiße!«, fluchte ich laut und hielt mir die Stirn. Die lustvollen Geräusche waren verstummt. Als ich mich wenig später neben meinen Freuden an der Bar niederließ und ein Eis-Pack zum Kühlen meiner Stirn orderte, klingelten mir noch immer die Ohren.
»Sag mal Alter, wir waren gerade bei deiner neuen Büroperle. Wie heißt sie doch gleich?«
»Meint ihr Annabelle?«, fragte ich und schaute etwas belämmert in die Runde.
»O Mann! Ja, die meine ich«, grinste Marc.
»Scheint eine ganz schön Pfiffige zu sein, wie man hört.«
»Und«, ergänzte J.B., »sieht verdammt gut aus, die Kleine. Single, oder?«
»Soweit ich weiß«, erwiderte ich lakonisch.
»Mann o Mann, jetzt hört ihn euch an. Als ob du noch keinen Blick auf die Schnecke riskiert hättest. Erzähl uns nichts, Tom.
Unglaublich, der Mann«, lächelte J.B. mit einem unverschämten Grinsen.
»Ich kann mir die beruflichen Besprechungen auf deiner Terrasse lebhaft vorstellen«, lachte Marc.
»Du hast zu viel Fantasie, mein Lieber. Ich kenne sie tatsächlich nicht.«
»Jedenfalls hat sie einen super Arsch«, grinste Marc.
»Halt! An dieser Stelle muss ich Protest einlegen!« J.B. suchte nach Worten – und endlich:
»Sagtest du Arsch? Junge, Junge, für meinen Geschmack hat sie ein wahrhaft königliches Hinterteil. Wir sollten unserem Freund Tom doch keinen schlechten Geschmack unterstellen«, flachste er. »Im Gegenteil. Tom hat ein Auge dafür. Und sie hat einen fürwahr majestätischen Hintern. Ihr wisst schon, nicht diesen verhungerten Model-Hintern, den du mit einer Hand umspannen kannst. Auch nicht einer mit traurigen Hängebacken, kein Birnen- und kein Apfelarsch – und erst recht nicht den eines Brauereipferdes. Ich hab sie mir ganz genau angesehen, Freunde. Der Hintern hat genau den richtigen Schuss leichter Obszönität. Ein Hintern, der uns Typen in die Knie zwingt. Ein Ausrufezeichen zwischen Taille und Oberschenkel. Und wie sie ihn beim Gehen wiegt … Ich sage euch, solch einem Hinterteil könnte ich wie ein winselnder Hund bis ans Ende der Welt folgen. Ich muss lange überlegen, wo ich solch einen geilen Hintern das letzte Mal zu Gesicht bekommen habe.«
»Shakira!«, flötete ich unschuldig.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass J.B. zunehmend unruhiger auf seinem Hocker zappelte. Hatte ihn der Gedanke an Annabelles Hintern etwa dermaßen aus der Fassung gebracht? Oder hatte Salma Hajek den Raum betreten?
»Jetzt schaut euch das an«, flüsterte er.
Mit einer unmerklichen Kopfbewegung zeigte er in Richtung Actiondarsteller. Doch alle Augen saugten sich an seiner Begleitung fest. Wir starrten dorthin, wo vor kurzem sehr viel Reibung das angerichtet hatte, was sich nun in aller Offenheit vor unseren Augen auftat. Der nasse Stoff im Schritt umspannte ihr Geschlecht wie eine zweite Haut.
»Jetzt schaut, wie die sich anschmiegt. Ein Wunder der Natur«, stammelte Marc.
»Ein Anblick voller Poesie, ein Kunstwerk zum Niederknien«, seufzte J.B.
»Vielleicht sollten wir ihnen ein Handtuch reichen?«, lächelte ich. Wir schüttelten die Köpfe und bestellten uns schließlich jeder einen weiteren Drink, um uns zu beruhigen.
Ich erblickte ihn beim Betreten der Tankstelle und spürte im gleichen Moment die Wut in mir aufkeimen.
»Jungs, ich fürchte, der entspannte Teil des Abends neigt sich dem Ende zu.«
J.B. sah mich fragend an.
»Das ist Niclas Fester«, erklärte ich.
»Und schau dir seine Begleitung an, Marc!«
Arm in Arm stand dieses geleckte Arschloch mit der Pressechefin der Alleenstraße am Buffet und schlürfte Champagner rosé. Niclas Fester war knapp einen halben Kopf kleiner als ich, doch das tat seinem Auftritt keinen Abbruch. Er war jederzeit weltmännisch gekleidet: Die edelsten Anzüge, zumeist in Blau, das obligatorische Einstecktuch, das penibel drapierte Halstuch und die auf Hochglanz polierten Schuhe wurden nur von der Stärke seiner weißen Oberhemden übertroffen. Er reckte sein spitzes Kinn stolz zur Decke und rümpfte seine fein gezeichnete Charakternase, als er uns erblickte. Seine wasserblauen Augen schienen hellwach, der Seitenscheitel im dichten braunen Haar wie in Stein gemeißelt. Niclas Fester hatte letzte Woche seinen 42. Geburtstag gefeiert (man sollte seine Gegner im Auge behalten). Ehrlicherweise musste ich jedoch eingestehen, dass er mit seinem leicht gebräunten Teint und dem durchtrainierten Körper locker als 35-Jähriger durchgehen konnte. Man munkelte, er gehe drei Mal pro Woche ins Fitnesscenter. Er war Vegetarier, trank selten Alkohol und rauchte keine Zigaretten. Kein Wunder, dass er sich so gut hielt. So wie es aussah, drohte ihm keine der branchenüblichen Herzattacken.
»Geleckter Affe!«, entfuhr es mir.
»Na warte, die Kleine kaufe ich mir!« Marc räusperte sich und schwankte bedenklich, als er sich von der Theke abstieß.
Ich stammelte ein »Jetzt nicht!« hervor und versuchte ihn am Saum seines Sakkos zurückzuhalten. Doch es war zu spät. Wenige Augenblicke später baute er sich wild gestikulierend vor Schluckspecht auf, während Niclas Fester sich langsam und mit eingezogenem Kopf in Richtung Tanzfläche bewegte. Und mich überkam nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass mich Fester an irgendwen erinnerte. Doch ich hatte mir schon zu oft das Hirn vergeblich darüber zermartert. Ich würde auch heute keine Antwort auf meine Frage finden.
Als die Dinge ein wenig später augenscheinlich aus dem Ruder liefen, baute ich mich räuspernd neben Marc auf. Ich erinnerte ihn laut und in aller Deutlichkeit an unseren Anschlusstermin, während Schluckspecht demonstrativ auf ihre Lackschuhe schaute. Kurze Zeit später verabschiedeten wir uns und wankten zum Ausgang.
Die Nacht fand schließlich doch noch ein versöhnliches Ende: Wir kehrten in eines dieser Etablissements ein, wo das Bier 30 Euro kostet und die Bedienungen so desillusioniert aus der Wäsche schauen wie kurz vor der Pensionierung stehende Heimleiterinnen. Als die Chefin jedoch herausfand, dass Marc und ich im Rheinland verwurzelt waren, schlug die Stimmung urplötzlich um. Das Bier floss aufs Haus, und die Mädels auf der Drehscheibe spreizten ihre Schenkel nunmehr zu »Mer losse d’r Dom in Kölle« – im Übrigen eine sehr bizarre Performance.
Beim Betreten des Büros fielen sie sofort ins Auge: Trophäen. Eine Wand war komplett mit Gold- und Platinplatten behangen, die andere mit Titelproduktionen großer Blätter für Auftraggeber und eigene Künstler. Ich schüttelte den Kopf: Schnee von gestern. Meisterschaften und Pokale – sind sie auch noch so jung – zählen nichts. Ausschlaggebend ist allenthalben die Gegenwart. Doch was wirklich zählt, das ist das Morgen.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und durchblätterte die wichtigsten Tages- und Boulevardzeitungen, bevor ich im Internet die TV-Quoten des Vortags checkte. Ich liebte diese frühen Stunden im Büro. Ungestört von permanent klingelnden Leitungen, fand ich zumindest für kurze Momente Ruhe. In einer Stunde würden sich die ersten Mitarbeiter einfinden. Meine Stirn warf sorgenvolle Falten, als ich die Bilanzen der letzten Wochen studierte. Ernüchternd war zudem der Blick in die Auftragsbücher der kommenden Monate. Diesmal ging kein Weg daran vorbei: Ich würde zum ersten Mal die Kriegskasse plündern müssen, um nicht tief in die roten Zahlen zu rutschen. Drei Pitches standen in diesem Monat noch aus, und ich hoffte inständig, dass alle Aufträge an Propaganda gehen würden. Eines war klar: Sollte sich die Auftragslage nicht sehr bald bessern, sah ich mich gezwungen, Stellen abzubauen.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte ich laut vor mich hin. »Wie konnte das passieren?«
Nahezu 15 Jahre meines Lebens steckten in dieser Agentur – und ich hatte alles gegeben: Zu Beginn war Propaganda klein, aber fein, hatte exquisite Aufträge, und die Anzahl der Kunden und Mitarbeiter wuchs stetig. Nach fünf Jahren führte kaum ein Weg an uns vorbei. Die wichtigsten Medienprojekte liefen über unsere Tische. Wir halfen, Fernsehgeschichte zu schreiben, und wechselten zwei Mal das Büro, da die Räume jeweils für die ständig wachsende Zahl an hoch qualifizierten Mitarbeitern zu klein geworden waren. Und jetzt? Nach nicht einmal einem Jahr, in dem ich die Zügel hatte schleifen lassen, geriet der Kahn gehörig ins Schlingern.
Als ich die Magazine durchblätterte, fiel mir eine aktuelle Marketing-Fachzeitschrift für Werben und Verkaufen in die Hände. Ich atmete tief durch und traute meinen Augen nicht. Vom Titelblatt lächelte dieser unsagbare Niclas Fester! Im Innenteil entdeckte ich eine zweiseitige Reportage über seine Agentur: unerträglich, wie er in einem dreiseitigen Interview über die Medien, das Entertainment und modernes Fernsehen schwadronierte. Dabei beweihräucherte er sich selbst für seine Verdienste und hob die Leistungen seiner Agentur in den Olymp des Who’s who. Als ich schließlich ein weiteres Interview mit ihm in einem Nachrichtendienst las, war der Tag für mich gelaufen.
»Verdammt, wie stellt dieser Typ das an”, fluchte ich laut vor mich hin.
Dabei wusste ich nur zu gut, dass Eigen-PR von jeher das Stiefkind von Propaganda war. Meine Philosophie: Die Arbeitskraft zum Wohl des Kunden bündeln und selbst im Hintergrund agieren. So hatte ich es immer gehalten. Sinnbildlich ist das mit dem Schuster zu vergleichen, der selbst mit zerlöcherten Sohlen herumläuft, damit seine Kunden keine nassen Füße bekommen.
»Diese Einstellung solltest du hinterfragen und dir eine neue Strategie zulegen”, sagte ich halblaut.
Sollte ich mich tatsächlich selbst dazu verurteilen, auf diesen sinnlosen Panels Platz zu nehmen? Auf diesen Veranstaltungen, wo ewig und drei Tage ständig der gleiche Mist von irgendwelchen Theoretikern durchgekaut wurde? Würden die Leute etwa wieder mehr Respekt vor mir zeigen, wenn ich all das was ich tat und was meine Firma umsetzte, lauthals herausschrie?
»Um Gottes willen”, flüsterte ich.
Doch ich wusste, wenn es helfen würde die Lage zu verbessern, so wäre ich auch dazu bereit.
Bereits vor Monaten schwante mir, dass der Wiedereinstieg kein Zuckerschlecken werden würde. Dabei hatte ich Niclas Fester nicht einmal auf der Rechnung gehabt. Doch es sollte noch bitterer kommen: Als ich den Wirtschaftsteil einer großen Tageszeitung aufschlug, grinste mir seine Fratze tatsächlich zum dritten Mal an diesem Morgen entgegen. Ich betrachtete das Bild. Und wieder schoss mir die Frage durch den Kopf: Verdammt, an wen erinnerst du mich? Das Foto zeigte ihn hinter einem imposanten Schreibtisch sitzend. Sein Lächeln war rasiert, das blaue Einstecktuch mit den weißen Punkten saß akkurat. Das Interview allerdings schlug dem Fass den Boden aus. Nach seinem Konkurrenzumfeld befragt, antwortete der Nestbeschmutzer tatsächlich: »Die einzige Konkurrenz bis vor einem Jahr war Thomas von Krämer mit seiner Agentur Propaganda. Doch auch hier haben wir jede Menge Terrain gutgemacht und konnten treue Auftraggeber von Propaganda davon überzeugen, dass wir den weitaus besseren Service zu marktgerechteren Konditionen anbieten. Und was soll man von einer Agentur halten, dessen Kopf es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit seiner Jacht die Südsee zu durchkreuzen?«
Ich hatte einiges erlebt im Laufe der Jahre, doch dass jemand einen Kollegen über die Printmedien unmotiviert und polemisch angriff, war noch nie da gewesen. Mir blieb die Spucke weg.
»Okay, Mr. Fester«, sagte ich laut. »Ab jetzt wird mit harten Bandagen gekämpft.«
»Was ist los, Herr von Krämer?«
Ich schaute hoch und erblickte Annabelle.
Tatsächlich hatte ich in meinem Groll nicht bemerkt, wie sie das Büro betreten hatte. Mit voller Wucht pfefferte ich die Zeitschriften auf ihren Tisch, so als sei es ihre Schuld, und schrie:
»Schau dir dieses verdammte Arschloch an. Der kann sich auf etwas gefasst machen.«
»Oh!« Sie überflog den Artikel und schüttelte ihre blonden Locken. »Und was haben Sie nun vor, Herr von Krämer?«
»Ich werde zunächst einige Telefonate führen und subtil Stimmung gegen ihn verbreiten«, gab ich mich selbstsicher. »Und bei den nächsten Pitches wird er in die Röhre schauen. Diesen blutigen Anfänger mache ich fertig! Das schwöre ich!«
Sie stellte verstört ihre Tasche unter den Tisch und wandte sich zur Garderobe, um ihre Jacke auszuziehen.
»Möchten Sie vielleicht auch einen Kaffee?«
»Sie, Annabelle, rufen auf der Stelle ein Meeting mit Nils, Rike und Carsten ein. Ich möchte, dass wir den ganzen Tag zusammensitzen, um gemeinsam diese drei Konzepte auszuarbeiten. Lassen Sie alle anderen Termine absagen.« Ich drehte mich auf dem Absatz um und trat gegen einen Stapel Aktenordner. »Halt, ich benötige noch einen Termin mit unserer Managementabteilung. Sagen wir, von 18.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Okay? Und, Kaffee ist eine gute Idee, bringen Sie mir bitte einen mit, Annabelle.«
Es stimmt, ich war nicht unbedingt als Gemütsmensch verschrien. Eher sah man mich rasch aufbrausend, immer das Maximum von mir selbst und meinen Mitarbeitern fordernd. Doch an diesem Morgen erhielt meine Wut eine neue Qualität, ich befand mich am Rande eines cholerischen Anfalls.
»Die Lage ist ernst!« Mit diesen Worten eröffnete ich das Meeting. »Die Auftragslage ist alarmierend, die Einnahmen der letzten Monate um 50 Prozent rückläufig. Mit Medienkontor Fester haben wir zudem nicht nur einen neuen Konkurrenten, sondern seit heute auch einen Feind.«
Ich wendete mich zum Fenster und sah in die Ferne, bis die Wut wieder in mir hoch kochte: »Was habt ihr eigentlich die ganze Zeit über angestellt, als ich mich im Ausland befand? Ich meine, hier arbeiten fast 30 Leute! Also, wo liegt das Problem?« Ich schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass Carstens Glas umkippte und die Papiere unter Wasser setzte. »Ich will es euch sagen! Fast vor die Wand gefahren habt ihr den Laden!«
Ich wusste, diese Aussage war unfair. Im Grunde genommen waren alle leitenden Mitarbeiter fähig, ihre eigene kleine Company zu führen. Jeder von ihnen hatte mindestens zehn Jahre Berufserfahrung vorzuweisen.
»Doch damit ist jetzt Schluss«, flüsterte ich kaum hörbar. »Wir müssen kämpfen – und es muss schnell gehen! Andernfalls gehen wir den Bach runter.«
Ich sah in betroffene Mienen. Carsten polierte mit der rechten Hand nachdenklich seine Glatze, und in Rikes rundlichem Gesicht zeichneten sich tiefe Sorgenfalten ab.
»Ja, so ernst ist es Leute! Ich schaue mir das noch zwei Monate an. Wenn bis dahin keine Besserung in Sicht ist, wird es Personaleinschnitte geben. Und ich brauche nicht zu erwähnen, dass in solch einem Fall zunächst die gehobenen Gehälter dran sind.« Ich warf einen Blick in die Runde und sah jedem für einen kurzen Moment in die Augen.
»Versteht mich richtig. Das ist keine Willkür. Um jeden von euch würde es mir leidtun. Doch wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Es liegt in unserer Hand. Lasst uns angreifen. Wir schaffen das, glaubt mir! Doch zunächst einige Umstrukturierungen.«
Die Entscheidungen, die ich nun verkündete, hatte ich innerhalb der letzten zehn Minuten gefasst. Mein Bauchgefühl hatte mich noch nie im Stich gelassen.
»Wir müssen unsere Spitze neu organisieren. Nils, du hast eine prima rechte Hand für Theo abgegeben. Doch jetzt bin ich wieder hier, und wir stehen uns bei einigen Aufgaben zu sehr auf den Füßen. Ich möchte, dass du dich ab heute voll und ganz um die Vermarktung, die Positionierung und die Eigen-PR von Propaganda kümmerst. Ich will auf jedem verdammten Panel zwischen München und Berlin einen aus dieser Runde hier vertreten wissen. In jedem noch so bescheuerten Medienhandbuch will ich Anzeigen von uns sehen. Ich möchte in den nächsten Monaten in allen relevanten Publikation Artikel über unsere Agentur lesen. Ach ja, und biete mich ruhig als Interviewpartner an. Wer weiß, vielleicht wird das zu meinem neuen Hobby. Carsten, du stellst Nils zur Unterstützung seiner Aufgaben eine Volontärin zur Seite!« Ich schaute in die Runde. Carsten massierte seine Glatze, während er mit dem Kopf nickte.
»Fragen? Anmerkungen? Anregungen?«
Zunächst ein stummes Nicken und dann beifälliges Gemurmel.
»Das macht Sinn«, grinste Nils. »Wir sollten allerdings neue Porträtfotos mit dir produzieren. Ich meine wegen der Interviews und Artikel.«
Ich schaute ungläubig aus der Wäsche.
»Soll doch alles professionell aussehen, oder? Schau dir den dynamischen Fester an. So ein Foto macht etwas her.«
»Darüber machst du dir Gedanken? Na, den Humor scheinst du jedenfalls nicht verloren zu haben.« Ich grinste, und dann fiel mein Blick auf die ein wenig verwirrt dreinblickende Annabelle Jacobi: »Oh, eine wichtige Entscheidung habe ich noch nicht mitgeteilt. Sie, Annabelle, sind ab heute meine rechte Hand.«
Ich machte mich mit Carsten, Rike und Annabelle umgehend an die Arbeit, während Nils augenblicklich seinen Special-Agent-Job aufnahm. Wir schafften es tatsächlich, nahezu ungestört an den Konzepten zu arbeiten. Gegen 15 Uhr bestellten wir den Pizza-Service und gingen danach an die Feinarbeit. Wir diskutierten uns die Köpfe heiß. Die Ideen sprudelten, wir waren an diesem Tag ein nicht enden wollender Quell der Kreativität. Annabelle hatte in ihrem bordeauxfarbenen Minirock – der zudem seitlich leicht geschlitzt war – neben mir Platz genommen. Welch sündiger Anblick! Ihre Nylonstrümpfe knisterten leise, wenn sie ihre langen Beine übereinanderschlug. Und zugegeben, ich begann diese kleine Spannung zu genießen, die sich bei mir einstellte, wenn ich sie aus den Augenwinkeln betrachtete. Die Blicke, die sie mir über ihre Lesebrille zuwarf: offen und warm. Doch was bedeutete dieses Funkeln in ihren Augen? Bildete ich es mir am Ende ein, oder steckte sie nur für mich den Bleistift hin und wieder nachdenklich zwischen ihre vollen Lippen? War es ein Ausdruck von Konzentration, oder wollte sie mich damit ein wenig aus der Fassung bringen? Ich hätte bei diesem Seminar non-verbale Kommunikation aufmerksamer zuhören sollen, dann hätte ich mir diese Frage jetzt nicht stellen müssen. Ihre Lippen hatten den Schwung, der Männer träumen lässt.
An meine weiblichen Leser: Nein, ich möchte Annabelle weder auf ihre Äußerlichkeiten reduzieren noch mein Interesse an ihr auf einem sexuellen Hintergrund diskutiert wissen. Wie ich bereits erwähnte, ich hatte vor allen Dingen ihren scharfen Sachverstand und das analytisches Denken zu schätzen gelernt. Allerdings möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ihr Körper mit Fortdauer der Sitzung einen immer betörenderen Duft verströmte.
Gegen 18 Uhr erhielt ich einen Anruf auf meinem roten Telefon. Die Nummer besaßen nur eine Handvoll Leute. Ich ließ es drei Mal klingeln, bevor ich abhob:
»Kai, altes Haus. Wie geht’s?«
»Tom, ich wollte dich an unseren Abend im Blue Moon erinnern. 21 Uhr, du kommst doch, oder?«
»Klar, habe ich fest auf dem Schirm«, antwortete ich. »21 Uhr Blue Moon, see ya!« Dann legte ich auf. Kai war mein ältester Freund.
»Sie gehen ins Blue Moon?«, fragte Annabelle Jacobi ungläubig. »Das ist doch so ein Punk-Schuppen, oder?«