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Fußnoten

Autoren von Bahnhofsliteratur, die sich über ihr mangelndes Ansehen ärgern (und dabei einen ebenso komischen Anblick bieten wie Autoren von Hochliteratur, die über ihre Verkaufszahlen klagen), beschwören zum Beweis ihres Wertes routinemäßig einen von zwei Vergleichen herauf: Dickens, der ihre Breitenwirkung gelobt hätte, und Orwell, dem ihr »einfacher« (d.h. trivialer) Stil gefallen hätte.

Vorwort

Das ist es, vereinfacht und grafisch ausgedrückt, woran ich als Leser wie als Schriftsteller seit jeher glaube. Literatur erklärt und erweitert das Leben mehr als jede andere schriftliche Form. Natürlich erklärt auch die Biologie das Leben, ebenso die Biografie, die Biochemie, Biophysik, Biomechanik und Biopsychologie. Aber sämtliche Biowissenschaften müssen hinter der Bioliteratur zurücktreten.

Daher geht es in den meisten Beiträgen in diesem Buch um Romanliteratur und ihre verwandten Formen: das erzählende Gedicht, den Essay, die Übersetzung. Wie diese Literatur wirkt und warum sie wirkt und wann sie keine Wirkung zeigt. Wir sind, im tiefsten Inneren, erzählende Wesen und immer auf der Suche nach Antworten. Die beste Literatur liefert nur selten Antworten, aber sie formuliert die Fragen ganz ausgezeichnet.

J. B.

Einige Jahre vor ihrem Tod nahm ich mit Penelope Fitzgerald an einem Podiumsgespräch an der Universität York teil. Ich kannte sie flüchtig und bewunderte sie zutiefst. Ihr Auftreten war schüchtern und leicht zerstreut, als wollte sie auf keinen Fall für das gehalten werden, was sie damals war: die beste lebende Romanschriftstellerin Englands. Daher gab sie sich, als wäre sie eine harmlose, Marmelade einkochende Großmutter, die sich kaum in der Welt zurechtfindet. Das war nicht allzu schwer, schließlich war sie tatsächlich Großmutter und kochte – eine der kleinen Enthüllungen in ihren gesammelten Briefen – Marmelade (und Chutney) ein. Aber die Tarnung konnte nicht überzeugen, da immer wieder, gleichsam gegen ihren Willen, ihre außergewöhnliche Intelligenz und ihr instinktiver Scharfsinn aufblitzte. Beim Kaffee bat ich sie, mir meine beiden Lieblingsromane von ihr zu signieren: The Beginning of Spring [Frühlingsanfang] und The Blue Flower [Die blaue Blume]. Sie kramte lange in der schweren Plastiktasche herum – lila mit einem Blumenmuster, soweit ich mich erinnere –, die alles Nötige für den Tag enthielt. Schließlich kam ein Füllfederhalter

Die Veranstaltung ging weiter. Danach wurden wir zum Bahnhof von York gefahren, um gemeinsam die Rückreise nach London anzutreten. Bei der Einladung hatte ich zwischen einem bescheidenen Honorar und normaler Anreise oder keinem Honorar und Erste-Klasse-Ticket wählen dürfen. Ich hatte mich für das Zweite entschieden. Der Zug fuhr ein. Ich ging davon aus, dass die Universität einer achtzigjährigen Autorin ihres Kalibers unmöglich etwas anderes als ein Ticket für die erste Klasse gegeben haben konnte. Doch als ich zu unserem vermeintlichen Wagen gehen wollte, sah ich, dass sie sich in eine bescheidenere Richtung aufmachte. Selbstverständlich schloss ich mich ihr an. Worüber wir auf der Fahrt sprachen, weiß ich nicht mehr; vielleicht erwähnte ich den seltsamen Zufall, dass wir beide unser literarisches Hardcover-Debüt im selben Buch (The Times Anthology of Ghost Stories aus dem Jahr 1975) gegeben hatten; womöglich stellte ich die üblichen dummen Fragen danach, woran sie gerade arbeite und wann ihr nächster Roman erscheinen werde (wie ich später erfuhr, log sie Fragesteller oft an). In King’s Cross schlug ich vor, uns ein Taxi zu teilen, da wir beide im selben Teil von Nord-London wohnten. Oh nein, antwortete sie, sie werde die U-Bahn nehmen – schließlich habe sie vom Bürgermeister von London so eine wunderbare Dauerkarte geschenkt bekommen (bei ihr hörte sich das an wie ein persönliches Geschenk statt wie etwas, was

Wie

Dennoch folgte die öffentliche Anerkennung, als sie dann kam, keiner erkennbaren Bahn und ging mit einem spürbaren Maß männlicher Herabwürdigung einher. Richard Garnett, ihr Sachbuch-Verleger, verstieg sich 1977 zu der Bemerkung, sie sei »nur eine Amateurschriftstellerin«, worauf sie nachsichtig fragte, »wie viele Bücher man geschrieben und wie viele Semikolons man getilgt haben muss, bevor man den Amateurstatus verliert«. Im Jahr darauf wurde sie mit The Bookshop [Die Buchhandlung] für den Booker Prize nominiert und fragte ihren belletristischen Verleger Colin Haycraft, ob es eine gute Idee wäre, einen weiteren Roman zu schreiben. Er antwortete fröhlich, er wolle nicht schuld daran sein, wenn

Man könnte vielleicht behaupten, sie habe den Booker Prize für den »falschen« Roman bekommen – was nun in der Geschichte des Preises nichts revolutionär Neues wäre –, aber die eigentliche Schande besteht darin, dass sie den Preis mit keinem ihrer vier letzten Romane noch einmal gewann. The Blue Flower, das 1995 häufiger als jeder andere Titel zum Buch des Jahres gewählt wurde, kam nicht einmal auf die Shortlist – und der Preis ging in jenem Jahr an Pat Barker für The Ghost Road [Die Straße der Dennoch hatte Penelope Fitzgerald ein paar glückliche Erinnerungen an den Abend, an dem ihr der Booker Prize verliehen wurde: »Das Beste kam, als der Chefredakteur der Financial Times, der mit mir am Tisch saß, auf den Scheck sah und zum Vorstandsvorsitzenden von Booker McConnell sagte: ›Ähm, wie ich sehe, haben Sie einen neuen Prokuristen.‹ Beide Gesichter glühten vor Interesse.«

Es gibt viele solcher Momente in ihren Briefen – Momente, in denen die professionelle Menschenbeobachterin Nahrung und Lohn findet, wo andere nur Langeweile oder Unverschämtheit finden würden. Nach diesen Briefen zu urteilen, führte sie ein weitgehend häusliches und oft unstetes Leben, das von regelmäßigen ökonomischen Krisen begleitet wurde. Die Zeitschrift World Review, die sie herausgab, konnte sich nicht halten; ihr Ehemann Desmond hatte ein Alkoholproblem; das Hausboot, auf dem sie wohnten, sank nicht nur einmal, sondern gleich zweimal, und damit ging auch ihr persönliches Archiv unter (darunter sämtliche Briefe an ihren Mann während des Krieges). Einmal war eine Sozialwohnung in Clapham die Rettung, wo die Schriftstellerin Rabattmarken sammelte und sich mit Teebeuteln die Haare färbte. Zum Schreiben kam sie nur, wenn ihr das Familienleben mal eine Atempause ließ, und sie verdiente erst Geld, als The Blue Flower in Amerika ein Erfolg wurde (das Buch wurde im ersten Jahr, in dem dieser Preis auch an nichtamerikanische Autoren vergeben werden konnte, mit einem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet). Es bereitete ihr einen kläglichen Stolz – und sollte aufstrebenden Romanautoren zur Warnung dienen –, dass sie erst mit achtzig in eine höhere Steuerklasse

Dieser »hübsche grüne Hut« verrät die Schriftstellerin, und oft wartet ihre Fantasie nur darauf, das in der Realität Beobachtete umzugestalten. Hier eine Stelle aus einem Brief während des Krieges:

Mein Bruder war eine Woche auf Urlaub hier. Er hat im Korridor geschlafen, und die dänische Köchin hat ihn offenbar für einen einquartierten Soldaten gehalten und ist gnadenlos mit der Teppichkehrmaschine auf ihm herumgefahren.

Was den logischen Schluss zulässt, dass das ein ganz normales (wenngleich dänisches) Vorgehen gewesen wäre, wäre ihr Bruder tatsächlich eine solche Einquartierung gewesen. Mitunter mutet das Leben, das sie beschreibt, durchaus

Doch ihre Sanftheit und ihre Neigung, immer die Schuld auf sich zu nehmen, ging auch mit einem ausgeprägten moralischen Empfinden und einer scharfen Ablehnung derer einher, die ihren Ansprüchen nicht gerecht wurden. Robert Skidelsky ist ein »absurd nerviger Mann«, Lord David Cecils Vortrag über Rossetti war »unter aller Kritik«, Rushdies letzter Roman ist »ein Haufen Blödsinn«. Dann ist da der »entsetzliche Malcolm Bradbury«, der aus »Plastik oder einer halbflüssigen Substanz« zu bestehen scheint, die sich »in der Hand auflöst oder verändert«, und der auf ihre Werke herabblickt (»ich hätte ihm am liebsten die zartgrüne Mayonnaise über den Kopf gekippt«), oder der Juryvorsitzende für den Booker Prize Douglas Hurd mit seiner erbärmlichen Ansicht darüber, was ein Roman ist. Zu Peter Ackroyds Dickens-Biografie bemerkt sie nur mit mildem Sarkasmus: »Ich weiß nicht, wie eine Lebensbeschreibung von Dickens gelingen soll, wenn der Autor absolut keinen Humor hat.« Und zu ihrem eigenen Ansehen bei der Kritik: »Angeblich gehöre ich der Schule von Beryl Bainbridge an, was meiner Eitelkeit einen gehörigen Dämpfer aufsetzt.«

»Im Großen und Ganzen«, sagte sie 1987 zu ihrem amerikanischen Lektor, »meine ich, man sollte Biografien

Er bemühte sich, ruhig zu bleiben. Ihm kam der Gedanke, dass Marta wie auch Chiara ihren Vorteil nutzten, indem sie mit ihrer Einfalt, man könnte auch sagen Unschuld, über ihn herfielen. Gegen Unschuld war ein ernsthaft denkender Erwachsener wehrlos, weil er sie respektieren musste, während der Unschuldige gar nicht recht weiß, was Respekt oder Ernsthaftigkeit ist.

Penelope Fitzgeralds tiefes Verständnis für die Komplexitäten und Weiterungen der Unschuld macht die Kindergestalten in ihren Romanen nicht nur überzeugend und lebensecht, sondern lässt sie die Handlung aktiv vorantreiben. 1996 brachte Hugh Lee, ein alter Freund, die bizarre Klage vor, er finde ihre Kindergestalten »preziös«. Sie bestritt das und erwiderte: »Sie sind genau wie meine eigenen Kinder, die immer alles merkten.« Und die, nachdem sie alles gemerkt hatten, die unheilvolle Wahrheit der Unschuld aussprachen. 1968 gab die Schriftstellerin ein Gespräch mit ihrer jüngeren Tochter wieder, das eher ein vernichtendes Urteil war:

Maria hat mich sehr deprimiert, weil sie 1) nach einem Blick auf Daddy und mich sagte: »Ihr seid vielleicht ein komisches altes Paar!«, und mir 2) erklärte, mit einem Studium der Kunst und Literatur fröne man nur den persönlichen Neigungen, es bringe die Menschheit doch nicht voran und führe zu nichts, und ich glaube, das stimmt eigentlich auch: Sie hat es sehr nett gesagt. Mein Leben zerfällt zu Staub.

Das

Die spontane Reaktion vieler Leser auf einen Roman von Penelope Fitzgerald – vor allem einen der letzten vier – ist: »Aber woher weiß sie das?« Woher weiß sie (The Beginning of Spring), wie man im vorrevolutionären Moskau einen Polizisten besticht und dass an der russischen Grenze alle Spielkarten konfisziert wurden, und woher kennt sie sich mit Drucktechniken aus? Woher weiß sie (Innocence) über Neurologie und Schneiderei und Zwergwuchs und Gramsci Bescheid? Woher hat sie ihre Kenntnisse (The Gate of Angels) über Atomphysik und die Ausbildung von Schwesternschülerinnen und die Eröffnung von Selfridges? Woher kennt sie sich (The Blue Flower) in den Gepflogenheiten des Wäschewaschens im Thüringen des achtzehnten Jahrhunderts, im Brownianismus, in der Schlegel’schen Philosophie und der Salzgewinnung in Salinen aus? Die spontane, simple und naheliegende

Bei diesem meisterhaften Umgang mit den Quellen und

1913 kostete die Bahnfahrt von Moskau nach Charing Cross mit Umsteigen in Warschau vierzehn Pfund, sechs Shilling und drei Pence und dauerte zweieinhalb Tage.

Das klingt geradezu journalistisch klar, und in gewisser Weise ist es das auch, bis man sich überlegt, dass wohl jeder andere Autor einen russischen Roman mit vorwiegend englischem Personal damit begonnen hätte, dass eine Figur von London nach Moskau reist und dabei den Leser mit sich nimmt. Penelope Fitzgerald macht das Gegenteil: Sie beginnt damit, dass eine Figur eben die Stadt verlässt, in der die gesamte Handlung spielen wird. Aber der Satz macht einen so einfachen und unkomplizierten Eindruck, dass man kaum merkt, was da mit einem geschieht. Und hier ist der erste Satz von The Blue Flower:

So dumm war Jacob Dietmahler nicht, dass er nicht sah, dass sie am Waschtag bei seinem Freund angekommen waren.

Wieder hätte ein anderer Schriftsteller sich damit begnügt zu schreiben: »Jacob Dietmahler sah sehr wohl, dass sie …« – weitaus banaler. Eine doppelte Negation im ersten Satz bringt unsere Erwartung eines unkomplizierten Eingangs in einen Roman zu Fall und provoziert darüber hinaus die narrative Frage: »Also, wenn das so ist –

Penelope Fitzgeralds wohlmeinende Irreführung kulminiert in Szenen, in denen die ganze physisch erfahrene und verlässliche Welt plötzlich ins Kippen gerät. Am Anfang von The Gate of Angels kehrt ein gewaltiger Regenguss in Cambridge das Unterste zuoberst – »Baumkronen auf der Erde, Beine in der Luft – und das in einer Universitätsstadt, die sich der Logik und Vernunft verschrieben hatte«; am Ende des Romans geht das titelgebende Tor dann auf wundersame Weise auf, was ein quasireligiöser Moment oder ein unerhörter Griff in die Trickkiste der Gespenstergeschichten sein könnte – womöglich auch beides. Dann ist da die Epiphanie am Ende von The Beginning of Spring. Auf der Datscha der Familie

Ein bekannter englischer Autor beschrieb die Lektüre eines Romans von Penelope Fitzgerald einmal als Fahrt in einem Wagen der Spitzenklasse, nur dass man nach etwa einer Meile feststellen muss, dass »jemand das Lenkrad aus dem Fenster wirft«; ein anderer lobte The Beginning of Spring als »überdreht«. Diese Ansichten scheinen mir völlig verfehlt. In The Beginning of Spring gibt es eine Szene, in der Frank Reid kurz über das russische Bestechungssystem nachdenkt. In seiner Druckerei ist eingebrochen worden; der Übeltäter feuert mit einem Revolver auf Reid, der den Mann festhält, die Sache aber nicht bei der Polizei anzeigen will. Er versäumt es jedoch, dem Nachtwächter, der den Vorfall bemerkt haben muss, hundert Rubel – »eine Summe zwischen Trinkgeld und Bestechung« – für sein Stillschweigen zuzustecken. Infolgedessen geht der Wächter zur Polizei:

Von der Polizei hatte er sicher erheblich weniger bekommen, aber wahrscheinlich brauchte er das Geld sofort. Vermutlich war er in dem engen Geflecht von kleinen Darlehen, Schulden, Rückzahlungen und Pfändungen gefangen,

Romane sind wie Städte: manche sind mit der farbkodierten Klarheit eines Verkehrsnetzes organisiert und angelegt, und jedes Kapitel bedeutet ein Vorankommen von einer Station zur nächsten, bis alle Figuren erfolgreich zu ihrem thematischen Bestimmungsort gebracht worden sind. Andere, die feinsinnigeren, klügeren, haben keinen solchen auf den ersten Blick erkennbaren Streckenplan zu bieten. Statt den Leser auf eine Reise durch die Stadt mitzunehmen, werfen sie ihn mitten in die Stadt und mitten ins Leben hinein: Er soll seinen Weg selbst finden. Und vielleicht ist ihre Struktur und Zielsetzung nicht unmittelbar ersichtlich, da sie sich auf das heimliche Geflecht von »Darlehen, Schulden, Rückzahlungen und Pfändungen« gründet, das die Beziehungen zwischen den Menschen ausmacht. Solche Romane schreiten auch nicht mechanisch voran; sie schweifen ab, sie halten inne, sie springen hin und her, genau wie das Leben, nur mit mehr Zielstrebigkeit und einer verborgenen Struktur. In The Beginning of Spring will ein Priester verständlich machen, wie sich Gottes Wirken in der Welt zeigt, und sagt, es gebe keine zufälligen Begegnungen. Dasselbe gilt auch für die beste Literatur. Solche Romane sind mit ihrer Fülle an Details, Ereignissen und pulsierendem Leben nicht schwer zu lesen, aber es ist nicht immer leicht, sie zu begreifen. Das liegt daran, dass der abwesende Autor zuversichtlich darauf vertraut, dass der Leser ebenso feinsinnig und intelligent ist wie er selbst. Die Romane von Penelope Fitzgerald sind herausragende Beispiele für diese Art von Literatur.

Der

Im April 1849 traf ein dreißigjähriger englischer Dichter in Rom ein. Britische Schriftsteller kamen damals schon seit über einem Jahrhundert regelmäßig hierher. 1764 wirkte diese Stadt auf Gibbon so überwältigend, dass »erst mehrere Tage in lustvollem Rausch verstrichen, ehe ich mich dazu bewegen konnte, eine nüchterne und genaue Erkundung zu unternehmen«. 1818 fand Shelley Roms Denkmäler »erhaben«. Ein Jahr später war Byron von der Stadt »entzückt«. »Sie übertrifft Griechenland – Konstantinopel – alles – zumindest alles, was ich kenne.« 1845 traf Dickens ein, und er berichtete später seinem Biografen John Forster, das Kolosseum habe ihn »erschüttert und überwältigt« wie nichts anderes in seinem Leben, außer vielleicht die Niagarafälle.

Der junge englische Dichter war guter Stimmung und so glücklich wie noch nie in seinem Erwachsenendasein. Seine erste große Lebenskrise – ausgelöst durch einen Konflikt zwischen Glaube und Beruf und die Ursache für die Aufgabe seiner Dozentur in Oxford, da er sich nicht mehr zu den anglikanischen Glaubensartikeln bekennen konnte – war vorüber; im Herbst erwartete ihn eine Stellung am University College London. Er war nicht

»Der Petersdom ist enttäuschend: Der Stein, aus dem er ist, wirkt wie billiger Gips, und überhaupt ist Rom ziemlich schäbig. Die Altertümer scheinen mir insgesamt nur als Altertümer interessant zu sein und nicht ihrer Schönheit wegen … Auch das Wetter ist nicht eben schön.«

Wenn man mit einem einzigen Wort eine Einführung in den Ton, das Wesen und die Modernität Arthur Hugh Cloughs haben möchte, dann wäre es dieses (von ihm, nicht von mir) hervorgehobene: schäbig. So wie er die Dogmen seiner Landesreligion nicht akzeptiert, wenn sein Gewissen und sein Verstand ihm dies verbieten, so teilt er auch nicht die allgemeinen Vorstellungen von Pracht und Schönheit, wenn seine Augen und sein ästhetisches Gespür ihm etwas anderes sagen. Und dies war nicht nur anfängliche Geringschätzung, eine mürrische Reaktion auf verlorene Koffer oder Verdauungsprobleme. Es war eine Meinung, die Clough bestätigte, indem er sie im ersten Gesang eines Gedichts wiederholte, das er während seines dreimonatigen Rom-Aufenthalts schrieb:

Rom, es enttäuscht mich sehr; ich kann es noch kaum verstehen, doch

Schäbig scheint mir dafür das treffendste Wort zu sein.

All die dumme Zerstörung und noch törichter all die Bewahrung,

All das krause Zeug aus unterschiedlichsten Zeiten,

Ach, hätten die alten Goten doch gründlicher aufgeräumt!

Ach, kämen die neuen herbei und zerstörten all diese Kirchen!

Shelley spazierte jeden Abend zum Forum, wo er die »herrliche Verwüstung des Ortes« bewunderte. Claude, der Held von Cloughs Amours de Voyage (Reiseliebschaft), bleibt ungerührt:

Was finde ich auf dem Forum? Ein Gewölbe und zwei, drei Säulen?

Und was ist mit dem Kolosseum, für Dickens ein Wunder, das den Niagarafällen gleichkam?

An der Größe des erhabenen Kolosseums gibt es – zugegeben– nichts zu nörgeln.

Ohne Zweifel, die alten Römer hatten eine Vorstellung von großartiger, großräumiger, überwältigender Unterhaltung. Aber sag’ selbst: Ist das so eine große Idee?

Wo andere Pracht sehen, findet Claude nur Gediegenheit:

»Hab Backstein gefunden und Marmor errichtet!«, prahlte ihr Kaiser.

»Hab Marmor erwartet und Backstein gefunden«, entgegnet der Tourist.

Wie Clough ist auch Claude nicht gerade der typische Tourist auf Bildungsreise. Auch er kommt in eine Stadt, wo

einer Kapelle irgendwo über dem Eingang, die patriotische Hymnen spielte. Am Ende einer großen Hymne, deren Titel ich nicht kenne, klatschten die Leute, riefen »Hurra« und verlangten eine Zugabe. Und dann Licht, und plötzlich erstrahlte das ganze Amphitheater in den Farben der Trikolore! Das Erdgeschoss feuerrot, die beiden nächsten Etagen grün und oben das schlichte Weiß der normalen Beleuchtung. Seltsam, wirst Du sagen, aber es war wirklich sehr schön, und ich meine, das Kolosseum wirkte nie besser.

In Universitätslehrplänen und im Kanon wird Clough oft als Randfigur behandelt. Die meisten lernen ihn womöglich erst als den Thyrsis in Matthew Arnolds gleichnamigem Gedicht kennen, das sich für ein Gedenkpoem auffällig wenig auf den verstorbenen Freund bezieht (Ian Hamilton nannte es ein »eigentlich herablassendes, wenn nicht gar selbstgefälliges Werk«). Man könnte annehmen, er sei ein jung verstorbener Dichter vom Schlage

Die Assoziation mit Matthew Arnold ist irreführend. Obwohl sie Freunde waren, wie Brüder aufwuchsen (Clough wohnte als Schüler bei den Arnolds, da seine Familie in Amerika lebte) und in Rugby und Oxford den gleichen Weg gingen, sind doch gerade die Unterschiede zwischen ihnen entscheidend. Als Studenten wählten sie sogar unterschiedliche Zeichen für die Tage, an denen sie der »abscheulichen Angewohnheit« der Masturbation erlagen: Clough verwendete in seinen Tagebüchern ein Sternchen, Arnold ein Kreuz. Arnold gab sich in seinen Briefen stets älter und weiser als Clough, obwohl er vier Jahre jünger war. Er hielt ihn für zu leicht erregbar, für politisch zu engagiert – er nannte ihn scherzhaft »Bürger Clough« – und für zu wenig distanziert, im Gegensatz zu ihm, der aus gebührender Entfernung das politische Auf und Ab der Nationen beobachtete. Als sich 1848 der gesamte europäische Kontinent in einer Revolution erhob, ging Clough nach Frankreich, um das Geschehen mitzuerleben. Arnold ließ sich »nicht einmal eine Stunde lang vom Strom der Zeit aufsaugen«. Als die Ereignisse des Jahres ihren Höhepunkt erreichten,

Diese Unterschiede zeigen sich auch in ihrer Lyrik. Arnold kommt von der Keats’schen Romantik her, Clough von der Tradition Byrons, besonders der des skeptischen, welterfahrenen, geistreichen Spiels mit den Stimmen in Don Juan. Wenn man Arnold und Clough heute anonym nebeneinanderstellte, könnte man meinen, dass zwischen beiden mindestens eine Generation liege. Arnold ist ein klingender, anspruchsvoller Dichter, einer, der die Kultur gleichermaßen gegen Anarchie und Spießertum verteidigt, aber uns recht eigentlich auf den Kanon zurückverweist, auf die große Tradition der westlichen Zivilisation, die in Griechenland und Rom begann. Clough war sich dieses Erbes gleichermaßen bewusst, und als Arnold ihm in seiner Vorlesung »On Translating Homer«(»Zur Übersetzung Homers«) Anerkennung zollte, nannte er ihn einen Dichter »mit vortrefflichen homerischen Qualitäten« und einen Mann, den die »homerische Einfachheit seines literarischen Lebens« auszeichnete. Doch hiermit versucht Arnold, Clough einzuordnen, anzupassen und – zu zähmen. So wie er bei Clough eine neurotische Veranlagung feststellte, »eine lose Schraube in seinem Organismus«, glaubte er auch, Cloughs Lyrik habe zu wenig Stabilität, zu wenig fein ziselierte Schönheit. Arnold hielt sich einfach für poetischer und künstlerischer, so wie Keats sich Byron überlegen fühlte, dessen Don Juan er »protzig« fand. Doch was Arnold für die Schwächen von Cloughs Lyrik hielt, scheint sich inzwischen als ihre Stärke zu erweisen: eine mitunter unbeholfene, prosaische Umgangssprachlichkeit; Ehrlichkeit und Sarkasmus statt Artigkeit und Takt;

»Dover Beach« ist das Gedicht Arnolds, das uns am direktesten anspricht (obwohl er selbst es nicht sonderlich schätzte). Seine Analyse unserer metaphysischen Not in einer gottlosen Welt beginnt mit einer Naturbeschreibung, erwähnt Sophokles, verkündet ihre Flutmetapher und findet dann in einer Anspielung auf Thukydides ihren düsteren Abschluss, wobei er Phrasen verwendet wie »das mondgebleichte Land«, »die hellen Falten eines Gürtels« und (die bekannte) »die dunklichte Ebene«. Es ist edel, traurig und prächtig. Und nebenbei: Man vergleiche »dunklicht« mit »schäbig«. Man vergleiche auch den »Neuesten Dekalog«, Cloughs Gedicht über den Gottesglauben, mit dessen Rezeption. Es ist als bittere Parodie konzipiert, und sein Freidenkertum (oder seine Gotteslästerung) geht dem Leben des Brian mehr als ein Jahrhundert voraus.

Nur diesen einen Gott Du hast,

Denn wer fiel’ zweien gleich zur Last?

Kein Gottesbildnis sei verehrt,

doch eines nur: der Münze Wert.

Dieses Gedicht stellt nicht nur Kirche und Staat, sondern auch die Motive jedes bekennenden Christen infrage.

Nicht töten! Doch bemüh’ Dich nicht

Zu retten jedes Lebenslicht.

Ein

Es lohnt gewiss den Aufwand nicht.

Margaret Thatcher ermahnte uns bekanntlich, die »viktorianischen Werte« wiederzuentdecken; Clough hatte sie schon damals seziert.

Nicht stehlen! Welch ein unnütz’ Tun,

Betrug lässt uns viel sanfter ruh’n.

Sollst nicht begehr’n, doch ist es gut,

Wenn man’s im fairen Wettstreit tut.

Die viktorianische Finanzkultur und die Geldverehrung, die man in diesem Land während der letzten dreißig Jahre so erfolgreich wieder eingeführt hat, tauchen auch in Dipsychus als Thema auf, dem letzten seiner drei großen Langgedichte. Die heutigen Börsenspekulanten, die in grellroten Ferraris auf der Autobahn dahinsausen und in teuren Restaurants mit Weinen im vierstelligen Bereich die Rechnungen in die Höhe treiben, haben ihre exakten viktorianischen Pendants:

Ich fahr durch die Stadt ganz sorglos dahin,

Die Leute starren, man fragt, wer ich bin;

Und fahr ich wen um, hör ich Jammern und Flehn,

Den Schaden begleich ich im Handumdrehn,

Ach, wie sehr ist’s doch schön, Geld zu haben, He-ho!

Ach wie sehr ist’s doch schön, Geld zu haben …

Die leckersten Speisen am prächtigsten Tisch,

Die anderen alle, die kümmern mich nicht.

Nicht wir sind doch schuld, wenn das Geld ihnen fehlt,

Ach, wie sehr ist’s doch schön, Geld zu haben, He-ho!

Ach wie sehr ist’s doch schön, Geld zu haben.

Den Amours de Voyage sind vier Zitate vorangestellt. Die ersten drei führen die Hauptthemen des Gedichts ein – Eigenliebe, Liebe, Zweifel und Reise –, während sich das von Horaz stammende vierte auf die Form bezieht. »Flevit amores / Non elaboratum ad pedem«: »Er beweint seine Lieben in ungeschliffenem Versmaß« (obwohl es bei Horaz eigentlich »amorem« heißt). Cloughs Verse sind im Vergleich zu Arnolds tatsächlich »ungeschliffen«, und in Amours de Voyage wie auch in seinem ersten Langgedicht The Bothie of Tober-na-Vuolich verwendet er den seltenen Hexameter. Dieser hat einen wuchtigeren Rhythmus als der geschliffene, populäre Pentameter, aber er sorgt auch für den spontanen, ungekünstelten Gesprächston. Cloughs Rhythmen ändern sich ständig, sie brummeln, stocken und springen; er braucht die Freiheit, um Richtung und Ton zu wechseln, innerhalb einer Zeile von der Kulturgeschichte zum Beziehungstratsch, von scharfer Analyse zum schnellen Gag zu kommen. Als Clough seinen ersten Gedichtband vorbereitete, beklagte Arnold dessen »Mangel an Schönem« und schrieb ihm: »Ich bezweifle, dass Du ein Künstler bist.« Als er The Bothie veröffentlichte, fand Arnold es zu flapsig: »Wenn ich Dir ganz offen sagen sollte, wie Deine Gedichte auf mich wirken, dann wäre es dies, dass sie nicht natürlich sind.« (Und dies von Matthew Arnold!) Clough solle prüfen, ob er »das Schöne erreiche«, und Arnold erinnerte ihn daran, »wie unpoetisch die Zeit und unser ganzes Umfeld sind. Nicht ohne Tiefe oder Größe, nicht unanrührend –

In Amours de Voyage wimmelt es daher von unarnoldschen Figuren – Mazzini, Garibaldi, General Oudinot – mit allem Drum und Dran: Murrays Reiseführer und die lautstarke Bestellung eines Caffè Latte. Das Gedicht ist ganz zeitgemäß, geschrieben und handelnd, als Italien unter Schmerzen errichtet wurde. Es kommen Schüsse vor und Krieg und eine der besten literarischen Schilderungen des Durcheinanders bei einem Mordanschlag – mitten auf der Piazza – auf einen Priester, der aus der Stadt zu flüchten und sich den Belagerungstruppen anzuschließen versucht: