Paul Davies
Sind wir allein im Universum?
Über die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens
Aus dem Englischen von Bernd Seligmann
FISCHER E-Books
Paul Davies ist Professor für mathematische Physik und Preisträger des mit einer Million Dollar dotierten Templeton-Preises für seine besonderen Verdienste um die Wissensvermittlung zwischen Naturwissenschaft und Religion.
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Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei Fischer Digital
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-560726-8
Die Planck-Zeit ist der Quotient aus der Energie eines Lichtquants und der zugehörigen Lichtfrequenz.
Nun ist es keineswegs als wahrscheinlich zu erachten,
da der Raum sich in jegliche Richtung unendlich erstreckt
und Samen in zahlloser Fülle im unergründlichen Ganzen
umherschwirren, getrieben zu steter Bewegung,
daß diese unsere Welt, Erde und Himmel
allein geschaffen wären
und all die Atome da draußen nichts täten,
zumal da doch unsere Welt selbst entstanden ist,
indem die Samen der Dinge aus eigenem Antrieb
zufällig zusammenstießen auf vielerlei Art,
blind und ziellos und oft vergebens,
bis endlich solche, die plötzlich verschmolzen,
zum Beginn wurden gewaltiger Dinge,
von Erde, Meer und Himmel und allem, was lebt.
Und so muß man wieder und wieder bekennen,
daß anderswo ähnliche Ansammlungen von Stoffen
existieren, so wie hier, vom Äther umarmt
in heißem Umfangen.
Wenn Stoffe zudem in Fülle vorhanden
und Raum, daß Atome sich regen können,
und kein Ding und kein Grund im Wege ist,
dann muß die Schöpfung geschehen, Dinge entstehen.
Ist nun der Samen in Fülle vorhanden,
im Leben nicht zählbar,
und wenn auch die Natur in der Lage bleibt, weiter
die Samen der Dinge an einem Ort
auf die gleiche Weise zusammenzubringen,
wie hier so geschehen: dann muß man bekennen,
daß andere Welten sind in anderen Teilen des Himmels
und andere Menschengeschlechter und Arten von Tieren.
Hinzu kommt, daß im Ganzen nichts einzig ist,
einzig geboren und einzig gewachsen,
sondern zu einer Rasse gehört mit vielen Gleichen.
Denke zunächst an die Lebewesen:
das Wild, das in Rudeln die Berge durchstreift,
die menschliche Rasse,
die stummen Schwärme schuppiger Fische
und alles, was Flügel hat.
Und so sind auch Himmel und Erde,
Sonne, Mond und Meer und was es noch gibt
nicht einzig, sondern unfaßbar an Zahl,
da auch sie natürlichen Körpers sind
und ihrer der tief verankerte Grenzstein des Lebens harrt
wie allen Dingen, die zahlreich vorhanden, Art für Art.
LUKREZ, römischer Dichter und Philosoph
De rerum natura, Zweites Buch, Z. 1052–1089
Die Frage, ob die Menschheit allein ist im Universum oder nicht, ist eine der ältesten der Philosophie und hat tiefen Einfluß auf unser Weltbild. Auch in den Naturwissenschaften ist sie in letzter Zeit immer wichtiger geworden. Fortschritte in Biochemie und Molekularbiologie verschaffen uns endlich Zugang zum Geheimnis um den Ursprung des Lebens. Die Astronomie beginnt Hinweise auf die Existenz und die physikalisch-chemische Beschaffenheit ferner Planeten zu liefern, während die Raumfahrt uns die direkte Suche nach Leben auf unseren Nachbarplaneten ermöglicht. Ein neues Großprojekt hat sich zudem das Ziel gesetzt, Radiosignale von fortgeschrittenen technischen Zivilisationen aufzuspüren, die irgendwo in unserer Galaxis existieren mögen. Es ist daher an der Zeit, genauer zu überlegen, welche Auswirkungen die Entdeckung außerirdischen Lebens darauf hätte, wie wir uns selbst und unsere Rolle im Kosmos sehen.
Ich versuche hier nicht, die Themen der Exobiologie oder des SETI-Projekts (SETI bedeutet Suche nach ExtraTerrestrischer Intelligenz) erschöpfend darzustellen; dazu gibt es eine Reihe von Büchern. Statt dessen werde ich mich mit den philosophischen Annahmen befassen, die dem Glauben an und der Suche nach Leben außerhalb der Erde zugrunde liegen, und mit der Wirkung, die die Entdeckung fremder Lebensformen auf unsere Naturwissenschaften, unsere Religion und unser Menschenbild hätte.
Es gibt kaum einen Zweifel, daß die Entdeckung schon einer einzigen außerirdischen Mikrobe, die sich nachweislich unabhängig vom Leben auf der Erde entwickelt hat, unsere Sicht der Welt und unsere Gesellschaft so tiefgreifend ändern würde wie einst die von Kopernikus und Darwin eingeleiteten Revolutionen. Ein solcher Fund wäre mit Recht als die größte wissenschaftliche Entdeckung aller Zeiten zu bezeichnen. Der extremere Fall, der Empfang einer Botschaft aus dem All, wäre in seinen Auswirkungen für die Menschheit wohl überwältigend.
In Anbetracht der weitreichenden Bedeutung des SETI-Programms überrascht es, daß heute so wenig über die damit verbundenen philosophischen Fragen nachgedacht wird, steht dies doch in scharfem Kontrast zum spekulativen Denken früherer Generationen. Entgegen verbreitetem Glauben ist die Möglichkeit außerirdischen Lebens in vergangenen Epochen oft diskutiert und in ihren Konsequenzen analysiert worden. Der Historiker Michael Crowe schätzt, daß zwischen der griechischen Antike und 1917 einhundertsiebzig Bücher zu diesem Thema erschienen sind. Mein Buch ist ein Versuch, diese Diskussion wieder anzufachen und in den modernen wissenschaftlichen Kontext zu stellen, indem ich aufzeige, welche Aspekte der zeitgenössischen Wissenschaften und unserer Glaubenssysteme allgemein auf dem Spiel stehen. Wir werden sehen, daß die Annahmen, von denen die SETI-Anhänger ausgehen, den Neodarwinismus an seinem wundesten Punkt treffen und Schlüsselfragen moderner Wissenschaft und Philosophie berühren, wie etwa den Niedergang mechanistischen Denkens und das Auftreten holistischer und ökologischer Weltanschauungen. Die Suche nach außerirdischem Leben stellt das herkömmliche Denkmodell eines sterbenden Universums in Frage, nach dem aller Wandel im Kosmos von den zerstörerischen Effekten des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik beherrscht wird. Sie ist ein Prüfstein der Gegentheorie eines progressiven, selbstorganisierenden Universums, die in den Werken Ilya Prigogines, Erich Jantschs und anderer verfochten wird.
Meine Darstellung ist für den Nichtwissenschaftler gedacht und versucht wissenschaftlichen Jargon, wo möglich, zu vermeiden. Hinweise auf weitere Lektüre befinden sich im Anhang.
Für interessante Diskussionen zu Themen, die in diesem Buch behandelt werden, danke ich John Barrow, David Blair, George Coyne, Frank Drake und Seth Shostak.
Im Oktober 1992, anläßlich des fünfhundertsten Jahrestags der Ankunft von Christoph Kolumbus in Amerika, startete die US-Raumfahrtbehörde NASA ein umfangreiches Forschungsprogramm zur Suche nach außerirdischem intelligentem Leben (SETI). Seitdem setzen Wissenschaftler in der Hoffnung, Funksignale künstlichen Ursprungs zu empfangen, ein weltweites Netz von Radioteleskopen ein und belauschen damit Tausende von Sternsystemen.
Das Projekt Columbus, inzwischen in Projekt Phönix umbenannt, ist der jüngste in einer langen Geschichte von Versuchen, Leben und Intelligenz außerhalb der Erde zu finden. Die Idee, daß wir vielleicht nicht allein sind im Universum, ist nicht neu. Im vierten vorchristlichen Jahrhundert schrieb der griechische Philosoph Epikur in einem Brief an Herodot:
Es gibt unzählige Welten, sowohl solche wie die unsere als auch andere. Da die Anzahl der Atome unendlich ist … werden sie weit in den Weltraum hinausgetragen. Da die Atome, aus denen grundsätzlich eine Welt geschaffen werden oder zusammengesetzt sein kann, auf keiner einzigen Welt und auf keiner endlichen Zahl von Welten verbraucht werden … spricht nichts gegen eine unendliche Anzahl von Welten … Wir müssen akzeptieren, daß es auf allen Welten Lebewesen, Pflanzen und andere Dinge gibt, wie wir sie auf unserer Welt erblicken.
Die Theorie einer Vielzahl bewohnter Welten reicht bis zu den Anfängen rationalen Denkens und wissenschaftlicher Forschung zurück. Dies ist um so bemerkenswerter, als die griechische Kosmologie und andere frühe Modelle wenig mit dem wissenschaftlichen Bild gemeinsam haben, das wir uns heute vom Universum machen.
Mangels empirischer astronomischer Daten beruhten die Spekulationen der Griechen fast ausschließlich auf philosophischer Debatte. Es gab also genügend Raum für Meinungsverschiedenheiten. So lehnte Aristoteles den Gedanken an fremde Welten rundweg ab: «Die Welt muß einzig sein», schrieb er. «Mehrere Welten kann es nicht geben.»
Die Rechtfertigung des Glaubens an andere Welten war eng mit dem von Leukipp und Demokrit begründeten Atomismus verknüpft. Nach dieser Philosophie ist der Kosmos nichts als eine Ansammlung unzerstörbarer Teilchen, die in der Leere treiben. Da alle Dinge aus Atomen bestehen und Atome derselben Klasse identisch sind, folgt, daß ähnliche Atomverbindungen wie auf der Erde sich auch anderswo bilden können. Nach Worten, die nach dem römischen Historiker Diogenes Laertius von Leukipp stammen, sind die Welten so entstanden:
Viele Körper aller Art und Form tropfen aus der Unendlichkeit in eine große Leere. Dort kommen sie in einem einzigen Wirbel zusammen, in dem sie sich zu trennen beginnen und, gleich zu gleich, zu Gruppen formieren.
Den Glauben an die Pluralität der Welten übernahm auch der römische Dichter und Philosoph Lukrez, ebenfalls ein Atomist. Er wiederholte Epikurs Argument, in Anbetracht der unendlichen Anzahl von Atomen gebe es kein ersichtliches Hindernis für das Entstehen anderer Welten: «Wenn Materie im Überfluß bereitsteht, der Raum vorhanden ist und kein Hindernis existiert», dann würden andere Welten ganz natürlich entstehen. Dieses Argument aus der Antike steht im Mittelpunkt der heutigen SETI-Forschung. Setzt man einen quasi unerschöpflichen Vorrat an Materie und die Gleichförmigkeit der Natur voraus, dann sollte derselbe physikalische Prozeß, der zur Entstehung der Erde und des Sonnensystems geführt hat, auch anderswo ablaufen. Und unter geeigneten Bedingungen sollte sich Leben und Bewußtsein auf fremden Welten ungefähr in der gleichen Art entfalten wie bei uns.
Es ist im höchsten Maße unwahrscheinlich, daß diese Erde mit ihrem Himmel die einzige ist, die je erschaffen wurde … Dies folgt aus der Tatsache, daß unsere Welt durch spontane und zufällige Kollisionen und durch mannigfaltiges, plan- und zielloses Zusammentreffen und Zusammenwachsen von Atomen entstanden ist, deren Kombination zur Schaffung von Erde, Himmel und allen Rassen von Lebewesen geführt hat.
Die griechischen Atomisten standen der Frage, ob andere Welten Leben beherbergen, offen gegenüber. Die Pythagoreer waren zum Beispiel der Ansicht, der Mond sei von uns überlegenen Wesen bewohnt. Später stellte auch der griechische Schriftsteller Plutarch (46–120) den Mond über die Erde und rätselte über Natur und Absichten der Mondbewohner. Die dunklen Gebiete der Mondoberfläche hielt er für Meere, was noch heute in der Namensgebung dieser Regionen (Mare) nachklingt, obwohl man inzwischen weiß, daß es in Wirklichkeit trockene Staubwüsten sind. Der Glaube an Mondbewohner blieb bis in die Neuzeit weit verbreitet und war noch im achtzehnten Jahrhundert Thema gelehrter Debatten.
Mit Anbruch der europäischen Renaissance nahm das Denken über außerirdisches Leben eine neue Wendung. Zunächst zeigte Kopernikus, daß die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, sondern gemeinsam mit den anderen Planeten die Sonne umkreist. Danach offenbarten Teleskope bald Einzelheiten der Planetenoberflächen. Diese Entwicklungen führten unweigerlich zur Idee, die Planeten seien nicht einfach geheimnisvolle Himmelskörper, sondern andere Welten, die mehr oder weniger der Erde gleichen.
Führend in diesem Umdenken war der ehemalige Dominikanermönch und scholastische Philosoph Giordano Bruno. 1584 verließ Bruno Italien und ging nach Oxford, wo er kopernikanische Astronomie und die Existenz unendlich vieler bewohnter Welten lehrte. In seinem Buch De l’infinito universo e mondi (Das unendliche Universum und seine Welten) unterschied er wohl zwischen Sternen und Planeten, bestand aber darauf, daß beide Gestirntypen bewohnt seien. Bruno zog im wesentlichen philosophische und geometrische Argumente heran, um Aristoteles’ Behauptung zu widerlegen, die Erde liege im Zentrum eines kugelförmigen Weltalls. Leider sah die Inquisition Brunos Ansichten als gefährlich an, und als er 1592 nach Italien zurückkehrte, wurde er verhaftet und endete wegen zahlreicher Ketzereidelikte auf dem Scheiterhaufen.
Die wissenschaftliche Revolution war jedoch schon in vollem Gange. So schloß Kepler, wie früher schon Plutarch, aus seinen Mondbeobachtungen auf direkte Parallelen zwischen der Erde und ihrem Trabanten. Kepler identifizierte Berge und schroffes Terrain und kehrte Plutarchs Interpretation ins Gegenteil, indem er die hellen Gebiete zu Meeren erklärte. Weiter spekulierte er, die Mondmänner seien «weit höher gewachsen» und wegen der langen, heißen Mondtage «von heftigerem Temperament als wir».
Als Galilei sein frisch erfundenes Teleskop auf den Himmel richtete, waren Spekulationen über bewohnte fremde Welten in aller Munde. Kepler mutmaßte, einer der großen Mondkrater sei ein Werk der Mondbewohner (Seleniten) und diese hätten sogar Städte gebaut. Galileis Entdeckung von vier Jupitermonden bestärkte ihn in seinem Glauben, Gott habe die Monde zum Nutzen der Jovianer geschaffen:
Unser Mond existiert für uns auf der Erde, nicht für die anderen Globen, und diese vier kleinen Jupitermonde sind für Jupiter da, nicht für uns. Jeder Planet, einschließlich seiner Bewohner, hat seine eigenen Trabanten. Daraus folgt mit höchster Wahrscheinlichkeit, daß Jupiter bewohnt ist.
Im siebzehnten Jahrhundert erschien sowohl im katholischen als auch im protestantischen Europa eine Reihe von Schriften, die sich über die Bedeutung der neuen Astronomie und die dadurch veränderte Weltsicht ausließen. Die damaligen Kommentatoren, stets die Kirche und die theologische Dimension ihrer Spekulationen vor Augen, taten sich schwer mit der Vorstellung anderer bewohnter Welten. Galilei etwa äußerte sich in seinem Dialogo von 1632 nur vorsichtig darüber, ob der Mond und die Planeten Bewohner wie uns beherbergen könnten. Dagegen argumentierte der englische Priester (später Bischof) John Wilkins in seinem 1638 veröffentlichten Werk Discovery of a world in the moone (Die Entdeckung der Mondwelt) nachdrücklich für die Existenz von Mondbewohnern. Wilkins bestand darauf, sein Glaube stehe nicht im Widerspruch zur Bibel. Kepler wiederum wies früh auf die theologischen Gefahren der Idee fremder Welten hin: «Wenn es Himmelskörper ähnlich der Erde gibt … wie können dann alle Dinge nur für den Menschen da sein? Wie kann uns die Natur untertan sein?» (1610).
Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts veröffentlichte der holländische Astronom und Physiker Christian Huygens eine ausführliche Abhandlung über außerirdisches Leben. Unter dem Titel Cosmotheoros ließ er seiner Phantasie freien Lauf. Huygens schrieb zum Beispiel, es stehe einer gutgesinnten Gottheit wohl an, anderen Welten Leben und intelligente Geschöpfe zu schenken. Seine Betrachtungen ließen ihn zwar zweifeln, ob der Mond die geeignete Umgebung für Leben sei, doch die Existenz der Jovianer, Saturnier und Merkurier erklärte er für bewiesen. Er ging sogar so weit, deren Charakterzüge zu beschreiben.
Die Teleskope enthüllten nicht nur die Geheimnisse des Sonnensystems. Indem Galilei die Milchstraße in einzelne Sterne auflöste, bescherte er der Menschheit einen ersten Eindruck von der Unermeßlichkeit des Universums mit Milliarden von Sonnen, von denen viele ihre eigenen Planetensysteme haben mochten. Isaac Newton stellte diese Beobachtungen auf eine solide Basis. Seine Entdeckungen der Bewegungsgesetze und der Gravitation erlaubten eine fundierte theoretische und mathematische Analyse der Struktur des Universums. Newtons Gesetz der universell wirksamen Gravitation bedeutete, daß andere Sterne oder Sonnen den gleichen physikalischen Prozessen unterliegen wie unser Sonnensystem und daß die Sterne daher ihre eigenen Planetensysteme haben könnten.
Obwohl es noch ein Jahrhundert dauern sollte, bis Pierre Laplace eine plausible wissenschaftliche Theorie über den Ursprung des Sonnensystems vorschlagen konnte (die auf andere Sternsysteme übertragbar war), machten sich Newtons Zeitgenossen gleich daran, seine Ideen in ihre Spekulationen um fremde Welten einzubinden. In England zog Richard Bentley Newtons Gedankengebäude zu seinen Versuchen heran, Gottes Hand im physikalischen Universum nachzuweisen. Dabei stieß Bentley direkt auf das Problem außerirdischen Lebens. Er argumentierte, Gott könne so viele Sterne nicht allein für den Menschen geschaffen haben. Folglich müßten sie zum Nutzen anderer Wesen in ihrer jeweiligen Umgebung existieren:
Wenn die Erde in erster Linie als Heimat, zum Dienste und zur Besinnung für den Menschen geschaffen ist, warum sollten dann nicht alle anderen Planeten für die gleichen Zwecke da sein, jeder für seine eigenen lebendigen und verständigen Bewohner!
Huygens fragte im gleichen Sinne:
Warum sollen wir dann nicht … den Schluß ziehen, daß unser Stern nicht belebter ist als die anderen? Was wir so gerne von den Planeten (unserer Sonne) annehmen, müssen wir doch auch all den Planeten zugestehen, welche die ungeheure Zahl von (anderen) Sonnen umrunden.
Der Glaube, das Universum sei voller bewohnter Planeten, blieb das siebzehnte Jahrhundert hindurch populär, so daß der große Philosoph des achtzehnten Jahrhunderts, Immanuel Kant, ausgiebig darüber schreiben konnte, ohne zu fürchten, sich zum Narren zu machen. In Kants kosmologischem Schema hat das Universum ein Zentrum und einen Rand, und das Wesen der Kreaturen, die fremde Welten bewohnen, hängt von ihrer Entfernung vom Zentrum ab. Zentrumsnahe Materie ist dick und klumpig, wogegen sie am Rand dünner und feiner wird, was sich in der Mentalität der Bewohner der verschiedenen Regionen widerspiegeln sollte.
Im neunzehnten Jahrhundert konnten Astronomen und Physiker ein genaueres und vollständigeres Bild des Universums entwickeln. Geologen zeigten, daß die Erde viele Milliarden Jahre alt ist, und Charles Darwin beförderte die Frage nach Ursprung und Evolution des Lebens auf der Erde ins Zeitalter der modernen Wissenschaft. Theologische Überlegungen verschwanden fast völlig aus der Arena wissenschaftlicher Forschung. Vielleicht mit Ausnahme von Venus und Mars erwiesen sich die Planeten und Monde des Sonnensystems als der Erde recht unähnlich und aller Wahrscheinlichkeit nach extrem lebensfeindlich. Mangels einer überzeugenden Theorie über den Ursprung des Sonnensystems konnte niemand sicher sein, ob es Planeten in Umlaufbahnen um andere Sterne gibt. Und noch heute gibt es kein Teleskop, das stark genug wäre, Planeten außerhalb des Sonnensystems zu zeigen.
Außerirdische Wesen blieben dennoch im Gespräch. Michael Crowe kommentiert die wissenschaftliche Debatte über außerirdisches Leben in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in folgender Weise:
Bemerkenswert ist vor allem, wie verbreitet die Diskussion war. Von Kapstadt bis Kopenhagen, von Dorpat bis Dundee, von Sankt Petersburg bis Salt Lake City redeten Erdlinge über Außerirdische. Ihre Thesen erschienen in Büchern und Streitschriften, in Groschenblättern und gediegenen Zeitschriften, in Predigten und Bibelkommentaren, in Gedichten und Dramen, ja sogar in einem Kirchenlied und auf Grabsteinen. Oxford-Professoren und Observatoriumsdirektoren, Schiffskapitäne und Staatsoberhäupter, radikale Reformer und konservative Hinterwäldler, Wissenschaftler und Weise, Orthodoxe und Heterodoxe – jeder hatte etwas zu sagen.
Erst im späteren neunzehnten Jahrhundert stellte sich ein neues Klima von nüchterner Strenge und Skepsis ein, in dem wildes Spekulieren über die Existenz außerirdischer Wesen verpönt war. 1853 veröffentlichte der Philosoph William Whewell, Vorsteher am Trinity College in Cambridge und einstmals Anhänger der Theorie fremder bewohnter Welten, ein anonymes Traktat mit dem Titel Die Pluralität der Welten, in dem er die Vorstellung mit philosophischen, theologischen und wissenschaftlichen Argumenten angriff. Es folgte eine intensive Debatte, in der neben wissenschaftlichen Fragen die Auswirkungen der Existenz von Außerirdischen auf die christliche Religion diskutiert wurden. Wie Crowe beschreibt, «sahen sich Leute von tiefer religiöser Überzeugung nicht mit Ungläubigen, sondern mit ebenso ernsthaft religiösen Menschen in eine Debatte über ein Thema verwickelt, das von vielen als ein Problem der Astronomie betrachtet wurde».
Gleichzeitig begannen die Astronomen die Idee anderer bewohnter Welten zu verwerfen, da sich die Erkenntnisse dagegen allmählich häuften. Auch das philosophische Argument, fremde Welten müßten bewohnt sein, einfach weil sie existierten, verlor allmählich an Kraft. Um die Jahrhundertwende sah es in den Augen vieler Wissenschaftler so aus, als seien wir allein im Universum. Es gab jedoch Ausnahmen. Der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli hatte 1877 nach ausgiebigen Beobachtungen berichtet, es gebe dunkle Linien auf der Marsoberfläche. Er wählte das malerische Wort canali für diese Linien, weshalb man seither auf der ganzen Welt von Marskanälen sprach, die irgendwer gebaut haben mußte. Voller Aufregung forschten die Astronomen dann nach Spuren von Leben auf dem roten Planeten. Es erschienen Marskarten, die ausgedehnte Kanalnetze zeigten. Der amerikanische Astronom Percival Lowell richtete sein Observatorium in Arizona ein, wo man sich hauptsächlich mit dem Studium der Marskanäle beschäftigte, und schrieb später begeistert: «Daß der Mars von irgendwelchen Wesen bewohnt ist, ist ebenso sicher, wie es unsicher ist, welcher Art diese Wesen sind.»
Als ein Planet, der nur etwas kleiner ist als die Erde und eine, wenn auch dünne, Atmosphäre besitzt, war Mars ein guter Kandidat für solche Spekulationen. Obwohl er weiter von der Sonne entfernt ist, kann seine Oberflächentemperatur über den Gefrierpunkt von Wasser steigen. Darüber hinaus konnten die Astronomen Polkappen wie auf der Erde erkennen. Sorgfältige Beobachtungen offenbarten zudem jahreszeitliche Veränderungen von Farben und Mustern auf der Marsoberfläche, die man ohne weiteres auf Vegetation zurückführen konnte. Es klang recht plausibel, daß die Marsmenschen in ihrer Not Kanäle gebaut hatten, um Schmelzwasser von den Polkappen zu den Äquatorialgebieten zu befördern, wo das wärmere Klima besseren und schnelleren Pflanzenwuchs zuließ.
All diese Mutmaßungen ließen Mars, im Gegensatz zu unserer fruchtbaren und ausgeglichenen Erde, als einen Planeten im Zustand fortgeschrittener Degeneration erscheinen, dessen Bewohner gezwungen waren, überlegene Techniken zu entwickeln, um ihre gefährdete Zivilisation am Leben zu erhalten. Der Glaube an verzweifelte Marsmenschen war bald weit verbreitet und sorgte dafür, daß H.G. Wells’ Klassiker Krieg der Welten, in dem die Marsmenschen schließlich unseren lieblicheren Planeten überfallen, bei seinem Erscheinen 1898 überall empfängliche Leser fand.
2SupermanKrieg der Sterne