Dies ist eine wahre Geschichte.
Nur einige Namen und Details wurden geändert.
Der Piepton meines Funkmelders drang durch den Nebel meines Schlafes. Ich setzte mich auf, hundemüde und unter Schmerzen, und schlüpfte in meine Einsatzhose der Marke Crye Precision. Während ich zu meinen Stiefeln und dem Rest der Ausrüstung hüpfte, schob ich die Kniepolster an die richtige Stelle. Mit einer Hand griff ich nach meinem Riggers Belt, einem Notabseilgürtel, mit dem anderen Arm schlüpfte ich in mein Einsatzhemd; gleichzeitig tastete ich nach den Magazintaschen, die ich mit Clips befestigt hatte. Als ich mit dem Rest der Einsatzgruppe des Third Ranger Battalion den Flur entlanglief, um unsere Anweisungen entgegenzunehmen, spürte ich, wie der Nebel sich hob. Es war Zeit zum Aufbruch. Adrenalin schoss mir in die Beine wie Schwachstrom und brachte sie zum Summen.
Ich setzte mich an meinen üblichen Platz im Bereitschaftsraum, zweite Reihe rechts neben den Bildschirmen, und schob meine Ellbogenschützer zurecht. Pemberton, mein Späher, nahm neben mir Platz. Wir nickten einander zu und lächelten, um eine unausgesprochene Tatsache unseres derzeitigen Lebens in der Provinz Helmand zu bekräftigen: Die Dinge entwickelten sich rasend schnell.
»... und täglich grüßt das Murmeltier, Mann. Es ist wie der verdammte Murmeltiertag.«
Er meinte den alten Film, in dem Bill Murray in einer Zeitschleife gefangen ist und jeden Morgen nach dem Aufwachen den gleichen Tag erlebt. Ich war eher ein Fan von Ich glaub’ , mich knutscht ein Elch!, aber ich wusste, was Pemberton meinte.
Nennt es Glück, gutes Timing oder schlechtes Timing, je nach Blickwinkel. Wir waren seit drei Tagen hier und was uns erwartete, war eindeutig nicht einer dieser üblichen Einsätze, bei denen man die Zeit totschlägt, indem man drei Mal am Tag in den Fitnessraum geht, mit den Jungs abhängt und darüber nachdenkt, was man zu Hause vermisst. Wir hatten keine Zeit zum Grübeln. Schon in dieser ersten Woche hatten wir uns einen guten Rhythmus angewöhnt. Wir kehrten in das umzäunte Areal zurück, wenn die Kameraden aufstanden, machten uns sauber und verschliefen dann den Tag, bis wir zum Einsatz dieser Nacht aufgerufen wurden.
In diesem frühen Stadium eines dreieinhalb Monate dauernden Auslandseinsatzes hatten wir uns psychisch, aber noch nicht physisch angepasst. Ich saß da und wartete darauf, dass der Gruppenleiter die Einsatzbesprechung eröffnete. Ich rieb mir mit den Handtellern die Augen in der Hoffnung, danach klarer zu sehen und ein wenig Feuchtigkeit zu produzieren, die verhinderte, dass die Lider bei jedem Blinzeln die Augäpfel kratzten. Das Sehvermögen ist äußerst wichtig, vor allem für Scharfschützen, zumal wir ständig nachts unterwegs waren. Im Schutz der Dunkelheit konnten wir nicht nur den Taliban entkommen, sondern auch den Strapazen der Hitze und der Höhe. Dennoch hat der Körper seine eigenen Rhythmen und Zyklen, und durch die nächtlichen Aktivitäten gerieten wir immer noch ein wenig aus dem Gleichgewicht.
Zum Glück war die Besprechung nach wenigen Minuten beendet. Wir sprachen über das Gelände – wir würden auf ziemlich offenem und ebenem Terrain operieren – und wurden kurz über das Ziel informiert: ein ranghohes Mitglied der Taliban, zuständig für ein Depot, in dem Bomben und selbst gebastelte Sprengfallen (IEDs – Improvised Explosive Devices) hergestellt und gelagert wurden. Um ihn zu treffen, mussten wir uns auf einen Bergvorsprung schleichen, etwa fünf Kilometer nördlich des Dorfes, in dem er sich unseren Informationen zufolge versteckte.
Niemand musste Pemberton und mir sagen, dass wir derzeit eine Art Glückssträhne hatten. Mit nur einer Ausnahme waren die Operationen ohne Probleme verlaufen, und obwohl wir das einzige Scharfschützenpaar unter den vierzig Männern im Zug waren, bewiesen wir unseren Wert immer wieder. Die Atmosphäre im Bereitschaftsraum erinnerte mich an zu Hause, an meine Football-Zeit in der Highschool in Maryland. Sogar damals war ich eine Art Geheimwaffe. Allerdings war ich kein eins dreiundachtzig großes Monster, das über neunzig Kilo wiegt – und bin es auch heute nicht. Ich war ein kleiner Typ und ziemlich schnell, aber meine wichtigsten Vorzüge waren Schläue und die Fähigkeit, in heiklen Situationen ruhig zu bleiben. Klar, jetzt handelte es sich um Krieg, nicht um ein Spiel. Doch die Parallelen waren da, in meinem Kopf und in diesem Raum. Wir waren ein eingespieltes Team. Die anfängliche Nervosität hatte nachgelassen oder war ganz verschwunden. Wir wollten Taten sehen und wir hatten bewiesen, dass wir in der Lage waren, den Feind präzise zu treffen. Selbstvertrauen ist das eine, Übermut das andere. Niemand in diesem Raum überschritt die Grenze. Wir hegten nur die ruhige Zuversicht, dass wir es schaffen und in etwa sechs Stunden zurückkehren würden, um mit denen, die nicht schliefen, einen Film anzuschauen oder ein paar Xbox-Games zu spielen.
Ich möchte nicht behaupten, dass die Männer mit Kurzeinsätzen diese »Wir schaffen es, kein Grund zur Sorge«-Einstellung teilten. Wenn du deine restlichen Tage im Land an zwei Händen abzählen konntest, wenn der Countdown real war und nicht irgendetwas, das nachts wie ein unscharfes, geisterhaftes Objekt vor deinen Augen flimmerte, waren deine Gedanken nicht weniger sprunghaft als der sprichwörtliche Sack Flöhe.
Ich hätte niemals erwartet, nach dem Ende dieses dreieinhalb Monate langen Einsatzes zum tödlichsten Scharfschützen des Third Ranger Battalion zu avancieren. Mein ganzes Leben lang hatte ich lediglich davon geträumt, eines Tages Soldat zu werden und zu kämpfen, um mein Land zu verteidigen. Dass ich ziemlich berüchtigt wurde, ist zum Teil Glück und Timing, vor allem aber die Folge einer außergewöhnlich guten Ausbildung.
In vieler Hinsicht war ich der unwahrscheinlichste Kandidat für den Titel »der Auslöscher«. Ich habe eine Menge Geschichten über mich und meine Leistungen gehört. Mythen und Märchen gibt es in vielen Teilen des Militärs, auch bei uns. Ich musste lachen, als ich hörte, jemand habe mir mehr als siebenhundert Tötungen zugeschrieben. Klar, ich hätte diesen Beitrag gerne geleistet, um die Sicherheit meiner Kameraden zu erhöhen; aber es ist wichtig, realistisch zu bleiben. Es waren dreiunddreißig.
Darum wollte ich dieses Buch schreiben und meine Erfahrungen mit den Lesern teilen. Als ich zum ersten Mal hörte, wie jemand mich den »Auslöscher« nannte, hatte ich einen Einsatz hinter mir, der sich kaum von dem eben erwähnten unterschied. Mir gefiel der Name und ich war stolz darauf. Dann, am späten Abend, dachte ich an einige der Dinge, die ich getan und erlebt hatte und die mich so weit gebracht hatten, dass ich diese Anerkennung verdiente. Wie gesagt war ich in vielerlei Hinsicht der unwahrscheinlichste Kandidat für einen Einsatz als Scharfschütze, anderseits war ich aber auch jemand, der dafür vorbestimmt zu sein schien. Ich komme aus einer Soldatenfamilie, ich habe Bücher gelesen und Filme gesehen, in denen die Taten früherer Helden geschildert wurden. Und ich kannte jede Waffe, die in den Kriegen unseres Landes verwendet worden war. Allerdings kämpfte ich gegen einige körperliche Schwächen, die fast dazu geführt hätten, dass ich die Grundausbildung nicht überstand. Außerdem machte ich einige der typischen Anfängerfehler: Einmal hätte ich fast auf einen amerikanischen Panzer geschossen, den ich irrtümlich für einen irakischen hielt, und als ich zum ersten Mal voller Wut eine Waffe auf dem Schlachtfeld abfeuerte, löste ich das Magazin, anstatt auf den Abzug zu drücken. Manchmal wehrte ich mich auch gegen die autoritäre Seite des Soldatenlebens und erlaubte mir ein paar jugendliche Unüberlegtheiten.
Als Jugendlicher hatte ich den Krieg noch romantisiert, als junger Erwachsener habe ich seine rauere Wirklichkeit erlebt. Die folgenden Seiten enthüllen, dass »der Auslöscher« viel komplizierter ist als ein Name und eine Nummer. Ich hoffe, dadurch die Männer zu würdigen, die ich kannte und ihr Leben verloren haben – und die zahllosen anderen, die dieses höchste Opfer gebracht haben. Wie gesagt hatte ich das Glück, dass mein Einsatz im Irak und vor allem in Afghanistan im Jahr 2009 mit einer Periode erhöhter Aktivität in diesen Gebieten zusammenfiel. Erfolg hat, wer Chancen nutzt. Obwohl mir diese Tötungen zugeschrieben werden, weiß ich, dass ich keine Geschichte erzählen könnte, wenn nicht viele andere Menschen dafür gesorgt hätten, dass ich in bestimmten Situationen meine Leistung erbringen konnte. Zu ihnen und vielen anderen, die vor mir kamen und deren Beiträge ich nie kennenlernen werde, kann ich nur sagen: Ich danke euch.