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6. überarbeitete und erweiterte Auflage

© 2015 dreamis Verlag, Baden

Mit freundlicher Unterstützung von:

Urs Honegger, Niederlenz

Ernst Göhner Stiftung, Zug

Die 1. Auflage von 1000 Expl. erschien unter dem Titel

„gar ZEN - in der Kunst des Singens?“, Edition Tamas Boga, Zürich 1993

Umschlag, Layout und Illustrationen: Marc Philip Seidel, dreamis.ch

Gesetzt aus der SABON

Taschenbuch:  ISBN 978-3-905473-13-1

ebook: ISBN 978-3-905473-14-8

epub: ISBN 978-3-905473-16-2


www.dreamis.ch/verlag

Bruno von Nünlist

ZEN

IN DER

KUNST

DES

SINGENS

?

Mit den Augen hören,
mit den Ohren sehen.

Inhaltsverzeichnis

„Mit den Augen hören, mit den Ohren sehen“

Prolog

Einleitung

Wer Stimmen heilt, heilt Seelen

Vom Atem ausgehend

Luft, Konsonant, Vokal, Ton

Vom Geist der Kunst

Und weiter im Takt

Durch Kurse zum Meister?

Es führen viele Wege nach Rom

Nachklang

Vom Stammbaum des Belcanto

Epilog

Anhang

Biographisches

„Mit den Augen hören, mit den Ohren sehen“

… diese zunächst gewöhnungsbedürftig anmutende Äusserung, ja Forderung der gefeierten Mozart-Sopranistin und begnadeten Pädagogin Maria Stader lässt den geneigten Leser des vorliegenden Buches nicht nur aufhorchen, sondern führt ihn zielstrebig zu den grundlegenden Einsichten in den so sensiblen und daher bis heute so schwer zu vermittelnden Prozess des professionellen Gesangsunterrichtes. Dabei ist es in meinen Augen ein Glücksfall, dass die „Chemie“ zwischen Lehrerin und Schüler im vorliegenden Fall offenbar besonders gut stimmte. Denn dem inzwischen längst gestandenen Sänger, Gesangspädagogen, Kosmopoliten, Ästheten und mit philosophischen Gedanken vertrauten Bruno von Nünlist verdanken wir bereits um das Jahr 1990 die Einsicht in die frappierenden Zusammenhänge zwischen der seit Jahrhunderten wohlbegründeten Tradition und Kunst des „Belcanto“ und dem aus einem ganz anderen Kulturkreis stammenden und daher mit dem Thema „Kunst des Singens“ zuerst einmal unvereinbar erscheinenden „Zen“.

Auch ich war zunächst erstaunt, in diesem Buch etwas über diese unerwarteten Zusammenhänge zu lesen. Sehr bald wich meine erste Reaktion aber einer grossen Begeisterung und Zustimmung zu der auf diese Weise hergestellten Synopse. Hat man dies erst einmal nachvollzogen, verinnerlicht, erscheint es sogleich ungemein logisch; „Aha-Effekte sind gleichsam programmiert, es fällt einem wie Schuppen von den Augen“ …

Nicht selten fand ich in Bruno von Nünlist’s höchst interessant, zugleich kurzweilig formulierten Texten meinen eigenen, in den 70er Jahren und später bei meinem verehrten Lehrer Jakob Stämpfli erfahrenen Gesangsunterricht wieder - freilich damals nicht in dieser nun vorliegenden Systematik. Ganz zu schweigen von den immer wieder mit einfliessenden, über die Kunst des Singens hinausgreifenden klugen Einlassungen zum Verständnis unserer immer komplizierter werdenden Welt. Es freut mich sehr, dass dieses wichtige Buch nun offenbar entdeckt und immer mehr angenommen wird; es sollte meines Erachtens Pflichtlektüre sein für jeden angehenden Sänger, darüber hinaus für Instrumentalisten in gleicher Weise. Dem musikalischen Laien erschliesst es obendrein zahllose wichtige Einsichten.

Der Neuauflage dieses Buches wünsche ich grösstmöglichen Erfolg!

Klaus Mertens

Sinzig, im September 2015

Prolog

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Ein junger Mann kam eines Tages zu einem grossen Meister des Schwertweges, um sein Schüler zu werden. Der Meister akzeptierte und trug ihm auf, von dieser Stunde an, jeden Tag, im Walde Holz zu fällen und im Fluss Wasser zu schöpfen.

Der junge Mann tat drei Jahre lang gewissenhaft, wie ihn der Meister geheissen. Schliesslich wagte er aber zu bedenken zu geben, er sei eigentlich gekommen, um die Schwertkunst zu erlernen, doch bis heute habe er noch nicht einmal die Schwelle des dojo (der Ort, an dem die Schüler den WEG üben, das heisst, die ZEN-Versenkung, za-zen) überschreiten dürfen.

„Also gut“, meinte darauf der Meister, „heute wirst du eintreten“, und er hiess ihn, dies zu tun. „Und jetzt laufe in dem Raum herum, und zwar immer vorsichtig auf der Kante der tatami-Matten, ohne sie je zu übertreten!“

Mit dieser Aufgabe beschäftigte sich der Schüler ein ganzes Jahr lang, bis er in grosse Wut geriet.

Er gehe, schrie er, nichts von dem habe er bisher gelernt, was zu suchen er letztlich gekommen sei.

Ruhig gab ihm der Meister Antwort, der Tag sei also gekommen, an dem er ihm die höchste Unterweisung geben solle, und er führte seinen Schüler in die Berge. Alsbald befanden sie sich vor einer Schlucht. Ein einfacher Baumstamm diente als Steg darüber, hinweg über die tiefe Leere.

„Also los, geh hinüber!“, sagte der Meister zu seinem Schüler, dem beim Anblick des Abgrundes Angst und Bange wurde. Wie gelähmt blieb er stehen.

In diesem Augenblick kam ein Blinder des Weges. Ohne zu zögern ging er, mit seinem Stock tastend, auf den gebrechlichen Steg zu und schritt ruhig darüber hinweg. Dies genügte, um den jungen Mann jäh erwachen und alle Furcht vor dem Tode verlieren zu lassen, und er eilte ebenfalls über die Schlucht.

„Nun hast du das Geheimnis der Schwertkunst gemeistert“, rief der Meister ihm hinüber, „du hast dir beim Holzhacken und Wasser holen jeden Tag eine starke Muskulatur erworben, beim aufmerksamen Laufen auf der tatami-Kante hast du die Präzision und Feinheit der Bewegung erreicht, und gerade eben hast du das ICH aufgegeben und die Furcht vor dem Tod überwunden. Geh! Du wirst jetzt überall der Stärkste sein.“{1}

Einleitung

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Mit sich selbst und seiner Umgebung in Frieden sein, setzt einen inneren Frieden voraus. Das ist der Schlüssel für alles andere. Wenn man Seelenruhe besitzt, berühren die äusseren Probleme den tiefen Sinn dieses Friedens nicht, und es wird leichter, auch die schwierigsten Situationen in Angriff zu nehmen.

  Der vierzehnte Dalai Lama

Richard Strauss sagte schon in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts:

Unsere Zukunft liegt in der Kunst;
ganz speziell in der Musik:
In den Zeiten, in denen die geistigen Güter viel seltener sind
als die Materiellen,
und in denen Egoismus, Hass und Neid die Welt erfüllen,
wird die Musik viel zur Wiederaufrichtung der Liebe zum
Nächsten beitragen!


Vom Begriff der Nächstenliebe sodann ist es nicht mehr weit zum Begriff „Gott“. „Der Mensch bedarf seiner, um nicht verzweifeln zu müssen, die Grausamkeit der Welt aushalten und letztlich seine Todesangst und seine Lebensangst überwinden zu können. Doch Gott als eine vom Menschen unabhängige Macht zu sehen, welche ihn beherrscht oder vernichtet, die Macht die sich dem Menschen bald zeigt, bald verbirgt, zu ihm spricht oder auch schweigt. Der Mensch ist von Gott abhängig. Doch das Verhältnis des Menschen zu Gott nur so zu sehen, entspricht einer bestimmten Stufe, auf der der Mensch alles, was den Horizont seiner natürlichen Erfahrung und seine begreifenden Welt-Ichs überschreitet, nach aussen verlegt, in eine jenseitige Transzendenz, die lichte und auch dunkle Seiten, aber jedenfalls uneingeschränkte Macht über ihn hat. Diese Auffassung ändert sich, wenn der Mensch in besonderer Erfahrung erkennt, dass keineswegs alles, was seinen gewöhnlichen Horizont übersteigt, „ausser ihm“ sein muss, sondern, dass es eine Wirklichkeit gibt, die zwar seinen natürlichen Horizont transzendiert, ihm aber immanent ist, ja, seinen eigentlichen Kern, sein Wesen ausmacht.

Mit dieser Erkenntnis öffnet sich der Weg zu einer anderen Auffassung des Verhältnisses zwischen dem Menschen und dem göttlichen Sein.“{2}

Der Glaube, der ausgeübte Gesang sei eine grosse Hilfe bei der Suche nach dieser immanenten Wirklichkeit, dem inneren Frieden – so dass ich bisweilen allen Menschen zurufen möchte: „Singt doch, um Gottes Willen!“ – veranlassten mich, Erfahrungen über die ersten Schritte auf meinem Weg aufzuschreiben. Dass ich diese Schritte gleich mit drei der grössten Meisterinnen ihrer Tage unternehmen durfte, der Mozartsopranistin und Kammersängerin Prof. Maria Stader (über die dieses Buch in seinem ersten Teil berichtet und deren hundertsten Geburtstag wir 2011 feiern dürfen), aber auch mit der von der Queen für ihre Verdienste um die Musik geadelten KS Dame Elisabeth Schwarzkopf, später jedoch auch mit der berühmten Karajan-Sopranistin, KS Prof. Gundula Janowitz, machten das Erbe nicht leichter; schliesslich stammen die zwei Jahrhundert-Aufnahmen der „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss von der Schwarzkopf und der Janowitz. Ich bin mir heute noch nicht sicher, welche Aufnahme die bessere ist; bloss, dass seither niemand mehr auch nur annähernd jene Qualitäten der Vokal- und Interpretationskunst der grossen Sopranistinnen erreicht hat.

Obwohl von berühmten Musikerpersönlichkeiten meist auch Autobiographien existieren, so auch von meinen Meisterinnen, bin ich mir sicher, mit diesem Büchlein eine ganz andere Ebene anzusprechen. Die Geschehnisse haben wohl nicht im buddhistischen Sinne zur ‚grossen Erleuchtung‘, wohl aber zu einigen Lichtblitzen in der Dunkelheit des Suchenden geführt und zeigen meine sehr persönliche Sicht der Begegnung mit den Primadonnen. Es beschreibt also die Suche nach einem gemeinsamen Nenner aller grossen Kunst, sei es im fernöstlichen oder im abendländischen Sinn: Es ist die Kunst, welche in erster Linie vom ‚Können‘ kommt und welche von Meister zu Schüler in einer nahtlosen lebendigen Tradition weitergegeben wird.

Ein erstes Manuskript des Büchleins war bereits 1991 zum achtzigsten Geburtstag Maria Staders fertig (und 1993 in der Zürcher Edition Tamas Boga veröffentlicht worden). Etwas bangen Mutes, weil Maria Stader über die Wahl meiner neuen Lehrerin, ihrer vormaligen Konkurrentin Elisabeth Schwarzkopf, gar nicht erfreut war, begab ich mich zu ihrer Wohnung in der Zürcher Altstadt, wo ich zuvor während dreier Jahre ein und aus gegangen war. Gemeinsam mit deren Sohn Roland Erismann ging ich zum Kücheneingang des Hauses an der Schipfe, direkt unter dem Lindenhof, auf dem die Meisterin jeden Tag mit ihrem Dackel Sämi spazierend anzutreffen war. Selbstverständlich erwartete ich, an dem Jubeltag viele Gäste und eine festliche Stimmung vorzufinden, wie es einer Diva gebühren würde. Wir klopften an und traten ein. Es war niemand da. Wir fanden Maria Stader schliesslich auf dem Dachboden, in Arbeitskleidung samt Kopftuch. Sie begrüsste uns schallend, sie müsse die Wäsche noch fertig bügeln, damit sie sie wegräumen könne. Wir wüssten doch, bei ihr sei immer alles so ordentlich. Gerne dürften wir sie dabei unterhalten, und so bügelte Maria weiter. Es war unglaublich, zu sehen, wie diese mit bloss 1.44m kleingewachsene und doch so grosse, mittlerweile achtzig-jährige Frau noch zupacken konnte! Wenn das Sprichwort: „work is love, made visible“ auf jemanden zutraf, dann auf sie! Schon früher einmal hatte ich ihr beim Kofferpacken zugeschaut. Sofort war ich tief beeindruckt, mit welch konzentrierter und doch so fröhlich-gelassener Achtsamkeit sie jedes einzelne Wäschestück faltete und in den Koffer legte. So war Maria Stader eine ‚Künstlerin im Leben‘, doch berühmt wurde sie durch ihre Kunst des Gesangs.

Dies hat mich mit dazu bewogen, die tatsächlichen Namen meiner Lehrerinnen im Fliesstext nicht zu erwähnen. Die Stader ist dann, wie in der ursprünglichen Ausgabe, die ,Frau Professor‘ und die Schwarzkopf die ,Professorin‘. Dies tue ich, weil es im Buch trotz den berühmten Namen um die ganzheitliche Sicht gehen soll, wie es die Dozentin, welche die Erstausgabe vor sich liegen hatte, so trefflich beschrieb. Lediglich im Kapitel ,Vom Stammbaum des Belcanto seit 1659‘ geht es ganz gezielt um die Maria Stader, weil sie die Hüterin des Erbes dieser alten, aber noch immer lebendigen Tradition der Überlieferung von Meister zu Schüler darstellt. Dies ist ein ganz spannender Aspekt, welcher wohl nicht vielen Lesern bereits bewusst sein wird.

Ich schreibe deshalb auch in dieser Neufassung des Büchleins über das Singen. Jedoch wird mich nicht in erster Linie die Interpretation oder Deutung von Musikstücken, sondern der Geist des Gesangs beschäftigen, einer lebendigen Tradition, welche im Falle Maria Staders nachweislich seit 1659 nahtlos von Meister zu Schüler weitergegeben worden war und welche deshalb als ‚Erbe der Menschheit‘ deklariert werden sollte. Unsere Kunst des Gesangs droht nämlich zu verrohen oder am Ende gar auszusterben. Dabei sollte man auch einmal den ökologischen Aspekt unserer Stimmgebung betrachten. Wir brauchen keine Mikrophone und keine stromfressenden Verstärker, wofür die klassische Musik eigentlich mit einem Ökosiegel bedacht werden sollte. Stattdessen werden Konzerte immer mehr als ‚Events‘ betrachtet, bei denen das Spektakel des Augenblicks wichtig ist. Für den jahrelangen, beschwerlichen Prozess des sich Auseinandersetzens mit sich selbst, welcher letztlich zum Können führt, interessiert sich heute kaum mehr jemand, geschweige denn, dass ein solcher Prozess noch genügend in finanziellem Ausmass gefördert würde. Das Kultur-management hat heutzutage ‚Events‘ zu finanzieren, welche im Idealfall zu einem finanziellen Gewinn des Veranstalters führen und welche deshalb genauso unökologisch auf Bühnen der Pop-Musik stattfinden. Die lebendige Tradition jedoch, welche zu einem Instrument führt, welches mit dem Sänger zusammen wieder stirbt, gälte es, selbst im Sinne der Nachhaltigkeit, als ‚Erbe der Menschheit‘ aufrechtzuerhalten. Für eine Meistergeige von Stradivari und Guarnieri zum Beispiel werden heute Millionenpreise bezahlt. Es sind anerkannterweise ‚rare Güter‘, mit denen man handeln und sogar spekulieren kann. Alleine dies ist mit dem lebendigen und deshalb umso zerbrechlicheren Instrument eines Sängers nicht möglich.

Jedoch hegte ich während der Stunden des Übens mit der Meisterin das Gefühl, sie habe ihren Schülern nebst Tonleitern, Skalen und Arpeggien eben jenen unfassbaren Geist vermitteln wollen, der bei ihr selbst zum Finden einer immanenten Wirklichkeit geführt hatte, und welchen sie wiederum von den Grössten ihrer Zeit hatte erfahren dürfen.

Als Wichtigstes erscheint mir somit die Tatsache, dass dieser Weg – oder ein Weg überhaupt – auch heute noch stattfinden und lebendig bleiben darf und dass immer wieder der Mut dazu aufgebracht wird, ihn in aller Konsequenz zu beschreiten.

Wer Stimmen heilt, heilt Seelen.

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An sich ist das Wort weniger als der Gedanke,
der Gedanke weniger als Erfahrung.


ZEN

Damals, zwanzig Jahre nach Ende ihrer eigenen aktiven Konzerttätigkeit, welche Frau Professor durch die ganze Welt geführt hatte und sie bei der damaligen Swissair zu einer der ersten Kilometer-Millionärinnen hatte werden lassen, war die Professorin eine grosse Verfechterin der sogenannten ‚alten Schule‘, während derer man zuerst jahrelang ‚Tonleitern‘ zu üben hatte, bevor man überhaupt ein erstes Lied, geschweige denn eine Arie singen durfte. Sie meinte, die Musik bestehe ja, streng ausgedrückt, aus Tonleitern, und wie wolle man etwas interpretieren ohne die entsprechende technische Grundlage zu beherrschen? Jene Grundlage eines Sängers sei zunächst die Beherrschung seines Stimmorgans und seines Körpers. Tatsächlich gibt es Lehrer, welche es fertigbringen, ihren Schülern schon im ersten Studienjahr viel zu schwere Arien vorzulegen. So wird versucht, grosse, gedeckte, erwachsene Stimmen zu ‚machen‘. Dadurch werden jene Stimmen jedoch viel zu früh allzu grosser Anstrengung ausgesetzt und diese wiederum führt früher oder später zur Krise, wie wir es unlängst von den grössten zeitgenössischen Stimmen der Welt, etwa einem Rolando Villazon oder einer Nathalie Dessay vorgeführt bekamen. Gut, es gibt in jedem Sängerkörper natürliche Veränderungen; bei Sängerinnen zum Beispiel das beginnende Klimakterium. Aber auch Männerstimmen werden schwerer und suchen nach einem Fachwechsel. Irgendwann merkt der Schüler oder auch der bereits im Beruf stehende Sänger also, dass etwas nicht stimmt und sucht sich einen neuen Lehrer, da selbst der Profi sich selbst nie objektiv hört. Es braucht also immer einen Coach dazu, wie es in Neudeutsch heisst. Jemandem in einer solchen Situation einen Rat zu geben, ist schwierig. Unter hundert Lehrern ist möglicherweise nur einer für die suchende Person gut. Diesen gilt es im Bewusstsein zu finden, es müsse beim Lehrer/Schüler-Verhältnis noch viel mehr übereinstimmen, als ‚nur‘ die zu behandelnde Sache, das Singen aus dem Körper als ‚mechanischem Garät‘. Zudem frage sich der Suchende ganz objektiv und ehrlich sich selbst gegenüber, was er sich überhaupt unter Gesang im Allgemeinen vorstelle, und im Speziellen unter jenem Gesang, welchen er persönlich anstrebt. Wie musiziert der Lehrer selber? Wie setzt er seine stimmlichen Mittel dazu ein? Wo sind allenfalls schon zum Vornherein Grenzen zu sehen oder gar zu hören? Und ‚last but not least‘: durch welchen Geist ist die Stimme des Meisters oder der Meisterin beseelt?

Ich hatte als Youngster also das Glück, am vorletzten Meisterkurs Frau Professors aktiv teilnehmen zu können, horchte bei allen KommilitonInnen gut hin, verglich mit meinen eigenen Vorstellungen, was die Stader bei mir selbst und bei ihnen korrigierte und kam zur Einsicht, dass sie genau das mit Worten auszudrücken vermochte, was ich selbst nur fühlen konnte. Ihre Worte sprachen mir aus dem Herzen, und offensichtlich entsprach Frau Professors musikalische Auffassung meinen eigenen bescheidenen Vorstellungen ziemlich gut. Ausserdem hatte ich schon ein Jahr nach Beginn meines Studiums mit einem anderen Lehrer bei einigen Passagen Mühe, rein zu intonieren, was ich zu allem Übel selbst nicht hörte. Eine kurze Atemübung, Kopf nach unten, mit der Vorstellung, beim Einatmen einen Katzenbuckel zu machen, um die Flankenatmung zu aktivieren, half Erste-Hilfe-mässig darüber hinweg. Die ganze Klasse bestätigte den Fortschritt begeistert. Zu guter Letzt mochte ich die Meisterin als Person sofort sehr gut. So begann eine fruchtbare Beziehung, welche mich komplett verändern sollte, nicht nur als werdenden Sänger, sondern als Menschen.

Vom Atem ausgehend

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Beobachter stellen dabei fest, dass weder die Aus-
noch die Einatmung betont ist,