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Das Buch
Nach unerwarteten außersinnlichen Erfahrungen, die ihr ursprüngliches Weltverständnis und Menschenbild in Frage stellten, suchte die Autorin nach adäquaten Antworten um ihre Erlebnisse einzuordnen. Im vorliegenden Buch macht sie sich grundlegende Gedanken zu den Themen Spiritualität, Menschenbild und persönlicher Glauben. Sie schlägt einen zeitgemäßen und selbstverantwortlichen Zugang zum Transpersonalen vor, der unabhängig von Religion und spirituellen Ideologien ist.
Die Autorin fordert geistige Offenheit gegenüber unkonventionellem subjektivem Wissen, wie dem von Sensitiven oder langjährig Meditierenden, deren Erfahrung durch innere oder außersinnliche Wahrnehmung geprägt ist. Dieses Wissen sollte ihrer Meinung nach, neben dem rein wissenschaftlichen und als objektiv geltendem Verständnis als Realität akzeptiert werden. Nicht ein Entweder-oder, das polarisiert, sondern ein ergänzendes Sowohl-als-auch hat das Potenzial für ein umfassenderes Verstehen.
Unterschiedliche Positionen in Fragen des persönlichen Menschen- und Weltbildes sind natürlich und erweitern die Perspektive in inspirierender Art und Weise, so dass im gegenseitigen Austausch Entwicklung stattfinden und Stagnation vermieden werden kann.
Die Autorin zeigt auf, dass spirituelle Reife nur durch Selbsterkenntnis und einen Prozess innerer Transformation erlangt werden kann. Ihre persönliche Annäherung an diesen Prozess gründet auf einem feinstofflichen Energieverständnis, das sie durch persönliche Erfahrung und eine fundierte Ausbildung bei ihrem langjährigen Lehrer Bob Moore erworben hat.
Um die Dynamik eines solchen Prozesses nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch darzulegen, beschreibt sie an Hand ihrer eigenen Biografie wie ganzheitliche Entwicklung durch persönliche Erfahrung und Reflektion stattfindet. Dabei geht es ihr nicht darum andere von ihrem eigenen Verständnis zu überzeugen, sondern darum, dem Leser Impulse für den eigenen Weg der Selbstfindung zu vermitteln.
Ferner enthält das Buch Übungen für die persönliche innere Auseinandersetzung. Es ist dem Leser anheim gestellt, zusätzlichen Nutzen daraus zu ziehen.
Psycho-Spirituelles
Wachstum
Dokument einer inneren Entwicklung
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© 2015 Ester Münger - D’Aguanno
Umschlag Bild: Ester Münger - D’Aguanno
Lektorat: Gudrun Wille
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback: |
978-3-7323-6319-3 |
Hardcover: |
978-3-7323-6320-9 |
e-Book: |
978-3-7323-6321-6 |
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
TEIL I
Die Dynamik von transpersonalen Weltbildern und Glaubenskonzepten
Persönliche Erfahrungen und Prägungen
Der Anfang einer neuen Entwicklung
Was ist Realität?
Sensitivität
Esoterische Spiritualität
Die transpersonale Psychologie: an der Schnittstelle von Psychologie und spiritueller Schulung
Das Modell von Assagioli
Die Notwendigkeit von spirituellen Konzepten und Lebensphilosophien
Glaube ist ein Prozess, der zu innerer Erkenntnis führen kann
Intuition, Gefühl und Emotion
Die vier Funktionen
Den Blick erweitern
Veränderungen
Entscheidungen fällen
Die heutige Rolle von spirituellen Lehrern
Innere Entwicklung
Katharsis und Mitgefühl: Klären der persönlichen Schwierigkeiten und echtes Verstehen
Erkenne dich selbst!
TEIL II
Ein feinstoffliches Modell zur Anregung des psycho-spirituellen Prozesses
Achtsamkeitsübungen, Bewusstseinsentwicklung und Heilung
Der Ätherische Körper oder der Lebensleib
Die Chakren und andere wichtige energetische Strukturen
Einige wichtige Strukturen, die ich in meiner Arbeit benutze
Astralkörper, Mentalkörper und Qualitätsaura
Die psychologische und spirituelle Dimension der Bewusstseinszentren am Beispiel des Wurzelchakras
TEIL III
Multidimensionalität und Tod
Geburt und Multidimensionalität
Bewegungen auf der Zeitachse
Das Modell vom Lebensplan
Die Frage nach der Gerechtigkeit
Etti Hillesum und die Frage nach dem menschlichen Leiden
Die Qualitätsaura und der Seelenplan
Schicksalhafte Begegnungen
Drei persönliche Annahmen
Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden
Die vier universellen Gesetze
Die Bedeutung von Träumen für die persönliche Entwicklung
Die Essenz
Kontemplatives Leben
Meditation als Prozess
Ausdruck der Essenz
Die Bedeutung von Meditationsgruppen für das psychospirituelle Wachstum
NACHWORT
DANKSAGUNG
GLOSSAR
LITERATURVERZEICHNIS
Einleitung
Mit diesem Buch unternehme ich den Versuch nach vierzig jähriger Erfahrung als Lehrerin für psychospirituelles Wachstum meine persönlichen Erfahrungen und Gedanken zum Thema „Spiritualität und innere Entwicklung“ darzulegen.
Spiritualität spielt in meinem heutigen Leben eine zentrale Rolle, das war jedoch nicht immer so. Mein eigener Zugang zum Spirituellen hat sich aus persönlichen Erlebnissen, Meditation und durch wiederholtes Nachdenken darüber entwickelt.
Ich gehöre keiner Religion oder überlieferten Tradition an, respektiere jedoch unterschiedliche Standpunkte und setze mich damit auseinander. Gerne lasse ich mich von dem inspirieren, was andere Menschen erleben, denken und empfinden, um meinen Blick zu erweitern und die eigene Position zu reflektieren.
Ich liebe es mit kritischen Menschen zu diskutieren und persönliche Gedanken auszutauschen. Viele meiner Freunde und Bekannten setzen sich ernsthaft mit gesellschaftlichen, politischen, psychologischen und sozialen Fragen auseinander und versuchen in diesen Bereichen eigene und differenzierte Positionen einzunehmen. Ich fühle, dass wir über den gegenseitigen Austausch voneinander lernen, unser Bewusstsein schärfen und persönliche Standpunkte klären, die jeder auf seine Weise ins eigene Leben umsetzt.
Innerhalb dieser Gespräche ist mir des Öfteren aufgefallen, dass das Thema Spiritualität eine besondere Rolle einnimmt. Ich begegne vor allem zwei polaren Positionen. Auf der einen Seite gibt es Menschen, für die die spirituelle Dimension selbstverständlich zum Menschsein gehört. Andererseits erlebe ich manchmal große Skepsis oder gar Ablehnung.
In den meisten Gesprächen, die ich mit Menschen geführt habe, die skeptisch oder ablehnend im Zusammenhang mit spirituellen Inhalten sind, hat sich gezeigt, dass der Grund dafür persönliche negative Erfahrungen waren. Häufig werden verschiedene Auswüchse innerhalb der Religionen oder im Rahmen heutiger esoterischer Strömungen als Grund für die Ablehnung formuliert. Oft wird berechtigte Kritik an Machtmissbrauch, Manipulation und fundamentalistischen Strukturen geübt.
Das ist jedoch noch kein zwingender Grund für die Annahme, dass keine Ebene jenseits unserer physischen Dimension existiert. Bei diesem Thema werden manchmal starke Emotionen selbst bei sonst rational denkenden Personen ausgelöst. Oft wird behauptet, spirituelle Phänomene entsprächen einem Wunschdenken, es sei nichts Tieferes dahinter.
Es ist jedoch ganz und gar irrational ein Phänomen pauschal zu verneinen, weil es in diesem Zusammenhang zu Missbräuchen gekommen ist. Missbrauch und Manipulation erschaffen die Menschen selbst und dazu muss selbstverständlich Stellung bezogen werden. Echte Spiritualität hat jedoch damit nichts zu tun.
Die Tatsache, dass ein Mensch keine persönlichen Erfahrungen mit der geistigen Ebene hat, bedeutet nicht, dass es die nicht gibt.
Die Frage, ob eine transpersonale Wirklichkeit existiert, ist nicht neu und ebenfalls die Diskussion darüber nicht. Es ist nicht meine Absicht das eine oder das andere beweisen zu wollen. Ich werde von meiner persönlichen Erfahrung ausgehen und sie mit den Erlebnissen anderer Menschen und Traditionen in Verbindung bringen.
Manche Individuen machen spirituelle Erfahrungen, während andere glauben keine zu haben. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise in diesem Bereich, jedoch unzählige persönliche Berichte, die sich auf subjektive Wahrnehmung und innere Erlebnisse berufen.
Wer den subjektiven Zugang ablehnt und für unbrauchbar hält, wird dieses Buch weglegen, denn ich möchte die persönliche Erfahrung in den Mittelpunkt stellen. Meine Absicht ist aufzuzeigen, wie wichtig es ist über spirituelle Themen nachzudenken und eigene Erfahrungen zu ermöglichen und zu sammeln.
Ein weiteres Anliegen ist darauf hinzuweisen, dass unsere Vorstellungen von uns und der Welt um uns herum erweitert werden können. Persönliche und ebenso kollektive Glaubensstrukturen sind immer in irgendeiner Weise einseitig und eng, ob es sich dabei um spirituelle oder um profane Inhalte handelt. Das Verständnis zu erweitern und zu vertiefen ist nicht nur auf der Ebene der Wissenschaften möglich und wünschenswert, sondern desgleichen im persönlichen Bereich. Nur dadurch lässt sich Stagnation verhindern und Wachstum ermöglichen. Dazu ist vor allem eines notwendig: Offenheit für radikal Neues und die Fähigkeit loszulassen von alten Vorstellungen und erstarrten Weltbildern. Diese Offenheit bezieht sich nicht nur auf neue Bereiche in der äußeren und sichtbaren Welt, sondern ebenso auf innere Bereiche und Dimensionen.
Der Königsweg zu innerem Wissen ist seit jeher die meditative Übung, die dem Menschen hilft in einen leicht veränderten Bewusstseinszustand zu gelangen und dadurch Dinge zu erfahren, die er auf rationalem Weg nicht finden kann.
Bevor ich selber zu meditieren begann, stieß ich eines Tages unerwartet auf neue Welten, die mich zum Nachdenken zwangen. Ich habe den inneren Weg nicht bewusst gewählt, sondern wurde durch bestimmte Ereignisse überrascht und dadurch ins Thema hineinkatapultiert. Es ist mir heute nicht mehr möglich andere Ebenen der Wirklichkeit zu ignorieren. Für mich existiert eine geistige Welt, die ich für eine wesentliche Dimension des menschlichen Daseins halte. Da ich rückblickend in vielfältiger Weise von meinen inneren Erlebnissen profitiert habe, bin ich motiviert sie mit anderen zu teilen und hoffe dadurch Denkimpulse und Inspiration zu geben.
In „Psycho-Spirituelles Wachstum“ gehe ich bewusst von meinen eigenen Wahrnehmungen und inneren Erfahrungen aus und reflektiere sie so, dass sich daraus Denkanstöße für den Leser ergeben. Ich versuche außerdem aufzuzeigen, welche Schlüsse ich daraus für mein persönliches Leben gezogen habe. Wichtiger als meine persönliche Meinung und die konkreten Inhalte meiner eigenen Auseinandersetzung ist mir jedoch, den damit verbundenen Prozess aufzuzeigen, der über das Persönliche hinaus allgemeine Orientierung geben kann. Ich bin davon überzeugt, dass das Leben ein Lernprozess ist mit dem Ziel größere Bewusstheit zu schaffen. Wir sollten darum diese Chance nutzen.
In den Text eingebettet und dennoch als zusätzliches Angebot gemeint, schlage ich einige Übungen vor, die nach Belieben weggelassen werden können. Wer also lieber nur den Text liest, kann dies tun. Wer selber aktiv werden möchte, hat die Möglichkeit sich etwas weiter in die Materie einzulassen um seinen eigenen Standpunkt zu ergründen und zu verstehen.
Bei diesen Übungen spreche ich den Leser und die Leserin absichtlich mit „Du“ an, weil ich dies als natürlicher empfinde, als das distanzierte „Sie“. Ich habe mich außerdem entschieden die männliche Ansprechform und nicht die weibliche zu benutzen. Damit will ich Frauen nicht vor den Kopf stoßen, diese Form ist den meisten Menschen einfach mehr vertraut. Selbstverständlich sind beide Geschlechter damit gemeint.
Teil I
Die Dynamik von transpersonalen Weltbildern und Glaubenskonzepten
Wir alle haben Vorstellungen und Bilder vom Leben. Sie wurden uns durch die Familie, durch unsere Ausbildung, durch die Kultur, in der wir leben oder durch eine religiöse Erziehung vermittelt. Viele von diesen Überzeugungen sind relativierbar, denn in einer anderen Familie, Kultur oder Religion hätten wir andere Welt- und Glaubensvorstellungen vermittelt bekommen und würden darum unser Leben und unsere Umwelt anders sehen und verstehen. Verschiedene Kulturen und Glaubenssysteme haben unterschiedliche Vorstellungen vom menschlichen Dasein und seiner Beziehung zum Universum.
Man kann sich also getrost die Frage stellen: Was ist die Wahrheit? Welche Vorstellungen sind richtig, welche falsch? Woran soll der Mensch sich orientieren und gibt es die absolute Wahrheit überhaupt? Ein Bild, das manchmal als Antwort auf diese Frage benutzt wird, ist ein kostbar geschliffener Edelstein mit vielen Facetten. Jede Facette eröffnet einen anderen Zugang zum Innern des Juwels, so dass erst alle Facetten zusammen das gesamte Bild ergeben.
Diese Metapher gefällt mir, denn sie bietet neue Perspektiven zu unterschiedlichen Weltbildern, Glaubensstrukturen und Annäherungen an das Geheimnis des Lebens. Je nach Blickwinkel und Bewusstseinslage ergeben sich unterschiedliche Antworten auf die wesentlichen Fragen des Menschseins. Der Vorteil dieser offenen Auffassung liegt darin, dass es kein Entweder–Oder gibt, dafür ein Sowohl–Als auch. Diese Sichtweise kann eine ungeheure Bereicherung bedeuten und lässt menschliche Vielfalt zu, die eine immense Quelle für Inspiration ermöglicht. Wir können lernen diese Unterschiede zu schätzen und zu nutzen! Das setzt die Bereitschaft voraus zuzuhören und eine lernende Haltung einzunehmen.
Im Buddhismus wird gelehrt, dass jemand besser zuhören kann, wenn er versteht, dass Äußerungen nur Ansichten sind. Das Wort „Ansicht“ passt ausgezeichnet zum Bild des Edelsteins mit den unterschiedlichen Facetten. Menschen haben unterschiedliche Wahrnehmungen und Standpunkte. Niemand hat ausschließlich recht und kann behaupten, die absolute Wahrheit zu kennen.
Die Anerkennung unterschiedlicher Perspektiven hilft die eigene Sichtweise zu relativieren und das eigene Denken zu hinterfragen. Nur einen einzigen Blickwinkel zu berücksichtigen, verengt den Blick.
Es ist wichtig, sich über die Einseitigkeit vorgegebener Prägung im Allgemeinen und speziell in Glaubensfragen bewusst zu werden. Als Individuum kann ich mir nicht nur bewusst die Frage stellen: „Was glaube ich ganz persönlich eigentlich?“ oder „Woran glaube ich?“, sondern „Warum glaube ich das, was ich glaube?“ und „Wie bin ich dazu gekommen eben das zu glauben?“
Darauf gibt es grundsätzlich drei unterschiedliche Antworten, die ich bewusst etwas überspitzt formuliere:
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Die erste lautet: „Ich glaube, was mir persönlich vermittelt wurde und ich halte an der Tradition fest.“ Das Individuum übernimmt unter diesen Voraussetzungen, was Eltern, Lehrer, Kulturträger oder andere Menschen ihm gesagt haben. Es akzeptiert die tradierte Sichtweise ohne weitere Fragen zu stellen und ist damit zufrieden. Diese Gruppe nennt man die Traditionalisten. |
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Die zweite Ansicht ist entgegengesetzt: „ Ich akzeptiere keine Autoritäten, die mir vorschreiben, was ich glauben soll, darum breche ich mit den alten, längst überholten Werten“. Der Einzelne will sich von der Tradition lösen und glaubt nicht mehr, was Autoritäten vermitteln. Heute wenden sich viele von Tradition, Kirche, Glauben und anderen spirituellen Vorstellungen ab. Sie kümmern sich lieber um das, was sichtbar und handfest ist. Diese Gruppe bilden die Säkularen. |
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Die dritte Haltung hört sich etwa so an: „Ich suche nach Antworten auf wesentliche Fragen des Lebens und fühle, dass es etwas geben muss, was weiter und umfassender ist als der Mensch und die ihn umgebende Natur. Ich öffne mich für mögliche Antworten.“ Dieser Mensch ist suchend und neugierig. Darum lässt er sich auf vieles ein und ist offen für unterschiedliche Ansichten, die er auf sich wirken lässt und mit persönlichen Erfahrungen vergleicht. Er ist daran interessiert, wie andere Menschen fühlen und ist bereit sich auf fremde Vorstellungen und Erlebnisse einzulassen. Dadurch entsteht paradoxerweise die Gelegenheit den eigenen Standpunkt besser zu verstehen und zu festigen. Wer sich für neue Sichtweisen öffnet, kann dabei wachsen und den persönlichen Horizont erweitern. Heute wird diese Gruppe als die Alternativen oder die Sucher bezeichnet. |
Zum ersten Punkt möchte ich folgendes anmerken: Obwohl ich Traditionen nicht grundsätzlich ablehne, bin ich der Meinung, dass sie reflektiert und verstanden werden sollten. Wahre Spiritualität ist mit Gefühlen verbunden. Was tief gefühlt wird, erzeugt eine spezielle Resonanz im Innern und setzt einen Prozess in Gang. Wenn das nicht der Fall ist und Glaube einfach übernommen wird, kann keine echte Beziehung zum transpersonalen Glaubensinhalt entstehen. Unreflektiert zu übernehmen, was andere sagen, halte ich für eine zu kindliche und naive Haltung für den aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts.
Ein zukunftsweisender Weg kann nicht hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurückgehen.
Gefühlter Glaube ist immer etwas Persönliches. Er kann darum kein Gruppenphänomen sein oder von außen aufgesetzt werden. Oftmals spielt allerdings die Glaubensgemeinschaft eine zentrale Rolle, weil sie Geborgenheit vermitteln kann und Beziehungen fördert. Zugehörigkeit ist wichtig, jedoch nicht um den Preis persönlicher Entwicklung. Manchmal ist der Preis für inneres Wachstum und gefühlte Spiritualität hoch und kann die Trennung von liebgewordenen Zugehörigkeiten und Gewohnheiten bedeuten. Dies geschieht besonders oft in fortgeschrittenen Stadien der inneren Reise. Spirituelle Beheimatung ist heute nicht mehr selbstverständlich, sondern abhängig vom eigenen Suchen und Ausprobieren.
Die zweite Position, die im Hinblick auf die oben gestellten Fragen eingenommen werden kann, ist nachvollziehbar. Darunter fällt ebenfalls die Gruppe der A-Religiösen und Indifferenten, die ohne spirituelle oder religiöse Sozialisation aufgewachsen sind. In ihrem Alltag spielen darum religiöse Erfahrungen keine Rolle. Sie ähneln in gewisser Weise der ersten Gruppe, indem sie das Modell ihrer Eltern übernehmen. Dadurch wird die geistige Dimension des Menschen negiert und vernachlässigt. Wesentliche menschliche Erfahrungen werden ausgeblendet und ebenso Antworten auf wichtige Lebensfragen. Die Bedeutung des Todes, das Danach, der Sinn geistiger und physischer Behinderungen, die Erfahrung schwerer Krankheiten, der Lebenssinn im Allgemeinen, spirituelle Phänomene und außersinnliche Wahrnehmungen fehlen in diesem Konzept.
Die christliche Religion hat, wie einige andere Weltanschauungen, durch ihren Machtmissbrauch viele Menschen in einem sensiblen Bereich verletzt und enttäuscht. Sie hat dadurch enormen seelischen und sozialen Schaden verursacht, für den sie die Verantwortung trägt. Viele religionsgeschädigte Menschen wählen darum den Weg der Abkehr und verspüren keine Lust nach einer Alternative zu suchen. Sie sind in ihrer Sensibilität getroffen und haben das Vertrauen in die Spiritualität ganz verloren.
Zur zweiten Gruppierung gehören außerdem überzeugte Atheisten. Als solche bezeichne ich Menschen, die durch Nachdenken und inneres Ringen schließlich ihre persönliche Antwort auf wesentliche Fragen im Atheismus gefunden haben. Auf sie werde ich später noch zurückkommen.
In der dritten Position sehe ich ein großes Entwicklungspotenzial und die reale Möglichkeit zu Bewusstseinserweiterung. Diese Option setzt voraus, dass jemand an tieferen Fragen interessiert ist und erfordert ein gewisses Maß an Eigenaktivität und Selbstreflexion. Die Fähigkeit über sich selber nachzudenken, ist nicht selbstverständlich und muss geschult werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei stark gläubigen Menschen diese Eigenschaft oft fehlt, unabhängig davon, ob diese Menschen einer traditionellen Gruppierung angehören oder aus esoterischen Kreisen stammen.
Eine zweite Eigenschaft im Bereich der spirituellen Suche ist ebenfalls wichtig: Die Revisionsfähigkeit. Das bedeutet, dass jemand fähig sein muss ein Glaubenskonzept aufzugeben, wenn es sich als untauglich oder kontraproduktiv erweist und trotz ernsthafter Bemühungen gefühls- und vernunftmäßig nicht nachvollziehbar ist.
Es wurde in wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt, dass bei manchen eingefleischten Esoterikern die Fähigkeit zu falsifizieren (zu erkennen, dass etwas falsch ist) fehlt. Das trifft für andere Glaubensgemeinschaften ebenfalls zu.
Es ist ausschlaggebend zu verstehen, dass wir alle eine bestimmte Perspektive haben und dass es mehrere mögliche Blickwinkel auf eine bestimmte Sache gibt. Die Anerkennung dieser Tatsache und die Bereitschaft anderen zuzuhören, erweitert unser Denken und inspiriert zu neuen Wahrnehmungen.
Da die heutige Zeit einen persönlichen Zugang zu geistigen Fragen ermöglicht, schlage ich für die konkrete Arbeit mit dem eigenen Glauben ein Vorgehen vor, das ich als „rollendes Konzept“ bezeichnen möchte: Was immer jemand glaubt und wovon er überzeugt ist, kann von Zeit zu Zeit geprüft, überdacht oder tief meditiert werden. Wann immer sich neue Erkenntnisse und tieferes Verständnis entwickelt haben, kann dies das überholte Bild ergänzen oder ablösen. Was für große Veränderungen im Bewusstsein der Menschheit als Ganzes gilt, ist in gleicher Weise für das einzelne Individuum gültig: Es ist einem steten Wandel unterworfen, den wir als Fortschritt bezeichnen. Auf diese Weise entstehen erweiterte Vorstellungsinhalte und neue Sichtweisen, die helfen das eigene Leben, Beziehungen und größere Lebenszusammenhänge besser zu verstehen.
Der moderne Mensch ist -verglichen mit früheren Epochen- dazu aufgefordert eine eigene Position zum Leben zu finden. Selbstverständlich kann sich die an größere oder kollektive Glaubenskonzepte anlehnen oder sich davon inspirieren lassen, denn wir können nicht allein aus uns selbst heraus eine wirklich weite Perspektive unseres Lebens formulieren. Wir dürfen uns jedoch die Freiheit nehmen, das, was uns von anderen gegeben wird, soweit zu assimilieren, wie es uns mit Sinn erfüllt und für die Lebensbewältigung hilfreich erscheint.
Es kann die Frage gestellt werden, ob wir dadurch einfach der Willkür Tür und Tor öffnen. Das wäre meiner Meinung nach dann der Fall, wenn jeder Mensch nur eine oberflächliche Meinung vertreten würde. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass tiefes Verstehen wollen und engagierte innere Suche zu echten Erlebnissen führen, die über-persönliche Spuren tragen. Das bedeutet, dass verschiedene Individuen zu ähnlichen inneren Ergebnissen kommen, die jeweils persönlich gefärbt sein mögen, jedoch in der Essenz ihrer Aussage universell sind.
Will der Mensch einen undogmatischen und tiefen persönlichen Weg gehen, müssen von Zeit zu Zeit alte Vorstellungen geopfert werden. Das ist manchmal schwer, besonders wenn dadurch ganze Lebenskonstrukte ins Wanken geraten.
Um das zu verdeutlichen, werde ich in den nächsten beiden Kapiteln von meiner eigenen Erfahrung berichten.
Es ist in Glaubensfragen klug keine absolute Wahrheit für sich in Anspruch zu nehmen. Verschiedene Zugänge und Standpunkte ergänzen sich, so wie die verschiedenen Facetten eines Juwels unterschiedliche Blickwinkel in sein innerstes Zentrum ermöglichen.
Wenn ich im Folgenden von persönlichen Erkenntnissen ausgehe, geschieht das durchaus mit der Absicht meinen eigenen Blickwinkel einzubringen. Das eigene Erleben und die eigenen Gefühle sind für mich stets Ausgangspunkt für das Verstehen der inneren Welt und der spirituellen Dimension gewesen. Ich glaube, dass wir alle die Fähigkeit besitzen nach innen zu lauschen und Experten im Verstehen der inneren Welten zu werden. Leider unterschätzen manche Menschen die Bedeutung der eigenen Erfahrung. Sie übergehen die innere Stimme oder ihre feineren Wahrnehmungen. Sie vergessen oder legen Erlebnisse beiseite, die sie nicht verstanden haben oder die ihnen nicht erklärt worden sind. Wir haben nicht gelernt auf uns zu hören und unsere Wahrnehmungen genügend ernst zu nehmen! Sie sind jedoch die eigentliche Grundlage für einen persönlichen Glauben. Wenn das Erlebte zusätzlich reflektiert und assimiliert wird, entsteht bewusstes Wachstum.
Persönliche Erfahrungen und Prägungen
Als kleines Kind lernte ich zu beten. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mir beibrachte zu meinem Schutzengel zu beten. Durch die Nähe zu meiner Mutter, die ich in Vielem vermisste, waren das schöne und intensive Momente, in denen ich mich gefühlsmäßig aufgehoben fühlte. Ich erinnere mich ferner aus dieser frühen Zeit gerne an die Abendgebete, die ich mit meinem Vater in meinem Kinderbett sprach, wenn er mich zu Bett brachte, während meine Mutter arbeitete. Sie war Sprachlehrerin und an verschiedenen Erwachsenenschulen tätig, wo sie oft am späten Nachmittag und Abend zum Einsatz kam. Die Gebete waren einfache Kinderlieder, die damals meinem Alter entsprachen und mir im Rahmen dieser besonderen Zweisamkeit Sicherheit vermittelten.
Erst später wurde mir klar, dass mein Vater sich trotz des gemeinsamen Betens mit mir längst von der Religion und der Kirche abgewendet hatte. Stattdessen war er fasziniert von den Geheimnissen des Weltraums, der Sterne, der Planeten und der Natur, die in ihm echte Ehrfurcht erzeugten. Er hat mich früh dafür sensibilisiert die Unendlichkeit des kosmischen Raumes und die Schönheit des sichtbaren Universums zu schätzen, über die er oft intensiv staunen und nachdenken konnte. Als Fotograf lagen ihm Farben und Licht besonders am Herzen. Wenn wir über spirituelle Fragen sprachen, erzählte er oft, wie er als Kind das Durchscheinen der Farben durch die bunten Kirchenfenster liebte, die ihr Lichtspiel auf den Fußboden des Raumes warfen. Er erinnerte sich gerne daran, wie die Orgelmusik die Intensität seines Erlebens noch steigerte. Diese sinnlichen, atmosphärischen und ästhetischen Erlebnisse waren ihm wichtiger als die gesprochenen Worte. Mit der Predigt konnte er schon als Kind nichts anfangen und er lehnte die Machtspiele kirchlicher Autoritäten ab. Bis kurz vor seinem Tod bezeichnete er sich als überzeugter Atheist und vertrat die Ansicht, dass nach dem Tod das Bewusstsein schwinden und nichts mehr sein würde.
Meine Mutter war eine undogmatische Katholikin, die mir viel Freiraum in Glaubensfragen gewährte. Als ich mich mit neun Jahren weigerte meine erste Kommunion wie alle Gleichaltrigen zu empfangen, übte sie keinen Zwang auf mich aus. Sie ließ mich am Unterricht für „Biblische Geschichte und Sittenlehre“ teilnehmen, wie der protestantische Religionsunterricht an der Schule damals hieß, obwohl ich katholisch getauft war. Die Geschichten, die ich dort hörte, liebte ich sehr und ich ging darum gerne zu diesen Stunden. Meine Mutter besuchte die Kirche sporadisch, praktizierte jedoch täglich ihre Gebete, wie sie es in ihrer Familie in Sizilien gelernt hatte. Ich erinnere mich deutlich daran, wie meine sizilianische Nonna kniend den Rosenkranz betete. Gleichwohl schien sie das nicht besonders glücklich zu machen, denn sie beklagte sich noch im Aufstehen über ihr schweres Schicksal und seufzte dabei zutiefst. Kinder nehmen Stimmungen deutlich war und diese sagen oft mehr aus als Worte. In meiner Gymnasialzeit diskutierte ich mit meiner Mutter, die eine gebildete Frau war, leidenschaftlich gerne über Philosophie. Wir teilten das Interesse an Platon und Sokrates oder anderen griechischen Weisen, die zum Lehrstoff der Schule gehörten.
In meiner frühen Kindheit gab es einen wichtigen Faktor, der mich für Glaubensfragen sensibilisierte und das war meine Großmutter väterlicherseits. Sie war die einzige Schweizerin und die einzige Protestantin unter meinen Großeltern. Die anderen stammten alle aus Sizilien und waren katholisch. Diese Großmutter stand mir besonders nahe, denn wir wohnten die ersten beiden Jahre meines Lebens in ihrer Wohnung und später verbrachte ich viel Zeit bei ihr während meine Eltern zur Arbeit gingen. Von ihr habe ich viele Geschichten aus dem Neuen Testament gehört. Sie war sehr religiös, ja geradezu fanatisch und war in ihrem Leben zu dem Schluss gekommen, dass die christlich-protestantische Religion der einzig richtige Weg sei. Davon wollte sie alle Menschen in ihrer Umgebung überzeugen. Sie las täglich in der Bibel, machte sich viele Notizen, verteilte Traktate und schrieb seitenlange Briefe mit religiösen Inhalten an verschiedene Menschen. Auch meine Mutter wurde ein Opfer ihres Bekehrungseifers.
Das war eine große Herausforderung für meine Mutter, die fern ihrer Familie und Heimat ohnehin schon entwurzelt und verunsichert war. Dieser Glaubenskrieg, der vor allem von Seiten der Großmutter ausgefochten wurde, hat mich tief geprägt. Als Kind begann ich mir zu überlegen, wie die Nächstenliebe und die Liebe Gottes zu all dem passen könnten, was ich hier erlebte. Ich erfuhr früh, dass es unterschiedliche Meinungen zu Glaubensfragen geben kann und da ich beide Menschen liebte, war ich hin und her gerissen und geradezu gezwungen über diese Dinge nachzudenken. Ich glaube, dass dies den Anstoß dazu gegeben hat mir eine eigene Meinung zu bilden.
Wie ich bereits erwähnt habe, wollte ich nicht an der ersten Kommunion teilnehmen. Ich hatte - durch meine Großmutter sensibilisiert - bereits mit neun Jahren große Zweifel an der katholischen Kirche. Später änderte ich meine Meinung mehrmals bis ich mich schließlich mit zwanzig Jahren von der offiziellen Kirche abkehrte und austrat.
Zum Glück hat meine Großmutter im persönlichen Kontakt mit mir nie Druck ausgeübt oder mir den Glauben als etwas Angsteinflößendes vermittelt, so dass ich ihr schließlich dankbar bin für die vielen spirituellen Bilder aus unserer Kultur, die sie mir vermittelt hat. Sie haben sich tief in meine Psyche gesenkt und bilden einen reichen Fundus, selbst wenn ich sie heute auf meine eigene Art und Weise verstehe.
Das Christentum als solches hat meiner Meinung nach eine große Tiefe und ist ein spiritueller Weg unter anderen. Dessen ungeachtet bin ich nicht persönlich damit identifiziert. Die Zeiten einer christlichen Deutungshoheit gehören für mich längst zur Vergangenheit.
Wie viele, die sich abwenden, machte ich mir seinerzeit nun keine weiteren Gedanken über Religion oder Spiritualität. Ich sah meine Aufgabe eher in einem aktiven Engagement im sozialen Bereich. Da ich gleich nach dem Abitur heiratete und Mutter wurde, konnte ich meine Pläne, einen einjährigen sozialen Einsatz im Ausland zu leisten, nicht verwirklichen. Stattdessen schafften wir in unserer neu gegründeten Familie Raum für ein Pflegekind. Wir wollten in unserer jugendlichen Überzeugung etwas für andere Menschen tun.
Neben dem sozialen kam ein politisches Engagement hinzu. Ich setzte mich zunehmend kritisch mit der Welt auseinander, fand Freunde, die, wie ich, die männerdominierte und autoritäre Gesellschaftsordnung in Frage stellten. Ich beteiligte mich an politischen und sozialen Bewegungen der frühen siebziger Jahre. Es war Aufbruchsstimmung, die Gesellschaft sollte verändert werden, unter anderem durch die Pädagogik. Ich beschloss Pädagogik und Ethnologie zu studieren.
An der Universität herrschte in den siebziger Jahren vor allem bei den Ethnologen eine außerordentlich kreative und kritische Atmosphäre. Die Studentenbewegung war vor allem politisch und sozial orientiert. Ethnologische Studien relativierten zwar unser Gesellschafts- und Glaubenssystem, Spiritualität und Glaube hingegen waren trotz der Schriften von Castaneda nicht das vorrangige Thema in den Kreisen, in denen ich verkehrte. Der Kapitalismus, die Frauenfrage, die Kindererziehung, die Atomkraft, der Krieg, Politik und Wirtschaft standen damals im Zentrum der Diskussion.
Mitten in dieser spannenden Zeit der Experimente mit Beziehungen, mit Wohngemeinschaften, Demonstrationen und Friedensmärschen hatte ich, gänzlich unerwartet, eine innere Erfahrung, die mein Leben und meine Perspektive grundlegend veränderte.