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Iris Muhl
Die Nacht der Versprengten

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Mut steht am Anfang des Handelns,
Glück am Ende.

Demokrit

Iris Muhl

Die Nacht der Versprengten

Die wahre Geschichte einer Christnacht im Krieg

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2015 by Fontis – Brunnen Basel
Lektorat: Dr. Ulrich Parlow

Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns
Foto Umschlag: John Gomez, Lipsett Photography Group / Shutterstock.com
E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel
E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg

ISBN (EPUB) 978-3-03848-758-6
ISBN (MOBI) 978-3-03848-759-3

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Inhalt

Personen

1. Fremde Gestalten

2. Sie haben Maschinengewehre

3. Schwer verletzt

4. Beinahe im Schnee erfroren

5. Versprengte

6. Die letzte Hoffnung

7. Der mit den Toten spricht

8. Im Exil?

9. Blanker Irrsinn

10. Immerhin etwas

11. Die Kindheit ist ein Gespenst

12. Früh genug

13. Weshalb lügst du, Mutter?

14. Der Tod kreist um ihn

15. Physikalische Gesetze

16. Neunzehnhundertsechzehn

17. Ein schwarzer Tag

18. Heimweh

19. Verschwindet!

20. Kriegskoller

21. Misstrauen

22. Der Medizinstudent

23. Formalitäten

24. Beweise

25. Running man

26. Geburtsleiden

27. Begünstigung des Feindes

28. Substanzlosigkeit

29. Heilige Nacht

30. Verdammte Krauts

31. Das ist gar nicht gut

32. Das wird ein Nachspiel haben

33. Hermann

34. Nichts Heldenhaftes

35. Familie

36. Ein ehrenhafter Tod?

37. Feinheiten

38. Schnüffler

39. Schüsse

40. Kinder tragen keine Schuld

41. Vertrauen

42. Ein Krieg der Missverstandenen

43. Aus Überzeugung

44. Es ist wahr, Vater!

Nachwort der Autorin

Geschichtlicher Hintergrund

Personen

Fritz Vincken, zwölf Jahre, Sohn von Elisabeth Vincken, Hausfrau, und Hans Vincken, Bäckermeister an der deutschen Front

Elisabeth Vincken, 45, Ehefrau von Hans Vincken, aus Aachen

Frank Landers, 28, Sergeant der US-Armee, Familienvater und Bankangestellter

Will McEwan, 25, Private (einfacher Soldat) der US-Armee, Jazzmusiker

George Stafford, 22 Jahre, Private (einfacher Soldat) der US-Armee, schwer verletzt

Maximilian Peters, 30, deutscher Unteroffizier, Metzgermeister

Karl Schüssler, 24, Gefreiter, Hafenarbeiter aus Hamburg

Josef Krämer, 21, Gefreiter, Medizinstudent in Heidelberg

Arthur Lehnert, 35, Gefreiter, Familienvater und Optiker

1. Fremde Gestalten

Es war ein Tag ohne Vorzeichen. Fritz' kindliche Gesichtszüge wurden bei den eisigen Minustemperaturen dieses Winters 1944 härter. Er stapfte angestrengt durch das Weiß und hinterließ in den Schneedünen eine saubere Spur wie von einem Tier.

Während er den winzigen Holzschuppen ansteuerte, der zwanzig Meter neben dem kleinen Jagdhaus stand, trug der Wind Bombengrollen von der belgischen Grenze über die Lichtung des deutschen Hürtgenwalds. Seine Lederstiefel, die sein Vater auf dem Schwarzmarkt erstanden hatte, waren viel zu groß für ihn – Größe 42. Sie knirschten bei jedem Schritt, und Fritz spürte, dass er in ihnen keinen rechten Halt fand.

Er zog die kleine Tür des Holzschuppens auf und sog den leicht stechenden Duft des getrockneten Holzes ein. Der Schuppen war nur noch zu einem Drittel gefüllt. «Das reicht höchstens noch bis Januar», dachte Fritz besorgt. «Hoffentlich ist bis dann der Krieg endlich vorbei.» Er seufzte leise.

Fritz setzte den Korb auf dem Boden ab und langte nach den Scheiten. Seine kindlichen Hände fassten Scheit für Scheit und warfen sie in den dunkelbraunen Korb. Den hellen Klang des aufschlagenden Holzes mochte Fritz sehr. Es erinnerte ihn an sein Zuhause in Aachen, wo er mit den Nachbarskindern im Wald Holz sammelte, wenn die Kohle ausgegangen war.

Ob sein Vater bereits an den deutschen Linien war? Hatte er die Sachen besorgen können, die sie so dringend brauchten? Ein anständiges Messer, Paraffin, Butter und wenigstens ein kleines Stück Militärschokolade?

Fritz hielt inne. In seinem besorgten Gesicht sprossen die ersten Pickel. Dass er sich in der Hütte um das Feuer kümmern musste, half ihm nicht, Hautunreinheiten zu vermeiden. Als er den Korb gefüllt hatte, setzte er sich einen Moment lang in die leere Ecke des Schuppens und drehte ein Stück Holz in seinen Fingern. Er nahm sein kleines Taschenmesser, öffnete es und bohrte ein Loch in die Mitte. Er versuchte sich an eine Matheaufgabe zu erinnern und löste sie im Kopf. Anders als den meisten anderen Kindern seines Alters machte es ihm Spaß, seine Hirnwindungen kniffligen mathematischen Problemen auszusetzen.

Fritz lächelte und dachte mit Wehmut an seinen Lehrer, Herrn Dr. Kasek, den er sehr mochte. Bereits seit drei Wochen hatte er jetzt schon schulfrei, weil das Schuldach bei einem Bombenangriff der Alliierten stark beschädigt worden war.

Fritz wünschte sich sehnlichst zurück nach Aachen. Zurück ins Schulzimmer, in seine Bank, die eigentlich zu klein für ihn gewesen war. Fritz war schlaksig, dünn, fast drohten die Beine sich beim Gehen zu verheddern. Er sah auf seine Beine, die angewinkelt vor ihm standen, als gehörten sie nicht zu seinem Körper. Sie wirkten auf ihn wie lange, dünne Streichhölzer, eingepfropft in viel zu große Schuhe.

Fritz musste unweigerlich an Julia denken, das hübsche Nachbarsmädchen. Was sie wohl von ihm hielt? Das Badezimmer ihrer Wohnung befand sich direkt gegenüber seinem Zimmer. Oft hatte er sie abends beobachtet, wie sie sich am Waschbecken gewaschen hatte. Julia besaß lange, schmale Finger, mit denen sie mit einer Zärtlichkeit über ihr Gesicht fuhr, die ihn berauscht hatte. Ihre braunen Locken fielen nach vorn und bedeckten ihren ganzen Oberkörper. Einmal, kurz bevor sie die Stadt verlassen hatten und mit seinem Vater Richtung Ardennen gereist waren, hatte sie ihn angesehen. Ihre dunkelblauen Augen waren tief in seine Seele eingedrungen. Und Fritz wusste nur ihren Namen. Julia.

Mit großer Vorsicht legte Fritz das Messer quer an das Holzscheit, schob es einen Millimeter unter die Oberfläche und hob mit wenig Druck aus dem Handgelenk ein Stück Holz ab, das wegsplitterte. Mit flinken Fingern schnitzte er eine Figur daraus. Maria oder Josef, dachte er. Egal, Hauptsache, er hatte ein Geschenk für Mama und Papa für morgen. Weihnachten. Wenn er sich beeilte, dann könnte er beide Figuren schnitzen und sie auf den Kamin stellen. Mama würde sich freuen.

Seit drei Wochen schon saßen sie fest in dieser «albernen» Jagdhütte, wie sie Fritz' Vater genannt hatte. Trotz großer Verluste von deutschen Soldaten an den amerikanischen Linien hatte Hitler am 16. Dezember den Befehl gegeben, eine neue Offensive in den Ardennen zu starten, dem ausgedehnten Waldgebirge, das westlich der Eifel vor allem auf belgischem Gebiet lag. Das wusste Fritz von seinem Vater.

Wieder vernahm er das Grollen der Bomben. Zwei oder drei Kilometer von der Hütte entfernt mussten sie eingeschlagen sein. «Fritz», hallte da eine Stimme über die Ebene. «Fritz!» Es war die Stimme seiner Mutter, und sie klang fordernd. «Wo bleibt das Feuerholz?»

Er stand auf, schob seine Holzfigur und das Taschenmesser in die rechte Hosentasche und beugte sich leicht nach vorn, um den Korb mit dem Holz zu greifen. Er war schwer. Zwölf dicke Holzscheite mochten ein Gewicht von rund zehn Kilo haben, dachte Fritz. Für einen Zwölfjährigen eine stolze Traglast. Er trat aus der Hütte und stapfte durch den Schnee. Er schwankte unter der Schwere des Korbes, der im Schnee eine breite Spur hinterließ. Ein kalter Wind blies Fritz in den Rücken, hob die Äste an den Tannen an, die wie Soldaten die Lichtung säumten.

Plötzlich blieb der Junge stehen. Er lauschte gespannt. Kein Bombengrollen mehr. Nur der Wind war zu hören, der den Schnee in immer neuen Variationen über die Lichtung schickte. Fritz hob wieder den schweren Korb an, den er für ein paar wenige Sekunden im Schnee abgestellt hatte. Die Stille des Waldes senkte sich auf ihn, und er fühlte einen tiefen Frieden.

Da durchzuckte ihn ein Schrecken. Drei Gestalten traten zwischen zwei kleinen Tannen hervor, die ihre schneebedeckten Äste auf die Erde gelegt hatten. Erst auf den zweiten Blick sah Fritz, dass es Soldaten waren. Von Panik ergriffen, ließ er den Korb fallen und rannte los, mit seinen großen Schuhen durch den tiefen Schnee. Er spürte weder seine vor Kälte tauben Hände noch die Angst, die sich nun in seinem ganzen Körper ausbreitete. «Mama», dachte er. «Ich muss zu ihr.»

Er warf seine schlaksigen Beine entschlossen nach vorn. Immer wieder blieb er stecken, kippte zur Seite, fing sich auf und stapfte weiter, so schnell es der Schnee zuließ. Sein Atem ging stoßweise, weiße Wolken traten aus seinem Mund wie bei einer langsamen Dampflok. Das Holzhaus mit dem spitzen Giebel kam näher. Aus dem Kamin rauchte es. Er war viel zu massig angelegt für das winzige Häuschen, und Fritz hatte sich gesorgt, der Gegner könnte ihren Unterschlupf aufgrund des Rauches entdecken. «Vielleicht sind es Amis. Um Himmels willen, die Amis!», dachte er gehetzt. «Was sollen wir dann tun?»

«Mutter!», schrie Fritz aus vollem Leib. «Mutter!»

2. Sie haben Maschinengewehre

Frau Vincken fuhr sich mit der Bürste durchs Haar und lauschte. Hatte da jemand geschrien?

Nach wie vor starrte sie traurig in den Spiegel. Sie glitt mit den Augen über ihren hohen Haaransatz, der ihre Stirn vorteilhaft zur Geltung brachte, dann fuhr sie über ihre schmalen Wangen. Nur ihr Mund war so geblieben, wie er schon immer gewesen war. Wohlgeformt und schön.

Wie abwesend berührte sie ihre trockenen Lippen. Sie hatte abgenommen in den letzten Kriegsmonaten. Die schmalen Essensrationen und die viel zu kleinen Portionen Butter und Milch, die ihr Mann aus der Bäckerei an der Front nach Hause brachte, hatten sie schlank werden lassen.

Unbehagen erfasste sie.

War das nicht Fritz' Stimme? Sie erhob sich, ging zur Eingangstür und öffnete sie. Sogleich trat sie aus dem Haus.

«Kommst du jetzt endlich?», fragte sie und stellte sich in den Türrahmen. Ihr Haar war straff nach hinten zu einem Dutt zusammengebunden. Vor zwei Tagen erst hatte sie ihren Haarschopf mit Kaffeesatz gefärbt, der übrig gewesen war. Doch die weißen Strähnen waren dadurch nicht genügend abgedeckt worden. Im Sonnenlicht wirkte sie deshalb fast noch älter als ihre 45 Jahre, und ihre Adlernase warf einen Schatten auf die linke Gesichtshälfte.

«Mutter, die Amis! Drei Mann! Hol das Gewehr!», schrie Fritz.

Frau Vincken erschrak. Sie reckte ihren Hals, überblickte die Lichtung, die sie bisher für sicher gehalten hatte, und entdeckte drei unscharfe Gestalten, die langsam zu Soldaten wurden. Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es Amerikaner oder Landsleute waren. Sie wurde nervös. Gefahr drohte.

«Komm, komm!», rief sie mit bebender, gleichwohl gedämpfter Stimme ihrem Sohn zu, um ihn in Sicherheit zu bringen. Der duckte sich instinktiv und warf sich in die geöffnete Eingangstür, die seine Mutter sogleich hinter ihm schloss.

«Das Gewehr, nimm das Gewehr, Mutter!», schrie Fritz aufgeregt.

Langsam gewann Frau Vincken ihre Fassung zurück. «Dein Vater hat das Gewehr mitgenommen. Ich werde uns anders zu verteidigen wissen», sagte sie in einem Tonfall, den Fritz nicht so leicht hätte deuten können. War sie nun verunsichert oder todesmutig? «Du gehst in mein Zimmer», wies sie ihren Sohn mit klarer Stimme an. «Das Holz kannst du später noch holen.»

Fritz, irritiert und noch im Mantel, setzte sich aufs Bett seiner Eltern, das im Schlafzimmer stand. Die Amis waren bestimmt bis an die Zähne bewaffnet. Bestimmt würden sie sie einfach aus der Hütte vertreiben und den Rest der Suppe aufessen, die seine Mutter gekocht hatte. Fritz wusste kaum, wo er hinsehen sollte: durch die offene Tür des Schlafzimmers zur Feuerstelle, die zwischen Küche und Stube lag, auf den rechteckigen Tisch in der Mitte der Stube oder auf die Waschschüssel auf der Kommode neben dem Bett. Verwundert sah er seine Mutter an, die sich umständlich die weiße Kochschürze umband und dann in der Suppe rührte, als wäre nichts geschehen. Die Suppe verströmte einen wunderbaren Duft nach Kartoffeln, Kohl, Huhn und Karotten.

«Mutter, die haben Maschinengewehre!», rief Fritz außer sich.

Seine Mutter senkte den Kopf, als wollte sie nicht hinhören. «Dieser vermaledeite Krieg», murmelte sie auf den Suppentopf hinab.

Sie schwiegen beide.

In die Stille drangen Schritte von schweren Stiefeln, ganz offensichtlich nur von zwei Personen. «Wo ist der Dritte geblieben?», dachte Frau Vincken unwillkürlich. Ihr Herz flatterte, bevor sie ein leises, zaghaftes Klopfen zusammenfahren ließ.

3. Schwer verletzt

Frau Vincken drehte sich um und blickte zur Tür. Dann zögerte sie nicht, bewegte sich entschlossen auf den Eingang zu und drückte die Klinke. Ihr Sohn lief zur Schlafzimmertür und drückte sich dahinter gegen die Wand. «Was, wenn die uns was antun?», dachte er bebend.

Frau Vincken starrte die Männer an, die vor ihr standen. Tatsächlich. Es waren amerikanische Soldaten. Jetzt sackte einer von ihnen zusammen und blieb reglos im Schnee sitzen. Alle trugen sie Gewehre – eines war tatsächlich ein Maschinengewehr –, schwere Rucksäcke und eine Provianttasche. «Amerikaner!», schrie Frau Vincken innerlich. «Was wollen die von uns?»

Der müde Blick der drei Männer war von der Kälte bereits starr, an ihren Nasen und Augenbrauen hingen kleine Eiszapfen. Schwach und ausgezehrt wirkten sie. Der Mann, der im Schnee saß, war mehr blau als rot im Gesicht und keuchte.

Einige Sekunden schwiegen alle und lauschten dem Wind. Danach begann der Anführer zu sprechen.

«Good evening! Wir suchen einen Ort zum Aufwärmen. Dürfen wir hereinkommen?», fragte er höflich auf Englisch.

Frau Vincken hatte nicht verstanden. Sie antwortete auf Französisch, bewegte sich gleichzeitig auf die Treppe zu: «Ich verstehe Sie nicht, sprechen Sie Französisch?»

Sogleich gab der Anführer auf Französisch zur Antwort: «Ja. Haben Sie einen Platz für uns zum Schlafen?»

Was sollte sie antworten? Ihr Mann war nicht hier. Sollte sie die Soldaten hereinbitten? Verunsichert blickte sie auf die Gewehre, die die Männer unter dem Arm hielten, die Läufe zu Boden gerichtet. Was waren ihre Absichten? Weshalb waren sie nur zu dritt?

Frau Vinckens Beine zitterten und drohten ihr wegzusacken. Stattdessen kippte der kranke Soldat, der im Schnee saß, wie ein schwerer Mehlsack zur Seite.

Instinktiv stürzte Frau Vincken die Treppe hinunter und kniete sich bei ihm nieder.

«Um Gottes willen. Was ist denn mit ihm los? Helfen Sie mir. Wir müssen ihn reinbringen», rief sie erschrocken, obwohl sich alles in ihr gegen diese spontane Entscheidung sträubte. Fast hätte sie dabei ihren Atem verloren. Sie schluckte schwer, als müsste sie die ganze Angst in einem fort herunterschlucken.

«Bei uns ist es warm», sprach sie mechanisch und spürte, wie sie sich selbst verlor. Sie hatte gehofft, hier im Mittelgebirge mit Mann und Sohn in Sicherheit sein zu können, dem Krieg entkommen zu können. In diesen Sekunden brach ebendiese Hoffnung allerdings wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

«Die Gewehre lassen Sie bitte draußen. Ich habe ein Kind. Es wäre gefährlich, wenn Waffen in der Stube stünden», bat sie die Männer mit verzweifelter Stimme.

Die Soldaten sahen sie misstrauisch an. Die Gewehre draußen lassen? Konnte man dieser Frau denn trauen? War das klug? Der Anführer zögerte und blickte auf seinen Kameraden, der kraftlos im Schnee lag. Er wusste, dass all ihre Ideale verloren waren. Der Kampfgeist war dahin, die Menschenliebe an der Front vergessen. Die Sehnsucht nach Heimat lag schwer auf den Soldatenseelen, und die Kälte schürte die Zweifel am Sinn des Ganzen.

«Okay», sagte der Anführer entschlossen und stampfte die Treppe hinauf auf die kleine Veranda; der zweite Soldat folgte ihm.

Aus der Hütte strömte ihnen Wärme entgegen. Dankbar und erleichtert, in ein warmes Haus eintreten zu können, legten sie die Gewehre bereitwillig auf die Bank vor dem Haus und deckten sie mit einer Wolldecke ab. Dann schälten sie sich aus ihren feuchten Wintermänteln, die sie an die Haken an der Innenseite der Tür hängten, und atmeten auf. Die schweren Rucksäcke stellten sie in eine Ecke. Die Blechgeschirre, die an den Außentaschen hingen, schepperten.

«Thank you, Ma'am», sagte der zweite Soldat mit dunkler Stimme und trat wieder nach draußen, um seinen im Schnee liegenden Kameraden ins Haus zu tragen. Er hob ihn auf seine Schultern und brachte ihn herein.

Der Anführer, ein gut aussehender Mann mit leicht rötlichem Haar, lächelte Frau Vincken an. Sie staunte über sein sympathisches Lachen. Doch konnte sie ihm trauen?

4. Beinahe im Schnee erfroren

Mein Name ist Sergeant Frank Landers. Und das sind Private Will McEwan und Private George Stafford. Er wurde angeschossen.» Er zeigte auf seinen verwundeten Kameraden, der über den Schultern von McEwan lag. Er war bereits ganz grau im Gesicht. Seine Nase leuchtete indessen blaurot.

Mit besorgter Miene und einer tiefen Falte zwischen den Augen beobachtete Frau Vincken die Männer.

«Kommen Sie. Wir legen ihn in mein Bett. Dort ist es warm», sagte Frau Vincken entschlossen. McEwan trug den Verletzten ins Schlafzimmer.

Sein nasser Soldatenmantel wog schwer, und Schnee fiel von seiner Uniform auf den sauberen Holzboden. Frau Vincken kam eine Duftwolke von muffiger Kleidung und Schweiß entgegen. Eilig hatte Fritz für den Soldaten die Bettdecke zurückgezogen, damit er ins Bett gelegt werden konnte. McEwan ließ den Verwundeten vorsichtig von seinen Schultern gleiten.

Der sank erschöpft ins Laken, erstarrt vor Kälte und Schmerz, und schloss dankbar die Augen. «Ah», ein erleichtertes Stöhnen entrang sich seiner Brust. Er versuchte sich auf der weichen Matratze zu entspannen.

«Bitte, Fritz, hol Holz. Wir müssen weiter einheizen. Sie müssen die Sachen trocknen und Wasser kochen, um die Wunde auszuwaschen», bat Frau Vincken ihren Sohn.

Der blieb einen Augenblick stehen und warf einen scheuen Blick auf den halb tot wirkenden Soldaten. Sein Haar klebte wirr auf der schmutzigen Stirn, eingefallen und knochig waren seine Wangen. «Er wird zu einem Knochenmann», dachte Fritz aufgewühlt.