Über das Buch:
Identität, Individualität und Heimat sind in der Konsumgesellschaft zu einer schnell vergänglichen Ware geworden. In seinem Buch zeigt Weißenborn die dahinter stehenden Zusammenhänge auf und begibt sich auf die Suche nach Ansätzen für ein Christsein jenseits der Konsummentalität.
Über die Autorin:
Thomas Weißenborn machte seine ersten geistlichen Schritte im EC. Er studierte an der Philipps-Universität Marburg, wo er mit einem Thema aus der Ökumene zum Doktor der Theologie promovierte. Neben dem Studium engagierte er sich in dieser Zeit im Christus-Treff Marburg, wo er unter anderem für die Entwicklung und Durchführung von Glaubens und Jüngerschaftskursen verantwortlich war. 1996/1997 arbeitete er in London in der reformierten Gemeinde Westminster Chapel und der Christian Union mit. Von 1997-1999 machte er Vikariat in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Seit 1999 ist er Dozent am Marburger Bildungs- und Studienzentrum (mbs), dort lehrt er u.a. Dogmatik. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
Index
A
Abendmahl 93, 111
Angebot und Nachfrage 17-18, 21, 102
Askese 80-81
Aufklärung 15
Autonomie 69
B
Bedürfnisbefriedigung 26, 46, 53, 99, 104
Bergpredigt 70-72, 85
C
Callcenter 34-35
community 37
E
Einzigartigkeit 41, 56-58
Endlichkeit 39, 40, 97, 98, 108, 110
Entscheidung 20, 31, 45-49, 84, 98, 103-104, 125, 132
Erwählung 102-104
Evangelium 73, 94-95
F
freie Marktwirtschaft 15, 16
freier Wille 46-48
Freiheit 14-24, 41, 45-49, 108, 113
Freiheitsbegriff, negativ 15
Freiheitsbegriff, positiv 15
G
Geld 17-19, 22-25, 29, 42, 118-119
Gemeinschaft 17, 33, 36-38, 46, 60-61, 75, 77, 98,
100-101, 103, 111-112, 114, 119, 120,
128-130, 132
Globalisierung 9, 20, 30
H
Haustafeln 115
Heil 47
heilig, Heiligkeit 58-60, 89-94, 102, 110, 118-119
Heimat 32-40, 55, 58, 67-69, 100
Herrschaft Gottes 94, 95, 106
I
Identität 30-32, 38, 41, 42, 54, 56,
100-104, 119, 127
imperium 74
Individualisierung 33, 41, 129
Individualität 29-30, 41-42, 45
Internet 12, 20, 35, 38, 84, 122, 123, 124
Israel 90-93, 103
J
Jesus 45, 65, 66, 70, 72, 73, 77, 82, 93, 94, 95,
96, 100, 101, 105, 108, 110-112, 115,
116, 118, 119, 130, 131
K
Kapital 18, 22-24, 27
Kollaboration 67-69
Kommerzialisierung 36, 43, 45
Kreuz 96, 100, 107, 110-112
L
Leib Christi 111-112, 118, 120
Leiden 39-40, 61-62, 96, 106-110, 112-113
Liebe 78, 99-104, 111-112, 115-117, 131
Logos 81-83
M
Markt 9, 17, 18, 19, 22, 24, 42, 44, 45, 46, 50, 52,
56, 59, 76, 94, 97, 127, 130
Marktwert 21, 56, 81, 85
Marktwirtschaft 10, 14-18, 21, 27, 29, 99
Märtyrer 96, 106, 110
Menschenbild 14, 16, 46
Merkantilismus 16
Mission 45, 94, 137
N
Nachfolge 55, 66, 108, 109, 111, 119
O
Opfer 77, 78, 94, 106, 111, 119, 120
P
Patchwork 36, 51, 54, 101
Paulus 73, 74, 75, 82, 93, 94, 95, 108, 109, 111,
116, 131, 137
Pharisäer 82, 93
Planwirtschaft 16
Produktion 11, 20
R
Reich Gottes 65, 68, 93, 95, 102, 104, 117-118
Reinheit 69, 90, 91, 92, 93, 105
rein und unrein 69
S
Sadduzäer 68
Schöpfung 58, 81, 86-89, 97, 98
Smith, Adam 17
Status 23, 28, 29, 31, 81, 83, 106
Sünde 62, 99, 113
Symbol 58, 103, 106, 111
T
Taufe 103, 109
Tempel 59, 77, 82, 85, 90, 91, 92, 93, 94, 102
Tertullian 106
testimonium internum 48
Tod 34, 39, 40, 61, 66, 77, 100, 106, 108, 109,
110, 112, 113, 114, 120
Toleranz 51
Transzendenz 14, 24, 49, 61
V
Vergänglichkeit 39, 108, 114, 120
W
Werbung 27, 28, 29, 41, 63, 81, 107, 126
Wertanmutung 21, 39, 50, 53
Wertschöpfung 24, 25, 26, 27, 28, 42, 56, 85, 113
Widerstand 67, 70, 71, 72, 75, 78, 79, 85
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86827-822-4
Alle Rechte vorbehalten
© 2010 by Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH
35037 Marburg an der Lahn
Umschlagbild: © iStockphoto.com / Ljupco
Umschlaggestaltung: Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH /
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Satz und Datenkonvertierung E-Book:
Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH
www.francke-buch.de
We live in a greedy little world
That teaches every little boy and girl
To earn as much as they can possibly
Then turn around and spend it foolishly
We’ve created us a credit card mess
We spend the money we don’t possess
Our religion is to go and blow it all
So it’s shoppin’ every sunday at the mall
All we ever want is more
A lot more than we had before
So take me to the nearest store
Shania Twain, „Ka-Ching“
Denkt an das Wort des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat:
Geben ist seliger als nehmen.
Apostelgeschichte 20,35
Nur ein schlechtes Gewissen?
Ein seltsames Phänomen schleicht sich nach und nach in unser Leben in der westlichen Welt. Im Prinzip geht es dabei um nichts Neues, denn die Fakten liegen eigentlich schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch, obwohl sie zwischendurch immer wieder erfolgreich verdrängt worden sind. Mit dem Klimawandel ist jedoch ein aus den Ölkrisen der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts bekanntes Gefühl mit Macht zurückgekehrt: Weil unsere Welt endlich ist, können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher. Überall regt sich daher das schlechte Gewissen; der Markt für Bioprodukte boomt; nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Energiekosten haben Wärmedämmung und alternative Energiequellen Hochkonjunktur. „Nachhaltigkeit“ ist zum neuen Modewort geworden.
Verbunden mit dem Stichwort der Globalisierung steigt zudem das Unbehagen mit den weltwirtschaftlichen Gegebenheiten. Ohne dass wir es konkret bei den von uns erworbenen Waren belegen können, haben wir doch zumindest die Vermutung, dass vieles von dem, was wir kaufen, unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt worden ist. Lebensmittelskandale etwa offenbaren immer auch, welche Missstände sozusagen zum Normalbild einer ganzen Branche gehören. Wer wusste zum Beispiel vor dem Aufkommen von BSE, dass Rinder in unserem Landwirtschaftssystem zum Kannibalismus gezwungen werden, indem man Tiermehl an sie verfüttert? Wer ahnt die weltweiten Verflechtungen der Lebensmittelindustrie, wenn sie nicht dadurch ans Tageslicht kommen, dass „deutsche“ Sahnebonbons von giftigen Panschereien in der chinesischen Milchindustrie mitbetroffen sind?
Anderes schlummert eher unter der Oberfläche, erzeugt vielleicht ein diffuses schlechtes Gewissen, dem man allerdings nur schwer nachgehen kann. Mittlerweile schwant es jedem, dass in der Textil- und Schuhindustrie unter Arbeitsbedingungen produziert wird, die teilweise so erbärmlich sind, dass man eigentlich von Sklaverei reden müsste. Das Gleiche gilt für andere Branchen, die ihre Produktionsstandorte in „Sonderwirtschaftszonen“ von Staaten haben, die man treffenderweise „Billiglohnländer“ nennt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird also entdecken, dass unser Lebensstil hohe Kosten verursacht – so hohe, dass wir nur hoffen können, der Rest der Welt werde vernünftiger sein und ihn nicht übernehmen.
Hiermit verbunden ist ein zunehmendes Entsetzen über die Tatsache, dass nicht wenige selbst mit unserem Lebensstil noch nicht zufrieden sind. Auch innerhalb der Wohlstandsgesellschaften wird deshalb nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich immer größer, es entsteht eine ganz neue Schicht von Superreichen, die anscheinend über jede Notlage oder wirtschaftliche Krise erhaben sind, während die Mittelschicht schon kleinere Konjunkturprobleme am eigenen Leib zu spüren bekommt. Die Kritik am System der Marktwirtschaft, am „Neoliberalismus“ und „Turbokapitalismus“ ist deshalb in aller Munde.1
Damit sind wir freilich bei dem Punkt, an dem das Phänomen seltsam wird. Alle Analysen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir ein Problem mit dem Zuviel haben: zu viel Energie- und Ressourcenverbrauch, zu viel Umweltverschmutzung, zu viele Wegwerfprodukte. Die logische Konsequenz müsste also in der Abkehr vom Zuviel und damit im Weniger in allen Bereichen liegen. Konkret bedeutet das Verzicht. Wenn die Welt besser werden soll, müssen wir auf Wohlstand verzichten – und damit auf Einkommen, Autos, Urlaubsreisen, große Wohnungen, modische Kleidung, Fertigprodukte, Multimediaentertainment und vieles mehr.
Ein Horrorszenario? Genau. Vielleicht wagt es deshalb niemand, uns wirklich Verzicht zu predigen. Wir träumen lieber davon, dass man mit Hybridautos weiterhin genauso mobil bleiben kann wie bisher, dass man große Häuser CO2-neutral klimatisieren kann, dass Bio-Kiwis aus Neuseeland auch künftig zu jeder Jahreszeit möglich sind. Hollywood-Größen machen uns schließlich vor, wie man im Luxus schwelgen und gleichzeitig keinen „ökologischen Fingerabdruck“ auf unserem Planeten hinterlassen kann.
Nicht möglich erscheint dagegen Verzicht. Kein Globalisierungsgegner fordert eine allgemeine Einkommenssenkung in den Wohlstandsländern, im Gegenteil. Gerade die Kritiker des „Neoliberalismus“ wollen steigende Löhne, damit die Binnennachfrage angekurbelt wird. Alte, wenig umweltfreundliche Produkte sollen durch neue, „bessere“ ersetzt werden – obwohl längst klar ist, dass es weitaus sinnvoller für die Umwelt wäre, ein funktionierendes Gerät noch eine Weile zu gebrauchen anstatt es zu entsorgen und durch ein frisch hergestelltes zu ersetzen. Rechnet man den Energie- und Ressourcenverbrauch zum Beispiel bei der Produktion eines Autos, kann das alte ruhig ein wenig mehr Sprit fressen, die Energiebilanz wird immer noch besser sein als wenn wir das alte verschrotten und durch ein neues ersetzen.2 Doch diese Logik ist unserem Denken fremd. Wir reagieren statt dessen auf die Krise des Zuviels mit dem Allheilmittel des Nochmehr. Damit allerdings marschieren wir sehenden Auges in die Katastrophe, wobei es wenig hilft, dabei auch noch ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ebenso wenig hilft es jedoch, flammende Reden gegen den Materialismus und die „Gier“ zu halten, die angeblich unsere Zeit prägen. Denn so materialistisch und gierig, wie es auf den ersten Blick scheint, sind wir doch eigentlich gar nicht. Betrachten wir einmal die Comicfigur Dagobert Duck als Urbild des Geizkragens, der für Geld alles tut, selbst aber nahezu bedürfnislos lebt: Solche Menschen sind im Alltag ebenso selten wie ein Franz von Assisi, der all seinen Besitz den Armen gibt und fortan bettelnd durch die Lande zieht. Kennzeichnend für unsere Welt ist vielmehr der Schnäppchenjäger und Ratenkäufer, der heute schon den Lebensstandard erreichen möchte, den er sich eigentlich erst morgen leisten kann (und dann auch nur vielleicht).
In unserer von Internet-Auktionshäusern geprägten Einkaufskultur zeigt sich zudem ein weiteres Phänomen: Wir sind längst nicht mehr nur Kunden und Verbraucher, wir werden zunehmend auch zu Anbietern und Verkäufern. Damit jedoch fällt uns der erste Teil von Jesu Forderung an den reichen Jüngling immer weniger schwer: „Verkaufe, was du hast!“ (Matthäus 19,21).
Gerade in einer Wegwerf- und Verkäufergesellschaft kann man daher nicht davon ausgehen, dass ihre Mitglieder zu den von ihnen erworbenen Waren eine besondere Bindung entwickeln, sonst könnten sie sich nicht so mühelos von ihnen trennen. Im Gegenteil, es liegt sogar die Annahme nahe, dass wir in vielem ein ähnlich distanziertes Verhältnis zu den materiellen Gütern haben wie die altkirchlichen Asketen. Wir gebrauchen sie, aber wir hängen nicht an ihnen und können deshalb jederzeit von ihnen Abschied nehmen – vor allem dann, wenn wir sie durch andere ersetzen.3 Damit jedoch könnte auch ein Weg zum Verzicht möglich sein.
Um ihn wirklich frohen Herzens gehen zu können, müssen wir allerdings zuvor einen tieferen Einblick in die spirituellen4 Grundlagen unseres Wirtschaftssystems bekommen. Diese Grundlagen sind es schließlich, die es uns nicht nur schwer machen, uns von unserer Art zu leben zu verabschieden. Weil es sich um spirituelle Grundlagen handelt, prägen sie zudem unsere Denkweise – und damit auch unser Verständnis von Christentum, Gemeinde und Kirche. Betrachten wir Letztere nämlich ausschließlich in dem von unserem System vorgegebenen Rahmen, hören sie auf, kritisches Gegenüber der Gesellschaft und Kultur zu sein, sondern gehen in ihnen auf, werden ein Teil von ihnen. Entsprechend wenig können sie zur Lösung unseres tiefgreifenden Dilemmas beitragen, es sei denn, sie werden von Grund auf anders gedacht und gelebt. Deshalb werden wir uns auch mit den sich daraus ergebenden Fragen und Problemen beschäftigen.
1 „Eine kurze Geschichte der Konsumkritik“ liefert zum Beispiel Tanja Busse in ihrem Buch: Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht, akt. Taschenbuchausgabe, München 2008, S. 29ff.
2 Nach Schätzungen des Verkehrsclub Deutschland (VCD) könnte man allein mit der zur Herstellung eines neuen Fahrzeugs benötigten Energie ein altes zwei Jahre lang betreiben. Die Anschaffung eines Neuwagens ist aus umweltpolitischen Gesichtspunkten also nur dann sinnvoll, wenn er deutlich weniger verbraucht als der, den er ersetzt, bzw. aufgrund eines Rußpartikelfilters oder geregelten Katalysators sehr viel weniger Schadstoffe ausstößt. Ansonsten gilt für so aufwändig produzierte und langlebige Gebrauchsgüter wie Autos generell, dass man sie so lange wie möglich nutzen sollte, bevor sie ersetzt werden (Quelle: www.tagesschau.de/wirtschaft/abwrackpraemie118.html, abgelesen am 02.02.2009)
3 Vgl. William T. Cavanaugh: Being Consumend. Economics and Christian Desire, Grand Rapids (USA) 2008, S. xi. Cavanaughs Analyse unseres Wirtschaftssystems bildet den Hintergrund der hier ausgeführten Gedanken.
4 Mir ist bewusst, dass es sich bei „Spiritualität“ um ein Modewort handelt, das durch seinen häufigen Gebrauch immer sinnentleerter wird. Allerdings fällt es schwer, diesen Begriff durch einen anderen zu ersetzen, der etwas Ähnliches ausdrückt. Wenn hier von Spiritualität die Rede ist, sind also die geistlich-weltanschaulichen Grundlagen eines Systems gemeint, das, was unhinterfragt geradezu als „religiöse“ Wahrheit angenommen wird, also das, woran wir glauben, wenn wir innerhalb eines Systems denken und handeln.