Mein Leben begann wie ein Kriminalschmöker: Man wollte mich ermorden. Glücklicherweise wurde dieser Plan fünf Monate vor meiner Geburt gefasst, und so hat er mich kaum sonderlich erschüttert. Dabei hätte ich, falls es zutrifft, was man sich im Dorf erzählt, guten Grund zur Aufregung gehabt. Es war wirklich reiner Zufall, dass ich nicht umgebracht wurde, noch bevor sich diese fünf Finger, mit denen ich jetzt die Feder halte, zu Fingern auswachsen konnten.
Meine Mutter war damals sechzehn Jahre alt, und wenn mich nicht alles täuscht, verlangten weder ihr Körper noch ihre Seele danach, dass ich sie einmal Mutter nannte. Zugegeben, kein sechzehnjähriges lediges Mädchen sehnt sich gemeinhin nach dieser Würde, aber was meine Mutter anstellte, das war, nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, ausgesprochen krankhaft. Als wäre der Teufel in sie gefahren, so sträubte und wehrte sie sich gegen die Mutterschaft. Sie griff zu den schimpflichsten Mitteln, lief unterdessen jedoch eifrig von einer Kirche zur anderen; bald lag sie auf den Knien und betete, bald wünschte sie alle Heiligen des Himmels zur Hölle; sie tobte und wütete, sie wollte mich nicht zur Welt bringen, bei Gott, nein, sie wollte es nicht.
»Wenn ich den Vater, diesen Lumpen, wenigstens lieben würde«, sagte sie immer wieder. »Aber ich hab ihn nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, ich weiß nicht mal, wo in der Welt ihn der Teufel holt.«
Und so war es in der Tat. Sie hatte Mihály T. am Peter-und-Pauls-Tag kennengelernt, war ihm vorher nie begegnet und danach auch nicht mehr; trotzdem geschah das Malheur. Dabei gehörte meine Mutter durchaus nicht zu jenen mannstollen Frauenzimmern, die sich mit jedem einlassen, wenn er nur Hosen trägt. Ich will die Sache nicht etwa beschönigen, vielmehr halte ich mich an den Bericht einer Frau aus unserem Dorf, einer gewissen Tante Rozika, von der noch die Rede sein wird.
Nach ihren Worten war die »arme Anna« um nichts schlechter als die anderen jungen Dinger im Dorf. Sie war ein stilles, blitzsauberes, hübsches Mädchen mit weißer Haut und schwarzem Haar. Ich selbst erinnere mich am deutlichsten an ihre Augen. Es waren kleine, eigenartig tiefliegende schwarze Augen, misstrauische, immer ein wenig demütige Bauernaugen, die stechend und doch mit einer uralten Schwermut in die Welt blickten. Sie wohnte bei ihrer Stiefmutter; der Vater war früh gestorben, die Mutter hatte sie überhaupt nicht gekannt. Die Familie war bettelarm. Anna arbeitete als Magd und musste schon mit fünfzehn Jahren vom frühen Morgen bis in die späte Nacht auf den Feldern des Grafen schuften. Kurzum, das bisschen Gratisvergnügen war ihr zu gönnen, das den Bauern am Peter-und-Pauls-Tag zuteilwurde, und dabei lernte sie dann auch Mihály T. kennen.
Dieser Mihály war ein berühmter Mann, die Mädchen nannten ihn unter sich nur den schönen Miska. Er stammte aus dem Dorf, lebte jedoch seit mehr als zehn Jahren in der Fremde. Heißblütig und abenteuerlustig, wie er war, hatte er schon als Halbwüchsiger das Weite gesucht, und seither waren die sonderbarsten Gerüchte über ihn im Umlauf. Es hieß, er sei Schiffskapitän geworden, dann wieder, er mache als Pirat die Meere unsicher. In Wirklichkeit war er weder Kapitän noch Pirat, sondern Matrose auf einem Frachter, aber damit hatte er es in den Augen der Bauern schon sehr weit gebracht. Nun hatte sich der schöne Miska also nach zehnjähriger Abwesenheit eingefunden, um dem Dorf vorzuführen, was aus ihm geworden war. Er hatte sich piekfein gemacht, zwischen seinen starken weißen Zähnen steckte eine echte englische Pfeife, und den verwegen aufs Ohr gedrückten grünen Hut hatte er, wie er jedermann gern zeigte, in Buenos Aires erstanden. Er war ein großmäuliger, bullenstarker Bursche, ein Prahlhans, Raufbold und Herzensbrecher. Wie ein Pfau stolzierte er durchs Dorf, und fast jeden Abend sah man ihn mit einem anderen Mädchen auf einen Heuschober zusteuern.
Anna kannte den schönen Miska nicht, hatte jedoch umso mehr von ihm gehört. Als sie ihn an jenem denkwürdigen Abend des Peter-und-Pauls-Tages endlich sah, war sie tief enttäuscht. »Was, nach dem da seid ihr alle so verrückt?«, sagte sie laut, dass jeder es hören konnte. »Hol der Teufel euren Geschmack!«
Ihre besten Freundinnen beeilten sich, dem schönen Miska diese Worte brühwarm zu hinterbringen, erreichten aber, wie das meist der Fall ist, genau das Gegenteil dessen, was sie offensichtlich bezweckt hatten. Denn plötzlich stand der schöne Miska vor Anna, fasste sie mir nichts, dir nichts um die Taille und tanzte mit ihr einen endlosen Csárdás. Was eigentlich während dieses Tanzes geschah, lässt sich heute nicht mehr genau feststellen. Meine Mutter hat später geschworen, sie sei aus reinem Mutwillen mit ihm in den Kreis getreten, damit die Klatschbasen vor Neid platzen sollten. Tatsache ist jedoch, dass sie bis zum Morgengrauen ausschließlich mit dem schönen Miska tanzte, ohne auch nur einen anderen anzuschauen.
Man schrieb das Jahr 1912; es war ein schöner, an Früchten reicher Sommer, und der Peter-und-Pauls-Tag wurde in der herkömmlichen Weise begangen. Die Dorfbewohner konnten sich auf Kosten der Gutsherrschaft den Bauch mit Gulaschsuppe vollschlagen, die auf der Wiese in großen Kesseln über einem Holzfeuer gekocht wurde; der Gratiswein floss in Strömen; die Zigeuner spielten unermüdlich Csárdásweisen. Die Nacht war so schwül, dass die Leute noch gegen Morgen in Schweiß gebadet waren, obwohl sie unter freiem Himmel tanzten. Nach Mitternacht erhob sich zwar ein leichter Wind, aber er setzte nur die Lampions in den Nationalfarben in Brand und brachte keine Abkühlung, denn er war warm, als käme er aus einem Schornstein. Die in Flammen stehenden Papierlaternen wurden auf dem Boden ausgetreten, und nun leuchteten nur noch der Mond und die Sterne. Dieses Licht genügte der Jugend vollauf, ja, offenbar war es sogar noch zu hell, denn ein Paar nach dem anderen verschwand vom Tanzplatz.
»Haben Sie eigentlich ein Lieblingslied?«, fragte der schöne Miska auf einmal meine Mutter.
»Natürlich! Warum nicht?«
»Und wie heißt es?«
»Ach, es ist ein sehr altes Lied, die Zigeuner spielen es kaum noch.«
»Wirklich nicht?«, meinte der schöne Miska übermütig. »Na, heute werden sie jedenfalls nichts anderes mehr spielen. Passen Sie mal auf!«
Damit zog er eine Zehnpengőnote aus der Tasche, spuckte darauf und klebte sie wie ein ausgelassener großer Herr dem Primas an die Stirn. Natürlich stimmten die Zigeuner auf der Stelle das Lied an, das meine Mutter genannt hatte. Es war eine schwermütige alte Weise:
»Im grünen Wald ging ich fürbass
und freute an den Vöglein mich;
sie bauten ihr Nest aus Halmen und Gras …
Hei, wie herzinniglich lieb ich dich!«
Und es kam, wie der schöne Miska gesagt hatte: Bis zum Morgen spielten die Zigeuner nur noch diese Melodie. Ab und zu fasste sich der Primas zwar ein Herz und ging in eine schnellere Weise über, aber sofort pflanzte sich der schöne Miska vor den Musikanten auf, bereit, wie ein tollwütiger Hund über sie herzufallen. Was blieb ihnen also übrig, als bis zum Tagesanbruch ohne Unterlass diesen getragenen Csárdás zu strapazieren?
Der schöne Miska aber sang meiner Mutter ins Gesicht, so dass die anderen Mädchen vor Wut beinahe barsten: »Hei, wie herzinniglich lieb ich dich!«
Es war eine tolle Nacht, im Dorf gab es kaum einen nüchternen Menschen. Der Wein, die immerfort tönende weiche Csárdásweise, vielleicht auch die zahllosen Sterne am Himmel – all das ging ins Blut, und so geschah, was so oft in solchen Nächten geschieht. Ehe Anna sich’s versah, lag sie mit dem schönen Miska im Heu. Nur ein paar Minuten lang, erzählte die Ärmste später. Sie hatte noch gar nicht recht begriffen, was ihr widerfahren war, da riss er auch schon seine Uhr heraus und schrie auf, als habe man ihm einen Dolch in den Rücken gejagt: »Au verflucht, ich verpasse meinen Zug!«
Das hieß also: Hopp, hopp, und bevor sie ihre Kleider in Ordnung bringen konnte, war er bereits über Stock und Stein. Vom Eisenbahndamm aus sprang er auf den letzten Wagen und ward nicht mehr gesehen.
Ja, so hatte es sich zugetragen. Es war keine Liebe, gewiss nicht. Es war einfach eine Torheit, so etwas konnte vorkommen – immerhin hatten andere am Peter-und-Pauls-Tag schon größere Torheiten begangen. Am nächsten Tag zuckte meine Mutter, wie Tante Rozika erzählte, nur die Achseln. Sie hatte Kopfschmerzen, der ungewohnte Wein machte ihr zu schaffen, schlecht gelaunt und einsilbig schlich sie umher. An den schönen Miska dachte sie weder mit Groll noch mit Wärme im Herzen. Sie nahm das Ganze, wie man solche Dummheiten zu nehmen pflegt. Es war nun mal passiert! Schließlich hatte der Bursche ihr nichts abgebissen.
Vielleicht erinnerte sie sich kaum noch an die berühmten schönen Augen von Mihály T., als sie eines Tages bemerkte, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Natürlich rannte sie sofort zu den Frauen, die für solche Fälle zuständig waren, aber sie rannte vergebens. Tante Rozika, die auf diesem Gebiet Bescheid wusste, stellte fest, dass schon vorher gewisse Unregelmäßigkeiten aufgetreten waren, und darum, so erklärte sie, habe meine Mutter so spät erkannt, wie es um sie bestellt war. Außerdem sei sie offensichtlich auch noch zu unerfahren in diesen Dingen. Kurz und gut, ich war damals bereits über drei Monate alt.
Im Allgemeinen schreckten die Hebammen im Dorf vor einer solchen Dreimonatssache kaum zurück, und wenn sie diesmal nichts davon wissen wollten, so hatte das seine Gründe. Ungefähr ein halbes Jahr zuvor war die Magd des Apothekers unter den Händen einer alten Kurpfuscherin in einer Nachbargemeinde verblutet. Dieser Vorfall löste einen Riesenskandal aus, auch aus unserem Dorf holten die Gendarmen zwölf Frauen ab. Es gab Jammern und Wehklagen, Untersuchungen und eine Gerichtsverhandlung, sogar die Zeitungen waren voll davon. Nach diesem Ereignis war die im Dunkeln blühende Zunft der Engelmacherinnen zum Leidwesen Annas ungemein vorsichtig geworden.
Meine Mutter raste wie eine Besessene umher, sie bat jeden Wagen, der in ein Nachbardorf fuhr, sie mitzunehmen, lief der Reihe nach zu allen Hebammen, Kurpfuscherinnen und sachverständigen alten Frauen der Umgegend. Keine von ihnen half ihr, man führte sie nur mit guten Ratschlägen an der Nase herum. Die einen gaben ihr geheimnisvolle Salben, Tees oder Pillen, die anderen verordneten ihr so heiße Bäder, dass ihr Körper wochenlang mit Blasen bedeckt war. Es nützte alles nichts. Die honigsüßen Weibspersonen entlockten der armen Dienstmagd lediglich die paar Kreuzer, die sie sich mit saurem Schweiß verdient hatte, und erklärten dann mit scheinheiliger Miene und großem Bedauern, dass sie ihr leider, leider nicht helfen könnten. »Du bist zu spät gekommen, liebes Kind.«
Das »liebe Kind« nahm daraufhin sein großes Tuch um, denn inzwischen war es Dezember geworden, und sprang in den Fluss. Es herrschte heftiges Schneegestöber, auf dem Wasser trieben dicke Eisschollen, dennoch wollte es der kleinen Dienstmagd nicht gelingen zu sterben. Man zog sie heraus, das kalte Bad blieb ohne Folgen für sie, nicht einmal einen lächerlichen Schnupfen holte sie sich.
Offenbar war ich schon als Embryo eine zähe Natur. Weder erfror ich in der eiskalten Flut, noch wurde ich in den heißen Bädern tödlich verbrüht, und auch die verschiedenen Salben, Pillen und Tees vermochten nicht, mir den Garaus zu machen. Ich kam zur Welt, ich lebte und war gesund und munter. Ich wog fünfeinhalb Kilo; ein so schweres Neugeborenes hatte es im Dorf noch nie gegeben. Aus meiner funkelnagelneuen Kehle schmetterte ich Töne in die Welt, die jedes Hirtenhorn in den Schatten stellten.
»Wie hässlich!«, stellte meine Mutter kurz und bündig fest, als ich ihr nach der Geburt gezeigt wurde. Damit drehte sie sich zur Wand, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.
Nun, dachte ich wahrscheinlich, wenn ich den eisigen Fluss und die heißen Bäder überlebt habe, werde ich auch diese Missachtung irgendwie überleben. Und ich überlebte sie wirklich. Ich wuchs, nahm zu, wurde stark, ich weiß selbst nicht, wie und wovon. Um einen streunenden Hund kümmerte man sich mehr als um mich. Ich wuchs heran wie das Unkraut, war aber auch, das darf ich wohl sagen, ebenso widerstandsfähig.
Das erste Wort, das aus meinem Munde kam, war Teufel. Das Wort Mutter lernte ich erst viel später. Leider ist diese Abweichung von der Regel weniger auf meine muntere Natur zurückzuführen als auf die traurige Tatsache, dass man mich schon als Säugling wieder und wieder mit Schimpfreden bedachte, die diesen deftigen Fluch enthielten, wohingegen ich sehr selten Gelegenheit hatte, das zärtliche Wörtchen Mutter auszusprechen, obwohl es im Dialekt unserer Grafschaft besonders innig klingt.
Bereits zwei Wochen nach meiner Geburt verdingte sich meine Mutter in Budapest als Amme; sie kam höchstens vier- oder fünfmal im Jahr ins Dorf, um mich zu besuchen. Warum sie sich so selten blicken ließ, weiß ich nicht. Vielleicht gab man ihr nicht öfter frei, oder sie konnte das Fahrgeld nicht aufbringen, es ist aber auch möglich, dass sie mich nach wie vor abschreckend hässlich fand. Höchstwahrscheinlich wurde ihr Verhalten durch alle drei Gründe bestimmt. So hatte ich also eine Mutter und hatte doch keine. Und all die gute süße Milch, die nach den uralten Naturgesetzen mir hätte zukommen müssen, trank mir das Söhnchen eines Budapester Tuchhändlers weg, ein Siebenmonatskind, das in Watte gepackt war wie eine verletzte Seidenraupe.
Es scheint eben doch, dass die Gesetze, selbst die Naturgesetze, nur bestehen, um von den Menschen umgangen zu werden.
Ich blieb also im Dorf bei Tante Rozika. Trotz ihres süß klingenden Namens war sie das schändlichste alte Weib in der ganzen Gemeinde. Seit sie für ihr ursprüngliches Gewerbe zu alt geworden war, befasste sie sich mit der Erziehung von Jungen anstößiger Herkunft, wie ich einer war – wenn man das, was sie mit uns anstellte, überhaupt Erziehung nennen konnte.
Sie war eine Slowakin, und es hieß, sie sei in ihrer Jugend ein sehr schönes Mädchen mit flachsblondem Haar und blauen Augen gewesen. Mit fünfzehn Jahren trat sie in Dienst bei einem Gutsherrn, der sie aus dem Norden hatte kommen lassen. Sie arbeitete drei Jahre lang, dann brachte sie einen gesunden Jungen zur Welt. Der Vater des Kleinen war selbst noch ein halbes Kind: der sechzehnjährige Sohn der Gutsherrschaft. Seine Eltern hatten Rozika zwar unverzüglich an die Luft gesetzt, als sie bemerkten, dass ihr die Schürze zu kurz wurde, aber es gelang ihnen nicht, sie loszuwerden. Dieses schöne slowakische Mädchen war pfiffig; sie wusste genau, was sie tat. Sie kreischte, schimpfte und lärmte, sie drohte so lange mit Anwälten und Skandalen, bis der Gutsherr den Beutel aus der Tasche zog. Von diesem Geld kaufte sie sich das kleine Haus am Ende des Dorfs, in dem ich dann aufwuchs.
Kaum ein halbes Jahr, nachdem sie die Abfindungssumme kassiert hatte, starb ihr Kind. Es starb ganz unerwartet. Heute noch munkelt man im Dorf, der Sensenmann habe den Jungen aufgrund einer persönlichen Einmischung der Mutter geholt. Das mag freilich nur Gerede sein, doch da ich Tante Rozika kenne, möchte ich es nicht ausschließen.
Damals empfing sie bereits die Besuche eines »besseren Herrn« aus einem Nachbardorf. Er fuhr immer im Wagen vor, war verheiratet und konnte nur sonnabends kommen. Nun besteht aber die Woche nicht nur aus Sonnabenden, und so sorgte Rozika im Laufe der Zeit dafür, dass sie auch an den anderen Tagen Gäste hatte. Schließlich verkaufte sie Liebe, wie andere Gerste verkaufen.
Rozika war eine sparsame Natur, und jeder Fillér, den sie sich erliebte, wurde unverdrossen auf die hohe Kante gelegt. Bald ließ sie das baufällige Haus renovieren und einen neuen Zaun um den Hof ziehen; später kaufte sie sogar noch ein schönes Stück Land hinzu. Sie hatte in kurzer Frist ihr Nest so warm ausgefiedert, dass die Dorfbewohner vor Neid platzten.
Eines schönen Tages aber brach auch über sie das Verhängnis herein, dem kein Frauenzimmer entgeht, das von den Männern nichts als Geld will. Sie vergaffte sich in einen Burschen, der wiederum von ihr nichts als Geld wollte.
Er war ein stumpfer, grobschlächtiger Kerl, und ich habe nie verstehen können, dass sie, die mit so vielen Männern zu tun hatte, sich gerade in ihn verknallte. Als ich das letzte Mal zu Hause war, fragte ich sie sogar danach. Sie konnte es mir auch nicht erklären. »Er war nie eine schöne Mann«, sagte sie in ihrer komischen slowakischen Redeweise, »aber alle Mädel sind gewesen verrückt nach ihm.«
Demnach hat er also nicht mal gut ausgesehen, dieser Liebling der Frauen, und dass er nicht sehr gescheit war, davon konnte ich mich später selbst gründlich überzeugen. Obendrein war er arm wie eine Kirchenmaus, als er im Dorf auftauchte, das Hinterteil blitzte ihm unter dem Hosenboden hervor. Er war einer jener zerlumpten Vagabunden, an die ein Mädchen normalerweise keinen Blick verschwendet.
»Hat mich geplagt die Neugier«, gestand Tante Rozika. »Wollte ich wissen, was ist Geheimnis von eine solche Niemand.«
Nun, das Geheimnis »von eine solche Niemand« blieb bis zum Ende aller Tage ein Geheimnis. Da kam ein schäbiger Landstreicher, war weder schön noch klug, weder anziehend noch reich, und doch flog die ganze Weiblichkeit auf ihn! Dabei hatte er, wenn man Rozika glauben durfte, wenig Interesse an Frauen: Sie waren es, die ihm nachliefen wie die Besessenen.
Er hatte nur eine Leidenschaft – das Angeln. Eine wunderschöne selbstgefertigte Angelrute in der Hand, saß er tagaus, tagein schweigend am Flussufer. Er war fest überzeugt, dass die Fische die Sprache der Menschen verstehen und sofort die Flucht ergreifen, wenn sie nur einen menschlichen Laut hören. Wehe dem, der es wagte, den Mund aufzutun, während er auf einen Fisch wartete!
Rozika wurde so lange von der Neugier geplagt, bis sie sich eines Tages ein Herz fasste und zum Fluss ging, um den einsamen Angler in Augenschein zu nehmen. Sie spazierte ein paarmal an ihm vorbei, aber: »Hat er überhaupt nicht hochgeguckt. War ich Luft für ihn!«
Offensichtlich nahm Rozika ihm das nicht übel. Unbeirrt wiederholte sie ihre Spaziergänge zu seinem Angelplatz, und eines Tages hatte er endlich Erbarmen mit ihr. Nicht dass er sie angesprochen hätte, aber er winkte ihr mit dem Kopf, sie solle sich an seine Seite setzen. Und Rozika ließ sich nicht lange bitten. Sie wagte nicht, sich zu mucksen, schaute nur ins Wasser, still und stumm. Auch der Bursche sagte nichts, umspannte jedoch, ohne dass sich die Angel in seiner Rechten bewegt hätte, mit der linken Hand gleichmütig ihre Brust. Rozika glaubte – um ihre eigenen Worte zu gebrauchen –, »eine Hitzschlag« solle sie treffen, als er endlich gnädigst geruhte, sie in den Ufersand zu werfen, nachdem er seine Angelrute an einem Schilfrohr befestigt hatte.
»Aber dass du den Mund hältst«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Sonst verjagst du mir die Fische!«
Es hört sich an wie eine erfundene Anekdote, doch das Verhalten des Burschen machte auf Rozika einen so tiefen Eindruck, dass sie ihn von diesem Tag an nicht mehr aus den Fängen ließ. Sie holte ihn in ihr Haus am Dorfende, und alles, was sie anderen Männern abnahm, stopfte sie nun in ihn hinein.
Der Bursche aber behielt auch weiterhin seine unerschütterliche Gelassenheit bei. Ihn vermochte nichts aus der Ruhe zu bringen, am wenigsten Rozikas Gewerbe. Solange er ungestört angeln durfte und abends zum Fischgulasch ein, zwei Liter Wein bekam, hätte sie seinetwegen kopfstehen können. Wie eine ausgehaltene träge Frau lebte er von dem Geld, das sie sich durch Liebesdienste verschaffte. Im Dorf hatte man ihn Onkel Rozika getauft; auch wir Kinder nannten ihn unter uns so.
Rozika war zu dieser Zeit nicht mehr die Jüngste. Sie mochte dreißig Jahre zählen, und das ist für ein Bauernmädchen ein bedenkliches Alter. Nach und nach stellten die besseren Herren ihre Besuche ein; sie sah sich genötigt, die Preise zu senken und den Verlust durch gesteigerten Umsatz wettzumachen.
Onkel Rozika hingegen fuhr frisch-fröhlich fort, ein Bauernmädchen nach dem anderen zu nehmen. Nicht dass er eine Frau so dringend nötig gehabt hätte – eine leidenschaftliche Natur war er ja nie gewesen. Nur um die Zeit totzuschlagen, wenn die Fische nicht anbeißen wollten, winkte er dieser oder jener, sich neben ihn zu setzen. Und die meisten kamen seiner Aufforderung nach.
Rozika wusste, wie er es trieb, spielte jedoch die Ahnungslose. Sie hatte ohnehin nicht das Recht, ihm Vorwürfe zu machen, also schwieg sie und grämte sich nur im Stillen. In so mancher Nacht lag sie mit offenen Augen an der Seite des schnarchenden Mannes; sie warf sich ruhelos hin und her, verspürte Stiche in der Herzgegend, und der kalte Schweiß brach ihr aus. Diese liederliche Person, die seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr Liebe verkaufte und nicht wusste, was Treue hieß, wurde plötzlich von der Eifersucht wie von einer unheilbaren Krankheit befallen.
Eines Tages konnte sie es nicht mehr aushalten. Nachdem sie lange hin und her überlegt hatte, ließ sie den Dorfschneider kommen und bestellte bei ihm einen neuen Anzug für ihren Geliebten. »Wozu denn?«, fragte Onkel Rozika, der keine Spur eitel war.
»Wozu? Weil du nicht gehen kannst in dem alten zur Hochzeit.«
»Zur Hochzeit? Wer zum Teufel will denn hier Hochzeit machen?«
»Wer? Na du und ich.«
Der Mann schwieg eine Weile, weil er nicht gleich begriff. Als ihm endlich ein Licht aufging, grinste er nur still. »Man merkt doch gleich, dass du eine Slowakin bist«, war alles, was er sagte. »Du hast wirklich ein kluges Köpfchen.«
Aber er erhob keine Einwände gegen ihren Plan. Heiraten? Na schön, immer hinein ins Vergnügen! Schließlich verdiente sie das Geld. Glücklicherweise goss es an ihrem Hochzeitstag in Strömen, er hätte also sowieso nicht angeln können.
Rozika dagegen nahm die Ehe verteufelt ernst. Der Ring, die Heiratsurkunde und die Rede des Priesters hatten in ihrem Leben revolutionäre Veränderungen hervorgerufen. Von jenem Tag an wies sie alle ihre Besucher erbarmungslos ab.
»Mann meiniges erlaubt es nicht«, erklärte sie würdevoll. Dabei wäre »Mann meiniges« vor Lachen vom Stuhl gefallen, wenn er das gehört hätte.
Zwei Wochen nach ihrer Heirat setzte sie sich in die Bahn und fuhr in die Bezirkshauptstadt. Sie sagte, sie wolle dort »Hebamme lernen«. Die Leute im Dorf lachten sich halb tot. Wer wird denn so gottlos sein, eine Hure zu rufen, damit sie einem unschuldigen Kind in die Welt hilft?, fragte man sich.
Doch Rozika wusste, was sie tat. Sie hatte gar nicht die Absicht, Kindern in die Welt zu helfen. Ganz im Gegenteil! Von nun an lebte sie davon, dass sie das Auf-die-Welt-Kommen von Kindern vereitelte.
Sie hatte sich nicht verrechnet. Die anderen Engelmacherinnen im Dorf waren unwissende, schmutzige alte Weiber; die Frauen gingen daher lieber zu Rozika, wenn sie in der Patsche saßen. Und sie saßen oft in der Patsche, vor allem im Winter, wenn die Männer Zeit hatten.
Daneben aber betrieb Rozika ein noch einträglicheres Unternehmen. Unglückselige Bauernmädchen, denen – wie meiner Mutter – »nicht mehr zu helfen« war, durften in ihrem Haus auf Kredit ihre Kinder zur Welt bringen und bekamen sogar zu essen und zu trinken, bis sie so weit gekräftigt waren, dass sie sich in der Stadt als Amme verdingen konnten. Die Säuglinge blieben bei Tante Rozika. Wenn sich eine arme kleine Dienstmagd auf diese Weise mit einem Schlag von allen unmittelbaren Sorgen befreit sah, so fand sie nicht genug Worte des Dankes. Danach allerdings durfte sie zeit ihres Lebens der lieben, guten Tante Rozika den größten Teil ihres erbärmlichen Lohns schicken.
Wie eine Katze war diese unverwüstliche Slowakin, immer wieder fiel sie auf die Beine. Jetzt lebte sie also von den Liebesgeschichten anderer, und zwar recht gut, ja sogar besser als früher von ihren eigenen. Über das Haus am Ende des Dorfs brach eine zweite Blütezeit herein. Rozika kaufte Schweine, Kühe, Geflügel, hatte Pferd und Wagen und beschäftigte Dienstboten.
Wenn sie es nur irgendwie einrichten konnte, ging sie mit ihrem Mann angeln. Sie ließ ihn kaum noch aus den Augen, hütete ihn wie einen kostbaren Schatz. Dabei war Onkel Rozika auch schon bei Jahren. Er war ungefähr so alt wie seine Frau, und die näherte sich der vierzig.
Zu jener Zeit wuchsen in Rozikas Haus acht uneheliche Kinder auf, und so konnte sie sich getrost zur Ruhe setzen. Acht kleine Dienstmädchen in den verschiedensten Städten Ungarns arbeiteten ja für sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Sie sammelte nur die Gelder ein, und eines schönen Tages zählte sie zu den wohlhabendsten Bauern dieses bettelarmen Dorfs. Es fiel kaum noch ein Wort über ihre Vergangenheit; denn wie man so sagt: »Fürs Gewesene gibt der Jude nichts.«
Allmählich wurde Rozika fett. Sonntags trug sie ein hochgeschlossenes schwarzes Seidenkleid, und auf der Brust baumelte ein Kreuz, groß wie das eines Bischofs. Sie hatte ihre scherzende, muntere Redeweise abgelegt und sprach zu den ins Unglück geratenen Bauernmägden mit der salbungsvollen Herablassung einer tugendhaften Frau, die diese gefallenen Dinger zwar verachtete, ihnen aber im Namen des allmächtigen Gottes verzieh. Mit armen Leuten war sie kurz angebunden, sie duldete keinerlei Vertraulichkeiten. Ihre Dienstboten beschimpfte sie und holte das Letzte aus ihnen heraus. Dagegen troff ihr der Honig nur so von den Lippen, wenn ein reicher Landwirt sie auf dem Markt ansprach. Kurz und gut, sie benahm sich, wie es einer sittenstrengen Frau zukommt.
Sie wurde fromm. Früher war sie nie in die Kirche gegangen, nun aber kniete sie stundenlang in ihrer Bank. Über der gemarterten alten Chaiselongue, auf der sie sich einst mit ihren Besuchern gewälzt hatte, hing jetzt ein großes Marienbild, und in einer goldgerandeten roten Ampel brannte ein Ewiges Licht.
»Hast du schon einmal gedacht an Tod?«, fragte sie eines Tages ihren Mann.
»Den Teufel hab ich!«
»Fluche nicht! Ich spreche ernst. Sollen Hunde kriegen unsere schöne Geld?«
Onkel Rozika zuckte die Achseln. Ihn hatte das Wohlleben nicht verändert, er nahm nach wie vor alles mit unerschütterlicher Gelassenheit hin, solange er seine Ruhe hatte und sein Bauch voll war. Nicht so Tante Rozika. Sie strebte nach Unsterblichkeit.
»Wir müssen machen ein Kind«, sagte sie streng.
»Jetzt gleich?«, fragte Onkel Rozika grinsend, denn das Gespräch fand auf der Straße statt.
Aber auch diesmal erhob er keine Einwände. Ein Kind? Na schön, wenn sie ihren Spaß daran hatte, sollte sie eins haben. Schließlich verdiente sie das Geld. Den kleinen Gefallen musste man ihr schon tun. Nachts konnte man sowieso nicht angeln.
»Zu Weihnachten es möchte schon da sein«, rechnete sich Rozika an den Fingern aus.
Doch das Kind kam nicht zu Weihnachten. Und es kam auch nicht zu Ostern, es kam überhaupt nicht. Diese Frau, die Gott weiß wie oft in anderen Umständen gewesen war, als sie es nicht wollte, konnte nun, da sie sich so glühend ein Kind wünschte, nicht empfangen. Sie lief von einem Arzt zum anderen, sie fuhr sogar nach Budapest. Sie nahm Thermalbäder, schluckte Arzneien, probierte es mit den verschiedensten Hausmitteln. Es half alles nichts.
Sie dachte, dass es an ihrem Mann liegen könnte. Also betrog sie ihn. Auch das nützte nichts.
Zum ersten Mal in ihrem Leben verlor sie den Kopf. Sie ging umher wie eine Irre. Sie konnte, sie wollte sich nicht damit abfinden, dass ihr ein Kind versagt war; der Gedanke, dass die Hunde einmal ihr Geld bekämen, wurde zur fixen Idee.
Eines Tages riss sie das Marienbild von der Wand und schleuderte es mitsamt dem Ewigen Licht in die Ecke. Kein wütender Schweinehirt hätte so lästerlich fluchen können wie sie. Manchmal raste und tobte sie tagelang und schlug hemmungslos auf uns Kinder ein. Und dann wurde sie unvermittelt beängstigend still. Sie verkroch sich in einen Winkel der »guten Stube« und hockte stundenlang regungslos hinter geschlossenen Fensterläden. Von Zeit zu Zeit murmelte sie etwas vor sich hin, ihre Lippen bewegten sich tonlos, wie ein ausgeleiertes Räderwerk.
Sie nahm zusehends ab, verdorrte, alterte sozusagen über Nacht; sie wurde ein böses, zänkisches altes Weib.
Zeit ihres Lebens war sie gemein gewesen, aber bisher hatte ihre Gemeinheit doch wenigstens einen Zweck erfüllt, hatte ihr Geld, goldene Ketten, seidene Kleider, Schweine und Kühe eingebracht. Jetzt zog sie nicht einmal mehr Nutzen daraus; ihre Gemeinheit war so unfruchtbar wie ihr Schoß. Rozika war boshaft um der Boshaftigkeit willen. Es verschaffte ihr ein widernatürliches Vergnügen, eine krankhafte Befriedigung, wenn sie andere quälen konnte. Allerdings kam es mitunter vor – was sich früher nicht einmal zufällig ereignet hatte –, dass sie plötzlich von Wohlwollen überfloss. Dann bedachte sie Hinz und Kunz mit Geschenken, war liebenswürdig zu aller Welt, küsste irgendein Kind und drückte es wild an sich. Es war eine gespenstische, gefährliche Güte, die sie packte wie einen Hund die Tollwut, und nach einem solchen Anfall war sie noch hundertmal gemeiner als zuvor.