Der Roman über IT und DevOps
Beijing · Cambridge · Farnham · Köln · Sebastopol · Tokyo
Die Informationen in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden. Verlag, Autoren und Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für eventuell verbliebene Fehler und deren Folgen.
Alle Warennamen werden ohne Gewährleistung der freien Verwendbarkeit benutzt und sind möglicherweise eingetragene Warenzeichen. Der Verlag richtet sich im Wesentlichen nach den Schreibweisen der Hersteller. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten einschließlich der Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Kommentare und Fragen können Sie gerne an uns richten: kommentar@oreilly.de
Copyright der deutschen Ausgabe:
© 2015 by O’Reilly Verlag GmbH & Co. KG
1. Auflage 2015
Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel
The Phoenix Project: A Novel About IT, DevOps, and Helping
Your Business Win in der IT Revolution Press, Portland, Oregon.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Übersetzung und deutsche Bearbeitung: Thomas Demmig
Lektorat: Alexandra Follenius, Köln
Fachgutachten: Christian Trabold, Singapur
Korrektorat: Sibylle Feldmann, Düsseldorf
Satz: III-satz, www.drei-satz.de
Umschlaggestaltung: Michael Oreal, Köln
Produktion: Karin Driesen, Köln
Belichtung, Druck und buchbinderische Verarbeitung:
Druckerei Kösel, Krugzell; www.koeselbuch.de
ISBN 978-3-95875-175-0
Dieses Buch ist auf 100% chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.
Steve Masters, CEO, kommissarischer CIO
Dick Landry, CFO
Sarah Moulton, SVP Retail Operations
Maggie Lee, Senior Director of Retail Program Management
Bill Palmer, VP IT Operations, zuvor Director of Midrange Technology Operations
Wes Davis, Director Distributed Technology Operations
Brent Geller, Lead Engineer
Patty McKee, Director IT Service Support
John Pesche, Chief Information Security Officer (CISO)
Chris Allers, VP Application Development
Bob Strauss, Lead Director, ehemaliger Vorstandsvorsitzender, ehemaliger CEO
Erik Reid, Aufsichtsratskandidat
Nancy Mailer, Chief Audit Executive
Freitag, 29. August
Firma: Parts Unlimited (PAUD)
Einstufung: SELL
Kursziel: $8 (aktuell $13)
Steve Masters, CEO von Parts Unlimited, tritt nach acht Jahren mit sofortiger Wirkung von seiner Position als Vorstandsvorsitzender zurück. Aufsichtsratsvorsitzender Bob Strauss, vor 20 Jahren selbst Vorstandsvorsitzender und CEO, kehrt aus seinem Ruhestand zurück, um diese Rolle wieder einzunehmen.
Der Aktienkurs von Parts Unlimited ist in den letzten 30 Tagen bei starkem Handel um 19% gefallen und liegt jetzt 52% unter seinem Spitzenwert von vor drei Jahren. Die Firma verliert weiterhin an Boden gegenüber ihrem Erzrivalen, der bekannt dafür ist, die Bedürfnisse seiner Kunden vorauszuahnen und darauf zügig zu reagieren. Parts Unlimited läuft seiner Konkurrenz nun in Bezug auf Umsatzwachstum, Warenumsatz und Rentabilität hinterher.
Das Unternehmen hat schon länger versprochen, dass sein »Phoenix«-Programm es wieder zu altbekannter Rentabilität zurückführen und den Abstand zur Konkurrenz verringern wird, indem es die Filial- und E-Commerce-Kanäle enger miteinander verzahnt. Obwohl das Programm sich schon um Jahre verzögert hat, gehen viele davon aus, dass die Firma bei der Telefonkonferenz mit Analysten im nächsten Monat eine weitere Verzögerung bekanntgeben wird.
Wir glauben, dass institutionelle Investoren wie Wayne-Yokohama Bob dazu gedrängt haben, als erste Maßnahme den Vorstand neu auszurichten, um das Schiff in Elkhart Grove wieder in ruhigeres Fahrwasser zu leiten. Eine wachsende Zahl von Investoren drängt auf weitere deutliche Änderungen im Führungsstab und auf strategische Entscheidungen, wie zum Beispiel die Aufspaltung des Unternehmens.
Laut unseren Quellen hat der Aufsichtsrat Strauss und Masters sechs Monate gegeben, um drastische Verbesserungen zu bewirken. Wenn sie das nicht schaffen, ist von weiteren Wechseln und turbulenten Zeiten auszugehen.
Kelly Lawrence, Chief Industry Analyst, Nestor Meyers
KAPITEL 1
»Bill Palmer hier«, melde ich mich am Handy direkt nach dem ersten Klingeln.
Ich bin spät dran, daher fahre ich zehn Meilen pro Stunde schneller als erlaubt – anstelle meiner üblichen fünf. Ich habe den Morgen mit meinem dreijährigen Sohn im Wartezimmer des Kinderarztes verbracht und versucht, ihn nicht von den anderen anstecken zu lassen, während immer wieder mein Telefon vibrierte.
Heute sind unregelmäßige Netzwerkaussetzer das Problem. Als Director of Midrange Technology Operations bin ich verantwortlich für die Verfügbarkeit und Funktionsfähigkeit einer recht kleinen IT-Gruppe bei Parts Unlimited, einer Produktions- und Vertriebsfirma aus Elkhart Grove mit vier Milliarden Dollar Jahresumsatz.
Selbst in den ruhigeren Gefilden, für die ich mich mit meinem Job entschieden habe, muss ich Netzwerkprobleme schnell beheben. Weil ein kaputtes Netzwerk die Services stört, die meine Gruppe anbietet, muss ich mich auch um solche Dinge kümmern.
»Hallo Bill, hier ist Laura Beck aus der Personalabteilung.« Mit ihr habe ich sonst nichts zu tun, aber ihr Name und ihre Stimme klingen vertraut ... Mist. Ich versuche, nicht zu laut zu fluchen, als ich mich wieder erinnere. Aus den monatlichen Firmen-Meetings. Sie ist die verantwortliche VP of HR. »Guten Morgen Laura«, sage ich mit einem erzwungenen Lächeln, »was kann ich für Sie tun?«
»Wann sind Sie im Büro? Ich würde Sie gerne so schnell wie möglich treffen«, ist ihre Antwort.
Ich hasse solch unklare Meeting-Anfragen. Ich selbst mache so etwas nur, wenn ich jemanden zusammenfalten will. Oder entlassen.
Moment. Ruft Laura an, weil mich jemand feuern will? Gab es einen Ausfall, auf den ich nicht schnell genug reagiert habe? Als Mitarbeiter in IT Operations machen wir ständig unsere Witze über diese letzte Panne, die unsere Karriere beenden wird.
Wir vereinbaren, uns bei ihr in einer halben Stunde zu treffen, aber als sie keine weiteren Details preisgibt, frage ich so schmeichelnd wie möglich: »Laura, worum geht es denn? Gibt es ein Problem in meiner Gruppe? Oder stecke ich selbst in Schwierigkeiten?« Ich lache extra laut, damit sie es auch bei sich hören kann.
»Nein, nein, darum geht es nicht«, sagt sie fröhlich. »Eigentlich sind es sogar gute Nachrichten. Bis gleich, Bill.«
Als sie auflegt, versuche ich mir auszumalen, wie gute Nachrichten heutzutage aussehen könnten. Als mir das nicht gelingt, schalte ich das Radio wieder ein und höre augenblicklich einen Werbespot unseres größten Konkurrenzhändlers. Es geht um seinen einmaligen Kundenservice und ein atemberaubendes Angebot, bei dem die Leute ihre Autos mit ihren Freunden zusammen online konfigurieren können.
Die Werbung ist toll. Ich würde den Service sofort nutzen, wenn ich nicht so loyal zu meiner Firma stünde. Wie schaffen sie es nur, solch unglaubliche Dinge auf den Markt zu bringen, während wir nicht von der Stelle kommen?
Ich schalte das Radio aus. Trotz all unserer Arbeit und der langen Nächte zieht die Konkurrenz problemlos an uns vorbei. Wenn unsere Marketingleute diesen Werbespot hören, gehen sie bestimmt die Wände hoch! Denn weil sie eher aus der Kunst- oder Musikecke kommen und keinen technischen Hintergrund haben, versprechen sie den Kunden das Blaue vom Himmel, und die IT muss dann sehen, wie sie das liefern kann.
Jedes Jahr wird es schwerer. Wir müssen mehr mit weniger erreichen und konkurrenzfähig bleiben, während wir gleichzeitig Kosten verringern.
Manchmal denke ich schon, dass das nicht klappen kann. Vielleicht habe ich zu viel Zeit als Sergeant bei den Marines verbracht. Dort lernt man, seinen Standpunkt gegenüber seinem Vorgesetzten so gut wie möglich zu vertreten, aber bisweilen muss man einfach »Yes, Sir!« sagen und dann diesen Hügel einnehmen.
Ich biege auf den Parkplatz ein. Vor drei Jahren war es so gut wie unmöglich, einen freien Platz zu finden. Nach den ganzen Entlassungen ist Parken nur noch selten ein Problem.
Beim Betreten von Gebäude 5, in dem Laura und ihre Kollegen sitzen, stelle ich überrascht fest, wie nett es hier eingerichtet ist. Ich kann noch den neuen Teppich riechen, und es gibt sogar schicke Holzpaneele an den Wänden. Plötzlich kommen mir die Wände und Teppiche in meinem Gebäude sehr alt vor. Die hätten längst erneuert werden müssen. Wie unsere IT. Immerhin sitzen wir nicht in einem armseligen, schwach beleuchteten Kellerloch wie in der britischen Serie The IT Crowd.
Als ich Lauras Büro erreiche, schaut sie lächelnd hoch. »Schön, Sie wiederzusehen, Bill.« Wir geben uns die Hände. »Nehmen Sie Platz, während ich schaue, ob wir uns jetzt mit Steve Masters treffen können.«
Steve Masters? Unser CEO?
Während sie zum Telefon greift, setze ich mich hin und schaue mich um. Das letzte Mal war ich vor ein paar Jahren hier, als wir von der Personalabteilung aufgefordert wurden, einen Raum für stillende Mütter bereitzustellen. Wir hatten damals viel zu wenig Büros und Meeting-Räume, und es standen kritische Projekt-Deadlines an.
Eigentlich ging es nur darum, einen Konferenzraum in einem anderen Gebäude zu nutzen, aber bei Wes klang das so, als wären wir ein Haufen von Mad Men-Neandertalern aus den 1950ern. Kurz danach wurden wir beide für einen halben Tag herzitiert, um politisches Bewusstsein und unser Verhalten zu schulen. Vielen Dank, Wes.
Neben vielem anderen ist Wes auch für die Netzwerke verantwortlich, weshalb ich mich immer so intensiv um Netzwerkprobleme kümmere.
Laura dankt der Person am anderen Ende der Leitung und wendet sich mir zu. »Schön, dass Sie so kurzfristig kommen konnten. Wie geht es Ihrer Familie?«
Ich runzle die Stirn. Wenn ich Small Talk halten wollte, würde ich andere Leute bevorzugen als jemanden aus HR. Ich zwinge mich zu ein paar Sätzen über unsere Familien und Kinder und versuche dabei, nicht allzu intensiv über all die anderen Dinge nachzudenken, die ich jetzt eigentlich erledigen müsste. Schließlich frage ich direkt: »Also, was kann ich für Sie tun?«
»Natürlich. Entschuldigung.« Sie macht eine Pause, dann sagt sie: »Seit heute Morgen arbeiten Luke und Damon nicht mehr für unsere Firma. Da ist einiges ganz nach oben gekocht, und schließlich wurde Steve einbezogen. Er hat Sie als neuen Vice President of IT Operations ausgewählt.«
Sie lächelt mich an und hält mir ihre Hand hin. »Bill, Sie sind der neue VP in der Firma. Ich denke, ich darf gratulieren?« Heilige Scheiße. Ganz benommen schüttele ich ihre Hand.
Nein, nein, nein. Das Letzte, was ich will, ist eine »Beförderung«.
Luke ist unser CIO gewesen, der Chief Information Officer. Damon hat für ihn gearbeitet, er war mein Chef, verantwortlich für IT Operations in der gesamten Firma. Und jetzt sollen beide einfach weg sein?
Das habe ich nicht kommen sehen. Es gab keine Gerüchte. Gar nichts.
In den letzten zehn Jahren kamen und gingen neue CIOs. Alle zwei Jahre, wie ein Uhrwerk. Sie blieben gerade lang genug, um die Abkürzungen zu verstehen, zu wissen, wo sich die Toiletten befinden, einen Haufen Programme und Initiativen aufzusetzen, die alles über den Haufen werfen, und dann wieder zu verschwinden.
CIO steht für »Career Is Over«. Und VPs of IT Operations sind nicht weit davon entfernt.
Mir war klar geworden, dass der Trick für eine lange Karriere im Management von IT Operations darin liegt, erfahren genug zu sein, um seine Sachen ordentlich zu machen, dabei den Kopf aber immer schön geduckt zu halten, um den strategischen Spielchen auszuweichen, die einen verletzbar machen. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, einer der VPs zu werden, die sich den lieben langen Tag nur gegenseitig PowerPoints zuschicken.
Um Laura mehr Informationen zu entlocken, versuche ich es mit Witzchen. »Zwei Executives, die gleichzeitig gehen? Haben sie silberne Löffel geklaut?«
Sie lacht, zeigt aber schnell wieder ihr HR-gestähltes Pokerface. »Sie haben beide entschieden, sich neu zu orientieren. Näheres werden Sie sie selbst fragen müssen.«
Gemeinhin ist es so: Wenn Ihr Kollege Ihnen sagt, dass er sich entschieden hat, zu gehen, war das freiwillig. Erzählt Ihnen jemand anderes, dass er gehen wollte, war das erzwungen.
Folglich wurden mein Boss und dessen Boss gerade rausgeworfen.
Das ist genau der Grund dafür, dass ich keine Beförderung möchte. Ich bin sehr stolz auf das Team, das ich in den letzten zehn Jahren aufgebaut habe. Wir sind nicht viele, aber wir sind die bei Weitem am besten organisierte und zuverlässigste Truppe. Insbesondere verglichen mit Wes.
Beim Gedanken daran, der Chef von Wes zu sein, stöhne ich auf. Er managt kein Team – er ist eigentlich nur einen Schritt von einem chaotischen Mob entfernt.
Als mir der kalte Schweiß auf der Stirn steht, weiß ich, dass ich diese Beförderung niemals akzeptieren werde.
Die ganze Zeit hat Laura weitergeredet, und ich habe kein einziges Wort mitbekommen. »... und daher müssen wir uns natürlich überlegen, wie wir diesen Wechsel bekannt geben. Und Steve möchte Sie so schnell wie möglich sehen.«
»Laura, vielen Dank für das Angebot. Ich fühle mich geehrt. Aber ich will diesen Job nicht. Warum sollte ich? Ich liebe meine aktuelle Arbeit, und es gibt so viel, was ich da noch erledigen will.«
»Ich glaube nicht, dass Sie eine Wahl haben«, sagt sie mitfühlend. »Das kommt direkt von Steve. Er hat Sie persönlich ausgesucht, also müssen Sie mit ihm reden.«
Ich stehe auf und bleibe standhaft: »Nein, wirklich. Vielen Dank, dass Sie an mich gedacht haben, aber ich habe schon einen tollen Job. Ich wünsche viel Glück dabei, jemand anderen zu finden.«
Minuten später führt mich Laura zu Gebäude 2, dem höchsten auf unserem Gelände. Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich mich in diesen Wahnsinn habe reinziehen lassen.
Wenn ich jetzt losrenne, wird sie mich bestimmt nicht einholen können, aber was dann? Steve würde mir einfach einen Trupp HR-Schläger hinterherschicken und mich wieder einfangen.
Ich sage nichts. Ich habe jetzt wirklich kein Interesse an Small Talk. Laura scheint das nicht zu stören, sie geht flott neben mir her, über ihr Smartphone gebeugt und ab und zu die Richtung angebend.
Sie findet Steves Büro, ohne einmal aufzusehen. Offensichtlich ist sie diesen Weg schon viele Male gegangen.
Dieser Flur ist warm und einladend, eingerichtet wie in den 1920ern, als dieses Gebäude erbaut wurde. Mit dem dunklen Holzboden und den Buntglasfenstern stammt es aus einer Ära, als im Büro noch jeder Anzüge trug und Zigarren rauchte. Damals florierte die Firma – Parts Unlimited schuf diverse Bauteile, die in so gut wie jedem Auto zu finden waren, als die Pferdekutschen gerade aus dem Alltag verschwanden.
Steve hat ein Eckbüro, vor dem eine Sekretärin Wache hält. Sie mag um die 40 sein, strahlt Freundlichkeit aus und scheint ausgesprochen organisiert zu sein. Ihr Schreibtisch ist aufgeräumt, die Wand hinter ihr übersät mit Klebezetteln. Neben ihrer Tastatur steht eine Kaffeetasse mit den Worten: »Don’t mess with Stacy«.
»Hi Laura«, sagt sie, als sie von ihrem Computer hochschaut. »Viel los heute, was? Das ist also Bill?«
»Jepp, höchstpersönlich«, antwortet Laura lächelnd.
Zu mir sagt sie: »Stacy sorgt dafür, dass bei Steve alles läuft. Sie werden sie bald gut kennenlernen, vermute ich. Wir beide können später weitermachen.« Dann geht sie.
Stacy lächelt mich an. »Schön, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Steve erwartet sie.« Sie zeigt auf seine Tür.
Ich mag sie auf Anhieb. Und ich denke darüber nach, was ich gerade erfahren habe. Laura hatte heute viel zu tun. Stacy und Laura kennen sich sehr gut. Steve hat also einen direkten Draht zu HR. Offensichtlich bleiben Leute, die für Steve arbeiten, nicht lange in der Firma.
Toll.
Als ich Steves Büro betrete, bin ich ein bisschen überrascht, dass es fast genauso aussieht wie das von Laura. Es hat die gleiche Größe wie das meines Chefs – okay, meines Exchefs – und wie vermutlich mein zukünftiges Büro, wenn ich mich dümmer anstelle, als ich bin.
Vielleicht habe ich persische Teppiche, Wasserspiele und große Skulpturen erwartet. Stattdessen gibt es Fotos eines kleinen Propellerflugzeugs, von seiner fröhlichen Familie und – zu meiner Überraschung – eines von ihm in einer Uniform der US Army auf einer Landebahn irgendwo in den Tropen. Mir fallen die Abzeichen an seinen Aufschlägen auf.
Steve war also ein Major.
Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und prüft irgendwelche Excel-Ausdrucke. Hinter ihm ist ein Laptop aufgeklappt, auf dem in einem Browser eine Reihe von Aktienkursen zu sehen ist.
»Bill, schön, Sie wiederzusehen«, sagt er, steht auf und schüttelt mir die Hand. »Es ist schon lange her. Etwa fünf Jahre, oder? Nachdem Sie dieses beeindruckende Projekt gestemmt haben, eine der eingekauften Firmen zu integrieren. Ich hoffe, es ist Ihnen seitdem gut ergangen?«
Ich bin überrascht und ein bisschen geschmeichelt, dass er sich an unser kurzes Zusammentreffen erinnert, insbesondere da es doch schon so lange her ist. Ich lächle und sage: »Ja, sehr gut, danke. Ich bin beeindruckt, dass Sie sich daran erinnern.«
»Sie glauben, wir geben solche Prämien an jeden?«, sagt er ernst. »Das war ein wichtiges Projekt. Damit sich der Zukauf bezahlt machte, mussten wir ihn gut in unsere Firma einbringen, was Sie und Ihr Team ausgezeichnet hinbekommen haben.
Ich bin sicher, Laura hat Ihnen ein bisschen was über die organisatorischen Änderungen erzählt, die ich vorgenommen habe. Sie wissen, dass Luke und Damon nicht mehr länger in der Firma arbeiten. Ich werde die Position des CIO noch neu besetzen, aber bis dahin wird die IT direkt an mich berichten.«
Geschäftig fährt er fort: »Wie auch immer, weil Damon jetzt weg ist, muss ich eine Position neu besetzen. Nach unseren Recherchen sind Sie deutlich der beste Kandidat für den VP of IT Operations.«
Als ob er sich gerade erinnert, sagt er: »Sie waren ein Marine. Wann und wo?«
Ich antworte automatisch: »22. Marine Expeditionary Unit. Seargent. Ich war sechs Jahre dabei, habe aber nie einen Kampf miterlebt.«
Als ich mich daran erinnere, wie ich damals als großspuriger 18-Jähriger zu den Marines ging, muss ich lächeln. »Die Armee hat mir in manchen Dingen den Kopf zurechtgerückt – ich verdanke ihr viel. Trotzdem hoffe ich, dass keiner meiner Söhne dort unter den Bedingungen beitreten würde, die ich damals erlebt habe.«
»Das glaube ich gerne.« Steve lacht. »Ich war selbst acht Jahre in der Armee, nur etwas länger, als ich musste. Aber es machte mir nichts aus. Das ROTC1 war die einzige Möglichkeit für mich, das College zu bezahlen, und es ist mir dort gut ergangen.«
Lächelnd fügt er hinzu: »Sie haben uns nicht so verhätschelt wie euch Marines, aber ich kann mich trotzdem nicht beschweren.«
Ich lache und stelle fest, dass ich ihn mag. Das ist das längste Gespräch, das wir je hatten. Ich frage mich plötzlich, ob es das ist, was Politiker ausmacht.
Ich versuche jedoch, mich darauf zu konzentrieren, warum er mich hat kommen lassen: Er will mich dazu bringen, irgendeine Kamikaze-Aufgabe zu übernehmen.
»So sieht es im Moment aus«, sagt er und lässt mich an seinem Konferenztisch Platz nehmen. »Wie Sie sicherlich wissen, müssen wir wieder profitabel werden. Dazu sind unser Marktanteil und die durchschnittliche Auftragsgröße zu erhöhen. Unsere Retail-Konkurrenz macht sich schon lustig über uns. Und weil das die ganze Welt weiß, sind unsere Aktien nur noch die Hälfte von dem wert, was sie vor drei Jahren waren.«
Er fährt fort: »Das Phoenix-Projekt ist von essenzieller Bedeutung, um wieder mit der Konkurrenz gleichzuziehen und endlich das zu tun, was dort schon seit Jahren geschieht. Die Kunden müssen bei uns überall einkaufen können – sei es im Internet oder in unseren Läden. Ansonsten werden wir bald keine Kunden mehr haben.«
Ich nicke. Vielleicht mag unser IT-Umfeld nicht auf dem neuesten Stand sein, aber mein Team ist mit Phoenix seit Jahren beschäftigt. Jeder weiß, wie wichtig es ist.
»Wir hängen dem Zeitplan Jahre hinterher«, fährt er fort. »Unsere Investoren und die Börse sind wirklich nicht erfreut. Und jetzt verliert der Aufsichtsrat das Vertrauen in unsere Fähigkeit, Zusagen einzuhalten.
Ich will direkt sein. Wenn es so weitergeht, bin ich in sechs Monaten weg vom Fenster. Seit letzter Woche ist Bob Strauss, mein alter Chef, der neue Vorstandsvorsitzende. Es gibt eine lautstarke Gruppe von Investoren, die die Firma aufteilen wollen, und ich weiß nicht, wie lange wir sie noch hinhalten können. Auf dem Spiel steht hier nicht nur mein Job, sondern der von fast 4.000 Mitarbeitern bei Parts Unlimited.«
Plötzlich sieht Steve viel älter aus als die Anfang fünfzig, auf die ich ihn schätze. Er sieht mich direkt an und sagt: »Als kommissarischer CIO wird Chris Allers, unser VP of Application Development, direkt an mich berichten. Und Sie auch.«
Er steht auf und geht in seinem Büro hin und her. »Ich brauche Sie, damit all die Dinge, die laufen sollen – nun ja, eben laufen. Ich brauche jemanden, der zuverlässig ist und der keine Angst hat, mir schlechte Nachrichten zu erzählen. Und vor allem brauche ich jemanden, dem ich vertraue und von dem ich glaube, dass er das Richtige tut. Bei diesem Integrationsprojekt gab es viele Herausforderungen, aber Sie haben immer einen kühlen Kopf bewahrt. Sie haben den Ruf, zuverlässig und pragmatisch zu sein und zu sagen, was Sie denken.«
Er war ehrlich zu mir, daher werde ich es auch sein. »Sir, bei allem Respekt, aber es scheint für die IT-Führungsebene sehr schwierig zu sein, hier Erfolge vorweisen zu können. Anfragen nach Budget oder Mitarbeitern werden immer abgewiesen, und manche Manager werden so schnell ausgetauscht, dass sie nicht einmal die Möglichkeit hatten, ihren Schreibtisch komplett einzurichten.«
Mit aller Entschiedenheit sage ich: »Die Midrange Operations sind für den Erfolg von Phoenix ebenso wichtig. Ich muss dort bleiben und dafür sorgen, dass alles erledigt wird. Ich freue mich, dass Sie an mich gedacht haben, aber ich kann das Angebot nicht akzeptieren. Ich verspreche jedoch, meine Augen offen zu halten und mich nach einem geeigneten Kandidaten umzuschauen.«
Steve schaut mich abschätzend an, mit erstaunlich ernsthaftem Blick. »Wir mussten in der ganzen Firma Budgetkürzungen vornehmen. Diese Anordnung kam direkt aus dem Aufsichtsrat. Mir waren da die Hände gebunden. Ich möchte keine Versprechen machen, die ich nicht einhalten kann, aber ich kann versprechen, dass ich alles, was möglich ist, auch tun werde, um Sie und Ihren Auftrag zu unterstützen.
Bill, ich weiß, dass Sie nicht nach diesem Job gefragt haben, aber es geht hier um das Überleben der Firma. Ich brauche Sie, um dieses großartige Unternehmen am Leben zu erhalten. Kann ich auf Sie zählen?«
Oh, bitte.
Bevor ich erneut höflich ablehnen kann, höre ich mich plötzlich selbst sagen: »Jawohl, Sir, Sie können auf mich zählen.«
In Panik realisiere ich, dass Steve irgendeinen Jedi-Trick eingesetzt haben muss. Ich zwinge mich, mit dem Reden aufzuhören, bevor ich noch weitere dumme Zusagen mache.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagt Steve, steht auf und schüttelt mir kräftig die Hand. Er schlägt mir auf die Schulter. »Ich wusste, dass Sie sich richtig entscheiden würden. Im Namen des gesamten Führungsteams bedanke ich mich dafür, dass Sie mitmachen.«
Ich starre seine Hand an und frage mich, ob ich mich da irgendwie wieder rauswinden kann.
Keine Chance.
Mich selbst innerlich verfluchend, sage ich: »Ich werde mein Bestes geben, Sir. Und könnten Sie trotzdem erklären, warum keiner auf dieser Position lange durchgehalten hat? Was ist Ihnen am wichtigsten? Und was wollen Sie gar nicht?«
Mit einem resignierten schiefen Lächeln füge ich hinzu: »Wenn es schiefgeht, werde ich wenigstens dafür sorgen, dass es auf eine neue und ungewöhnliche Weise passiert.«
»Das mag ich!«, sagt Steve und lacht laut auf. »Ich will, dass bei der IT alles läuft. Es ist wie mit der Toilette. Ich nutze sie und will mir keine Sorgen darum machen müssen, ob sie funktioniert. Ich will nicht, dass irgendetwas verstopft und die Toiletten die ganze Etage unter Wasser setzen.« Er lächelt breit über seinen eigenen Witz.
Toll. Seiner Meinung nach bin ich ein besserer Hausmeister.
Er fährt fort: »Sie haben den Ruf, dass Sie in der IT-Organisation das am besten geführte Schiff haben. Daher gebe ich Ihnen die Verantwortung für die gesamte Flotte. Ich erwarte, dass Sie auch die anderen Schiffe auf Vordermann bringen.
Chris muss sich weiter auf das Umsetzen von Phoenix konzentrieren. In Ihrem Bereich darf nichts davon ablenken. Das gilt nicht nur für Sie und Chris, sondern für jeden in der Firma. Ist das klar?«
»Absolut«, sage ich und nicke. »Sie wollen, dass die IT-Systeme zuverlässig verfügbar sind und dass die anderen Abteilungen darauf aufbauen können. Sie wollen, dass es so wenige Unterbrechungen gibt wie möglich, sodass Phoenix weiter vorangetrieben werden kann.«
Überrascht nickt Steve. »Genau. Genau das, was Sie sagen, ist auch mein Wunsch.«
Er übergibt mir eine ausgedruckte E-Mail von Dick Landry, dem CFO.
Von: Dick Landry
An: Steve Masters
Datum: 2. September, 08:27
Wichtigkeit: Hoch
Betreff: ACTION NEEDED: Gehaltsabrechnungslauf schlägt fehl
Hey, Steve. Wir haben echte Probleme mit dem Lauf der Gehaltsabrechnung, der diese Woche ansteht, und sind uns noch nicht sicher, ob es an den Zahlen liegt oder am System. Aber unabhängig von der Ursache sind die Zahlungen an die Mitarbeiter in Gefahr, wenn wir das Ganze nicht wieder zum Laufen bekommen. Das wäre wirklich schlecht.
Wir müssen das Problem beheben, bevor heute um 17 Uhr das Zeitfenster geschlossen ist. Bitte sage uns, wie wir das in der neuen IT-Organisation eskalieren können.
Dick
Ich zucke zusammen. Mitarbeiter, die kein Gehalt überwiesen bekommen, bedeuten Familien, die ihre Verpflichtungen nicht erfüllen können – Hauskredit, Miete, ja sogar das normale Einkaufen.
Mir wird klar, dass auch mein Hauskredit in vier Tagen abgebucht wird und wir eine dieser Familien sein könnten. Eine verspätet bezahlte Rate kann zu großen Problemen führen, und wir mussten sowieso schon lange daran arbeiten, den Studienkredit von Paige zurückzuzahlen.
»Sie wollen, dass ich mich darum kümmere und das Problem beseitige?«
Steve nickt und zeigt mit dem Daumen nach oben. »Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden.« Dann wird er nochmals ernst. »Jede verantwortungsbewusste Firma kümmert sich um ihre Mitarbeiter. Viele unserer Arbeiter leben von Gehalt zu Gehalt. Sorgen Sie dafür, dass es für sie und ihre Familien nicht noch schwerer wird, okay? Das könnte sonst Ärger mit der Gewerkschaft bringen, vielleicht sogar einen Streik. Und das wäre keine gute Presse für uns.«
Ich nicke automatisch. »Kritische Geschäftsvorgänge wieder zum Laufen bringen und uns von den Titelseiten fernhalten. Verstanden. Vielen Dank.«
Warum ich mich genau bedanke, weiß ich auch nicht.
KAPITEL 2
»Na, wie lief es?«, fragt Stacy freundlich und schaut von ihrer Tastatur auf.
Ich schüttle nur meinen Kopf. »Ich kann es nicht fassen. Er hat mich dazu überredet, einen neuen Job anzunehmen, den ich nicht haben wollte. Wie konnte das geschehen?«
»Er kann sehr überzeugend sein«, sagt sie. »Da ist er einmalig. Ich arbeite jetzt seit fast zehn Jahren für ihn und würde überall mit ihm hingehen. Gibt es irgendetwas, mit dem ich Ihnen Ihre Aufgabe erleichtern kann?«
Ich denke einen Moment nach, dann frage ich: »Es gibt da ein sehr dringendes Problem mit der Gehaltsabrechnung, das behoben werden muss. Dick Landry sitzt im dritten Stock, oder?«
»Bitte schön«, sagt sie, bevor ich meine Frage vollständig ausgesprochen habe, und drückt mir einen Notizzettel in die Hand, auf dem ich die Daten von Dick finde. Büro, Telefonnummern, alles.
Dankbar lächle ich sie an. »Vielen, vielen Dank – Sie sind fantastisch!«
Auf dem Weg zurück zum Aufzug wähle ich Dicks Handynummer. »Dick hier«, meldet er sich unwirsch, während er weiterhin am Rechner tippt.
»Hier ist Bill Palmer. Steve hat mich gerade zum neuen VP of IT Operations gemacht und mich gebeten ...«
»Herzlichen Glückwunsch«, unterbricht er mich. »Hören Sie, meine Leute haben ein Riesenproblem bei der Lohnabrechnung gefunden. Wann können Sie in meinem Büro sein?«
»Ich bin gleich da«, antworte ich. Er legt ohne weiteren Kommentar auf. Ich bin schon freundlicher begrüßt worden.
Im dritten Stock laufe ich durch Finance und Accounting, vorbei an Nadelstreifenanzügen und gestärkten Kragen, bis ich Dick an seinem Schreibtisch finde – schon wieder am Telefon. Als er mich sieht, hält er seine Hand über die Sprechmuschel. »Sie sind von IT?«, bellt er mich an.
Ich nicke, und er sagt ins Telefon: »Tut mir leid, aber ich muss los. Da ist endlich jemand, der mir helfen will. Ich rufe zurück.« Ohne auf eine Antwort zu warten, legt er auf.
Ich habe noch nie jemanden erlebt, der einfach so auflegt, und bereite mich innerlich auf ein kurzes und unfreundliches Gespräch vor – der Teil mit dem Kennenlernen wird wohl ziemlich knapp ausfallen.
Wie bei einer Geiselnahme hebe ich langsam meine Hände und zeige Dick die ausgedruckte E-Mail. »Steve hat mir gerade von dem Ausfall bei der Gehaltsabrechnung erzählt. Wie kann ich mir am besten einen Überblick über die Situation verschaffen?«
»Wir stecken tief in der Scheiße«, antwortet Dick. »Gestern fehlten beim Gehaltsabrechnungslauf alle Datensätze für die Mitarbeiter, die auf Stundenbasis bezahlt werden. Wir sind ziemlich sicher, dass das ein IT-Problem ist, und es hält uns davon ab, unsere Mitarbeiter zu bezahlen. Zudem verletzen wir damit unzählige arbeitsrechtliche Bestimmungen, und die Gewerkschaft wird uns zweifelsohne in der Luft zerreißen.«
Er murmelt noch einen Moment Unverständliches, dann sagt er: »Lassen Sie uns zu Ann gehen. Sie ist mein Operations Manager und rauft sich seit gestern Nachmittag die Haare.«
Ich muss mich ganz schön beeilen, um mit ihm Schritt zu halten, und laufe ihn fast über den Haufen, als er abrupt stehen bleibt und durch das Fenster eines Besprechungsraums schaut. Er öffnet die Tür. »Wie sieht’s aus, Ann?«
Im Raum befinden sich zwei gut gekleidete Frauen. Die eine – etwa 45 Jahre alt – steht vor dem Whiteboard, das mit Grafiken und Tabellen gespickt ist, während die andere – Anfang 30 – auf einem Laptop tippt. Überall auf dem Tisch des Besprechungszimmers liegen Tabellenausdrucke herum. Die Ältere gestikuliert mit einem geöffneten Textmarker und zeigt auf eine Liste mit potenziellen Fehlerquellen.
Etwas an der Art, wie sie sich kleiden, und ihr besorgter und gereizter Gesichtsausdruck sagen mir, dass die beiden von einer lokalen Wirtschaftsprüfungsfirma engagiert wurden. Ehemalige Buchprüferinnen. Vermutlich ist es gut, dass sie auf unserer Seite sind.
Ann schüttelt frustriert den Kopf. »Wir sind nicht wirklich weitergekommen. Es ist ziemlich sicher ein IT-Fehler eines der Zeiterfassungssysteme, die uns die Daten liefern. Alle Datensätze für die stundenbasierten Mitarbeiter wurden beim letzten Hochladen durcheinandergebracht ...«
Dick unterbricht sie. »Das hier ist Bill von der IT. Er soll dieses Problem lösen oder beim Versuch sterben – ich glaube, das hat er gesagt.«
Ich sage: »Hallo zusammen. Ich bin gerade erst neuer Chef von IT Operations geworden. Können Sie von vorne beginnen und mir erzählen, was Sie über das Problem wissen?«
Ann geht zum Flowchart, das an das Whiteboard gepinnt ist. »Beginnen wir mit dem Informationsfluss. Unser Finanzsystem erhält seine Payroll-Daten von den verschiedenen Bereichen auf unterschiedlichen Wegen. Wir sammeln alle Zahlen für die Mitarbeiter mit festen und stundenbasierten Gehältern und bereiten sie auf. Das klingt einfach, ist aber ausgesprochen komplex, weil jeder Bundesstaat andere Steuertabellen, Arbeitsschutzgesetze und so weiter hat.
Um sicherzustellen, dass nichts durcheinandergekommen ist«, fährt sie fort, »achten wir darauf, dass die aufsummierten Beträge zu den einzelnen Positionen aus den jeweiligen Bereichen passen.«
Ich mache mir schnell ein paar Notizen, und sie erzählt weiter. »Das ist ein ziemlich störrischer Prozess, der zum Teil per Hand geschieht. Meistens funktioniert alles, aber gestern haben wir bemerkt, dass der Register-Upload für die auf Stundenbasis bezahlten Mitarbeiter nicht durchgelaufen ist. Bei allen waren null Stunden und null Dollar eingetragen.
Wir hatten mit diesem Upload schon früher Probleme, daher haben wir von der IT ein Programm bekommen, mit dem wir manuelle Korrekturen vornehmen können und fehlerhafte Daten nicht ganz so schlimm sind.«
Ich zucke zusammen. Mitarbeiter aus der Personalabteilung, die Payroll-Daten außerhalb des entsprechenden Programms ändern. Gar nicht gut. Das ist fehleranfällig und gefährlich. Jemand könnte diese Daten auf einen USB-Stick kopieren oder per E-Mail weiterleiten, dabei sind das ausgesprochen kritische Daten.
»Sie sagen, die Zahlen für die Mitarbeiter mit festem Gehalt sind in Ordnung?«, frage ich.
»Stimmt«, antwortet sie.
»Aber die auf Stundenbasis bezahlten Mitarbeiter würden alle nichts bekommen«, hake ich nach.
»Jepp«, bestätigt sie erneut.
Interessant. Ich frage: »Warum ist der Gehaltsabrechnungslauf Ihrer Meinung nach fehlgeschlagen, wenn er doch sonst läuft? Hatten Sie schon früher Probleme?«
Sie zuckt mit den Schultern. »So etwas ist noch nie passiert. Ich habe keine Ahnung, was der Grund sein könnte. Es waren für diese Zahlungsperiode keine größeren Änderungen angekündigt. Ich habe mich das auch schon gefragt, aber sollten wir von den IT-Leuten nichts hören, stecken wir in der Klemme.«
»Wie sieht unser Notfallplan aus?«, frage ich. »Was passiert, wenn wir keine rechtzeitige Lösung finden?«
»Das steht doch in der E-Mail, die Sie da vor sich haben«, sagt Dick. »Deadline für elektronische Zahlungsanweisungen ist heute, 17 Uhr. Wenn wir das nicht schaffen, müssen wir eventuell einen großen Berg Papierschecks per FedEx an unsere Standorte schicken, damit sie dort an die Mitarbeiter verteilt werden!«
Ich runzle angesichts dieser Option die Stirn, und auch der Rest des Teams will daran gar nicht denken.
»Das würde nicht funktionieren«, sagt Ann und tippt sich mit dem Textmarker an ihre Zähne. »Wir haben unseren Payroll-Prozess ausgelagert. Jeden Monat laden wir die Daten zu der Firma hoch, die sie dann verarbeitet. Vielleicht könnten wir im schlimmsten Fall den letzten Payroll-Lauf herunterladen, in Excel anpassen und dann neu hochladen.
Weil wir jedoch nicht wissen, wie viele Stunden jeder Mitarbeiter gearbeitet hat, wissen wir auch nicht, wie viel wir ihnen zahlen müssen!«, fährt sie fort. »Wir wollen niemandem zu viel bezahlen, aber das wäre immer noch besser, als ungewollt jemandem zu wenig zukommen zu lassen.«
Es ist offensichtlich, dass Plan B eine Menge Probleme bereiten würde. Wir müssten die Gehaltsschecks der Leute mehr oder weniger schätzen – eventuell bekommt jemand Geld, der gar nicht mehr bei uns arbeitet, während Neueinsteiger leer ausgehen.
Um Finance die notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen, könnten wir ein paar eigene Reports zusammenschrauben, dafür bräuchten wir jedoch die Anwendungsentwickler oder die Datenbankleute.
Aber damit würden wir nur Öl ins Feuer gießen. Entwickler sind noch schlimmer als die Netzwerk-Admins. Zeigen Sie mir einen Entwickler, der ein Produktivsystem nicht zum Absturz bringt. Und wenn Sie einen hätten, wäre der vermutlich in Urlaub.
Dick sagt: »Das sind beides hundsmiserable Alternativen. Wir könnten unseren Payroll-Lauf verschieben, bis wir die richtigen Daten hätten. Aber das ist nicht möglich – sind wir auch nur einen Tag zu spät, haben wir die Gewerkschaft am Hals. Es bleibt also nur Anns Vorschlag, unseren Mitarbeitern irgendetwas zu bezahlen, auch wenn es nicht der richtige Betrag ist. Nächsten Monat könnten wir dann Korrekturen vornehmen. Aber jetzt haben wir einen Fehler im Financial Reporting, den wir erst beheben müssen.«
Er reibt sich den Nasenrücken und überlegt weiter. »Wir werden einen ganzen Haufen seltsamer Journaleinträge in unserem Hauptbuch haben – gerade jetzt, wo unsere Auditoren für die SOX-404-Audits kommen. Wenn sie das sehen, werden sie gar nicht mehr gehen wollen.
So ein Mist. Ein Fehler im Financial Reporting?«, murmelt Dick vor sich hin. »Wir brauchen das Okay von Steve. Wenn die Auditoren hier ihre Zelte aufschlagen, werden sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bleiben, und keiner wird mehr seine eigentliche Arbeit erledigen können.«
SOX-404 ist die Abkürzung für den Sarbanes-Oxley-Act von 2002, den der US-Kongress als Reaktion auf die Bilanzskandale bei Enron, WorldCom und Tyco erließ. Dabei stehen CEO und CFO persönlich dafür ein, dass die Bilanzen ihrer Firmen korrekt sind.
Jeder denkt mit Wehmut an die Tage zurück, als er nicht die Hälfte seiner Zeit mit Auditoren reden und täglich neue regulatorische Anforderungen umsetzen musste. Ich schaue mir meine Notizen an und werfe dann einen Blick auf die Uhr. »Dick, ausgehend von dem, was wir jetzt haben, würde ich empfehlen, dass Sie weiterhin für den schlimmsten Fall planen und Plan B weiter ausarbeiten, damit wir ihn ohne größere Probleme umsetzen können. Zudem schlage ich vor, bis 15 Uhr zu warten, bevor wir eine Entscheidung treffen. Vielleicht schaffen wir es ja doch, die Systeme und Daten bis dahin zurückzubekommen.«
Als Ann nickt, sagt Dick: »Okay, Sie haben vier Stunden.«
Ich antworte: »Seien Sie versichert, dass wir die Dringlichkeit der Situation sehen und Sie über den aktuellen Stand unterrichtet werden, sobald ich etwas Neues weiß.«
»Danke, Bill«, sagt Ann. Dick bleibt still, als ich mich umdrehe und zur Tür hinausgehe.
Jetzt, da ich das Problem aus Businesssicht gesehen habe, fühle ich mich besser. Zeit, unter die Motorhaube zu schauen und herauszufinden, warum die komplexe Payroll-Maschine stehen geblieben ist.
Während ich die Treppen hinuntergehe, hole ich mein Telefon heraus und überfliege meine E-Mails. Meine Konzentration ist schon wieder dahin, als ich sehe, dass Steve meine Beförderung bis jetzt nicht bekannt gegeben hat. Wes Davis und Patty McKee, bisher meine Kollegen, wissen immer noch nicht, dass ich ihr neuer Chef bin.
Vielen Dank, Steve.
Als ich Gebäude 7 betrete, trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Unser Gebäude ist das Getto des gesamten Campus von Parts Unlimited.
Gebaut in den 1950ern und zuletzt in den 1970ern renoviert, wurde es offensichtlich nur nach funktionalen Gesichtspunkten entworfen, aber nicht nach ästhetischen. Hier wurden Bremsbeläge hergestellt, bis es zu einem Data Center wurde und man Büroräume einrichtete. Gebäude 7 ist einfach nur alt und heruntergerockt.
Der Empfangsmitarbeiter lächelt mich an. »Hallo, Mr. Palmer. Wie war der Tag bisher?«
Einen Moment reizt es mich, ihn zu bitten, mir Glück zu wünschen, damit er diese Woche korrekt bezahlt wird. Aber natürlich grüße ich einfach nur höflich zurück.
Ich lenke meine Füße zum Network Operations Center – oder wie wir es nennen: dem NOC, wo Wes und Patty sehr wahrscheinlich sein werden. Sie sind nun meine beiden wichtigsten Manager.
Wes ist Director of Distributed Technology Operations. Er hat die technische Verantwortung für über 1000 Windows-Server, aber auch über die Datenbank- und Netzwerkteams. Patty ist Director of IT Service Support. Sie leitet alle Level-1- und Level-2-Helpdesk-Mitarbeiter, die rund um die Uhr Fragen am Telefon beantworten, Störungen beheben und Anfragen aus dem Business weiterleiten. Zudem ist sie verantwortlich für einige der wichtigsten Prozesse und Tools, auf denen die gesamte IT Operations-Abteilung aufbaut, wie zum Beispiel das Fehlermeldungssystem, das Monitoring und die Change-Management-Meetings.
Ich gehe an vielen Cubicles vorbei – genauso wie in den anderen Gebäuden. Nur anders als in den Gebäuden 2 und 5 blättert hier die Farbe von den Wänden ab, und im Teppich zeigen sich dunkle Flecken.
Dieser Teil des Gebäudes war früher die Werkhalle. Als es umgebaut wurde, konnte nicht das gesamte Maschinenöl entfernt werden. Und egal wie viel Grundierung unter dem Teppich aufgetragen wurde – irgendwie schafft es das Öl immer wieder, sich in den Teppich zu mogeln.
Ich notiere mir, eine Budgetanforderung für neue Teppiche und das Streichen der Wände einzureichen. Bei den Marines war es nicht nur eine Frage der Ästhetik, die Kasernen ordentlich zu halten – es ging auch um Sicherheit.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Ich höre das NOC, bevor ich es sehen kann. Es sieht aus wie ein großer Baseball-Bullpen-Bereich, mit langen Tischen an der einen Seite, auf denen der Status der verschiedenen IT-Dienste auf großen Monitoren angezeigt wird. Die Level-1- und Level-2-Helpdesk-Leute sitzen an drei Reihen mit Rechnern.
Das ist nicht ganz vergleichbar mit der Kontrollstation in Apollo 13, aber so erkläre ich es immer den Verwandten.
Wenn irgendwo etwas so richtig schiefgeht, braucht man die verschiedenen Beteiligten und Manager an einem Tisch, damit sie das weitere Vorgehen koordinieren können, bis das Problem gelöst ist. Wie jetzt. Am Konferenztisch sind 15 Leute in einer lauten und hitzigen Diskussion rund um eine spinnenartige Freisprecheinrichtung versammelt.
Wes und Patty sitzen nebeneinander am Konferenztisch, daher stelle ich mich hinter sie, um zuzuhören. Wes lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust – zumindest, soweit es eben geht. Mit seinen 1,90 Metern Körpergröße und über 125 Kilogramm Gewicht ist er eine recht beeindruckende Gestalt. Er scheint immer in Bewegung zu sein und hat den Ruf, zu sagen, was ihm gerade durch den Kopf geht.
Patty ist das genaue Gegenteil. Wo Wes laut und unverblümt ist und aus der Hüfte schießt, denkt Patty nach, analysiert und ist eine Verfechterin von Prozessen und Prozeduren. Wo Wes groß, streitlustig und manchmal sogar zänkisch ist, ist Patty elfenhaft, logisch und besonnen. Ihr eilt der Ruf voraus, Prozesse mehr zu lieben als Personen, und häufig ist sie diejenige, die versucht, Ordnung in das IT-Chaos zu bringen.
Sie ist das Gesicht der gesamten IT-Organisation. Geht etwas im IT-Umfeld schief, rufen die Leute Patty an. Sie ist die professionelle Apologetin, sei es bei abstürzenden Servern, zu langsam ladenden Webseiten oder – wie heute – bei fehlenden oder kaputten Daten.
Patty wird auch angerufen, wenn etwas im IT-Bereich zu erledigen ist – das Updaten eines Computers, das Ändern einer Telefonnummer oder das Ausliefern einer neuen Anwendung. Sie kümmert sich um die Planung, daher versuchen die Leute bei ihr immer, ihre eigenen Aufgaben als Erstes erledigt zu bekommen. Patty leitet dann die Aufgaben an diejenigen weiter, die die eigentliche Arbeit machen. Meist geschieht das entweder in meiner alten Gruppe oder in Wes’ Team.
Wes haut mit der Faust auf den Tisch. »Holt einfach den Hersteller ans Telefon und erzählt ihm, dass wir zur Konkurrenz gehen, wenn sie nicht schnellstens einen Techniker schicken. Wir sind einer ihrer größten Kunden! Eigentlich sollte der ganze Kram schon längst erledigt sein.«
Er schaut sich um und sagt: »Ihr kennt doch den Spruch, oder? Wie erkennt man, ob ein Verkäufer lügt? Seine Lippen bewegen sich.«
Einer der Entwickler am Tisch antwortet: »Wir haben sie gerade am Telefon. Sie sagen, es dauert mindestens vier Stunden, bis deren SAN-Techniker vor Ort sein kann.«
Ich runzle die Stirn. Warum reden sie über das SAN? Storage Area Networks bieten eine zentrale Speichermöglichkeit für viele unserer kritischen Systeme. Geht dort etwas schief, wirkt sich das meist global aus. Nicht nur ein Server würde nicht weitermachen können, sondern Hunderte.
Während Wes mit dem Entwickler diskutiert, versuche ich, nachzudenken. Nichts bei dem Problem mit der Gehaltsabrechnung hört sich wie ein SAN-Problem an. Ann war der Meinung, es wäre vermutlich irgendetwas mit den Zeiterfassungsanwendungen, die in den verschiedenen Werken im Einsatz sind.
»Aber nachdem wir versucht hatten, einen Rollback für das SAN durchzuführen, konnte man auf gar nichts mehr zugreifen«, sagt ein anderer Techniker. »Das Display zeigte plötzlich alles auf Japanisch an! Na ja, zumindest sah es wie Japanisch aus. Was auch immer es war, wir konnten uns keinen Reim auf die kleinen Bildchen machen. Da war uns klar, dass wir den Hersteller mit ins Boot holen müssen.«
Auch wenn ich erst später dazugekommen bin – meiner Überzeugung nach sind wir hier total auf dem Holzweg.
Ich beuge mich vor und flüstere Wes und Patty zu: »Können wir uns kurz alleine unterhalten?«
Wes dreht sich zu mir und sagt, ohne richtig auf mich zu achten: »Kann das nicht warten? Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest, wir haben echt ein großes Problem.«
Ich lege meine Hand fest auf seine Schulter. »Wes, das ist wirklich wichtig. Es geht um das Problem mit der Gehaltsabrechnung und betrifft eine Unterhaltung, die ich gerade mit Steve Masters und Dick Landry hatte.«
Er schaut überrascht auf. Patty ist schon aufgestanden. »Wir gehen in mein Büro«, sagt sie und führt uns dorthin.
Als ich Patty in ihr Büro folge, sehe ich dort an der Wand ein Foto ihrer Tochter, die wohl um die elf Jahre alt ist. Ich bin beeindruckt, wie sehr sie ihrer Mutter ähnelt – furchtlos, unglaublich klug und beeindruckend –, so sehr, dass es bei solch einem süßen kleinen Mädchen schon fast ein bisschen beängstigend wirkt.
Unwirsch fragt Wes: »Okay, Bill, was ist so wichtig, dass du deswegen einen aktuellen Sev-1-Ausfall unterbrichst?«
Das ist eine gute Frage. Severity-1-Ausfälle sind ernst zu nehmende Zwischenfälle, die den Geschäftsbetrieb beeinflussen und so kritisch sind, dass wir normalerweise alles stehen und liegen lassen, um sie zu beheben. Ich atme tief durch. »Ich weiß nicht, ob ihr es schon gehört habt, aber Luke und Damon arbeiten nicht mehr für die Firma. Offiziell haben sie sich dazu entschieden, eine Auszeit zu nehmen. Mehr weiß ich leider auch nicht.«