Roman
bilgerverlag
Mit Locken, die verwahrt in Schreinen schliefen,
So viel geheimes Leid, wie längst mein Hirn es barg.
(Charles Baudelaire, Trübsinn)
Aus dem Nebenzimmer drangen Geräusche an sein Ohr. Ein Mann schnaufte und röchelte, zwischendurch war das rhythmische Stöhnen einer Frau zu hören, eher ein Seufzen, das Seufzen seiner Mutter.
»Egal, was du auch hörst, du darfst auf keinen Fall aus deinem Zimmer kommen! Ist das klar?«, hatte sie ihm immer wieder gesagt, hatte ihn an den Schultern gepackt und geschüttelt. »Mitja, ich will, dass du mir zuhörst. Wenn du dich auch nur einmal blicken lässt, habe ich keine andere Wahl, als dich wegzugeben.«
»Nein, nein, Mama, ich mache es genau so, wie du willst«, hatte er gefleht, »und sei bitte nicht böse, ich werde in meinem Zimmer bleiben.«
Sein Zimmer bestand aus einer Nische im Flur der kleinen Wohnung, viel mehr als ein Bett passte nicht hinein. Abgetrennt wurde es durch einen dunklen Vorhang, der fast bis zum Boden reichte. Dem Bett gegenüber stand ein alter Schrank. In ihm wurden, neben seiner Kleidung, Mamas Schuhe und eine geheimnisvolle Kiste aufbewahrt.
Mitja war es verboten, den Deckel der Kiste zu öffnen, nur ein einziges Mal hatte Mama ihm die Geheimnisse gezeigt. Erst war er ein wenig enttäuscht, kein Goldschatz oder Zauberbuch, aber als er sah, dass Mama weinte, während sie den Inhalt betrachtete, wusste er, dass es etwas Wertvolles sein musste. Eine kleine Dose, die eine schöne Melodie spielte, wenn man den Deckel öffnete. Mama erzählte ihm, dass das Lied den Lauf eines Flusses in ihrer Heimat beschrieb: die Moldau. Wenn er genau hinhörte, würde er den Fluss fast sehen können.
Er hatte gefragt, ob er denn jemals dorthin reisen dürfte, damit er den Fluss und Mamas Heimat mit eigenen Augen sehen könnte.
Seine Mutter hatte ihn ernst angeblickt und gesagt: »Meine Heimat ist ein Land ohne Wiederkehr, man darf nicht mehr zurück, wenn man es einmal verlassen hat.«
Er hatte das nicht verstanden, er stellte sich eine Hexe vor, die kleine Kinder mit Lebkuchen lockte, um sie dann einzusperren.
Außerdem enthielt die Kiste eine Kerze mit goldener Verzierung, eine Taschenuhr, die nicht mehr tickte, und einige Fotos. Eines zeigte Mama in einem bezaubernden Ballettkleid, strahlend schön auf einer Bühne. Auf einem anderen Foto sah man ein kleines Mädchen und ihre Mutter, beide trugen dicke Wintermäntel und Pelzmützen. Das Mädchen wiegte ein Schäfchen in den Armen. Auf der Rückseite stand Cesky´ Krumlov 1951, Ort und Datum der Aufnahme.
»Das war vor über fünfzehn Jahren bei Oma Olga in der Tschechoslowakei«, erklärte Mama, »die andere Oma wohnte in Russland, da haben sie mich dann auch zur Ballettschule geschickt.«
Dies ist also meine Oma, dachte Mitja.
Mama sagte, sie wäre ein Engel und wenn er immer schön brav wäre, würde Oma auf ihn im Himmel warten. Er war stolz darauf, einen Engel in der Familie zu haben, und erzählte niemandem davon.
Auf einem weiteren Foto sah man einen stattlichen Mann in Uniform, ein Offizier oder vielleicht sogar ein General, das konnte man an den Orden und Abzeichen erkennen, und Mama hielt dieses Bild besonders lange in der Hand.
Als Mitja sie fragte, wer der Mann sei, brauchte sie ein paar Sekunden, ehe sie ihm antwortete, er sei ihr Fahrschein in die freie Welt; sie sagte es abwesend, und obwohl er nicht verstand, spürte er, dass es sein Vater war.
Auf einem anderen Foto war der Mann wieder zu sehen, diesmal lehnte er an dem geschwungenen Radkasten eines schwarzen Autos, und man konnte erkennen, dass er Jeans und eine Lederjacke trug. Mama stand dicht vor ihm. Er hatte die Hände um ihre schmale Taille gelegt. Ihr blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt, sie trug ein knielanges Kleid mit einem unglaublich weiten Rock und flache Schuhe. Sie strahlte, und Mitja wünschte sich, Teil dieser glücklichen Szene zu sein. So sehr er aber die Umgebung und das Auto absuchte, er fand keine Spur von sich.
Ansonsten gab es in der Schatzkiste ein Bündel Briefe, fein säuberlich mit einer blauen Schleife zusammengehalten. Sie schienen alle an die gleiche Adresse gerichtet zu sein und waren durch die Post abgestempelt. Mitja wunderte sich nur, dass er die Handschrift seiner Mutter darauf zu erkennen glaubte. Er war stolz, in diesem Jahr lesen gelernt zu haben, trotzdem erlaubte seine Mutter ihm nicht, die Briefe zu lesen.
An diesem Abend liebte er seine Mutter sehr, jede Strenge war aus ihrem Gesicht gewichen, sie wirkte weich und zerbrechlich, hatte ihn tatsächlich fest in den Arm genommen, oh, wie gut sie roch, er würde sie beschützen und glücklich machen. Ja, das hatte er sich an diesem Abend fest vorgenommen. Schließlich hatte er ihr Kummer bereitet. An ihm lag es, dass Mama in dieser kleinen Wohnung lebte, dass der feine Herr, den er nie kennenlernen durfte, sie nicht geheiratet hatte, und ohne Mitja wäre sie jetzt eine berühmte Schauspielerin in einem langen weißen Pelzmantel. Der Schatzkistenabend war der schönste Moment in seinem bisherigen Leben, und an diesem Abend schlief er glücklich und ohne Furcht ein.
Wie immer, wenn er hinter seinem Vorhang bleiben musste, versuchte er sich an jenen Abend zu erinnern, doch das Rumpeln und Stöhnen ließ sich nicht vertreiben. So fest er auch seine Hände auf die Ohren presste, die Geräusche drangen hindurch. Er ließ in Gedanken das Lied der kleinen Spieldose ablaufen, er sah den kraftvollen und lebendigen Fluss, eine Blumenwiese im Wind, Rehe, die fast tanzend darüber hinwegsprangen, dadidadidadida dadadada dadidadadada … doch so sehr er sich auch konzentrierte, die liebliche Melodie zu halten, der ächzende Rhythmus aus Mamas Schlafzimmer war stärker. Er hätte so gerne geschrien, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten, stattdessen weinte er lautlos und hoffte, einschlafen zu können. Vielleicht würde Oma ihn schon bald zu sich in den Himmel holen. Nein, Mitja würde nicht schreien und auch nicht aufstehen, er wollte nicht sehen, was sich nebenan abspielte.
Das hatte er einmal getan. Als er gerade vier Jahre alt war. Damals hatten ihn diese beunruhigenden Geräusche das erste Mal geweckt. Er erinnerte sich, dass er barfuß und mit einem Holzschwert bewaffnet durch den Flur schlich. Vor der Schlafzimmertür seiner Mutter blieb er stehen, sein Herz klopfte bis zum Hals. Eindeutig war seine Mama in Gefahr. Er musste ihr helfen. Todesmutig hatte er die Tür aufgerissen und war mit dem Schwert auf den bösen Mann losgegangen. Der Mann wollte seine Mama zerquetschen, das konnte Mitja ganz deutlich sehen, denn er lag auf ihr. Mama musste sich gewehrt haben, denn der Mann grunzte und schwitzte unglaublich. Als Mama Mitja sah, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Der Mann löste sich blitzartig von ihr und schimpfte unverständliche Worte, griff nach seinen Kleidern und stolperte aus der Wohnung. Mitja war überrascht, dass er solch einen Eindruck auf den Eindringling machen konnte. Er fühlte sich wie ein Drachentöter, seine Mama war sicher mächtig stolz. Er war so mit seinem Sieg beschäftigt, dass er die schallende Ohrfeige kaum spürte. Der Hall in seinen Ohren und das Brennen auf der Haut holten ihn wieder in die Realität zurück. Seine Mama stand vor ihm, viel größer als sonst, das schöne Gesicht zu einer Fratze verzogen. Sie fuchtelte mit den Armen und schrie:
»So ein böser Junge, mach das nie wieder, Mitja! Jungs, die nicht in ihren Betten bleiben, kommen ins Kinderheim. Ich lasse nicht zu, dass du alles zerstörst!«
Sie schob ihn aus dem Zimmer und schlug die Tür vor seiner Nase zu. Mitja stand wie angewurzelt da. Er war zu schockiert, um zu weinen. Er spürte nichts mehr. Alles leer, alles still. Nach einer Ewigkeit brachte ihn die Wärme, die sich in seiner Hose ausbreitete, wieder ins Leben zurück, und er sah die Pfütze zu seinen Füßen.
Das war lange her, denn jetzt war er ein großer siebenjähriger Junge. Er war stark, er würde nicht aufstehen, er würde seine Mama nicht noch einmal verärgern. Er konnte das aushalten. Als es endlich ruhiger wurde, lag Mitja wie versteinert und ganz brav in seinem Bett, und obwohl er so tapfer war, hatten sich auf seinen Wangen glänzende Linien gebildet, die den Weg beschrieben, den seine Tränen zurücklegten, bevor sie am Hals entlang im Kissen versickerten. Sein Blick heftete sich auf den Spalt aus Licht zwischen Fußboden und Vorhang. Gleich würden Schritte zu hören sein, schmutzige Schuhe würden vorbeigehen. Der einzige Schutz zwischen ihm und dem Fremden, ein Vorhang aus dunkelblauem Samt, würde sich durch die schweren Schritte gefährlich bewegen, bis der Fremde die Wohnungstür erreichte und durch das Fallen der Tür ins Schloss endlich Erleichterung einkehrte.
Jetzt, wo der Mann verschwunden war, würde Mama bestimmt nicht böse werden, wenn er noch einmal herauskäme und nachschaute, ob es ihr gutging. Er schlich aus dem Bett und zog den Vorhang ein Stück zurück, das grelle Licht der Flurlampe blendete seine Augen. Seine Mutter war im Badezimmer. Wasser rauschte, und er hörte, dass Mama würgte. Hatte sie sich den Magen verdorben? Sie trug einen blauen Bademantel und beugte sich über die Toilette, als er in die Badezimmertür trat.
»Mama, geht es dir nicht gut?«, fragte er zögernd.
Sie drehte den Kopf. Ihre Augen waren rot gerändert, das Gesicht war bleich, Schweiß glänzte auf ihrer Stirn, und eine Haarsträhne klebte an ihr. Sicher hatte sie wieder von dem bösen Getränk getrunken, eine halbgeleerte Flasche stand auf dem Nachttisch. Wahrscheinlich hat der böse Mann ihr das eingeflößt, ging es Mitja durch den Kopf.
Mit einem »Warum schläfst du nicht?« wandte sie sich ab. »Geh weg! Du sollst mich so nicht sehen!«
Mitja war dabei, sich umzudrehen, als sie ihm nachrief:
»Mach mir einen Tee, wenn du schon wach bist!«
Froh über den Auftrag, ging er in die kleine Küche. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass sie ihn brauchte, er würde ihr Tee kochen, sein ganzes Leben lang. Gewissenhaft stellte er Wasser auf, seine Füße waren kalt, aber das war egal. Er nahm ihre Lieblingstasse aus dem Schrank, füllte das Teesieb mit getrockneter Pfefferminze und wartete auf das Pfeifen des Kessels. Zwei Stückchen Zucker, so wie sie es liebte. Er trat von einem Fuß auf den anderen, damit sie nicht so lange den kalten Boden berührten.
»Wo sind deine Hausschuhe? Eine Erkältung kann ich mir jetzt nicht erlauben«, sagte seine Mutter, als sie die Küche betrat.
Er huschte lautlos an ihr vorbei, um die großen, warmen Filzpantoffeln zu holen, die vor seinem Bett standen. Als er zurück in die Küche kam, sah seine Mama schon viel besser aus, man konnte erahnen, wie schön sie war. Die goldenen Haare hatten ihren Glanz verloren, aber trotz Blässe und Müdigkeit konnte man ihre feinen Züge ausmachen. Ihr Kopf war in die linke Hand gestützt, mit der Rechten umfasste sie die heiße Tasse. Nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte, tastete sie in ihrem Bademantel nach den Zigaretten und beförderte sie gemeinsam mit einem gefalteten Geldschein hervor. Sie stand auf und entzündete eine Zigarette an der Gasflamme des Herdes, wobei sie mit der linken Hand ihre Haare aus dem Gesicht strich. Dann setzte sich wieder an den Tisch, schlug ein Bein über das andere und lehnte sich zurück. Sie zog an der Zigarette, so dass die Glut hell aufleuchtete, und blies den Rauch über die vorgeschobene Unterlippe aus, ohne die Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen. Dann entfaltete sie den Geldschein und starrte darauf.
Mitja beobachtete sie schweigend. Die Stille bedrückte ihn, er wollte etwas sagen, und obwohl er Durst hatte und am liebsten um eine Tasse Tee gebeten hätte, entschied er sich, etwas zu erzählen, das ihr Freude machen würde.
»Die Lehrerin hat mich gelobt, weil ich heute so schön vorgelesen habe.« Die Worte kamen stockend aus seinem Mund.
Noch immer auf den Geldschein starrend, antwortete sie:
»Ach Mitja, danach steht mir jetzt wirklich nicht der Sinn. Wie spät ist es?«
»Ich glaube, elf Uhr«, stotterte er.
»So spät, und du sitzt seelenruhig in der Küche, als wäre es helllichter Tag. Mach, dass du ins Bett kommst!« Ihre Stimme hatte die gewohnte Schärfe, wenngleich die Lautstärke gedämpft wirkte.
»Ja, Mama«, sagte er kaum hörbar und war schon auf dem Weg.
»Mitja, komm zurück und gib deiner Mutter einen Kuss!«
Sie hielt ihm ihre Wange hin, und er küsste sie lautlos durch den beißenden Rauch der Zigarette. Dann gab sie ihm einen leichten Klaps auf den Po, lächelte gequält und fügte hinzu:
»Vergiss das Beten nicht, bevor du einschläfst!«
Daran brauchte sie ihn nicht zu erinnern, er sprach jeden Abend mit Gott und wartete bis heute sehnsüchtig auf eine Antwort.
Annie und ich spielten Verstecken. Ich lief durch eine schmale Gasse und duckte mich hinter eine Mülltonne. Annie zählte bis zehn, das Gesicht der Hauswand zugewandt, mit den Händen den Blick nach beiden Seiten abschirmend.
»… acht, neun, zehn, ich komme!«
Ich hielt den Atem an. Dann hörte ich nahende Schritte und wollte davonlaufen. Ich rannte mit aller Kraft, kam aber kein bisschen vom Fleck, meine Füße schienen am Boden festgeklebt.
Dann befanden wir uns in einem Treppenhaus, wir liefen gemeinsam die Treppe rauf, und plötzlich waren wir erwachsen. Ich schloss die Tür zu einer Wohnung auf und stürmte mit ihr hinein. Wir warfen die Tür ins Schloss und lehnten uns mit dem Rücken daran, gleichzeitig rutschten wir in die Hocke und blieben auf dem Dielenboden mit dem Rücken zur Tür sitzen. Wir waren abgehetzt, und als wir uns in die Augen blickten, fingen wir beide zu lachen an. Wir lachten, bis wir uns die Bäuche halten mussten.
»Ich mach uns einen Kaffee«, sagte ich in einer Atempause.
»Und ich mach gleich in die Hose«, erwiderte sie, und wir prusteten schon wieder.
Es ist herrlich, eine Freundin wie Annie zu haben, dachte ich, als ich die kleine Alukanne mit Kaffee füllte und auf den Herd stellte.
Christians Hand wanderte meinen Rücken hinunter, streichelte zärtlich über meinen Po und zog mich an sich. Ich lag auf der Seite, sein Körper presste sich an meinen Rücken. Deutlich konnte ich seine Erregung spüren. Ich zog die Decke über meine Schulter und grummelte: »Lass mich noch ein bisschen schlafen!«
Er flüsterte Liebkosungen in mein Ohr, und ich war wieder in dieser Küche, sie tauchte wiederholt in meinen Träumen auf. Hier fühlte ich mich wohl, hier war ich zu Hause. Ich hörte Annie lachen, aber es gab keine zusammenhängenden Bilder mehr, nur noch Sequenzen, die sich mit der Realität mischten. Christians Hand war zwischen meine Beine gewandert, die Traumbilder schwanden, und mir entwich ein lustvoller Seufzer. Seine Hand umfasste meine Hüfte.
»Sei leise, mein Liebling, wir wollen die Kinder nicht wecken!«, er biss zärtlich in meinen Nacken.
Wir waren ein routiniertes Paar, seit langem daran gewöhnt, das Sexualleben mit einem Schalldämpfer zu versehen. In den Morgenstunden lauerten Hyänen darauf, ein Geräusch aus unserem Zimmer zu hören, um dies als Startschuss für den Tag zu deuten und mit erschreckender Energie hereinzustürmen.
Halb schlafend, versuchte ich mir erotische Situationen auszumalen, es wäre mir fast gelungen, wäre nicht Marie ins Zimmer geplatzt. Unsere kleine Prinzessin, die Nachzüglerin, gerade mal drei Jahre alt, stampfte mit den kleinen nackten Füßen auf den Boden, Zornestränen liefen über ihr Gesicht.
»Tobi gibt mir nichts vom Kakao«, brach es aus ihr heraus.
Christian gab einen Seufzer von sich und richtete sich auf. Dann strich er mir übers Haar.
»Bin gleich wieder da«, sagte er, »bleib du noch liegen und warte auf mich.«
»Schon gut«, erwiderte ich und drehte mich auf den Rücken, »ich helfe dir.«
»Nein, mein Engel, du kümmerst dich die ganze Woche darum, heute ist Samstag, du hast etwas Ruhe verdient.«
Er war bereits auf den Beinen, und mit der kleinen Terroristin an der Hand verließ er das Schlafzimmer. Anstatt aufzustehen, zog ich die Decke noch höher über meine Schultern und schloss die Augen. Mein Traum fiel mir wieder ein. Was war das nur für ein Ort? Diese Wohnung, diese Küche tauchten in regelmäßigen Abständen in meinen Nächten auf. Sie waren mir vertraut, viel wirklicher als andere Traumbilder, vielleicht lag das an ihrer steten Wiederkehr.
Christian erschien in der Tür, er hatte ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Selbst nach siebzehn Ehejahren wirkte er verführerisch auf mich, und dieses schelmische Lausbubengrinsen würde er wohl bis ins hohe Alter besitzen.
Er schlüpfte ins Bett und stellte ein Tablett zwischen uns, darauf zwei Tassen duftenden Kaffees und Croissants.
»Mmh, französisch«, sagte ich und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
»In all seiner Bedeutung«, antwortete er und hätte beinahe das Tablett umgeworfen, als er unter der Decke nach meinem Bein angelte.
»Ich brauche dringend eine Dusche«, konterte ich, während ich mein Bein aus seiner Klammer zu befreien versuchte und mich im Bett aufrichtete.
Er lächelte und biss herzhaft in das Croissant.
»Ich liebe dich«, sagte ich, weil es einfach so war.
»Ich weiß«, gab er liebenswert eingebildet zurück, wobei er mir einen krümeligen Kuss auf die Stirn klebte.
»Christian, ich habe schon wieder von dieser Wohnung geträumt. Ich möchte wissen, was das zu bedeuten hat.«
»Wahrscheinlich nichts.«
»Jetzt mal ernsthaft, diese Träume sind anders als andere, intensiver und realistischer. Vor allem diese immer wiederkehrenden Orte.«
Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist dein Leben zu eintönig, und weil du nichts Neues zu verarbeiten hast, musst du immer wieder das Gleiche träumen.«
»Ich muss dringend Annie anrufen, ich habe von ihr geträumt.«
»Wer ist Annie? Ich dachte, du hättest von dieser Wohnung geträumt?«
»Ja, aber sie kam auch vor. Du kennst doch Annie, meine Schulfreundin.«
Mein Gott, wir hatten uns Jahre nicht gesehen. Das Letzte, was ich von ihr gehört hatte, waren die Glückwünsche zu meiner Hochzeit. Vielleicht hatten wir danach noch ein- oder zweimal miteinander telefoniert. Eigenartig, dass man von Menschen träumt, die man seit Ewigkeiten nicht gesehen hat und die im Traum so vertraut sind, dass man den Drang verspürt, sie anzurufen. Lebte sie überhaupt noch hier? Mein Blick fiel auf die Uhr.
»Um Himmels willen, es ist schon fast elf, und ich bin um halb zwölf mit Eva in der Stadt verabredet. Ich habe versprochen, mit ihr den Sommerschlussverkauf auf den Kopf zu stellen, sie braucht dringend ein paar neue Kleider fürs Büro.«
Christian folgte mir ins Badezimmer. Während ich duschte, saß er auf dem Badewannenrand und beobachtete mich durch die nasse Glasscheibe.
»Was hast du mit den Kindern gemacht? Schlafmittel in den Kakao gerührt? Oder warum hört man nichts?«, fragte ich.
»Ich habe ein Kindermädchen namens Arielle eingestellt«, war seine Antwort, »leider kann sie nur anderthalb Stunden bleiben, und Paul schläft noch.«
Ich schmunzelte. »Lass die Kleinen bitte nicht so lange vor dem Fernseher!«
Er verdrehte die Augen und reichte mir ein Handtuch.
»Lass das mal meine Sorge sein. Ich bin viel zu selten zu Hause, um den Tag vor dem Fernseher zu verbringen. Wir warten nur, bis du aus dem Haus bist.«
»Ich bin schon fast weg«, antwortete ich, während ich versuchte, meine widerspenstigen Haare in eine Frisur zu verwandeln. Da, eine neue Falte, ich zog die Haut mit meinen Händen glatt, vergeblich. Ich schaute aus dem Fenster, der Himmel war grau, und man konnte den Herbst schon spüren.
Was hab ich nur letztes Jahr getragen?, ging es mir durch den Kopf, als ich splitternackt vor dem geöffneten Schrank stand. Er quoll fast über. Ich zog einen schwarzen Rolli heraus und beförderte dabei zwei weitere Pullover ans Tageslicht. Einfach zu wenig Platz, dachte ich, als ich den Pullover überstreifte. Dann stieg ich in meine Jeans und betrachtete das Resultat einigermaßen zufrieden im Spiegel.
Wie immer rutschte ich auf dem Treppengeländer schwungvoll hinunter und landete mit einem großen Satz in der Diele.
»Ich nehme deinen Wagen, dann hast du mehr Platz, wenn du mit den Kindern was unternehmen willst«, rief ich, nicht uneigennützig, der kleine Sportwagen machte mir wesentlich mehr Spaß als die Familienkutsche. In Windeseile wirbelte ich durchs Wohnzimmer, drückte-Marie und Tobi einen Kuss ins Gesicht, nahm meinen Schlüssel von der Kommode, warf Christian einen Handkuss zu und war draußen.
Noch fast pünktlich, stellte ich mit einem Blick auf die Uhr fest, als ich in das Parkhaus Schillerstraße fuhr. Eva war es gewohnt, auf mich zu warten, sie hatte Verständnis dafür, dass ich wegen der Kinder nie genau planen konnte. Wir hatten uns in der U-Bahn-Ebene Hauptwache verabredet, Eva kam mit der U-Bahn in die Stadt, was von Bockenheim auch schneller war. Ich lief im Laufschritt die Schillerstraße entlang, an der Börse vorbei, die Treppe hinunter zum U-Bahnhof.
Unten herrschte das übliche Samstagstreiben. Jugendliche, die nichts mit ihrer Zeit anzufangen wussten und sie verschwenderisch vor McDonalds ablungerten. Ein paar Drogendealer, die so unauffällig waren, dass sie schon wieder auffielen. Wachleute, die sie geflissentlich übersahen und in ihren schwarzen Uniformen, den Schäferhund im Anschlag, breitbeinig ihre Bahnen zogen. Natürlich waren auch Familien unterwegs, auch einige Touristen und Rentner, die der Einsamkeit ihrer vier Wände entflohen. Einzig die Anzugträger und Banker fehlten, die werktags das Stadtbild beherrschten. Sie wuschen in Taunusvororten ihren BMW oder Audi vor der Garage des Reihenhauses, während ihre Freundinnen ein Fertiggericht anrührten.
Eva stand wie erwartet vor dem Eingang des Kaufhofs, sie war nicht zu übersehen: eine gepflegte Erscheinung in langem Ledermantel, mit modischem blonden Kurzhaarschnitt und von einer beeindruckenden Größe, über einen Meter achtzig, die sie noch mit hohen Schuhen unterstrich. Es war zu erkennen, dass sie im Alltag keine Knetmännchen modellierte und Sandburgen baute.
Sie winkte mir freudig zu.
»Schön, dich zu sehen«, sagte sie, als ich abgehetzt vor ihr stand. Wir umarmten uns.
»Magst du auch einen Saft, bevor wir uns ins Getümmel stürzen?«
Ich verneinte, und sie ging zur Vitamin-Bar neben dem Kaufhof, um sich einen der frischgepressten Säfte auszusuchen. Ein paar Meter hinter ihr lehnte ich mich an ein Säulenpaar, um kurz zu verschnaufen, und beobachtete den Straßenmaler, der ein riesiges, farbenfrohes Bild auf den Betonboden malte. Die Vorbeieilenden würdigten das Kunstwerk keines Blickes – wenigstens liefen sie nicht einfach darüber hinweg. Der U-Bahnhof Hauptwache, auch B-Ebene genannt, war wirklich keine Schönheit, rechts neben mir befanden sich die öffentlichen Toiletten und Schließfächer, in deren Nähe die Heimatlosen ihre Tage zählten. In vielen Ecken glänzten gelbliche Pfützen, hier hatten wohl nicht die Schäferhunde der Wachleute das Bein gehoben. Die Säulen waren lindgrün gefliest. Ich wunderte mich, warum es dicke und dünne gab. Die dünnen Säulen standen in Zweiergruppen dicht nebeneinander, an einem solchen Paar lehnte ich. Gedankenverloren tastete ich hinter mich, um die Breite zwischen den Säulen auszumachen, während ich Eva beobachtete, die sich ihren Drink zusammenstellen ließ.
Es geschah ganz plötzlich. Als ich meine Hände in den Spalt schob, wurde mir schwarz vor Augen. Meine Finger im Säulenspalt wurden eiskalt, die Kälte breitete sich zügig in alle Körperteile aus, und die Beine schienen mein Gewicht nicht mehr zu tragen. Ich dachte: Jetzt wirst du ohnmächtig, dieser verdammt niedrige Blutdruck, und wollte gerade nach Eva rufen, da wurde es dunkel um mich.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich nicht wie zu erwarten auf dem Boden. Ich lehnte noch genauso an der Säule wie zuvor, und niemand nahm Notiz von mir. Was war geschehen? Ich zog meine Hände aus dem Spalt, sie waren nicht mehr kalt, sie waren auch nicht warm, ich spürte sie überhaupt nicht. Genauso wenig wie ich Beine, Füße, Bauch oder Kopf spürte. Mein Blick fiel auf die Vitamin-Bar, Eva war nicht mehr da. War sie schon nach draußen gegangen? Ich fragte die Dame hinter der Theke, ob sie Eva gesehen hätte. Sie ignorierte mich. Gut, ich war nicht an der Reihe, aber dass sie überhaupt nicht antwortete?
Dann schaute ich zum Straßenmaler hinüber, aber auch er war nicht mehr da, stattdessen sang dort die Heilsarmee ein monotones Lied. Mit dem Maler war auch das bunte Gemälde verschwunden. Was ging hier vor? Ich drehte mich um mich selbst, als könnte ich so eine Erklärung finden. Auf den ersten Blick sah alles aus wie immer, obwohl ich hätte behaupten können, dass dort, wo sich nun ein Schuhreparaturdienst befand, eben noch ein Obst- und Gemüsehändler war. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich musste an die Luft, sicher würde Eva oben an der Rolltreppe auf mich warten.
Eine Gruppe Jugendlicher kam mir auf der Treppe entgegen, sie machten keinerlei Anstalten, mich durchzulassen, ich musste zur Seite springen, damit sie mich nicht überrannten. Oben angekommen, sah ich nichts von Eva, soweit ich das im Gedränge überblicken konnte. Ich setzte mich auf eine Mauer neben der Rolltreppe, nahm kaum Notiz von den Obdachlosen und Junkies rings um mich.
Denk nach, befahl ich mir. Was war geschehen? Es musste eine Erklärung geben.
Menschen hetzten an mir vorüber, ein normaler Schlussverkaufssamstag auf der Zeil. Ein alter Mann, dessen Kleider vor Dreck starrten, sprach mich an:
»Da hast du dir aber einen schmalen Pfad ausgesucht«, murmelte er.
Ich drehte den Kopf und blickte kurz in weise Augen, dann sah ich nur noch die braunen Zahnstümpfe, die er im Mund hatte, das Gesicht war aufgedunsen und mit roten Adern übersät. Bei jedem seiner Worte schwappte mir ein Dunst von Hochprozentigem entgegen. Das Letzte, was ich jetzt brauchte, war ein Gespräch mit einer verlorenen Seele, deren Gehirn vom Alkohol zerfressen war. Ich wandte mich ab. Rechts von mir, wo Hako seine Schuhe verkauft hatte, war jetzt ein Media-Markt. Ich drehte meinen Kopf in Richtung Hauptwache, die in blauem Anstrich erstrahlte. Der alte hellgelbe Farbton hat mir besser gefallen, ging es mir durch den Kopf.
Eigenartig, überlegte ich, wann bin ich das letzte Mal in der Innenstadt gewesen? Höchstens drei oder vier Wochen kann es her sein.
Aus dem Augenwinkel nahm ich einen Wolkenkratzer wahr, der direkt an der Straßenecke Schillerstraße in den Himmel ragte. Mir wurde schwindlig. An dieser Stelle war ich vor nicht einmal einer halben Stunde nach unten zum U-Bahnhof gelaufen, dieser Turm aus Glas und Metall hatte nicht dort gestanden. Was geht hier vor? Panik stieg in mir auf. Wo bin ich? Träume ich? Oder bin ich doch ohnmächtig? Halluziniere ich? Bilder rasten durch meinen Kopf, Bilder aus Science-Fiction-Filmen, Zeittunneln und Zeitmaschinen. Ist der alte Mann ein Morlock, und ich bin eine unfreiwillig Zeitreisende?
Blödsinn, ermahnte ich mich und sprang auf. Die Uhr der Katharinenkirche schlug zwölf. Okay, die Zeit stimmte. Ich lief los, ohne zu wissen, wohin, und doch wie von einem unbekannten Ziel angezogen. Hinter dem neuen Media-Markt bog ich rechts in die Fußgängerzone ein. Vielleicht war ein anderer Tag oder ein anderes Jahr? Es konnte nur die Zukunft sein. Ich musste jemanden nach dem Datum fragen.
Eine junge Frau mit Kinderwagen kam auf mich zu. Ich stellte mich ihr in den Weg, und obwohl meine Frage lächerlich war, stellte ich sie.
Da geschah das Unfassbare. Sie blickte nicht zu mir auf, sie antwortete auch nicht, sie lief durch mich hindurch. Ich war geschockt und wollte sie am Arm festhalten, aber ich griff ins Leere, hinterließ nicht mal eine Falte auf ihrem Ärmel. Und dann kam ein junger Mann mit Bomberjacke und Kampfhund von hinten durch meinen Rücken. Ich hatte ihn nicht gespürt. Ich war unsichtbar, unfühlbar, nicht existent, hatte meinen Körper verloren. Keiner, der mich sah, niemand, den ich fragen konnte, gefangen in einer anderen Zeit. Handlungsunfähig, ein stiller Beobachter von Szenen, in die ich nicht eingreifen konnte.
Mir blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen, dem unbekannten Ziel entgegen, das mich nun energischer anzog. Ich ging über den Liebfrauenberg, nahm kaum Notiz von dem Lebensmittelladen, der anstelle des Werkzeug- und Haushaltsartikelmarktes seine Ware anbot, überquerte die Berlinerstraße und den Paulsplatz und bog links in die Braubachstraße ein. Vor einer Galerie kam ich zum Stehen. Drinnen unterhielt sich ein Mann mit einer Frau. Er war um die fünfzig und hielt ein Gemälde unter dem Arm, Die Frau konnte ich nur von hinten sehen, aber sie kam mir irgendwie bekannt vor. Ihre lockigen Haare waren zu einer wilden Frisur aufgesteckt, einzelne Strähnen kringelten sich über die Schulter. Sie trug ein kurzes Wollkleid und auffällig geringelte Strümpfe, die bis übers Knie reichten. Ich betrachtete die Bilder, die an den Wänden hingen, viele standen noch am Boden. Zwei der Bilder glaubte ich zu erkennen. Ich dachte fieberhaft darüber nach, wo ich sie schon gesehen hatte, während ich die Galerie betrat. Man würde ohnehin keine Notiz von mir nehmen, also könnte ich mir in aller Ruhe die vertrauten Bilder anschauen. Vielleicht lag hier der Schlüssel meines Zustandes. Ich schien schließlich am Ziel zu sein, denn das unsichtbare Band, welches mich hierhergeführt hatte, war verschwunden.
Der Mann, keine Schönheit, aber sympathisch offen wirkend, redete auf die Frau ein.
»Das ist eine riesige Chance für dich, bitte, sag den Termin nicht ab. Du hast allen Grund, stolz auf dich zu sein, nur keine falsche Bescheidenheit.«
»Ich bin dir ja auch sehr dankbar«, erwiderte sie, »aber ich fürchte, Guggenheim ist einfach eine Nummer zu groß für mich.«
»Helena«, sagte er ermahnend. Ich zuckte zusammen. »Sei nicht albern, deine Bilder sind große Klasse!«
Er hatte sie bei meinem Namen genannt. Ich drehte mich zu ihr um – und blickte mir in die Augen. Da gab es keinen Zweifel, die Frau war ich. War ich in meine eigene Zukunft gereist? Kaum zu glauben, die andere war keinen Tag älter als ich, im Gegenteil, sie sah viel jugendlicher aus, auch ein wenig schlanker, so wie ich vor meinen Schwangerschaften. Das konnte auch unmöglich meine Vergangenheit sein, daran könnte ich mich erinnern.
Was als Nächstes geschah, verwirrte und verängstigte mich noch mehr. Ich bewegte mich ohne mein Zutun auf sie zu, wir verschmolzen, dann brach für einen Sekundenbruchteil Dunkelheit über mich herein, ein Gewirr von Stimmen, die sich mit Gedankenbildern mischten, brachte mich zurück ins Geschehen. Ich schaute dem Mann mir gegenüber in die Augen.
»Robert«, sagte ich, als hätte ich nichts Wichtigeres zu sagen, »warten wir mal die heutige Vernissage ab. Ich bin froh, meine erste eigene Ausstellung zu haben. Wenn alles gut läuft, gehe ich auch zu Mr Willfoyle.«
Es war zwar meine Stimme, die das sagte, aber ich hatte diese Worte nicht formuliert. Ich wusste überhaupt nicht, wovon die beiden redeten. Dann zündete ich mir eine Zigarette an und inhalierte tief. Hey, protestierte ich, ich bin Nichtraucherin! Ich habe es mir abgewöhnt, als Paul unterwegs war. Na wenn schon, es war nicht der schlechteste Zeitpunkt für eine Zigarette, heimlich genoss ich jeden Zug. Langsam erkannte ich, dass ich zwar meinen Körper wiederhatte, wenn auch in veränderter Form, aber nicht damit umgehen konnte. Ich glich eher einem handlungsunfähigen Bewohner dieses Körpers. Meine Gedanken drangen nicht zu meinen Handlungen vor. Ich bewegte mich und redete wie ferngesteuert.
Ich begleitete mich zur Wand, rückte ein Bild zurecht, strich dem fremden Mann freundschaftlich übers Haar und las eine Gästeliste durch.
»Robert«, hörte ich meine Stimme fragen, »wer hat von der Presse zugesagt?«
»Ich bin mir nicht sicher, Langer von der Rundschau, einer vom Journal und eventuell die affektierte Tante vom Globus. Aber wenn ich nicht bald was zu essen kriege, werde ich den heutigen Abend vielleicht nicht mehr erleben«, war seine Antwort.
Die haben Probleme, dachte ich, trotzdem antwortete ich:
»Du Ärmster. Du hast recht, wir sollten schnell eine Kleinigkeit essen gehen.«
Kurz darauf verließen wir die Galerie, und Robert verriegelte die Tür. Dann kaufte er eine Bildzeitung.
»Dass du immer diesen Schund liest«, kritisierte meine Stimme.
»Als ich im Ausland lebte, war es häufig das Einzige, was man auf Deutsch kriegen konnte. Ich hab mich daran gewöhnt, und irgendwie gehört es dazu«, rechtfertigte er sich.
Im Weitergehen las er die erste Seite. Ich spähte über seine Schulter und sah das Datum. Ich traute meinen Augen nicht, die ohnehin nicht mehr meine Augen waren: Es war der Tag meiner Verabredung mit Eva. Das war keine Zeitreise. Um Himmels willen, was war es dann? Am liebsten hätte ich mich auf den Boden fallen lassen und geweint. Was passierte mit mir? Ich dachte an Christian, meine Kinder, die ich vielleicht nie wiedersehen würde. Träumte ich nur? Um Himmels willen, lass diesen Albtraum zu Ende sein! Wach auf, Helena, befahl ich mir. Wo war der gnädige Schutz, der einen aus Träumen reißt, wenn es unerträglich wird. Ich erwachte nicht, es war kein Traum, ich war mit einem Unbekannten unterwegs und schlug ihm gerade vor, lieber ins Dante als zu Fung-Mui zu gehen, weil es dort gute Salate gab. Ich wollte nirgendwohin, und nach Essen war mir schon gar nicht zumute.
Reiß dich zusammen!, ermahnte ich mich wieder, du bist hier hineingeraten, dann wird es auch einen Weg hinaus geben. Wie hatte das alles begonnen? Ich überlegte fieberhaft, während wir denselben Weg gingen, den ich zuvor gekommen war.
Kurz bevor wir die Hauptwache erreichten, fiel mir der Penner ein. Er hatte mich angesprochen, also hatte er mich sehen können. Was mir noch vor einer halben Stunde selbstverständlich erschien, kam mir jetzt wie ein Wunder vor. Wieso war er mir nicht früher eingefallen? Ich musste zu ihm, er war mein Ausweg aus diesem Wahnsinn. Ich hatte ein Ziel und musste diesen Körper zu den Obdachlosen lenken. Aber wie? Ganz einfach, es war überhaupt nicht schwer, kaum hatte ich den Entschluss gefasst, fiel ich förmlich aus meiner Hülle. Es war, wie wenn man einen schweren Gegenstand durch Wackelpudding fallen lässt. Ich flutschte hindurch und landete auf dem Hintern. Vor mir entfernte sich mein Körper, oder wer immer das war, einem Mittagessen entgegen. Ich hielt mich in sicherem Abstand, um nicht wieder hineingezogen zu werden. Dann trennten sich unsere Wege, und ich bog in Richtung Hauptwache ab.
Die Stadtstreicher waren noch immer da. Ich ging zielstrebig auf sie zu und starrte in jedes Gesicht, in der Hoffnung, einer von ihnen würde mich erkennen. Vergeblich, sie schauten alle durch mich hindurch. Er war fort, aber wohin? Hilflos blickte ich mich um. Niemand sah mich. Ich rief laut um Hilfe und sackte resigniert in die Knie. Wie ein Häufchen Elend kauerte ich zwischen Kaufhof und Media-Markt und weinte mir die Seele aus dem Leib. Aber ich war nicht zu hören und nicht zu sehen. Ich war nicht mehr da. Achtlos gingen die Leute über mich hinweg.
Was sollte aus mir werden, wo war der Körper, den ich eben verlassen hatte? Selbst wenn er mir nicht gehorchte, so bot er doch wenigstens einen Schutz.
Eine Ewigkeit saß ich verzweifelt auf dem Asphalt und weinte. Weinte um meine Kinder, um meinen Mann, um mein Leben und zerfloss in Selbstmitleid. Mit jedem Schluchzen wusch ich mir den Schmerz von der Seele, bis ich, ein wenig erleichtert, den letzten Mut zusammenraffte und mich in Richtung Rolltreppe schleppte. Ich hatte die kleine Hoffnung, den Obdachlosen bei den Toiletten und Schließfächern in der B-Ebene zu finden.
Am Fuß der Rolltreppe blieb ich stehen und suchte mit den Augen die Halle ab. Ich trat nicht einmal zur Seite, sondern ließ die Menschen wie einen nie endenden Fluss durch mich hindurchfließen.
Denk nach, Helena! Wie hat alles begonnen? Eva und ich waren verabredet. Sie hat sich etwas zu trinken geholt, während ich bei den Säulen auf sie wartete. Bei den Säulen ist es passiert, hier muss ich ohnmächtig geworden sein – oder was auch immer es war. Mutlos, nur weil es mir als letzte Chance erschien, trat ich auf die Säulen zu. Wie genau hatte ich hier gestanden? Angelehnt, etwas abgehetzt. Langsam schlich ich um die Säulen herum und tastete sie mit den Händen ab. Als ich meine Hand in den Spalt zwischen den Säulen schob, kehrte die Kälte zurück. Schnell steckte ich auch die andere Hand hinein.
Es war wie beim ersten Mal. Eisige Kälte überkam mich – ich hatte mich noch nie so gefreut zu frieren, ein lebendiges, ein wunderbares Gefühl. Mir wurde wieder schwarz vor Augen, das Stimmengewirr um mich herum entfernte sich. Es folgte absolute Dunkelheit, Stille. Ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand anhielt. Das Erste, was ich spürte, war die zurückkehrende Wärme in meinen Gliedern. Dann hörte ich eine Stimme.
»Hier, probier mal, Erdbeere, Kiwi, Ananas!«
Ich öffnete die Augen und sah in Evas Gesicht, die mir ein Glas unter die Nase hielt.
»Du bist ja ganz blass, ein paar Vitamine sind jetzt genau das Richtige.«
Sie fuchtelte mit dem Strohhalm vor meinem Mund herum. Ich nahm einen großen Schluck, es schmeckte köstlich. Der Saft floss kühl meine ausgetrocknete Kehle hinunter. Er gab mir das Gefühl, wieder lebendig zu sein.
»Ist irgendetwas Ungewöhnliches passiert in den letzten Minuten?«, fragte ich zögernd.
»Was soll schon passiert sein, ich hab mir was zu trinken geholt, und du hast es mit einem Zug halb ausgetrunken! Alles in Ordnung?« Sie grinste und hakte sich bei mir ein.
»Ja, mir geht’s gut«, log ich.
Ich konnte Eva unmöglich erzählen, was passiert war, wie sollte man so etwas beschreiben. Die Bilder in meinem Kopf überforderten meinen Verstand, ich wollte nicht darüber reden und nicht einmal darüber nachdenken. Ich hatte Angst, wahnsinnig zu werden. Vergessen, verbannen, es ungeschehen machen, das war mein einziger Wunsch.
»Lass uns loslegen!«, erleichtert, dass meine Stimme wieder zu meinen Gedanken gehörte, zog ich Eva mit übertriebener Ausgelassenheit in Richtung Ausgang. Schuhe kaufen, Kostüme anprobieren, Bewegung, Ablenkung, nur nicht zur Ruhe kommen, eine Fülle von Eindrücken auf mich wirken lassen, bis die wirren Bilder verdrängt wären. Wie ein Wasserfall plapperte ich auf Eva ein, erzählte, dass Marie jetzt Blumen malen konnte, Christian heute das Frühstück ans Bett gebracht hatte, meine Pullover nicht mehr passten und die Katze gestern auf den Teppich gekotzt hatte. Im Schuhladen, der kurzzeitig ein Media-Markt war, nahm ich jeden Stiefel in die Hand, probierte fast jedes Paar und kaufte solche, die überhaupt nicht zu mir passten. Ich kaufte Socken und einen Bademantel für Christian, Frotteehandtücher, die kein Schnäppchen waren, und T-Shirts für die Kinder. Mit jedem Gramm, das die Tüten in meiner Hand schwerer wurden, fühlte ich mich leichter. Ich zeigte endlose Geduld, als sich Eva nicht zwischen zwei weißen Blusen, die sich nicht voneinander unterschieden, entscheiden konnte.
Als wir uns voneinander verabschiedeten, waren wir beladen wie Packesel. Eva verschwand in Richtung U-Bahn, und ich war froh, ihr nicht in den Untergrund folgen zu müssen. Auf dem Weg zum Parkhaus dachte ich über meine überflüssigen Einkäufe nach. Wie könnte ich es schaffen, den ganzen Plunder unbemerkt ins Haus zu schmuggeln? Während der Autofahrt kämpften sich die Bilder meines seltsamen Erlebnisses wieder an die Oberfläche. Die geringelten Overknees mischten sich unter die neugekauften Socken. Ich drehte die Musik lauter und versuchte mich auf den Text zu konzentrieren. Chinesisch bei Fung-Mui oder ein Salat bei Dante? Verdammt noch mal, ich wollte nicht darüber nachdenken und versuchte ein anderes Ablenkungsmanöver. Was sollte ich heute kochen? Linseneintopf wäre gut. Laut zählte ich die Zutaten auf: Linsen, Kartoffeln, Speck, Kräuter, Karotten, Sellerie, Pfeffer und Salz, Eier und Schmalz, Milch und Mehl, Safran macht den Kuchen geel … Dann zitierte ich Kinderreime. Wie war das noch? »Unsere Katz hat Junge, sieben an der Zahl, sechs davon sind Hunde, das ist ein Skandal …«
Zu Hause angekommen, verstaute ich den größten Teil der Einkäufe im Kofferraum meines Wagens, den Christian in der Hofeinfahrt geparkt hatte.
Lotte und Lilly, unsere Katzen, begrüßten mich, indem sie um meine Beine streiften. Ich hatte Mühe, ihnen nicht auf die Pfötchen zu treten, während ich mit meinen akzeptablen zwei Tüten das Haus betrat.
Christian war mit den Kindern in der Küche. Sie bastelten Männchen aus Kastanien und anderen herbstlichen Fundstücken.
Als wäre ich von einer Weltreise zurückgekehrt, fiel ich Christian um den Hals. Ich war so erleichtert, meine Familie zu sehen, dass sich meine Augen mit Freudentränen füllten.
»Hey, du scheinst uns ja ganz schön vermisst zu haben. War der Einkauf mit Eva so furchtbar?«, fragte Christian lachend und erwiderte meine Umarmung. Er konnte nicht wissen, was ich durchgemacht hatte. Ohne Körper in einer Welt, die ich nicht verstand, und mit der furchtbaren Angst, meine geliebte Familie nie wiederzusehen. Ich erschauderte noch einmal bei der Erinnerung.
Marie klammerte sich an mein Bein, während Tobi sich über meine Tüten hermachte.
»Hast du uns was mitgebracht?«, fragte er und beantwortete die Frage gleich selbst, als er die Eierbecher und eine Legofigur aus der Tüte zog.
An diesem Abend war ich sehr aufgewühlt. Was auch immer geschehen war, es war so beunruhigend, dass ich es keine Sekunde alleine aushielt. Ich folgte Christian auf Schritt und Tritt. Beim Essen berührte ich permanent sein Bein unter dem Tisch, und in der Nacht klammerte ich mich an ihm fest. Ich war froh, dass die Nacht traumlos verging, und in den folgenden Tagen lenkte ich mich mit alltäglichen Beschäftigungen ab. Die Tüten, die ich zum Umtausch im Kofferraum herumfuhr, mahnten mich, dass ich innerhalb von vierzehn Tagen in die Innenstadt zurückmusste. In jedem Fall würde ich die U-Bahnstation meiden, so viel war sicher.
Im Gegensatz zu meinen immer wiederkehrenden nächtlichen Träumen war der Vorfall an jenem Samstagmorgen so angsteinflößend gewesen, dass ich mit niemandem darüber sprach und mich auf Hinweise einer beginnenden Geisteskrankheit beobachtete. Die Tage verliefen aber normal. Keine Anzeichen von Bewusstseinsstörungen. Bis zu dem Tag, an dem ich mit Tobi und Marie den Zoo besuchte.
Mitjas Leben kannte kaum Höhepunkte. Die schönste Zeit des Tages war der Vormittag. Er ging gerne zur Schule und war ein begabter und fleißiger Schüler. Hier konnte er, obwohl etwas zurückhaltend, mit anderen Kindern spielen und fand in seiner Lehrerin, Frau Wickel, eine liebevolle Bezugsperson. Er erzählte in der Schule nichts von zu Hause, man wusste nur, dass er der Sohn einer alleinerziehenden russischen Einwanderin war, in den sechziger Jahren eine Seltenheit, die bisher noch niemand zu Gesicht bekommen hatte. Da Mitja in seiner Zurückhaltung keine Probleme im Unterricht machte, war Frau Wickel nicht sonderlich hartnäckig, wenn Briefe oder Einladungen zum Elternabend nicht beantwortet wurden. Sie war es auch, die ihn in Schutz nahm, wenn andere Kinder ihn hänselten, weil er keinen Vater hatte und nicht die neuesten Kleider trug. Trotz seiner blassen Haut, seines zierlichen Körperbaus und seiner schüchternen, melancholischen Art zeigte er Stolz und Unverwundbarkeit; Eigenschaften, die vielen Kinder abhandengekommen waren.
Einmal brachte Frau Wickel für Mitja einen zu klein gewordenen blauen Anorak ihres Sohnes mit, damit er ihn gegen die viel zu große graue Wolljacke, deren Ärmel er unzählige Male aufkrempeln musste, austauschen konnte. Sie rief ihn nach dem Unterricht zu sich, und nachdem alle anderen Kinder gegangen waren, zauberte sie den Anorak aus ihrer Tasche. Er glänzte dunkelblau, hatte einen Reißverschluss und gelbe Ziernähte, außerdem duftete er wunderbar nach Waschmittel, ebenso wie Frau Wickel selbst.
Mitjas Augen strahlten, und er lächelte. »Vielen Dank.«
Sofort zog er ihn an und lief glücklich nach Hause.
Am anderen Morgen schloss Frau Wickel gerade das Klassenzimmer auf, als ihr von hinten jemand auf die Schulter tippte. Eine junge Frau mit flachsblonden hochgesteckten Haaren, blasser Haut und Augen, die älter aussahen als sie waren, stand hinter ihr, streckte ihr den Anorak entgegen und sagte in akzentuiertem Deutsch: »Wir nehmen keine Almosen, und die Jacke meines guten Vaters ist für meinen Sohn auch gut. Bitte, nehmen Sie!«
Frau Wickel nahm ihn zögerlich entgegen und versuchte zu erklären, dass es nicht als Almosen gemeint war, nur ihrem Sohn zu klein und zum Wegschmeißen zu schade, sie geriet ein wenig ins Stottern.
»Ich wollte sie nicht kränken.«
»Ich weiß, wie es gemeint ist, bitte, nehmen Sie, und ich wünsche einen guten Tag«, entgegnete Mitjas Mutter, wobei sie Frau Wickel noch einmal fest in die Augen sah, sich zum Gehen wandte und aufrecht, fast tänzelnd das Schulgebäude verließ.
Frau Wickel stand mit dem Anorak in der Hand und geöffnetem Mund da und starrte der stolzen Dame hinterher, während die Schüler an ihr vorbei ins Klassenzimmer stürmten. Dann erst nahm sie Mitja wahr, der direkt vor ihr stand. Er schaute zu ihr auf und erklärte mit fester und beherrschter Stimme:
»Das war meine Mama.« Seine Augen füllten sich mit zurückgehaltenen Tränen.
Frau Wickel streichelte ihm über den Kopf, was er kaum ertrug, und führte ihn ins Klassenzimmer. Sie hängte den Anorak an seinen Haken und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu, den der Junge sofort verstand.
Von diesem Tag an trug er die glänzende blaue Jacke in allen Pausen und manchmal sogar während des Unterrichts und tauschte sie erst nach Schulschluss gegen die Wolljacke aus, wobei er jedes Mal darauf achtete, der Letzte zu sein, der das Klassenzimmer verließ, um sich, indem er mit den Händen fast zärtlich über den glatten Stoff strich, von seinem Anorak zu verabschieden.
Es war das einzige Mal, dass Frau Wickel Fräulein Kruschenko zu Gesicht bekam. Diese Begegnung trug nicht dazu bei, sich weniger Sorgen um Mitja zu machen, aber sie erklärte den Stolz des Siebenjährigen und seine ungewöhnliche Härte gegen sich selbst.
Es war ein sonniger Septembernachmittag, die Bäume hatten sich bereits verfärbt, und auf den Wegen wirbelte das Laub im Wind.
Für Marie war es das erste Mal, dass sie die Zootiere wirklich wahrnahm. Ich beobachtete meine Kinder und freute mich über das Staunen in Maries Augen und Tobis liebenswerten Erklärungen zu jedem Tier. Er nahm seine kleine Schwester an die Hand und führte sie herum, als wäre er der Zoodirektor persönlich.
Wir blieben, bis es kühl wurde. Es waren kaum noch Besucher auf den Wegen, die Dämmerung hatte eingesetzt und die meisten Tiere waren aus den Freigehegen verschwunden. Unser Weg Richtung Ausgang führte uns an den großen Volieren mit den Raubvögeln und Eulen vorbei, die um diese Zeit aktiv wurden. Beim Giraffenhaus waren noch zwei Okapis im Freien. Wir blieben stehen, und Tobi erklärte Marie, dass dies keine Zebras wären.
Ein paar Meter vor uns kehrte ein einsamer Gärtner Laub. Sein Besen kratzte über den Boden und wurde lauter, während er sich auf uns zubewegte. Als er etwa zwei Meter von mir entfernt war, hielt er kurz inne, blickte in Richtung der Kinder, die ein Okapi mit einem Grashalm an der Nase kitzelten, und sprach:
»Nicht die Dinge, die passieren, sind es, die uns Sorge bereiten, sondern unsere Gedanken darüber.«
»Verzeihung, sprechen Sie mit mir?«, fragte ich verwundert.
Sein Blick war weiterhin auf die Kinder gerichtet, während er ruhig fortfuhr: »Wir erfahren so viel, wie unser Verstand zu verarbeiten vermag; uns werden nur Aufgaben erteilt, die wir bewältigen können. Dir kann nichts passieren, Helena!«
»Woher kennen Sie mich, und was soll das heißen?«, fragte ich beunruhigt.
Er drehte seinen Kopf in meine Richtung, sein Blick war wissend und freundlich, er lächelte vertrauensvoll, während seine Augen gütig und beruhigend auf mir ruhten.