Heute
Als er die dunkel spiegelnde Oberfläche des Sees durch die Bäume glitzern sieht, verdrängt er das Bild des gewaltsamen Todes endgültig, versenkt die Erinnerung daran in der Tiefe seines Unterbewusstseins.
Noch bevor er ihn wirklich sieht, riecht er den See. Es ist ein frischer, verheißungsvoller Duft, und für einen Augenblick überlagert er das modrige Aroma von nasser Erde, fauligem Laub und wuchernden Pilzen, und er saugt ihn gierig auf.
Hier oben hat der Herbst sein zerstörerisches Werk bereits begonnen. Ein dunkelgrauer Himmel über den Bergen droht mit Regen. Der lauwarme Wind wird zunehmend heftiger, fegt die ersten abgestorbenen Blätter von den Bäumen, treibt sie in einem grotesken Totentanz über den Waldweg.
Er taumelt, tritt auf einen dürren Ast, der neben dem Pfad liegt und knackend bricht, stolpert und fängt sich wieder.
Das Wispern der Baumkronen über ihm schwillt an, die uralten Stämme knarren bedrohlich, als wollten sie den Eindringling warnen. In das Rauschen der Blätter mischt sich das Geräusch fallender Regentropfen. Als er hochblickt, klatscht einer auf seine Wange. Er fährt mit dem Zeigefinger darüber und steckt ihn in den Mund. Die Kühle des Wassers löst sich in der Wärme seines Mundes sofort auf.
Er sieht sich um. Die düsteren Büsche scheinen näher gerückt zu sein, der dichte Forst droht ihn zu ersticken. Keine Hütte, kein Haus, kein Wegweiser, kein einziges Zeichen menschlichen Lebens. Nur der Trampelpfad, auf dem er steht, zeugt davon, dass vor ihm schon jemand hier gewesen sein muss. Er ist kaum erkennbar, schlängelt sich um Büsche und niedrige Bäume, zwischen hohen Stämmen und moosüberwachsenen Felsen, die aus der Erde ragen, hindurch. Er setzt sich in Bewegung, schiebt einen Ast zur Seite und folgt dem Weg. Er will zum See, doch die Bäume haben die Reihen wieder geschlossen und die Sicht darauf versperrt.
Ein Rascheln in einem Busch, ein Schrei, und im nächsten Moment fliegt eine Amsel heraus und rettet sich entsetzt in die Sicherheit eines Baumriesen.
Er ist vor Schreck stehen geblieben, spürt sein Herz pochen. Als er weitergeht, beginnt er, um sich zu beruhigen, eine Melodie zu summen. Zuerst erkennt er sie nicht, obschon er das Original in seinem Kopf hören kann. Fetzen des Liedes dringen wie von selbst aus seinem Mund. Etwas von früher, erkennt er, eine Melodie seiner Kindheit.
Und dann fällt es ihm ein. Das Dschungelbuch. King Louie, der König der Affen, hat den Song, er weiß nicht wie viele Male, aus seinem scheppernden Kassettenspieler geplärrt.
Der Weg hat sich etwas geweitet und geht nun leicht abwärts. Widerwillig lässt er sich in eine Mulde lenken, dessen tiefster Punkt von üppigem Gestrüpp überwuchert ist. Der Pfad führt mitten hindurch, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Stachlige Zweige und dornige Triebe greifen nach ihm, zerren an seinen Kleidern. Er befreit sich, bloß um sich im nächsten Gestrüpp zu verheddern, reißt sich verzweifelt los, seine Kleider kaputt und seine Haut blutig, bricht dornenbewehrte Äste ab und drückt sich mit Gewalt vorbei. Dann ist er hindurch, bleibt an einem letzten Zweig hängen und zerrt ihn panisch weg, bevor er auf allen vieren die steile Böschung hochklettert.
Oben angekommen, muss er sich, die Hände auf die Knie gestützt, ein paar Sekunden ausruhen, um wieder zu Luft zu kommen. Als er sich aufrichtet, zeigt sich hinter einer Gruppe finsterer Tannen der See. Die bewaldeten Hänge gehen beinahe nahtlos in ihr düsteres Spiegelbild über, und man sieht im ersten Augenblick kaum, was Realität ist und wo ihr Abbild beginnt. Seine Erleichterung, die Orientierung wiedergefunden zu haben, vermischt sich sogleich mit einem dunklen Gefühl der Gefahr, die von dem Gewässer ausgeht.
Der Weg teilt sich hier. Geradeaus führt ein kurzer Pfad ans Ufer, stumm lockt das Wasser. Er schlägt hastig die andere Richtung ein, glaubt sich seinem Ziel nun sehr nahe und marschiert entschlossen, den See zu seiner Linken, ein steter Schutzwall aus Büschen und Bäumen zwischen sich und dem Ufer. Alle paar Sekunden muss er zu der düsteren Fläche hinüberblicken. Das schattige Wasser hat etwas Lauerndes. Er sieht, wie der einsetzende Niederschlag die Ruhe des Sees stört, sich die Oberfläche bedrohlich kräuselt, und beschleunigt seine Schritte.
Die Atmosphäre verfinstert sich, und der Regen wird lauter. Als ihn der Weg tiefer in den Wald und weg vom Wasser führt, macht er zwischen den Bäumen am Ufer plötzlich eine Bewegung aus, ein farbiges Stoffstück, das sich vom sumpfigen Grün des Waldes abhebt. Er verlangsamt seine Schritte, schleicht vorsichtig weiter. Baumstämme und Zweige verdecken seine Sicht, doch dann erkennt er eine Gestalt. Sie steht am Ufer, hat ihm den Rücken zugewandt, den Blick auf die Wasserfläche gerichtet. Er reckt den Kopf, und als sich das Dickicht wieder etwas lichtet, erkennt er, dass es sich um ein Mädchen handelt. Im Halbprofil kann er ausmachen, dass es schlank ist, Röhrenjeans, ein ausgewaschenes hellblaues T-Shirt und eine kleine violette Strickjacke trägt. Es mag vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein, unscheinbar, bis auf die Farbe seiner Haare. Leuchtend rot heben sie sich von dem blassen, mit Sommersprossen übersäten Gesicht des Mädchens ab. Sie sind achtlos zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, einzelne Strähnen hängen an der Seite herab.
Als er beinahe auf seiner Höhe ist, dreht das Mädchen sich mit einem Ruck um. Er bleibt vor Schreck stehen. Ihre Augen sind hell und blicken ihn durchdringend an, vorwurfsvoll. Nur wenige Meter trennen sie voneinander.
Ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Irgendetwas ist seltsam an dieser jungen Frau. Er schluckt, möchte den Blick abwenden, schafft es aber nicht. Er merkt, wie er rot anläuft.
»Kann ich Ihnen helfen?«, hört er sich selbst fragen, um die Stille zu brechen. Was für eine merkwürdige Frage.
»Nein«, sagt die Fremde nach einigen Sekunden. Ihre Stimme ist teilnahms-, fast klanglos. Ihr Blick bleibt weiter auf ihn geheftet. Es ist ihm nun peinlich, dass er stehen geblieben ist. Die junge Frau ist ganz offensichtlich aus dem nahen Dorf an den See spaziert, um für sich allein zu sein, und es muss ihr vorkommen, als ob er sich von hinten an sie herangeschlichen hat.
»Wohnen Sie im Dorf?«, fragt er aus lauter Verlegenheit weiter.
Die Züge des Mädchens verziehen sich zu einem eigentümlichen Grinsen, einen Moment lang scheint ein anderer Mund sein Gesicht zu überlagern. Die Augen lachen nicht, starren weiter. »Wie heißt du?«, fragt es mit einer kindlichen Stimme, die so gar nicht zu dem ernsten Gesicht passt.
»Ich …« Er zögert nur kurz. »Samuel Bach.«
Die junge Frau schaut ihn apathisch an. Ihr Gesicht scheint kurz zu verschwimmen, nimmt wieder Gestalt an. Dann wendet sie sich ab.
Er steht einen Moment verwirrt da. Dann gibt er sich einen Ruck und setzt sich in Bewegung. Als er noch einmal zurückblickt, ist das Mädchen wie vom Erdboden verschluckt. Sein Blick sucht die Tiefe des Waldes ab, doch zwischen dem dichten Unterholz kann er nichts mehr erkennen.
Plötzlich kann er es nicht mehr erwarten, am Ziel zu sein, und er beschleunigt seinen Schritt. Kurz darauf taucht die Silhouette des alten Holzhauses zwischen den Bäumen auf. Sein Herz klopft. Der Ort ist ihm vertraut und fremd zugleich.
Dann ist er auf dem weiten Kiesplatz vor dem Haus. Er ist leer, die Fenster des Gebäudes sind dunkel. Es regnet nur leicht, als er die freie Fläche überquert und mit zittrigen Händen nach dem Schlüssel in seiner Jackentasche sucht. Kurz vor dem Eingang zögert er, blickt zur Seite, wo hinter hochstämmigen Waldföhren der See liegt.
Ein kühler Wind schlägt ihm entgegen, als er über die grasüberwachsene Böschung ans felsige Ufer hinunterklettert. Zum ersten Mal hat er nun völlig freie Sicht auf die Weite des Sees.
Und dann steht er nur und schaut, und die Umgebung duldet ihn.
Wie auf einem Tablett serviert, liegt sie vor ihm in majestätischer Ruhe und der Üppigkeit eines barocken Gemäldes. Das andere Ufer ist Hunderte von Metern entfernt, der Himmel darüber von Schatten überzogen, schwarze Wolken drängen sich über einer grauen Bergkette, davor hohe Tannen, die ihr nassdunkles Grün nur mehr andeuten. Der Wald oberhalb des Sees ist reine Düsternis, die sich in der gekräuselten Fläche des Sees spiegelt und sich mit den Farben der hereinbrechenden Nacht vermischt. Jeder Regentropfen auf die Wasseroberfläche löst einen Kampf zwischen der Dunkelheit und dem dämmernden Licht aus, und die Kreise, wie um Atem ringend, spiegeln die letzten Lichter im Westen, bevor sich die Wellen glätten und die Dunkelheit siegt.
Er hätte keine einzige Farbe benennen können. Gerade wenn er eine zu erkennen glaubt, scheint sie sich in eine andere zu verwandeln.
Aber das kümmert ihn nicht. Er atmet die Gegend ein, spürt die Reinheit der Luft und liebkost sie, selbst wenn er ausatmet. Er ist nun Teil dieser Natur. Ein kleines Wesen am Rande eines Sees, inmitten dichter Wälder und hoher Berge, die Luft teilend mit Großem, Größerem.
Er lächelt über den See, lächelt in die Tiefe der Wälder auf der anderen Seite, und sein Lächeln scheint die Berge zu erreichen und wie ein Echo zu ihm zurückzukehren.
Zehn Minuten später steht er vor der Haustür und probiert mehrere Schlüssel, bevor er den richtigen ins Schloss steckt und die alte Tür entriegelt. Innen tastet er nach dem Lichtschalter, findet ihn, und eine einfache, alte Emailküchenleuchte erhellt den Korridor, von dem verschiedene Türen wegführen. Die Luft in dem alten Haus ist abgestanden. Er betritt das dunkle Wohnzimmer, in welchem sich die Glastür auf die Veranda und die Fenster gerade noch abzeichnen. Vorsichtig tastet er nach der altertümlichen Stehleuchte, bekommt den Großmuttersessel zu fassen, bückt sich und drückt den Lichtschalter, der sich am Boden neben dem Leuchtenfuß befindet. Das gelbe Licht drängt die Schatten in die Ecken des Zimmers und lässt die schummrigen Silhouetten der Fenster verschwinden. Stattdessen geben die dunklen Scheiben zwischen den Vorhängen nun als trügerische Spiegel den diffus ausgeleuchteten Raum wider. Er sieht, wie sein Spiegelbild hinter der Leuchte auftaucht und ihn ansieht. Er verharrt kurz, dann wendet er sich rasch ab und verlässt den Raum.
Er schreckt aus dem Schlaf auf und weiß für ein paar furchtbare, sich schwindelig dahinziehende Sekunden nicht mehr, wer er ist. Er befindet sich in einem unbekannten, mit dämmrigem Licht gefüllten Raum. Hastig setzt er sich auf und blickt sich um. Er fühlt, wie Panik ihn ihm hochsteigt. Holzböden, eine weiße Kommode, ein alter Porzellankrug darauf. Blumen auf den Tapeten. Alles scheint ihm bedrohlich, feindlich. Wie als Schutz presst er seine Hände gegen sein Gesicht und fühlt seinen Kopf als heißen Fremdkörper unter seinen kalten und feuchten Handflächen. Gleichzeitig ist es ihm, als greife ein Fremder mit klammen Fingern in sein Gesicht, und er zuckt vor sich selbst zurück.
Mit weit aufgerissenen Augen, die Hände neben seinem Kopf schwebend, als wollten sie diesen gleich wieder packen, sitzt er in der durchschwitzten Leinenwäsche seines Bettes. Ein Stöhnen dringt aus seinem Mund.
Er zwingt sich, die Augen zu schließen, ruhig durch die Nase einzuatmen, die Hände auf die Bettdecke zu legen. Er atmet zwei, drei Mal ein und aus. Ruhig, ganz ruhig.
Samuel Bach heißt er, und Erleichterung strömt durch ihn wie frisches Wasser. Er gönnt sich eine Auszeit in seinem Waldhaus am See. In den Bergen. Weit weg von der Stadt. Weit weg von Raymond.
Er reißt die Augen auf.
Die alte Tür mit den kleinen Glasscheiben zur Veranda lässt sich nur mühsam öffnen. Aus den Augenwinkeln nimmt er sein in Einzelteile zerlegtes Spiegelbild in den alten Scheiben wahr, als er an dem verrosteten Schloss hantiert. Schließlich aber tritt er – barfuß und in einen hellblauen Pyjama gekleidet – auf den alten Holzboden, der die Kühle der Nacht gespeichert hat. Das Holzgeländer und die Natur dahinter glänzen trübe. Seine Zehen krümmen sich, als er auf einen Haufen nasser Blätter tritt, die der Wind dort zusammengetrieben und der Regen verklebt hat. Zwischen den Bäumen sieht er das blinde Weiß des Sees. Ein dünner Nebel hängt über dem Wasser, doch wenigstens hat es aufgehört zu regnen. Das monotone Geräusch der aufschlagenden Tropfen hat ihn die ganze Nacht begleitet.
Er hat das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben, obwohl er weiß, dass das nicht stimmt. Eine Ewigkeit ist er wach gelegen, oder so scheint es ihm. Erst im Nachhinein ist ihm klar, dass er geträumt hat, denn die unmöglichsten Dinge waren ihm selbstverständlich erschienen. Er erinnert sich an das Gefühl, mehrere Persönlichkeiten zugleich zu sein. Das war ganz natürlich, und ebenso logisch war es, dass er jede dieser Personen in den Schlaf begleiten musste. Das war seine Aufgabe. Das Rauschen der Bäume war zum Wispern der »anderen« geworden, die sich beklagten, dass sie nicht einschlafen konnten.
Er war von einer Identität in die andere geschlüpft und hatte gemerkt, dass er sich in keiner wohl fühlte und dass jede unruhig und aufgekratzt war. Schließlich hatte er angefangen, sich über das vielstimmige Flüstern zu ärgern, und es als Grund gesehen, dass er selbst nicht einschlafen konnte. Irgendwann war er dann hochgeschreckt und hatte diesen Hirngespinsten mit einem entschlossenen Kopfschütteln ein Ende bereitet.
Nun lehnt er sich über das Verandageländer und atmet die frische Morgenluft ein. An den Schindeln, von denen die gelbliche Farbe blättert, hängen träge Tropfen wie Tau.
Zeit für einen Kaffee.
In der Küche braucht es drei Anläufe, bis die blaue Flamme auf dem Gasherd züngelt und er den altmodischen Espressokocher draufstellen kann. Er öffnet mehrere Schränke, bis er eine Tasse findet, kramt nach Zucker und steht dann ungeduldig vor dem Herd. Er würde einkaufen müssen. Im Dorf. Die Schränke sind leer, sein Magen würde frühestens gegen Mittag zu knurren beginnen. Ein Frühstück auszulassen ist kein Problem, aber aufs Mittagessen kann er unmöglich verzichten. Er schiebt den unangenehmen Gedanken, sich unter Leute begeben zu müssen, von sich.
Nachdem er den Kaffee ausgetrunken hat, beschließt er, einen Spaziergang zu machen. Er stellt die Kaffeetasse in die Spüle, als irgendwo im Haus etwas knarrt. Erschrocken blickt er sich um. Es hat sich angehört, als ob jemand auf eine lose Diele getreten ist. Dann hört er, wie draußen der Wind durch die Bäume fährt, und beruhigt sich wieder.
Wieso ist er bloß so nervös? Er ist doch hier in seinem Haus am See bestens aufgehoben. Und diesen … diesen Raymond ist er doch auch endlich los. Oder? Er schiebt sein Kinn nach vorn, schürzt die Lippen und runzelt die Stirn. Er spürt, wie sein Puls sich beschleunigt. Er steht immer noch mit dem Rücken zur Spüle, seine Augen rollen hin und her, als ob sie den Raum nach etwas absuchen. Er versucht sich zu beruhigen.
»Er kommt nicht zurück«, nuschelt er über seinen Atem. »Er kommt nicht zurück.« Er schließt die Augen, beginnt seinen Oberkörper vor und zurück zu wiegen und betet wie ein Mantra immer wieder den einen Satz: »Er kommt nicht zurück, er kommt nicht zurück.«
Es ist später Morgen. Er sitzt im Wohnzimmer, ein Buch ungelesen in der Hand. Seine Augen starren ins Leere. Er ist im Geiste bei den Ereignissen der letzten Wochen, sieht sich selbst durch die Augen anderer, wütend, verzweifelt. Da wird er jäh aus seinen Gedanken gerissen. Jemand hat die Türklingel betätigt.
Die Stille des Hauses rauscht in seinen Ohren, nachdem der schrille Ton verstummt ist. Das Taschenbuch ist ihm aus der Hand geglitten, rutscht über die Sofakante und landet auf dem Flickenteppich. Sein Atem geht schnell, sein Puls rast.
Mit weichen Beinen erhebt er sich, blickt sich im Zimmer um, als ob er ein Versteck sucht, einen Fluchtweg. Draußen hat sich der Tag verfinstert, der See hat eine gräulich-weiße Farbe angenommen. Sein Spiegelbild in der Glastür wabert wie ein Geist zwischen den Bäumen. Er fasst sich an die Brust, als ob er sich seiner Substanz vergewissern müsse. Sein Ebenbild tut es ihm gleich, doch durch die Silhouette kann man den unruhigen See erkennen.
Er starrt nach draußen.
Es klingelt erneut. Und noch einmal.
Langsam dreht er sich um und geht in Richtung Korridor. Von hier kann er die Eingangstür sehen, einen Schatten hinter den Milchglasscheiben.
Nun steht er vor der Tür, ihm gegenüber der fremde Schemen. Er erschrickt, als seine rechte Hand in seinem Blickwinkel auftaucht und die Türfalle ergreift. Er möchte zurück, möchte nicht öffnen, möchte sich der Welt draußen nicht stellen.
Doch dann ist es zu spät, und die Tür schwingt nach innen.
Ein Mann steht davor. Er trägt eine Uniform. Dicht neben ihm ein zweiter Mann. Sein Blick streift ihre Gesichter und bleibt an einer dritten Gestalt weiter hinten hängen. Sie sieht ihn aus großen Augen an, blass. Kurz meint er, die Frau sei das Mädchen vom See. Sie trägt Jeans und eine grüne Sommerbluse, ihre mit Sommersprossen übersäten Arme hat sie schützend übereinandergelegt. Man könnte die Gänsehaut darauf erkennen, wenn man genau hinblickt, die feinen Härchen haben sich aufgerichtet. Er kennt sie.
»Miriam«, sagt er. Dann etwas lauter: »Miriam?«
»Ja, ich bin es«, antwortet sie und macht einen Schritt auf ihn zu, wird aber von einem der Uniformierten mit einer ruhigen Handbewegung aufgehalten.
Hinter Miriam steht eine weitere Person auf dem Kiesplatz, ein Mann in einem dunklen Anzug. Es ist plötzlich sehr ruhig. Die Zeit scheint stillzustehen.
»Du kannst nicht hierbleiben«, sagt Miriam schließlich. Sie schluckt, kämpft mit den Tränen. »Es tut mir leid, aber du musst jetzt mitkommen.«
Langsam schüttelt er den Kopf. Nein. Er will nicht. Er ist doch gerade erst angekommen.
Etwas flackert in Miriams Augen. Sie wendet sich dem uniformierten Mann zu, der neben ihr steht und seinen Arm wie eine Barriere vor ihren Bauch hält. Nach einem kurzen Blick zu seinem Kollegen lässt er ihn jedoch langsam sinken und nickt.
Miriam kommt vorsichtig, als ob sie sich einem scheuen Tier nähert, auf ihn zu und bleibt vor der Stufe zum Türabsatz stehen. »Komm«, sagt sie, streckt ihren Arm aus und nimmt ihn sachte bei der Hand. Er lässt sie gewähren. Eigentlich findet er es ganz angenehm, dass jemand anderes die Verantwortung übernimmt. So kann er sich gehen lassen, muss nicht mehr denken. Es ist alles so kompliziert.
Sie führt ihn über den Kiesplatz. Die Person im dunklen Anzug macht ihnen Platz. Dann hält ihm jemand die Tür eines Wagens auf. Es ist nicht Miriams Auto. Er runzelt die Stirn, blickt auf und erkennt einen Polizeiwagen.
Panik ergreift ihn, und er bleibt jäh stehen. Aus den Augenwinkein kann er erkennen, dass Miriam sich unruhig umsieht. Einer der Männer setzt sich in Bewegung.
Im nächsten Augenblick hat er sich von Miriam losgerissen und rennt über den Kiesplatz. Seine Beine fühlen sich taub an, seine Bewegungen sind viel zu schwer und langsam. Träumt er das alles bloß? Sein Instinkt sagt ihm, in den Wald zu fliehen, doch die einzig freie Stelle ist der See. Schon ist er bei den Föhren über dem Ufer, als er ein Stück entfernt das rothaarige Mädchen von gestern sieht. Es steht mit den Füßen im Wasser und winkt ihm zu.
Er stolpert die Böschung hinab, fällt fast hin und fühlt im nächsten Moment, wie kalte Nässe seine Füße umschließt. Er blickt auf. Das Mädchen lächelt ihm ermutigend zu. Der See wird dir Schutz bieten, sagt sein Blick. Er muss bloß weit genug hineingehen. Er hebt seine vom Wasser schwer gewordenen Beine. Ein Schritt. Noch einer.
Dann sind Hände an seinen Armen, zerren unsanft an seinen Kleidern. Kurz will er sich wehren, doch er merkt, wie viel Anstrengung ihn das kosten würde.
Er lässt sich die Böschung hochziehen und über den Platz führen, stolpert mehr, als dass er geht. Miriam steht noch immer neben dem Wagen, die Hände schützend in den Achselhöhlen verborgen. Sie weint, und er versteht nicht warum. Er bleibt stehen, will sie fragen, doch jemand schiebt ihn sanft, aber bestimmt zu der offenen Autotür. Er will einsteigen, bleibt jedoch mit einem Fuß hängen. Eine Hand hält ihn, sodass er nicht kopfüber ins Auto fällt. Dann wird er – etwas grob – auf den Rücksitz gedrückt. Er dreht sich nach Miriam um, sucht ihren Blick.
Ein Stich geht durch sein Herz, als er in ihrem Gesicht Ekel erkennt. Er will ihr sagen, dass das alles ein Missverständnis ist, doch im nächsten Moment schwingt die Tür zu, sein Spiegelbild im Fenster rast ihm entgegen und erlischt.
Er klappte sein Notizbuch zu, trank das bereits zu warm gewordene Bier in einem Schluck aus und sah der Sonne dabei zu, wie sie abendmild hinter den Altstadthäusern versank. Er ließ das schwarze Büchlein in seiner Umhängetasche verschwinden und deutete dem jungen, nervösen Kellner mit dem Nasenpiercing, dass er noch ein weiteres Bier wünsche.
Samuel Bach lehnte sich zurück und lächelte. Als er kurz die Lider schloss, die Wärme der letzten Sonnenstrahlen darauf genießend, tauchte vor seinem inneren Auge ein Bild auf, das ihn zeigte, wie er zufrieden lächelnd in einem Café am Fluss mitten in der Altstadt saß, den Zeitungsbericht für die Ausgabe von morgen so gut wie geschrieben, einen ruhigen Abend und ein langes Wochenende vor sich. So sah er sich selbst und erkannte, dass er glücklich war.
Er öffnete die Augen wieder und blickte in den frühsommerlichen Vorabendhimmel, während der Samuel in seinen Gedanken das Gleiche tat. Dieser allerdings zog bewundernde, ja neidvolle Blicke auf sich, während der richtige Bach, wie es sich in einem angesagten Café gehört, mit Stil ignoriert wurde. Doch dieser hatte längst gelernt, nicht von fremden Meinungen abhängig zu sein, und genoss den Augenblick der Zufriedenheit für sich, ließ ihn wie Schokolade auf der Zunge in seinem Kopf zergehen. Ein Moment wie dieser, in dem man nichts Vergangenem nachtrauerte und nichts Künftiges herbeisehnte, war kostbar, da selten.
Der Kellner brachte ihm sein Bier, lächelte ihn unsicher an, bevor er am Nachbartisch drei Campari Sodas servierte, die dort gar niemand bestellt hatte. Während Samuel sich den Bierschnauz genüsslich von den Lippen leckte, beobachtete er die drei jungen Männer, die dem Kellner indigniert nachblickten. Hinter einer dunklen Hornbrille waren zwei hochgezogene Brauen aufgetaucht, das penibel gestylte Durcheinander auf dem zweiten Kopf bebte beim Kopfschütteln, und die künstliche Glatze grinste hämisch. Wie schnell sich die Menschen in dieser Stadt wichtig nahmen, wunderte sich Samuel, und sich mit ihrem Verhalten trotz coolem Look als Biedermänner erwiesen.
Gerade hatte er am Südhang über der Stadt, an dem die reichen Leute wohnten, einen Betonkubus besichtigt, der von einem viel gelobten Architektenpaar erbaut worden war und dessen Attikawohnung dieses auch gleich selbst bezogen hatte. Der Empfang hatte in dem bereits eingerichteten Wohnzimmer stattgefunden. Eine Vertreterin der Bauherrschaft, die aus einer Erbengemeinschaft und einem baufreudigen Verein bestand, hatte händeringend und hoch entzückt von der gelungenen Idee, der gelungenen Zusammenarbeit, dem gelungenen Projekt und dem gelungenen Resultat erzählt; ein graumelierter Abgesandter der Immobilienfirma hatte den Bau in schrecklichem Hochdeutsch und schlecht sitzendem Anzug gelobt, bevor sich der weibliche Teil des Architektenduos noch einmal über seine ganz und gar neuen Bauideen erging, raffinierte Raumaufteilung, Beleuchtung und Farbgebung betonte. Samuel Bach, der ganz hinten in dem Grüppchen von rund einem Dutzend Journalisten saß, hatte sich verstohlen umgeblickt und sich gewundert, wie man Abstufungen von Weiß und einem sehr hellen Hellgrau raffiniert nennen konnte. Die Einrichtung – bestehend aus dem üblichen schwarz-weißen Inventar eines Schweizer Architektenheims – nahm der faden Rede der Dame den Rest an Glaubwürdigkeit. Bach hatte gegähnt und sich eine Notiz in sein Büchlein gemacht.
Er hatte das Ende der Ansprachen mit Ungeduld abgewartet, denn neue Informationen schienen sie keine zu liefern. Das Gebäude hatte er von außen selbst besichtigt, auch die Innenräume beim Eintreten, so gut es ging, auf eigene Faust erkundet und sich ein paar Stichworte aufgeschrieben. Auch bei der folgenden Führung ließ er sich von den Lobhudeleien nicht ablenken und richtete seinen Blick auf die Insignien guter Architektur: räumliche Gestaltung, Lichtführung, Innovationsgrad, Materialität, Detaillierung und – ganz wichtig – die Praktikabilität des Ganzen, sprich die Nutzerfreundlichkeit. Das Gerüst des Textes hatte er bereits im Kopf, als die Architektin ihren Monolog schließlich beschloss. Der Artikel sollte in der morgigen Ausgabe der Tageszeitung, für die er schrieb, erscheinen. Er würde sich gleich nach Ende der Pressekonferenz in ein Café setzen, wo er aus Erfahrung weniger abgelenkt war als im Großraumbüro, den Text schreiben und später im Verlag noch einmal überarbeiten.
Samuel Bach wandte sich von seinen coolen Tischnachbarn ab, die immer noch den Kellner musterten, der seine Camparis nun offenbar den richtigen Gästen serviert hatte, und blickte auf den Fluss. Noch ein paar schöne Tage, und man würde wieder darin schwimmen können. Ein Touristenboot fuhr vorbei, und Bach konnte durch die Scheiben zwei, drei Kameras erkennen, die sich auf das nahe Rathaus, einen schmucken Renaissancebau mit barocken Stilelementen, richteten.
»… und so ist die Stadt um ein Gebäude reicher, das weder gut noch schlecht ist, sondern als mittelmäßiger Kompromiss krampfhaft Intellektualität ausstrahlen will. Punkt.«, las sein Kollege und Textchef den letzten Satz des Artikels laut vor. »Du bist ja dieses Mal richtig nett«, flachste er und zwinkerte ihm über den Rand seiner Brille hinweg zu. Er strich sich die schon etwas pappigen Strähnen aus der Stirn und legte den ausgedruckten Text auf einen kleinen Stapel, der in Kürze durchs Korrektorat geschickt würde. »Ich bring’s einmal mehr nicht übers Herz, unsere Architekturkoryphäe zu kritisieren.« Er schob seinen Stuhl zurück und schwang einen beturnschuhten Fuß auf den Tisch. »Wie machst du das, Sammy? Alle paar Tage einen perfekten Text …«
Bach zuckte mit den Schultern. Die Komplimente des Kollegen waren ihm peinlich, obschon sie mit großer Regelmäßigkeit kamen, seit ihm eine bedeutende Wirtschaftszeitung »eine der stärksten und objektivsten Stimmen der heutigen Architekturkritik« attestiert hatte.
»Ehrlichkeit?«, meinte Samuel schulterzuckend.
Der andere lachte, spreizte die Finger zum Kamm und fuhr sich durchs lichter werdende Haar. »Bescheidenheit, Sammy, ist die Zier der Könige … oder so ähnlich.« Er ließ seinen Fuß auf den Boden plumpsen und rief »Talent!«, wobei er mit der flachen Hand aufs Pult klatschte und sich mit der anderen den nächsten Text griff.
Ein Versprechen von Sommer lag in der Luft, und Samuel Bach hätte die anregende Atmosphäre, als er den Verlag verließ, keinesfalls schon gegen die Gemütlichkeit seiner Altbauwohnung tauschen mögen. Sein Fahrrad trug ihn deshalb in Richtung des ehemaligen Arbeiterquartiers. Entlang grüner Baumreihen, hinter denen sich stolze Mehrfamilienhäuser mit erhabenen Geschäftsbauten der letzten hundert Jahre abwechselten, beschleunigend, wenn es hieß, eine Kreuzung bei Gelb zu überqueren, gemächlich sonst. Das kleine Kino mit Open-Air-Bar, deren Saison nun begann, war sein Ziel. Als er an der übervollen Theke sein Bier bekommen hatte, blies ihm jemand ins Ohr. Er drehte sich um und erblickte eine strahlende schlaksige Frau mit rotem Haarbusch und Spitzbubengesicht.
»Miriam«, rief er erfreut, als sich diese an ihn drückte und ihm ihr spitziges Brillengestell beim Küssen dreimal in die Wangen rammte.
»Meine Güte, siehst du scharf aus!«, lachte sie, nachdem sie sein feierabendlich geöffnetes weißes Hemd und die teuren Markenjeans taxiert hatte. »Rendezvous?«
»Leider nein …«
»Wieso leider?«, feixte Miriam und kniff ihn in den Unterarm. »Du hast soeben deine beste Freundin getroffen. Wie wär’s mit einem indischen Abend?«
»Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen«, freute sich Samuel ehrlich und umarmte sie.
»Ich hol dir ein Bier«, bot er ihr an, doch Miriam schob ihn mit einem resoluten »Nichts da« Richtung Ausgang.
Samuel trat aus der Bar auf den Kiesplatz, der sich in der Dämmerung mit ausgehfreudigem Volk füllte, während Miriam sich an die Theke stellte. Die altvertraute Umgebung ließ ihn kurzzeitig in Nostalgie schwelgen. Unweit von diesem baumbestandenen Platz mitten im Rotlichtviertel hatte er mit Miriam während seiner Studienzeit gewohnt. Hier war ihre Stammbar gewesen, in der sie nach ein paar Gläsern Bier, viel Klatsch und studentischen Sachdiskussionen regelmäßig bei Bandhiri, ihrem Lieblingsinder, gelandet waren. Die aluminiumverpackten Take-away-Gerichte hatten sie auf der Gemeinschaftsdachterrasse verzehrt, während sie die Freier beobachteten, die im Haus gegenüber verschwanden und deren Vorlieben sie zwischen schmuddligen Vorhängen bisweilen ziemlich eindeutig erkennen konnten. Bandhiri war längst verschwunden, an seiner Stelle hatte sich ein Dutzend anderer Inder im Quartier angesiedelt, die Miriam und Samuel bis heute liebevoll Bandhiri nannten, auch wenn sie längst nicht so gut waren. Oder vielleicht hatte der originale Bandhiri auch einfach nur das Privileg der im Nachhinein verklärten Erinnerung.
Miriam tauchte im Türrahmen der Bar auf, rempelte beim Hinaustreten eine kleine, eng gekleidete Blondine an, die ihr einen bösen Blick zuwarf, und verschüttete dabei ein Viertel des Getränkes über ihre eigene Hand. Eine Tatsache, die sie aber nicht weiter zu stören schien.
»Ich hab dich vermisst, Sammy. Dieses Quartier ist nur halb so toll ohne dich.« Ihre grünen Augen sprühten Schalk, und Samuel sah, dass ihr Gesicht bereits jetzt mit Sommersprossen übersät war. »Du könntest dich ruhig etwas öfter blicken lassen.«
»Ich weiß, ich weiß, aber am See sind jetzt die Bäder offen und du weißt schon, zwei Minuten zu Fuß …«
»Ja, ja … und die schönen Männer in knappen Badehosen. Mir musst du nix erzählen.«
Lachend prosteten sie sich zu. Mit Miriam fühlte sich Samuel jedes Mal zehn Jahre jünger.
Seine Freundin begann auch gleich, ihrer Leidenschaft zu frönen – dem Erzählen. Dies tat sie üblicherweise ausdauernd, dabei aber sehr unterhaltsam. So auch heute. Samuel war in kürzester Zeit über sämtliche Intrigen, Gerüchte und Mobbing-Versuche aus Miriams Redaktion, wo sie als Illustratorin und Grafikerin arbeitete, im Bilde. Außerdem erhielt er eine Liste der Liebhaber und -haberinnen ihrer gemeinsamen Freunde, eine Zusammenfassung eines Techtelmechtels ihrer Wohnkollegin mit einer aus Funk und Fernsehen bekannten Person und als Zugabe erfuhr er, wie Miriams verschrobener Onkel seinen achtjährigen Neffen, der sich beim Familientreffen am Reisgericht verschluckt hatte, hilfsbereit an den Füßen hochgehoben und geschüttelt hatte, bis der Neffe sich – immer noch kopfüber hängend – ausgiebig hatte übergeben müssen.
»Der wird sich hüten, sich noch einmal in Gegenwart seines Onkels zu verschlucken«, meinte Miriam, »und um trockenen Reis macht er künftig einen großen Bogen.« Sie klaubte umständlich eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündete sie mit einem Streichholz an. »So, und nun zu dir.« Sie blickte ihn erwartungsvoll an, blies ihm Rauch entgegen, und Samuel grinste.
»Da werd ich nicht mithalten können, fürchte ich … Mal sehen … Ich habe einen neuen Laptop, so eines dieser superdünnen, superleichten Modelle.« Er nahm einen Schluck Bier und blickte nachdenklich gen Himmel. »Ach ja, ich habe endlich dein Buch fertig gelesen …«
»Mein Buch?«, fragte Miriam.
»Ja, dasjenige, das du mir zum Geburtstag geschenkt hast. Diesen Thriller …« Er fuchtelte mit der Hand in der Luft, bevor ihm der Titel wieder einfiel. »›Die nicht vergessen‹, so heißt der Roman.«
Miriam blickte ihn fragend an. »Den hab ich dir geschenkt?«
»Ja, aber ehrlich gesagt war das schon zu meinem vorletzten Geburtstag. Ich hatte ihn ins Regal gestellt und komplett vergessen.«
»Was für tolle Geschenke ich dir mache«, staunte Miriam und brach in Gelächter aus. »›Ein Buch, das Sie immer wieder lesen können, denn Sie haben es gleich wieder vergessen‹«, malte sie eine imaginäre Schlagzeile in die Luft.
Glucksend steckten sie die Nasen in den Schaum ihres mittlerweile dritten Bieres. Samuel stellte sein Glas ab, leckte sich die Lippen und überlegte. »Ach ja, nächsten Monat geht’s nach Norwegen. Ich bin auf eine Pressereise eingeladen … Und wenn’s irgendwie klappt, möchte ich gerne wieder mal ein Wochenende nach Paris fahren. Es gibt dieses Jahr zwei, drei Ausstellungen, die mich interessieren würden.«
»Und natürlich möchtest du wieder einmal den Flohmarkt besuchen …«
»Und natürlich will ich unbedingt wieder einmal den Flohmarkt besuchen«, bestätigte Samuel. »Und vielleicht auch wieder einmal einen Abstecher in diesen alten Hamam machen.«
»Wo es schöne Männer in knappen Lendenschurzen gibt …«
»Der architektonisch sehr schön ist«, fuhr Samuel etwas lauter fort. »Und dessen Besuch ich mit einer Besichtigung der ganzen Anlage und des Institut du Monde Arabe ganz in der Nähe verbinden kann.«
»Ach, das hat doch dieser Stararchitekt gebaut, nicht?«
»Ja, genau, Jean Nouvel. Übrigens habe ich mir überlegt, dass ich vielleicht Matz nach Paris mitnehmen will.«
»Matz? Echt?«, war Miriams erstaunte Reaktion. »Denkst du, du kannst ihn dazu überreden?«
»Das wird sich zeigen«, zuckte er die Schultern. »Aber ohne äußeren Antrieb verreist Matz ja sonst überhaupt nie. Und irgendwann muss es ja mal klappen. Stell dir vor, ich kenne ihn nun seit – warte mal – über zwanzig Jahren, und wir haben es noch nie geschafft, gemeinsam zu verreisen.«
Miriam schmunzelte. Sie kannte Matz genauso gut wie er, und beide wussten sie um seine beinahe unheimliche Eigenart, sich nie für etwas entscheiden zu können und oft im letzten Moment auszuscheren. »Ich liebe Matz ja«, seufzte Miriam nun, »aber mit ihm eine Reise zu planen, finde ich mutig von dir. Aber es ist ja nicht das erste Mal, oder?«
»Nein, ich hab’s schon ein paar Mal versucht. Das erste Mal waren wir noch im Gymnasium. Da hatte unsere Clique ihn beinahe so weit, dass er uns auf einen Trip nach Süditalien begleitete. Am Tag, als wir die Tickets kaufen wollten, meinte er dann plötzlich, dass er nicht wisse, ob er diesen Sommer eventuell die Schule abbrechen wolle und deswegen unmöglich in Südeuropa herumreisen könne.«
»Na, das Gymnasium hat er ja dann nicht abgebrochen.«
»Nein, aber fast. Eine Woche lang kam er nicht mehr zum Unterricht, hatte überall herumposaunt, die Schule definitiv abzubrechen, und die Lernmaterialien abgegeben. Eines Morgens tauchte er plötzlich wieder auf und verkündete, er habe es sich nun doch anders überlegt.« Sie lachten beide. »Du kannst dir den Hickhack mit den Lehrern vorstellen. Die einen wollten ihn ausschließen, andere machten sich für ihn stark, weil er ja ein sehr begabter und auch umgänglicher Schüler war. Schließlich durfte er bleiben und die Matur mit uns machen.«
Die Unterhaltung drehte sich noch eine Weile um Matz, bevor sie beschlossen, zum Inder weiterzugehen. Mit zwei weißen Plastiksäcken bepackt, einem gefüllt mit heißen Aluschalen voller Dahls, Currys und Nan-Broten, im anderen vier große eisgekühlte Dosen indischen Kingfisher-Biers, steuerten sie eine halbe Stunde später in einen nahen Park, verdrängten einen älteren Herrn, der alleine auf einer der vielen gut besetzten Holzbänke gesessen hatte, und begannen das Essen auf der Sitzfläche zwischen sich auszubreiten.
Die Gerichte schmeckten köstlich, und hinterher öffnete Samuel satt und zufrieden sein fünftes Bier. Er merkte zwar, dass er bereits etwas betrunken war, doch das war ihm egal. Das Gemisch aus Nostalgie in Miriams Gesellschaft, der warmen, nach Ferien duftenden Luft, einem eigenartigen Übermut, der dem frühsommerlichen Abend innewohnte, und den durch und durch fröhlichen Klängen arabischer Popmusik aus einem nahen Restaurant hatten seine Stimmung angekurbelt und versetzten ihn in ein Gefühl der völligen Unbeschwertheit. Als Miriam die Reste ihres Gelages aufzuräumen begann und verkündete, dass sie nun nach Hause gehen wolle, gab sich Samuel störrisch.
»Morgen ist schließlich erst Freitag, und nicht jeder Anwesende hat sein Wochensoll schon erfüllt«, predigte sie, während sie die leeren Behälter zurück in die Plastiksäcke stopfte.
»Och Mann«, jammerte ihr Freund, während sie die Säcke zum nächsten Abfalleimer trug. »Nun sei doch kein Spaßvogel!«
Samuels Zunge war schon etwas schwer, und Miriam, selbst nicht mehr ganz nüchtern, kicherte.
»Du meinst wohl Spaßbremse«, sagte sie und zog ihren Freund von der Parkbank hoch.
»Was auch immer.« Samuel torkelte kurz, hielt sich an Miriams Hand fest, bevor er sein Gleichgewicht fand. »Mach mir den Spaß, und komm mit mir an auf ’ne Party«, bettelte er.
»Ich tu dir den Gefallen aber nicht, Liebling, denn ich will in genau zwanzig Minuten in meinem Bett liegen, Zähne geputzt, abgeschminkt und Lichter gelöscht.«
Samuel stöhnte, als sich Miriam bei ihm unterhakte und ihn zielstrebig aus dem Park und zurück zu ihren Fahrrädern hinter der Kino-Bar zog.
»Nun komm schon«, versuchte es Samuel ein letztes Mal, doch Miriam verdrehte bloß die Augen, während sie sich nach dem Schlüssel bückte, den sie schon zwei Mal hatte fallen lassen, das Fahrrad aufschloss und sich in Männermanier auf den Sattel schwang.
Kurz darauf fand sich Samuel geküsst, etwas wackelig auf den Beinen und seiner Freundin nachwinkend am Straßenrand wieder.
Er sah nach oben und blickte in die Tiefen einer sternenklaren Nacht. Das große »W« der eitlen Kassiopeia funkelte verführerisch. Der abnehmende Mond bleichte die Stadt mit seinem fahlen Licht. Samuel stand genau in der Mitte von zwei Straßenlaternen und besaß deshalb einen doppelten Schatten. Er beschloss, sich noch einen letzten Drink zu genehmigen. Als er sich in Bewegung setzte, wurde ein Schatten kleiner, der andere wuchs. Doch das sah bloß der Mond.
Die Bar war heiß, laut und verraucht. Es roch nach Zigaretten, Bier, Parfüm und Schweiß. Der Rauch schien im Puls des stampfenden Basses zu wabern. Für die paar Schritte zur Theke musste sich Samuel um mehrere Männergruppen und ein Frauenpaar kämpfen, wobei einige der männlichen Barbesucher ihn interessiert musterten und ihm verschwörerische Blicke zuwarfen. Samuel lächelte für sich, schrie dem Barmann über das Dröhnen der Musik zu, dass er ein Bier wünsche, und drehte sich um.
Ihre Blicke trafen sich in diesem Moment. Durch das Gewirr von Köpfen, Gesprächsbrocken, Musik und Rauch gewahrte er dieses ruhige Augenpaar, ein Gesicht, das ihm durch die Menschenmenge hindurch ganz selbstverständlich Interesse signalisierte. Die Masse teilte sich kurz, und Samuel sah einen an die Wand lehnenden Mann, schlank, nicht allzu groß, schwarzes Jackett, weißes Hemd, die obersten drei Knöpfe offen, dunkle, relativ kurz geschorene Haare, an den Schläfen leicht ergraut, säuberlich rasiert, markante Augenbrauen und einen Mund, um den ein Lächeln tanzte. Samuel starrte fasziniert. Das unverschämt gut aussehende Gegenüber starrte zurück. Der Augenkontakt hielt mit gegenseitigem Einverständnis. Sie grinsten nun beide. Die Geräusche um Samuel herum, das Gemurmel, Lachen, das Poltern der auf die Bar knallenden Flaschen, verdichteten sich zu einem Summen. Er konzentrierte sich weiter nur auf das Gesicht am anderen Ende des Raumes.
Im nächsten Augenblick stach ihm ein heftiger Schmerz durch die Hand, und er fuhr herum. Ein Typ mit Glatze, Schnauz, Lederkluft und einem irritierend hässlichen Nasenring hatte ihm, ohne es zu merken, seine glühende Zigarette gegen den Handrücken gedrückt. Der Typ blähte die Nüstern, als er seine Bestellung über die Theke rief, und erinnerte Samuel dabei an einen Stier. Er hätte ihm am liebsten einen Boxhieb versetzt, doch dazu war er nicht betrunken genug. Er drehte sich ebenfalls zur Bar um, auf der mittlerweile sein Bier stand, sah den Barkeeper mit ausgestreckter Hand und las »vier Franken fünfzig« von seinen Lippen. Er klaubte ein paar Münzen aus diversen Taschen zusammen und reichte sie hinter die Bar, wo der Barkeeper offensichtlich versuchte, den laut schnaubenden Bullen neben Samuel zu ignorieren.
Samuel nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier, wischte sich mit dem Ärmel des Hemdes, das er nach heute Abend sowieso würde waschen müssen, den Schaum von der Oberlippe und trat von der Bar zurück.
Er war entschlossen, sich dem Mann an der Wand gegenüber zu nähern und ihn anzusprechen. Er merkte, dass er nervös war, genehmigte sich noch einen zweiten Schluck Bier, dessen Kühle er in der Speiseröhre im Rhythmus seines aufgeregt pulsierenden Herzens wahrnahm, drehte sich etwas wackelig um, rammte dabei seinen Ellenbogen in jemandes Magen und als er aufblickte, um sich zu entschuldigen, sah er sich Auge in Auge mit dem schönen Fremden.
Er hätte es in diesen ersten Augenblicken merken müssen. Allein die Wahl der eröffnenden Worte von Raymond waren ein Zeichen gewesen. »Ich habe dich schon oft beobachtet«, hatte er gesagt und dabei ganz förmlich die Hand ausgestreckt. Samuel, völlig überrumpelt, hatte erst einmal sein Trinkglas in die andere Hand wechseln müssen, bevor er seinem Gegenüber die Rechte reichen konnte. Raymonds Handgriff war ebenso merkwürdig gewesen. Erst zögerlich haltend, dann kurz zudrückend und sich dann aus dem Griff windend, und Samuel hatte vermutet, dass ihm wohl erst kürzlich jemand gesagt hatte, dass er beim Handschlag selbst auch Druck ausüben müsse. Samuel hatte sich erst einmal für den Magenhieb entschuldigt, was von Raymond mit eifrigen Beteuerungen quittiert wurde, dass er den Knuff kaum gespürt habe und er hätte sich ja nicht so von hinten anschleichen müssen und er hoffe, er habe Samuel nicht erschreckt. Leicht irritiert von dieser übertriebenen Freundlichkeit hatte Samuel sich durch die Menge gedrückt, dicht gefolgt von seiner neuen Bekanntschaft. Ob sich deren Glanz, wie es so oft passierte, beim ersten gesprochenen Austausch verflüchtigen würde? Zusammen hatten sie sich einen Teil der schmalen Wandablage erobert, wo sie ihre Gläser hinstellten und den üblichen Small Talk begannen.
Der Fremde hatte ihn, nachdem sie ihre Namen ausgetauscht hatten, nach den üblichen Koordinaten wie Beruf, Wohnort und Herkunft gefragt. Dabei mussten sie sich die Fragen und Antworten über den hämmernden Bässen gegenseitig in die Ohren brüllen, was auf Samuel einen ganz und gar erotisierenden Effekt hatte, der ihn die erste kurze Irritation sogleich wieder vergessen ließ. Er hatte es genossen, seinen Mund ganz dicht an des anderen Halsbeuge zu schieben, die dunklen Haare beinahe zu berühren, die kurzrasierte Stelle im Nacken, beim Sprechen längere Pausen zu machen, um den fremden Duft zu riechen. Er hatte belanglose Details von sich preisgegeben, bloß um diesem männlichen Körper nah zu kommen, hatte sich jedes Mal näher herangeschoben, so als ob die Lautstärke der Musik und die Platzverhältnisse um sie herum es nicht anders zuließen, bis die Beule in seinen Jeans die Oberschenkel des anderen wie zufällig streifte, dessen an der Seite hängende Hand berührte.
Erst draußen, als die kühle Nachtluft und die verhältnismäßige Stille der Straße ihn in einen etwas nüchterneren Zustand versetzten, realisierte er, dass ihn die persönlichen Infos von Raymond gar nicht interessiert hatten, er sich weder Nachname noch Beruf gemerkt hatte. Wohl irgendetwas mit Banken oder Versicherungen? Die Trefferquote für diese beiden Branchen waren in dieser Stadt relativ hoch. Oder hatte er ihn überhaupt danach gefragt? Bei ihrem Gespräch, wenn man es denn überhaupt als solches bezeichnen konnte, war es – jedenfalls für Samuel – nicht um Informationsaustausch gegangen; die Kommunikation war reines Mittel zum Zweck gewesen. Er wollte Sex. Außerhalb der betäubenden Musik und der Hitze der schweißtreibenden Menge schämte sich Samuel etwas für seine banale Aufdringlichkeit und die Eindeutigkeit seines Anliegens. Doch war schließlich nicht jeder Akt von Kommunikation Mittel zu irgendeinem Zweck, fragte er sich kurz, bevor seine Gedanken wieder zu dem Mann glitten, den er sich – wie er sich nun vollends gewahr wurde – für einen One-Night-Stand auserkoren hatte.
Samuel war im Grunde nicht der Typ für diese Art Kürzestaffären, bei denen der Kopf zurücktrat und nur das Körperliche zählte. Während seines Studiums hatte er mehrere Beziehungen gehabt, die irgendwo zwischen vier Monaten und zwei Jahren gedauert hatten. Seine längste Beziehung hatte er zwischen 28 und 34 gehabt. Sein Exfreund lebte heute wieder in seiner Heimatstadt Hamburg, und man pflegte ein freundschaftliches Verhältnis. Als er die Schweiz wegen eines äußerst interessanten Jobangebots aus Deutschland verließ, hätte Samuel die Möglichkeit gehabt mitzugehen, aber er hatte sich entschieden zu bleiben. Ihre Beziehung war damals schwierig gewesen. Sie hatten einander zwar immer noch sehr geschätzt, doch hatte sich die Liebesbeziehung über die Jahre unbemerkt in eine reine Freundschaft verwandelt. Es war Samuel gewesen, der mit der Entscheidung hierzubleiben den Schlussstrich gezogen hatte.
Mit nunmehr 38 Jahren schätzte er die Vorteile des Singlelebens. Nicht dass es immer einfach war, den Alltag allein zu meistern, doch befand er sich in der komfortablen Situation, einen erfüllenden Beruf, ein Netz von guten Freunden und eine angenehme Wohnsituation zu haben. Die Trennung hatte keine Narben hinterlassen, da sie auf Raten erfolgt war, der Auszug seines Partners am Tag seiner Abreise nach Hamburg hinterließ aber doch ein schmerzhaftes Vakuum. Dass er nicht einfach in seinem bisherigen Alltag verharren konnte, hatte Samuel erst in diesem Moment gemerkt. Er brauchte ebenfalls einen Wechsel. So hatte er sich damals eine mehrmonatige Auszeit gegönnt, in welcher er sich eine neue Wohnung gesucht hatte und anschließend durch Thailand und Vietnam getrampt war.
Nach dieser Zäsur konnte er sein neues Leben als glücklicher Single beginnen. Anders als viele seiner Freunde und Bekannten war er keineswegs auf der Suche nach einer neuen Liebe. Sollte sich etwas ergeben, war er natürlich jederzeit offen, doch in der Zwischenzeit genoss er den Luxus des Alleinseins. Körperlichen Austausch konnte er sich in der Szene holen, wenn er wollte. Er liebte es zu flirten, genoss die Offenheit, mit welcher in der Schwulenszene über Sex geredet wurde, und den Körperkult in den vielen Bädern dieser Stadt. Die andere Seite war eine auf schnellen und ungewöhnlichen Sex fixierte Szene, die sich beinahe allabendlich in den Klubs und Bars zwischen Innenstadt und verboten aussehenden Industriearealen traf. Das war nicht sein Ding. Er hatte während seines Singledaseins mehrere kleinere Affären gehabt. Die Männer hatten ihn jedoch ausnahmslos nicht nur auf einer physischen Ebene, sondern auch intellektuell angezogen. Natürlich gab er hin und wieder aber auch einer rein körperlichen Attraktion nach. In dieser Juninacht war es wohl nicht nur auf den erhöhten Alkoholpegel, sondern auch auf die besonderen Gerüche zurückzuführen, welche Erinnerungen an sommerwarme Liebesnächte wachriefen, dass er sich so abenteuerlustig fühlte.
Als er nun neben diesem Raymond einherschritt, gingen ihm jedoch Zweifel durch den Kopf. Er kannte diesen Mann nicht. War er nicht ein Langweiler? Wo gingen sie überhaupt hin? Welche Richtung hatten sie eingeschlagen? Er äußerte die letzte Frage laut.
»Ich weiß nicht«, antwortete Raymond unsicher. Offensichtlich erwartete er, dass Samuel die Führung übernahm.
Dieser blickte hinüber und sah, dass der andere nun ein paar Schritte hinter ihm ging und ernst auf seine Füße starrte. Ich habe ihn in der Hand, ging es ihm durch den Kopf, er wird mir einfach folgen. Dieser Gedanke hatte etwas unerwartet Lustvolles und schmeichelte ihm.
»Was hast du gemeint, als du gesagt hast, du hättest mich schon ein paar Mal beobachtet?«, fragte er und schaute ihn erwartungsvoll an.
»Ich kenne dich schon lange«, antwortete Raymond und blickte kurz zu ihm rüber. Samuel schien, als ob da ein ganz klein wenig Vorwurf in der Stimme mitschwang. »Vom Sehen«, fügte der andere an. »Du bist mir schon vor Jahren aufgefallen. In einem Club. Später hab ich dich immer wieder in der Stadt gesehen und in den letzten Wochen häufig am See.«
»Das ist ja merkwürdig«, sagte Samuel und schüttelte den Kopf. Er fand es in der Tat äußerst unwahrscheinlich, dass dieser gut aussehende Mann ihm nicht früher aufgefallen war. Verstohlen blickte er zu dem anderen rüber, der, den Kopf gesenkt, neben ihm herging. War er denn – bei Mondlicht betrachtet – überhaupt gut aussehend?
»Wieso hab ich dich nie gesehen?«, fragte er nun.