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Buch

Nick Fox ist ein Gauner auf der Flucht und Kate O’Hare die FBI-Agentin, die ihm auf den Fersen ist – so die offizielle Version. In Wahrheit arbeiten die beiden zusammen, um Verbrecher festzunageln, denen mit herkömmlichen Methoden nicht beizukommen ist. Verbrecher wie Evan Trace. Der skrupellose Casino-Magnat nutzt seine Spielbank zur Geldwäsche. Unter seinen Kunden: Drogendealer, Diktatoren und Terroristen. Undercover schleusen sich Kate und Nick als schwerreiches Spielerpärchen ein und riskieren, um Trace das Handwerk zu legen, nicht nur Millionen von Dollar, sondern auch ihr Leben …

Weitere Informationen zu den Autoren sowie zu lieferbaren Titeln finden Sie am Ende des Buches.

JANET EVANOVICH

mit Lee Goldberg

Schüsse,

die von Herzen

kommen

Ein Fall für Kate O’Hare

Band 4

Übersetzt

von Ulrike Laszlo

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
»The Scam« bei Bantam Books,
an imprint of the Random House Publishing Group,
a division of Random House, Inc., New York.
Copyright © der Originalausgabe
2015 by Janet Evanovich and Lee Goldberg
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
This translation is published by arrangement with Bantam Books,
an imprint of the Random House Publishing Group,
a division of Random House, Inc., New York.
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Redaktion: Friederike Arnold
LT · Herstellung: Str.
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN 978-3-641-11787-0
V002
www.goldmann-verlag.de
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1

Kate hatte ihren Ford Crown Vic bei einer Gebrauchtwagenauktion der Polizei gekauft. Der verbeulte, verspachtelte Schlitten gehörte nicht zu den Wagen, die attraktive, berufstätige Frauen Anfang dreißig üblicherweise bevorzugten. Aber solche Frauen trugen normalerweise als Accessoires auch keine Glocks und FBI-Marken. Und sie hatten auch keine schmale Narbe am Bauch, als Andenken an einen angriffslustigen Messerstecher.

Kate fuhr gern gebrauchte Polizeiwagen, denn sie waren günstig, wartungsarm und mit einigen Extras ausgestattet, die ein Toyota Prius nicht hatte: kugelsichere Türen, die bei einer Schießerei gute Deckung boten, leistungsstarke V8-Motoren, die sich hervorragend für Verfolgungsjagden auf der Autobahn eigneten, und Frontschutzbügel aus Stahl, mit deren Hilfe man andere Wagen aus dem Weg schieben konnte.

Sie war gerade in Richtung Norden auf dem Freeway 405 durch den Sepulveda Pass unterwegs, als ihr Boss, der leitende Special Agent Carl Jessup, anrief. Nicolas Fox, die Nummer sieben auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher, war soeben dabei, sich auf Platz sechs vorzuarbeiten.

»Vielleicht war es doch keine so gute Idee, einen Weltklassedieb und Betrüger vor dem Gefängnis zu bewahren«, sagte Jessup in seinem liebenswerten Kentucky-Akzent. »Und noch schlimmer ist, dass wir ihm Zugang zu dem Geld verschaffen, das wir in geheimer Mission Bösewichtern abnehmen, um damit unsere verdeckten Operationen zu bezahlen. Sowohl Nick als auch eine Million Dollar aus unserem Bestand scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben.«

»Dafür gibt es bestimmt eine ganz harmlose Erklärung«, meinte Kate.

»Nichts an Nicolas Fox ist harmlos.« Das wusste Kate besser als jeder andere. Als FBI-Agentin hatte sie Nick fünf Jahre lang gejagt, bevor sie ihn endlich hinter Gitter bringen konnte. Zu ihrem Entsetzen hatten Jessup und der Stellvertretende Direktor des FBI, Fletcher Bolton Fox, ihn in Rekordzeit wieder entlassen. Denn sie hatten einen Plan: Fox würde undercover für das FBI arbeiten, unterstützt von Kate, die nebenher auch noch darauf achten sollte, dass er keine krummen Dinger mehr drehte. Gemeinsam sollten sie Großkriminelle schnappen, denen mit konventionellen Methoden nicht beizukommen war. Also blieb Nick ein hochkarätiger Verbrecher, der im Geheimen für das FBI arbeitete, und Kate blieb eine ausgezeichnete FBI-Agentin, die verdeckt mit einem international gesuchten Flüchtigen zusammenarbeitete.

Und deshalb legte Kate sich im Augenblick in die Kurven des Sunset Boulevard, als wäre es der Talladega Superspeedway. Sie hoffte, Nick in seinem Penthouse am Sunset Strip anzutreffen. Genau genommen gehörte das Penthouse nicht Nick. Das Finanzamt hatte es beschlagnahmt, weil der Eigentümer, ein Rapper, seine Steuern nicht bezahlt hatte, und es zum Verkauf angeboten. Nick hatte sich als Immobilienmakler ausgegeben und war still und heimlich dort eingezogen. Dank reicher Steuerhinterzieher fand Nick immer ein todschickes Domizil, wo er weder seine Kreditkarte zücken noch sich an der Rezeption zu erkennen geben musste.

Kate bremste mit quietschenden Reifen vor dem fünfzehnstöckigen Gebäude, sprang aus dem Wagen und rannte zu der verschlossenen Eingangstür. Sie drückte auf sämtliche Klingeln und hielt ihre FBI-Marke vor die Sicherheitskamera, während sie sich bemühte, so viel Autorität wie nur möglich auszustrahlen.

»FBI! Öffnen Sie die Tür!«

Ein Mieter war sich offensichtlich seiner Bürgerpflicht bewusst und drückte vertrauensvoll auf den Türöffner. Kate stürmte durch die Eingangshalle zum Aufzug, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Außer Betrieb« hing.

War ja klar, dass ihr das jetzt passieren musste. Sie rannte zum Treppenhaus und sprintete die Stufen hinauf. Bei einer Trainingsübung hatte Kate mit einem Dutzend anderer aus der Elitetruppe in voller Kampfausrüstung nur zwanzig Minuten gebraucht, um in das sechsundachtzigste Stockwerk des Empire State Building zu gelangen. Deshalb schätzte sie, dass sie in ihren praktischen Schuhen in etwa drei Minuten das Penthouse erreichte.

Zwischen der fünften und sechsten Etage klingelte ihr Telefon. Kate drückte auf den Knopf des Bluetooth in ihrem Ohr und spurtete weiter, während sie den Anruf entgegennahm.

»O’Hare.«

»Wo bist du?« Es war Megan, ihre jüngere Schwester. »Dad wartet darauf, dass du ihn zum Flughafen bringst.«

»Bin schon auf dem Weg.«

Ihr Vater Jake lebte bei Megan, ihrem Mann Roger und deren beiden Kindern im Grundschulalter in einer gut bewachten Wohnanlage in Calabasas. Dorthin war Kate unterwegs gewesen, als Jessups Anruf sie erreicht hatte.

»Ich habe dir schon vor zwei Wochen gesagt, dass die Kinder heute ein wichtiges Fußballspiel haben und wir in der Halbzeit die Orangenschnitze austeilen müssen. Du hast mir versprochen, dich um Dad zu kümmern.«

»Beruhig dich, Megan. Ich werde rechtzeitig da sein.«

»Warum schnaufst du denn so?« Im Treppenhaus war plötzlich das unverkennbare Geräusch eines Hubschraubers zu hören, der offensichtlich über dem Gebäude kreiste. Kate verspürte auf einmal einen Stich in der Magengegend, und das lag nicht daran, dass sie zwölf Stockwerke in zwei Minuten hinaufgelaufen war. Sie hatte ein heftiges Déjà-vu-Erlebnis, das ihr Angst einjagte. Vor einiger Zeit hatte sie Nick über ein Dach verfolgt, wo seine Komplizen mit einem Hubschrauber abgehoben waren. Triumphierend hatte Nick sich an eine Landekufe gehängt und war ihr entkommen. Nun befürchtete Kate, dass er dieses todesmutige Manöver noch einmal wiederholen wollte.

»Ich muss los!« Abrupt beendete Kate das Gespräch mit ihrer Schwester und rannte weiter nach oben. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und sprintete an dem Penthouse vorbei hinauf ins Dachgeschoss.

Als sie die Tür aufriss, sah sie einen grünen Hubschrauber mit dem Emblem des Auswärtigen Amts der USA auf dem Dach stehen. Nicolas Fox lief mit wehendem Jackett darauf zu.

Zu Kates Erleichterung wartete dieses Mal der Hubschrauberpilot auf ihn. Nick riss die Tür zum Beifahrersitz auf und drehte sich um, als Kate auf ihn zulief. Auf seinem Gesicht lag ein jungenhaftes Grinsen, und seine braunen Augen funkelten. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass er nichts Gutes im Schilde führte und es über alle Maßen genoss.

Er trug einen blauen Anzug von der Stange. Ganz und gar nicht Nicks Stil. Nick war eins dreiundachtzig groß und hatte normalerweise einen ausgeprägten Geschmack für Mode. In diesen Klamotten sah er aus wie ein unterbezahlter Buchhalter. Wahrscheinlich hatte er genau das damit bezweckt.

»Perfektes Timing«, rief er ihr über das Dröhnen der rotierenden Hubschrauberblätter hinweg zu. »Ich bin froh, dass du es rechtzeitig geschafft hast.«

Kate kletterte in den Helikopter. »Wohin fliegen wir?« »Malibu.« Nick schob sich neben sie auf den Sitz und schloss die Tür. Sie setzten beide Headsets auf.

Kate war nicht überrascht, Wilma »Willie« Owens auf dem Pilotensitz zu sehen. Willie war um die fünfzig, hatte gebleichte blonde Haare und vergrößerte Brüste, die aussahen wie Basketbälle mit Brustwarzen. Üblicherweise bevorzugte sie Tops mit Nackenträger und knapp geschnittene Jeansshorts, aber heute hatte sie eine Fliegerbrille auf der Nase und trug eine weiße Bluse mit Schulterklappen und eine frisch gebügelte blaue Hose. Die passende Kleidung für eine ausgebildete Pilotin, allerdings war sie keine. Willie war Texanerin mit einem natürlichen Talent für das Steuern von allen Land-, See- und Luftfahrzeugen, und sie hatte die kriminelle Neigung, sie für eine Spritztour zu stehlen.

»Hast du schon einmal einen Hubschrauber geflogen?«, wollte Kate wissen.

»Ein- oder zweimal.«

»Also, was nun?«

»Kommt drauf an, Schätzchen. Zählt dieser Flug mit?« Kate schnallte sich rasch an und wandte sich Nick zu. »Wir fliegen nirgendwohin, bevor du mir erzählt hast, warum du dich als Diplomat ausgibst und was mit unserer Million passiert ist.«

Nick drückte auf einen Knopf an seinem Headset, sodass Willie nicht mithören konnte.

»Das meiste ist dafür draufgegangen, diesen Helikopter zu kaufen und umzuspritzen«, erklärte er. »Mit dem Rest habe ich einem glücklichen jungen Mann einen All-inclusive-Urlaub in der Karibik spendiert. Das war der Hauptgewinn in einem Preisausschreiben, an dem er seines Wissens nach gar nicht teilgenommen hat.«

»Und er wusste sicher auch nicht, dass er der einzige Teilnehmer war.«

»Du bist schnell von Begriff. Er verbringt seinen Urlaub in einer sehr exklusiven Unterkunft auf einer abgelegenen Insel, die sich mit dem Slogan ›das echte Gilligan’s-Island-Erlebnis‹ anpreist.«

»Kein Telefon, kein Strom, keine Autos, kein Luxus«, zitierte Kate aus dem eingängigen Titelsong der Fernsehserie. »Du hast ihn also völlig abgeschottet. Vor wem versteckst du ihn?«

»Vor seinem Großvater, dem König des Enkeltricks. Bist du damit vertraut?«

»Ja. Ein Großvater oder eine Großmutter erhalten eine dringende E-Mail oder einen Anruf von einer Behörde mit der schrecklichen Nachricht, dass ihr Enkel auf einer Auslandsreise verhaftet, überfallen und beraubt oder schwer verletzt wurde. Der angebliche Beamte bringt die alten und leicht zu verwirrenden Großeltern dazu, Zehntausende Dollar ins Ausland zu überweisen, um dem Enkel aus der Patsche zu helfen.«

»Genau, darum geht es. Wie es der Zufall so wollte, wurde Stuart Kelso vor Kurzem vom angeblichen Auswärtigen Amt informiert, dass sein Enkel Ernie in Kuba wegen Drogenschmuggels verhaftet worden sei. Die Kaution betrage fünf Millionen Dollar. Normalerweise wäre er wohl kaum auf seinen eigenen Trick reingefallen, aber wir hatten einige Insiderinformationen über seinen Enkel und sind mit einem Hubschrauber des Auswärtigen Amts auf seinem Rasen gelandet.«

Nick grinste, und Kate versuchte verzweifelt, ernst zu bleiben. Das war ein Geniestreich und wohlverdiente ausgleichende Gerechtigkeit, aber absolut illegal. In ihren Augen war es einerseits richtig, aber andererseits auch völlig falsch … ähnlich wie die Anziehungskraft, die Nick auf sie ausübte. Und das Schlimmste war, dass er die Sache ohne ihr Wissen durchgezogen hatte.

»Warum hast du mir davon nichts erzählt?« Ihr Blutdruck stieg leicht an, als sie ihn mit zusammengekniffenen Augen anstarrte.

»Das war doch nur ein Jux, ein kleiner Streich, um mich zwischen unseren Aufgaben ein bisschen zu beschäftigen. Kelso ist ein kleiner Fisch verglichen mit unseren üblichen Zielpersonen. Ich befürchtete, dass du mir diesen Spaß verderben würdest.«

»Du hast das also hinter meinem Rücken gemacht.«

»Ja.«

»Wir sollen als Partner miteinander arbeiten. Und jetzt lässt du mich dastehen wie einen Dorftrottel.«

»Nimm’s nicht persönlich.«

»Was sonst? Ich bin verantwortlich für dich. Meine Karriere hängt davon ab, dich und deine diebische Natur in Schach zu halten. Du darfst das Gesetz nur brechen, wenn du eine Erlaubnis vom FBI hast. Und du kannst nicht einfach nur zum Spaß eigene Dinger drehen.«

»Es gefällt mir, wenn du dich so aufregst«, sagte Nick. »Du hast dann immer so ein gewisses Funkeln in den Augen.«

»Wenn du dir wieder etwas zuschulden kommen lässt, bin ich auch erledigt. Aber glaub mir, das wird nicht lustig für dich. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit man dich hinter Gitter bringt und den Schlüssel wegwirft.«

»Dann bist du also dabei?«, fragte Nick.

Kate seufzte tief. »Ja.«

»Großartig. Kannst du eine FBI-Agentin spielen?«

»Ich werde es versuchen«, erwiderte Kate. »Aber nur, wenn wir meinen Dad abholen und ihn anschließend am Flughafen in Los Angeles absetzen.«

»Kein Problem.«

2

Jake O’Hare wartete in dem Privatpark der geschlossenen Wohnanlage auf Kate und Nick. Er trug ein weißes Golfshirt und eine hellbraune Khakihose und sah mit den Händen in den Hosentaschen gelassen zu, wie Willie den Hubschrauber auf dem Rasen landete. Jake hatte fast sein ganzes Leben in der Army verbracht und für die Regierung Geheimoperationen durchgeführt, doch das war schon lange vorbei. Jetzt war er Anfang sechzig und focht seine Kämpfe fast nur noch auf dem Golfplatz aus.

»Danke fürs Abholen.« Jake kletterte in den Helikopter und setzte seine Kopfhörer auf.

»Wo sind deine Koffer?«, fragte Kate.

»Ich habe kein Gepäck. Alles, was ich brauche, werde ich mir vor Ort kaufen und es bei der Abreise dort lassen.«

»Du fliegst nach Hawaii, um einen alten Kumpel aus der Army zu besuchen. Das ist eine Urlaubsreise, keine geheime Mission.«

»Das sagt ausgerechnet die Frau, die mich in einem Hubschrauber mit einem gefälschten Emblem vom Auswärtigen Amt abholt«, konterte Jake.

»Gutes Argument.« Kates Vater war außer Jessup und dem Stellvertretenden Direktor Bolton der Einzige, der über sie und Nick Bescheid wusste. »Bevor wir dich zum Flughafen bringen, müssen wir noch kurz etwas erledigen.«

»Das habe ich mir schon gedacht.« Jake begrüßte Nick mit einem freundlichen Nicken. »Wie kann ich euch helfen?«

»Hast du Erfahrung damit, im Ausland gefangen gehaltene Amerikaner zu befreien?«, fragte Nick.

»Allerdings, sogar reichlich«, erwiderte Jake.

Nick grinste. »Dann können wir deine Unterstützung gut gebrauchen.«

»Jederzeit gern.«

Vor dreißig Jahren arbeitete Stuart Kelso in Dearborn, Michigan als Versicherungsvertreter, als er mitten in der Nacht einen Anruf von einem Polizisten aus Istanbul erhielt. Sein Sohn Bernie, damals ein Haschisch rauchender Teenager, zog als Rucksacktourist durch Europa und war wegen Drogenschmuggels verhaftet worden. Falls Kelso nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden zehntausend Dollar an die Behörden überweise, so hieß es, werde Bernie die nächsten fünf Jahre in einem türkischen Gefängnis verbringen. Kelso tat sofort, was ihm gesagt wurde, und sein Sohn wurde in einen Flieger verfrachtet, der ihn in die Vereinigten Staaten zurückbrachte. Erst später, als Bernie wieder sicher zu Hause war, begriff Kelso, dass er nicht so schnell hätte handeln sollen. Wie dumm von ihm. Was, wenn das alles nur ein Trick gewesen war? Es war eine Offenbarung für ihn – und der Enkeltrick war geboren.

Kelsos Zielpersonen waren Großeltern, weil viele ältere Menschen unter Druck nicht mehr so klar denken konnten und oft über eine gut gefüllte Pensionskasse verfügten. Das erwies sich als schlauer Schachzug, denn jetzt verdiente er zehn Mal so viel wie früher, wog fünfundzwanzig Kilo mehr und lebte mit seiner dritten Frau Rilee, einem aufstrebenden Model, in einem herrschaftlichen Haus im Südstaatenstil an der Küste mit Blick auf den Pazifik.

Als der Hubschrauber der amerikanischen Regierung vor zwei Tagen in seinem Garten gelandet war, hatte er geglaubt, dass man ihn verhaften wollte. Doch glücklicherweise hatte er sich geirrt. Ein hektischer Mitarbeiter des Auswärtigen Amts namens Nick Burns teilte Kelso mit, dass sein einundzwanzigjähriger Enkel Ernie bei dem Versuch, Drogen nach Havanna zu schmuggeln, gefasst worden war. Die Kubaner forderten fünf Millionen Dollar oder sie würden ihn vor Gericht stellen und damit die Vereinigten Staaten in Verlegenheit bringen. Kelso konnte eine solche kosmische Ungerechtigkeit kaum fassen. Die Geschichte wiederholte sich. Burns drängte Kelso dazu, um seines Enkels und der Vereinigten Staaten willen die geforderte Summe zu bezahlen.

Kelso scherte sich weder um Ernie noch um Vater Staat, aber er hatte Angst davor, dass es einen Medienrummel geben würde und möglicherweise seine eigenen Verbrechen aufgedeckt wurden. Also hatte er seine gesamte Barschaft in vier Koffer gepackt und war bereit, sie in den Hubschrauber zu verladen, der nun zum zweiten Mal in seinem Garten landete.

Burns sprang aus dem Helikopter und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, als er auf Kelso zuging. Er war in Begleitung eines stämmigen älteren Mannes und einer durchtrainierten jungen Frau in einem grauen Hosenanzug. Das Jackett war offen und gab den Blick auf ihre Waffe am Gürtel frei.

»Guten Morgen, Mr Kelso«, begrüßte Burns ihn. »Ist das die gesamte Summe?«

Außer dem Geld in den Koffern hatte Kelso nur noch achtundzwanzig Dollar in seiner Brieftasche. Sein restliches Kapital steckte in Schuldverschreibungen und in seinen Exfrauen. Anscheinend wollten die Kubaner ihn finanziell ruinieren. Er konnte seine Geschäfte nicht weiterführen, seine Miete nicht mehr zahlen und auch die Kosten für seine dritte Frau und ihre ganze Truppe aus Yogalehrern, Friseuren, Stylisten und persönlichen Einkaufsberatern nicht mehr übernehmen. Aber zumindest würde er nicht im Knast landen.

»Es war verdammt schwierig, das Geld aufzutreiben«, sagte Kelso. »Ich verstehe immer noch nicht, warum ich die Summe in bar zur Verfügung stellen muss.«

Der stämmige Kerl meldete sich zu Wort. »Seien wir doch mal ehrlich, Mr Kelso – Sie hinterlegen hier keine Kaution. Mit diesem Geld werden korrupte Beamte bestochen. Bestechung funktioniert nur mit Bargeld, denn es hinterlässt keine Spuren.«

Kelso deutete auf Kates Vater. »Wer ist das?«, fragte er Burns.

»Jake Blake. Der Mann, der für Sie die Bestechungsgelder in Havanna verteilen wird«, erwiderte Burns. »Er hat diese Aufgabe schon öfter für uns übernommen. Aus offensichtlichen Gründen können wir das nicht selbst erledigen.«

»Und wer sagt, dass er nicht mit meinem Geld abhaut?«

»Ich.« Die Frau hielt ihm ihre FBI-Marke vor die Nase.

Vor Angst zog Kelsos Magen sich zusammen. In seinen Albträumen hatte er schon oft diese Marke vor Augen gehabt.

»Ich bin Special Agent Kate Houlihan und werde Blake auf jedem seiner Schritte bewachen.«

»Vertraust du mir etwa nicht, Houlihan?«, fragte Blake.

»Ein Söldner bleibt immer ein Söldner, das ist das Problem«, antwortete sie. »Loyalität kann man von ihnen nicht erwarten.« Sie wandte sich wieder Kelso zu. »Ich werde auch dafür sorgen, dass Ihr Enkel sicher aus Kuba herauskommt.«

»Ich weiß nicht, was der dumme Junge sich dabei gedacht hat«, sagte Kelso.

»Ich werde ihn nur zu Ihnen zurückbringen und ihn vor dem Gefängnis bewahren«, erwiderte Houlihan, »weil das Außenministerium nicht möchte, dass diese Sache publik wird. Aber an Ihrer Stelle würde ich ihm klarmachen, dass es für ihn nur dieses eine Ticket aus dem Knast gibt.«

»Das werde ich tun.«

»Wir müssen los.« Burns warf wieder einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir dürfen den Flug nach Guantánamo nicht verpassen. In Vandenberg wartet ein Flieger auf uns.«

Houlihan und Blake schnappten sich je zwei Koffer und trugen sie zum Hubschrauber. Kelso sah ihnen nach. Er würde die Arbeiter, die auf den Philippinen für einen Hungerlohn für ihn schufteten, ordentlich antreiben müssen, damit sie doppelt so viele Trickmails wie bisher unter die Leute brachten. Er musste noch so viel Geld wie möglich machen, bevor die Arbeiter begriffen, dass sie keine Gehaltsschecks mehr bekamen, und alles Verwertbare aus dem Laden klauen und ihn im Stich lassen würden.

»Wann werde ich wieder von Ihnen hören?«, fragte Kelso.

»Gar nicht«, sagte Burns. »Wenn alles gut geht, wird Ihr Enkel schon bald vor Ihrer Tür stehen. Wenn nicht, können Sie sich in den Medien anschauen, wie er in Havanna in Handschellen abgeführt wird. Wie auch immer, dieses Treffen hat nie stattgefunden. Die amerikanische Regierung war in keiner Weise irgendwie beteiligt. Haben wir uns verstanden?«

Kelso nickte. »Danke für Ihre Hilfe.«

»Dafür zahlen Sie schließlich Ihre Steuern.«

Tatsächlich zahlte Kelso keine Steuern, weil er kein legales Einkommen hatte. Noch ein Grund, warum er den Kubanern dieses horrende Bestechungsgeld bezahlte.

Burns lief zum Hubschrauber zurück, kletterte hinein und setzte sich neben die Pilotin. Der Helikopter erhob sich in die Luft, drehte zum Pazifik ab und flog dann nach Norden in Richtung Vandenberg.

Als das Knattern des Hubschraubers allmählich leiser wurde, hörte Kelso ein Auto in der Auffahrt. Er ging um das Haus herum. Ein schwarzer Lincoln MKT mit Mietwagen-Kennzeichen hielt vor dem Haus, und ein schlaksiger Junge in einem weiten, ärmellosen T-Shirt, Surfershorts und Sandalen sprang mit einem breiten Lächeln auf dem sonnenverbrannten Gesicht heraus. Kelso brauchte einen Moment, bis er seinen Enkel Ernie erkannte.

»Wow, was für eine tolle Reise«, schwärmte Ernie. »Vielen Dank, dass du mir die Limo geschickt hast, Großvater. Woher wusstest du, wann ich zurückkomme? Haben es dir die Leute von dem Preisausschreiben gesagt?«

Das war so ungeheuerlich, dass Kelso das Gefühl hatte, ohne Vorwarnung einen Faustschlag in die Magengrube bekommen zu haben. Er taumelte und lehnte sich gegen die Hausmauer. Ernie eilte zu ihm und stützte ihn.

»Opa, was ist los? Geht’s dir nicht gut?«

Der Hubschrauber kam zurück und kreiste tief über dem Haus. Kelso schaute nach oben in den Himmel und schnappte nach Luft. Wie konnte ich nur so blöd sein?

3

Da sie mit dem falschen US-Hubschrauber nicht auf dem Flughafen von Los Angeles landen konnten, flog Willie nach Culver City, und sie setzten auf dem Parkgebäude des DoubleTree-Hotels auf. Von dort ließ Jake sich von dem Hotel-Shuttle zum Flughafengebäude bringen, und Nick und Kate flogen zu dem Apartmenthaus am Sunset Boulevard zurück. Sie luden die Koffer auf dem Dach des Gebäudes aus, und Willie startete allein in Richtung Norden.

»Wohin fliegt sie?«, erkundigte Kate sich.

»Zu einer unbewohnten Farm in Ojai, die dem Finanzamt gehört. Dort wird sie den Hubschrauber umspritzen und ihn verstecken, bis wir ihn wieder brauchen.«

»Wir behalten ihn?«

»Warum nicht? Schließlich haben wir ihn gekauft.« Auf Nick aufzupassen ist schlimmer, als sich die Fingernägel herausreißen zu lassen, dachte Kate.

»Also gut, wir können ihn eine Weile behalten, aber nur wenn Willie ihren Pilotenschein macht«, erklärte Kate.

»Du musst endlich aufhören, wie eine FBI-Agentin zu denken.«

»Aber ich bin FBI-Agentin!«

»Schon, aber wenn du mit mir zusammenarbeitest, bist du auch eine Kriminelle. Das Gesetz ist nur für Menschen gedacht, die nichts zu verbergen haben. Eine Pilotenlizenz dient dem Zweck, dich zu identifizieren; sie ist ein Beweis dafür, dass du alle gesetzlichen Bestimmungen erfüllst, um ein Flugzeug zu fliegen, und für deine Handlungen die volle Verantwortung übernimmst. Wir wollen aber nicht, dass jemand erfährt, wer wir sind und was wir tun.«

»Okay, das leuchtet mir ein, aber sie hat doch wenigstens Unterricht genommen, oder? Ich meine, sie ist nicht einfach in den Hubschrauber gestiegen und losgeflogen, richtig?«

»Sie hat bei einem staatlich geprüften Ausbilder einige Stunden gehabt und ist absolut qualifiziert dafür, diesen Helikopter zu fliegen.«

Nick hob zwei Koffer mit dem Bargeld hoch und ging auf den Aufzug zu.

»Vergiss es«, sagte Kate und machte sich mit ihren Koffern auf den Weg zum Treppenhaus. »Der Aufzug ist außer Betrieb.«

»Nein, ist er nicht.« Nick drückte auf den Rufknopf. »Ich wollte nur Immobilienmakler und Hausbesetzer daran hindern, in meine Privatsphäre einzudringen. Und außerdem habe ich es mir sehr anregend vorgestellt, wenn ihr alle schwitzend und schwer schnaufend hier oben angekommen wärt.«

»Ich habe nicht geschwitzt und auch nicht schwer geatmet.«

»Das ist mir aufgefallen«, sagte Nick. »Wenn du jetzt die Koffer auf den Boden stellst und mir alles andere überlässt, könnte ich dich schon dazu bringen.«

»Meine Güte, flirtest du etwa mit mir?«

»Schätzchen, meine Absichten gehen weit übers Flirten hinaus.«

»Diese Absichten könnten dazu führen, dass ich dir ein Knie zwischen die Beine ramme.«

Nick grinste. »Zumindest in Gedanken bist du schon beim richtigen Körperteil angelangt.«

Kate schnaubte scheinbar entrüstet und betrat den Aufzug. Sie war FBI-Agentin, und mit Nick, einem gesuchten Verbrecher, zu schlafen würde bedeuten, eine Grenze zu überschreiten, und dazu war sie nicht bereit. Sie hatte bereits etliche Zugeständnisse gemacht, indem sie Nick dabei geholfen hatte, zu betrügen, zu stehlen und sich vor einer Gefängnisstrafe zu drücken. Manchmal fragte sie sich, warum es ihr trotzdem immer noch so wichtig war, ihn auf Distanz zu halten.

Nick schob eine Schlüsselkarte in die Bedienkonsole, und der Aufzug bewegte sich nach unten. Kurz darauf öffneten sich die Türen im Foyer des Penthouse. Carl Jessup stand an einem der bodenlangen Fenster, aus denen man einen herrlichen Blick über das gesamte Los-Angeles-Becken hatte, und beobachtete, wie der Hubschrauber davonflog. Unter seinem Arm klemmte ein dicker Aktenordner. Nick und Kate betraten das Apartment und stellten ihre Koffer ab.

»Der Helikopter sieht aus wie einer von der amerikanischen Regierungsflotte«, meinte Jessup und drehte sich zu ihnen um.

»Der Schein trügt manchmal«, erwiderte Nick.

»Nun, darüber möchte ich mich mit Ihnen nicht streiten. Darin sind Sie der Experte.«

Jessup war Anfang fünfzig, und sein sonnenverbranntes, wettergegerbtes Gesicht und seine sehnige Gestalt ließen darauf schließen, dass er sein ganzes Leben im Freien verbracht und Viehzucht betrieben hatte, aber das lag nur an seinen Genen. Tatsächlich war er direkt nach seinem Collegeabschluss zum FBI gegangen.

»Was bringt Sie hierher, Sir?«, fragte Kate.

»Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich vorhin alle diese Treppen hochgestiegen bin«, erwiderte Jessup. »Ich war kurz vor einem Herzinfarkt.«

»Der Aufzug funktioniert wieder«, teilte Kate ihm mit. »Der Weg nach unten wird also weniger beschwerlich sein.«

Jessup sah Nick in die Augen. »Wo ist die Million geblieben, die Sie uns gestohlen haben?«

»Ich habe daraus in knapp einer Woche fünf Millionen gemacht.« Nick deutete auf die Koffer. »Keine schlechte Verzinsung für unsere Investition.«

»Unsere Geheimoperationen dienen nicht dazu, Gewinne herauszuschlagen.«

»Aber schaden kann es auch nicht«, wandte Nick ein.

Jessup runzelte die Stirn und wandte sich an Kate. »Wer war die Zielperson dieses Schwindels?«

»Ein Betrüger namens Stuart Kelso, ein Mann, der sich auf den Enkeltrick spezialisiert hat«, antwortete Kate. »Er legt ältere Leute rein, indem er ihnen weismacht, ihre Enkelkinder befänden sich in einer verzweifelten Situation. Kelso hat ganz sicher kein Mitgefühl verdient, Sir.«

»Für ihn werde ich auch kein Mitgefühl aufbringen, aber darum geht es hier nicht. Wie haben Sie es angestellt, dass er Ihnen fünf Millionen Dollar anvertraut?«

Nick grinste. »Ich habe ihn mit dem Enkeltrick reingelegt.«

»Ich verstehe. Und Sie hielten das sicher für einen Riesenspaß.«

»Das war es tatsächlich.«

»Betrügereien zu Ihrem eigenen Vergnügen fallen flach«, fauchte Jessup. »Nur wenn Sie damit Verbrecher hinter Gitter bringen, ist das noch erlaubt. In diesem Fall haben Sie lediglich Kelso sein Geld abgenommen und ihn lächerlich gemacht. Er wird weitermachen wie bisher und alten Leuten ihre Ersparnisse und Renten abknöpfen.«

»Sie sollten sich mal Ihre E-Mails anschauen«, meinte Nick. »Sie haben eine wichtige Nachricht von Ihrer Tochter bekommen.«

Jessup zog sein Telefon heraus und warf einen Blick auf seine E-Mails. »Sie schreibt, sie sei in Budapest und man habe ihr die Brieftasche und den Reisepass gestohlen. Nun brauche sie sofort eine Überweisung von zweitausend Dollar von mir. Und von wo kommt diese E-Mail wirklich?«

»Von Kelsos Betrugsunternehmen in Manila, wo er ein Dutzend Filipinos jeden Monat Hunderte solcher E-Mails an Großeltern schicken lässt. Die Informationen dafür trägt er sich aus dem Internet zusammen«, erwiderte Nick. »Einer meiner Geschäftspartner hat sich gestern Abend in Kelsos Computer eingehackt. Er hat eine solche E-Mail, wie Sie soeben eine bekommen haben, an den Bundesstaatsanwalt, an alle neun Richter des Obersten Bundesgerichts und an die Polizeipräsidenten aller amerikanischen Hauptstädte geschickt. Jede Nachricht ist mit digitalen Spuren versehen, die direkt zu Kelso Betrügerfirma führen. Ich wette fünf Millionen Dollar, dass Kelso innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden bereits Handschellen tragen wird.«

Jessup nickte mit verhaltener Anerkennung. »Ich schätze, das wird bereits in vierundzwanzig Stunden der Fall sein.«

Kate war erleichtert. Diese Bemerkung war ein kleines Zeichen seiner Zustimmung – mehr konnten sie nicht von Jessup erwarten. Wahrscheinlich war es besser, den erworbenen Hubschrauber im Augenblick nicht zu erwähnen.

»Da Sie anscheinend gern wetten, wird Ihnen der nächste Auftrag gefallen.« Jessup reichte Kate den Aktenordner, den er mitgebracht hatte. »Wir möchten Sie auf Evan Trace ansetzen.«

Evan Trace, vierzig Jahre, war der Besitzer des Côte d’Argent, des Kasinos in Las Vegas, wo die Generation der Promis, die sich an ein Leben ohne Die Simpsons nicht erinnern konnten, spielten, Partys feierten und ihr Geld verprassten. Er glich Brad Pitt aufs Haar und nutzte diese verblüffende Ähnlichkeit für eine Reihe von flotten Werbespots für das Côte d’Argent. Und es war ihm gelungen, zu einer neuen, angesagten Größe von Vegas zu werden.

»Trace’ Boutique-Casinos in Las Vegas und Macau sind Geldwaschanlagen für Terroristen, Mafiosi, Drogenbarone, Straßengangs und Gewaltherrscher«, erklärte Jessup. »Wenn sie ihr schmutziges Geld dort gewaschen haben, verwenden sie es für alle möglichen scheußlichen Unternehmungen – sie kaufen Waffen, bestechen Politiker und finanzieren terroristische Anschläge.«

»Das ist ganz einfach«, warf Nick ein. »Man geht mit einem Haufen Geld in ein Casino, kauft sich eine Menge Chips und spielt eine Zeitlang. Die restlichen Chips überlässt man dann einem Geschäftspartner, zum Beispiel dem Besitzer eines Vintage-Ferrari, den man kaufen will, und dieser tauscht sie dann ein. Das ist alles. Solche Transaktionen können nicht nachgewiesen werden, und schon hat man Geld gewaschen.«

»Das klingt, als hätten Sie Erfahrung damit«, sagte Jessup.

Kate legte den Aktenordner auf den wuchtigen Couchtisch. »Mit Sicherheit. Ich habe seinen Ferrari gesehen.«

»Baccara ist eine wesentlich unterhaltsamere Methode, Bargeld unter die Leute zu bringen, als sich mit korrupten Bankern, ausgekochten Buchhaltern oder Briefkastenfirmen herumzuplagen«, sagte Nick. »Und man bekommt dabei sogar kostenlose Drinks serviert.«

»Ich verstehe, warum du so etwas tust«, sagte Kate. »Aber ich begreife nicht, was für Trace dabei drin ist.«

»Er kassiert die Verluste der Spieler und außerdem fünf Prozent beim Einwechseln der Chips«, erklärte Jessup. »Darüber hinaus gewinnt er sehr einflussreiche Freunde.«

»Das klingt so einfach«, meinte Kate. »Ich frage mich, warum das nicht auch in vielen anderen Casinos so abläuft.«

»Weil wir alles genau beobachten, was dort vor sich geht«, erwiderte Jessup. »Zumindest versuchen wir es. Aber in Macau gibt es keine Kontrollen.«

»Warum nicht?«, wollte Kate wissen.

»Es gibt fünfunddreißig Casinos in Macau, die zusammen jährlich vierzig Milliarden Dollar Umsatz mit Glücksspielen machen. Die chinesische Regierung kassiert davon vierzig Prozent Steuern.«

»Und das ist nur ihr Anteil«, fügte Nick hinzu. »Dazu kommen noch Provisionen und Schmiergelder für die örtliche Polizei und die Regierungsbeamten.«

»Ein verlockender Anreiz, um ein Auge zuzudrücken«, meinte Kate.

»Und das machen sie auch«, sagte Jessup. »In Macau stammen neunzig Prozent der Einnahmen aus Glücksspielen von sogenannten Walen: superreiche Spieler, die Millionen Dollar an einem Abend setzen. Wir wissen von unseren Beobachtern, dass die meisten der Wale, die im Côte d’Argent spielen, Geld für al-Qaida, den IS und andere Terrororganisationen waschen, die Amerikaner im Visier haben. Also ist Trace ein Krimineller und Verräter. Ihm muss Einhalt geboten werden. Aber die Vereinigten Staaten haben in Macau keine juristische Handhabe, und die chinesische Regierung verweigert uns jegliche Hilfe.«

»Das klingt nach einer Aufgabe für die CIA«, meinte Nick.

»Davon will das Weiße Haus nichts wissen«, erklärte Jessup. »Sie wollen das Risiko nicht eingehen, dass amerikanische Spione beim Herumschnüffeln in chinesischem Territorium ertappt werden könnten.«

»Aber wir sollen dieses Risiko auf uns nehmen«, stellte Nick fest.

»Sie sind ein flüchtiger Krimineller, der in einem Dutzend Bundesstaaten gesucht wird, und sie ist eine FBI-Agentin, die Sie zuerst verführt und dann zu dem Plan überredet haben, in Trace’ Casinos Geld abzuzocken. Das ist zumindest eine glaubhafte Geschichte, falls Sie geschnappt werden.«

»Nick hat mich nicht verführt«, protestierte Kate.

»Allerdings habe ich es versucht.« Nick grinste.

»Es könnte zwar einen Skandal geben, aber er würde die Vereinigten Staaten nicht in Verlegenheit bringen.«

»Aber ich wäre blamiert«, wandte Kate ein.

»Dann lassen Sie sich nicht erwischen.«

Nachdem Jessup gegangen war, blätterte Kate in der Akte über Trace, und Nick packte die Koffer aus, legte das Geld auf den Couchtisch und begann es zu zählen.

Kate fasste für Nick kurz die Informationen aus den Unterlagen zusammen.

»Trace hat seine Karriere mit einem kleinen Indianer-Casino in der Wüste bei Palm Springs begonnen. Vor sechs Jahren kaufte er dann in Vegas ein unfertiges Hochhaus. Die Arbeiten mussten auf halbem Weg abgebrochen werden, weil der Bauherr Bankrott gemacht hatte. Trace baute es zu einem Hotel mit dreihundertfünfzig Zimmern und einem Casino um. Zur Eröffnung heuerte er hübsche junge Frauen und muskulöse junge Männer an, die sich als Blickfang an seinem Oben-ohne-Pool räkelten.«

»Das macht natürlich mehr her als eine Piratenschlacht auf hoher See oder eine riesige Wasserfontäne vor einem Hotel.« Nick stapelte die Geldscheine auf einer Seite des breiten Tischs und zählte weiter. »Außerdem ist es viel billiger.«

»Er lud auch Promis zu einem kostenlosen Aufenthalt ein«, fuhr Kate fort. »Vor allem solche, die sich öfter mal in Schwierigkeiten brachten und dann in der Boulevardpresse Schlagzeilen machten.«

»Damit sparte er ein Vermögen an Werbekosten. Entweder ist er ein Geizkragen oder er hat improvisiert, weil er knapp bei Kasse war.«

»Um Kunden anzulocken, stellte er Spielautomaten mit hohen Gewinnchancen auf und bot günstige Büfetts, billige Zimmer und sehr starke Drinks an. Die Leute kamen in Scharen. Aber der richtige Durchbruch gelang ihm dann mit seiner Fernsehwerbung.«

»Habe ich nie gesehen«, sagte Nick.

»Sie lief überall.«

»Ich musste ja ständig vor dir fliehen und hatte keine Zeit fernzusehen.«

»Hier ist einer seiner Spots, die jeder kennt.« Kate fuhr Nicks Laptop hoch und klickte bei YouTube einen von Trace’ Werbeclips an. Nick schaute ihr über die Schulter.

Der Spot spielte spät nachts. Die Farben waren so gedämpft, dass man beinahe das Gefühl hatte, einen Schwarz-Weiß-Film zu sehen. Trace schlenderte den Vegas Strip entlang; er trug einen verknitterten Smoking von Armani, seine Fliege war offen und sein Hemdkragen gelockert. Er zog an einer Zigarette, als wolle er das letzte Nikotinmolekül heraussaugen. In den scharf umrissenen Schatten wirkten der ausbrechende Vulkan, der Eiffelturm und die New Yorker Skyline schäbig und plump, und während er daran vorbeitrottete, sprach er in die Kamera, seine Stimme rau von einer langen Nacht mit viel Zigaretten und Alkohol.

»Was für eine besch … Lachnummer«, sagte Trace.

Der Kraftausdruck war ausgeblendet, aber das spielte keine Rolle – es war für jedermann verständlich.

»Hier findet man kein echtes Erlebnis. Nicht an dieser Straße. Nicht in diesen Häusern.«

Als Trace um die Ecke bog und den Strip verließ, tauchte mit einem Mal das Côte d’Argent auf, ein schlanker schwarzer Turm, ohne jeglichen geschmacklosen Prunk. Er öffnete die Tür und schaute direkt in die Kamera.

»Glücksspiel und Partys. Keine verdammten Gondeln.« Das anstößige Wort wurde vom Geklingel der Spielautomaten und dem Geklimper in die Schale fallender Münzen übertönt. Trace zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, warf sie auf die Straße und betrat das Casino. Das Bild verschwand.

»Das ist sein Slogan«, erklärte Kate. »Keine verdammten Gondeln.«

»Sehr einprägsam«, meinte Nick.

»Er hat ihn auf T-Shirts, Hüte und Kaffeebecher drucken lassen. In den ersten beiden Jahren nach Eröffnung des Côte d’Argent verdiente Trace mehr mit seinen Markenartikeln als mit dem Hotel.«

Nick machte sich wieder daran, die Hundertdollarscheine zu Stapeln aufzuhäufen. »Wenn wir alles über Evan Trace und seinen Casinobetrieb erfahren wollen, müssen wir nach Vegas fahren. Und uns als Wale ausgeben.«

Kate ahnte schon, wohin das führen würde. »Wir werden aber nicht das Geld der Regierung verzocken.«

»Es gehört nicht dem Staat. Ich habe das Geld von Stuart Kelso gestohlen.«

»Für das FBI

»Auf illegale Weise«, betonte er.

»Zum Wohl der Allgemeinheit.« Kate hörte selbst, wie lahm das klang, aber etwas Besseres fiel ihr als Rechtfertigung nicht ein.

»Prima. Wir spielen also mit diesem Geld zum öffentlichen Wohl«, sagte Nick. »Und für kostenlose Drinks.«

»Ist das Büfett auch umsonst?«

»Da bin ich mir sicher.«

»Na, dann los!«