Das Buch
Hannover ist eine unterschätzte Stadt, häufig geschmäht als Inbegriff deutscher Mittelmäßigkeit. Dabei ist Hannover nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der gewichtigen Machtzentren in der Bundesrepublik geworden. Viele maßgebliche Politiker haben ihre Karriere dort begonnen. »Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein« – diese berühmte Annonce eines bekannten Hannoverschen Unternehmers gilt auch heute noch: Ursula von der Leyen, die neue »Kriegsministerin« und Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, macht sich ebenso Hoffnungen auf die Nachfolge von Kanzlerin Merkel wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, der auch einmal Regierungschef in der Landeshauptstadt war. Lutz Hachmeister erzählt zum ersten Mal die politische Sittengeschichte dieser geheimen deutschen Machtzentrale – über Maschmeyer, Schröder & Co. und den Fall Wulff hinaus, mit schillerndem Personal wie den Hells Angels, Margot Käßmann, Unternehmern wie Martin Kind und Dirk Roßmann und natürlich mit dem »Hannover«-Sound der Scorpions.
Der Autor
Lutz Hachmeister, geboren 1959 in Minden, ist seit 2005 Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) in Köln. Der ehemalige Chef des Grimme-Instituts und Medienredakteur des »Tagesspiegel« zählt heute zu den bekanntesten deutschen Dokumentarfilmern (Das Goebbels-Experiment, The Real American – Joe McCarthy, Auf der Suche nach Peter Hartz) und hat als Autor u. a. die zeithistorisch-politischen Bücher Das Goebbels-Experiment (2005, zusammen mit Michael Kloft), Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik (2007) und Heideggers Testament. Der Philosoph, der »Spiegel« und die SS (2014) veröffentlicht.
Lutz Hachmeister
HANNOVER
Ein
deutsches
Machtzentrum
Deutsche Verlags-Anstalt
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Gestaltung und Satz: DVA/Andrea Mogwitz
Gesetzt aus der Minion
ISBN 9783-641-15540-7
www.dva.de
V001
Inhalt
Vorwort
Der Hannover-Komplex
Die Hannover-Geschichte
Die Albrecht-Familie
Frogs: Gerhard Schröder in Hannover
Zwischenspiele: »Glogo« und »Siggi«
Virgin Killer: Sound und Kultur der Landeshauptstadt
Der Spiegel, die »Generation Hannover« und der Reichstagsbrand
Die Wulffs
Nachwort
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Personenregister
Vorwort
Köln ist ein Gefühl, Hamburg ist das Tor zur Welt und München leuchtet. Hannover leuchtet nicht, es ist die Stadt mit dem Imageproblem. Interessanterweise ist es genau dieses Bild der spröden, disparaten Niedersachsen-Kapitale ohne Höhen und Tiefen, einer Kommune der mittleren Stimmungslagen mit der von außen zugeschriebenen Gesichtslosigkeit, das fast rituell überregionale Aufmerksamkeit erzeugt. Als im vergangenen Jahr eine junge Historikerin eine Doktorarbeit über alle möglichen Aktionen der Stadtväter seit dem 19. Jahrhundert vorlegte, mit denen der Ruf Hannovers aufpoliert werden sollte (»Großstadt im Grünen«), bekam sie sofort erstaunliche bundesweite Resonanz und jede Menge Interview-Anfragen. »Hannovers Kampf ums Image« war einmal mehr auch dem hauptstädtischen Berliner Tagesspiegel eine lange Reportage wert.
1972 war sogar mit dem Jazz-Papst Michael »Mike« Gehrke, bundesweit einzigartig, an der Leine ein hauptamtlicher »Imagepfleger« angestellt worden. Offiziell wurde er in der Ära des Oberstadtdirektors Martin Neuffer, später NDR-Intendant, Leiter eines neu geschaffenen »Amtes für Kommunikationsförderung«, lange bevor anderswo über Stadtmarketing nachgedacht wurde. Mit Stadtfesten, Swinging Hannover und Niki de Saint Phalles bunten Nana-Skulpturen wollten Neuffer und Gehrke gegen die gängigen Stereotype von Behäbigkeit, Krämerseelentum und Messegeschäftigkeit angehen. Das führte in Hannover zu einiger Aufregung, half aber nicht viel. Noch immer wird Theodor Lessings Diktum vom »Paradies des Mittelstandes, der Bemittelten und jeder Mittelmäßigkeit« gern zitiert, wie auch die Erkenntnis des Satirikers und Fernseh-Conférenciers Harald Schmidt: »Hannover liegt zwar nicht am Arsch der Welt, aber man kann ihn von dort aus ziemlich gut sehen.«
Heute boomen alle möglichen Konzepte des Stadtmarketings und Städte-Rankings mit ausgefeilten empirischen Methoden wie Dynamik- und Kreativitätsindizes. Den Aufstieg von Metropolen und urbanen Gefügen definiert etwa der einflussreiche US-Ökonom und Stadtforscher Richard Florida mit der planmäßigen Entwicklung einer »kreativen Klasse« – Homosexuellen, Medienunternehmern, Künstlern und Hochtechnologie-Entwicklern. Allerdings haben solche Konzepte auch erheblichen Widerspruch hervorgerufen, und im Party-Berlin dieser Tage kann man beobachten, dass ein Leitmotiv wie Klaus Wowereits »Arm, aber sexy« nicht auf Dauer kaschieren kann, dass es eine Stadtverwaltung mit ganz realen Problemen von Verkehrsplanungen, Mietpreis-Steigerungen (»Gentrifizierung«), weltweiten Migrationsfragen oder schlicht politischer Zuverlässigkeit und zumindest mittelfristiger Planungssicherheit zu tun hat. Fashion Weeks und Volksbelustigungen aller Sorten können die Wirklichkeiten einer städtischen Ordnung nur für eine kurze Zeit übertünchen. Es fehlt, knapp gesagt, in solchen Analysen die explizit politische Komponente.
Mit diesem Buch, das an einen Dokumentarfilm für die ARD gekoppelt ist – für beide Projekte wurden zahlreiche Gespräche mit Hannover-Kennern geführt –, soll gezeigt werden, dass sich der Aufstieg des »politischen Hannover« nach 1945, aus den Ruinen einer nahezu vollständig zerstörten Stadt, gerade dadurch begründet, dass Hannover lange Zeit geistespolitisch und historiografisch unterm Radar wirken konnte. Eine merkwürdige Terra incognita auf der Bahnstrecke nach Berlin, hinter Gütersloh, Bielefeld, Minden, Bückeburg und Stadthagen, die umso mehr publizistisch aufgefüllt und hochgejazzt werden konnte. Je weniger Hannover für Außenstehende kenntlich war – vom Bahnhof und dem Messegelände einmal abgesehen –, desto stärker konnten in Hannover residierende niedersächsische Ministerpräsidenten wie Ernst Albrecht, Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel und Christian Wulff bundespolitischen Einfluss reklamieren. Das hat viel mit dem föderalen Neuordnungsprozess der neuen deutschen Bundesrepublik unter der Ägide der alliierten Besatzungsmächte zu tun, wahrscheinlich noch mehr mit dem neuen geopolitischen Gefüge nach 1989, aber vor allem mit einem engmaschigen Zusammenhang von Stadt-, Landes- und Bundespolitik – und der ist in Sachen Hannover einzigartig. Das heißt: Vor allem die Biografien der Ministerpräsidenten, die in der hannoverschen Staatskanzlei regierten, müssen mit dem geistespolitischen »Hannover« in Beziehung gesetzt werden. Denn mit dem Schicksal einer »disparaten Stadt« hadert ja nicht nur Hannover; auch andere deutsche Kommunen wie Köln, Frankfurt am Main oder Duisburg haben mit architektonischen Zerstörungen nach 1945 zu kämpfen, mit den fehlgeleiteten Konzeptionen »autogerechter Städte« – das ganze Ruhrgebiet leidet trotz allen mehr oder weniger erfolgreichen Strukturwandels unter »Imageproblemen« und ist nicht so beschaulich wie Freiburg, Münster, Nürnberg oder Heidelberg. Aber nur Hannover ist auch Sitz einer Landesregierung. Andererseits wäre es unfair, Hannover mit Metropolen wie München, Hamburg oder Berlin zu vergleichen. Es gibt auch, trotz aller statistischen Anstrengungen, bis heute keine naturwissenschaftlich-mathematische Formel für die Bestimmung eines »Stadtgefühls«. Unbestritten ist, dass von Hannover mit seinem welfisch-preußisch-protestantischen Gefüge aus in frappierendem Ausmaß, mit Bundeskanzlern, Vizekanzlern, Ministern und einflussreichen politischen Beamten, die deutsche Politik der Gegenwart beherrscht werden konnte, bis hin zu den SPD-Konzepten der »neuen Mitte«. Über Gerhard Schröder, der während seiner Kanzlerschaft immer kräftig Reklame für seine Wahlheimat Hannover gemacht hat, sagt Giovanni di Lorenzo, einst Gymnasiast in Hannover, in einem der Interviews für dieses Buch: »Hannover sei für ihn eine so tolle Stadt, weil da die Menschen in etwa gleich seien. Also, die Abstände zwischen oben und unten, zwischen bekannt und nicht so bekannt, seien nicht so groß. Jedenfalls glaubt er das ganz fest. Und das gab er auch als besonderen Grund an, warum er sich da so wohlfühlt.«
Mit diesem Egalitarismus und den kurzen politischen Wegen über Parteigrenzen hinweg übt Hannover offenbar eine hohe Integrationskraft aus, die den Aufstieg in die bundespolitische Arena erleichtert. Dabei geht es nur in seltenen Fällen um gebürtige Hannoveraner. Christian Wulff, mit dem der medial-politisch-juristische »Hannover-Komplex« zu einer tragikkomischen Auflösung kam, war zunächst ein Outsider aus Osnabrück. Um ihn und Gerhard Schröder gruppierte sich aber das für die Medien perfekte Casting, mit Hells Angels, Rotlichtgeschichten, publizistisch attraktiven Ehefrauen, Filmpartys und einem megalomanen Milliardär. Man muss allerdings einen gewissen politischen Sinn für Hannover entwickeln, um diesen Hype vernünftig einschätzen zu können – und dabei soll dieses Buch Orientierung bieten.
Der Hannover-Komplex
»Niedersachsen ist nicht Sizilien, in Palermo ist das Wetter besser als in Hannover. Und außerdem sind zwischen Messina und Trapani viel mehr Leute in komische Geschäfte verwickelt als zwischen Wolfsburg und Aurich. Dennoch hat man angesichts der jüngsten Nachrichten in der Sache Wulff so manche Déjà-vu-Erlebnisse, die einen an Romane von Andrea Camilleri erinnern.«
Kurt Kister, Süddeutsche Zeitung, 21. Dezember 2011
»Ich fühl mich so lala hier in Hannover
Ich habe kein Humor und kein Akzent
Man ist ganz gerne Durchschnitt in Hannover
Das ist das typische woran man uns erkennt
Die Frauen sind ganz passabel in Hannover
Man verliebt sich nicht gleich auf den ersten Blick
Man fällt nicht gerne auf hier in Hannover
Man kleidet sich gedeckt, bloss nicht zu schick
Zu hässlich für München, zu dumm für Berlin
zu trendy für Bautzen, zu männlich für Wien
zu pleite für Hamburg, zu reich für Schwerin
Dann komm nach Hannover
Denn da gehörst du hin.«
Aromaboys, »Hannoverlied«, 2002
Hannover, Airport Langenhagen, 30. Mai 2010. Die Flugzeugtür der Lufthansa-Sondermaschine aus Oslo öffnet sich um 15 Uhr 40, etwas verspätet, und es erscheint Lena Meyer-Landrut, 19, eine Papiergirlande mit Deutschlandfarben im Haar, bekleidet mit Jeans und Ringelpullover. Sie hat am Vorabend in der norwegischen Hauptstadt mit ihrem Song »Satellite« den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen, mit weitem Abstand vor dem türkischen Beitrag. Gleich neun Länder haben für »Satellite« mit der Höchstwertung von 12 Punkten gestimmt. Die schwarzhaarige Lena, von den Journalisten mal als erfrischend, fröhlich und unverstellt beschrieben, von anderen wiederum als nervig und allzu aufgekratzt empfunden, kommt in Begleitung ihres Mentors und Multi-Entertainers Stefan Raab, der das Unternehmen ESC-Sieg für den Norddeutschen Rundfunk (NDR) und den Privatsender ProSieben erfolgreich gemanagt hat. Der Sangeswettbewerb, früher unter dem betulicheren Namen »Grand Prix Eurovision de la Chanson« bekannt, hatte sich seit geraumer Zeit zu einem schrilleren, besonders in Schwulen-Communities beliebten Multikulti-Event entwickelt. Verblüffend war aber, dass sich für den Oslo-ESC 2010 die öffentlich-rechtliche Anstalt NDR, seit jeher innerhalb der ARD für die Veranstaltung federführend, mit der Kölner Produktionsfirma Brainpool, Stefan Raab und ProSieben im nationalen Interesse eng verbandelte.
Lena ist Hannoveranerin, Jahrgang 1991, und bei ihrer alleinerziehenden Mutter im Stadtbezirk Misburg-Anderten aufgewachsen. Ihr Vater Ladislas, Sohn des Diplomaten Andreas Meyer-Landrut, hatte Tochter und Mutter verlassen, als Lena drei Jahre alt war. Bei Stefan Raab hatte sich die selbstbewusste, in der Performance und stimmlich begabte Gesamtschülerin (Abitur im Juni 2010), eigenständig beworben. Nach ihrem ESC-Sieg wartet, neben 20 000 Fans und rund hundert herumwuselnden Medienvertretern, auch der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen auf sie, Christian Wulff, damals 50, seit 2003 im Amt. Wulff (CDU) hatte sich schon in ersten bestellten Gesprächsbänden mit und über ihn, als Politiker beschreiben lassen, »der ohne jede Anstrengung und auf die natürlichste Weise Sympathie ausstrahlt und deshalb die Zahl seiner Anhänger täglich vermehrt« – so in der Wulff-Eloge »Deutschland kommt voran« der ehemalige Bonner Helmut-Kohl-Parteisprecher Karl-Hugo Pruys.
Und so trafen an jenem Maitag des Jahres 2010 in Hannover-Langenhagen zwei natürliche Sympathen aufeinander, das neue deutsche Fräuleinwunder Lena mit viel »Na, sichi«, »krass« und »geil«, und der immer wieder als möglicher Merkel-Nachfolger gehandelte Christian Wulff, der schon vorahnend die Parole ausgegeben hatte: »Lena wird wie ein Präsident empfangen werden. Das hat sie verdient.« Elf Limousinen standen zur Abfahrt ins pompöse Hannoversche Rathaus bereit, wo sich Lena in Anwesenheit von Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) ins Goldene Buch der Stadt eintragen darf. »Ich bin überwältigt«, so die junge Künstlerin, »ich kann es selbst kaum realisieren. Das ist fast so geil wie Weltmeister werden! Eigentlich fast noch geiler!« Wulff richtet Grüße von Bundeskanzlerin Merkel aus und macht artig Komplimente: »Die macht ihr Ding, die hat Begabung und die bleibt, wie sie ist.« Genauso wie Wulff eben, seit 2006 mit der von den Boulevard-Medien begeistert analysierten »Tattoo-Betty« Bettina Körner liiert, der Repräsentant der von ihm wenig später ausgerufenen »bunten Republik Deutschland«, zu der auch »der Islam« gehört.
Einen Tag nach Lenas Ankunft in Hannover trat der Bundespräsident Horst Köhler abrupt von seinem Amt zurück, weil er sich von Journalisten und Politikern wie Jürgen Trittin und Thomas Oppermann (beide Angehörige der hannoverschen Politik-Crew) als »Schlossgespenst« oder »Horst Lübke« verhöhnt sah. Wenige Tage später wurde Christian Wulff von Angela Merkel, Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP), also den Parteivorsitzenden der seinerzeit regierenden schwarz-gelben Koalition, zum Kandidaten für das höchste deutsche Staatsamt nominiert – überraschend selbst für professionelle Politikbeobachter, denn zunächst hatte Ursula von der Leyen, Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und Sozialministerin in Merkels Kabinett, als favorisierte Kandidatin für die Köhler-Nachfolge gegolten. Es waren turbulente Tage für Christian Wulff, aber noch wusste er nicht, um es im legendären Aktenzeichen-XY-Stil zu formulieren, dass sich seine bis dahin eher konventionelle Politiker-Karriere mit den vielen Aufstiegskämpfen und Wahlniederlagen, mit späten Triumphen und dem Höhenflug in den Beliebtheitsskalen, schon Ende 2011 in Luft auflösen würde – unter enormen Schmerzen und Beleidigungen bis hin zur völligen psychophysischen Erschöpfung. Wulff hatte bei seinem Lena-Empfang, den er publicity-technisch bis zum Äußersten ausreizte, noch seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, der nächste ESC werde in der »Medienstadt Hannover« stattfinden, doch der NDR, Raab und »Brainpool« entschieden sich ausgerechnet für Düsseldorf. Lena trat da noch einmal an und landete bei diesem Wettbewerb auf einem respektablen Platz 10 im Mittelfeld. Und Hannover wurde auch keine Medienstadt; es dominiert mit der Madsack-Mediengruppe ein mittelständisches Zeitungsunternehmen (»Regional erfolgreich in einem starken Verbund«), 670 Millionen Euro Umsatz, mit einigen kleineren Beteiligungen in den elektronischen Medien. Daneben ein Landesfunkhaus des NDR, das uns im Zusammenhang mit der Amtszeit des Ministerpräsidenten Ernst Albrecht noch beschäftigen wird. Ein Medienunternehmen mit Zukunftstouch ist der Heise-Verlag, 1949 in Hannover als Adress- und Telefonbuchverlag gegründet, heute im Online-Bereich (»Telepolis«) erfolgreich, Umsatz immerhin 120 Millionen Euro. Die ehrwürdige Hahn’sche Verlagsbuchhandlung, gegründet 1792, lange Zeit für regionalgeschichtliche Werke, aber auch für die Monumentae Germaniae Historica verantwortlich, quittierte hingegen 2013 ihr historisches Domizil an der Leinstraße 32 und zog zum Leidwesen historiografisch sensibler Hannoveraner nach Peine um.
Metropole der Stunde. Der Lena-Empfang durch den beseelten Wulff stellt den Höhepunkt des Hannover-Glamours nach 1945 dar. Es war die Stunde der Hannover-Experten. »Ist Hannover unsere ›heimliche Hauptstadt‹«, fragte die Welt am 7. Juni 2010 – »Deutschlands wichtigste Stadt? Wer da diese Woche noch ›Berlin‹, ›Hamburg‹ oder ›München‹ antwortet, macht sich lächerlich. Die Metropole der Stunde heißt Hannover. Grund: Von hier kommt die Eurovisions-Siegerin Lena Meyer-Landrut, aber auch wahrscheinlich der nächste Bundespräsident« – und fügte als weiteres Pop-Element für Hannover noch an: »die Alkoholfahrt der Ex-Bischöfin Margot Käßmann«. Und die Bild aus dem gleichen Springer-Haus sekundierte: »Lessing, Leibniz, Lena. Alle kommen von hier. Jetzt auch noch der neue Bundespräsident?« Selbst die seriösere Frankfurter Allgemeine Zeitung attestierte beflissen: »Der Bär steppt an der Leine«, die Niedersachsen-Kapitale sei »plötzlich der Hotspot Deutschlands«.
Die eigentlichen Hannoveraner, die Gebürtigen, die Kenner der städtischen Verhältnisse, waren verdutzt. Zwar hatte schon nach dem Aufstieg des Wahl-Hannoveraners Gerhard Schröder (SPD) zum Bundeskanzler 1998 eine gewisse Hannover-Publizität auf Bundesebene eingesetzt, aber diese Melange aus Pop, Skandal und Machtpolitik war für die Einwohner der immer wieder klischeehaft als dröge, mittelmäßig und völlig unspektakulär eingeschätzten Landeshauptstadt doch etwas verwirrend. »Deutschland entdeckt mal wieder Hannover«, so resümierte etwas später nüchtern Reinhard Urschel, ein früher Gerhard-Schröder-Biograph von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung im März 2011 (da hatte Hannover 96 gegen Bayern München gewonnen) – »aber warum ist Hannover dazwischen immer wieder scheinbar nur ein weißer Fleck auf der Landkarte?« Und, schon etwas verzweifelt: »Nun ist es also ein Fußballverein mit der Kennziffer 96, der die Welt Anteil nehmen lässt an dem unerforschten Kontinent in der Norddeutschen Tiefebene. Sollte es nicht klappen mit der Champions League, wird dort jemand bei Rot über die Ampel fahren müssen oder so, damit der Flecken Erde nicht dem Vergessen anheimfällt.«
Das Erstaunen der Einheimischen über ihre »Entdeckung« weist in eine interessante Richtung. Die Journalistik als kollektive Neuigkeitenagentur entdeckt Personen, schreibt und sendet sie hoch und runter und manchmal tot, aber sie kann das natürlich auch mit Städten oder (viel seltener) mit Institutionen machen. Dabei geht es nicht um reine Erfindungen; die publizistische Konstruktion muss schon etwas mit wirklichen Abläufen, Netzwerken und Individuen zu tun haben, um nicht völlig unglaubwürdig zu wirken. Aber es bleibt eine selektive Wahrnehmung und Zuschreibung, denn der Glanz der Entdeckung soll vor allem den Entdecker selbst illuminieren. Dieses Prinzip der publizistischen Selektion und des Spotlights funktioniert besonders gut, wenn sich das Objekt der Beobachtung deutlich anders als erwartbar beschreiben lässt – und sich daraus Verblüffungs- und Nachrichtenwerte ergeben.
Die mediale Hannover-Folklore, eine Mischung aus politischer Crime-Story, Partyberichterstattung und Justizaffäre, die sich nach der Nominierung von Christian Wulff zum Bundespräsidenten-Kandidaten entwickelt und sich über seine Berliner Amtszeit, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und das juristische Verfahren hinzieht, also über die Jahre 2010 bis 2014, ist dafür ein guter Beleg. Der Berliner Musikmanager Tim Renner, als »Prinz Pop« im Rang eines Kulturstaatssekretärs später zu Klaus Wowereits maroder Hauptstadt-Administration gewechselt, ahnte hier Böses. In den Tagen nach dem Wulff / Lena-Spektakel schrieb er einen Blogeintrag unter dem Titel »Hannovernication: ›Nichts‹ ist bei weitem nicht genug«. Es drohe nichts weniger als die »Hannoveranisierung der Republik«.
Das Schlimme an Hannover. Ausgerechnet Hannover, ein medialer Aufstieg, der für jeden Berufsberliner besonders beleidigend wirken musste – 1866 hatten die Preußen von Berlin aus das Königreich Hannover völkerrechtswidrig annektiert. Das Schlimme an Hannover sei, so Renner, »dass Hannover nicht einmal schlimm ist. Hannover ist spektakulär langweilig, denn in Hannover regiert Pragmatismus. Egal ob gesichtsloser Städtebau, vor sich hin dümpelnder Fußballclub, ein Komiker wie Pocher, der lacht bevor die Pointe kommt, Hardrocker wie die Scorpions, die damit erfolgreich werden, dass sie als Aerosmith-Imitatoren vor Volkshochschullehrern auftreten: Aufregen mag man sich darüber nicht, hingucken aber auch nicht.« Logischer Reflex für Renner war es, »die Stadt und ihren Output« einfach zu ignorieren – und dann wird es etwas verwirrend, denn das fleischgewordene Hannover-Prinzip verbindet sich für den Berliner Pop-Analytiker ausgerechnet mit Angela Merkel, der es nun auch noch gelungen sei, mit Christian Wulff den letzten Mann aus den Reihen der CDU, der ihr noch gefährlich werden könnte, ins höchste Staatsamt zu bugsieren. Das sei schlicht »die größte Missachtung der Würde des Amtes seit Gründung der Bundesrepublik«. Der Altkanzler Schröder »aus Ostwestfalen«, der ob »seines Mutes zur Veränderung abgewählt« wurde, sitze derweil in Hannover, »gießt Begonien, wirbt für Pipelines, steht aber für Politik nicht mehr zur Verfügung«.
Man merkt, dass in solchen Erzählungen von »Hannover« die Stereotype und analytischen Kategorien durcheinandergehen. Die stilistisch wie dezisionistisch schwer fassbare Bundeskanzlerin aus dem Osten als oberste Geistes-Hannoveranerin; der faktische Politik-Hannoveraner schlechthin, Gerhard Schröder, zählt für Renner im Grunde nicht dazu, wohl aber Christian Wulff, der Katholik aus Osnabrück. Das war »Hannover« als Wille und Vorstellung, und Gegenreaktionen blieben auch nicht aus: »Gerechtigkeit für Hannover!«, forderte die taz. Zwar sei es dort, etwa in der Markthalle, gern als »Bauch von Hannover« etikettiert, »schrecklich bieder und ein wenig schnöselig«, aber das Hannover-Bashing mit all den bekannten Vokabeln wie »Maschsee-Mafia«, »Hannover-Connection« oder »Leine-Klüngel« sei nur eine mediale Konstruktion für »all diejenigen geworden, die immer mit der Stadt abrechnen wollten«.
Die Hannoveraner litten »unter Fremdeinschätzung ihrer Stadt«, so sagt es Jobst Plog, Sohn des HAZ-Chefredakteurs Wilhelm Plog, langjähriger Intendant des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und 1941 in Hannover geboren, im Gespräch für dieses Buch. »Obwohl sie wissen, dass sie zwar in keiner Weltstadt, aber in einer Stadt leben, in der es sich gut leben lässt. Sie trauen sich nicht, das deutlich zu sagen und gegen die Fremdeinschätzung anzugehen. Ich habe immer wieder diese Erfahrung gemacht – Hannoveraner erkenne ich sofort an der Stimmfärbung. Wenn man in Spanien irgendwo am Strand oder in Frankreich einen Hannoveraner trifft, dann kann es einem immer noch passieren, dass man sagt: ›Woher kommen Sie denn?‹ Und dann sagt der oder die: ›Aus der Nähe von Hamburg‹.« Ein- oder zweimal im Jahr, so Plog, bis heute Aufsichtsrat des hannoverschen Madsack-Verlags und der SPD-Medienholding DDVG, wolle sich Hannover zur Global City wandeln, zu Zeiten der Industriemesse oder der »weltgrößten Computermesse« CeBit. »Dann spielen alle Weltstadt, ohne dass es eine gäbe. Das hat so was niedlich Bemühtes. Und noch etwas Besonderes: Hannoveraner sind in einer Weise miteinander verbunden, verkumpelt, die über alle sonstigen politischen Grenzen hinweggeht.« Hartmut Möllring, langjähriger niedersächsischer Finanzminister unter Christian Wulff, ein gebürtiger Hildesheimer, erinnert sich daran, dass mit einer Volksbefragung beinahe noch das Großprojekt der »Expo 2000« verhindert worden wäre, »weil die Angst hatten, dass so viele Fremde in die Stadt kommen«. Dirk Roßmann wiederum, Begründer eines Drogerie-Imperiums und mittlerweile der reichste Hannoveraner (rund drei Milliarden geschätztes Privatvermögen), dachte über geraume Zeit, »also, Hannover ist völlig out. Nicht einmal ein ›Tatort‹ kam aus Hannover … Der große Durchbruch für die Stadt war die Expo 2000, und danach ging es mit den vielen politischen Größen immer weiter. Das finde ich sehr schön.«
Hells Angels & Co. Tatsächlich kann man in der Society Hannovers, wenn man davon sprechen mag, einen gewissen Sündenstolz beobachten, als mit Wulff und Lena eine überregionale Berichterstattung einsetzte, die mit vielen Diagrammen und Netzwerkanalysen die immer gleichen Personen und Milieus in Beziehung setzte: die martialischen Hells Angels im Steintor-Viertel mit ihrem Hannover-Boss Frank Hanebuth und seinem Anwalt Götz von Fromberg – lange Zeit auch Freund und Sozius von Gerhard Schröder –, den Fußballclub Hannover 96 mit seinem autokratischen Vorsitzenden Martin Kind, dem Hörgeräte-Unternehmer, dessen Unternehmen in Großburgwedel gleich neben dem seines Tennispartners Dirk Roßmann liegt. Bettina Wulff arbeitete als Ministerpräsidenten-Gattin bei Roßmann halbtags in der PR-Abteilung. Gerhard Schröder spielt mit Kind und Roßmann Tennis, gern genutzter Treffpunkt: Kinds Fachwerk-Hotel »Kokenhof«, das der Hannover-96-Chef mittlerweile gemeinsam mit seiner Frau nobel-elegant ausgebaut hat, samt verfeinerter Landküche im Angebot. Dann, und vielleicht allen voran, der AWD-»Finanzoptimierer« Carsten Maschmeyer, der für Schröder und Wulff Kampagnen und Buchpublikationen sponsorte. Die Politiker-Riege mit Schröder, Wulff, von der Leyen, Frank-Walter Steinmeier, Thomas Oppermann, Brigitte Zypries und den FDP-Leuten Philipp Rösler und Patrick Döring (der ehemalige Generalsekretär der Freien Demokraten, heute wieder Vorstand der Agila Haustierversicherung AG in Hannover). Dazu einige weitere Wirtschaftsmagnaten wie der schwergewichtige Jürgen Großmann (Georgsmarienhütte) oder der gebürtige Hannoveraner Utz Claassen, Jahrgang 1963, Studium in Oxford und an der Leibniz-Universität, dort 1989 zum Doktor der Staatswissenschaften promoviert, 2003 bis 2007 Vorstandsvorsitzender beim baden-württembergischen Energieversorger EnBW. Auch Claassen war einmal Präsident von Hannover 96 – und beim RCD Mallorca.
Schließlich eine ganze Korona von popkulturellen oder publizistischen Herolden: Klaus Meine von den Scorpions, der langjährige Schröder-Vertraute und Stern-Journalist Heiko Gebhardt, der PR-Fachmann Bela Anda, abwechselnd in Diensten von Schröder, Maschmeyer oder Bild, und Wulffs Medienberater Olaf Glaeseker. In den von Glaeseker mit seinem Freund Manfred »Manne« Schmidt, dem Kölner Veranstalter von »Prominententreffs«, in den Jahren 2007 bis 2009 organisierten »Nord-Süd-Dialogen« (einer wirtschaftsfördernden Gemeinschaftsparty mit Baden-Württtemberg) kulminierte der neue Hannover-Glamour. 2009 wurde die einstige New-Hollywood-Ikone Faye Dunaway, 72, zur Verschönerung des Pseudo-Events in einem abgesperrten Teil des Flughafens Langenhagen eingeladen – versüßt mit, dem Vernehmen nach, 50 000 Euro Honorar (»Spitzenpolitik trifft Hollywood in Hannover«). Wulff, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger, Carsten Maschmeyer und Mercedes-Chef Dieter Zetsche spielten zu viert Tischfußball – »krökeln« auf Hannoversch. Nun konnte man schon den Eindruck haben, die Republik werde stilistisch und machtpolitisch von Hannover aus dominiert, und das hatte den als knarzig, nüchtern und provinziell geltenden Niedersachsen lange Zeit keiner zugetraut. Dieses personelle Netzwerk aus operativer Politik, Beraterwesen, Industrie, Handel und Kultur, lässt sich zwar nicht beliebig, aber doch um viele Akteure ergänzen, die sich im erweiterten »Machtkorridor« (Carl Schmitt) einfanden.
Etwa Jürgen Hogrefe, geboren 1949 in Bergen bei Celle, ursprünglich Lektor mit maoistischer Grundtendenz, Volontär bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), Pressesprecher der frühen Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag (1983–1985), dann Spiegel-Redakteur bis 2003; in seiner letzten Phase beim Nachrichtenmagazin schrieb auch er eine der vielen Gerhard-Schröder-Biografien. Utz Claassen holte ihn zur EnBW Energie Baden-Württemberg AG, von 2003 bis 2009 wirkte er dort als Generalbevollmächtigter. Oder die von Klaedens: Eckart von Klaeden, geboren 1965 in Hannover, Jurist, Korvettenkapitän der Reserve, ehedem Landesvorsitzender der Schüler-Union Niedersachsen und CDU-Bundestagsabgeordneter, wurde 2009 von Angela Merkel zum Staatsminister im Bundeskanzleramt berufen und wechselte direkt aus diesem Amt, nicht unumstritten, als Cheflobbyist zur Daimler AG. Bruder Dietrich von Klaeden, Jahrgang 1966, ist »Head of Public Affairs«, zuständig für »Regierungsbeziehungen«, bei der Axel Springer AG in Berlin. Mit Sandra von Klaeden amtierte eine weitere Verwandte und Juristin von 2010 bis 2013 als Staatssekretärin im niedersächsischen Innenministerium, in den Kabinetten von Christian Wulff und David McAllister. Grafische Veranschaulichungen der Verbandelungen und »Gefälligkeitskonten« sind journalistisch attraktiv, die Vorteile einer engmaschigen Kommunikationssphäre, gewürzt mit ausgeprägtem Underdog-Bewusstsein, werden auch von den Beteiligten nicht bestritten, aber das Prinzip der Milieu-Übertragung hat auch klare analytische Grenzen. Jürgen Trittin hat mit Ursula von der Leyen politisch und privat wenig zu tun, Christian Wulff unterscheidet sich schon stilistisch wesentlich von den Scorpions, Olaf Glaeseker und Frank Hanebuth eint nur das äußerliche Merkmal der Glatzen. Obwohl die »Hannover Connection« begrifflich an die »French Connection« angelehnt ist, spielen die politisch-mafiösen Clans in Marseille oder Nizza, mit Bürgermeistern wie Gaston Deferre, der korsischen Guérini-Sippe, Jean und Jacques Médecin (Letzterer entfloh 1990 mitten aus seinem Amt nach Uruguay) oder Jacques Peyrat in einer völlig anderen Liga – das Ausmaß an »grand banditisme« hielt sich im binnenländischen Niedersachsen in engen Grenzen, glücklicherweise. Immerhin bekam Hannover dann doch noch seinen Tatort, sogar einen Zweiteiler über Mädchenhandel im Zuhältermilieu, mit der Münchener Hubert-Burda-Gattin Maria Furtwängler in der Hauptrolle. Die hannoversche Lokalpresse fragte begeistert bei Götz von Fromberg und Frank Hanebuth nach, wie realistisch die Figurenzeichnung sei.
Götz von Fromberg. Auf einem signifikanten Foto aus dieser Zeit der publizistischen Hannover-Emphase sieht man, chez Fromberg, beim Pils- und Rotweintrinken den damaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz, die niedersächsischen SPD-Spitzenpolitiker Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel, den schlaksig aussehenden Maschmeyer und Michael Frenzel, seit 1988 im Vorstand der Preußischen Bergwerks und Hütten-AG (Preussag), unter seiner Führung zum Touristik-Dienstleister TUI umgemodelt, nicht unbedingt zur Freude aller Anleger. Hartz, Gabriel, Schröder und Frenzel waren mehr oder weniger intensiv mit VW verbunden, auch der TUI-Mann saß dort von 2001 bis 2012 im Aufsichtsrat. Und man sieht den Gastgeber, Götz von Fromberg, 1949 in Hannover geboren, immer dageblieben, nie weggegangen, neben Maschmeyer in allen »Hannover Connection«-Reportagen als der größte Strippenzieher gehandelt – aber im Vergleich zu dem Finanzjongleur der Mann mit der weitaus interessanteren Biographie.
Im Entrée von Frombergs Kanzlei im noblen, mit vielen Gründerzeitvillen bestückten Hindenburgviertel hängen in Glaskästen Boxer-Reliquien von Muhammad Ali, Henry Maske und Dariusz Michalczewski. Ansonsten ist das verwinkelte Anwaltsdomizil mit Kunst von Bruno Bruni und Hannover-96-Devotionalien ausgestattet. Die Räume sagen: Hier residiert niemand, der distanziert außen vor ist, sondern immer mittendrin in allen Hannover-Angelegenheiten. Götz von Fromberg hat viele Spitznamen, »Geheimrat von Hannover«, »der Pate«, »Chef der Frogs« (Friends of Gerd Schröder, aber das war einmal) und »Blutgrätsche«, so benannt nach seinem unnachgiebigen Einsatz als junger Fußballspieler. Als Fünfjähriger sah er schon im Oktober 1954 das Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich, bei der Einweihung des Niedersachsen-Stadions. Fromberg war mit 26 Hannovers jüngster niedergelassener Anwalt, er ist ein fähiger Jurist und guter Geschichtenerzähler, und keiner verteidigt und lobt seine Heimatstadt so wie er. Dabei wird er seiner Rolle als »Geheimrat« voll gerecht. Aber es war vor allem ein Mandat, das ihm bundesweite – und nicht immer erwünschte – Publizität einbrachte: die strafrechtliche Verteidigung von Frank Armin Hanebuth, Jahrgang 1964, dem Ex-Präsidenten des inzwischen eliminierten »Hells Angels«-Chapter in Hannover, Bordellbetreiber, offiziell Security-Unternehmer. Fromberg hat den kahlköpfigen Zwei-Meter-Mann seit 35 Jahren in allen möglichen Gerichtsverfahren vertreten, zuletzt in Spanien, wo Hanebuth und einige weitere Hells-Angels-Kumpane wegen Geldwäsche, Frauenhandel, Bildung einer kriminellen Vereinigung und anderem mehr angeklagt und eine geraume Zeit in Untersuchungshaft waren. »Hanebuth«, so sagt von Fromberg, »ist ein besonderer Mann. Er kommt aus einer sehr soliden, guten Familie. Er hat in Hannover was aufgebaut. Sie müssen sehen: Schlagerparade, dann ein Kneipenviertel, fragen Sie mal in ganz Hannover die Bürger, die haben sich wohlgefühlt, sind da hingegangen. Die Mädchen und die Frauen haben gesagt, da sind wir sicher, so war’s einfach und dazu stehe ich auch.«
Friedensschluss in Hannover. Für Fromberg war Hanebuth, der Ex-Profiboxer, der probate »Ordnungsfaktor« im Steintor-Viertel (ein ziemlich kleines Karree mit vier oder fünf Straßenzügen, direkt neben dem Anzeiger-Hochhaus, mit Lokalen wie der »Sansibar« und dem »Little Italy«) – und das war für den »Geheimrat« nicht ganz unwichtig, denn auch Fromberg hatte hier in Immobilien investiert. An einem befriedeten, für das bürgerliche Amüsement zugänglichen Rotlichtviertel war Fromberg selbst gelegen. Und so organisierte er im Mai 2010 medienöffentlich in seiner Kanzlei den »Friedensschluss« zwischen den Hells Angels, vertreten durch Hanebuth, und den konkurrierenden »Bandidos«, für die Peter Maczollek, Vizepräsident der Bandidos in Europa, angereist war. Es gab Blitzlichtgewitter, der große Fromberg stand zwischen den noch riesigeren Hanebuth und Maczollek, die Rocker reichten sich die Fäuste, und Fromberg verlas eine Art »Presseerklärung«: »Beide Parteien haben vereinbart, zukünftig in friedlicher Koexistenz miteinander zu leben und sich gegenseitig zu respektieren und zu achten, ohne dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt«. Mit den Messerstechereien oder Schusswaffen-Attacken sollte jetzt, jedenfalls untereinander, Schluss sein. Fromberg fand seinen Einsatz als Milieu-Mediator segensreich für Hannover und ihn selbst, Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sah das Abkommen als »reines Medienspektakel«. Und auch ein Sprecher des Landeskriminalamts Hannover vermutete, das Ganze sei nur öffentlich inszeniert worden, um die Diskussion über ein Verbot der Bikerbanden zu beeinflussen.
Zwei Jahre später schlug gar die GSG 9 im Rahmen einer bundesweiten Aktion zu. Per Mannschaftshubschrauber seilte sich die Elitetruppe über einem mit Stacheldraht und massivem Holztor gesicherten Grundstück in Bissendorf-Wietze bei Hannover ab, dem Privatdomizil von Hanebuth. Bei der Aktion wurde auch medienwirksam ein Hund Hanebuths erschossen, weil die GSG 9 Informationen über die gefährlichen Kampfhunde des Höllenengel-Chefs hatte. »Das war kein Kampfhund, das war so ein türkischer Schäferhund«, stellt Fromberg klar. »Aber Hanebuths Sohn hat das alles miterlebt, und dann hat er gesagt, was mache ich jetzt, wo gehe ich hin? Mein Sohn hat keine Ruhe mehr, hat auch in der Schule Probleme. Da hat er sich überlegt, nach Spanien zu gehen. Das war eine, wie man heute weiß, große Fehlentscheidung.«
Nach eigenen Angaben hatte Hanebuth, auf der Flucht vor der deutschen Polizei, nur ein Mallorca-Chapter der Hells Angels gründen wollen und sich für den Kauf des Bordells »Globo Rojo« interessiert (»die Preisvorstellungen waren absurd«). Anwalt Fromberg geht davon aus, sein Mandant, in Spanien »El Largo« genannt, sei auch deshalb im Juli 2013 auf der Finca eines Freundes auf Mallorca verhaftet worden, weil er die Kreise der mallorquinischen Mafia gestört habe. Nach satten zwei Jahren Untersuchungshaft bekam Fromberg, gemeinsam mit einem spanischen Kollegen, »El Largo« einstweilen wieder frei, bis zur offiziellen Anklage. Hanebuth, der in der Haft als Boxtrainer arbeitete: »Das Gefängnis habe ich gut überstanden, ich bin ja nicht aus Zucker.«
Frombergs Familie. Fromberg heute: »Hanebuth fehlt an allen Ecken und Enden«, das Rotlichtviertel sei inzwischen trostlos: »Früher, also vor zwei Jahren, war es richtig top. Da können Sie mit meiner Tochter sprechen oder meiner Frau: Die sind da alleine hingegangen, haben abends gefeiert, sind in den Lokalen gewesen. Auch die Frauen aus meinem Büro. Heute haben sie Angst. Heute geht’s wieder los mit K.-o.-Tropfen, Drogen und so weiter.« Dem massigen und flamboyanten Anwalt war es lange Zeit gelungen, das Steintor-Viertel mitsamt dem Hells-Angels-Business in der hannoverschen Heimatpresse als harmlose Touristenattraktion zu verkaufen; intensiveren Recherchen zu Hanebuth & Co. widmete sich in mehreren Dossiers allenfalls Christine Kröger, eine Journalistin des Bremer Weser-Kuriers. Es wäre aber falsch, Fromberg nur auf die Rolle eines regionalen Milieu-Anwalts zu reduzieren, obwohl er auch Rechtsberater von Luxusbordellen, wie dem »Chateau am Schwanensee« in Isernhagen war. Die Prestige-Presse interessierte sich für ihn vor allem wegen seiner langjährigen, inzwischen eingeschlafenen Freundschaft mit Gerhard Schröder oder anderen SPD-Größen wie Sigmar Gabriel oder Bodo Hombach.
Er selbst sieht das Medienspektakel mit Hanebuth und Maczollek heute, nolens volens, eher kritisch. Fromberg ist von altem schlesischem Adel, sein Vater hieß auch Götz – Götz Arthur Maria von Fromberg, geboren 1893 in Osnabrück. Er war der Leibpage des Prinzen Oskar von Preußen, auch »Investiturpage« von Hindenburgs, bekam als Frontkämpfer nach der Schlacht von Tannenberg das Eiserne Kreuz Erster Klasse. Dann leitete er nach dem Ersten Weltkrieg die Abteilung Kunst und Antiquitäten des Kaufhauses Wertheim in Berlin, arbeitete auch als Wertheim-Bevollmächtigter in den USA, trat aber nach einer Phase mit unsicheren Jobs 1930 in die NSDAP ein, vorher gehörte er der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an. Zuletzt war Frombergs Vater (Beurteilung durch die Vorgesetzten 1944: »Geistig sehr beweglich, von großer Spannkraft und raschem Entschlussvermögen, einwandfreier Charakter mit nationalsoz. Haltung und Streben«) Leiter der Abteilung Kunst und Kulturwesen des Deutschen Heeres im OKH in der Bendlerstraße, unter anderem, wie seine Personalakte im Bundesarchiv belegt, mit der »praktischen Durchführung von Innenraumgestaltungen repräsentativer Räume des Heeres beauftragt«.
Frombergs Mutter, die Vater Götz 1943 in zweiter Ehe heiratete, war wohlhabend, die Familie besaß eine Superphosphat-Fabrik in Oschersleben. Die Mutter habe auch, so erinnert sich Götz von Fromberg der Jüngere, als Vorzimmerdame von Generaloberst Blaskowitz in Paris gearbeitet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs landeten die Frombergs in Hannover, der Vater arbeitete als freier Innenarchitekt und Inhaber eines Antiquitätenladens in der Kramerstraße. Er starb 1965 an einem Herzinfarkt. Da war Götz von Fromberg sechzehn Jahre alt. Er boxte sich durch, studierte; unter den jungen Referendaren, die sich in der Freizeit zum Fußballspielen trafen, war auch Gerhard Schröder. Später, nach der Trennung von »Hillu« Hampel und vor der neuen Ehe mit Doris Köpf, wohnte Schröder drei Monate lang bei Fromberg und dessen Frau: »Er gehörte praktisch schon zur Familie. Wir haben uns gefreut, wenn er abends nach Hause kam, dann haben wir noch einen Rotwein zusammen getrunken. Er konnte mit Technik nicht umgehen, hat unsere Alarmanlage immer schön ausgelöst. Morgens stand ich dann senkrecht im Bett, wenn die Alarmanlage losging. Da hatte er keinen großen Sachverstand.«
Ein entscheidender Fall für den Aufstieg des Anwalts Fromberg war die Affäre Düe in Hannover. Das Geschäft des Prominenten-Juweliers René Düe war 1981 überfallen worden, den Juwelier selbst fand man bewusstlos auf. »Weil Düe den Tätern selbst die Tür öffnete«, so resümierte der Spiegel, »der Tresor offen stand und er dem Privatagenten Werner Mauss, 60242010
»Es gab überhaupt nichts zu verbergen, deshalb wurden die Fotos gemacht, es gab kein Problem. Das ist erst viel später draus gemacht worden. In Wirklichkeit war es ein verspäteter Jugendgeburtstag, wo ich alles umgesetzt habe, was ich mir früher gewünscht habe. Tischtennis, Krökeln, Flipper, Billardtisch. Dann gab’s irgendwann den berühmten Fromberg’schen Fünfkampf … Das hat sich auch so herauskristallisiert, dass die Männer, die da waren, das unheimlich gut gefunden haben. Manche konnten super Tischtennis spielen, manche konnten sehr gut krökeln. Jeden, den Sie fragen, der wird immer sagen: das war einfach ein herrlicher Spaß. Und auch nichts Luxuriöses, in einem einfachen Partykeller. Und Essen und Trinken immer sehr rustikal, schönes Bier, schönes Kölsch auch, Veltins, mein Lieblingsbier, Bouillonwürstchen, Kartoffelsalat, sowas alles.«
»Erbfreundschaften«. In Frombergs Partykeller dominierten große Jungs mit SPD-Attachierung. In einem einflussreichen Kurztext in seinem Blog (»Sprengsatz«) beschrieb der Politikberater Michael Spreng im August 2010 ein anderes typisch hannoversches Phänomen: die niedersächsischen »Erbfreundschaften« über Parteigrenzen hinweg – ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert, der vor allem gegen die deutsch-französische »Erbfeindschaft« entwickelt worden war. Spreng, ein beliebter Talkshow-Erklärer bei ARD und ZDF, gebürtiger Hesse, Pfadfinder, ehemals Chefredakteur des Kölner Express und von Bild am Sonntag, hatte in Wahlkämpfen die CDU / CSU-Politiker Edmund Stoiber und Jürgen Rüttgers beraten, keine einfachen Klienten. Spreng war erkennbar kein Freund der Wulff-Präsidialkandidatur 2010. In Niedersachsen gebe es viele gewachsene Traditionen, so Spreng, »von den Schützenfesten bis zum Lüttje-Lage-Trinken«, relativ neu sei aber die Erbfreundschaft: »Freundeskreise eines Ministerpräsidenten werden weitervererbt an den Nachfolger – unabhängig von der politischen Couleur.« So seien fast alle »Friends of Gerd« auch Freunde von Christian Wulff geworden, von TUI-Frenzel über RWE-Großmann bis zu AWD-Maschmeyer und den Scorpions, »und viele andere mehr. Und jetzt werden sie wahrscheinlich weitervererbt an Wulffs Nachfolger David McAllister«. Das war eine Fehlprognose: Bei McAllister hörten die »Erbfreundschaften« schlagartig auf. Kurze Zeit nach Spreng legte die FAZ mit einem längeren Artikel über die »Erbfreundschaften von Hannover« nach.
Robert von Lucius, langjähriger Niedersachsen-Korrespondent der FAZ und als Mitglied der Heidelberger schlagenden Verbindung Saxo-Borussia mit bündischen Strukturen vertraut, referierte eher vorsichtig: »Ein vergleichbares Netz aus Erbfreundschaften gibt es in anderen Landeshauptstädten nicht, glauben manche. Der Kreis von Unternehmen mit genügend eigenem Geld sei klein. Und in Hannover, im Vergleich etwa zu Hamburg oder München, verteile sich weniger Glanz auf noch weniger Raum.« Kapital, Politik und Prominenz begegneten sich beim Ball des Sports, bei Empfängen des Verlagshauses Madsack, beim Opernball, bei den Sommerpartys von Maschmeyer und beim Saisonabschluss von Hannover 96. Und natürlich bei den »in Hannover legendären Herrenabenden in Frombergs Partykeller«. Christian Wulff sei vor allem durch seine zweite Ehe bei Maschmeyer & Co. eingemeindet worden (»Bettina Wulff trifft sich häufig mit Frau Ferres«), dies stoße bei »bürgerlichen Politikern in Wulffs alter Heimat Hannover« auf Unverständnis. Fromberg war über den FAZ-Text nicht amüsiert (»den negativen Touch, den hat der von Lucius da reingebracht«). FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher schickte im November 2010, das war kurz vor der Wulff-Skandalisierung, noch einmal einen jüngeren Kollegen, Philip Eppelsheim, zu Sondierungen nach Hannover. Mit Eppelsheim kam Fromberg besser zurecht, er traf sich mit ihm, bekam später auch noch ein Extra-Interview in der FAZ (»Es gibt keine Maschsee-Mafia«). Eppelsheim erhielt im Steintor-Viertel auch eine kurze Audienz bei Frank Hanebuth, in der Sansibar und im Little Italy, mit knappen biographischen Auskünften (»Ein-Satz-Antworten«, »Ein-Wort-Sätze«). Der Artikel war als szenische Reportage süffig geschrieben (»Von Frombergs Handy klingelt. Hanebuth ruft an. ›Der ist gerade hier‹, sagt von Fromberg. ›Wie ist es bei dir gelaufen?‹ Dann ist das Telefonat beendet.«) Vor allem aber: »Der Aufenthalt im Steintor-Viertel war wirklich aufschlussreich. Auch weil mir ein Gesprächspartner aus der Szene – sein Name bleibt hier unerwähnt – einen väterlichen Rat mitgab: Ich soll vorsichtig sein mit dem, was ich schreibe. Man habe so schnell ein Messer im Rücken. Ich sei doch jung. Ich wolle doch noch ein schönes, langes Leben. Manche Leute seien unberechenbar. Die könnten schon für 5000 Euro jemanden umbringen lassen.«
Zwei Tage nach der Veröffentlichung des Von-Lucius-Artikels war in der Frankfurter Redaktion der FAZ ein anonymer Brief eingegangen, mit einem transparenten Umschlag, adressiert an von Lucius. Inhalt: 10 000 Euro in bar, in 500-Euro-Scheinen. Herausgeber Schirrmacher war nun erst recht von der Sache fasziniert, auch seit längerem von Bettina Wulffs Tattoo. Woher mochte das kommen? Vielleicht von den Hells Angels? Schon am 4. Juli 2010 hatte er einen Artikel unter dem Titel »Die perforierte Republik« ins Blatt rücken lassen, mit der Eingangsfrage, wie viel geritzte Haut das Schloss Bellevue verkrafte, der in den Sätzen gipfelte: »Früher hatten Gesellschaften eine Zone der Ausgeschlossenen, in denen Verbrecher, Sträflinge, Zuhälter, Nutten, Hafenarbeiter, Seeleute, Vagabunden ihr gegenbürgerliches Zuhause hatten; die Mehrheit kam mit dieser Zone normalerweise nicht in Berührung. Dort erkannte man sich an den Tätowierungen. Die Halb- und Unterwelt grenzte sich so von der bürgerlichen Mehrheit ab; die Tätowierungen stellten aber auch sicher, dass keiner in die Mehrheitsgesellschaft abwandern konnte. Loyalitätserzeugung durch Stigmatisierung. […] Selbst wenn der Bundespräsident es ›cool‹ findet, es bleibt ein Import aus der Unterwelt.« Mit Texten wie solchen entdeckte die FAZ ihre großbürgerliche Frankfurter Vergangenheit wieder, gegen die obskure norddeutsche Tiefebene. Ausgerechnet das supernormale Hannover galt nun als mafiöses Sodom, als politisch-ökonomischer Sumpf samt gegenbürgerlicher Unterwelt und greller Rotlichtbeleuchtung, während im Frankfurter Bankenviertel obskure Geschäfte von ganz anderer Größenordnung liefen. Es gibt zudem die bekannten journalistischen und soziologischen Darstellungen der kommunalen »Kölner Klüngels« oder des Westberliner Subventionssumpfs vor der deutsch-deutschen Vereinigung. Die Einzigartigkeit des »Hannover-Komplexes« lässt sich mithin nur durch eine stärkere Gewichtung geschichts- und landespolitischer Faktoren erklären; vor allem durch zunächst profane politische Prozesse wie Landtagswahlen, Koalitions- und Kabinettsbildungen und eben den bundespolitischen Einfluss der jeweiligen Ministerpräsidenten. Dass hier manche schillernden Verbindungen in andere »Milieus« und mediale Verstärkereffekte von einzelnen Akteuren gerne aufgenommen und auch kalkuliert wurden, steht außer Frage.