GRACE
Mit ihrer Verwandlung hatte sie heimlich begonnen, gleich nach dem ersten Januar, und das in Erwartung genau dieses Tages.
Des Tages von Bentons Rückkehr.
Sie hatte angefangen, im Fitnessstudio an Spinning-Kursen teilzunehmen, und fast zehn Kilo abgenommen – das meiste davon Gewicht, das sie vor der Geburt der Zwillinge zugelegt hatte und nie so recht wieder losgeworden war. Jetzt war sie zwei Kleidergrößen schlanker. Außerdem hatte sie ihrer Friseurin Ann endlich erlaubt, das Grau aus ihrem Scheitel zu entfernen und ihre dunklen Haare vorn mit kastanienbraunen Strähnchen aufzufrischen. Und die viele Zeit, die sie draußen bei kleineren Gartenarbeiten und mit den Hühnern verbrachte, hatte ihrem Gesicht den Schimmer der ersten Frühlingssonne verliehen.
Sie hatte sich seit Jahren nicht so attraktiv gefühlt.
Madeline hatte am Samstagabend, als sie alle im American Seasons essen gewesen waren und sie im Waschraum neben Grace stand, bei ihrem Anblick im Spiegel gesagt: »Du siehst scharf aus, Süße. Richtig umwerfend.«
Eddie hatte den Gewichtsverlust bemerkt (»Du siehst gut aus, Gracie – dünn«), nicht aber die Haare, und den Mädchen waren die Haare aufgefallen (»Strähnchen«, hatte Allegra gesagt, »klasse Entscheidung«), nicht aber Graces neue, grazile Figur, was Grace nicht überraschte. Eddie war beschäftigt mit seinem Häuserprojekt, Hope mit der Schule und ihrer Flöte, Allegra mit ihrer Romanze mit Brick Llewellyn und ihrer potenziellen Model-Karriere. Für die drei war Grace Ehefrau, Mutter, Köchin, Haushälterin. Sie war Züchterin von Hühnern und Lieferantin von Bio-Eiern und mit ihrer »ständig wiederkehrenden Migräne« die ewig Kranke. An jedem Sonntagmorgen und manchmal auch an Abenden unter der Woche war sie Eddies Geliebte. Grace wusste, dass ihre Familie sie liebte, aber sie stand nicht mehr im Mittelpunkt ihres Lebens wie zu Beginn ihrer Ehe, als die Mädchen noch klein gewesen waren.
Hatte sie das Gefühl, für sie selbstverständlich geworden zu sein? Sicher, ein bisschen schon. Sie vermutete, dass sie wohl kaum die einzige Ehefrau und Mutter war, die so empfand.
Um Punkt zehn Uhr bog Bentons großer schwarzer Pick-up in die Einfahrt, und Graces Ohren fingen an zu kribbeln. Sie würden sich rosa verfärben, ein deutliches Zeichen dafür, dass sie nervös war. Sie hatte eine Schwäche für Benton Coe, eine harmlose Schwäche, die nie zu etwas führen würde, denn Benton hatte eine Freundin namens McGuvvy, und Grace war schließlich verheiratet.
Sie beobachtete, wie er aus dem Wagen stieg. Sah er verändert aus? Nein, er sah aus wie letztes Jahr. Groß, groß, groß – mindestens zwanzig Zentimeter größer als Eddie – und mit den Schultern eines Königs oder Eroberers. Er hatte rötlich braune Haare, die sich unter seiner roten Buckeyes-Kappe hervorkräuselten, und Lachfältchen um seine braunen Augen. Er trug seine übliche Frühjahrsuniform, ein marineblaues Kapuzensweatshirt mit einem vierblättrigen Kleeblatt – dem Logo von Coe Designs – darauf und Arbeitsstiefel. Er war leicht gebräunt, weil er den Winter in Marokko verbracht hatte.
Sie waren Freunde. Sie hatte ihn vermisst. Grace lief an die Tür, um ihn zu begrüßen.
»Benton!«, sagte sie.
Als er sie sah, schaute er so überrascht drein, dass Grace das Herz aufging.
»Meine Güte, Grace«, sagte er. »Wie du aussiehst … wow! Einfach wow. Ich bin sprachlos.«
Sie trat hinaus auf die Veranda und umarmte ihn fest. Er war so stark, dass er sie mit Schwung hochhob. Und dann lachten sie beide, und Benton setzte sie wieder ab.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er.
»Gleichfalls«, sagte sie.
Sie starrten einander an. Grace wusste nicht, ob dies eine romantische oder eine peinliche Situation war. Peinlich, befand sie. Sie waren Freunde, da sollte doch ein unbeschwertes Gespräch möglich sein. Sie würde nicht den ganzen Sommer über mit diesem Mann zusammenarbeiten können, um ihre gemeinsamen Ziele zu erreichen, wenn sie sich wie eine vom Blitz getroffene Dreizehnjährige benahm. Sie musste sich zusammenreißen!
»Danke für die Postkarten«, sagte sie.
»Du hast sie bekommen?«, fragte er. »Bei Post aus dem Ausland weiß man ja nie.«
»Vier oder fünf habe ich gekriegt«, sagte Grace in bemüht beiläufigem Ton. Diese Postkarten, fünf an der Zahl, sicher in ihrer Unterwäscheschublade verwahrt, hatten ihre kleine Schwäche den kalten, grauen Winter über verstärkt.
Benton Coe. Sein Ruf eilte ihm voraus: der talentierteste Landschaftsarchitekt auf Nantucket, obwohl er kaum vierzig war. Als Grace ihn für sich gewonnen hatte, war er seit fünf Jahren auf der Insel, ursprünglich im Dienste der Nantucket Historical Association NHA, um deren vierundzwanzig Liegenschaften auf Vordermann zu bringen. Davor hatte Benton Coe Gärten in Savannah, Georgia, und Oxford, Mississippi, gestaltet – Orte mit so üppigem Pflanzenwuchs, meinte er, dass man dort das Gras wachsen hören könne. Er hatte seine Kindheit in Youngstown, Ohio, verbracht und dann das College der Ohio State besucht, wo zahlreiche Jobs auf dem Campusgelände seine Liebe zur Natur gefördert hatten. Dann hatte er ein Semester in Surrey absolviert und schwärmte heute noch für englische Gärten. Unvergleichlich nannte er sie Grace gegenüber. Die Briten seien gut in der Beherrschung der Welt, aber noch besser, wenn es um Phlox, Fingerhut, Buchsbaum und Rosen gehe.
Als Benton Coe mit den NHA-Grundstücken fertig war – mit denen er bei jeder Gartenbau- und Landschaftspflegeorganisation in New England Preise gewann –, stand er hoch im Kurs. Er gestaltete Gärten für die Amsters draußen in Dionis und für die Kepplings in Shimmo – Arbeiten, die Grace dank ihres Engagements für den Nantucket Garden Club das Glück hatte zu bewundern.
Als Eddie das Haus in Wauwinet samt den umliegenden zwölftausend Quadratmetern kaufte, bekam Grace endlich ihre Chance. Sie heuerte Benton Coe an.
Sie waren von Anfang an auf einer Wellenlänge gewesen. Im letzten Sommer hatten sie Rasen gesät und Beete abgesteckt, sie hoben eine Grube für den Swimmingpool aus, fliesten und befüllten ihn, bauten einen Steg über den Bach. Benton überwachte die Errichtung des Gartenschuppens und des Hühnerstalls. Täglich waren fünfzig Beschlüsse zu treffen. Normalerweise wurde Benton von seinen Kunden freie Hand gelassen. Doch er gab zu, dass er die Zusammenarbeit mit Grace genoss. Das mache mehr Spaß, als alles allein zu entscheiden. Es sei stimulierend, mit jemandem Ideen umzusetzen, dessen Empfinden so gut mit seinem eigenen harmonierte.
Grace war bezaubert von Benton Coes Wortwahl. Empfinden. Hatte irgendjemand schon einmal Graces Empfinden zu würdigen gewusst? Ihren Sinn für Ästhetik? Ihren Geschmack? Ihre Instinkte? Nein, sie glaubte nicht. Sie war eine pflichtbewusste Tochter und Enkelin gewesen, eine duldsame Schwester, eine fleißige Schülerin, eine halbwegs annehmbare Kellnerin, eine ergebene Ehefrau und Mutter und eine außergewöhnlich gute Freundin. Aber hatte irgendjemand – einschließlich Eddie, einschließlich Madeline – schon einmal Graces Empfinden bewundert?
Harmonieren: Das war ein so treffendes Wort, ein so reizender und liebevoller Ausdruck dafür, wie gut Grace und Benton zueinander passten, sich verstanden und ergänzten, mühelos und ohne Missklänge, Streit oder Konflikte.
Der Begriff stimulierend war für Grace so stark sexuell besetzt, dass sie gar nicht richtig darüber nachdenken konnte.
Gegen Ende des letzten Sommers gestand Benton ihr, dass der Höhepunkt seiner Tage immer der Besuch bei Grace draußen in Wauwinet gewesen sei. Er sagte, der Grund dafür, dass er nie seinen Manager Donovan mitgebracht habe, sei der, dass er dieses Projekt für sich allein behalten wolle.
Grace hatte verstanden und begonnen, jedes Mal, wenn sein schwarzer Pick-up in die Einfahrt bog, ein Flattern in der Brust zu verspüren.
Benton schaute montags bis freitags jeden Morgen um zehn Uhr vorbei, auch wenn es nicht erforderlich war. Manchmal blieb er nur zehn Minuten, lange genug für ein schnelles Tête-à-Tête, auch so ein Wort, das Grace liebte. Sie stellte sich dabei vor, wie sich ihre Gesichter berührten, wie sie sich küssten.
Aber das geschah nur in ihrer Fantasie.
Der Herbst kam, wie immer, und sie brachten den Garten zu Bett. Dann war es Winter, und Benton brach zu seiner Reise auf. Die erste Postkarte traf aus Casablanca ein, abgestempelt am 4. Januar, dem Tag seiner Ankunft. Zwei Wochen später kam eine aus Essaouira an der Küste, eine Woche später eine aus Agdz in der Wüste, zwei Wochen später eine aus dem Ourika-Tal im Atlasgebirge. Auf allen stand dasselbe: Sieh dir das an! XO, Benton.
Zwanzig Tage verstrichen ohne Postkarte, und Grace nahm an, dass Benton sie vergessen hatte, oder womöglich war seine Freundin McGuvvy ihn besuchen gekommen. Doch dann traf eine Karte aus Marrakesch ein, auf der Mit Abstand mein Lieblingsort. Ich wünschte, du könntest sehen, was ich sehe. XO, B zu lesen war.
Diese Karte ließ Graces »Empfinden« voll entflammen; sie studierte sie tausendmal und benutzte sie als Lesezeichen in dem Roman, den sie gerade las, Himmel über der Wüste von Paul Bowles, den sie sich ausgesucht hatte, um dem Umherstreifen in Soukhs und dem Durchqueren der Sanddünen von Nordafrika möglichst nahe zu kommen.
Sie dachte endlos über Bentons veränderte Wortwahl nach. Ich wünschte, du könntest sehen, was ich sehe. Die Skeptikerin in Grace behauptete, dies sei nur eine Variante des altbekannten Ich wünschte, du wärst hier. Doch die in ihr erblühende Romantikerin stellte sich ein Tête-à-Tête vor, bei dem sich ihre Köpfe aneinanderschmiegten, ihre Augen dasselbe erblickten, ihr Empfinden miteinander harmonierte.
Es gefiel ihr sehr, dass er Benton zu B abgekürzt hatte.
Grace hatte die Postkarten alle in ihre oberste Kommodenschublade zu ihren Höschen, BHs und schwarzen Seidenpyjamas gelegt.
»Kann ich dir was zu trinken holen?«, fragte sie jetzt.
Benton schnippte mit den Fingern. »Verdammt, ich habe unterwegs was für dich gekauft, es aber heute zu Hause vergessen. Ich bringe es morgen mit.«
»Du musstest mir doch nichts mitbringen«, sagte Grace. Ein Geschenk aus Marokko! Ihre Gedanken rasten. Sie sah die hauchdünnen Haremshosen vor sich, die Bauchtänzerinnen tragen. Sie sah silberne Fingerzimbeln, mit Quasten verzierte Seidenkissen in satten, leuchtenden Farben, Kästchen aus astigem Holz mit Geheimfächern. Sie sah eine Wasserpfeife voller Erdbeertabak. Sie sah exotische Öle und duftende Gewürze – Safranfäden, Zimtstangen, Kardamomkapseln. Sie sah wieder die Bauchtänzerin vor sich. Benton hatte ihr ein Geschenk gekauft!
»Hast du all deinen Kunden Geschenke mitgebracht?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er. »Nur dir.«
Nur ihr! Sie machte praktisch einen Rückwärtssalto in den Garten.
Sie verbrachten fast eine Stunde mit der Inspektion jedes Teils von Graces Grundstück, bei der sie mögliche Veränderungen und Verbesserungen erörterten. Sie fingen ganz hinten an, wo die Adirondack Chairs mit Blick auf den Polpis Harbour standen – dessen Wasseroberfläche jetzt noch einer kalten Stahlplatte ähnelte –, und spazierten dann über die Grashügel zum Swimmingpool und zum Whirlpool (beide noch abgedeckt, obwohl Grace und Eddie den Whirlpool eines späten Abends im Januar benutzt hatten, als das Häuserprojekt noch im Zeitplan lag und Eddie entspannter war). Sie verweilten beim Tulpenbeet – Bentons Baby – und bei den Rosensträuchern, aus denen im Laufe des Winters ein dorniges Wirrwarr geworden war.
»Es wird«, sagte Benton und berührte Grace leicht am Rücken, sodass es ihr wie elektrischer Strom die Wirbelsäule hinauf bis in den Nacken schoss. »Ich glaube, dieses Jahr ist unser Jahr.«
Sie hatten ein gemeinsames Ziel: Beide wünschten sich ein Fotoshooting für ein größeres Magazin. Benton bevorzugte Classic Garden, Grace dagegen schwebte eine Doppelseite in der Haus-und-Garten-Beilage der Sonntagsausgabe des Boston Globe vor. Sie hatte Eddie überredet, eine Pressefrau anzuheuern, Hester Phan, der er ein kleines Vermögen bezahlte – aber nur so konnte Grace der Öffentlichkeit ihre und Bentons Zusammenarbeit präsentieren.
»Lass uns noch mal in den Schuppen gucken«, sagte Benton. »Ich habe ihn vermisst.«
Grace entriegelte die Tür. Benton ließ sie vorgehen und folgte ihr. Der Raum war eng mit ihnen beiden darin; Grace fürchtete, Benton würde ihr Herz klopfen hören.
Der Gartenschuppen war nach dem Vorbild des traditionellen Wohnhauses auf Nantucket erbaut: graue Holzschindeln mit weißen Zierleisten. Innen war er mit einer Arbeitsfläche aus Speckstein und einem breiten kupfernen Ausgussbecken ausgestattet. An der Wand gegenüber hingen an Pflöcken Graces Harken, Hacken, Spaten, Pflanzenheber und Scheren. Es gab eine handgefertigte Umtopfbank aus Kiefernholz und Borde für Graces Sammlung von Gießkannen und Ziertöpfen. Über dem Ausguss stand auf einem Schild: Ein Garten ist keine Sache auf Leben und Tod. Er ist weitaus wichtiger. Der Schuppen hatte einen seitlichen Anbau, der den Aufsitzmäher und drei Rasentrimmer enthielt. Obwohl Grace Benton eingestellt hatte, erledigte sie alle regelmäßig anfallenden Gartenarbeiten selbst – das Mähen, das Jäten, das Mulchen, das Beschneiden und Ausputzen der Pflanzen. Zusammen mit der Versorgung der Hühner und dem Verkauf ihrer Bio-Eier war dies ein Vollzeitjob. Er war Graces Leidenschaft.
Der Schuppen war das Kronjuwel der ganzen Anlage. Ein Garten war ein Garten war ein Garten, aber Zeitschriftenredakteure liebten Ziegelsteine und Mörtel. Sie wünschten sich einen Raum, der klar strukturiert und aufgeräumt war und zugleich drollig wie die Werkstatt des Weihnachtsmanns.
Grace und Benton standen sich gegenüber, die Hüften an den Rand des Ausgussbeckens gelehnt. Benton war so groß, dass seine Haare die Deckenschräge streiften. Graces Ohren leuchteten rosa, das spürte sie.
Benton holte übertrieben tief Luft. »Ich liebe es, wie es hier riecht«, sagte er. »Nach gemähtem Gras und Blumenerde.«
Grace liebte es auch, wie der Gartenschuppen roch. Sie liebte es mehr als fast alles andere auf der Welt.
»Möchtest du zu den Hühnern?«, fragte sie. »Du weißt, dass sie sich für dich in Ekstase gackern.«
Benton lachte. Die Haut an seinen Augen kräuselte sich. Graces Ohren brannten wie glühende Kohlen. »Ich muss los, fürchte ich«, sagte er. »Sachen erledigen, Leute treffen.«
Leute treffen. Schon diese harmlose Wendung machte Grace eifersüchtig. Ihr Gesicht musste ihre Enttäuschung gezeigt haben, denn Benton sagte: »Keine Sorge, Grace. Wir haben den ganzen Sommer vor uns.«
Grace war immer noch ganz benommen – und hatte deshalb versehentlich zwei von Hillarys Eiern zerbrochen –, als die Zwillinge aus der Schule kamen.
Hope trat als Erste ins Haus, ihren Flötenkasten in der Hand. Dann folgte Allegra, die nur ihre tausendzweihundert Dollar teure Hobo Bag von Stella McCartney bei sich trug, die sie Eddie abgeschwatzt hatte, als sie anlässlich des Interviews bei der Model-Agentur zusammen in Manhattan gewesen waren. Kein Buch oder Heft in Sicht, weshalb Allegra auch nur Dreier im Zeugnis hatte. Eddie ließ ihr das durchgehen, weil er selbst die New Bedford High School mit Dreiern abgeschlossen hatte, und man schaue sich nur an, wie erfolgreich er heute war! Grace schüttelte den letzten Rest der unangemessenen Gefühle ab, die sie für Benton Coe gehegt haben mochte, und konzentrierte sich auf ihre Töchter, ihre Sonne und ihren Mond. Allegra war die Sonne – hell strahlend, heiß – und Hope der Mond – sanft, friedlich, unergründlich. Grace bewunderte Allegra ein bisschen mehr, weil … na ja, weil sie Allegra war. Und für Hope verspürte sie mehr Fürsorglichkeit, weil sie Hope bei der Geburt beinahe verloren hatten.
»Hallo, ihr Süßen«, sagte Grace und versuchte, beide Mädchen gleichzeitig zu umarmen, doch die vollführten einen perfekt synchronisierten Ausfallschritt – Allegra nach links, Hope nach rechts – und strebten auf ihre Zimmer zu, wo sie hinter geschlossenen Türen bis zum Essen bleiben würden.
Heute Abend würde es Quiche Lorraine und Spinatsalat geben. Eddie aß gern Fleisch und Kartoffeln, aber seit er mit dem Häuserprojekt beschäftigt war, wusste er auch bescheidenere Gerichte mit Eiern von ihren eigenen Hühnern zu schätzen.
Grace versuchte, nicht beleidigt zu sein über das Ausweichmanöver ihrer Töchter – kein Wort des Grußes, keine Frage danach, wie es ihr ging. Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie zugeben, dass die beiden ihr Gefühl der Einsamkeit in letzter Zeit eher verstärkten, als es zu mildern.
»Wie war die Schule?«, rief sie ihnen hinterher, aber es kam keine Antwort.
»Es gibt Quiche zum Abendessen!«, sagte Grace. »Gegen sechs!« Keine Reaktion.
Im Winter hatte es mit Sicherheit Tage gegeben, an denen es Grace in tiefste Depressionen gestürzt hatte, so gründlich ignoriert zu werden. Sie sehnte sich danach, den Mädchen Tee zu machen und Schokoladenplätzchen zu backen und in Modezeitschriften zu blättern, während Allegra von ihren Wochenendplänen mit Brick erzählte und Hope ihre Flöte herausholte und ein paar Takte Mozart spielte. Doch sogar Grace wusste, wie unrealistisch das war. Ihre Töchter waren schließlich Teenager und dachten als solche nur an sich selbst.
Heute war Grace das egal. Heute ging Grace ins Badezimmer, um sich die Zehennägel zu lackieren.
Benton Coe war wieder da. Dieses Jahr war ihr Jahr. Sie hatten den ganzen Sommer vor sich.