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Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Stattdessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Querverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.

ZU DIESEM BUCH

Seit Jahren hören wir von Hundebesitzern stets aufs Neue: „Ich habe schon alles probiert. Nichts hat funktioniert. Sie sind meine letzte Hoffnung.“

Natürlich fühlt sich jeder von einer solchen Aussage geschmeichelt. Zur Ehrenrettung zahlreicher Fachberater für Kanidenverhaltensfragen im Allgemeinen und Mensch-Hund-Lebensgemeinschaften im Besonderen weisen wir gleich im Einleitungstext dieses Buches unmissverständlich darauf hin, dass diese sicherlich ehrliche Arbeit abliefern. Wem es ein ernstes Anliegen ist, seinen Job als Berater gut zu machen, der strebt danach, Hilfe suchende Hundeleute mit Anstand und Respekt zu behandeln. Das gehört sich so.

Stellvertretend für mehrere Hundert E-Mails mit ähnlichem Inhalt, die wir Jahr für Jahr von zum Teil total enttäuschten Hundebesitzern erhalten, hier ein Originalschreiben von Ute R. aus Frankfurt:

Werter Herr Bloch. Ich habe Ihre Bücher gelesen und bin ehrlich gesagt entsetzt, wie sich manche Ihrer Kollegen benehmen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es denen nur ums Geld geht. Ich bin 59 Jahre alt, also weiß Gott kein Jungspund mehr. Meine Mischlingshündin Trudi ist drei Jahre alt. Sie ist sehr brav und ihr einziges Problem ist, dass sie mich ab und zu an der Leine durch die Gegend zieht. Das möchte ich nicht. Ich habe eine Hundeexpertin aus unserer Gegend gefragt, was ich genau tun soll, und die hat mir geraten, eine Therapie zu machen, weil es nicht normal sei, dass ein drei Jahre alter Hund noch an der Leine zieht. Stimmt das? Aber Trudi zieht doch gar nicht immer an der Leine. Jetzt soll ich eine Woche lang zur Leinentherapie kommen und die kostet ungefähr 1.200 Euro. So viel Geld habe ich nicht, Herr Bloch. Das kann ich mir nicht leisten. Seit mein Mann letztes Jahr verstorben ist, lebe ich allein. Ich kann nicht so viel bezahlen, aber ich möchte Trudi doch helfen. Können Sie mir keinen Tipp geben, wie ich Trudi Benehmen an der Leine beibringen kann? Ich weiß, Sie sind bestimmt ein viel beschäftigter Mann. Aber haben Sie nicht eine Idee für mich? Vielen Dank. Ich werde Ihnen ewig dankbar sein.

Herzlichst, Ihre Ute R.

 

Wir haben dieser Hundehalterin damals nur geraten, statt überteuerter „Therapie“ eine Woche lang unser Standardprogramm aus der Hippiezeit umzusetzen: „Guck mal hier!“ Kein neues „Schau mich an!“ und dies und das, keine andere hoch komplizierte „Problemhundberatung“. Nein, einfach nur „Guck mal hier!“ und kommentarlos mit Trudi weitergehen, wenn die Leine locker ist. Und siehe da. Drei Wochen später bekamen wir wieder Post von Ute R.: ein fünfseitiges Dankschreiben. Fazit der Geschichte: Nichts gegen Therapie, aber wer für eine einfache Maßnahme 1.200 Euro abkassiert, verhält sich unverschämt und muss sich unseres Erachtens den Vorwurf der Abzocke gefallen lassen.

Die meisten einfachen Hundehalter – wobei mit „einfach“ oder „gemein“ normal gemeint ist – brauchen in erster Linie nur ein paar praxisbezogene substanzielle Ratschläge, ohne großes Tamtam oder irgendwelchen Zirkus. Die meisten Hundeleute kommen dann im Großen und Ganzen recht gut alleine klar – subjektiv betrachtet.

Noch etwas Grundsätzliches: Nobody is perfect! Auch wir sind fehlbar – trotz unserer jahrelangen Erfahrungen im Umgang mit Menschen und ihren Vierbeinern. Alles „richtig“ zu machen, ist eine Illusion. Das schaffen noch nicht einmal routinierte Kanideneltern. Und die verhalten sich in der Tat meist wie ein Schweizer Uhrwerk: zuverlässig und professionell. Genau deshalb lautet unser allererster Tipp: Orientieren Sie sich in verantwortlicher Form am sozial Machbaren. Wer unentwegt auf der Suche nach dem „perfekten Hund“ ist, wird Schiffbruch erleiden!

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MODERNE HUNDEKUNDE

Im Folgenden wird bei aller Begeisterung für „moderne Hundekunde“ aus fachlicher Sicht begründet, wie wichtig das Erkennen und Berücksichtigen von Möglichkeiten und Grenzen funktionaler Gruppengefüge ist. Wie uns der Alltag lehrt, ist unser Zusammenleben nach wie vor von grundlegenden biologisch-psychologischen Richtlinien geprägt und begrenzt. Menschliches und hundliches Konfliktregeln und Problemlösen inklusive. Leider geraten auch viele fundamental bedeutsame Gesetzmäßigkeiten erfolgreicher Gruppenarbeit immer häufiger aus dem Blickfeld, hastig ersetzt durch irgendwelche Hauruckverfahren. Stetig auseinanderbröselnde Sozialstrukturen sind die Folge, Strukturverlust droht. Anstatt sich über Strukturverlust und den Widerstand sozial unzureichend integrierter Zwei- und Vierbeiner und damit einhergehenden „sozialen Stressauffälligkeiten“ zu wundern, werden wir direkt im ersten Kapitel aufzeigen, welche Merkmale, Funktionen, Aktivitätsverteilungen und bindungsfördernde Entwicklungsprozesse jeder Hundebesitzer kennen sollte, um sein familienspezifisch optimales Mischgruppenmodell ausbalancieren zu können. Unsere praktischen Vorschläge für Bindungstests, die in unseren Seminaren mit großer Freude und viel Spaß enthusiastisch umgesetzt wurden, kann jeder Hundebesitzer nun auch zu Hause selbst ausprobieren.

Immer mehr Menschen suchen nach dem Verständigungsschlüssel zum Hund – leider. Je mehr Hunde es gibt, desto mehr Erziehungs- und Therapiemethoden machen die Runde. Was „man“ heutzutage im Hinblick auf die „Artgerechtigkeit“ des Hundes tun muss, wissen wir nicht. Absolutheit war und ist nicht unser Ding. Generell gilt auch: Wir verstehen unser Buch weder als Erziehungsratgeber noch als „die“ Diagnoseanleitung. Wir beteiligen uns weder an wenig hilfreichen Methodenstreits noch an nutzlosen Debatten darüber, „wer Ahnung hat“.

INHALT UND GLIEDERUNG

Viele Printmedienberichte und TV-Spezialausgaben sind gespickt mit Beiträgen zur Verbesserung individueller Mensch-Hund-Beziehungen. Wer aber ganz praktisch in deutschen Haushalten unterwegs ist, weiß, dass die soziale Lebenswelt Mensch-Hund in mehr als der Hälfte aller dokumentierten Fällen allenfalls mehr schlecht als recht funktioniert. Diesbezügliche Statistiken existieren leider nicht. Müßig zu diskutieren, wer letztlich dafür haupt- oder nebensächlich verantwortlich ist. Schuldzuweisungen und Generalisierungen wollen wir sachliche Aufklärung entgegensetzen. Aufklärung nicht nur über die Gesetzmäßigkeiten des Gruppenlebens Mensch-Hund und Hund-Hund, sondern sehr konkret auch, wie man „Scharlatane, Blender und Schaumschläger“ erkennt. Wir würden uns freuen, wenn Hundehalter wieder ihre eigene Beobachtungsgabe schärfen. Dabei wollen wir behilflich sein.

Was wir in Kapitel 1 ansprechen werden, sind die prinzipiellen Grundbedingungen erfolgreicher Gruppengestaltung und Zusammenarbeit. Des Weiteren wollen wir uns mit dem wichtigen Thema Bindung sowohl aus sozialer als auch räumlicher Sicht beschäftigen. In Kapitel 2, das wir als Herzstück unseres Buches verstehen, fassen wir zahlreiche Feldnotizen und bislang noch nicht veröffentlichte Datenanalysen zusammen, die sich über einen langen Zeitraum hinweg angesammelt haben. Hier in Kanada war endlich einmal Zeit, unsere vielschichtigen Verhaltenserkenntnisse aus Beobachtungen an „wilden Hunderudeln“ in Italien und einem kanadischen „Native-Reservat“ auszuwerten. Nach Kapitel 2, in dem wir schon sehr viel Wissen über den Hund publiziert haben, berichten wir im dritten Kapitel von einigen aufschlussreichen Verhaltensbeobachtungen aus unserer fast vierzigjährigen Erfahrung und Pionierarbeit im Ausführen und Beurteilen von gemischten Pensionshundegruppen. In Kapitel 4 geht es nochmals detailliert um den Mensch-Hund-Gruppen-Code. Im letzten Kapitel setzen wir uns mit den Scharlatanen der Branche auseinander und schauen uns an, welche Strategien Sie lernen können, um Menschen, die immer nur nehmen, ohne irgendetwas zu geben, so schnell wie möglich zu erkennen, beziehungsweise sich als normaler Hundebesitzer zumindest ein wenig selbstbewusster durch den „Dschungel der Hundeszene“ zu bewegen.

 

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Im Gegensatz zu Menschen …

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… sind bei Hunden auch heute noch die „Spielregeln“ unverändert.

WOZU DAS GANZE?

Wir waren stets „mittendrin statt nur dabei“. Vor diesem Hintergrund und dem der hektischen Betriebsamkeit, allseits geforderter Dynamik, massiver Veränderungen im innerfamiliären Sozialstrukturbereich und räumlich-ökologischem Wandel der Außenwelt bleibt festzuhalten: Das Spiel, das man Leben nennt, wird heute anders gespielt als noch vor Jahren. Viele lieb gewonnene „Spielregeln“ haben sich total verändert oder gelten gar nicht mehr. Die Welt um uns herum ist technischer, anonymer und sehr viel naturentfremdeter geworden. Das kann man gut finden oder auch nicht.

„Social media“ sind Segen und Fluch zugleich. Jeder weiß, dass im Internet massenhaft Halbwissen verbreitet wird. Hinzu kommen persönliche Diffamierungen in „Shitstorms“. Tolerabel ist das alles nicht. Trotzdem scheint soziale Blindheit fast schon die Regel zu sein, nicht die Ausnahme. Nicht von ungefähr herrscht bisweilen geradezu blindes Vertrauen gegenüber persönlich nicht bekannten „Freunden“. Wie kann man mit jemandem befreundet sein, den man gar nicht kennt? Wir sind jedenfalls der Überzeugung, dass diese Art sozialer Vereinsamung ein vergleichsweise neues Phänomen ist. Was das alles mit dem Hund zu tun hat? Sehr, sehr viel. Denn der scheint als geborenes „Rudeltier“ oft zum „missbrauchten“ Verbündeten im Kampf gegen die Einsamkeit, dem stillen Leid unserer Neuzeit, zu werden.

Wer beruflich mit dem Dienstleistungsgewerbe „Hund“ zu tun hat, ist zwangsläufig viel im humanpsychologischen Bereich tätig. So auch wir. Unser Fachgebiet ist die Langzeitbeobachtung. Obwohl wir wahrlich tagein, tagaus mit der Betrachtung von Menschen und Hunden zu tun hatten, sind wir oft ins Grübeln geraten. Das bleibt nicht aus bei einer solch vielschichtigen Thematik. Außerdem sind wir keine Psychologen. Da wir uns auch nicht mit fremden Federn schmücken wollen, haben wir uns im Rahmen der Vorrecherche zu diesem Buch fachlich intensiv ausgetauscht mit Biologen, Verhaltensökologen, Ethologen und natürlich auch mit Humanpsychologen.

Vor dem Hintergrund des heutzutage oft praktizierten „Kollegen-Bashings“ halten wir uns an eine unmissverständliche Regel: Wir betreiben keine pauschale Kollegenschelte. Was wir aber ganz klar anprangern, sind die Machenschaften fragwürdiger „Typen“ sowie Botschaften von voreingenommenen Zeitgenossen und deren absolut binärem Denken: gut oder schlecht, richtig oder falsch, Freund oder Feind. Und ein weiteres Recht nehmen wir für uns in Anspruch, nämlich freundlich-heiter fehlerhafte Trends zu kommentieren und uns in einer global auf Gleichschaltung bedachten Welt zumindest ein klein wenig das Rebellische zu bewahren!

Wir wünschen Ihnen viele neue Erkenntnisse und so manchen Aha-Effekt mit diesem Buch.

 

Ihr Günther Bloch und Ihre Elli H. Radinger

 

P. S.: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

DER MENSCH-HUND-CODE
— Erfolgreiche Gruppengestaltung

ARTENÜBERGREIFENDER RESPEKT

Im Jahr 2014 lebten in Deutschland 9,6 Millionen Menschen mit mindestens einem Hund im Haus. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann hat sinngemäß einmal bemängelt, dass Tiere den Deutschen inzwischen wichtiger seien als Kinder.

Tatsächlich? So mancher Vertreter der Spezies Homo sapiens empfiehlt mittlerweile ernsthaft, den Umgang mit Mitmenschen zu vernachlässigen, weil man wahre Geselligkeit ohnehin nur im Zusammensein mit dem Hund, Canis lupus familiaris, erleben könne. Da ist er wieder, der Beweis für menschlich soziale Vereinsamung. Eine solche basiert aller Wahrscheinlichkeit nach auf zahllosen sozio-emotionalen Negativerlebnissen im täglichen menschlichen Miteinander und ganz sicher auf einem gravierenden Missverständnis, den Hund betreffend. Wer hilft solchen Menschen – ohne sich darüber zu erheben – im Kampf gegen die Einsamkeit? Wer beantwortet ihnen die offensichtlich unter den Nägeln brennenden ungeklärten Fragen zu hundetypisch tief verwurzeltem Sozialverhalten? Wir wollen unser Scherflein dazu beitragen. Im kleinen Rahmen und stets bemüht. Mehr geht nicht.

Nein, wir haben ihn leider nicht gefunden, den überall passenden Verständigungsschlüssel zu allen Haushunden dieser Welt. Was wir Ihnen aber guten Gewissens anbieten können, sind einige hoffentlich gut verständliche Richtlinien für das gesellige Beisammensein zweier intuitiv einander zugewandter Spezies. Unsere Vorstellungen von einem „Mensch-Hund-Gruppen-Code“ lassen sich am besten durch ein insgesamt verbessertes Verständnis menschlicher und hundlicher Belange und Bedürfnisse erläutern. Diese sind nicht immer zu hundert Prozent kompatibel. Das wäre ja noch schöner.

UNTERSCHIEDLICHE BLICKWINKEL

Zum Verständnis realistischer Mensch-Hund-Gedanken gehört auch, dass wir vieles aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten sollen und dürfen. Es geht nicht um gegenseitige Annäherung mit dem Ziel der totalen Verschmelzung, sondern um Arten übergreifenden Respekt. Natürlich sind wir andersartig. Na, was denn sonst? Trotzdem lieben Menschen Hunde und Hunde lieben Menschen.

Eine schlaue Weisheit unseres Mensch-Hund-Codes lautet daher: Solange das beiderseitig bekundete soziale Beziehungs- und Bindungsinteresse zu einem möglichst störungsfreien Kollektiv überwiegt, ist alles paletti!

Möglicherweise fallen wir ja gleich mit der Tür ins Haus mit unserem ersten Paradebeispiel für Praxisbezogenheit in der Mensch-Hund-Beziehung. Die „artgerechte“ Maßregelung des Hundes ist umstritten. Hätte und könnte man die nachfolgenden Überlegungen nicht wenigstens „ein wenig anders ausdrücken“? In der Tat – das hätte und könnte man. Zu den generellen Dingen zählt sicher auch: Alles ist umstritten, so gut wie nichts unumstritten.

Trotzdem möchten wir uns im Hier und Jetzt gleich ins Getümmel stürzen, indem wir unserem großen Erstaunen Ausdruck verleihen, dass das Ritual des „Nacken-Schüttelns“, also des Zupackens und Schüttelns des Nackenfells, wieder als brauchbarer Tipp für den Umgang mit renitenten Hundewelpen gehandelt wird. Man mag ja unsere Wolfsforschungen als unnütz abtun, aber die Tatsache, dass Wolfsmütter während unserer langzeitlichen Beobachtungsphasen nie ihre Welpen im Nacken schüttelten, kann nicht einfach ignoriert werden. Nochmals: Das Schütteln gehört zum Beutefangverhalten und drückt ansonsten „Ernstkampfstimmung“ aus. Wer es anders sieht, hat ein Recht dazu, möge aber, durch videografische Beweise untermauert, zur fachlichen Aufklärung der Sachlage beitragen.

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Enge Verbundenheit durch körperliche Nähe – so soll es sein.

DRAMA-QUEENS UND DRAMA-KINGS

Lange Jahre des Hinschauens, des Gedankenaustauschs und des (zugegeben) bisweilen wenig konstruktiven Streitens mit allen möglichen Leuten über alle möglichen Hundethemen, haben in uns die Erkenntnis reifen lassen, dass nur die Vermittlung gewisser Lebensrichtlinien positiv zur Verständigung von Mensch und Hund beitragen kann.

Dazu sind allerdings bestimmte Einsichten nötig. Zum Beispiel die, dass früher längst nicht alles besser war. Im Verlauf einer langen gemeinsamen Entwicklungsgeschichte haben Mensch und Hund schon etliche Höhen und Tiefen durchlebt und miteinander gemeistert – mit dutzendfachen „Fragezeichen“, aber immerhin! Hunde sind altes Kulturgut. Darauf sollten wir „Hundemenschen“ ohne Frage stolz sein, auch gegenüber den „hunderassistisch“ argumentierenden Politikern der Szene, den missbilligend kühl dreinblickenden Nicht-Hundehaltern, einschließlich sämtlicher verständnislos und bisweilen verächtlich murmelnder Menschen in der Siedlung. Was wissen die denn schon?

„Drama-Queens und Drama-Kings“ sind Menschen, die dazu tendieren, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. So wie zum Beispiel bei der Grundsatzdiskussion um „aggressiv gefährliche Hunde“, die sofort dann aufflammt, wenn wieder einmal irgendein Hundeindividuum irgendwo in der Republik zugeschnappt – nicht: gebissen – hat, und sei es nur aus defensiver Selbstschutzverteidigung. Es folgt die übliche Dramaturgie der historisch untermalten „ureigenen Rasseaggressivität“, wie beispielsweise die berüchtigten „Kampfhundekämpfe“ im Kollosseum von Rom. Typisch Drama-Queen und Drama-King sind auch bisweilen erkannte Disharmonien im Beziehungsgefüge zwischen Mensch und Hund, die pauschal begründet werden mit falscher Rudelstellung, falscher Verhaltensmodifikation, falscher Einübung von Kommunikation, falscher Ansprache des Hundes mit selbstverständlich falschen Mitteln. Emotionen zeigen ist falsch. Alles ist falsch. Sieht so für Sie, den einfachen Hundehalter, positive Verstärkung aus?

GEMEINSAME RITUALE

Das Beziehungsleben Mensch-Hund muss oder sollte zumindest von vielen Ritualen gekennzeichnet sein, wobei deren Form grundsätzlicher Inhalt ist. Es geht um Spiel, freundlich-gestimmte Begrüßung und um die Einübung fester Regeln. Eine Portion Emotionen gehört auch dazu, und je ritueller und traditioneller wir „unsere“ familieneigenen Verhaltenstraditionen des aktiven „Gruppengefühls“ leben, desto bedürfnisangeglichener läuft die ganze Sache, sozialer Zusammenhalt inklusive. Rituale der kommunikativen Sicherheit, seitens des Menschen durchaus auch mittels Zeigegesten verständlicher gemacht, bringen Hunden Erwartungssicherheit und Bestätigung, ob sie sich bestimmte Dinge erlauben dürfen oder nicht. Hunde für ihre Untaten auf den Rücken zu werfen, wie wir das in alten Büchern noch empfohlen haben, verstehen Hunde nicht, zumal im natürlichen Sinne untergeordnete Tiere dieses durch eine freiwillige Geste von sich aus bekunden. In Freilandprojekten haben wir gesehen, wie Hundeartige das tun. Und dann haben wir beschlossen, etwas dazu gelernt zu haben, das war im Sommer 1993.

Derweil beinhaltet der Lieblingseinwand der „Drama-Fraktion“ fast immer ein „Ja, aber …“. Ewige Bedenkenträger gibt es überall, dummerweise auch in unseren eigenen Reihen. Was man da nicht alles hört: Ignorieren ist das Beste, nein, das macht „man nicht“, Bedenken hier, Bedenken dort. Dass gegen ein kurzzeitiges Nicht-Beachten des Hundes nichts einzuwenden ist, solange der Hund als integriertes Gruppenmitglied regelmäßig soziale Zuwendung erfährt, und dass langfristiges Ignorieren einer Isolation gleichkommt – auf einen solchen Kompromiss kann man sich nicht einigen? Genau das würde aber zum Verstehen und zur praktischen Umsetzung unseres „Mensch-Hund-Gruppen-Codes“ dazugehören. Je besser das gegenseitige Verständnis zwischen Mensch und Hund ist, desto weniger sind einseitig positiv wie negativ eingeübte Verhaltensmodifikationen und Konditionierungen nötig. Ganz unverschnörkelt übersetzt: Alles, was absolut daherkommt, ist falsch!

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Rituale verbinden! Sei es beim Spiel mit dem Stock …

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… oder beim gemeinsamen Spaziergang Mensch-Hund.

Und noch eine unverzichtbare Grundsätzlichkeit: Individualität (Charaktertyp, Persönlichkeit) und erfolgreiches Zusammenarbeiten in einer Gruppe (Kollektiv, Gemeinschaftlichkeit) sind nichts Gegensätzliches.

Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Beide Seiten gilt es, unter verschiedenen Gesichtspunkten als ebenbürtig zu betrachten!

Wildkanidengruppen leben uns genau dieses Kombinationspaket der kollektiven Ritualeinübung praktisch vor. Sie sind die Meister der Vermittlung eines „echten, authentischen Wir-Gefühls“. In der Summe verzichten „gruppenorientierte Individualisten“ (wie wir Wolf und Hund schon lange nennen) auf permanente Ego-Trips und bringen sich und ihre vielfältigen Veranlagungen und Fähigkeiten in „ihre“ Lebensgemeinschaft ein. Sich für die Gruppe aufgeben tut niemand. Das übergeordnete „Große Ganze“ funktioniert also sowohl in zentraler Verantwortung für sich selbst als auch in Kooperationsverantwortung für die vertraute Gruppe. Diese garantiert wiederum insgesamt mehr Schutz.

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Zum „emotionalen Lernen“ gehört auch die Vermittlung von körperbetonten Interaktionen.

SIGNALE IM KONTEXT BETRACHTEN

Soziale Geborgenheit vermittelt in der zwischenartlichen Kommunikation auch die Hand des Menschen, sozusagen als Schnauzenersatz, obwohl Hunde sehr wohl sehr gern die Mundwinkel des Menschen belecken, um zu begrüßen, freundlich gestimmten Sozialkontakt aufzunehmen oder zu beschwichtigen. Hier zeigt sich zum wiederholten Mal, dass hundliche Signalgebung Unterschiedliches bedeuten kann und daher im Kontext verstanden werden muss, damit der Mensch schlimmstenfalls nicht vollends „danebenliegt“. Denken wir nur an den ständig aufs Neue diskutierten „Schnauzengriff“ oder den Nackenstoß, den Schulterstoß oder was da sonst so alles an generellen „Dos & Don’ts“ angeboten wird. Wenn ein Hund im Körperkontakt zum Menschen heftig an dessen Arm oder Kleidung zieht und der Mensch nun unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit unmittelbar und gezielt über den Hundefang greift, dann wäre dies kein Drama.

Würde der Mensch hingegen den richtigen Zeitpunkt verpassen, mal streicheln, mal strafen, keinen zeitlich präzisen Zusammenhang im sozialen Kontext vermitteln, dann könnte dies den Hund in der Tat unnützerweise verunsichern. Alles ist relativ, auch der situative Nackenstoß, wobei dieser derzeit unter den fachlich kritischen Augen der Biologin Marion Pepper aus Berlin in Zusammenarbeit mit den Hundefachleuten Lars Thiemann und Thomas Bursch bei entsprechend ausgesuchten Hundebegegnungen videografisch methodisch untersucht wird. Mehr Wissen über tiergerechte Kommunikation und ritualisierte Signalgebung – genau so sieht er aus, der undramatische Weg nach vorn!

Was der „Mensch-Hund-Gruppen-Code“ zudem beinhaltet, ist die wichtige Erkenntnis, dass kein menschlicher oder hundlicher Gruppenangehöriger generell auf Individualität verzichten muss. Wieder kein Drama. Jeder verhält sich „kollektivistisch“. Genauso läuft das in funktionalen Hunderudeln. Da kann der Mensch etwas lernen. Selbst ewige Bedenkenträger. Allen Ausreden und sämtlichen Befürchtungen zum Trotz, lautet die gute Nachricht: Ignorantes Verhalten ist nichts anderes als ein Mangel an Information!

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Ein leichter Griff über den Fang im richtigen Moment, ist eine undramatische Korrektur.

KOMPLIZIERTES „NEUES LEBEN“

Ja, es stimmt, unsere „heile“ Hundewelt (wenn es sie denn jemals gab) hat Risse bekommen. Alles läuft schneller ab, chaotischer. Ein Hang zum Perfektionismus macht sich breit. Mensch und Hund müssen „top“ sein. Jederzeit und überall.

Und das unter soziobiologisch und psychologisch komplizierten Lebensumständen, die verrückterweise alles andere als perfekt sind. Unzählige Informationen zum Thema Hund und dessen Erziehung prasseln auf das gemeine Frauchen und Herrchen ein. Gibt man den Begriff „Hundetrainer“ in einer bekannten Suchmaschine ein, bekommt man allein in deutscher Sprache über 476.000 Treffer. Bei einem solchen Angebot sollte man doch „eigentlich“ annehmen, dass wir nur noch auf entspannte Besitzer und deren grundweg fröhlich gestimmte Hunde treffen. Aber weit gefehlt. Noch nie hat es so viele verunsicherte und irritierte Hundehalter gegeben wie heute. Das ist auch nicht weiter überraschend bei der ganzen Streiterei.

 

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Mensch und Hund formen kein Rudel, sondern eine soziale Mischgruppe.

NEUE HERAUSFORDERUNGEN

Nehmen wir nur das Thema „Rudel“. Im Grunde genommen ist klar, was damit gemeint ist: die Abstimmung von Individuen einer sozialen Gruppe und deren gemeinsames „Mach-mit-Verhalten“. In diesem Verständnis ist und bleibt der Hund ein „Rudeltier“. Dass Mensch und Hund fachlich ausgedrückt keine Rudel formen, sondern soziale Mischgruppen, ist auch klar. Doch nichts geht heutzutage ohne „Ja, aber …“ Das Leben von Mensch und Hund hat sich enorm verändert, zumindest in Ballungsräumen. Wenn sich die Lebensumstände ändern, ändern sich auch die Regeln. Das bedeutet, dass sich unsere Herausforderungen und Verantwortungen als Hundehalter auch verändert haben, ebenso wie die Taktiken, die wir anwenden müssen, um unsere Hunde vor so mancher Willkür zu schützen. Eine ganze Palette politischer Gesetzgebungen und Verordnungen, menschlicher Freizeitaktivitäten im „öffentlichen Raum“ (z. B. Mountainbiker von hinten, Jogger von vorne und Paraglider von oben) und allerlei sonstiger Risiken haben sich in den letzten Jahren für uns Hundemenschen und unsere vierbeinigen Begleiter eröffnet, an die früher noch keiner dachte.

So müssen beispielsweise Besitzer mancher Hunderassen mit ihren Tieren seit Langem nach wie vor zu „Verhaltenstests“ antreten, die viel Geld kosten und die – was aus fachlicher Sicht noch viel schlimmer ist – kaum eine menschenschützende Vorhersagekraft haben, weil sie größtenteils willkürlich zusammengeschustert sind. Hunde, die ein Leben lang mit Mensch und Tier friedlich zusammengelebt haben, gelten urplötzlich als „potenziell gefährlich“. Dabei ist die Aussage, dass bestimmte Rassen „genetisch vorbelastet aggressiv“ seien, mehr als nur umstritten. Wer schlägt eigentlich mal Wesenstests für muslimische Radikale oder Vertreter des „braunen Mob“ vor? Hoffentlich nicht die Gleichen, die „Hunde-Rassismus“ betreiben, indem sie seit Jahrzehnten stur unverändert Rasselisten gutheißen!

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Rasselisten sind „Hunderassismus“.

Hundehalter, die in einer sich rapide ändernden und bedrohlichen Welt jeden Tag aufs Neue ihre Hunde schützen, haben es verdient, respektvoll behandelt zu werden. Wir sind die „Ersatzeltern“ für unsere Sofawölfe. Unsere Aufgabe als Gruppenleiter von sozialen Mischgruppen ist es, den listenbedrohten „Rotti-Schnösel Balduin“ genauso auf die nächste Entwicklungsstufe seines Lebens vorzubereiten wie die nicht listenbedrohte „französische Bulldoggen-Hündin Chantal“. Was wir Hundehalter eigentlich tun müssen, ist ihnen zu helfen, zu überleben. Was Hunde dazu brauchen, bringen wir ihnen bei. Wir sozialisieren sie und kommunizieren mit ihnen, damit sie unseren Verhaltensvorgaben folgen können. Lob ist jedoch selten. Wäre mal schön als verantwortlicher Hundehalter gelegentlich ein anerkennendes Wort zu hören – positiv verstärkt, versteht sich. Stattdessen hört und liest der einfache Hundehalter nur zu oft, dass er ständig Fehler macht. Ja, es stimmt, Menschen müssen für ihre Tiere nicht jederzeit sofort verfügbar sein. Trotzdem versuchen das die meisten. Sich um Hunde zu kümmern, ist eine Lebensaufgabe. Bleibt nur noch die Frage, wie? Daran scheiden sich die Geister.

EIN MARKT IM AUFWIND

Wie auch immer, es fällt auf, dass durch den ganzen Hype um den Haushund und dessen „richtige“ Behandlung ein rasant wachsender Markt entstanden ist. Eine Milliarden-Euro schwere Gelddruckmaschine, in der sich nicht nur passioniert arbeitende „Hundeverhaltensbegeisterte“ bewegen, sondern logischerweise auch psychologisch geschickt agierende Geschäftemacher, deren „Geheimtipps“ belanglos sind und nur ein Ziel haben: Die totale Fixierung auf maximalen Profit! Am Ende bleibt schlimmstenfalls ein hilfloser Hundebesitzer mit stark angekratztem Selbstwertgefühl zurück, der den Glauben an sich selbst – und an seinen Hund – verloren hat. Wie soll der selbstbewusster auftreten und sich wehren lernen, ohne groß rumjammern zu müssen?

Einem Artikel der Huffington Post1 zufolge, suhlen sich die Deutschen gern in Selbstmitleid. Bei allem verständlichen Schrecken und Frust darüber, in der Hundeszene herumgeschoben und teilweise abgezockt worden zu sein, ist deshalb nicht gleich die universelle Katastrophe angesagt. Zur Vermehrung der gewonnenen Einsichten hilft eine vielleicht abgelutscht klingende, uralte „Kamelle“: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“ Wir schlagen im Rahmen unseres „Mensch-Hund-Gruppen-Codes“ vor, eigene Fehler so gut es geht einzusehen, zu analysieren, Optionen zu prüfen und wenn machbar, so schnell wie möglich nachfolgende Richtlinien zu verinnerlichen:

1. Es gibt immer Optionen. Leben heißt Entscheidungen treffen!

2. Verhalten aus der Vergangenheit ist die beste Vorhersage für Verhalten in der Gegenwart und Option für die Zukunft!

3. Drama war gestern: Keiner kann verändern, was er nicht anerkennt!

4. Jedes Verhalten hat Konsequenzen.

PLÄDOYER FÜR DIE BELANGE VON HUND UND MENSCH

Ja, Hunde leben in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Menschen. In unseren Seminaren fügen wir gern scherzhaft hinzu: „Selbst schuld. Sie hätten ja Wölfe bleiben können. Wer sich freiwillig menschlichen Siedlungen nähert und sich quasi im ersten Schritt selbst domestiziert, darf sich nachher nicht beschweren, seine Freiheit verloren zu haben.“ Nun gut, so argumentieren wir „Kaniden-Gucker“.

VON EINEM EXTREM INS ANDERE

Ein Hundeleben ohne Menschen oder andere Hunde?

Erst hieß es, der Hund bilde keine Rudel. Neuerdings muss man Wolf und Hund wieder 1:1 gleichsetzen, weil deren angebliche Rudelstellungen gleich seien. Manche Menschen haben sogar die abstruse Hypothese konstruiert, es sei für Hunde „artgerechter, sie wieder wild und komplett eigenständig raus in die freie Natur zu entlassen“. Das soll die hundliche Alternative zum „Rundum-sorglos-Paket“ unter den Fittichen des Menschen sein? Eine solch merkwürdige Denkweise entbehrt jeglicher Logik. Hunde sind doch nicht doof! Die Domestikationsgeschichte des Hundes spricht jedenfalls eine gänzlich andere Sprache. Der Hund war nämlich – konsequent flexibel und anpassungsfreudig – schlau und opportunistisch genug, mit dem Menschen ein Bündnis einzugehen, das ihm deutlich mehr Vorteile als Nachteile bietet. Auf Lebenszeit. Und so ganz nebenbei: Wo genau gibt es in Deutschland überhaupt noch „freie Natur“? Abgesehen davon, dass jeder, der zum Aussetzen von Haushunden auffordert, sich unter Berücksichtigung der deutschen Gesetzeslage haarscharf am Rande der Illegalität bewegt!

BRAUCHEN HUNDE ARTGENOSSEN?

Damit umgekehrt auch kein Schuh daraus wird: „Eigentlich“ brauchen Hunde neben festen Menschenkontakten mit Kontinuität sowie neben Bindungsbeziehungen mit Tiefgang, die soziale Sicherheit schaffen, dringend auch Kontakte zu Artgenossen, Groß und Klein, Jung und Alt. Hunde sind bemüht, im Rahmen interaktiver Begegnungen ihre Stimmungen, Absichten und andere sozio-emotionale Belange zu kommunizieren. Dieses gern auch im spielerischen Kontext. Sozialspiele bieten sich an, herauszufinden, wie weit man momentan gehen kann und mit wem man es zu tun hat. In der realen Umwelt des gemeinen Haushundes geht es neben der Befindlichkeit, dem Menschen nahe zu sein, auch um das Erlernen gewisser Bewältigungsstrategien.

Braucht deshalb ein beispielsweise siebenjähriger, auf Artgenossen unzureichend sozialisierter Tierheimhund mit jeder Menge schlechter Erfahrungen, auf Teufel komm raus „Spielgelegenheiten“ mit anderen Hunden? Nö, die braucht er nicht! Einen solchen Hund zu Hause oder draußen unterwegs auf der Hundewiese fast schon zwanghaft zu animieren („Nun lauf und geh schön spielen“), weil man das im Sinne der hundlich artgerechten Glückseligkeit „so macht“, überzeugt unseren Beispielshund aus dem Tierheim ganz und gar nicht. Die Belange des Haushundes unterscheiden sich schließlich individuell. Das predigen wir seit Jahrzehnten. Innerlich gefühlt ist dies ohnehin jedem Hundemenschen klar. Warum handeln wir nicht danach?

HUNDEKONTAKTE

Sprechen wir, wie in diesem Buchabschnitt, in erster Linie von generell hundetypischen Belangen, so sollte jeder Mensch, der die Pauschalmeinung vertritt, Hunde bräuchten nur den Menschen und sonst nichts, schon genau wissen, wie sich soziales Verhalten entwickelt. Junge Hunde, die Kontakte mit Menschen und Hunden haben, wachsen idealerweise „zweisprachig“ auf. Und das ist gut so. Denn diejenigen Vierbeiner, die aus Gründen des falschen Hundeverständnisses oder einfach nur aus reiner Unbedarftheit des Menschen, keinen Kontakt zu Artgenossen haben sollen oder können, treffen in ihrem Leben irgendwann sowieso auf ihresgleichen. Garantiert, nur hoffentlich nicht unvorbereitet. Menschlichen Egoismus in den Vordergrund zu stellen, indem der ausnahmslos mit seinem Mensch umherziehende Hund zum allzeit „glücklichen“ Zeitgenossen erklärt wird, halten wir für fatal. Ständig allem aus dem Weg zu gehen, was Probleme bereiten könnte, kann auf Dauer erheblich stressiger werden – für Mensch und Hund.

Bestimmte Bedürfnisse des Hundes sind unabdingbar, weil sonst der Hund irgendwann der Dumme ist und unsere Fehler „ausbaden muss“. Hat zum Beispiel ein Jungrüde nie gelernt, sich im Rahmen interaktiver Verhaltensabläufe mit anderen Männchen situativ unterzuordnen oder womöglich noch „deren“ Hündinnen besser nicht zu belästigen, bekommt er Ärger. Wer kein sozial angemessenes Verhalten kennt, darf sich nicht beschweren, wenns gehörig kracht. Unsere Owtscharka-Hündin Raissa „liebt“ übrigens genau solche „Weltmeister-Rüden“, die offensichtlich nie umsichtig sozialisiert wurden und meinen, ohne Konsequenzen auf jedes Hundeweibchen aufsteigen zu können.

Nach unserem Hundeverständnis haben vor allem Jungtiere das Recht, „richtiges“ Sozialverhalten als Mitglied einer bestimmten Art ausgiebig kennenzulernen und innerhalb der Gruppe, in der sie aufwachsen, Rückschlüsse zu ziehen. Sozialisation ist allerdings auch als mehrstufiger Prozess zu verstehen, weil Hunde sich sowohl in einer arteigenen als auch nichtarteigenen Umgebung zurechtfinden müssen. Für Welpen und jugendliche Tiere, die in sozialen Mischgruppen Mensch-Hund plus Katze, plus Meerschweinchen, plus Kakadu, plus … zusammenleben, wirkt sich die jeweilige Gruppenzusammensetzung stark auf ihr späteres Sozialverhalten aus. So lassen beispielsweise Jungtiere, die im Sozialisationsalter nie mit gleichaltrigen Hunden unterschiedlichen Geschlechts ausloten konnten, was man sich herausnehmen darf und was nicht, soziales Verständnis mitunter stark vermissen. Die Folge ist dann oft „leichter Größenwahn“.

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NICHT VERHALTEN GEHT NICHT …

… drum prüfe, was du tust!

„Eigentlich“ liebt es der gemeine Haushund, zahlreiche Möglichkeiten zum Imitationslernen zu erhalten. Lernen am Modell. Und Hunde lernen unser alltägliches, übliches verbales und nonverbales Verhaltensmodell in der Tat außerordentlich nachhaltig, indem sie genau beobachten und anschließend vordergründig versuchen zu kopieren, was sich zu imitieren lohnt. Kommt dann im Zusammensein mit Menschen noch soziale Unterstützung in Form von Berührungsgesten hinzu, entstehen Gruppensysteme, in denen sich Hunde bestens verstanden fühlen. Überhaupt wäre es schön, wenn wir, ganz dem „Kaniden-Beispiel“ folgend, zwecks optimalem Bindungsaufbau und letztlich zur Förderung eines engen Gruppenzusammenhalts, mehr Berührungen und andere taktile Kommunikationsgesten pflegen würden.

Ganz im Gegensatz zum oft gebräuchlichen Totschlag-Argument, dass es eine „totale Vermenschlichung“ sei, Hunde zu streicheln, vertreten wir seit eh und je die Auffassung, dass Hundebesitzer und andere über eine gute Portion „emotionaler Intelligenz“ verfügen sollten. Und „Hunde streicheln“ und „Zärtlichkeiten austauschen“ ist intelligent, im sozialen Verständnis. Alles zu seiner Zeit und alles in Maßen. Was ist denn die Alternative? Hunde stattdessen als „Raubtiere“ zu betrachten? Na was „rauben“ sie denn?

Dass Hunde auf Streicheleinheiten generell gut und gern verzichten können, mag unter Behavioristen nach wie vor beliebt sein, überzeugend finden wir deren Argumente jedoch nicht. Im Grunde ist diese Sichtweise eine in der Bedeutungslosigkeit versinkende Trotzreaktion auf heutiges Wissen.