Rätselhaftes geschieht an einem Kongress, an den Miguel De Blast nur gefahren ist, um seine Jugendliebe Ana wieder zu treffen, die er an seinen Rivalen verloren hat. Erst werden Seehunde tot aufgefunden, dann mehrere Kongressteilnehmer. Miguel De Blast gerät auf die Spur eines uralten Fluchs und einer magischen, vergessenen Sprache.
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Pablo De Santis (*1963) wurde in seiner Heimat Argentinien mit Jugendbüchern bekannt. Den internationalen Durchbruch schaffte er mit den Romanen Die Fakultät und Die Übersetzung.
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Gisbert Haefs (*1950) ist Autor und Übersetzer. Er hat u. a. die Erfolgsromane Alexander und Hannibal verfasst und ist Übersetzer der Werke von Rudyard Kipling, Ambrose Bierce, Jorge Luis Borges, Sir Arthur Conan Doyle u. a. Zudem ist er Autor von Funkfeatures, Hörspielen und Kriminalromanen.
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Die Übersetzung
Roman
Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel La traducción bei Editorial Planeta Argentina, S.A.
Originaltitel: La traducción
© by Pablo De Santis 1998
© by Unionsverlag, Zürich 2021
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Martin Schwarz, »Predigendes Buchholz«, 1986, www.eigenart.verlag.ch; Foto: Marlen Perez
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30615-8
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Hotel del Faro
Als ich begeistert und gläubig die Übersetzung eines gewissen chinesischen Philosophen durchblätterte, stieß ich auf diesen denkwürdigen Passus: »Einen zum Tod Verurteilten schreckt es nicht, am Abgrund entlangzuwandeln, denn er hat mit dem Leben abgeschlossen.« An dieser Stelle hatte der Übersetzer ein Sternchen angebracht und teilte mir mit, seine Fassung sei der eines konkurrierenden Sinologen vorzuziehen, der folgendermaßen übersetzt hatte: »Die Diener zerstören die Kunstwerke, um nicht ihre Schönheiten und Mängel beurteilen zu müssen.« Wie Paolo und Francesca hörte ich hier auf zu lesen. Ein mysteriöser Skeptizismus hatte sich in meine Seele eingeschlichen.
Jorge Luis Borges
Auf meinem Schreibtisch steht ein Leuchtturm aus Keramik. Er dient mir als Briefbeschwerer, aber vor allem ist er lästig. Am Sockel steht: Andenken an Puerto Esfinge. Die Oberfläche des Leuchtturms ist von Striemen überzogen, weil er gestern, als ich die Originalblätter einer Übersetzung sortierte, vom Schreibtisch fiel. Mit Geduld habe ich die Stückchen zusammengetragen; wer je versucht hat, einen zerbrochenen Krug wiederherzustellen, der weiß: Wie eingehend er sich auch bemüht, manche Bruchstücke tauchen nie wieder auf.
Vor fünf Jahren bin ich nach Puerto Esfinge gereist, eingeladen zu einem Kongress über das Übersetzen. Als der Umschlag mit dem Briefkopf der Universität mich erreichte, dachte ich, es handle sich um irgendein verspätetes Papier. Jahrelang erhalten wir ja Mitteilungen von Vereinen oder Clubs, denen wir nicht mehr angehören, Zeitschriften, deren Abonnement wir gekündigt haben, Grüße von Tierärzten an einen Kater, der vor einem Jahrhundert verschollen ist. Auch wenn man umzieht, erreicht einen derlei verspätete Korrespondenz; wir sind Teil unveränderlicher Adressenlisten, die einen Wandel von Interessen, Lebensumständen oder Gewohnheiten nicht akzeptieren.
Der Brief der Universität war jedoch keine solche verspätete Post; Julio Kuhn schrieb mir, um mich zum Kongress einzuladen. Kuhn war Leiter des Sprachwissenschaftlichen Seminars der Fakultät. Wir hatten zusammen studiert, aber ich hatte meine akademische Karriere nach dem Examen beendet. Ich wusste, dass Kuhn als Gegenleistung für einige technische Dienstleistungen Gelder von privaten Unternehmen für sein Seminar erhielt. Im Brief erklärte er, er wolle in Puerto Esfinge fünf Tage lang eine Gruppe unterschiedlicher Personen zusammenbringen, damit das Treffen sich weder in eine Zusammenkunft von Linguisten noch von professionellen Übersetzern verwandle. Mich habe er ausgewählt als Übersetzer wissenschaftlicher Texte.
Ich hatte seit langem keine Kontakte mehr zu meinen Kollegen. Wir waren geografisch verstreut, und irgendwie betrachtete keiner von uns das Übersetzen als endgültige Lebensaufgabe, sondern eher als einen Umweg, der von anderen Beschäftigungen wegführte. Einige hatten Schriftsteller werden wollen und waren zum Übersetzen gelangt; andere unterrichteten an der Universität und waren zum Übersetzen gelangt. Ohne es mir klarzumachen, hatte auch ich diesen Umweg genommen.
Meine Arbeit erleichterte die Kommunikation mit meinen Kollegen auch nicht, denn ich begab mich nur in die Verlage, um die Originale abzuholen. Ich traf dort Sekretärinnen, Herausgeber bestimmter Reihen, aber nie andere Übersetzer. Wir erhielten gegenseitige Mitteilungen, aber das waren indirekte Notizen, und größtenteils betrafen sie Dinge, die Monate zurücklagen. Vier Jahre zuvor hatten zwei Übersetzer, die gemeinsam an einer Enzyklopädie arbeiteten, eine Art Kollegium oder Gremium zusammenzubringen versucht, aber nur eine Hand voll Leute erreicht. Als diese wenigen sich eines Abends trafen, mit einem allzu weit gefassten Diskussionsprogramm, stritt sich jeder mit jedem, und die Übersetzer verstreuten sich wieder.
In dem Brief erwähnte Julio Kuhn die anderen Eingeladenen. Einige wenige kannte ich persönlich, die anderen nur vom Namen her. Mehrere Ausländer waren dabei. In der letzten Zeile stand der Name von Ana Despina. Sie hatte ihre Teilnahme noch nicht zugesagt, aber ich beschloss, meine zu bestätigen.
Gegenstände mit Aufschriften wie Andenken an … sind selten Andenken an etwas; der Leuchtturm dagegen schickt mir immer noch Warnsignale.
Meine Frau, Elena, nahm die Ankündigung meiner Reise mit verhohlener Freude entgegen. Ein paar Tage lang würde sie frei sein von meinen Kopfschmerzen, meinen einsilbigen Äußerungen, meinen nächtlichen Wanderungen durch das Haus. Die Kopfschmerzen, an denen ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr litt, waren in den letzten Monaten schlimmer geworden. Untersuchungen hatten nichts ergeben; man hatte mir Medikamente verschrieben, die meinen Magen, nicht jedoch die Schmerzen erledigten. Man hatte die Kopfschmerzen nacheinander meiner Wirbelsäule, genetischen Faktoren, Augenproblemen, der Ernährung, meiner Arbeit, dem Stress, der Stadt, der Welt zugeschrieben. Ich griff lieber auf Aspirin zurück.
Elena ist sechs Jahre jünger als ich; wie um den Unterschied zu verwischen, spielt sie die Autoritäre und gibt mir immer Ratschläge, und ich tue so, als sei ich bereit, diese zu befolgen. Das Erteilen von Ratschlägen ist Elena ein Bedürfnis, aber sie weiß, es ist nicht unabdingbar, dass ich sie befolge; es genügt, dass wir von Zeit zu Zeit einen entsprechenden Dialog führen, in dem sie Alter, Vernunft und Ordnung übernimmt, Eigenschaften, an die auch sie nicht glaubt.
»Vergrab dich nicht im Hotel. Mach dir keine Sorgen wegen des Vortrags«, sagte Elena, während sie das Gepäck überprüfte. Sie legte ein weißes Hemd mit feinen blauen Streifen dazu und ein paar Wildlederschuhe. Die Fotokopie einer Übersetzung, die ich noch zu korrigieren hatte, nahm sie heraus: »Nimm keine Arbeit mit.«
Immer bin ich es, der den Koffer oder die Tasche zu packen beginnt, aber sie bezichtigt mich der Vergesslichkeit, nimmt meinen Platz ein und beendet die Arbeit mit Schwung. Sie blieb stehen und betrachtete nachdenklich die verschlossene Reisetasche.
»Wir sind schon lange nirgendwo mehr hin gereist«, sagte sie.
Das war eine Lüge. In den letzten sechs Monaten hatten wir drei Reisen unternommen. Ich widersprach ihr nicht, da die Wahrheit für sie ebenso offensichtlich war wie für mich. Sie wollte etwas anderes sagen: dass sie von dieser Reise ausgeschlossen war, dass die anderen Reisen nicht zählten, weil diese jetzt stattfand, und keine vergangene Reise ist mit der zu vergleichen, die gleich beginnen wird.
»An deinem Geburtstag wirst du weit weg von mir sein«, sagte sie.
Das hatte ich ganz vergessen.
»Es sind doch nur vier Tage. Wenn ich wieder da bin, trommeln wir unsere Freunde zusammen, und du machst mir einen Kuchen mit kleinen Kerzen.«
»Kennst du die anderen Teilnehmer?«, fragte sie.
Ich erzählte ihr von Julio Kuhn, dem Gastgeber; ich erinnerte an die endlosen Gespräche in den Cafés gegenüber der Universität. Sie erinnerte sich an die Äußerungen der anderen, hatte aber natürlich nichts von dem behalten, was ich gesagt hatte; als hätte ich gegenüber redseligen Gesprächspartnern immer geschwiegen. Ich erzählte ihr auch von Naum, mit dem ich in einem Verlag gearbeitet hatte, als wir beide zwanzig gewesen waren. Elena, die nie Romane liest, sondern nur Essays, kannte Naum gut und wollte sogleich wissen, wie es ihm ging. Ich empfand eine Art Nadelstich von Neid und Eifersucht; seit langem hatte ich nicht an Naum gedacht, und mich betäubte das Gefühl, mich nicht von ihm distanzieren zu können – wie wenn man auf der Straße einen alten Schulkameraden sieht und ihn wegen irgendeiner Beleidigung prügeln möchte, die drei Jahrzehnte zurückliegt.
Naum hieß Silvio Naum und veröffentlichte seine Bücher als S. Naum, und ich hatte ihn immer einfach nur Naum genannt.
»Kennst du eine der eingeladenen Frauen?«, fragte sie.
Ich betrachtete die Liste und wies auf ein paar Namen. Ich erklärte ihr, dass ich sie nur flüchtig kannte und dass sie viel älter seien.
Bevor ich zu Bett ging, legte ich Geld, Ausweis und Fahrkarten zurecht, denn ich bin nicht daran gewöhnt, früh aufzustehen, und morgens verhalte ich mich wie ein Zombie. Im Fernsehen schauten wir uns irgendein Bruchstück aus einem Film an – weit nach dem Anfang, den wir schon gesehen hatten, und weit vor dem Ende, das wir ebenfalls kannten – und gingen zu Bett. Beide konnten wir nicht sofort einschlafen; jeder hörte die Bewegungen und Drehungen des anderen im stillen Tanz der Schlaflosigkeit. Ich legte meinen Arm auf sie, und ich glaube, sie ist dann eingeschlafen; ich nicht.
Ich reiste mit dem Flugzeug zur Hauptstadt der Provinz. Der Flug dauerte etwas länger als zwei Stunden. Ich las die Zeitung, löste das Kreuzworträtsel und versuchte, die Notizen zu ordnen, die ich mir für den kleinen Vortrag gemacht hatte, den ich über Kabliz halten sollte.
Bei unserer Ankunft peitschte der Wind mit Wucht über die Landebahn. Im Flugzeug hatte man uns einen Kaffee und ein Sandwich serviert, aber trotzdem hatte ich noch immer Hunger.
In der Empfangshalle des Flughafens warteten einige wenige Leute auf die Passagiere unseres Flugs. Ein Mann in gelber Windjacke hielt ein Schild hoch, auf dem »Übersetzungs-Kongress« stand, und sieben Passagiere – mich eingeschlossen – versammelten sich um ihn.
Noch ehe wir einander begrüßen konnten, führte der Gelbgekleidete uns zu einem grauen Kleinbus, dessen Windschutzscheibe durch ein Eisengitter geschützt war. Beim Einsteigen las er eine Liste mit unseren Namen vor und strich sie durch, sobald wir uns identifiziert hatten. »Naum?«, sagte er zuletzt, aber niemand antwortete.
Neben mir saß eine schlanke, elegante Italienerin; sie mochte etwa fünfzig sein. Aus ihrer Mappe zog sie einen Spiegel, um zu sehen, ob ihre Frisur den Südwind überlebt hatte. Mit der rechten Hand ordnete sie die Haare, bis sie befand, ihr Zustand erlaube es nun, sich vorzustellen. »Ich bin Rina Agri«, sagte sie, wobei sie mir die Hand reichte. Die Geste löste eine Welle von Begrüßungen aus, und alle gaben wir einander die Hand und sagten gleichzeitig unsere Namen, und niemand konnte sich etwas davon merken.
Als die Begrüßungen endeten und die Konversation wieder zerfaserte, fragte Rina Agri mich, was ich übersetzte. Ich erzählte ihr von den russischen Neurologen des Kreises um Kabliz, denen ich die letzten drei Jahre gewidmet hatte. Wie Menschen mit verschiedenen Muttersprachen, die beide verständliche Wörter suchen, um eine Unterhaltung beginnen zu können, forschten wir unter den übrigen Kongressteilnehmern nach gemeinsamen Freunden; dass sie Ana erwähnte, gefiel mir, denn durch die Erwähnung brachte sie sie mir ein wenig näher. Auch Naum kannte sie gut.
»In den letzten Jahren habe ich mich mit amerikanischen Bestsellern abgeben müssen, aber ich versuche, nicht die Neugier zu verlieren«, sagte sie. »Und ich korrespondiere noch immer mit einigen, mit denen ich an einer Geschichte der Übersetzung im Abendland arbeite. So habe ich Ana und Naum kennen gelernt.«
Seit zehn Jahren hatte ich keinen der beiden mehr gesehen. Mein ganzes Leben lang habe ich mich immer mit Leuten angefreundet, die dann aus dem einen oder anderen Grund ins Ausland gegangen sind; mit denen, die blieben, habe ich nichts gemein, und eigentlich auch nicht mit denen, die gingen. Ich empfinde mich als Fremder durch Ausschließung.
Die anderen Passagiere kommentierten die Landschaft, das heißt: die Un-Landschaft. Rechts und links vom Weg gab es nichts; achtzig Kilometer lang kein einziges Gebäude. Die niedrige, dornige Vegetation erstreckte sich in die Endlosigkeit.
Auf halber Strecke schlief die Konversation ein, belebte sich dann wieder, als der Weg der Küste zu folgen begann. Der Fahrer sagte nichts, er lenkte stumm, und wenn jemand ihm eine Frage stellte, antwortete er einsilbig.
»Waren Sie schon mal in Puerto Esfinge?«, fragte Rina.
»Noch nie«, sagte ich. »Ich wusste nicht einmal, dass es existiert.«
Aus der Mappe zog sie einen Plan und entfaltete ihn unter Schwierigkeiten. Karten sind eine abstrakte Version der Landschaft; aber auf dieser Reise geschahen die Dinge umgekehrt, und die Landschaft war eine abstrakte Version der Karte. Sie deutete auf einen Punkt am Meer. Ich suchte den Namen des Orts, fand ihn aber nicht.
Ein grünes Schild teilte uns mit, dass wir Puerto Esfinge erreicht hatten. Zunächst fuhren wir an einem Friedhof mit Eisengittern entlang, eingeschlossen zwischen grauen Mauern, und dann vorbei an einem Leuchtturm, der verlassen schien. Ihn umgab ein Drahtzaun, der in einem Sektor auf den Boden abgesackt war.
Der Wind schüttelte den Kleinbus. Das Meer, grau und kabbelig, hatte auf dem Strand einen Streifen aus toten Algen aufgetürmt, der an einigen Stellen die Konsistenz eines großen Walls der Verwesung annahm.
Weiter hinten hörte ich die Stimme eines Franzosen, der nach Palmen fragte, nach Sonne, nach den weißen Sandstränden, die man ihm versprochen hatte.
Der Kleinbus hielt vor dem Hotel. Eineinhalb Kilometer entfernt begannen die Häuser, die sich um die Bucht zogen.
Gemessen an Puerto Esfinge war das Hotel viel zu groß. Es sollte das Zentrum eines riesigen Tourismus-Komplexes sein, der aber nie zustande gekommen war. Es bestand aus zwei Gebäudeteilen, die einen zur Küste hin offenen Winkel bildeten. Eine Hälfte war fertig gestellt und begann zu verfallen; die andere hatte weder Türen noch Fenster, noch Putz. Ein riesiges Schild verhieß die Fortsetzung der Bauarbeiten, aber man sah weder Maschinen noch Arbeiter, noch Baumaterial. Über dem Eingang stand in versilberten Lettern: Hotel Internacional del Faro; darüber hingen einige ausgefranste und verfärbte Fähnchen.
Wir stiegen aus dem Kleinbus und vertraten uns die Beine. Ich rekelte mich und gähnte, das Gesicht zum Meer, in einer Art Gruß an die Natur; aber die kalte Luft löste bei mir einen Hustenanfall aus.
»In welcher Hotelhälfte werden wir wohl untergebracht?«, fragte die Italienerin.
Später, als ich meinen kleinen Koffer durch die Korridore trug, sollte ich bemerken, dass die Zugänge zum anderen Gebäudeteil durch abgeschlossene Türen oder ans Mauerwerk genagelte Bretter versperrt waren, und es gab Warnschilder, damit niemand hinüberging in das Hotel aus Schutt, eisigen Zimmern und Möwennestern.