
Vorwort
1 Einführung
1.1 Die Geschichte des Shotokan Karate
1.1.1 Okinawa-Te, der Ursprung des modernen Karate
1.1.2 Das moderne Karate entsteht
1.1.3 Gichin Funakoshi – der Vater des modernen Karate
1.1.4 Shotokan Karate verbreitet sich weltweit
1.1.5 Die Weiterentwicklung des Shotokan durch Masatoshi Nakayama
1.1.6 Shotokan Karate heute
1.1.7 Karate im Deutschen Karate-Verband
1.2 Karate-Do
2 Praxis
2.1 Karate: Anforderungen und Eigenschaften
2.1.1 Grundanforderungen
2.1.2 Spezifische Karateeigenschaften
2.1.2.1 Zielgerichtetheit der Technik
2.1.2.2 Einsatz der Hüfte
2.1.2.3 Kime
2.2 Das Karatetraining
2.2.1 Training
2.2.2 Angrüßen und die Dojo-Etikette
2.2.3 Aufwärmen und Gymnastik
2.2.4 Kihon
2.2.5 Kumite
2.2.6 Kata
2.3 Prüfung
2.3.1 Unterstufe
2.3.2 Mittelstufe
2.3.3 Oberstufe
3 Grundstellungen
3.1 Musubi-Dachi
3.2 Hachi-Dachi
3.3 Zenkutsu-Dachi
3.4 Kokutsu-Dachi
3.5 Kiba-Dachi
3.6 Fudo-Dachi
3.7 Neko-Ashi-Dachi
3.8 Jiyu-Dachi
4 Grundtechniken
4.1 Abwehrtechniken
4.1.1 Age-Uke
4.1.2 Uchi-Uke
4.1.3 Soto-Uke
4.1.4 Gedan-Barai
4.1.5 Shuto-Uke
4.2 Angriffstechniken mit den Armen
4.2.1 Oi-Zuki
4.2.2 Gyaku-Zuki
4.2.3 Kizami-Zuki
4.2.4 Uraken-Uchi
4.2.5 Empi-Uchi
4.2.6 Shuto-Uchi
4.3 Angriffstechniken mit den Beinen
4.3.1 Mae-Geri
4.3.2 Yoko-Geri
4.3.3 Mawashi-Geri
4.3.4 Ushiro-Geri
4.3.5 Ura-Mawashi-Geri
5 Das Prüfungsprogramm
5.1 Kihon und Kumite
5.1.1 Unterstufe
Neunter Kyu, Weißer Gürtel
Achter Kyu, Gelber Gürtel
Siebter Kyu, Oranger Gürtel
5.1.2 Mittelstufe
Sechster Kyu, Grüner Gürtel
Fünfter Kyu, Blauer Gürtel
Vierter Kyu, Blauer Gürtel
5.1.3 Oberstufe
Dritter Kyu, Brauner Gürtel
Zweiter Kyu, Brauner Gürtel
Erster Kyu, Brauner Gürtel
Erster Dan, Schwarzer Gürtel
5.2 Jiyu Kumite
5.3 Kata
5.3.1 Heian Shodan
5.3.2 Heian Nidan
5.3.3 Heian Sandan
5.3.4 Heian Yondan
5.3.5 Heian Godan
5.3.6 Tekki Shodan
5.3.7 Bassai-Dai
6 Anhang
6.1 Bibliografie
6.2 Kommentierte Bibliografie
6.3 Glossar
6.4 Adressen
6.5 Danksagung
6.6 Bildnachweis
Technik, Training, Prüfung

Meyer & Meyer Verlag
Shotokan Karate – Technik, Training, Prüfung
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© 2000 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen,
5., überarbeitete Auflage 2008
9. Auflage 2018
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Karate-Do, so wie wir es heute kennen, ist eine traditionsreiche und dennoch relativ neue Kampfkunst. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, wie dieser scheinbare Widerspruch zu erklären ist.
Okinawa, das als Ursprungsland des Karate gilt, liegt als größte Insel der Ryu-Kyu-Inselgruppe ca. 500 Kilometer von der japanischen Insel Kyushu entfernt und ungefähr 800 Kilometer vor Foochow, dem chinesischen Festland.
Die Insel, deren Bewohner hauptsächlich von Fischfang und Landwirtschaft, aber auch vom Handel mit den Nachbarländern lebten, war bis zum 15. Jahrhundert in drei Königreiche aufgeteilt. Diese Provinzen, Chuzan, Nanzan und Hokuzan, bekriegten sich heftig untereinander. Bereits vor der Vereinigung der drei Regionen, 1429 unter dem König von Chuzan, Sho Hashi, nahm die Insel auf Grund ihrer besonderen geografischen Lage einen hohen Stellenwert als Zentrum für den florierenden Handel mit den Nachbarländern China, Korea, Taiwan und Japan ein. Der damit verbundene Import kultureller und politischer Einflüsse trug auch zur Verbreitung regionaler Kampfkünste anderer asiatischer Länder in bestimmten Gebieten Okinawas bei.
Dieser Einfluss beschränkte sich zwar auf die wirtschaftlichen Zentren Shuri, Naha und Tomari, verhalf den unterschiedlichsten Kampfkünsten jedoch zu einem enormen Aufschwung.
Zu nennen sind hier die Kenntnis im Umgang mit Waffen, die durch japanische Flüchtlinge schon im 10. Jahrhundert nach Okinawa kam, wie der Umgang mit Pfeil und Bogen oder derjenige mit Schwertern (Katana und Tachi) sowie die Vielzahl von harten und weichen Stilen der chinesischen Kunst Chuan-Fa, das als Vorläufer des heutigen Kung-Fu gilt.
Auch wenn sich in vielen Darstellungen der Geschichte des modernen Karate noch immer der Irrtum hält, dass die Chinesen den Einwohnern Okinawas die Kampfkünste beigebracht hätten und diese dann ihr System Karate daraus entwickelt hätten, gehen Kenner davon aus, dass die ältere Kampfkunst Te (Te = Hand) bereits vor dem chinesischen Einfluss auf Okinawa existierte und dort von einigen Meistern gelehrt wurde. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Chinesen, die sich gegenüber der Bevölkerung Okinawas für sozial und kulturell überlegen hielten, dort diese Künste systematisch unterrichtet haben. Die chinesischen Einflüsse auf die regionale Kampfkunst Okinawa-Te wirkten eher indirekt. So brachten etliche Gesandte aus Okinawa 1372 unter der Regentschaft des Königs Satto Elemente chinesischer Kampfkünste zurück auf die Insel. Dort wurden die Kampfkünste jedoch immer nur von wenigen an kleinen Schulen geübt und im Freundeskreis und in der Familie weitergegeben. So erklären sich auch die unterschiedlichen Ausprägungen, die das einheimische Te angenommen hatte.
Davon, dass Te so etwas wie ein Volkssport gewesen sei, kann jedoch keine Rede sein. Es war die Kampfkunst weniger Eingeweihter.
Ein direkter chinesischer Einfluss ergab sich durch eine Ansiedelung von 36 chinesischen Familien in der Nähe von Naha, die hier im Jahre 1392 eine kleine Siedlung mit Namen Kumemura gegründet hatten und von dort aus die Einwohner der Insel erstmals mit dem Zen-Buddhismus vertraut machten, indem sie ihre Religion und Philosophie lehrten. Es ist wahrscheinlich, dass sie die Entwicklung des Te in der Gegend von Naha beeinflussten. Das dort verbreitete Naha-Te (später Shorei-Ryu, Ryu = die Bezeichnung für Schule) gilt als inspiriert von der Tradition des Chuan-Fa. Es enthält dynamische Bewegungen und legt großen Wert auf die Atmung und schnelle Kraftentwicklung der Techniken. Andere Zentren des Te waren Tomari und Shuri (die hier entwickelten Stile wurden später auch Shorin-Ryu genannt). Chinesischer Einfluss zeigte sich hier an den atembetonten Techniken und runden Abwehrbewegungen des Shuri-Te. Tomari-Te enthielt beide Elemente und betonte flexible, schnelle Bewegungen.
Die einheimischen Techniken des Te unterteilt der amerikanische Autor Randall Hassell, der eines der wohl fundiertesten Bücher über die Geschichte des Shotokan Karate geschrieben hat, in zwei unterschiedliche Kampfsysteme: ein von der bäuerlichen Bevölkerung bevorzugter Stil mit tiefen Ständen, um sich aus der tiefen Stellung heraus mit Armen und Beinen zu verteidigen und ein kraftvoller Stil mit zahlreichen starken Armbewegungen, der auf die Tradition der Fischer zurückzuführen ist.
Außerdem war die Bevölkerung Okinawas sehr kreativ im Gebrauch ihrer Werkzeuge als Waffen gegen marodierende Samurai, gegen plündernde Besatzer und Piraten. Die Kunst im Umgang mit diesen Werkzeugen als Verteidigungsinstrumente wurde Kobudo genannt und enthielt Bo, Tonfa, Sai, Nunchaku, Eku, Kama, Kusarigama und andere Geräte. Je nach Art der Waffen erlaubten diese den Kampf auf kurze und auf lange Distanz. Viele Techniken der Katas enthalten auch heute noch Abwehrbewegungen gegen Angriffe mit diesen Werkzeugen. Als der Gebrauch von Waffen zum ersten Mal unter der Herrschaft von Sho Shin (1477-1526) verboten wurde, erlebten diese Fertigkeiten, sich mit unverdächtigen Alltagsgegenständen der Fischer und Bauern effektiv zur Wehr zu setzen, einen großen Aufschwung, ebenso die waffenlose Selbstverteidigung.
Der starke japanische Einfluss seit der Besetzung der Insel durch den Clan von Ieshisa Shimazu im Jahre 1609, auch als Herrschaft der Satsuma-Dynastie bezeichnet, hatte zu beträchtlichen Repressionen gegenüber der Bevölkerung geführt: Selbst zeremoniell eingesetzte Schwerter und die Bewaffnung der Staatsbediensteten wurden untersagt. Die Bevölkerung stand buchstäblich mit leeren Händen da.
Wechselnde Besatzungsmächte, Repressionen durch neue Herrscher und der Zwang, sich gegen oft lebensgefährdende Übergriffe zu wehren, hatten also den Aufschwung des Te und des Kobudo bewirkt. Dies geschah stets in kleinen Kreisen, die jeweils für sich ihr System so entwickelten, dass es ihren Verteidigungsbedürfnissen entsprach. Die Effizienz der waffenlosen Selbstverteidigung führte dazu, dass die Japaner auch sie mit einem Verbot belegten.
Die Meister der verschiedenen Systeme konnten ihr Wissen daher nur im Geheimen weitergeben, was die Entwicklung eines einheitlichen Okinawastils abermals verhinderte. Diesen Meistern wurde von der Bevölkerung großer Respekt entgegengebracht. Manche gaben die Techniken als verschlüsselte Bewegungsabläufe weiter, die als Kata bezeichnet wurden. Die heute gebräuchliche Übersetzung des Begriffs Kata als Form gibt nur unzureichend wieder, dass das ständige Üben dieser Abläufe bis zur Perfektion zwar auch der Verbesserung von Technik und Körperbeherrschung diente, im Ernstfall gegen bewaffnete Angreifer aber über Leben und Tod entscheiden konnte. Um die Wirkung ihrer Techniken zu verbessern, nutzten die Einwohner Okinawas verschiedene Hilfsmittel. Das Bekannteste ist das Makiwara, ein Schlagpolster, das an einem Holzpfosten befestigt wird. Notwendig zur Beherrschung des Te war die völlige Identifikation mit den praktizierten Techniken sowie die absolute Konzentration darauf, einen Aggressor mit dem ersten Schlag außer Gefecht zu setzen. Hatte man es doch oft mit schwer bewaffneten Samurai zu tun, die versuchten, ihre Kriegskassen auf Kosten der Landbevölkerung aufzufüllen.
Das Ende der Satsuma-Herrschaft im Jahre 1872 und die Reformen der Meiji-Regierung in Japan ab 1868 bewirkten eine Liberalisierung der gesamten japanischen Gesellschaft und brachten etliche Prinzipien der feudalistischen Klassengesellschaft zu Fall. Moderne Verkehrsmittel, der aufkommende weltweite Handel und, damit verbunden, der Kontakt mit anderen Kontinenten und deren Kulturen bewirkten eine Öffnung der japanischen Gesellschaft der restlichen Welt und ihren Werten gegenüber.
Da Okinawa seit 1875 offiziell zu Japan gehörte, profitierte die Insel ebenfalls von dieser Öffnung. Und selbstverständlich auch das Okinawa-Te oder Tang-Te, wie die waffenlose Kunst auf Okinawa in Anlehnung an die Tang-Dynastie (Tang = Chinesisch) genannt wurde. Ab dieser Zeit konnte Te offiziell praktiziert werden. Wichtig für das Verständnis des modernen Karate ist die Tatsache, dass die Japaner Okinawa damals zwar hinsichtlich seiner Verwaltung als Teil Japans ansahen, der Kultur Okinawas aber immer misstrauten, sie ablehnten oder als rückständig verachteten.
Ende des 19. Jahrhunderts konnte man nicht von einem einheitlichen Stil der Kampfkunst Te in Okinawa sprechen. Wie bereits beschrieben, entwickelte sich im Verlauf der Jahrhunderte eine große Vielzahl von Schulen und Stilrichtungen, von denen Naha-Te, Shuri-Te und Tomari-Te nur die bekanntesten waren. Im heutigen Sinne fällt es schwer, einige dieser Te-Formen überhaupt als Stilrichtungen zu bezeichnen, bestand das Repertoire ihrer Meister doch teilweise nur aus einer einzigen oder aus sehr wenigen Techniken. Von einem Meister wird berichtet, dass er sein ganzes Leben lang nur Stöße mit den Ellbogen übte. Manchmal waren die Bauern oder Fischer, die diese Schläge oder Tritte praktizierten, sehr bekannt für diese eine Technik, die sie ihr ganzes Leben lang immer geübt hatten und die sie mit großer Perfektion und Effizienz beherrschten. Andere Meister hatten dagegen begonnen, komplette Systeme zu entwickeln.
Der Historiker Reilly berichtet darüber, dass unter den großen Schulen des Shuri-Te, Naha-Te und Tomari-Te eine immense Rivalität entstand, nachdem ihre Künste offiziell erlaubt waren. Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Schulen fügten dem großen Ansehen des Te auf Okinawa Schaden zu. Trotzdem wuchs die Popularität des (Kara-)Te. Der für die Schulausbildung der Präfektur Kagoshima verantwortliche Beamte Shintaro Ogawa berief den Meister Anko Itosu zum Instruktor für die Ausbildung an den Grundschulen. Ihn hatte die Vorführung eines jungen Mannes beeindruckt, dessen Gruppe von Schülern eine außerordentlich gute körperliche Verfassung aufwies: Gichin Funakoshi war sein Name. 1902 war (Kara-)Te Schulsport auf Okinawa geworden.
Bestand die ursprüngliche Bedeutung des Te immer im Zweck der physischen Vernichtung des oft bewaffneten Gegners, markierte die Entwicklung zum Schulsport eine Wende. Nicht nur durch den Übergang von der nur Auserwählten zugänglichen, heimlich betriebenen Kunst zum offiziellen Teil des Schulunterrichts, sondern auch durch die Entwicklung eines tödlichen Kampfsystems zur Sportart, deren Zweck die charakterliche und körperliche Schulung ist.
Dieser neue Aspekt des Karate, dessen Training nun mit der Verbesserung von Kondition und Einstellung der Schüler begründet wurde, reicht also bis auf die Zeit des Okinawa-Te um 1900 zurück. Die Bezeichnung Kara-te wurde ebenfalls in dieser Zeit erstmals benutzt. Tang ist die Bezeichnung für China und Kara die japanische Übersetzung dafür. Die Bezeichnung chinesische Hand entsprach der Hochachtung, die China auf Okinawa genoss. 1904 wurde die Schreibweise für Karate das erste Mal in einem Buch über Karate verändert. Der Autor hieß Chomo Hanagi und er reflektierte damit den zunehmenden japanischen Nationalismus und die wachsende Ablehnung gegenüber allen chinesischen Einflüssen auf Okinawa und in Japan.
1922 änderte Funakoshi den Namen definitiv in Karate, wobei er das japanische Schriftzeichen für Kara (= leer) statt des Zeichens Kara für chinesisch benutzte. Damit war die Bedeutung Karate = leere Hand fortan geläufig für das neu systematisierte Karate.