Johannes Sachslehner
Leben und Taten
des SS-Hauptsturmführers Amon
Leopold Göth
ISBN 9783990401729
© 2008 und 2013 by Styria premium
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien · Graz · Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten
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Umschlaggestaltung: Bruno Wegscheider
Buchgestaltung: Alfred Hoffmann
Reproduktion: Pixelstorm, Wien
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
Cover
Titel
Impressum
Zitate
Hoffnung Erinnerung
Kosename Mony
Gegen eine Welt voll Teufel und Juden
Geschäfte mit dem Vater
Im inneren Kreis der Mörder
„Schöne Arbeit“ Krakau
Ich bin euer Gott!
Monys Reich
Der Mamser
Wer zuerst schießt, hat mehr vom Leben
Welch ein Traum von Mann!
Sex & Liebe
Oskar, Amon und die „Emalia“
Das Attentat
Das Polenlager
Hände waschen nach der „Arbeit“
Blutiger Herbst
Der Coup des Mietek Pemper
Liebesstunde
Showdown im Julag I
Geburtstag & Feiertage
KZ Płaszów
Entsprechende Arbeit für jeden
Die ganzen Nazis, die können mich mal!
Eine tödliche Falle für Wilek Chilowicz
Ringen um Schindlers Liste
Verhaftung und SS-Gericht
Dem Galgen entgegen
Anhang
Cruelty has a human heart.
William Blake
A Divine Image
Die Wirklichkeit der Ereignisse ist nicht rekonstruierbar.
Die unermüdliche Suche nach Erkenntnis geht weiter, und mag sie noch so aufwändig sein, damit nicht alles verloren und vergessen wird.
Raul Hilberg
Die Quellen des Holocaust
Amon Göth gehörte zu der Gattung von Menschen, die man, selbst wenn man sie nur einmal gesehen hat, nie wieder vergessen kann.
Roman Frister
Die Mütze oder Der Preis des Lebens
Über sechs Jahrzehnte trennen uns inzwischen von den grauenvollen Verbrechen der Nazimörder. So wie ihre Opfer haben auch die Täter vielfach ihr Gesicht verloren, Zehntausende von Massenmördern sind in der Anonymität einer sich immer weiter entfernenden Vergangenheit versunken. Vieles aus diesen Zeiten des Terrors und des Schreckens kann nicht mehr erzählt werden, da es vergessen ist, so ganz und gar vergessen, dass es scheint, als ob es nie gewesen wäre.
Indem sich dieses Buch auf die Suche nach den Spuren eines der österreichischen Täter und seiner zahllosen Opfer begeben hat, möchte es unsere Sinne für die Wahrnehmung der Nazi-Verbrechen schärfen. Es plädiert für eine Wahrnehmung, die über gedankenlose Feststellungen und Lippenbekenntnisse, über das folgenlose Repetieren von Zahlen und Fakten hinausgeht. Die trauerlose, schweigende Gleichgültigkeit, mit der Millionen von Menschen der Kriegsgeneration dem Judenmord, dem Mord an den Roma und Sinti oder an den Homosexuellen und Behinderten zusahen, darf nicht die unsere sein! Es genügt nicht zu wissen, dass sechs Millionen Juden feige ermordet worden sind – dieses Wissen muss auch in unser Herz einziehen, die Verbrechen der Nazis müssen uns Vermächtnis und klarer Auftrag sein, der schmerzende Stachel, der uns antreibt: nicht nachzulassen im Kampf gegen die faschistische Ideologie, gegen Rassismus und Gewalt. Nur wenn das furchtbare Geschehen von damals unauslöschlich Teil unseres Bewusstseins ist, werden wir auch entsprechend reagieren können, wenn sich das Pendel wieder gefährlich in die Richtung faschistischer Herrschaftspraxis bewegen sollte. Wer sich scheut hinzublicken und nur „seine Ruhe“ haben will, darf nicht überrascht sein, wenn schon morgen das Tabu des Tötens außer Kraft gesetzt wird und die Mörder morgen wieder unter uns sind!
Frieden und Demokratie, die Eckpunkte unseres Wohlstands, sind nur zu bewahren, wenn wir für sie bereit sind zu kämpfen. Die Erinnerung an die Schrecken des Holocaust wird uns Quelle der Kraft sein. Zwar stimmt es, dass dieses Erinnern „nichts sühnt“, wie es der Soziologe Wolfgang Sofsky formuliert hat, und es den Opfern nicht hilft. Inmitten von Ignoranz und Passivität, von Dummheit und Genusssucht unserer „Spaßgesellschaft“ ist sie aber zumindest ein Hoffnungsschimmer: auf ein Bewusstsein von Geschichte, das die Vergangenheit ernst nimmt. Immer wieder liest man in den Aufzeichnungen von Überlebenden des Holocaust, dass sie es nicht glauben konnten, dass derartige Exzesse von Gewalt von Angehörigen einer modernen Gesellschaft überhaupt begangen werden konnten. Man vertraute bis zum letzten Schritt an den Rand des Massengrabes darauf, dass diese „unvorstellbaren“ Verbrechen unmöglich seien – und wurde eines Besseren belehrt! In den Todeslagern und Tötungsfabriken der Nazis zeigte sich: Auch wer Goethe liest und Richard-Wagner-Opern hört und von Kant schwärmt und von Schopenhauer, ist vor dem Blutrausch des Mordens nicht gefeit – der Holocaust führte das Gerede von der deutschen „Kulturnation“ ebenso ad absurdum wie jenes vom „Kulturland“ Österreich. Ja, die Schreie der Gemarterten und der Sterbenden sind nicht mehr hörbar, ihre Hilflosigkeit und Verlassenheit, ihre Verzweiflung und ihre Todesangst nicht mehr spürbar, wir, die Nachgeborenen, können nicht mehr helfen, nichts, nichts kann rückgängig gemacht werden. Wir können allenfalls die Opfer für die Untaten unserer Großväter und Großmütter, unserer Väter und Mütter um großmütige Verzeihung bitten. Wir können aber zuhören, wenn Überlebende erzählen, wir können unser Gewissen erforschen und zumindest die richtigen Schlüsse ziehen. Aus der Erinnerung wächst eine wichtige Erkenntnis: Die Archive des NS-Grauens eröffnen uns Dimensionen des Menschseins, die wir nicht wahrhaben wollen und die dennoch Wirklichkeit sind. An die Stelle des „Willens zum Nichtwissen“ (Wolfgang Sofsky) muss daher der Willen zum Wissen treten – nicht als lästige Pflicht und sinnentleertes Ritual der allseits geforderten political correctness, sondern als Selbstschutz. Wenn wir überleben wollen, müssen wir handeln!
Der Wiener SS-Killer Amon Leopold Göth, von dem dieses Buch erzählt, handelte nicht aus Befehlsnotstand. Er war kein „Täter wider Willen“. Göth war sein eigener Herr und scherte sich wenig um Vorgesetzte, ja, er hasste all die „Schreibtischhengste“ in ihren Büros. Das Töten war allein seine Initiative, er tat es aus Lust und nicht aus Zwang. Er benötigte keinen Befehl, sondern nützte skrupellos den „Freiraum“, den ihm die Todeswelt der Lager bot. Göth, der Lagerkommandant, zelebrierte seine uneingeschränkte Macht über rechtlose Häftlinge bis zum Exzess. In einer barbarischen Welt, in der Menschenwürde nichts mehr zählte, genoss er es, alle Grenzen des Menschlichen zu überschreiten. Es war der wollüstig-teuflische Reiz des Töten-Dürfens, dem er nicht widerstehen konnte, dieser letzte „Kick“, den er empfand, wenn er in die Augen der Todgeweihten blickte. Und er war kreativ, wenn es darum ging, dieses Morden „mit Stil“ zu inszenieren. Ihm, dem erfinderischen Regisseur des Todes, wurde das Lager zur Bühne, auf der Tag für Tag in immer neuen Varianten dasselbe blutige Schauspiel gegeben wurde: der Mord an den Juden. Gekonnt setzte er die entsprechenden Signale für seine „Mitspieler“: das Tragen einer bestimmten Mütze und/oder von weißen Handschuhen, Schlagermusik, Walzer und große Oper – das Töten wurde so gleichsam zum „Event“, es hatte tatsächlich Unterhaltungswert und machte ihm und seiner SS-Entourage nicht wenig „Spaß“. Es war ein „Sport“ für „harte“ Männer. All das wussten die Häftlinge auch bald richtig zu deuten und zu fürchten. Ein eigener Lagercode für die Zahl der Opfer wurde kreiert: 4 : 0 hieß es lakonisch am Lagertor, wenn Häftlinge abends von ihrem Arbeitseinsatz zurückkamen – vier Tote, für Göth das „Ergebnis“ des Tages.
Der Verlegersohn aus Wien verlor dabei niemals die „wirtschaftliche“ Seite des Judenmordes aus den Augen: jene attraktiven Gewinnaussichten, die ihn bereits träumen ließen von einem Luxusleben als Bankhaus-, Druckerei- und Landgutbesitzer. Göth sah die einmalige Chance gekommen, sich für die Zeit „danach“ als „Unternehmer“ großen Stils etablieren zu können – man musste es nur geschickt anfangen. Doch da ließen ihn seine Kumpane schlussendlich im Stich …
Göths Geschichte ist die exemplarische Geschichte eines jungen Österreichers, der vom idealistisch gesinnten braunen „Revolutionär“ zum gewissenlosen Akteur des Massenmordes wurde. Eindringlich führt sie uns vor Augen, was an Bestialität und Menschenverachtung möglich ist, wenn nur die Bedingungen dafür geschaffen werden. Es ist daher eine Geschichte, die uns alle angeht.
Johannes Sachslehner
März 2008
Es ist der 11. Dezember 1908. Unter den Menschen, die an diesem trüben Wintertag in Wien geboren werden, sind manche, denen ein außergewöhnliches Schicksal vorgezeichnet ist. Da ist etwa ein Mädchen, die Jüdin Ruth Weiss. 1933 wird sie nach Shanghai emigrieren; später wird die Lehrerin und freie Journalistin Augenzeugin der chinesischen Revolution und der Aufbaujahre der Volksrepublik China, sie stirbt 2006 im Alter von 97 Jahren. Und da ist ein Junge, Amon Leopold Göth. Er wird 1946 am Galgen sterben, sein Leichnam verbrannt, die Asche verstreut. Die Erinnerung an ihn wird jedoch für immer bleiben.
Er tritt ins Leben im Haus Nummer 5 in der Morizgasse in der Vorstadt Gumpendorf. Hier liegt an diesem 11. Dezember 1908 die 31-jährige Bertha Göth in den Geburtswehen, ihr zur Seite steht die Hebamme Maria Altmann, die aus der nahen Stumpergasse herbeigerufen worden ist und das Vertrauen der Gebärenden besitzt. Als der ersehnte Sohn das Licht der Welt erblickt, ist die Freude groß.
Eine Woche später, am 18. Dezember 1908, bringen Amon Franz und Bertha Göth ihr Kind in die Pfarrkirche Gumpendorf zur Taufe; Taufpate ist Onkel Amon Göth, wohnhaft in der Oberen Augartenstraße 50, als Beruf hat er im Pfarramt „Geschäftsleiter“ angegeben.
Die Eltern sind sich einig: Ihr Sohn wird jenen ungewöhnlichen Vornamen tragen, der in der Familie zur Tradition geworden ist: Amon. Amon oder Amun, das ist der widderköpfige „Allesbeweger“ der alten Ägypter, der Gott der Fruchtbarkeit, der den Sternen, den Menschen und den Tieren das Leben gab und als Amun-Re zum Hauptgott des Landes wurde. Um ihn von Vater und Taufpaten und Großvater, der ebenfalls Amon Göth heißt, zu unterscheiden, hat man sich für „Leopold“ als zweiten Vornamen entschieden. Der Kooperator der Pfarrkirche zum heiligen Ägydius, Pater Gallus Urwalek, spendet das Sakrament; die Familie feiert andächtig mit; sie fühlt sich den Traditionen des katholischen Glaubens eng verbunden. Amon Franz und Bertha Göth, geborene Schwendt, haben am 2. Februar 1908 in der Pfarrkirche Mariahilf in Graz geheiratet, beide sind jedoch „echte“ Kinder der Haupt- und Residenzstadt Wien und stammen aus einfachen Verhältnissen: Der Vater, Sohn des Kellners Amon Göth und der Maria Göth, geborene Rokos, ist am 4. Mai 1880 in Hernals geboren; die Mutter Bertha ist am 21. Juli 1877 als Tochter des Leopold Schwendt, eines Gumpendorfer Zimmermeisters, und der Anna Schwendt, geborene Fröhsl, zur Welt gekommen. Amon Franz Göth ist „Reisender“, was immer das genau heißen mag. Und er hat eine große Familie: Acht Geschwister sind es neben ihm.
Tante Käthe, eine der Schwestern des Vaters, selbst kinderlos, kümmert sich aufopferungsvoll um den kleinen Amon, der nur mit seinem Kosenamen „Mony“ gerufen wird, ja, sie „vergöttert“ den Jungen geradezu, dem es an nichts fehlt. Obwohl sich seine Eltern wenig Zeit für ihn nehmen, entwickelt der Junge, so die Familienüberlieferung, eine starke Elternbindung.
Es ist Monys Mutter Bertha, die Geschäftssinn beweist und das kleine Familienunternehmen, einen 1916 gegründeten „Buch- und Kunsthandel“, erfolgreich führt. Inhaber des im März 1916 ausgestellten Gewerbescheins ist Vater Franz Amon, der bereits seit dem Frühjahr 1914 eine Konzession als „Reisebuchhändler“ besitzt. Nun ist er für die neue Firma, die unter „Ausschluss des Ladenverkaufs“ arbeitet, als Reisender tätig. Er und wohl auch einige Mitarbeiter verkaufen, was man in den bürgerlichen Haushalten in diesen Tagen des Krieges benötigt: Bücher religiösen und patriotischen Inhalts, Heiligenbilder, Ansichtskarten und diverse Papierwaren. Im Oktober 1916 erwirbt Amon Franz Göth noch eine Konzession für den „Gemischtwarenhandel en gros“; Standort des Unternehmens ist von nun an die Mariahilfer Straße 105. Die Familie selbst ist inzwischen von der Morizgasse 5 in die Mittelgasse 37 umgezogen.
Ein netter Junge aus bürgerlichem Haus: Amon Göth, genannt Mony
Als „Seele des Unternehmens“ werkt von Beginn an Bertha Göth, sie führt die Geschäfte. Ihr Mann gibt das Geld, das sie verdient, auf weiten Reisen, die ihn bis in die USA und durch Europa führen, wieder aus. Franz Amon Göth ist ein Gentleman und ein Mann von Welt – er spricht perfekt Englisch und beeindruckt durch beste Umgangsformen. Diesen ausgeprägten Sinn für Stil und Etikette vererbt er auch seinem Sohn: „Er prüfte zuerst die Tischmanieren. Und wenn da nichts missfiel, wurde man in seinen Kreis aufgenommen“, erzählt Tochter Monika heute über ihren Vater.
Familie Göth lebt in guten bürgerlichen Verhältnissen: Man hat ein Dienstmädchen und irgendwann zu Beginn der Zwanzigerjahre kann man sich sogar ein schickes Automobil leisten – für den heranwachsenden Mony wird der erste Ausflug mit dem chromblitzenden Gefährt zur faszinierenden Erfahrung.
Als Mony im Herbst 1915 beginnt in die Schule zu gehen, tobt seit über einem Jahr der Erste Weltkrieg. Längst ist die Begeisterung der Augusttage 1914 verflogen; nach den blutigen Niederlagen im Herbst 1914 schöpft man jedoch wieder etwas Hoffnung: In Galizien sind die k. u. k. Truppen wieder in der Offensive; in den Dolomiten und am Isonzo stehen sie erfolgreich im Abwehrkampf gegen die Italiener. Noch mag niemand daran denken, dass dieser Krieg der letzte der ruhmreichen Armee des Kaisers sein könnte. Für Franz Amon Göth bleibt der Krieg überhaupt ein fernes Ereignis: Er hat es irgendwie geschafft, nicht zur Truppe eingezogen zu werden.
Mony besucht eine private katholische Volksschule; seine Eltern wollen ihm jene Werte vermittelt wissen, die sie zur Richtschnur ihrer Existenz erhoben haben: Gottvertrauen, Fleiß, Anständigkeit, Gesetzestreue. Ihr Sohn soll einmal in ihre Fußstapfen treten und die Firma übernehmen, die sie mit so viel Kraftanstrengung aufgebaut haben. Es ist das drückende Gefühl dieser Verpflichtung den Eltern gegenüber, das Mony von den Volksschultagen an nicht mehr los wird.
Die Schrecken des Krieges ziehen an dem durchaus aufgeweckten Volksschüler wohl nicht spurlos vorbei: Familie Göth wohnt seit Februar 1917 in einem neu erbauten Haus in der Mollardgasse 34; unweit davon befindet sich die 1873 als „k. k. Kunststickereischule“ gegründete „k. k. Zentral-Lehranstalt für Frauengewerbe“, die seit dem Ausbruch des Krieges als Lazarett dient. Beinahe täglich treffen hier von dem nur einen Kilometer entfernten Frachtenbahnhof der Südbahn die Sanitätswagen mit Verwundeten vom Isonzo ein – der Anblick verstümmelter, halbtoter Soldaten, von Männern ohne Arme oder Beine in blutigen Verbänden wird zu seinem Kriegserlebnis. Für große Illusionen über den heroischen Krieg ist da kein Platz mehr, wohl aber für das schmerzende Gefühl der Niederlage und des Untergangs, das auch die bürgerliche Welt der Göths durchtränkt. Mony ist zehn Jahre alt, als die Monarchie zusammenbricht und die Republik „Deutsch-Österreich“ ausgerufen wird. Bald wird er erkennen, dass er mit dieser um ihr Überleben kämpfenden Repablick nichts zu tun haben will; da ist die Sehnsucht nach einer größeren Heimat, die nur Deutschland heißen kann …
Noch ordnet er sich jedoch der Lebensplanung seiner katholischen Familie unter: Am 29. Mai 1919, es ist der Christi-Himmelfahrts-Tag, empfängt Mony im Stephansdom das Sakrament der Firmung – in St. Germain-en-Laye wartet die österreichische Delegation an diesem Tag vergeblich auf die angekündigte Überreichung des Friedensvertrages. Eine weitere Demütigung durch die Entente-Mächte, die man nicht vergessen wird.
Mony war kein Musterschüler“, wird später sein Vater über ihn sagen. Eine vornehme Formulierung für den Ärger, den seine schulischen Leistungen bereiten. Dabei ist Mony, daran besteht kein Zweifel, ein intelligenter, vielseitig begabter Junge; was fehlt, ist die nötige Einstellung zum Lernen. Er will nur eines: ausbrechen aus der engen Welt dieses katholisch-bürgerlichen Haushalts. Die Eltern fühlen sich jedenfalls überfordert und wählen eine Lösung, die als letzter Ausweg für Wiener Familien dieser Zeit nicht unpopulär ist: Sie schicken ihn nach fünf Klassen Volksschule aufs Land – ins Konvikt nach Waidhofen an der Thaya. Hier, in der stillen Waldviertler Kleinstadt, abseits aller Verführungen durch das „Sündenbabel“ Wien, soll er die Oberrealschule besuchen und mit der Matura den Grundstein für ein erfolgreiches Berufsleben legen. Das Waidhofener Konvikt ist bekannt als refugium peccatorum, den Widerspruchsgeist Monys vermögen jedoch auch die strengen Erzieher des Heims nicht zu brechen; ja, vielmehr scheint hier sein Charakter weitere negative Prägungen erfahren zu haben – so könnte sein Hang zu seltsamen sadistischen Scherzen aus den Erfahrungen dieser Zeit resultieren. Die großen Hoffnungen der Eltern erfüllen sich nicht: In der 6. Klasse ist für ihn Schluss mit der „Quälerei“, es helfen keine Drohungen und keine Versprechungen mehr; die Matura bleibt ein unerfüllter Wunschtraum. Was bleibt, ist eine ebenso unspektakuläre wie vernünftige Entscheidung: Bertha und Amon Franz Göth holen ihren Sohn in die Firma, er soll Verlagsbuchhändler lernen und so zumindest für das familieneigene Geschäft gerüstet sein. Der Zeitpunkt ist günstig, denn am 1. Juli 1925 kann Amon Franz Göth seine Konzession betreffend den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel auf den „Verlag und Vertrieb unter Ausschluss des offenen Ladengeschäftes“ ausdehnen.
Da, bevor Mony noch nach Wien zurückkehren muss, nimmt ihn ein Freund mit zu einer Veranstaltung der jungen Hakenkreuzler, die seit kurzem im Waldviertel ihr Unwesen treiben. Und es eröffnet sich ihm eine andere Welt, eine Welt des Hasses und des Kampfes, in der der Feind einen Namen hat: die Judenseuche. 1925 tritt der 17-jährige Mony der Ortsgruppe der „Vereinigung der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterjugend Deutsch-Österreichs“ in Waidhofen an der Thaya bei; die wahnwitzigen, unablässig getrommelten Parolen dieser antisemitischen Fanatiker werden nun auch zu den seinen. Die Kameraden schätzen seine Körperkraft und seine sportlichen Fähigkeiten; einen „Kerl“ wie ihn können sie gut gebrauchen. Ja, und er möchte auch dabei sein, wenn man dereinst „Schulter an Schulter gegen die große Judenseuche“ kämpfen und Deutschland von ihr befreien wird, ja, auch er ist nun einer von jenen, die berufen sind, „unser Volk und den deutschen Arbeitsmenschen aus Knechtschaft zur Freiheit“ zu führen. Mony setzt mit dem Beitritt ein Zeichen; er hat erkannt, was er sein möchte: ein Kämpfer und Soldat gegen eine „Welt voll Teufel und Juden“. Und er bekennt sich zu den Grundsätzen seiner neuen Genossen: „Deutsch bis ins Mark, Sozialist bis zur glühenden Leidenschaft und Judengegner zum Heile deines Volkes, so sollst du’s halten dein Leben lang!“ – eine Losung, der Mony bis zu seinem Tod treu sein wird.
Mit der vorzeitigen Entlassung Hitlers aus der Festungshaft in Landsberg am 20. Dezember 1924 bekommen auch seine Anhänger in Österreich neuen Auftrieb. Nun, da der „Meister und Führer“ das Banner wieder ergriffen hat, reißen sein „Schaffenswille und Kampfesmut“, sein „hoher Seelenschwung“ und seine „Vaterlandsliebe“ mit fort zur Arbeit für das große Ziel, den „Sieg über Judentum und Marxismus“. Schritt für Schritt rückt sich auch Mony, der von diesem entschlossenen „Willen zur Tat“ beeindruckt ist, sein Weltbild endgültig zurecht; er akzeptiert die Rassenlehre der Völkischen als Richtschnur seines Handelns und stimmt in der Diagnose des politischen Ist-Zustandes seinen neuen Freunden bei den Hakenkreuzlern zu, wenn etwa Adolf Bauer, der Schriftleiter des „Kampfblatts“ Der jugendliche Nationalsozialist, das einige Zeit hindurch bei August Buschek in Waidhofen an der Thaya gedruckt wird, schreibt: „Wirtschaftlich versklavt, unser Blut geschändet, alles was deutsch ist von jüdischem Geifer besudelt, in Klassen gespalten und die Jugend im jüdischen Sinne irregeleitet, so rennt unser Volk dem Abgrund entgegen.“
Dennoch verlässt Göth 1927, er wird neunzehn, die Jungnazis und tritt der 5. Kompanie des „Steirischen Heimatschutz Verbandes Wien“ bei; vermutlich glaubt er hier für sein Anliegen einen stärkeren Rückhalt zu finden als bei den sektiererischen Hitleranhängern, die zu diesem Zeitpunkt kaum wirklich ernst genommen werden und nur über die Macht des Wortes verfügen – bei der Nationalratswahl Anfang 1927 erhalten sie kaum 30.000 Stimmen. Da können die Heimwehrfaschisten, deren Erkennungszeichen der Hahnenschwanz ist, schon anderes bieten: Hervorgegangen aus den steirischen Wehrverbänden des Nachkriegs, die sich der Bedrohung durch Jugoslawien entgegenstellten, haben sich die „Heimatschützer“ noch aus den Arsenalen der k. u. k. Armee mit Waffen versehen und Anton Rintelen, der steirische Landeshauptmann, sorgt geschickt dafür, dass der Nachschub nicht abreißt. Es sind bestens ausgerüstete paramilitärische Verbände, die Sonntag für Sonntag in den österreichischen Städten provokativ ihre Stärke demonstrieren; Mony lernt hier erstmals den Zauber von Uniformen und Waffen kennen, erliegt der Faszination des Männerbündischen, Soldatischen, das ihn von nun an nie mehr ganz loslassen wird.
In der 6. Klasse ist Schluss mit der „Quälerei“: die Oberrealschule in Waidhofen an der Thaya.
Neben den Abenteuern, die er in den Reihen der marschierenden Kameraden findet, sucht der junge Göth vermutlich zu diesem Zeitpunkt noch nach Alternativen zur Arbeit im Verlag. So halten sich hartnäckig Gerüchte, dass er zwei Semester an der Wiener Hochschule für Bodenkultur „Landwirtschaft“ studiert habe – eine Behauptung, für die es keine Belege gibt; allerdings ist es möglich, dass Mony als außerordentlicher Hörer Vorlesungen besuchte. In seinem 1941 für das SS-Personalhauptamt handschriftlich verfassten Lebenslauf erwähnt er davon allerdings nichts – Indiz dafür, dass eventuelle Anläufe in diese Richtung erfolglos bleiben.
Inzwischen hat die Verlagsbuchhandlung Franz Amon Göths auch verlegerisch Fuß gefasst; 1926 gelingt mit dem von J. Viktor Kowalewski herausgegebenen Band Vergewaltigte Menschen. Blätter aus dem Felde und der Kriegsgefangenschaft ein erster großer Erfolg. Der heroisierende Blick zurück auf die Opferjahre des Ersten Weltkrieges hat nun Konjunktur und wird zu einem Haupttema des kleinen Programms.
Was Göth bei den „Hahnenschwänzlern“ fehlen mag, ist die Radikalität antisemitischer Äußerungen, wie er sie von den Jungnazis her gewohnt ist, dazu kommt die Zerstrittenheit der Heimwehrführer untereinander – im Vergleich zu Männern wie Walter Pfrimer oder Ernst Rüdiger Starhemberg mag Adolf Hitler tatsächlich als Lichtgestalt erscheinen. Mony erinnert sich wieder an seine alten Freunde von den Hakenkreuzlern und beginnt sich allmählich neu zu orientieren: Wohl schon 1929 ist er wieder im Umfeld der Nazis zu finden, noch allerdings nur als Sympathisant. Möglicherweise hängt auch sein Aufenthalt in der Marktgemeinde St. Andrä-Wördern im April und Mai 1930 mit dieser politischen „Neuorientierung“ zusammen. Im Meldebuch des kleinen Ortes an der Donau trägt sich der 21-Jährige, der bis dahin immer beim Vater in der Mollardgasse gemeldet gewesen ist, als „Privatbeamter“ ein, als Wohnadresse gibt er die Sackgasse 5 an – der Verdacht liegt nahe, dass Göth diese Tarnung benutzt, um ungestört seine Kontakte in die Szene pflegen zu können. Indiz dafür ist nicht zuletzt die Tatsache, dass er sich auch in späteren Jahren, etwa 1935, wiederholt in St. Andrä-Wördern aufhält.
Das Thema Steirischer Heimatschutz erledigt sich schließlich von selbst. Im Sommer 1930 steuert die Führungskrise der Heimwehren einem neuen Höhepunkt zu. Am 2. September 1930 wird Starhemberg auf einer Tagung aller Landesleiter in Schladming zum „Bundesführer“ der Heimwehren gewählt, gleichzeitig schafft die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 den Sprung zur zweitstärksten Partei Deutschlands. Für zahlreiche Angehörige des Heimatschutzes ein klares Signal, das Lager zu wechseln und zu den Nazis zu gehen – sie trauen Starhemberg nicht mehr, der ihre Überzeugungen „verraten“ hat: den Kampf für den „Anschluss“ und den Sturz der Bundesregierung. Auch für Mony ist das Maß jetzt voll – am 13. Mai 1931 tritt er der Ortsgruppe Margareten der NSDAP bei; er erhält die Mitgliedsnummer 510.764. Da er im 6. Bezirk gemeldet ist, überweisen ihn die überkorrekten Parteigenossen aus Margareten bald darauf an die Ortsgruppe Mariahilf, wo er als „politischer Leiter und als SA-Mann“ erste Funktionen im Kreis der braunen Kämpfer übernehmen darf – Mony bekommt das wichtige Gefühl vermittelt, dass er hier tatsächlich gebraucht wird.
Von der SA ist der Weg zur SS für ihn nicht mehr weit: Auf einer Versammlung beeindruckt ihn das forsche Auftreten der SS-Recken so sehr, dass er sich sofort zur Mitgliedschaft in Himmlers Totenkopf-Truppe entschließt; auf seinem SS-Ausweis prangt von nun an die Nummer 43.673. Seinen „Dienst“ versieht er beim Trupp „Deimel“, einer Teilformation des SS-Sturms „Libardi“; offensichtlich zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, denn im Jänner 1933 wird er zum Stab der 52. SS-Standarte versetzt. Hier überträgt man ihm die „Geschäfte“ eines Adjutanten des Stabsführers und betraut ihn zusätzlich noch mit den Agenden eines „Motorstaffelführers“. Als Inhaber der Kraftfahrzeugführerscheine 1, 2, 3 und 4 und begeisterter Automobilist ist Göth für diesen Posten die ideale Besetzung.
Ein „Dienstleistungszeugnis“ von 1941 bescheinigt ihm, dem „vorbildlichen SS-Kamerad“, sicherlich zu Recht „große Verdienste“ um die Partei.
Die Machtergreifung Hitlers in Deutschland am 30. Jänner 1933 löst unter seinen Anhängern in Österreich enorme Euphorie aus. Ungeduldig drängen sie, die so ganz „deutsch“ fühlten, auf den „Anschluss“ und die sehnsüchtig erwartete „Heimkehr ins Reich“; entschlossen verstärken sie ihre Aktivitäten. Göth, jetzt 24 Jahre alt, ist mit ganzem Herzen bei der Sache. Im Mai 1933 wird er zum SS-Scharführer befördert. Kryptisch äußert er sich in seinem später verfassten „Lebenslauf“ über die damalige Tätigkeit: „Nach dem Parteiverbot erhielt ich vom damaligen Führer der 52 SS Stand. den Auftrag im Rahmen der 52 SS Stand. die notwendigen Maßnahmen zu organisieren. In Ausübung dieses Auftrags musste ich im Juli 1933, da ich von den öst. Behörden wegen Sprengstoff– verbrechens gesucht wurde, ins Reich flüchten.“
Während einer „Dienstfahrt“ mit der SS-Standarte 11 hat Göth bei Drosendorf im Waldviertel einen Unfall und wird schwer verletzt. In einem Fragebogen zur „Erhebung zwecks Vorprüfung der Anwartschaft für die Zuteilung eines Antragscheines zum Erwerb des Blutordens“, datiert mit 19. Februar 1939, gibt Göth die näheren Umstände dieses Unfalls an: „Absturz des Wagens, 2 Tote und 28 Schwerverletzte blieben unter dem Wagen. Bei den Bergungsarbeiten, obwohl schwer verletzt, stürzte ich nochmals und zog mir weitere schwere Verletzungen zu.“ Obwohl Verletzungen aus einem Unfall keine Anwartschaft auf Verleihung des Blutordens begründen, wird ihm daraufhin ein Antragschein zugeteilt – der Beginn eines bürokratischen Hürdenlaufes durch die Parteistellen, der letztlich erfolglos bleiben sollte.
Im Sommer 1933, wohl Ende Juli, Anfang August, nach den Sprengstoffanschlägen der Nazis in Krems und dem daraufhin ausgesprochenen Verbot der NSDAP und ihrer Organisationen, flüchtet Göth nach München. Die österreichischen Behörden haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben: „Privatbeamter“ nennt ihn das Zentralpolizeiblatt vom 19. Juli 1933 und erwähnt als besondere Kennzeichen einen „kleinen englischen Schnurrbart“, eine Rissnarbe im Gesicht – wohl vom Unfall in Drosendorf – und seinen „lässigen Gang“. Nach Göth wird gesucht, weil man in ihm einen der Hintermänner der Sprengstoffattentate im Frühsommer 1933 vermutet. Man weiß, dass er Führer der „Motorstaffel der SS Niederösterreich“ ist und in der Mollardgasse 34 gemeldet war.
In München findet Göth Unterschlupf bei einem gewissen Josef Stehberger in Neubiberg, Wotanstraße 7. Stehberger ist Doggenzüchter und freundet sich mit dem jungen, aufgeweckten Nazi aus Österreich rasch an. Hier findet man für ihn eine neue Aufgabe: den Schmuggel von „Sende-Geräten“ nach Österreich, anschließend ist er als Kurier im Einsatz, wird aber bereits im Oktober 1933 von der österreichischen Polizei gestellt und in Haft genommen. Aus Mangel an Beweisen gegen ihn lässt man ihn zu Weihnachten 1933 wieder laufen.
Das gefährliche Treiben ihres Sohnes ist den Eltern inzwischen nicht mehr ganz geheuer. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, verfallen sie auf eine etwas unkonventionelle Idee. Sie präsentieren ihm eine junge Frau, die bereit ist ihn zu heiraten: Olga Janauschek, von Beruf Bankbeamtin, geboren am 17. Jänner 1905 in Wien, also beinahe vier Jahre älter als er. Mony nimmt diesen Vorschlag erstaunlich gelassen zur Kenntnis und willigt ein. So beginnen, als er im Dezember 1933 nach Hause kommt, die Hochzeitsvorbereitungen; die Eltern sorgen für ein großes Fest: Am 7. Jänner 1934 heiraten in der Karlskirche Mony und Olga Leopoldine Janauschek. Trauzeugen sind die Väter Amon Franz Göth und der 1878 in Graz geborene „Lohnfuhrwerker“ und Autobusunternehmer Rudolf Janauschek aus Waidhofen an der Thaya.
Göth hat seinen Eltern nachgegeben; rasch zeigt sich aber, dass er sich mit Olga nicht versteht. Dazu kommt, dass es ihn wieder zu seinen Kameraden bei der SS zieht – von einer harmonischen Partnerschaft kann also keine Rede sein; bald steht die Scheidung zur Diskussion. Das Frühjahr 1936 wird zur kritischen Phase, dies umso mehr, als am 5. März 1936 Mutter Bertha Göth an Brustkrebs stirbt. Für Vater und Sohn Göth ist das ein schwerer Schlag – beide sind nun gefordert: Es gilt den persönlichen Verlust zu verarbeiten und es gilt den Verlag und die Buchhandelsgeschäfte weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Mony zeigt Entschlossenheit und will dem Vater demonstrieren, wie man das Bücherverkaufen richtig anpackt: Mit den neu erschienenen Bücher unter dem Arm marschiert er in Cafés und Bars, wo er sie vom Tisch weg an Gäste verhökert. Eine kleine Anekdote aus diesen Tagen weiß Tochter Monika zu erzählen: Göth sitzt wieder einmal im Kaffeehaus und will Bücher verkaufen. Da kommt er mit einer attraktiven rothaarigen Dame ins Gespräch, beide unterhalten sich bestens – bis ihm ein Freund an die Schulter tippt und zuflüstert, dass die Frau Jüdin sei. Göth dreht sich sofort wortlos um und lässt die Frau einfach stehen – mit Juden darf er nicht verkehren.
Ein charmanter Wiener Gentleman mit besten Manieren: Amon Göth in den dreißiger Jahren
Am 6. Juli 1936 wird am Amtsgericht Margareten ein „Versöhnungsversuch“ unternommen. Der Versuch bleibt „fruchtlos“; beide Ehepartner akzeptieren, dass für 15. Juli neuerlich eine Tagsatzung im Bezirksgericht Margareten anberaumt wird, bei der die Scheidung ausgesprochen werden soll. Vor Ort ist auch ein zu diesem Zeitpunkt noch wenig bekannter Jurist namens Arthur Seyß-Inquart, er hat die Rechtsvertretung von Olga Göth übernommen. Interessant ein Vermerk im Protokoll zu diesem Versöhnungsversuch: In der Rubrik „Beruf“ hat man zu Göth „Autohändler“ vermerkt, bei Religion steht das vertraute „rk.“ Als Adresse wird die Schelleingasse 12 im IV. Bezirk genannt – unter dieser Adresse war Göth jedoch nie offiziell gemeldet; als Wohnsitz nennt das Wiener Melderegister für die Zeit vom 25. Jänner bis zum 3. Oktober 1936 die Kettenbrückengasse 18.
Am 15. Juli 1936 erfolgt die Scheidung von „Tisch und Bett“ von Olga Janauschek, die später einen Anton Wreßnig heiraten und 1943 nach Leoben in der Steiermark übersiedeln wird. Rechtskräftig wird der Beschluss des Amtsgerichts erst am 17. September 1938, also nach dem „Anschluss“. Wohl auf Drängen der Eltern hat Göth auch eine kirchliche Scheidung beantragt; nun macht er vermutlich geltend, keinen ausreichenden „Ehewillen“ besessen zu haben. Mit Urteil des Erzbischöflichen Diözesangerichtes vom 12. Dezember 1940, Zahl 2886/54, wird die Ehe „im Sinne des Can. 1086, § 2 CIC defectus consensus im kirchlichen Bereich für ungültig erklärt“; am 12. September 1941 bestätigt schließlich auch das Metropolitangericht Salzburg diesen Spruch mit der Begründung: „Can. 1987 kommt zur Anwendung.“
Das Verkaufen von Büchern bietet wenig Abenteuerliches und so macht sich Göth bald wieder auf den Weg nach Westen, auf in Richtung „Drittes Reich“. Am 3. Oktober 1936 meldet er sich von der Kettenbrückengasse 18 nach „Vorarlberg“ ab und bleibt unbekannten Aufenthalts. Im Sommer 1937 taucht er in München bei seinem alten Kameraden Stehberger auf, die Meldekarte im Stadtarchiv München, datiert vom 16. Juli 1937, nennt als Aufenthaltszweck „beruflich“; tatsächlich scheint er wieder als SS-Funktionär aktiv zu sein, denn erstmals bekommt er nun Probleme mit einem Vorgesetzten von der SS: SS-Oberführer Alfred Bigler, Chef des SS-Abschnitts VIII Linz, stellt ihn auf Grund „ernster Differenzen“, wie Göth in seinem „Lebenslauf“ einräumt, sogar außer Dienst. Bigler, um zehn Jahre alter als Göth, verlässt die SS auf eigenen Antrag mit Ende Oktober 1936; Göths Beschwerden, die er gegen seine Entlassung einbringt, sind damit gegenstandslos.
Der „Anschluss“ im März 1938 bringt endlich die ersehnte Wende: Göth kehrt nach Wien zurück. Am 15. Juni 1938 füllt er den „Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich“ aus. Darin gibt er an, dass sein Parteimitgliedsbuch bei der Ortsgruppe Thalkirchen-München „erliege“; sowohl an die Ortsgruppe in Thalkirchen als auch an die Ortsgruppe Mariahilf habe er regelmäßig die Parteibeiträge bezahlt. Und immerhin kann er darauf verweisen, wegen „illegaler nationalsozialistischer Betätigung“ bestraft worden zu sein: mit „Untersuchungshaft, die nach ergebnislosem Verfahren als Haft verlängert wurde (Staatspolizei & Sicherheitsbüro)“.
Am 13. Oktober 1938 probiert es Mony, begünstigt durch das nun geltende deutsche Eherecht, noch einmal. Er schließt vor der Bezirkshauptmannschaft Mariahilf mit Anna (Anny) Geiger die Ehe. Anny ist Tirolerin, geboren am 19. September 1913 in Innsbruck, und eine Frau so ganz nach dem Geschmack Göths: keine langweilige Stubenhockerin, sondern eine echte Sportskanone, die im Sattel eines Motorrads ebenso zu Hause ist wie am Volant eines BMWs. Mony hat sie bei einem Motorradrennen kennen gelernt; glaubt man den Angaben Göths in einem Fragebogen der SS, so erfolgte die Verlobung bereits am 7. März 1936 – also noch vor der Scheidung von Olga Janauschek und zwei Tage nach dem Tod der Mutter. Anny Geiger erfüllt ohne Zweifel die strengen Normen, die die SS den Frauen ihrer auserwählten Recken vorschreibt – ein perfektes Paar der nun angebrochenen „neuen Zeit“.
Wie es von einem Angehörigen der SS erwartet wird, tritt Göth im Herbst 1939 aus der römisch-katholischen Kirche aus und bezeichnet sich von nun an mit der im Kameradenkreis gängigen Worthülse als „gottgläubig“.
Gleich nach der Hochzeit ist die Familie darum bemüht, auch die wirtschaftlichen Grundlagen für das junge Paar neu zu ordnen. Am 2. Juli 1937 hat Franz Amon Göth seinen Verlag als Einzelunternehmen in das Handelsregister eingetragen; nun wandelt man den Verlag in eine Offene Handelsgesellschaft um, in die Mony am 1. Jänner 1939 als Gesellschafter eintritt. „Betriebsgegenstand“ ist zu diesem Zeitpunkt erstaunlicherweise noch immer der Buch- und Kunsthandel, der sich „auf den Versand von Büchern religiösen Inhaltes und von solchen, die patriotische Themata behandeln, ferner von Heiligenbildern (…), sowie von patriotischen Bildern unter Ausschluss des Ladengeschäftes“ konzentriert.
Die Ereignisse des Jahres 1939, vor allem der Ausbruch des Krieges, führen rasch zu einem Umdenken: Religion ist in den Tagen des Blitzkriegs nicht mehr opportun; jetzt haben Jubelschriften über die glorreichen Siege der Wehrmacht Konjunktur. Vater und Sohn Göth entschließen sich daher zu einer Auflösung des Handels mit religiösen Produkten und konzentrieren sich nun wieder auf die Verlagstätigkeit und den Verkauf von aktuellen Militaria, wobei man auf das altbewährte Vertriebsmodell setzt: Direktverkauf durch Vertreter gegen Ratenzahlung. Im Herbst 1941 sind es bereits an die 100 Vertreter, die für die Göths tätig sind: 25 in der „Ostmark“, 23 in den Sudetengebieten und 55 im „Altreich“, wobei letztere der „Verkaufsorganisation“ des in Berlin-Charlottenburg ansässigen „Generalvertreters“ Paul Gerhard Engelbert angehören.
Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass Mony zwar nicht an den Vermögenswerten, dafür aber an Gewinn und Verlust zu je 50 Prozent beteiligt sein soll; Vater Göth legt die alte Konzession zurück und erwirbt eine neue für die Verlagstätigkeit und den Vertrieb ohne Ladengeschäft; das Unternehmen firmiert nun als „Verlag für Militär- und Fachliteratur A. Franz Göth & Sohn“. Als Mitgesellschafter in der väterlichen Firma kann sich Mony mit einem gewissen Recht nun tatsächlich als „Verleger“ bezeichnen. Mit dem noch schnell für das Weihnachtsgeschäft 1939 produzierten Prachtband Der große deutsche Feldzug gegen Polen. Eine Chronik des Krieges in Wort und Bild, herausgegeben „im Einvernehmen“ mit Heinrich Hoffmann, dem Reichsbildberichterstatter der NSDAP, und einem Geleitwort von Generaloberst von Reichenau landet man gleich einen ersten „Bestseller“; 1940 druckt man eine zweite Auflage. Zu einem Erfolg wird auch Konrad Leppas „Heldenbuch“ Die Sudetendeutschen im Weltkriege 1914 – 18, das 1940 erschien und ebenfalls zwei Auflagen erlebt.
Die Neuausrichtung des Verlags macht sich also bezahlt, die Göths verdienen gut: Der durchschnittliche Jahresumsatz bewegt sich bei beachtlichen 1,5 Millionen Reichsmark und kann bis 1944 in dieser Höhe gehalten werden. Bereits 1941 steht man daher vor der Frage, wie die Gewinne aus dem Verlagsgeschäft sinnvoll investiert werden könnten, und da verfällt Amon Franz Göth, wohl auch von Mony dazu gedrängt, auf die Idee, sich an einer Druckerei zu beteiligen – ein nahe liegender Gedanke, kann man so doch die Produktionskosten der Bücher entsprechend regulieren; gleichzeitig soll die Druckerei von den Aufträgen des Verlags profitieren.
Glückliche Tage: Hochzeit mit Anny Geiger im Oktober 1938
Amon Franz Göth entscheidet sich schließlich für eine Teilübernahme der Hermes Druck- und Verlagsanstalt AG. Dieses Unternehmen ist 1921 als Druck- und Verlagsanstalt Melantrich AG gegündet worden, der Firmensitz befindet sich im neunten Bezirk in der Pramergasse 6; leitendes Vorstandsmitglied ist ein gewisser Franz Opatril. Man ist sich schnell handelseinig: Vater und Sohn Göth übernehmen nicht nur ein beträchtliches Aktienpaket, sondern kaufen auch gleich die Druckmaschinen, das Setzmaterial und die Lagerbestände der Hermes AG. Der SS-Offizier Amon Göth ist damit, wenn man so will, auch zum Druckereibesitzer avanciert.
Die Geschäftspraxis der Göth-Vertreter, das aggressive „Hineinverkaufen“, ruft allerdings bald auch Kritik und Beschwerden hervor; die Wellen schlagen hoch in der Branche. Gutachten werden eingeholt, die Betriebsräume in der Mariahilfer Straße 105 einer Prüfung unterzogen. Von einem „Geschwür“ ist in einem Schreiben der Reichsschrifttumskammer an die Wiener Landesleitung der RSK die Rede, das „mit Stumpf und Stiel, ohne Rücksicht auf Firma oder Namen des Betreffenden, ausgebrannt werden muss“. Hugo Heineke, der Leiter der Fachgruppe Reise- und Versandbuchhandel in der Reichsschrifttumskammer, zitiert Vater Göth am 26. Oktober 1942 zu sich nach München. In dem mehrstündigen Gespräch mit Heineke muss er eingestehen, dass ihm „die Dinge über den Kopf gewachsen sind“, nicht zuletzt, wie er betont, durch den „Druck“, den sein Sohn auf ihn ausübe, um eine „Erweiterung der Firma nach jeder Richtung durchzuführen“. Amon Franz Göth gelobt eine entsprechende Besserung, vor allem eine genaue Kontrolle seiner Vertreter. Wie diese arbeiten, schildert anschaulich ein Beitrag vom September 1942 im SS-Organ Das schwarze Korps. Unter dem Titel „Gangstermethoden“ heißt es da über den Vertrieb des Feldzuges gegen Polen, eines Buches, das immerhin 24 Reichsmark kostet: „Die Kolonne überfällt also beispielsweise die Gemeindesiedlung Wienerfeld und sucht dort die Wohnungen heim. Ist der Mann zu Hause, so räumt sie mit einigen leeren Redewendungen das Feld. Ist der Mann aber als Soldat an der Front – und das sind dort die meisten –, so wird die alleinstehende Soldatenfrau einer zünftigen Seelenmassage unterzogen. Die, Herren‘ legen sich eine amtliche Miene zu, mimen militärische Haltung, lassen den, Vorgesetzten‘ durchschimmern und legen also los:
Das Buch müsse gekauft werden, erklärt der Inquisitor Karl Kaiser, es sei ein, aufklärendes Militärbuch‘. Die Soldatenfrau erwidert etwas zaghaft, sie könne die 24 RM nicht aufwenden, sie lebe von der Familienunterstützung. Darauf wird Kaiser, Karl, spitzig: Wie, Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass die Unterstützung zu gering sei? Der Führer gibt Ihnen genug Unterstützung, dass Sie das Buch kaufen können! Worauf die Soldatenfrau einen Ratenzahlungsvertrag unterschreibt, denn wenn ihr, der Führer‘ die Unterstützung gibt, damit sie aufklärende Militärbücher kaufen könne, muss sie wohl in den sauren Apfel beißen. Der Mann erfährt es dann aus dem nächsten Feldpostbrief und macht sich seine Gedanken über, die Heimat‘, die mit der einen Hand nimmt, was sie mit der anderen gegeben hat.“
Der Gewerbeschein vom 21. April 1941 schreibt es fest: Amon Göth ist Geschäftsführer im Verlag des Vaters.
Selbst das SS-Magazin „Das Schwarze Korps“ widmet den Vertriebsmethoden des Göth-Verlages einen kritischen Beitrag.
Vater Göth, der für Mony den Kopf hinhalten muss, zieht die Konsequenzen: Er verzichtet auf die bereits bei der Reichsschrifttumskammer beantragte Aufstockung seiner Vertretermannschaft auf 300 Mann und sorgt in der Folge für eine rigorose Überprüfung seiner Vertreter – der schlechte Ruf bleibt dem Göth’schen Unternehmen allerdings erhalten.