Reiseabenteuer
Blondine drei Wochen in Peru
Books on Demand
Philine Eschke-Scheubeck ist 1958 in Sachsen-Anhalt in Deutschland geboren. Nachdem sie jahrelang als BMSR-Facharbeiter tägig war, erlernte sie den Beruf des Optikers und absolvierte die Meisterschule. Bisher war sie nicht schriftstellerisch tätig. Angeregt, diese Reise-Erinnerungen niederzuschreiben, wurde sie durch Freunde.
In dem Reisetagebuch: „Blondine drei Wochen in Peru“ erzählt die Autorin ihre Erlebnisse während einer Studienreise durch Peru. Sie berichtet in einer lockeren, amüsanten Art von ihren Versuchen, die Mentalität der Menschen mit touristischen Ansprüchen unter einen Hut zu bringen. Das Buch gewährt Einblicke in das Alltagsleben einer peruanischen Durchschnitts-Familie. Die Autorin gibt dabei ihre ganz persönlichen Eindrücke und subjektiven Meinungen wieder.
Vielen Dank an Arne und Gretel, welche mich auf die Idee brachten, dieses Buch zu schreiben. Besonders möchte ich mich bei meinem Sohn bedanken, der mein Manuskript drucktauglich formatiert hat und sich mit mir hoffnungslos Computerblinden herumplagen musste. Alles Liebe für meinen Mann für seine Geduld, wenn ich für Stunden im Computerzimmer verschwunden bin um zu schreiben.
Vielen Dank an meine peruanischen Gastgeberfamilien für ihre geduldige Gastfreundschaft. Liebe Grüße an die peruanischen Frauen für ihren herzlichen Umgang mit mir. Besonderer Dank gilt Activia, Artemis und Ivan, welche sogar gern mit mir meine gewünschten Ausflüge unternommen haben.
Dieses Buch spielt in einer Zeit, als es die DDR nicht mehr gab, als es den Euro noch nicht gab, das Internet in den Anfängen steckte und die totale Handy-Invasion noch nicht losgebrochen war. Dennoch denke ich, dass dieses Tagebuch auch für heutige Reisende nützliche und lustige Einblicke gibt, was einem als unbedarfter Tourist in Peru so alles passieren kann.
Meine Eltern hatten viele Bücher über Archäologie, fremde und antike Kulturen. Das faszinierte mich schon seit meiner Kindheit.
Viele Jahre später, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, lernte ich in der Volkshochschule Spanisch, um für eine evtl. Urlaubsreise nach Spanien gewappnet zu sein. Außerdem dachte ich mir, Spanisch ist neben Englisch eine weit verbreitete Sprache, die kann man vielleicht öfters gebrauchen in der Welt. Und relativ leicht zu lernen ist Spanisch auch. In dem Spanischkurs kam ich mit einer jungen Frau ins Gespräch, und sie erzählte mir, wie sie das neu Gelernte übt. Sie hat nämlich im Stadtzentrum auf dem Boulevard südamerikanische Musikanten entdeckt, und diese sprechen Spanisch. Ich solle doch einfach mal mitkommen.
Gesagt, getan. Ich war gleich ganz hin und weg, die Musikanten waren richtige Indianer in bunten Ponchos, und die Folkloremusik hat es mir gleich angetan. Die junge Frau hat mich den Musikern vorgestellt, und es kam heraus, dass die Indios aus Peru kamen. Da machte es irgendwie klick bei mir. Lag in Peru nicht die geheimnisvolle Felsenstadt Machu Picchu? Die Entdeckung dieser Ruinen war in einem Buch meiner Eltern beschrieben und mit einer Zeichnung á la Indiana Jones illustriert. Diese Zeichnung hatte mich schon als Kind zu fantastischen Sehnsüchten nach archäologischen Abenteuern angeregt. Die Erinnerung an diese Zeichnung geistert mir jetzt im Kopf herum.
Einige Spanisch-Übungs-Treffen später mit diesen Straßenmusikanten kam ich auf die Idee, jetzt sind wir ja der Westen, vielleicht kann man inzwischen dorthin reisen, oder ist Machu Picchu nur Wissenschaftlern und Abenteurern zugänglich? Bei der nächsten Gelegenheit ging ich in ein Reisebüro und erkundigte mich. Dort erfuhr ich, dass es tatsächlich Reisen mit Besuch der wichtigsten alten und neuen Sehenswürdigkeiten gibt und auch Machu Picchu war dabei. Es sind Rundreisen durch mehrere Länder Südamerikas und kostete 6000 DM. Oh, das ist viel zu teuer für mich. Es muss doch eine Möglichkeit geben, billiger dorthin zu reisen. Ich werde diese Straßenmusiker fragen. Vielleicht können die mir Adressen besorgen von Jugendherbergen und billigen Pensionen dort. Es soll ja Touristen geben, die auf eigene Faust reisen und warum nicht auch ich. Auch für mich als Frau muss das möglich sein. Wir leben ja nicht im Mittelalter und die Peruaner haben einen christlichen Glauben wie wir. Da dürfte es keine besonderen Probleme geben, wenn ich da als Frau unterwegs bin.
Beim nächsten Straßentreffen fragte ich einen der Peruaner nach Jugendherbergen oder anderen billigen Übernachtungsmöglichkeiten in seinem Land. Der junge Mann war ganz aufgeschlossen und meinte, da hätte ich aber Glück, das ich gerade ihn anspreche, da seine Familie jedes Jahr billig Zimmer an Touristen und Studenten vermietet. Ca 1 bis 5 Dollar die Nacht mit Frühstück oder Vollpension. Na, das ist doch klasse! Nun wollte ich natürlich mehr Infos, da ich bisher im Ausland nur mit gebuchter Pauschalreise unterwegs war. Daraufhin druckst er ein bisschen herum, Fotos habe er nicht von der Pension, er sei ja nicht vorbereitet auf meine Fragen. Das nächste Mal wolle er dann Fotos mitbringen. Sowieso sei es das Beste, wenn wir gemeinsam nach Peru fliegen. Da kann ich mir alles direkt anschauen.
Er fliegt in einem halben Jahr, im Dezember; ob ich so lange warten wolle. Na klar wollte ich warten und mit ihm gemeinsam reisen. Das nimmt mir doch einige Verständigungsprobleme vor Ort ab, und ich kann bis dahin noch fleißig Spanisch weiter lernen. Ich wollte auch fahnden, ob nicht noch ein Kumpel oder eine Freundin mitkommt nach Peru.
Erst finden sich auch zwei Interessenten, aber dann sagen sie die Mitreise vorher ab. Ich werde alleine reisen. Macht ja nichts, inzwischen hatte ich zum Peruaner und zu seinem Bruder einen recht guten Kontakt. Der eine ist sogar mit einer deutschen Frau verheiratet und der andere hat inzwischen meine Spanischkurs-Kollegin zur Freundin. Ich werte das als gutes Zeichen.
Die beiden Brüder sind über mein Interesse für ihre Heimat hoch erfreut und unterbreiten mir ein tolles Programm, was sie mir in ihrer Heimat alles zeigen wollen. Das war so umfangreich, dass wir das sicher gar nicht alles schaffen werden. Aber es ist toll. Ich bin schon ganz hibbelig vor Vorfreude.
Endlich ist es soweit; es ist Dezember, die beiden peruanischen Brüder haben mit ihrer Familie in Lima alles abgesprochen. Der Flug nach Lima konnte gebucht werden. Im Januar soll meine Reise losgehen. Wir finden auch bald ein Reisebüro, wo man den Flug ohne Hotels nach Südamerika buchen kann. Interessant für mich ist, dass die Latinos wenig Vertrauen in ihre eigene bzw. andere „südländische“ und „slawische“ Airlines haben. Wir mussten unbedingt eine teure deutsche Linie buchen. Nun, es klappt dann bei einer holländischen Airline, damit waren die beiden Latinos auch zufrieden. Flug hin und zurück inklusive kostet für mich 1869 DM.
Am Buchungstag eröffnet mir der eine Peruaner, ich nenne ihn Juan, dass er nicht mitfliegt, sondern mit seiner deutschen Frau nachkommt. Na, prima. Sein Bruder, ich nenne ihn Paulo, der nun allein mit mir fliegen würde, konnte nämlich kaum Deutsch. Auch wenn ich täglich fleißig Vokabeln gebüffelt habe und den Volkhochschulkurs besuche, habe ich so meine Bedenken, ob das für die dreiwöchige Reise ausreichen würde. Nun gut. Endlich war der Tag, wann es losgehen sollte mit meiner Reise. Der Flug geht ab Berlin Tegel. Da der Flug früh um 7:00 Uhr startet, buchen Paulo und ich für den Vorabend in Berlin Zimmer in einer Pension. Bei unserer Ankunft in diesem kleinen Hotel muss ich gleich die Nase rümpfen, diese Pension ist eine ziemlich miefige Bude mit einem mürrischen Pensionsvater. Er eröffnet uns gleich, dass es, weil wir so spät abends gekommen sind, kein Essen mehr gibt. Na gut, denke ich, dann essen wir eben meine alten Bemmen von der Zugfahrt. Da wir früh zeitig raus müssen, gehen wir bald schlafen. Ich finde kaum Ruhe. Durch die alten Fenster dringt lauter Straßenlärm herein. Außerdem habe ich Angst zu verschlafen. So verläuft die Nacht recht unruhig. Als wir am nächsten Morgen auschecken, gibt es kein Frühstück für uns. Nun sind wir wieder zu früh für die Küche. Tss, so was, dann warten wir eben auf das von freundlichen Stewardessen servierte Frühstück im Flieger.
Der Flug 7:00 Uhr ab Berlin verläuft eigentlich ohne Probleme. Ausser, dass man uns irgendwann während des Fluges eröffnet, dass wir erst nach Holland fliegen und dann umsteigen müssen. Waas, dann wird der Flug ja noch länger! Ohr, nö. In Holland müssen wir direkt ganz aussteigen und im Gate zwei ganze Stunden warten, ehe es weitergeht.
Während wir warten, können wir das Geschehen durch die Fenster beobachten. Draußen werden gerade etliche Flugzeuge mühevoll mit Dampfstrahlern abgespritzt. Nach einiger Zeit begreifen wir, dass die Maschinen eingefroren sind, dass so die Flieger aufgetaut werden. Es ist so kalt draußen, dass die Technik festgefroren ist und erst wieder gangbar gemacht werden muss. So was habe ich noch nie vorher gesehen. Auch habe ich noch nie so viele Flieger so dicht ineinander verkeilt stehen gesehen. Auf dem Flughafen spricht man nur Holländisch und Englisch, welche wir beide nur mäßig verstehen. Dadurch wagen wir nicht, uns vom Gate zu entfernen, um ja nicht die Abreise zu verpassen. Trotzdem plagt uns tüchtig der Hunger und wir überlegen, wie wir an was zu essen kommen. Da fällt mir ein, dass ich von gestern, von der Zugfahrt noch einen halben Hefezopf in meinem Rucksack haben müsste. Den hatte ich ganz vergessen. Den muss ich wohl aus einer Vorahnung (oder war es die Fresssucht?) aus Versehen übrig gelassen haben. Das vertrocknete Hefestück rettet uns jetzt vor dem Hungertode. Wir haben ja seit gestern Abend nichts gegessen und getrunken. Ah, wie kann doch trockener Kuchen munden!
Dann endlich geht es los. Paulo und ich werden getrennt platziert. Es ist ein riesiger Flieger, eine BOING 747 mit 372 Sitzplätzen. rechts und links 3 Sitze und im Mittelgang 4 Plätze. Ich soll im Mittelgang in der Mitte sitzen. Genau in der Mitte sitzt man doch wie in einer Sardinenbüchse. Das geht gar nicht. Um meine Beine wenigstens ausstrecken zu können, wenn ich schon keinen Fensterplatz bekommen kann, streite ich mich mit einem ausländischen Dienstreisenden(?) so lange herum, bis er mir glaubt, dass ich auf seinem Außenplatz sitzen muss. Falls derjenige diese Zeilen liest, möge er mir meine Dreistigkeit nachträglich verzeihen. Er kann sich das als gute Tat verbuchen. Eingepfercht in der Mitte hätte ich wohl während der zwanzigstündigen Reise Zustände bekommen.
Wir überfliegen die Azoren, und dann sind nur noch der glitzernde Ozean und das weiße Watte-Wolkenmeer unter uns.
Zu unserer Unterhaltung läuft ein guter Kinofilm nach dem anderen. Leider kann ich am Kopfhörer nur zwischen Spanisch, Holländisch, Englisch und Französisch wählen. Deutsch ist irgendwie insgesamt out in diesem Flieger. So gebe ich es auch bald auf, die Stewardessen irgendwas zu fragen oder Wünsche zu äußern. Sie verstehen mich nicht(?). Irgendwann wurde es dunkel und man schlummerte so vor sich hin. Unter uns ist eh nur Wasser. Während wir schlafen, geraten wir in einen heftigen Sturm. Wir müssen uns anschnallen. Die Flügel flattern fürchterlich. Ich habe ein bisschen Schiss. Eine Dame neben mir guckt auch ganz schön blass aus der Wäsche. Ihr Mann beruhigt sie: „Ach, das ist noch gar nichts, die Flügel können nicht abbrechen, jedenfalls nicht bei so ein bisschen Gerüttel. So ein Flugzeug ist so gebaut, dass es noch viel mehr aushält.“ Diese Worte beruhigen auch mich. Nach einiger Zeit sind wir durch das Unwetter durch und wir dürfen uns wieder abschnallen.
Kurze Zeit später durchfliegen wir das nächste Unwetter. Wieder Anschnallen, wieder Gerüttel… Ein bisschen Schiss habe ich trotzdem. Immerhin wage ich jetzt die Flügelspitzen zu beobachten. Der ganze Flügel bebt hoch und runter und die Spitzen klappern in alle Richtungen. Aber es kann ja nichts passieren. Es passiert auch nichts. Nach einer Weile dürfen wir uns wieder abschnallen. Mir tut das Genick weh. Warum musste ich auch unbedingt die wabbelnden Flügelspitzen beobachten. Da ich nicht am Fenster sitze, musste ich mir dafür fast den Hals ausrenken. Jetzt habe ich die Quittung dafür. Beim nächsten Unwetter erregt das Gerüttel kaum noch jemanden. Nach vielstündigem Flug, Sitzbeulen am Hintern, Rückenschmerzen und eingeschlafenen Füßen war einem eh alles egal.
Ab irgendwann ignorieren wir total die ständigen: bingbong, bitte anschnallen, bingbong, alles ist gut, rauchen erlaubt, bingbong, bitte anschnallen…
Den Stewardessen ist inzwischen auch alles egal. Die Saftschupsen schupsen den Saft nicht mehr. Seit einiger Zeit bedienen sich die Passagiere selbst am Getränkewagen. Die Stewardessen tauchen irgendwie gar nicht mehr auf. Da die Plastebecher nach und nach aufgebraucht werden, muss man sein Becherchen wie seinen Augapfel hüten. Ab irgendwann waren die Teekannen verschollen und ab irgendwann ist auch das letzte Tetrapack Saft weg. Die anderen mit uns fliegenden Latinos kennen das anscheinend schon und sind mit eigens mitgebrachten Getränken bestens vorbereitet. Auch machen sie es sich so gemütlich wie möglich. Wo Platz ist, werden etliche Schlafsäcke und bunte Decken auf den Gängen ausgerollt. Dort pennen sie dann abwechselnd für ’ne Runde. Och, wie ich sie um den Schlafplatz beneide.
Die Kinder sind gut beschäftigt, sie spielen an den Hebeln der Ausgangsluken. Das scheint niemanden zu stören. Jedenfalls holt sie keiner von der Tür weg. Die Kinder turnen so lange an der Tür herum, bis sie ermüden und von allein aufgeben. Dem Sonnengott Inti sei Dank, keiner der lieben Kleinen scheint kräftig genug zu sein, die Tür nach draußen in zehntausend Meter Höhe zu öffnen.
Inzwischen sind, bis auf eine, alle Toiletten verstopft, so dass sich auf einer Seite des Flugzeuges eine lange Warteschlange gebildet hat. Diese Gewichtsverlagerung muss im Cockpit bemerkt worden sein, die stabile Lage des Flugzeuges scheint beeinträchtigt, denn die Stewardessen flattern aus ihren Verschlagen und scheuchen uns auf die Plätze zurück. Nun lauern wir von unseren Plätzen aus auf die freiwerdende Toilette. Wider Erwarten bleiben die Wettläufe zum Klo relativ friedlich. Zu Kampfhandlungen mit Knoten zwischen den Beinen ist anscheinend keiner fähig. Ich glaube, alle haben durchgehalten, oder?
Nach 10 Stunden Krampfsitzen und Fliegermonotonie gibt es eine anscheinend wichtige Durchsage. Jedenfalls horchen viele gespannt auf. Ich glaube aus der holländischen Durchsage herauszuhören, dass wir in Venezuela/Aruba gegen 16:20 Uhr dortiger Zeit zwischenlanden werden.
Ich versuche nun, mich ernsthaft mit der Stewardess zu verständigen, ob wir umsteigen und unser Gepäck abholen müssen oder ob wir nach dem Auftanken wieder hier mitfliegen. Nun, es klingt so, als brauchten wir nichts mitnehmen und wir können in einer Stunde wieder einsteigen. Ich hoffe inständig, ich habe das Englisch/Holländisch richtig verstanden. Auf meinen Begleiter Paulo kann ich leider gar nicht zählen. Immer, wenn ich ihn wegen des Fluges was frage, habe ich den Eindruck, er hat von nichts Ahnung, obwohl er die Strecke schon zigmal geflogen ist!
Inzwischen habe ich aber von einigen Frauen mitbekommen, dass sie auch nach Lima wollten. Als wir aus dem angenehm klimatisierten Flieger steigen, trifft es uns draußen schwül warm. Das ist mir aber jetzt egal. Ich folge meinen ausgespähten Frauen wie ein Schatten im Flughafengelände von Aruba. Paulo wiederum folgt mir. Er redet nicht, bleibt stumm wie meistens. Nun auf diese Weise laufe ich den Latino-Frauen bis auf das WC hinterher. Paulo murrt, was das soll. Ich gehe mit in den Toilettenvorraum. Paulo wartet draußen ärgerlich den Kopf schüttelnd. Ich darf diese Frauen keinesfalls aus den Augen verlieren, sonst bin ich verloren. Ich glaube, ich finde mich allein nicht zum richtigen Flieger zurück. Ich konnte nicht zuverlässig in Erfahrung bringen, welcher der richtige Flieger sein würde. Die Anzeigen sind hier alle auf fremdländisch und ich verstehe nur Bahnhof.
Die Frauen, die nach Lima wollen sind mein Rettungsanker. Auf dem Klo lerne ich etwas für meine nächsten Flüge in den Süden. Im Waschraum geht ein Gewusel und Gekicher los. Die Frauen ziehen ihre Wintersachen aus und schlüpfen in luftige Sommerkleider. Na ja, das finde ich ein bisschen übertrieben, so schlimm heiß wird es schon nicht werden. Als alle diese Frauen sommerlich bunt umgezogen sind, verlassen wir gemeinsam im Rudel das Klo. Nach einigen Schlängelgängen immer den Frauen hinterher, mache ich mir Sorgen, ob sie vielleicht doch gar nicht nach Lima wollen. Ich lese noch mal eine Anzeige und nerve Paulo, ob er mich bitte ein bisschen unterstützen könne. Nach einigen hin und her haben wir dann irgendwie sogar zum richtigen Terminal gefunden. Die sommerlich gekleideten Latinofrauen tauchen laut lachend und schwatzend in letzter Minute im Flieger auf. Wir fliegen also möglicherweise sogar in die richtige Richtung. Drei Stunden später landen wir in Lima gegen 21:00 Uhr peruanischer Zeit. Wir waren 13000km geflogen und ab Berlin gerechnet 20 Stunden unterwegs gewesen!
Als wir in Lima aussteigen, trifft mich auf dem unklimatisierten Flughafen fast der Hitzeschlag. 37°C. Die Frauen in Aruba auf dem Flughafenklo waren also ganz schön clever vorbereitet gewesen mit ihren Sommerkleidern. Dass es hier so mörderheiß ist, haben mir die Peruaner nicht gesagt. Sie hatten nur was von sommerlich warm erzählt. Na ja, alles Auslegungssache.
Bei der Ankunft in Lima habe ich dann unvorhergesehene Schwierigkeiten mit dem Zoll. Beim Durchleuchten meines Koffers entdeckt man ein verdächtiges Gebilde. Es sieht aus wie ein Sprengsatz mit Fernzünderschnüren! Man führt mich in einen extra Raum und zeigte mir das Röntgenbild und ich sollte eine Erklärung dazu abgeben. Ich bin völlig baff, mir fällt nicht ein, was das rätselhafte Gebilde sein könnte. Pech, jetzt muss ich alles auspacken. Ich kann froh sein, dass ich eine Chance auf eine Erklärung bekomme und nicht gleich verhaftet werde., erklärt mir der Beamte. Ich bin völlig verdattert. Mir fällt nichts ein. Hat mir jemand was untergeschoben? Ne, kann nicht sein.
Ach, jetzt fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren! Als ich die beiden Brüder in Deutschland fragte, ob bei den Frauen in Peru stricken modern ist wie bei uns in Deutschland, und ob es irgendwelche Mangelware gibt, z.B. Rundstricknadeln, antworteten sie mir wie so oft: si, si. Deswegen dachte ich, das wäre ein nettes Mitbringsel für die Frauen. Ab irgendwann später drängte sich bei mir der Verdacht auf, immer wenn sie mich nicht verstanden, haben sie immer „si si, ja ja“ gesagt; so als Höflichkeit. Diese dumme Höflichkeit rächte sich jetzt an mir. Ich durfte den sorgfältigst gepackten Koffer also nur deshalb ausschütten, weil ich ein paar Rundstricknadeln neben einen Reisewecker und einem Brillenetui gelagert hatte! Ich bin erleichtert, als sich alles aufklärt. Die Beamten lächeln etwas über mich. Rundstricknadeln. Endlich darf ich passieren, mein Gepäck schnappen und den Flughafen verlassen. Vor dem Flughafen werden wir von einigen Familienangehörigen herzlich empfangen. Wir fahren mit einer Taxe zur Pension und Wohnung meiner Gastgeber.
Unterwegs sehe ich ziemlich hohe schmutziggelbe Sandberge am Rande der Stadt. Ich nehme an, hier müsse es irgendeine Baustoffindustrie geben und dies seien die hässlichen Halden. Weit gefehlt. Lima liegt zwar an der Küste, aber die gesamte Küstenregion Perus ist gleichzeitig Wüste! Lima liegt umgeben von hohen schmutziggelben Sanddünen. Wir fuhren durch verschiedene Stadtteile, einige mit begrünten Hauptstraßen-Mittelstreifen, in anderen Stadtteilen war der Mittelstreifen der Straße ohne grün, woanders gar eine sandige Bauschutthalde oder der Mittelstreifen fungiert total als Müllhalde.
Der Verkehr ist schlimmer als in Süditalien. Rote Ampeln werden überhaupt nicht wahrgenommen, Vorfahrt haben die, die schneller, stärker oder einfach risikofreudiger sind. Es wird gefahren nach dem Motto: Alles muss fließen. Nur wenn ein lebensmüder Verkehrspolizist auf der Kreuzung steht, werden, oh Wunder, seine Befehle befolgt. Auf der Hauptstraße muss man trotz schnellen Tempos zusätzlich zu den allgemeinen Gefahren im Straßenverkehr höllisch auf die enormen Löcher in der Fahrbahn aufpassen. Ab und zu fehlte einfach mal eine gesamte Betonplatte. Da gibt es kein Hinweisschild, keine Absperrung. Diese Stellen hat man als eingeweihter Autofahrer einfach zu kennen und möglichst geschmeidig zu umfahren. Trotz dieser chaotischen Straßenverhältnisse kamen wir unfallfrei an meinem Urlaubsdomizil an.
Meine Pension befand sich in einem Ghetto mit Wohnhäusern im Stil umgebauter Garagen. Das scheint ein hier üblicher Baustil zu sein, die meisten Häuser in Lima sind so gebaut. Tröstlicherweise befindet sich vor dem Haus Juans Familie eine kleine Grünanlage mit Wiese und Bäumen. Der Empfang durch die anderen Familienmitglieder war ausgesprochen herzlich. So mit Sektchen und Küsschen und Umarmungen, als kenne man sich schon lange. Dann zeigte man mir mein Zimmer. Zufällig werfe ich einen Blick an die Zimmerdecke und falle erstmal innerlich in Ohnmacht. Ich sehe rostiges Wellblech und eine lose Glühbirne an einem Draht festgeknippert. Mir fällt jetzt auch richtig auf, dass die Einrichtung insgesamt recht spärlich, ärmlich und altmodisch ist. Mir wird schlagartig klar, dass ich einer ziemlichen Lüge aufgesessen bin. Das hier ist keine Pension, das ist das Zuhause einer armen Indiofamilie! Die Erkenntnis der Wohnverhältnisse traf mich wie ein Schlag. Wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich jedoch, dass die Familie der beiden Brüder nicht weiß, dass die beiden Männer mir was von einer Pension vorgegaukelt haben. Darum versuche ich, mein Erschrecken zu verbergen und lobe das schöne altmodisch mit Schnitzereien verzierte Bett.
Später stelle ich fest, dass man mir das schönste Schlafzimmer eines Familienmitgliedes überlassen hat. Die Frau, die sonst hier mit ihrer Tochter wohnt, schläft nun bei ihrer Schwester mit im Bett und das Kind bei der Oma mit im Bett. Die Familie gab sich alle Mühe, mir, den mit üblichem Wohlstand verwöhnten Europäer den Aufenthalt in ihrer Heimat trotz bitterer Armut so angenehm wie möglich zu machen. Da die meisten Familienmitglieder noch nie außer Landes waren, und sich gar keine anderen Lebens-, Verhaltens-, Hygiene-und Nahrungsgewohnheiten vorstellen konnten als ihre eigenen, hatten sie keinen blassen Schimmer von den normalen Lebensstandards in Deutschland. Vielleicht ist das auch besser so.
Ich habe mich schnell mit der Realität dort abgefunden, bietet es mir doch die Möglichkeit, das wahre Leben einer armen Mischlingsindiofamilie für 3 Wochen kennen zu lernen. Ich ahne, dass mich diese Umstellung, dieser totale Kulturschock, dieser totale Absturz in die Armut, ganz schön nervliche und seelische Anstrengung kosten wird. Gott sei Dank sind es nur drei Wochen, die ich das aushalten muss. Außerdem will ich ja viel rumreisen und schlafe dann zwischendurch in richtigen kleinen Hotels.
(Die Namen der Familienmitglieder habe ich alle geändert, um die Privatsphäre dieser Personen zu wahren.)
Die Mutter (ca. 60 Jahre alt, weiß keiner so genau)
Die Kinder
Artemis (36) mit Tochter Arabella (3 Jahre)
Aurora (31) mit Tochter Dancös (7 Jahre)
Helena (30) mit Tochter Sonny (3) und Mann Apollo
Carla (27)
Activia (15)
Juan (25)
Paulo (28)
Der Vater der Familie war vor einigen Jahren gestorben. Juan erzählte mir die traurige Geschichte, woran der Vater gestorben war. In Peru gibt es keine Krankenkassen-Pflichtversicherung. Jeder darf sich selber kümmern, man muss aber nicht versichert sein. Jeder versichert sich wie er will oder besser gesagt, wie er es finanzieren kann. Viele sparen sich die teure Krankenversicherung und hoffen, irgendwie durchzukommen. So nach dem Motto: Inkas sind ein gesundes Volk, wir werden nicht krank. Einfache Krankheiten kann man billig mit Hausmitteln heilen und das knappe Geld für wichtigere Dinge ausgeben. Nun hatte der Vater eines Tages eine Blinddarmentzündung bekommen und die Hausmittelchen halfen nicht. Da musste die Familie nun zusehen, wo sie schnell Geld für die OP herzaubert. Zu dieser Zeit hatte die Familie ihr Haus in einer besseren Wohngegend. Sie betrieben eine kleine Manufaktur mit mehreren Nähmaschinen. In ihrer Verzweiflung verkauften sie diese Maschinen und das Haus, um den Aufenthalt des Vaters in einem ordentlichen Krankenhaus finanzieren zu können. Mir wird ganz nachdenklich zumute. Hoffentlich kommen wir in Deutschland nie in diese Verhältnisse! Des Weiteren hoffte Juans Familie bis zuletzt, noch rechtzeitig das Geld für die notwendige Operation auftreiben zu können. Nur deswegen sind die beiden Brüder ins Paradies Deutschland geflogen, in dem Glauben, hier schnell viel Geld machen zu können. Immerhin haben wir Deutschen so viel Geld, dass wir nur so zum Spaß ferne Länder bereisen! Die beiden Brüder haben alles Geld für ein Ticket ohne Rückflug(!) zusammengekratzt, sind ohne jegliche Deutschkenntnisse und ohne Übernachtungsadresse hier angekommen. Typisch Ausländer, ich konnte über soviel Planlosigkeit und Mut der Verzweiflung nur staunen. Dafür halten uns die Latinos für kalt, arbeitsverrückt und pingelig. Mit diesen Vorurteilen liegen die Südamerikaner ja auch nicht ganz daneben, gell?
Glücklicherweise war es bei ihrer Ankunft in Deutschland damals zufällig Sommer, so, dass sie in ihren leichten Sadien die ersten Nächte im Freien in Parkanlagen unbeschadet überstanden haben. Dann fanden sie einige musizierende „Kollegen“ in der City, welche die beiden dann aufnahmen. Bald mussten die beiden Brüder einsehen, dass in Deutschland leider nicht die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, und der Verkauf von Folklore-Schmuck, CDs mit Indianermusik und Musizieren gerade das Geld einspielt für den täglichen Unterhalt im teuren Deutschland.
Trotz sparsamster Lebensweise, haben die beiden es nicht geschafft, rechtzeitig genug Geld für die Blinddarmoperation(!) ihres Vaters zusammenzubringen. Ohne Bezahlung gab es kein Pardon, der Vater musste an einer simplen Blinddarmentzündung sterben. Unfassbar für mich, solche Verhältnisse. Da bin ich froh, dass wir hier alle irgendwie krankenversichert sind. Die Geschichte der beiden Brüder stimmt mich sehr nachdenklich.
Aber das ist Vergangenheit, das Leben geht weiter. Ich soll hier schöne Ferien machen und mich wohl fühlen bei der Familie und mich nicht mit trüben Gedanken belasten.
Wer vorhin mitgezählt hat, wird mitbekommen haben, dass 13 Leute in dem Garagenhaus wohnen.
Viele dieser Häuser sind so gebaut, dass sie zur Straße hin die Breite von zwei breiten Garagen haben, und nach hinten noch mehrere Garagenpaare angebaut waren. Bei Bedarf wird eine 2. Etage aufgestockt.
Bei meiner Familie ist die vordere „Garage“ unterteilt in eine Stube, wo sich nur Sofa und mehrer Sessel sowie eine kleine Anrichte befinden und in einen Essraum mit Tisch und 13 mehr oder weniger wackligen Stühlen. In der Ecke steht ein riesiger alter, aber funktionierender Kühlschrank und ein Fernseher, wo den ganzen Tag Serien a la „Reich und schön“ und Shows a la „Glücksrad“ liefen. Die Garage nebenan ist unterteilt in die Schlafstube der Oma, wo noch ein anderes Bett steht. Anschließend eine kleine Küche mit einem alten Büfett und einem kleinen Propangasherd und einem Tisch an der Wand. Nebenan ist noch eine offene Bucht ohne Dach, wo ein WC-Becken steht und ein zusätzlicher großer Propangas-Herd mit einem riesigen Kochkessel drauf. Die Kombination WC und Kochherd irritiert mich etwas. Juan erklärt mir, das WC dient als Müllschlucker. Ich bin mir da nicht so sicher, wage aber nur ein Blick aus der sicheren Entfernung in die volle Kloschüssel. Ich will es gar nicht wissen. Ich muss hier ja essen, wenn ich mich nicht unbeliebt machen will.
Weiter geht es mit der Besichtigung. Zu meiner unendlichen Erleichterung muss es irgendwann etwas Geld gegeben haben für ein richtig schön gefliestes Bad mit Dusche, Badewanne und Wasserklosett. Juan weist mich sogleich auf den richtigen Gebrauch der Toilette hin. Man darf das WC-Papier keinesfalls in das Toilettenbecken schmeißen, sondern man muss das besudelte Papier in einen eigens dafür vorgesehenen Papierkorb entsorgen. „Ui, ernsthaft? Wie unangenehm.“
Nun weiter in der Hausbesichtigung. Neben dem dünnwandigen Bad befand sich gleich „mein“ Zimmer. Eigentlich gehört es Artemis und ihrer Tochter. Beiden steht in dem Zimmer ein Ehebett zur Verfügung. Extra Kinderzimmer sind nicht üblich. Kleine Kinder schlafen zu zweit im Bett oder mit der Mutti oder Omi zusammen. Auch bei dem jungen Ehepaar schlief das kleine Töchterchen mit im Ehebett. Wann und wo werden eigentlich die vielen Kinderchen in Peru gebastelt, bei den ungünstigen Bastelbedingungen? Die beiden Brüder allerdings hatten jeder ein eigenes Zimmer und die beiden jüngeren Mädchen ein Zimmer zusammen.
Die Zimmer hatten alle Fliesenboden, ein Ehebett im Omistil mit geschnitzten Bettgiebeln und eine passende Frisierkommode. Einen Kleiderschrank gab es nicht. Das restliche Hab und Gut wurde in Pappkartons verstaut, welche zur Tarnung mit Decken zugehängt waren. Einige Schlafzimmer hatten auch ein unverglastes Fenster mit Vorhang zum Flur hin. Also Privatsphäre, Ehegeheimnisse gleich null. Aber dafür eine verschließbare Zimmertür. Wie schon erwähnt, bestehen die Zimmerdecken, also das Hausdach aus Wellblech oder Pappe. Überall auch die losen Glühbirnen am Draht.
Ich will mit diesen Beschreibungen die Familie keinesfalls beleidigen, sondern die bescheidenen Lebensverhältnisse ungeschönt realistisch darstellen. Ich muss nach den ersten Eindrücken dieser Wohn- und Lebensverhältnisse feststellen, dass es etwas anderes ist, von Armut im Fernsehen zu sehen, als es plötzlich leben zu müssen. Und da hatte ich noch Glück, die Familie gehörte nicht mal zu den ganz armen. Ich muss aber zugeben, hätte ich vorher gewusst, dass ich in einem Bau mit Wellblechdach und loser Glühbirne hausen soll, wäre ich bestimmt niemals hierher gekommen!
Wahrscheinlich hatten sich die beiden Brüder in Deutschland so ihre Gedanken gemacht, wie ich diese Wohnverhältnisse auffassen würde. Denn als Pension hätten sie mir das hier nicht anbieten können. Ich denke, darum haben sie mir in Deutschland kurz vor der Reise mitgeteilt, ich sei Gast der Familie und brauche den Pensionspreis nicht zu bezahlen. Dummerweise nahm ich diesen Betrag deswegen gar nicht erst mit hierher. Das sollte sich später als Fehler herausstellen. Aber in Deutschland war ich froh gewesen, dieses Geld einsparen zu können. Für mich war diese Reise auch so teuer genug. Der Flug und die Impfungen vorher haben schon mehr Geld verschlungen, als ich geplant hatte. Nun, später sollte sich herausstellen, dass ich jeglichen Eintritt in ein Museum, Taxi, Bus, Inlandflug und Inlandhotels bei der später folgenden Rundreise zu zahlen hatte. Und das meist für mehrere Leute, da die südamerikanischen Familien immer im Rudel losziehen, niemals einer allein. Teils aus Sicherheitsgründen, teils weil sie auch nie allein sein wollen. Obwohl die beiden Brüder mehrere Jahre in Deutschland waren, müssen sie aber immer noch geglaubt haben, alle Deutschen sind reich und die Dollars wachsen in meinem Portemonnaie immer wieder nach. Hätte ich das vorher gewusst, welche Kosten auf mich zukommen, hätte ich mehr Geld mitgenommen (oder gar die Reise abgeblasen?). Der Glaube der Peruaner an die Unerschöpflichkeit meines Portemonnaies brachte mich schon bald ganz schön ins Schwitzen. Die beiden Brüder legten es mir leider als undankbaren Geiz aus.
Zurück zur Wohnung der Familie
Ich bin ja gerade erst angekommen und man hat sich zum Begrüßen und Kennenlernen in der Stube eingefunden. Wie mir Juan in Deutschland sagte, wäre es nett, wenn ich Begrüßungsgeschenke mitbringen würde. Auf die Frage, was denn Angebracht wäre, konnte er mir in Deutschland leider keine genaue Auskunft geben. So hoffte ich in Deutschland aus unseren Gesprächen einige nützliche Hinweise herauszuhören. So entnahm ich einer Situation im regnerischen Deutschland, dass es in Lima zwar nicht oft, aber doch schon manchmal und wenn, dann sehr heftig regnete. Ich glaubte daher, Miniknirpse für die Handtasche wären ein gutes Geschenkchen für die Frauen. Nun, inzwischen in Peru angekommen, hatte ich mitbekommen, dass Lima in der Wüste liegt und es wahrscheinlich nie regnet. Peinlich, peinlich. Ich behalte sie erstmal im Koffer. Genauso daneben lag ich mit meiner Leselupe für die Mutter. Als ich die ihr mit einem kurzen Benutzungshinweis überreiche, guckt sie etwas verstört. Was ist verkehrt damit? Scheiße, sie ist doch nicht etwa Analphabet? Anscheinend doch. Dass es noch viele Analphabeten in Südamerika geben soll, habe ich zwar gehört, jedoch nicht ernsthaft damit gerechnet, dass ich schon in der Familie damit konfrontiert werde. Schon leicht schwitzend packe ich die vermaledeiten Rundstricknadeln aus. Klar, dachte ich mir es doch. Verständnislos starren die Frauen auf das Nadelbündel in meiner Hand. Keine Sau strickt in Lima. Und dafür hätte man mich am Flughafenzoll beinahe verhaftet! Was haben mir die Brüder da eingebrockt! Konnten die mir keine vernünftigen Tipps geben!?
Mit meinen mitgebrachten Haarbändern und Kindersachen kann ich meine Situation gerade noch retten.
Die Zeitverschiebung in Peru beträgt 6 Stunden. Dadurch erwache ich am nächsten Morgen um 6:00 Uhr; in Deutschland ist es demnach schon 12:00 Uhr. Es wäre höchste Zeit, aufzustehen. Ich bin putzmunter. Ich liege also wach im Bett, und wartete, wann die ersten Familienmitglieder aufstehen würden. Ich will die anderen nicht vorzeitig aufwecken. Es sind zwar Schulferien, aber die beiden kleinen würden sicher bald aufstehen. Nun, halb 10 ging es dann los. Der erste duschte ewig, der zweite duschte ewig, ich musste nun langsam dringend aufs Klo, der dritte duschte ewig, Ich muss weiter abwarten, immer ist jemand blitzschnell ins Bad an mir vorbei gehuscht. Ich scheine als Gast in der Badbenutzungsrangfolge ganz unten zu stehen. Ich muss weiter ausharren, bis der letzte durch ist. Die letzten duschen merklich kürzer. So was; warum nur? Beeilen die sich etwa wegen mir? Zwischendurch wischte immer einer das Bad kurz trocken, Männer wie Frauen. Es herrschte also in der Hausarbeit eine gewisse Gleichberechtigung. Als alle 13 Familienmitglieder durch sind und ich endlich aufs Klo und duschen darf, verstehe ich die hartnäckige Drängelei vor dem Bad. Nach fünf, sechs Duschgängen und WC-Benutzungen wird das Wasser weniger! Netterweise kommen die ersten nicht auf die Idee Rücksicht zu nehmen auf die letzten Familienmitglieder. Als ich unter der Dusche stehe, tröpfelt das Wasser nur noch spärlich für mich.
Die Klospülung hat dann schon vor mir nicht mehr gereicht und die Seife habe ich mir nicht mehr so ganz gründlich vom Körper spülen können. Take it easy.
Das Frühstück steht inzwischen auf dem Tisch. Es gibt mit Spiegelei oder Wurst belegte Brötchen. In Peru bäckt man zig Sorten Brötchen, jeder Bäcker, jede Familie hat eigene Rezepte. Es gibt nur Brötchen statt große Brote. In meiner Familie gibt es zum Frühstück ausgerechnet und jeden Morgen süßliche Brötchen. Brrr. Dazu trinkt man Tee und jeder einen Becher heiße Sojamilch. Die schmeckt lecker, ähnlich wie flüssiger Grießbrei.
Dann wird sich vom Frühstück ausgeruht. Jeder verkrümelt sich irgendwo hin; aufs Sofa, in nen Sessel, ins Bett. Die Ausruhung nach dem gemütlichen Frühstück dauert bis 14:00 Uhr. Irgendjemand fegt zwischendurch immer mal den Wüstensand vom Steinboden. Ungefähr 14:00 entsteht leichte Unruhe, alle finden sich wieder ein. Was passiert jetzt? Die Frauen tragen das Mittagessen auf den Tisch. Es gibt täglich Hühnersuppe und danach gekochtes Hühnchen mit Reis, evtl. eine Kartoffel dazu und einen Löffelchen in Öl gesottene Gemüseschnipsel. Mutter und Kind teilen sich eine Portion. Wie mir Juan erklärt, kam es in schlechten Zeiten vor, dass die Mütter bis zu drei Tagen nichts essen und ihre Ration ihren kleinen Kindern überlassen!
Das Essen war ungewöhnlich gewürzt, aber sehr lecker. Als Ehrengast bekomme ich zu meinem Schrecken den gelben Hühnerfuß mit auf den Teller! Die Männer, denen auch jedem ein Hühnerfuß zusteht, knaupeln genüsslich die Hornhaut und die Krallen ab und lutschen das „Fleisch“ von den Knochen. Mir gefiel schon der Anblick der Hühnerkralle da in meiner Suppe nicht, und überlasse großzügig jemand anders diese „Leckerei“.
Die Kartoffeln in Peru sind ein wirklicher Gaumenschmaus. Südamerika ist ja auch das Heimatland dieser Erdäpfel. Geschmacklich und von der Sortenvielfalt ein großer Unterschied zu Deutschland. Seitdem esse ich in Deutschland keine Pommes mehr, die schmecken eh nur wie Pulverpamps. Gemüse isst man in Peru wenig, da man für das Geld lieber Sattmacher kauft, wie Hühnerfleisch und Reis oder Kartoffeln. Eigentlich kann man dort nur Geflügel, Meerschweinchen und an der Küste Fisch essen. Diese Speisen sind dann garantiert verträglich frisch, weil die Tiere nur wenige Stunden vor dem Gang in die Pfanne noch gelebt haben.
An der Küste kann ich lecker Cebice empfehlen, dass ist in Würfel geschnittener roher oder gekochter in Zitronensaft eingelegter Fisch, mit enorm viel Pfeffer und Zwiebel und Tomaten. Sehr lecker, sehr scharf. Ich empfehle überhaupt nur Dinge zu essen, die nicht gekühlt gelagert werden müssen, da nur die Lieferanten für die Reichen Kühlautos, Kühlhäuser usw. besitzen. Die Mehrzahl der Händler hat oder nutzt so teuren Luxus nicht.