© Gesellschaft für Biodynamische Psychologie/
Körperpsychotherapie GBP e.V. Köln 2011
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Redaktion: Anne Morstadt-Droege, Köln
Satz und Layout: Dr. Susanne Beckmann, Tübingen
Foto: fotolia luigi giordano
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783732217151
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sich den größten Herausforderungen des Lebens zu stellen oder zumindest anzunähern war unser Wunsch bei der 13. Fachtagung der GBP e.V. in Goslar 2010. „Übergänge: Trennung – Abschied – Tod“ - dies sind Themen, die uns alle betreffen und berühren. Dieses Journal gibt die Gelegenheit, noch einmal mit den Inhalten dieser Tagung in Kontakt zu kommen, Erinnerungen zu beleben und zu vertiefen, oder sich ganz neu damit zu beschäftigen.
Die Referentinnen und Referenten der Tagung kamen aus unterschiedlichen therapeutischen Richtungen und gerade diese Vielfalt bot jeder/jedem von uns die Gelegenheit einer persönlichen Annäherung an dieses schwere Thema.
Ebba Boyesen und Silke Stöckel waren die Referentinnen der beiden Vorworkshops. In ihren Beiträgen beschreiben sie ihren therapeutischen Umgang mit Trauer und Abschied, den die Teilnehmer/innen zur eigenen Selbsterfahrung nutzen konnten.
Im Eröffnungsvortrag sprach Peter Schellenbaum von „wesentlicher Einsamkeit“ als Voraussetzung dafür, dass Übergänge, Trennungen und Abschiede gelingen können.
Prof. Dr. Annelie Keil führte uns zur “Leibhaftigkeit der menschlichen Existenz. Der Körper als Gestaltungsort zwischen Geburt und Tod.“
Ich bin immer wieder beeindruckt davon, wie viele verschiedene Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, sich diesen Prozessen anzunähern oder durch sie hindurch zu gehen.
Den Referentinnen und Referenten danke ich für ihre Beiträge zu diesem Journal.
Angelika Galli, 1. Vorsitzende
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Damen und Herren,
es ist für mich eine besondere Ehre, bei Ihnen sprechen zu dürfen. Es ist gleichzeitig auch wirklich ein Übergang. Denn es ist schon so, dass es sehr viele Zugänge zum Menschen gibt und sehr viele sind sich doch von der Grundstimmung her sehr ähnlich. Ich glaube wirklich, dass die Arbeit der Biodynamik von Gerda Boyesen und die der Psychoenergetik, wie ich sie seit 1985 nenne, sich sehr ähnlich sind. Und obwohl es natürlich auch bestimmte inhaltliche und sprachliche Unterschiede gibt, fühle ich mich bei Ihnen sehr aufgehoben und mit Ihnen vertraut.
Ich werde zunächst einmal eine Voraussetzung nennen zum Thema „Übergänge: Trennung – Abschied – Tod.“ Und diese Voraussetzung nenne ich die wesentliche oder existentielle Einsamkeit.
Ein weiterer Punkt wird sein Trennung, dann Abschied – Neubeginn und der Rest, der vierte Punkt Tod, vor allem Tod verstanden als Wandlungsgeschehen.
Ich wurde grad vorhin von Herrn Haudel gefragt, ob ich Gerda Boyesen gekannt habe. Da kann ich Ihnen vielleicht eine kleine Geschichte dazu erzählen:
Ich war vor etwa 30 Jahren in Zürich im Saal des Volkshauses am Helvetia-Platz bei einem Vortrag von Gerda Boyesen. Wir haben auf sie gewartet und sie kam nicht (allgemeines Gelächter im Publikum). Ich vermute, das Flugzeug hatte Verspätung. Dann kam sie voller Bewegtheit, Lebendigkeit. Der ganze Saal war gefüllt von diesem Wirbel des Ankommens und sie fing dann schließlich an und sagte:
„Ich freue mich, Sie hier in Kopenhagen begrüßen zu dürfen!“ (schallendes Lachen!)
Ja, eines war jedenfalls klar vom ersten Moment der Begegnung an mit ihr, dass ich eine sehr lebendige, sehr starke, sehr autonome Persönlichkeit vor mir hatte. Und das passt ja eigentlich gerade zu meinem ersten Punkt, zu dem, was ich wesentliche Einsamkeit nenne. Eine Persönlichkeit, die sicher durch ihre ganze Lebensgeschichte, die ich also nur bruchstückhaft kenne, gelernt hat, autonom zu sein, frei zu sein, sich selber zu sein und auch das Wagnis von Übergang, Trennung, Abschied auf sich zu nehmen. Und deshalb denke ich auch, dass gerade dieses Thema in Ihren Kreisen sehr gut passt.
Wesentliche Einsamkeit ist wirklich eine Voraussetzung dafür, dass Übergänge gelingen können, dass Trennungen gelingen können, Abschied gelingen kann. Denn einem Hans-Dampf-inallen-Gassen, der überall zu Hause ist, nur bei sich selber nicht, kann kein Abschied, keine Trennung gelingen. Und eine Grundfrage, die Sie sich sicher selber als TherapeutInnen, als Menschen stellen, ist immer die Frage: Wie ist es möglich, mit sich so sehr in Kontakt zu sein, dass ein schwieriger Übergang möglich wird, dass Sie oder die Menschen, die Ihnen anvertraut sind, nicht stecken bleiben in Angst, in Rebellion, in Widerstand, in Schuldgefühlen, es noch einmal versuchen wollen in quälendem Nicht-einverstanden-sein von dem, was eigentlich ansteht? Die Voraussetzung dafür ist wirklich das Lernen, bei sich selber, in sich selber und mit sich selber zu sein. Und Sie wissen es ja von Ihrer Arbeit her, dass da der Körper eine ganz besondere Rolle spielt.
Als ich damals vor vielen Jahren eines meiner ersten Bücher „Das Nein in der Liebe“ geschrieben habe, habe ich noch nicht so realisiert, wie wichtig der Körper, das Zuhause-Sein bei sich selber ist, um Übergänge gestalten zu können.
Erst ein persönlicher Hintergrund, eine sehr schwere Krankheit, die ich durchgemacht habe, und eine sehr schwere persönliche Krise, haben mir dann die Augen geöffnet. Ich habe gesagt: Nein, trotz allem was ich gemacht habe, unter anderem eine Psychoanalytische Ausbildung, ich brauche noch etwas anderes.
Und so habe ich dann nach und nach auch gelernt, so im Anschluss etwa an die Psychologie von C. G. Jung, einem Menschen auf seiner Wachstumsspur zu folgen, auf dem, was er die Entwicklungsspur nennt, und zwar eben nicht einfach nur durch die Aufmerksamkeit für Träume, für Bilder, für archetypische Motive usw., sondern vor allem – und für mich auch immer mehr in erster Linie - im Folgen der Körpersignale.
Also es ist nicht so, dass ich jetzt hauptsächlich mit Übungen arbeite. Menschen, die mit mir gearbeitet haben, wissen, dass ich das in Gruppen ab und zu mal tue. Ich habe aber so viel Vertrauen in die Entwicklungsspur oder auch Energiespur eines Menschen, dass ich mir sicher bin, dass die entsprechenden Signale sich auch wirklich melden. Und diese Signale werden oft überhaupt nicht als solche erkannt, sie werden nicht wahrgenommen. Da braucht es dann vor schwierigen Schwellen, bei schwierigen Übergängen eine/n Begleiter/in oder eine Gruppe als Übergangsgemeinschaft, um diesen wesentlichen Schritt zu tun.
Es ist ja oft so, dass Menschen sich zunächst einmal hauptsächlich als Teil eines Paares oder als Teil eines Kollektivs erleben und nicht so sehr als Einzelne. Also noch nicht das kennen, was ich vorher wesentliche, existenzielle Einsamkeit genannt habe.
Viele, auch wir kennen das, wir definieren uns oft über unsere soziale Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe, möglicherweise auch zu einer Berufsgruppe und das, was eigentlich das Wesentliche ist, diese manchmal schmerzhafte, diese leidvolle, diese äußerst schwierige Einsamkeit des Bei-Sich-Selber-Seins, wird uns oft erst in einer schwierigen Lebenssituation überhaupt klar.
Damit ich nicht zu sehr in Theorie stecken bleibe, möchte ich gleich mal mit einem kleinen Fallbeispiel anfangen, wo Sie auch merken, auf welche Weise es möglich ist, der Entwicklungsspur eines Menschen zu folgen:
Da war ein Mann, der innerhalb von 10-12 Jahren schon zum vierten Mal verheiratet war. Anfänglich war immer große Verliebtheit und große Begeisterung aber dann kam der Überdruss, und dann das, was wir so mit der Zeit eine Wohlfahrtsehe, eine bloße Interessengemeinschaft nennen, Etwas, was in der Beziehung Wachstum nicht auch für den Einzelnen bedeutet. Dann entwickelte sich bei ihm die Tendenz, den anderen zu verlassen und zu gehen und dann immer wieder die große Hoffnung bei der zweiten Frau, bei der dritten Frau. Und mit der vierten Frau war er in einer Therapie-Gruppe. Das war nicht in einer der Gruppen, die ich im Tessin in der Schweiz anbiete, sondern in einer fortlaufenden Jahresgruppe, einer Wochenendgruppe in Zürich.
Er erzählte einmal mehr, vor allem was er so erlebt hat mit diesen Frauen, auch vom familiären Hintergrund. Er hatte schon eine Psychoanalyse hinter sich, also er konnte sehr gut über diese Dinge sprechen. Er hatte auch eine Verhaltenstherapie, damit sich „das“ ändert, hinter sich. Und er war an einem bestimmten Punkt, wo er sich wirklich sagte: „Ich weiß nicht mehr weiter. Ich bin völlig ratlos“ und ich dann auch für mich gesagt habe: ich bin auch ratlos, ich weiß überhaupt nicht, was ich für diesen Mann tun soll und ob ich da überhaupt der Richtige bin oder was immer möglich ist mit ihm.
Dann war so ein längerer Moment von völliger Leere, und das ist etwas, was Sie sicher als TherapeutInnen auch kennen, diese Pausen, wo nichts ist. Und es ist sehr entscheidend, wie Sie in diesen Pausen bei sich sind. Weichen Sie in diesen Pausen aus, stellen Sie sich die Fragen: „Oh, mein Gott, wann ist die Stunde zu Ende, wann gibt es Mittagessen?“, oder Sie überlegen sich dies und jenes, Sie werden innerlich unruhig und Sie halten es nicht aus. Das ist dann nicht therapeutische Resonanz. Gelingt es Ihnen – mir – uns wirklich, auch in einer solchen Pause, in einer solchen Leere drinzubleiben, das auszuhalten?
Wenn das geschieht, dann hat das eine ungeheuer energiesteigernde Wirkung bei dem Menschen, mit dem Sie arbeiten. Wenn sich diese Steigerung der Energie aufbaut gewissermaßen aus dem Nichts, das ist dann der Moment, wo manchmal so eine Art Schöpfung aus dem Nichts in Form eines kleinen Signals entsteht. Das kann ein Körpersignal sein, ein kleines Signal, das dem Betreffenden gar nicht bewusst ist.
Wenn ich von Energiesignalen spreche, tue ich das in dem Sinne, dass ich zwar im Kopf vielleicht schon ein bisschen merke, dass ich eine bestimmte Bewegung mache oder dass ich mich vielleicht an einer bestimmten Körperstelle berühre, aber es ist nicht ein spürendes Bewusstsein, es ist nicht ein Im-Leibe-Sein mit dem, was sich als Signal gerade meldet.
Nach einer längeren Phase – ich weiß nicht, wie lange das gedauert hat - berührte sich dieser Mann am Herzen, auf Herzhöhe, am Herz-Chakra, in der Mitte des Herzens ganz intensiv. Üblicherweise muss ich, wenn so etwas auftritt - also eine Berührung, eine Bewegung, ein starkes Wort oder ein starkes Bild - dem Menschen, dem das geschieht, sagen: „Ja, bitte bleib drin, bleib dabei, beschreib es.“ Bei ihm war das überhaupt nicht nötig. Er war ganz drin und ich habe gemerkt, wie stark sein Gefühl, sein Gespür, seine körperliche Empfindung da zum ersten Mal da war.
Denn ich habe schon gemerkt, dass er, wenn er von seinen Beziehungen sprach, nicht wirklich drin war. Er war wie gefühlsmäßig abwesend.
Und das war eigentlich der erste Moment, wo ich verstand und gefühlt habe: Jetzt ist er da, jetzt ist er präsent. Und was dann folgte, das war eigentlich wie selbstverständlich. Er rollte sich so zusammen, wie sich ein Säugling zusammenrollt, und er weinte und es war dann offensichtlich, dass er etwas erlebte, was er verbal schon sehr oft mitgeteilt hatte. Es war mir klar, dass er es bestimmt schon zehnmal gesagt hatte, nämlich, dass er schon sehr früh von seiner Mutter verlassen wurde. Es war offensichtlich, dass er jetzt eigentlich dasselbe tat mit den Frauen, wie es seine Mutter mit ihm getan hatte bzw. dass er dem Verlassen-Werden zuvorkam, indem er selber verließ.
Also inhaltlich da nachher die Verbindung herzustellen, war relativ einfach. Aber das ist das Schwierige, und das verstehen viele Menschen nicht, die nicht vertraut sind mit der Arbeit mit dem Leib, im Gegensatz zu dem, was Sie machen. Also ich meine, Sie verstehen das, weil Sie ja auch so, wenn auch etwas anders, arbeiten. Das ist vielen nicht klar.
Als ich am Jung-Institut anfing so zu arbeiten, hat man das so ein bisschen geduldet. Zunächst war ich vollständig Jungianer, ich war bis vor kurzem eigentlich Dozent am Institut, ich war sogar Ausbildungsleiter. Aber das nahm man nicht ernst. Man sagte mir: “Ja, du machst doch so eine Selbsterfahrung, so nebenbei, das ist ganz nett, aber das was wir machen, ist doch sehr viel mehr und ist wichtiger.“
Also wer das Biodynamische nicht kennt, realisiert überhaupt nicht, wie wesentlich dieser Schritt ist und wie wichtig es ist, das ernst zu nehmen und diesem zu folgen. Denn wenn wir dann der Entwicklungsspur,die vom Leibe her geworden ist, folgen, dann kommen wir in einer Tiefe dem Wachstum eines Menschen nahe, wie es sonst nach meiner Erfahrung nicht erreicht wird.
Das wollte ich Ihnen mit dem kleinen Beispiel deutlich machen. Der Mann hatte verstanden, was mit ihm ist und musste sich nicht mehr trennen. Er schrieb mir dann später, als ich den Kontakt mit ihm verloren hatte, ab und zu eine Postkarte. Auf jeder Karte stand: „Wir sind zusammen.“ Er hat nicht geschrieben, wir sind noch zusammen, dieses heimtückische Noch!, sondern er schrieb: „Wir sind zusammen.“ Ich weiß auch von ihm, dass er sich jedes Mal, wenn wieder diese „alten Geschichten“ hochkamen - und die kommen natürlich immer wieder hoch, weil sie nicht einfach durch ein solches Spontan-Ritual erledigt sind - dann genau an der Stelle berührte, wie er es spontan in der Gruppe gemacht hatte, um im Kontakt mit sich zu bleiben. Er berührte sich so lange, bis wieder diese Gefühle präsent waren, die damals da waren, als er diesen Schritt getan hat.
Es ist sehr wichtig, dass es auch nach der Behandlung für den Patienten gut weitergeht und er das Erlebte in seinen Alltag integrieren kann.
Etwas, das wir in Trennungssituationen, in Situationen des Abschieds erleben, ist die Erfahrung: „Es ist mir nicht alles möglich. Meine Möglichkeiten sind begrenzt.“
Früher waren vielleicht Allmachtsphantasien in Bezug auf das berufliche Vorwärtskommen, in Bezug auf eine Partnerschaft da. Und ob es nun eine Trennung ist, die ich selbst initiiert habe oder der/die Andere initiiert hat oder ob es um den Tod eines uns lieben Menschen geht: Wir werden zurückgeworfen auf eine, glaube ich, heilsame Ohnmacht. Es ist uns nicht alles Menschenmögliche möglich. Wir erleben, spüren unsere Grenzen.
Ken Wilber schrieb einmal, dass Grenzlinien Berührungslinien sind. Er hat das gemeint in Bezug auf Kontakt mit anderen Menschen. Wir können aber auch sagen, es sind auch Berührungslinien mit uns selber. Denn so lang diese juvenilen, diese jugendlichen, pubertären Allmachtsphantasien da sind, sind wir nicht wirklich in Berührung mit uns.
Das Problem in solchen Situationen ist einfach, dass diese jetzt empfundene Ohnmacht sich nicht verallgemeinert und nicht in uns auf einer depressiven Spur das Gefühl aufkommt, es ist mir gar nichts möglich. Alles ist gescheitert. So ein bisschen wie Gretchen, die in Bezug auf Faust sagt: „Wo ich ihn nicht hab’, ist mir das Grab, die ganze Welt ist mir vergällt“ – die ganze Welt, nicht nur diese Beziehung, totale Ohnmacht, Tod, wirklich seelischer Tod.
Und das ist sehr tragisch und deswegen ist es so wichtig, dass auch in Phasen, wo noch nicht eine solche schwierige Erfahrung, eine Trennung, ein Abschied bevorsteht, dass auch schon in solchen Phasen eben eingeübt wird das Bei-Sich-Sein. Wobei ich natürlich hinzufügen muss: Es ist realistischerweise oft so, dass die Menschen dann erst zu uns kommen, wenn es so weit ist, wenn eine solche schwere Situation eingetreten ist.
Das Schlimmste, das der seelischen Gesundheit Abträglichste ist gar nicht so sehr, von einem anderen Menschen verlassen zu werden oder eben selber zu verlassen, sondern die Selbstverlassenheit, das Sich-Selber-Verlassen, Sich-Aus-Dem-Gespür-Verlieren nach einer solchen wichtigen Schwelle.