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© Dr. Dietrich Volkmer
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Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH Norderstedt
Printed in Germany
ISBN: 978-3-7322-6165-9
Inseln sowie auch manche grossen Ströme üben auf mich eine nicht genau zu definierende Faszination aus. Es ist die Mischung zwischen festem Verlässlichen und flüssigem Unwägbarem, zwischen ständiger Bewegung und einem ruhenden Pol.
Aber es gibt viele Inseln und auch Flüsse, die zwar diese Kriterien erfüllen, aber sonst keinerlei Attraktives aufzuweisen haben.
Wenn es denn um das Thema Inseln geht, die in meinem Sinn eine gewisse Geschichte, ein Zeugnis von Kultur zu bieten haben, so sind es auf jeden Fall die Inseln der Ägäis und zum Teil die Inseln des Ionischen Meers.
Bei meinen Aufenthalten auf den griechischen Inseln stelle ich mir immer wieder vor, wie dereinst hier an diesen Gestaden, in dieser Atmosphäre der Klarheit unsere westliche Kultur ihren Anfang nahm.
In den Bildern brechen von den Häfen der Inseln Schiffe auf, um die Nachbarinseln oder das griechische Festland zu erreichen.
Immer ein Wagnis, denn diese Regionen sind zugleich auch mit gewissen nautischen Risiken verbunden. Trotzdem wagten immer wieder mutige Männer die Reise über das Meer.
Eine der berühmtesten Seefahrten ist die zehnjährige Reise des Odysseus von Troja bis auf seine Heimatinsel Ithaka.
Auch der Inhalt dieses Buches ist einer Insel, nämlich der Osterinsel, gewidmet, die sich, fast verloren im Pazifik, so weit fernab von unserem europäischen Kontinent befindet, deren Geschichte aber in den letzten dreihundert Jahren von eben dieser westlichen Kultur beeinflusst wurde. Vor diesen Kontakten jedoch entwickelte sich in dieser abgeschiedenen Isolation eine fremdartige, fasznierende Kultur, die mich mit ihren vielen Rätseln, Geheimnissen und Mysterien in ihren Bann zog.
Jeder Wunsch beginnt irgendwie oder irgendwann einmal zu keimen. Es ist wie ein Samenkorn, in die Erde gelegt, mit der Bestimmung zu wachsen.
Die Gedanken, die um diesen Wunsch kreisen, sind wie das Wasser, das der Same der Pflanze braucht, um sich zu entfalten.
Das Wort Gärung kann in diesem Zusammenhang recht passend sein.
Der Mensch verwechselt manchmal die Worte Traum und Wunsch.
Nicht jeder, der den Satz äussert: „Ich hatte einen Traum ...“, hat diesen auch tatsächlich gehabt.
Es scheint, als ob gerade in dieser Hinsicht und mit dieser Formulierung Anglizismen oder amerikanische Gebräuche ins Deutsche übernommen werden.
Träume können aus der Welt des Unbewussten Wünsche nach oben spülen, so dass man glaubt, dieser Traum sei der Ausdruck eines lang gehegten Wunsches.
Das muss aber nicht so sein.
Wünsche können, wie jeder weiss, völlig unabhängig von Träumen entstehen, brauchen aber in der Aussenwelt immer einen Auslöser, eine Idee und manchmal auch eine Zweckmässigkeit.
Wünsche müssen nicht immer eine lange Anlaufphase haben, sie können auch aus der Spontaneität, wie ein Blitz aus heiteren Himmel, auf den Betroffenen herniederfallen, so dass derjenige davon gerührt oder berührt sein kann. Das Wort „betroffen“ zeigt schon von seinem Inhalt her, dass man getroffen wird, sein kann oder sein soll.
Warum diese einleitenden Sätze?
Sie zeigen etwas über die Entstehungsgeschichte dieses Buches auf.
Wer sich als Jugendlicher mit Geografie befasst oder im Atlas stöbert, stösst vielleicht irgendwann einmal auf den Namen Osterinsel. Man weiss demzufolge, dass es sie gibt, ordnet sie aber rein inhaltsmässig oder fast kann man sagen, katalogmässig, in die Reihe der Südseeinseln wie Hawaii, Samoa oder Tahiti ein.
Die aufsteigenden Bilder sind etwas verklärt. Palmen, weisse Strände, blau-grünes Meer und blauer Himmel sind die entstehenden, sagen wir es ruhig: etwas naiven Assoziationen.
Möglicherweise werden diese Gedanken noch von schönen Mädchen abgerundet, die mit Baströckchen bekleidet ewig lächelnd in die Welt und auf den Betrachter schauen.
Nicht ausgeschlossen kann auch ein Kontakt mit den Bildern Gauguins sein, der uns mit seinen Werken seine Idee der Südsee hinterlassen hat.
Das alles kann ich für meine Person nicht sagen. Der Anlass für diesen langgehegten Wunsch war eine Ausstellung im Frankfurter Sencken berg-Museum mit dem Titel „1500 Jahre Kultur der Osterinsel“, einer bis dahin wohl einmaligen Ausstellung, die sogar zwei Abgüsse der nicht gerade kleinen Osterinsel-Statuen zeigte.
Beeindruckt von den bis dahin mir fremden Figuren, die scheinbar rätselhaft auf der Insel stehen, entstand irgendwann einmal die Absicht – oder nennen wir es doch Wunsch – diese geheimnisvollen Werke einer ebenso geheimnisvollen Kultur selbst vor Ort in Augenschein zu nehmen.
Wenn ich es aus der Retrospektive betrachte, so war es damals noch eine mehr intellektuelle Neugier. Es war der Drang nach etwas Fremden, etwas Neuem, etwas bis dahin noch nie Gesehenem.
Wir hatten schon einiges von der Welt gesehen.
Mit 18 Jahren bereiste ich mit einem Klassenkameraden per Anhalter etc. Italien bis nach Capri und der Rückweg führte über Frankreich und Belgien nach Hause.
Als Student fuhr ich in den Semesterferien als Nachtsteward der Ersten Klasse auf unserem damals grössten deutschen Schiff, der „Bremen“, war etliche Male in der Neuen Welt gewesen und hatte New York und Washington kennengelernt.
Zwei Jahre danach waren die Türkei, Syrien und der Libanon die Reiseziele, wiederum zwei Jahre später ging es auf dem Landweg mit einem Freund über die Türkei, Persien und Pakistan bis an die Grenzen Indiens, wo wir allerdings in die Kriegswirren des vorletzten Indisch Pakistanischen Kriegs hineingerieten.
Später wurde uns eine Kreuzfahrt in die Karibik angeboten.
Die Sonnen- und Mond-Pyramiden von Teotihuacan zeigten uns ein paar Jahre danach die von den Spaniern im Sinne eines völlig falsch verstandenen Christentums zerstörte Kultur der Azteken. Weiter südlich dampfte der Zug von Cuszco mit uns durch das Tal des Urubamba bis zu der alten Inka-Stadt Machu Picchu.
Südafrika, Kenia und Tansania waren in den Folgejahren weitere Ziele. Voller Begeisterung über die Weite und Tiervielfalt der Serengeti, der Üppigkeit des Ngorongoro-Kraters und der herrlichen Lodges in der Wildnis kehrten wir zurück.
Als früher begeisterter Windsurfer konnte ich an den Windglider Weltmeisterschaften auf Martinique und im nächsten Jahr auf der Insel Mauritius teilnehmen.
Dann erst begann die Erkundung der geografischen Nähe in Europa und des Nahen Ostens.
Der Garten Gethsemane mit seinen alten Olivenbäumen liess Bilder des Neuen Testaments auferstehen.
Mehrere Male war Ägypten mit seiner grossartigen, jahrhundertelangen Vergangenheit das Ziel unserer Reisen.
In meinem ägyptischen Lieblings-Hotel Mövenpick Jolie Ville in Luxor sass ich oft am Nil, morgens, wenn die meisten Touristen noch schliefen, schaute den Fischern zu, wie sie mühsam und in dicke Sachen gehüllt, die wenige Fische für die Familie angelten. Dabei stellte ich mit vor, welches reges Leben vor fünftausend Jahren auf dieser Lebensader des Alten Ägypten geherrscht haben muss. Ein violettes Segel tauchte in Gedanken auf, auf einer prunkvollen Barke – Pharao war auf dem Weg in den Süden, vielleicht wieder einmal auf einem Kriegszug gegen die Nubier, oder das „elende Kusch“, wie sie respektlos die Lande südlich von Assuan nannten, woher sie aber das so wichtige Gold bezogen.
Am Abend schauten wir auf das alltägliche Wunder des Versinkens der Sonne, des Sonnengottes Re mit seiner Barke, im Lande Amenti, im Westen, dorthin, wohin die Seelen der Verstorbenen entschwanden und wohnten.
Oder wir fühlten am späten Nachmittag, wenn die meisten multinationalen Touristengruppen mit ihren lauten Führern dem KarnakTempel den Rücken gekehrt hatten, für uns die Grossartigkeit und Erhabenheit der vielen Säulen des Grossen Säulensaals, den Ramses in seiner architektonischen Unermüdlichkeit hatte bauen lassen.
Ein Intermezzo im mediterranen Programm bildeten zehn Tage Namibia, dem früheren Deutsch-Südwest. Die morgendliche Fahrt durch die Dünen der Namib-Wüste mit ihren Rot-Schwarz-Farb-Extremen in den Sossusvlei ist ein Erlebnis, das man nicht vergisst.
Ägypten wiederum war der Vorläufer für die Beschäftigung mit der griechischen Kultur. Auch in diesem Fall gab eine Ausstellung im Landesmuseum in Karlsruhe den Anstoss.
Sie handelte von der Welt der Minoer, dieser alten Kultur Kretas, von der wir so vieles gesammelt haben, aber über die wir im Grunde so wenig wissen. Die Sprache und Schrift ist bis heute trotz vieler Bemühungen noch immer nicht völlig enträtselt. Und die Stätten Knossos und Phaestos stecken noch voller Geheimnisse, auch wenn der Ausgräber von Knossos, der Engländer Evans mit seinem vielen Zement geglaubt hat, so manches in seinem Sinn interpretieren zu müssen und damit vielem eine falsche Richtung gegeben hat.
Was die Minoer veranlasst haben mag, ihre Königsstätten aufzugeben, entzieht sich wohl für immer der archäologischen Erkenntnis. Die Fama vom Ausbruch des Vulkans auf Santorini mit einer Flutwelle ungeheuren Ausmasses, die diese Kultur zerstört haben soll – ich vermag sie nicht zu akzeptieren.
Die Inseln der Ägäis, die „Küsten des Lichts“ wie Peter Bamm sie nannte, standen in der Folge auf der Wunschliste. Welch ein Licht, welche Farben! Fast sämtliche Inseln haben wir inzwischen besucht, einige davon mehrmals.
Nunmehr konnte ich erahnen, warum gerade hier in dieser Klarheit der Umgebung unsere westliche oder abendländische Kultur ihren Anfang nahm. Die Helden der „Ilias“ und der „Odyssee“ kreuzten hier die Meere und alles war erfüllt von Sagen und Mythen. Auf der Agora der Städte entstand die politische Streitkultur.
Die Insel Lesbos motivierte mich zu meinem Buch „Die Insel der Sappho“.
Auf der Insel Ithaka, die allerdings im Ionischen Meer weit entfernt von Troja liegt, erwachte mein Interesse für Odysseus und seine Abenteuer-Reise, das sich in einem Vortrag mit dem Thema „Ithaka oder der Weg des Menschen“ niederschlug. Vielleicht wird es das Thema eines weiteren Buches.
Die mythologischen Abenteuer des Herakles, dem grössten aller griechischen Helden, führten ebenfalls zu einer Auseinandersetzung mit seinem heroischen Lebenslauf.
Zwischendurch gelangte immer wieder mal der Katalog der Osterinsel Austellung in meine Hände.
Irgendwann wurde nach soviel Eindrücken durch die Mittelmeer-Anrainer der lang gehegte Wunsch, über die Kontinente zu springen und der Osterinsel einen Besuch abzustatten, immer konkreter, fast drängender.
Zwei Hauptgründe standen hinter dieser Absicht – einmal die bereits geschilderten Geheimnisse, die noch immer einer Lösung harren und dann, ein mehr irrationales Gefühl, nämlich zu erleben, was es heisst, so weit entfernt zu sein von jeglicher anderer menschlicher Siedlung. Einsamkeit pur sozusagen.
Das Internet mit seinen vielen Möglichkeiten half bei der Entscheidung.
Es wurden Reise-Prospekte durchgeblättert (gewälzt konnte man bei den etwas dünneren Ausgaben nicht sagen) und Informationen eingeholt, über die Reisezeit, über die Fluglinien und über die Flugdauer.
Zwei Stunden im Reisebüro – dann stand der Plan endgültig fest und es wurde gebucht. Die Osterinsel und, wenn man schon soweit fliegt, der Süden von Chile mit Patagonien, der Gletscherregion im argentinischen El Calafate, den Torres des Paine und dem Gebiet um Puerto Montt mit seinem Bilderbuch-Vulkan Osorno.
Aber das Hauptziel der Wünsche war und blieb die Osterinsel.
Jede Reise beginnt, einmal abgesehen von den oben erwähnten Wünschen und Intentionen, mit dem ersten Schritt. Lässt man die weite Reise von Europa nach Chile ausser Acht, so ist die Maschine der chilenischen Fluggesellschaft LAN das unabdingbare Medium. Sicher, es gibt auch Kreuzfahrten, die die Osterinsel streifen, aber mir sind diese Schiffsreisen einfach ein Greuel. Bedeutet es doch nicht mehr oder weniger, dass ein ganzes Kontingent voller moderner Bequem-Touristen über eine Insel oder eine sonstige Sehenswürdigkeit herfällt.
Wie soll da noch so etwas wie Nähe zu dem Ziel, der Sehenswürdigkeit oder der Etappe entstehen? Wie soll man so, eingepfercht in Dutzende anderer Touristen, etwas von der Stimmung einer Insel oder gar von seinen Bewohnern mitbekommen?
Geht dabei nicht so etwas wie Individualität verloren?
Gewiss, für die Insulaner bedeutet es so etwas wie finanzielles Einkommen und Sicherheit. Auf der anderen Seite – und das mag durchaus romantisierend klingen – geben sie etwas auf, das man Authentizität oder Ursprünglichkeit nennt. Zu ihrer Entschuldigung muss man aber hinzufügen, dass jeder etwas am angenehmen „Kuchen des Lebens“ partizipieren möchte und diese Entwicklung im Zuge der Globalisierung überall eingesetzt hat. Auf den griechischen Inseln beispielsweise verkümmern die Olivenbäume, die einstmals die Garantie für ein wie auch immer geartetes Einkommen waren, da sich in der Touristik leichter und vor allem müheloser Geld verdienen lässt. Und in anderen Touristenhochburgen sieht es kaum anders aus.
So muss man also mit den Läuften der Zeit leben und kann nicht andere Bereiche der Welt in seinem Sinn beeinflussen, um ein Ziel seiner Vorstellung zu finden oder gar das Rad der Entwicklung zurückdrehen zu wollen.
Die Boeing 767 der LAN hebt auf dem Flughafen von Santiago zum Start an. Zurück bleiben die morgendliche, noch leicht diesige Sicht auf die jetzt kurz vor Sommeranfang nurmehr leicht schneebedeckten Dreitausender der Kordillere. Über fruchtbare Täler mit den vielen Weinreben und Obstplantagen und die niedrigeren Berge der Küstenkordillere zieht der moderne Nachfahre des Dädalos seine Bahn in Richtung Pazifischer Ozean.
Fünf Stunden liegen vor uns, unter uns nichts als Wasser, Wasser und über dem Wasser wie Watte die vielen Wolken.
Fünf Stunden – sie kommen uns so lang vor, aber das auf diesem Flug freundliche Personal der chilenischen Luftlinie ist bemüht, uns den Aufenthalt so kurz wie möglich zu gestalten.
So entstehen diese Zeilen zehntausend Meter über dem Pazifik auf dem Weg zu meinem lang ersehnten Ziel – der Osterinsel oder der Isla de Pascua wie die Spanier sie nennen.
Was wird sie uns bringen?
Werden die Wünsche einen Widerhall in der Realität finden?
Sind die Vorstellungen und Vorausgedanken nicht überhöht, um gegebenenfalls einer gelinden Enttäuschung zu weichen?
Wie wird die Landschaft sein?
Ist sie wirklich so kahl, nur Grasland, wie es in manchem Reiseführer steht?
Wie mögen die steinernen Zeugen einer kreativen Vergangenheit, die Moai, in Wirklichkeit aussehen?
Wird man als Besucher irgendeinen Bezug zu diesen langsam verwitternden Riesen bekommen?
Werden die Bewohner der Insel dem neugierigen Fremden freundlich entgegenkommen?
Lauter kursierende Fragen vor einem bislang unbekannten Ziel. Man wird sehen.
Der Kapitän setzt zum Landeanflug auf die Insel an. Zugleich zwingt der mitgeführte Anteil der modernen Welt, der mobile Rechner mit seiner Lebensquelle, dem Akku, mich dazu, die Daten zu sichern und mich in Gedanken auf dieses seltsame, einsame Gebilde in der unendlichen Weite des Pazifik einzustellen.
Rapa Nui, so heisst sie in der Sprache der polynesischen Ureinwohner, harrt unser mit seiner geheimnisvollen Vergangenheit, die sich noch teilweise in die Gegenwart gerettet hat. Rapa Nui – das bedeutet soviel wie grosser heller (oder weisser) Fleck – so erschien die Insel dem Mann im Ausguck des holländischen Schiffes im Jahr 1722. Die Insulaner hatten für ihre Insel einen anderen Namen – sie nannten sie „Te pito o te Henua – Nabel der Erde“.
Ein kurzer Blick auf die linke Seite: Da sind sie – jene drei kleinen Inselchen, Motu Iti, Motu Kao Kao und Motu Nui, von denen die grösste, Motu nui, für die Ureinwohner eine religiöse, sich jährlich wiederholende Bedeutung hinsichtlich des Vogelmannkults gehabt hat. Man hat soviel darüber gelesen und Bilder gesehen – nun sieht man sie in Wirklichkeit.
Die Maschine setzt auf.
Die Landebahn des Flughafens Mataveri ist lang, da sie für Notfälle des amerikanischen Space shuttle-Programms hergerichtet ist.
Eine der längsten Pisten Südamerikas.
Ein kräftiger Schauer ist gerade über diesen Teil der Insel heruntergegangen und so empfängt uns eine leicht schwül-warme Umgebung mit vielen Pfützen auf dem Flughafenasphalt.
Ein kleines Flughafengebäude, einige Wartende, draussen ein paar Mini-Busse und Autos.
Die Ankunftshallen der meisten Flughäfen sind höchst anonym. Hier trägt eine junge Deutsche, die auf der Insel in einer Reiseagentur arbeitet, ein grosses Schild mit unserem Namen - ein herzliches Willkommen. Zwei Blumenkränze als Südsee-Zugabe tun das ihrige dazu.
Hanga Roa ist der einzige Ort auf Rapa Nui, So rund dreitausend Einwohner sollen hier leben. Hochhäuser oder ähnlich missratene Ausgeburten einer modernen Mittelmeer-Touristik-Industrie sucht man vergebens, kein Haus hat mehr als ein Erdgeschoss.
Welch eine Wohltat für die Augen.
Die kleinen Hotels liegen in grünen Anlagen mit tropischen Pflanzen und Bananenstauden. Massentourismus ist noch unbekannt, es sei denn, ein Kreuzfahrtschiff ankert ab und zu im Hafen, was uns aber während unserer Aufenthalte glücklicherweise erspart bleibt.
Wir sind angekommen.
Angekommen am einsamsten Ort der Welt. Keine menschenbewohnte Siedlung liegt so weit abseits von jeglicher anderer Zivilisation.
Ringsherum nur Meer, Stiller Ozean, Pazifik, fast grenzenlos.
Das „Mutterland“ Chile liegt rund 4000 Kilometer entfernt – daher auch der Titel des Buches. Die nächste Insel Pitcairn, wohin es damals die Meuterer der „Bounty“ verschlug, zu der es aber keine direkte Verbindung gibt, liegt 2300 Kilometer entfernt und nach Tahiti sind es mehr als 4000 Kilometer.
Das also ist der „Nabel der Erde“.
Te pito o te henua.
Ein einsamer Nabel in der unendlichen Weite des Meeres.
Einsamkeit hat viele Facetten. Man kann Einsamkeit beschreiben, als Objectivum, aber erlebbar, nachfühlbar und verstehbar ist sie wohl nur subjektiv, ebenso wie Traurigkeit oder, um nicht im allzu Negativen zu verweilen, auch Glück und Freude.
Der Mensch kann allein unendlich einsam sein, aber ebenso inmitten anderer Menschen oder gar in einer Menschenmenge. Das Miteinander, der Gedankenaustausch, die Kommunikation ist wohl etwas elementar Wichtiges. Einfach nur jemanden zu haben, der zuhört und für den Notfall da ist. Besonders alte Leute sind davon betroffen, die kinderlos oder nach dem Verlust des Partners einsam durch die verbleibenden Tage oder Jahre des Lebens ziehen.
Zum anderen gibt es Menschen, denen Einsamkeit ein Anliegen ist, für eine bestimmte Zeit nur oder grundsätzlich. Man denke an Menschen, die sich meditativ zurückgezogen haben oder an Einsiedler, an Mönche, an Fakire oder indische Gurus. Sie alle haben sich dieses Prinzip temporär oder permanent gesucht, um in der Stille der Zurückgezogenheit ihren Weg zu finden oder zu gehen.
Sie empfinden die für viele Menschen bedrohlich oder angsteinflössend anmutende Situation nicht oder wollen sie bewusst meistern.