Für Hanadi
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© 2013 Dar al Janub – Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7322-6662-3
"Es ist besser für eine Idee zu sterben,
als für eine Idee zu leben, die sterben wird."
Steven Biko
Damaskustor (Bab al-Scham)
Al-Quds / Jerusalem 1937
„Wie (…) besprochen, kann ich Ihnen mitteilen, dass aus heutiger Sicht trotz der Zurücknahme der Förderzusage der ADA Ihrer Veranstaltung im Albert Schweitzer Haus stattfinden kann. Wie Sie schon betont haben, ist es in Ihrem Interesse, dass bei diesem Symposium eine intensive Diskussion über unterschiedliche Positionen stattfindet. Daher würden wir uns von Seiten des Albert Schweitzer Hauses sehr freuen, wenn Sie zu den Podiumsdiskussionen weitere Gäste einladen. Und ich darf Ihnen diesbezüglich auch gleich 2 Namen vorschlagen: Herrn Eric Frey und Herrn Doron Rabinovici. Beide Herren wären sicher eine Bereicherung für Ihre Veranstaltung und spannende Diskussionen garantiert [sic!]. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie sich als Veranstalter mit Herrn Frey und Herrn Rabinovici in Verbindung setzten können, um sie zu den Podiumsdiskussionen einzuladen.“
Dieses freundliche E-Mail erhielten wir im September 2011 von der Geschäftsführung jenes Veranstaltungsortes, das wir für das Symposium „Remapping Palestine“ im Frühjahr 2011 vertraglich angemietet hatten. Aller Höflichkeitsfloskeln zum Trotz stand die Entscheidung, ob der angemietete Saal den VeranstalterInnen im letzten Moment entzogen wird, auf Messers Schneide. Der politische Druck, der auf der Geschäftsleitung zu Lasten schien, war immens und spürbar. Kurz zuvor hatte die Austrian Development Agency auf politische Interventionen reagiert (dazu mehr im Artikel „NGOs in the Age of Empire“) und eine offizielle Förderzusage für das Symposium gestrichen. Die Österreichisch-Israelische Gesellschaft hatte via „Wiener Zeitung“ (einer österreichischen Tageszeitung, die zugleich Amtsblatt der Republik Österreich ist) gegen die Teilnahme Ilan Pappes protestiert. Dieser sei ein „schwieriger Mensch“ und das Symposium „ganz einseitig, das keine einzige israelische Stellungnahme zulässt“, hatte die Generalsekretärin der ÖIG beklagt. Die Leitung des Albert-Schweitzer-Hauses hoffte dem politischen Druck begegnen zu können, indem sie versuchte – höflich – zwei weitere Referenten in das Veranstaltungsprogramm hinein zu reklamieren und damit – als Vermieterin - unmittelbar Einfluss auf die Gestaltung des Programms zu nehmen. Weshalb die Wahl ausgerechnet auf die beiden vorgeschlagenen Personen fiel, bleibt offen.
Die bekannte palästinensische Aktivistin und Performance-Künstlerin Rafeef Ziadah beschreibt diese Vorgehensweise anhand zahlreicher Beispiele aus den USA treffend als „Polite Censorship“ oder auch „Zensur der Balance“: Die stets auftauchende, mehr oder weniger vehement eingeforderte Auflage, dass jede palästinensische bzw. israelkritische Stimme im öffentlichen Raum mit einer Gegenstimme ausbalanciert zu werden hat. Ganz neben bei bemerkt: natürlich niemals umgekehrt. Die vorliegende Publikation ist jedoch mehr als eine Nachlese der Vorträge und Ergebnisse des Symposiums „Remapping Palestine“. Sie ist zugleich auch die kritische Betrachtung zahlreicher Aspekte der historischen und aktuellen Prozesse der imperialen und neoliberalen Eroberung und Durchdringung der Länder des Südens, in dessen Brennpunkt Palästina liegt.
Der israelisch-palästinensische Konflikt bündelt dabei nahezu alle Konfliktlinien der globalen Weltordnung: Kolonialismus, Rassismus und Apartheid, Entwicklungshilfe und Aufstandsbekämpfung, Krieg, Besatzung und Flüchtlingspolitik, Völkerrechtsbruch und Annexion, Waffenindustrie und Sicherheitslobby, Privatisierung staatlicher und internationaler Verantwortlichkeiten und Neoliberalismus, Elendsverwaltung und Ghettoisierung. Seit weit mehr als 65 Jahren leisten Palästinenserinnen und Palästinenser Widerstand gegen Besatzung, Vertreibung und Marginalisierung, gegen die Leugnung ihres Existenzrechts und für ihr elementarstes Menschenrecht: Ein Leben in Würde und Freiheit. Millionen Menschen rund um den Globus solidarisieren sich allen Hindernissen und Diskreditierungsversuchen zum Trotz mit den Unterdrückten. Edward Said erklärt, weshalb: „Remember the solidarity shown to Palestine here and everywhere... and remember also that there is a cause to which many people have committed themselves, difficulties and terrible obstacles notwithstanding. Why? Because it is a just cause, a noble ideal, a moral quest for equality and human rights.“
Unsere Arbeitsmethode an Texten spiegelt dabei unsere Herangehensweise und Praxis wider, wie wir sie in den vergangenen Jahren als Verein, aber auch bei Symposien, Vorträgen oder Projekten entwickelt haben. Das Dar al Janub war und ist stets ein Ort und ein Forum von und für Menschen unterschiedlicher Herkunft und Zugänge, proletarisierte MigrantInnen, kritische StudentInnen mit und ohne Migrationserfahrung, mutige Wissenschafter-Innen und Intellektuelle, die Wissenschaft nicht als „Herrschaftsdienst“ verstehen, sowie Interessierte aus der Zivilgesellschaft, die sich engagieren wollen. Diese Unterschiedlichkeiten finden sich wieder in unserer unterschiedlichen Wortwahl und Anwendung von Sprache und Begrifflichkeiten. Wir verstehen uns nicht als Institution, die Wissen vermittelt, sondern vielmehr als offener Arbeitskreis, der in der Auseinandersetzung mit einer oft befremdlichen und erschreckenden Realität nach Erklärungen sucht. Oftmals diskutierten wir, welche zeitgemäßen Begriffe wir für diese Realitäten verwenden sollten, und doch bleiben gängige Begrifflichkeiten zumeist Teil der Herrschaftssprache. Dem Begriff „Nahostkonflikt“ beispielsweise haftet eine eurozentrische Blickrichtung auf den „nahen Osten“ – vom vermeintlichen Zentrum der Welt aus – an. Die Terminologie vom „israelischpalästinensischen Konflikt“ suggeriert hingegen eine scheinbare Symmetrie in einem tatsächlich asymmetrischen Konflikt. Der akademische Begriff der „Hegemonie“ – statt „Herrschaft“ – beschmückt die dahinterstehende nackte Gewalt. Und doch – keine noch so sensibilisierte Sprachwahl kann oder soll über unsere Position als Privilegierte, ausgestattet mit dem „richtigen“ Reisepass und einem Aufenthaltsrecht hinwegtäuschen. Keine noch so sehr Diskriminierungen vermeidende Wortwahl kann diese Exklusivität negieren. Es bleibt Kosmetik, wenn Sarotti oder Julius Meindl – zu Recht - aufgefordert werden, den „Mohren“ aus ihrem Logo zu entfernen oder gefordert wird, das „Zigeunerschnitzel“, den „Mohr im Hemd“ umzubenennen, zugleich aber in europäischen Großstädten das „racial profiling“ gängige Praxis der Polizei und schreckliche Realität aller in Europa lebenden People of Colour bleibt.
Die Arbeit an dieser Publikation ließ zugleich bei den VerfasserInnen die Erkenntnis reifen, dass noch enorme Lücken in unseren historischen Beschreibungen klaffen, Lücken bezüglich der Geschichte der Kapitalisierung und Kolonisierung des globalen Südens und insbesondere am Beispiel Palästinas. Bis heute werden die ungeheuren Verbrechen der kolonialen Geschichte Europas und insbesondere auch Österreichs ignoriert, kleingeredet oder verharmlost, historische Kolonialkrieger als Helden und Retter des Abendlandes geehrt. Beinahe nahtlos können damit koloniale Stereotype und Metaphern vom Osmanen oder Orientalen „zeitgemäß“ adaptiert werden und als antiislamischer Rassismus fortbestehen.
Es fehlt in dieser Veröffentlichung die detaillierte Darstellung der Geschichte Palästinas und seiner Kolonisierung vor der Nakba, vor 1948. Mit der beginnenden Integration der Nakba als scheinbar „einmaliges“, „punktuelles“ historisches Ereignis in den europäischen Diskurs, ja sogar innerhalb der zionistischen Geschichtsschreibung durch moderne zionistische Intellektuelle, wird der Gesamtkontext verschwiegen oder entstellt wiedergegeben. Die Nakba erscheint mit dieser Miteinbeziehung ins bisherige historische Narrativ als „bedauerlicher“, mehr oder weniger unvermeidlicher „Sündenfall“ Israels, ohne die Kontinuität des Landraubs, der Vertreibungen bis heute zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Zugleich fehlt uns in dieser Publikation die Aufarbeitung des – wie es Gabriele Dietze nennt - Metarassismus der Eliten, die auf der politischen Ebene den Schulterschluss mit der „undogmatischen Rechten“ vollziehen und im Staat Israel ein Modell erkennen, das vorexerziert, wie man mit unerwünschten oder „überflüssigen“ Bevölkerungsgruppen umgeht. Diese von uns benannten Lücken in diesem ersten Sammelband, aber auch unbenannte und unerkannte Lücken, nehmen wir uns für einen zweiten Teil vor. Dazu laden wir zugleich herzlich ein mitzumachen.
Dar al Janub
Dezember 2013
Wassermelonen-Treppe (Aqabat al-Batich)
Al-Quds / Jerusalem 1938
Marcus Scholz, Oliver Hashemizadeh
ASPEKTE DER GESCHICHTE VON NGOS2 WELTWEIT UND DAS PHÄNOMEN DER NGOISIERUNG POLITISCHER KONFLIKTE AM BEISPIEL DES NAHOSTKONFLIKTS
Auf der zweiten Weltmenschenrechtskonferenz in Wien 1993 - wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem von den USA erklärten „Ende der Geschichte“3 - waren neben den offiziellen Diplomat_innen mehr als hundert NGOs als Beobachter_innen aus den Ländern des Südens eingeladen, die der Konferenz zunächst den Charakter einer tatsächlich internationalen und zivilgesellschaftlichen Konferenz verliehen. Es schien, als hätten die Zivilgesellschaften der Länder des Südens endlich eine Stimme erhalten, es schien, als sei die Geschichte der Unterdrückung, Benachteiligung und Kolonialisierung der Bevölkerungen des Südens zu Ende.
Mitte der neunziger Jahre sagte der bundesdeutsche Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dass die NGOs das zweite Standbein deutscher Entwicklungszusammenarbeit wären. Grassroot-Organisationen und NGOs schienen sich als Vertreter_innen der weltweiten Zivilgesellschaft etabliert zu haben. Doch woher kamen sie und wie sind sie entstanden? Welches Image transportieren sie heute und wie hängt dies mit ihrer realen Funktion zusammen? Warum ändert sich trotz ihrer unzähligen Projekte und des Einsatzes von viel Geld und tausenden Helfer_innen kaum etwas an den realen sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen der Länder des Südens? Warum also kritisieren Globalisierungskritiker_innen und Aktivist_innen wie Arundhati Roy die Rolle der NGOs in den Ländern des Südens?
Nicht primär die Funktion von NGOs, jedoch deren Effektivität, das global herrschende Unrecht an Besitz, Ressourcen und deren Verteilung zu bekämpfen, bezweifelt Eduardo Galeano 2008 in dem Vorwort der - immer noch dramatisch aktuellen - Neuauflage seines 1970 verfassten Werkes „Die offenen Adern Lateinamerikas“, indem er schreibt: „Diese Jahrhunderte alte, triste Routine begann mit Gold und Silber und setzte sich fort mit Zucker, Tabak, Vogeldünger, Salpeter, Kupfer, Zink, Kautschuk, Kakao, Kaffee, Erdöl und den Bananen… Was blieb von den glänzenden Zeiten? Sie hinterließen uns weder Glanz noch Glorie. Gärten, die zu Wüsten wurden, brachliegende Felder, ausgehöhlte Berge, faules Wasser, lange Karawanen von Unglücklichen, die zu einem frühen Tod verurteilt sind, und leere Paläste voller Gespenster. Jetzt ist die Reihe am gentechnisch veränderten Soja, an den falschen Zellulosewäldern und dem neuen Speiseplan der Autos, die nicht mehr nur Erdöl oder Erdgas schlucken, sondern auch Mais und Zuckerrohr aus riesigen Anbauflächen. Autos zu nähren ist wichtiger als Menschen zu nähren. Und wieder leben wir in der flüchtigen Herrlichkeit, die uns mit Pauken und Trompeten lange Zeiten der Misere ankündigt.“
Die Rolle der NGOs in diesem nicht enden wollenden Prozess ist Schwerpunkt dieses Beitrages, ein Blick hinter die schöne Fassade von NGOs, die als gemeinnützige Organisationen oftmals die Zivilgesellschaft repräsentieren und als ihre Vertretung handeln.
Dieses „Ende der Geschichte“ läutete für den Neoliberalismus „das Ende der Beschränkungen“ ein. Die Möglichkeit der ungehinderten Eroberung der letzten Märkte und die Abschöpfung der Profite - ohne Rücksichtnahme auf die Menschen und deren sozialen Widerstand - schien die Vision der Sieger über den Sowjetkommunismus zu sein. Diese Euphorie wurde bald durch das Aufkommen anderer Mächte gebremst und der Widerstand der Menschen im globalen Süden wächst. Die Welt als Markt mit neuen politischen, sozialen und ökonomischen Realitäten zu überziehen, gelingt nur bedingt. Diese neoliberalen Realitäten erheben den Anspruch, jegliche Existenz (Wasser, Wälder, öffentlichen Raum in Städten, usw.) dem Markt zu zuführen. Die neoliberale Ideologie macht auch vor den menschlichen Beziehungen und ihren sozialen Strukturen nicht Halt, indem sie die Solidarität und die konkrete Hilfe der Menschen untereinander in ein Warenverhältnis umwandelt. NGOs kaufen Einfluss, indem sie Menschlichkeit und Hilfe verkaufen. Sogenanntes „empowerment“ oder „capacity building“ sind die pathetischen Begriffe einer „Entwicklungsindustrie“, die den Preis ihrer Leistung niemals nennt – doch alles hat seinen Preis4. NGOs werden in den politisch-sozialen Räumen aktiv, in denen staatliche Verantwortung den Platz für private Initiativen - d.h. nach Gewinn und Verlust und Kosten/ Nutzen-Rechnungen der Konzerne kalkulierende Sozialunternehmen - geräumt hat. So ist Trinkwasser dann etwa kein unverkäufliches Allgemeingut mehr, auf das jede_r ein Recht hat, sondern wird zu einem Produkt des Marktes. Die Anzahl der Menschen, die diesen Preis nicht zahlen können, steigt durch weitere Verarmung. NGOs kümmern sich dann um die Dinge, die eigentlich Menschenrecht sind – sie verteilen eine Ware, die vorher keine war. Ihre gesellschaftliche Funktion ist die eines Händlers. Dieser Kapitalisierungsprozess scheint die vollkommene Materialisierung und Säkularisation des menschlichen Lebens zu sein, frei von Moral und Wertvorstellungen.
Aktuell werden diese neuen Realitäten eines scheinbar unaufhaltsamen Neoliberalismus oft als erdrückend und allmächtig wahrgenommen. Auch die modernen Medien und Kommunikationsmittel sollen suggerieren, das es kein Entkommen gibt, keinen Ort zum Verstecken. Doch wo Menschen unter Druck geraten und in ihren Existenzen bedroht werden, entsteht neues kreatives und alternatives Potential, eine eigene Realität zu entwickeln.
Die sozialen Bewegungen des Südens und Teile der sogenannten neuen sozialen Bewegungen in den westlichen Metropolen waren in der Vergangenheit nicht nur Gruppen und Gruppierungen die grundlegende gesellschaftliche Widersprüche aufdeckten und durch ihre zumeist hoffnungslose Lage in den Ländern des Südens auch einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel einforderten. Sie waren auch durch ihren Rückhalt und ihre Verbundenheit mit den jeweiligen Bevölkerungen ihr anerkanntes Sprachrohr, das man nicht militärisch beseitigen konnte. Veränderungen in den Besitzverhältnissen haben Landlosenbewegungen entstehen lassen, antioligarchische Bewegungen haben die Konzentration des Kapitals angeprangert und rassistische Apartheidsysteme bekämpft.
Aus diesen Bewegungen rekrutieren NGOs ihre Mitarbeiter vor Ort. Diese Menschen geraten zwangsläufig, durch ihre ökonomische Abhängigkeit von ihren neuen Arbeitgebern und den ursprünglichen historisch-sozialen Wurzeln ihrer Bewegungen, zwischen die Fronten der Auseinandersetzung. Bald fungieren sie dann oftmals und indirekt als „Übersetzer“ und „Vermittler“ politischer Ziele der Geldgeberländer. Damit wird über eine lokale Elite zum einen ein Spalt in die Gesellschaft getrieben und zum anderen wird der angestrebte Wandel zu gerechten Systemen in geregelte Bahnen gelenkt. Das Aufbegehren wird institutionalisiert, kanalisiert und kontrolliert, die zugrundeliegenden Ursachen des Elends, der Not und des Unrechts bleiben unangetastet. Diese Prozesse sind zivile und nicht militärische Konzepte, die aber in stark militarisierten Räumen stattfinden. Militärisch werden diese Vorhaben vorbereitet, abgesichert und bei Bedarf gestoppt und durch repressive Maßnahmen ersetzt.
Als Dan Mitrione am 10. August 1970 tot auf dem Rücksitz eines Buick Cabrios in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo gefunden wurde, ahnten die USA bereits am anderen Ende der Welt, in Vietnam, dass der dortige von ihnen konventionell geführte Krieg militärisch nicht zu gewinnen war. Die USA spürten die moralische Niederlage zu dieser Zeit global, denn die neuen sozialen Bewegungen waren sich weltweit über die Unrechtmäßigkeit des US-Imperialismus in Vietnam einig. Sogar die wichtigste Front im Krieg, die in der Heimat, war verloren. Der Einsatz der Nationalgarde gegen Antikriegs-Proteste auf dem Campus der Universität von Berkeley legten die Bedrängnis der US-Außenpolitik offen.6 Mitrione kam für die CIA nach Uruguay. Offiziell war er aber Berater der United States Agency for International Development (USAID). Im Zuge seiner Entführung konnte die Guerillabewegung Tupamaros die Verwicklung der USAID in den Krieg gegen die soziale Aufstandsbewegung durch Mitriones Aussagen aufdecken und öffentlich machen.7
Eine der folgenreichsten Erkenntnisse, die US-Militärexperten aus den Kriegen der letzten Jahrzehnte gewonnen zu haben scheinen – eine Erkenntnis, die wohl bis heute gilt – ist, dass zur Absicherung US-hegemonialer Interessen konventionelle Interventionen zwar kurzfristig durch massive Gewaltanwendung zielführend sind. Langfristig jedoch sind sie durch militärische Gewalt alleine nicht gesichert; es sei denn man kombiniert militärische Gewalt mit politischen, sozialen und ökonomischen Maßnahmen. Gegen soziale Massenbewegungen, Grassroots-Kampagnen und Aufstände der Besitzlosen kann militärisch kein Sieg erlangt werden.
Das Besondere am Entführungsfall Mitrione war die Demaskierung eines (FBI-)Beamten in einem neokolonialen Krieg. Er war Spezialist für moderne Foltermethoden und hatte mit seinem Wissen uruguayische Beamte ausgebildet. Dies tat er als Teil einer staatlichen Entwicklungshilfeorganisation.8
Tatsächlich stieg zwischen 1978 und 1985 die Anzahl von internationalen NGOs stark an und verdoppelte sich fast.9 Doch schon vorher hatten Expert_innen der sog. Low Intensity Conflict Strategy (LICS) in den USA erkannt, dass der Widerspruch zwischen den zivilen und humanitären Institutionen der USA und ihrem Militär überbrückt werden müsse. Zivile Maßnahmen sollten Teil der politisch-militärischen Maßnahmen im Krieg um die eigenen Interessen werden. Deutlich drückte es der ehemalige US-Militärberater in El Salvador und US-Oberst John D. Waghelstein aus, der den totalen Krieg auf Graswurzelebene empfahl (Vgl. Johnson 1998:3)10.
Ein weiterer prominenter Experte der Kriegsführung „niederer Intensität war der 2011 verstorbene Colonel Sam Sarkesian. Seine persönlichen Kampferfahrungen aus dem Koreakrieg verarbeitete er als Spezialist für unkonventionelle Kriegsführung in den folgenden Jahrzehnten. Um die Moral des Gegners und seine Würde angreifen zu können, müssten alle Methoden, auch die schmutzigen, in Betracht gezogen werden können, denn am Ende zähle nur der Sieg. „Die nationalen Führer und die Öffentlichkeit müssen verstehen, dass Konflikte niederer Intensität sich nicht in demokratische Taktiken und Strategien einfügen.
Revolution und Konterrevolution entwickeln ihre eigene Ethik und Moral, die alle Mittel zur Erlangung des Erfolges rechtfertigen. Überleben ist die letztendliche Moral.“11 Diese Strategie der „Kriegsführung durch Konflikte niedriger Intensität“ wurde und wird auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt, wie sich an verschiedenen Beispielen zeigen lässt unter anderem und insbesondere im Nahost-Konflikt.
a) DIE POLITISCHE EBENE
Besatzungen, Angriffe und Invasionen durch die verschiedenen Bündnisse der hegemonialen Staatengemeinschaft haben im postkolonialen Zeitalter ein enormes Legitimationsproblem. Völkerrecht, Selbstverständnis demokratischer Staatsordnung und Staatenverbund sowie demokratische Öffentlichkeit stehen den traditionell imperialistischen Argumentationen wie aus den vorigen Jahrhunderten entgegen. Es reicht auch nicht mehr zu propagieren, es ginge darum, die „Freiheit“ zu bringen und einen zum Monster stilisierten Staatsmann vom Thron (wie z.B. Sadam Hussein) zu stoßen, wenn, wie beispielsweise im Irak-Krieg, hunderttausende Zivilist_innen dabei getötet werden. Neben diesen Legitimitätsproblemen ist der militärische Sieg aber tatsächlich, wie in den aktuellen Kriegen im Irak, Afghanistan, Pakistan, Palästina, Somalia, Jemen,… erkennbar, nicht zu erreichen, wenn nicht parallel der Aufbau einer inneren politischen Front erreicht wird. Die neue irakische Regierung oder das schwache Karzai-Regime sind nicht bloß Marionettenregierungen. Ihre zentrale Aufgabe und damit die ihnen verliehene Macht besteht darin, den bewaffneten Aufstand gegen die Besatzung wieder zu demilitarisieren und so viele Fraktionen des Widerstandes wie möglich in eine tragbare, mehr oder weniger zivile, politische Opposition umzuwandeln; mit anderen Worten, in institutionalisierte politische Verhandlungen zu führen. Diese Verhandlungen haben das Ziel, die Besatzung und deren Ziele im inneren der Aufstandsbewegung soweit zu verankern, dass die Besatzungsmacht und ihre Bündnispartner einen Waffenstillstand vorschlagen können. Dieser Waffenstillstand hat seinen Preis, den die USA im Irak gerne bereit waren zu zahlen. Mit den Worten General Petraeus ausgedrückt: „Die beste Waffe zur Aufstandsbekämpfung ist: Nicht schießen! Nun, das stimmt wenn man in Mosul ist, und der Gewaltpegel niedrig ist, dann hat man eine Situation in der man sagen kann, wie wir das früher schon getan haben: Geld ist die beste Munition!“ 12
Die engen Grenzen und die Gewalttätigkeit dieses politischen Prozesses offenbaren sich dadurch, dass die Bedingungen von den Besatzern diktiert werden und bei Verweigerung die militärische Option ebenso schnell wieder in den Vordergrund treten kann. Wer sich den politischen Kapitulationsbedingungen nicht fügt, wird in „begrenzten militärischen Operationen“ nach Ende des offiziellen Kriegs weiterhin mit allen Mitteln bekämpft.
Im Nahostkonflikt zeigte sich dieser Widerspruch offen, Parteien und Fraktionen, die den Osloer Plan akzeptierten, wurden und werden mit Entwicklungshilfegeldern versorgt und mit politischer und eingeschränkter polizeilicher Macht ausgestattet, wie beispielsweise die Fatah und Teile der linken Parteien, während die widerspenstigen islamischen Fraktionen durch massive militärische Operationen in die Knie gezwungen werden soll(t)en.
Auf der politischen Ebene der Kriegsführung „niederer Intensität“ spielen NGOs insofern eine Rolle, da sie zum einen mit den neuen Regimes zusammenarbeiten müssen und zum anderen in einem neuen, nicht militärischen Raum (sog. Green Zone) den Auftrag eines „Friedensprozesses“ „übersetzen“ müssen.
Arundhati Roy schrieb dazu: „In einem geringerem Ausmaß, aber dafür heimtückischer, spielt das Kapital, das den NGOs zur Verfügung steht, für eine alternative Politik letztendlich die gleiche Rolle wie das spekulative Kapital, das in arme Länder hinein- und herausfließt. Es beginnt die Agenda zu diktieren. Es ändert Konfrontation in Verhandlung. Es entpolitisiert den Widerstand. Es beeinträchtigt die lokalen Volksbewegungen, die vorher immer selbstständig waren. NGOs haben Geld mit dem sie Menschen anstellen, die sonst AktivistInnen in Widerstandsbewegungen sein könnten und durch die Arbeit in der NGO fühlen können, dass sie unmittelbar und gestaltend etwas Gutes tun können (und dabei noch ein Einkommen verdienen). Der wirkliche politische Widerstand bietet keine solch einfachen Lösungswege.“ 13
b) DIE ÖKONOMISCHE EBENE
„Wir müssen mit dem Einkommen unserer Bevölkerung auskommen. Wir müssen uns entwickeln, ausgehend von kleinen lokalen Industriebetrieben, nicht mit der Hilfe von riesigen Projekten der Geberländer. Wir müssen mit unserem eigenen Geld Fabriken für unsere Bürger bauen, anstatt unsere Arbeiter wegzuschicken, damit sie für andere Regierungen arbeiten. All das braucht Zeit“. (Mahmud az- Zahar)14.
Dieses Zitat eines führenden Mitgliedes der Hamas wäre aus dem Munde eines europäischen Politikers oder Politikerin ein akzeptiertes, sozialdemokratisches Konzept. Im Kontext der globalen Weltordnung und insbesondere im Zusammenhang des israelischpalästinensischen Konflikts gleicht diese Unabhängigkeitsforderung aber einer Kriegserklärung.
Der erste NGO-Boom Anfang bis Mitte der 1980er Jahre war sicherlich auch eine Folge der drastischen wirtschaftlichen Umbrüche in Lateinamerika. In vielen Ländern südlich des Rio Grande setzten Militärdiktaturen mit brutaler Härte die wirtschaftlichen Interessen des Westens über die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank um.
Die Länder öffneten ihre Märkte für Investoren aus den USA und Westeuropa. Lokale Märkte, vor allem im Agrarsektor, wurden durch die Überproduktionen aus dem Norden in die Knie gezwungen und nachhaltig zerstört. Die Militär-Juntas nahmen Kredite mit enormen Zinsverpflichtungen auf. Trotz der erheblichen ökonomischen Veränderungen in Lateinamerika (Schwellenland Brasilien als Musterbeispiel des IWF, Chile) ist diese Region immer noch der „Hinterhof“ der USA, was Rohstoffe, billige Arbeitskräfte und günstige Produktionsbedingungen betrifft.
Arundhati Roy datiert den NGO-Boom in Indien auf den Zeitraum der ausgehenden 1980er und beginnenden 1990er Jahre, also auf einen ähnlichen Zeitraum wie in Palästina.
Im Unterschied zu Palästina hat sich allerdings in Indien keine Besatzungsmacht aus ihrer Verantwortung zurückgezogen, sondern der Staat selbst. Die indische Regierung öffnete den geschützten indischen Markt einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Bis dahin gab der indische Staat große Summen für Programme zur Bekämpfung der Massenarmut – vor allem in den ländlichen Gebieten – aus. Mit der neoliberalen Öffnung des Marktes wurden die Programme zur Entwicklung von Landwirtschaft, Verkehr, Energie und Gesundheitsversorgung eingestellt und NGOs mit viel geringeren finanziellen Mitteln und ihrer Vielzahl von Eigeninteressen überantwortet. Sie sind nun die einzigen Institutionen, die sich der Verelendung stellen, paradoxerweise – oder aus Sicht der Multis logischerweise – mit Finanzmittel von Weltbank, UNO, Entwicklungsagenturen und multinationalen Konzernen, also jenen Agenturen, die die Öffnung der Märkte erwirkten und erzwangen.
In gewisser Weise läuft seit dem Osloer Abkommen ein ökonomischer Umwandlungsprozess im Zeitraffer ab. Was in den letzten 50 Jahren an Erfahrungen zur ökonomischen Durchdringung Lateinamerikas vor allem durch die USA, aber auch durch Europa vollzogen wurde, wird heute vielschichtiger und beschleunigter auf das besetzte Palästina angewandt. Wobei die in Lateinamerika vorherrschenden ökonomischen Interessen der USA und Europa in Palästina eine weit weniger wichtige Rolle spielen. Die Palästinenser_innen sind für die israelische Wirtschaft in den letzten 25 Jahren als Billigarbeitskräfte-Reservoir vollkommen nutzlos geworden.15 Ihre sozialen Bewegungen und Widerstandsorganisationen sind durch die übermächtige Besatzungsmacht geschwächt. Der Volksaufstand der Palästinenser_innen, die Intifada der späten 1980er Jahre, war langfristig nicht durch militärische Niederschlagung allein zu bekämpfen. Die Solidarisierung mit dem „Aufstand der Steine“ in den Ländern des Südens – aber zunehmend auch in Teilen der europäischen Öffentlichkeit – brachte allerdings die israelische Besatzungsmacht auch legitimatorisch in Bedrängnis.
„Gegenwärtig begleichen internationale Geldgeber den Großteil der Rechnungen für die Folgen der Besatzung, die nach der Genfer Konvention von Israel getragen werden sollte. (…) Wenn Israel, wie von seinem Premierminister angekündigt, den Siedlungsaufbau weiter fortsetzt und damit eine Übereinkunft über einen lebensfähigen palästinensischen Staat so gut wie unmöglich macht, soll dann die internationale Gemeinschaft die Achseln zucken und weitere Schecks ausstellen? Das Geld, das ich als EU-Kommissar über fünf Jahre hinweg im Namen der europäischen Wähler und Steuerzahler in Palästina ausgegeben habe, ist im blutgetränkten Sand versickert.“ (Chris Patten, ehemaliger EU-Kommissar für Auswärtige Beziehungen – Financial Times, Europe‘s road to a new Jerusalem by Chris Patten 14.12.2009)16
So klingen die hehren Worte hoher Vertreter_innen der EU, die nach Beendigung ihrer politischen Positionen eine vermeintlich kritische Haltung einnehmen, zugleich verschweigen, dass diese EU-Politik Teil einer strategischen Entscheidung ist, die den schwachen und repressiven israelischen Staat in seiner gegenwärtigen Form am Leben erhält und seinen Status Quo absichert.
Die wirtschaftliche Transformation in den Autonomiegebieten überwachte in den Jahren des Osloer Prozesses von 1995 bis 2001 der Vertreter des Internationalen Währungsfonds und bis 2013 Ministerpräsident Salam Fayyad.
Seit dieser Zeit schrumpft die Produktivität in der Landwirtschaft und in der Kleinindustrie. Diese Sektoren waren allerdings durch ihren Exportfaktor wichtige Teile zur Stabilisierung einer unabhängigen Ökonomie für die Schaffung eines Staates und zur Anbindung Palästinas an einen Weltmarkt. Die Schrumpfung der produktiven Sektoren in Palästina bedeutet daher die Abschnürung von internationalen Entwicklungen. Um die Bilanzen positiv erscheinen zu lassen und nicht zuletzt um einen neuen Aufstand zu verhindern, hat die internationale Geldgeberpolitik mit den Verantwortlichen vor Ort, in der PA (Palestinian Authority, die palästinensische Autonomiebehörde) mit Salam Fayyad, den Dienstleistungssektor enorm und künstlich aufgebläht. Dieser steigt seit 1994 stark an und scheint auf den ersten Blick die Verluste aus den produktiven Sektoren zu kompensieren. Genauer betrachtet, ist dieser Dienstleistungssektor genau jene „Development Industry“, also NGOs, die über westliche Gelder finanziert werden.17
Zur Stabilisierung der Situation wurde die Kreditvergabe an private Haushalte stark gefördert. Schätzungen gehen von einer Privatverschuldung unter der palästinensischen Bevölkerung von bis zu 2 Milliarden Dollar aus. Ein zweite umstrittene Stabilisierungsmaßnahme der PA (gefördert und gefordert durch westliche Geber), oder genauer, eine Maßnahme zur Eindämmung des palästinensischen Widerstands, ist die Schaffung von Arbeitsplätzen im sogenannten Entwicklungshilfesektor – mittlerweile „Development Industry“ genannt. Mit enormen Geldern der amerikanischen und europäischen Entwicklungsagenturen wurden jede Menge Jobs geschaffen, die eine neue urbane Mittelklasse herausbildeten.18 Ökonomische Konzepte der westlichen Entwicklungsagenturen verändern die soziale Klassenlage, die wiederum einen politischen Prozess der Kapitulation beinhalten könnte.
Im Jahr 2012 wurden Waren im Wert von etwa 4 Milliarden US-Dollar in die Westbank und nach Gaza importiert. Die Schieflage der palästinensischen Wirtschaft ist deutlich an der Gegenüberstellung der Exporte zu erkennen. Diese betragen tatsächlich nur etwa einen Wert von 750.000 Millionen US-Dollar.19 Der größte Teil an Importgütern in die besetzten Gebiete kommt aus Israel selbst. Dann folgen die Türkei und China. Aber auch skandinavische Länder wie Schweden und Finnland liefern Waren. Entgegen den Pariser Protokollen von 199420, die die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und der PA regeln sollten, entscheidet jedoch Israel, welche Waren in die besetzten Gebiete gelangen, wie lange sie an den Checkpoints angehalten oder gar überhaupt gesperrt werden.
Die Intention einen zukünftigen palästinensischen Staat und die Entwicklung dahingehend nachhaltig zu be- und verhindern, zeigt sich am deutlichsten an den Import- und Exportzahlen in den Gazastreifen. Während die „Militärkampagnen“ Israels die Importe in den Gazastreifen generell sinken ließen, die nach Beendigung der Angriffe aber wieder anstiegen, blieben die von Haus aus geringen Exporte aus dem Gazastreifen niedrig und sanken auf ein dramatisches Minimum.21
Salam Fayyads Rolle in der Westbank ist vergleichbar mit den Chicago Boys22 im Chile der Pinochet-Ära.23 Dank seiner Ausbildung als Wirtschaftswissenschafter in den USA und als ehemaliger Angestellter des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank kennt er die Mechanismen und Institutionen des Marktes. Der persönliche Vorteil der Chicago Boys wird ihm jedoch zwangsläufig verwehrt bleiben, ist doch die Bildung einer nationalen palästinensischen Ökonomie – selbst wenn sie eine Marktöffnung mit enorm schlechten Terms of Trade für die palästinensische Ökonomie bedeuten würde – ein antagonistischer Widerspruch zur israelischen Kolonialpolitik. Fayyad ist also nicht in der Lage eine politische und ökonomische Perspektive anzubieten, und selbst die dünne Mittelschicht, die von der Regierung der Fatah profitiert, wird angesichts der Perspektivlosigkeit zunehmend ungeduldig. Zur Sicherheit Israels, d.h. zur Eindämmung des palästinensischen Widerstands, stehen neben der israelischen Aufstandsbekämpfungsarmada zusätzlich die von der Bundesrepublik Deutschland und den USA ausgebildeten palästinensischen Spezialkräfte der Polizei bereit, um drohende Aufstände niederzuwerfen.
Israel hat seine Verantwortung über die (und damit auch Finanzierung der) besetzten Gebiete an die internationalen Institutionen wie IWF, Weltbank und die Entwicklungsagenturen ausgelagert (neoliberal ausgedrückt: „outgesourced“) und seine Tätigkeit auf die rein militärische Expansion (Landnahme für Siedlungen) und Repression (massive Gewalt gegen den palästinensischen Widerstand) beschränkt. Darüber hinaus hat der israelische Staat Sonderabkommen mit der EU, um seine Produkte besser dem Weltmarkt zuführen zu können. Das 1995 verabschiedete EU-Israel-Assoziationsabkommen (EUI-AA), welches 2005 in Kraft trat, behandelt den Staat Israel als normalen Handelspartner der Mittelmeeranrainerstaaten. Diese Gleichsetzung Israels ist tatsächlich aber eine politische und wirtschaftliche Bevorzugung gegenüber allen anderen Nicht-EU-Mittelmeerländern, denn Israel ist der einzige Staat in der Region, der fremdes Land besetzt hält, die dortige Bevölkerung unterdrückt und verdrängt, aus dieser Situation Extraprofite lukriert und somit am Weltmarkt und im Export einen besonders vorteilhafte Position genießt.24
Ein Beispiel für Güter aus besetzten Gebieten und deren bevorzugter Zugang zum europäischen Markt ist der Dattelanbau im Jordantal. Die palästinensische Firma Nakheel Palestine for Agriculture Investment baut rund um die Stadt Jericho Dattelpalmen an.25 Diese palästinensische Landwirtschaftsinitiative kann nicht mit den benachbarten israelischen Dattelproduzenten am Weltmarkt mithalten, denn die Datteln aus israelischer Produktion (d.h. auf geraubten und besetzten Boden angebauten Pflanzungen) werden vom israelischen Staat subventioniert, werden nicht durch Checkpoints an der Ausfuhr behindert, können durch neue Tiefbrunnen ausreichend bewässert werden und sind infrastrukturell ausgezeichnet erschlossen. Diese ernüchternde Realität des palästinensischen Entwicklungsprojekts Nakheel Palestine for Agriculture sagt alles über eine nationale Perspektive in Palästina aus, die über wirtschaftliche Entwicklung erfolgen soll, anstatt über die Rückgabe des Landes. Es wird an diesem und vielen anderen Beispielen deutlich, dass Entwicklung durch westliche Geldgeber weniger der palästinensischen Ökonomie helfen, denn vielmehr die israelischen Interessen absichern soll. „Im Grunde, ist die PA zuständig unter beschränkter Selbstbestimmung Dienstleistungen und Jobs für die Nicht-Flüchtlingsbevölkerung sowie Sicherheit für Israel zu gewährleisten.“ (Gerster/Baumgarten 2011) 26
Man könnte von zwei parallel existierenden Wirtschaftssystemen sprechen. Jedoch ist die Wirtschaft der palästinensischen Gebiete (wie die politischen Institutionen) fast ausschließlich auf externe Hilfsgelder angewiesen. NGOs in Palästina arbeiten hauptsächlich im Versorgungssektor oder an humanitären Projekten.
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