Inhaltsverzeichnis

1. Über dieses Buch

Erste Vorbemerkung

Der Bücher zur Judenfeindschaft / zum Antisemitismus gibt es viele.

Dieses soll die Komponenten (=Bestandteile) des Antisemitismus untersuchen, in etwa so, wie früher ein Chemiker einen neuen Stoff (nach seiner Isolation) durch qualitative Analyse seine Elemente (Radikale, etc) bestimmte. Sodann soll bestimmt werden, wie nötig und bestimmend diese Komponenten sind, in etwa so, wie ein Chemiker in quantitativer Analyse die mengenmässige Wichtigkeit der Elemente etc. untersuchte. So dürften wir bestimmt haben, was und wie Antisemitismus ist und erst dann werden wir uns fragen, warum Antisemitismus überhaupt vorhanden ist oder sogar sein muss (im Bilde des Chemikers wäre dies etwa eine physiologische Untersuchung des neuen Stoffes).

Zwei Werke, auf die ich mich des Öfteren beziehen werde, seien hier löblich erwähnt, nämlich Alex Bein: „Die Judenfrage“ (Deutsche Verlags-Anstalt, 2 Bände, Stuttgart, 1980) und die achtbändige deutsche Ausgabe von Léon Poliakovs „Geschichte des Antisemitismus“ (Verlag Georg Heintz, Frankfurt a. M., 1988).

Von den Printmedien zitiere ich häufig die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“), die wöchentlich erscheinende jüdische Zeitschrift „tacheles“ (die in Zürich erscheint) und die christlichjüdische Monatsschrift„Israel heute“ (aus Jerusalem).

Sämtliche Anmerkungen und Quellenangaben habe ich in den Text gelegt (meistens in Klammern), so dass das lästige Nachschlagen entfällt. Auch wird dadurch ein Verzeichnis der benützten Quellen und Literatur überflüssig.

Mein Ursprünglicher Ausgangspunkt ist Wissenschaftlichkeit, d.h. streben nach Methoden möglichst gesicherter Aussagen. In der Physik z.B. liefern Experimente einen mathematischen Beschrieb einer Aussage derart, dass durch die Wiederholbarkeit des Experimentes eine Kontrolle und damit Gesichertheit der Aussagen erreicht wird. Aber dies strebe ich auch in den Geisteswissenschaften an. Davon handelt die Abbildung 18.

Zweite Vorbemerkung

Heute liest man meistens ein Buch, besonders ein dickes, nicht mehr durch, sondern man durchblättert es nur noch auf der Suche nach dem, was einen gerade interessiert und das andere lässt man weg. Aber 1½ Jahrtausende Antisemitismus in Europa bergen als Folge die Gefahr in sich, dass man das Nicht-Passende gerne übersieht. Und gerade dies dürfte das Wesentliche sein. Ersteres Vorgehen ist verwandt mit einer virtuellen Begegnung. Erst das Buch ganz zu lesen ist eine reale Begegnung mit dem Thema. Verstärkt wird die Virtualität auch dadurch, dass „the medium is the message“ (Marshall Mc Luhan) und damit der Unterhaltungswert den Informationswert verdrängt.

„Wir laufen Gefahr, allmählich die Unterschiede zwischen einer realen und einer virtuellen Begegnung zu vergessen. (…) Kommunizieren wir digital, (so) vereinfachen wir unsere Fragen. Selbst bei wichtigsten Dingen senken wir das Niveau unserer Kommunikation (…) SMS, Facebook, (usw.) (…) die Macht kleiner Geräte (…) die so gross ist, dass sie nicht nur unsere Gewohnheiten verändern – sondern auch unsere Persönlichkeit.“

(Sherry Turkle, Professorin am MIT, Autorin von „Das zweite Ich“ und „Alone Together“; zitiert nach „Aufbau“, Dez. 2013)

Neben den unbewussten Verfälschungen kommen die absichtlichen z.B. mit folgendem Trick, den ich aus Thilo Sarrazin’s Buch „Der neue Tugend-Terror“ (Deutsche Verlagsanstalt, München, 2014) zitiere:

Medien und Politik beteiligen sich beide an dem Spiel, ungeliebte störende Tatsachen in blosse Meinungen und – umgekehrt – erwünschte Meinungen in angebliche Tatsachen umzuwandeln.

Eine weitere Gefahr der digitalen Entwicklung ist, dass Tablets und Smartphones mit Internet und Google usw. (die alle wunderbar sind) die gewöhnlichen Bücher verdrängen. Aber erst ein Buch zeigt uns das Ganze, ermöglicht uns eine Übersicht, eine Orientierung. Mit einem Lexikon in der Hand können wir die relative Wichtigkeit des Nachgeschlagenen erahnen.

Aufbau des Buches

WAS IST ANTISEMITISMUS?

Kapitel 1 bis 7

Herleitung der Antisemitismusdefinition: „Antisemitismus ist inkorrekte Negativierung von Juden“

 

WIE IST ANTISEMITISMUS?

Kapitel 8 bis 12

Nachweis der Inkorrektheiten bei antisemitischen Phänomen (Büchern, Ereignissen, etc.) verschiedener Zeiten an verschieden Orten

 

WARUM IST ANTISEMITISMUS?

Kapitel 13

Der Antisemitismus ist begründet durch die ethische Revolution der jüdisch-jesuanischen Ethik der Symmetrie in Auseinandersetzung zur bisherigen Naturethik

2. Zu einigen Begriffen

Insbesondere soll jetzt der Begriff„Antisemitismus“ etwas geklärt werden. Eigentlich logisch wäre es, wenn wir statt vom „Anti – Semitismus“ (anti = gegen) zuerst vom „Semitismus“ sprechen würden. Aber wenn wir z.B. im Duden (Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich) nachschlagen, so finden wir dort wohl „Antisemitismus“ (= Abneigung oder Feindschaft gegen Juden), aber nicht „Semitismus“. Auch im FremdwörterDuden von 1982 fehlt es und ebenso im 20 bändigen Brockhaus von 1970 (F.A.Brockhaus Wiesbaden). Aber im Brockhaus von 1898 werden wir fündig:

„Semitismus, Bezeichnung für das ausschliesslich vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum. Der Semitismus begreift daher nur die Judenschaft als Volksstamm aber nicht auch als Glaubensgenossenschaft, wie dies bei der Bezeichnung Judentum der Fall ist, während Mosaismus sich vorzugsweise auf die religiösen und religionspolitischen Verhältnisse bezieht.“

Gleich wie im alten Brockhaus steht im alten Meyer Konversationslexikon von 1897 (Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien):

„Semitismus = Bezeichnung für die Gesamtheit der Juden als Volksstamm, ohne Berücksichtigung der Religion.“

Judentum wäre dann die jüdische Religion oder der Judaismus oder der Mosaismus (die Begriffe sind in etwa gleich) und gegen die jüdische Religion zu sein wäre dann Antijudaismus.

Dieser war früher (z.B. im Mittelalter) sehr ausgeprägt vorhanden: man sagte z.B. die Juden seien ungläubig, und seien Gottesmörder usw. Aber in der Neuzeit verlor die Religion immer mehr an Wichtigkeit. Die Abneigung gegen die Juden aber blieb stark vorhanden. Sie musste anders begründet werden: wirtschaftlich oder völkisch-rassisch und dafür setzte sich der Begriff Antisemitismus durch, der gerade in der Neuzeit kreiert wurde. Denn in seinem Jugendwerk „Nouvelles considérations sur le caractère général des peuples sémitiques“ (1859) schrieb der Orientalist Ernest Renan (zitiert nach Alex Bein, a.a.O.):

„Hier, unter diesen grob sinnlichen, brennend lüsternen Menschen ohne alles Zartgefühl, die nie das Interesse von der Sittlichkeit abgesondert haben, diesen Arabern, diesen Juden…“

Nun aber wandten sich zwei jüdische Gelehrte, Steinschneider und Steinthal, besonders gegen das Herabmachen der Juden und nannten diese Haltung „Antisemitismus“. Seither bezieht sich dieser Begriff ausschliesslich auf Juden und nicht mehr auf Araber oder andere Völker der semitischen Sprachfamilie. Heute wird der Begriff „Semitismus“ nur noch sprachlich, nämlich für die Besonderheiten der semitischen Sprachen gebraucht.

Aber in einem späteren Essai („De la part des peuples sémitiques dans l’histoire de la civilisation“, Michel Lévy Frères, Libraires-Éditeurs, Paris, zweite Auflage, 1862) rühmt Renan die Juden, wirft aber den Muslimen Despotismus vor, der jeden Individualismus zermalme und dass die Idee des öffentlichen Wohles ihnen völlig mangle.

Wenn (neuzeitlich) populär von „Semiten“ gesprochen wurde oder (vor 1900) von „Palästinensern“, so waren damit die Juden gemeint. So schrieb z.B. Kant (in „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, 1798):

„Die unter uns lebenden Palästinenser sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil, auch was die grösste Menge betrifft, in dem nicht unbegründeten Ruf des Betruges gekommen. Es scheint zwar befremdlich, sich eine Nation von Betrügern zu denken…“

Aber auch der Begriff„Jude“ war so abfällig, dass die Juden, um dem zu entgehen, den Begriff „Israeliten“ brauchten und die Religionszugehörigkeit mit „israelitisch“ bezeichneten. Hingegen bezieht sich „israelisch“ auf den Staat Israel, dessen Bürger „Israeli“ heissen. Man unterscheide also zwischen „israelisch“ und „israelitisch“.

Doch nun wieder zum Begriff „Antisemitismus“. Populär wurde dieser Begriff durch die Gründung der Antisemitenliga 1879, einer politischen Vereinigung, die sich gegen die Gleichberechtigung der Juden in Deutschland wandte. Einer der Mitbegründer war Wilhelm Marr, der kurz zuvor ein Pamphlet veröffentlicht hatte („Der Sieg des Judentums über das Germanentum – Vom nicht confessionalen Standpunkt aus betrachtet“, Rudolph Costenoble, Bern, 1879), das innerhalb eines Jahres 12 Auflagen erreichte. Daraus ein Zitat:

„Es ist gleich anfangs nach der Zerstreuung der Juden im Abendlande eine bemerkenswerte kulturgeschichtliche Erscheinung gewesen, dass das Judentum sich in die Städte warf und der Arbeit des Landbaues und der Kolonisation sich noch abholder zeigte als in Palästina und noch früher in Aegypten. Nicht die Axt und der Pflug: die List und die Verschlagenheit des Schachergeistes waren die Waffen mit welchen die Juden das Abendland eroberten und namentlich aus Deutschland ein Neu-Palästina gemacht haben…“

Nun schreibt Alex Bein (a.a.O.):

„…die allmähliche Uebernahme des Begriffs Antisemitismus bis zur Anerkennung als offizieller Name für eine Bewegung, die schliesslich dann nur noch unter diesem Namen bekannt ist. Danach überträgt man oft den Namen auch auf Vorläufer oder ähnliche Bewegungen in früheren Zeiten – ein Vorgang, der meiner Ansicht nach als anachronistisch abzulehnen ist. Man sollte also nicht vom Antisemitismus im Altertum, im Mittelalter usw. sprechen, sondern vom Judenhass, judenfeindlichen Bewegungen usw., und den Begriff Antisemitismus nur für diejenige Bewegung gebrauchen, die sich selbst so nannte – mindestens aber nicht für Bewegungen, die vor Schaffung des Begriffes wirkten.“

Doch gerade hier will ich Alex Bein nicht folgen und den Begriff„Antisemitismus“ allgemein für Judenhass brauchen. Hannes Sulzenbacher schreibt (in „Die Juden von Hohenems“ aus dem Buche Heimat Diaspora, Jüdisches Museum Hohenems, 2008):

„Der Begriff Antisemitismus kam erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts als ein Synonym für Judenhass auf und verbreitete sich rasch, gab er dem uralten Hass doch einen scheinbaren objektiven Anstrich.“

Auch Léon Poliakov benützt den Begriff im allgemeineren Sinn. So schreibt er (a.a.O.):

„Da nun aber der Begriff Antisemitismus sich in allen westlichen Sprachen eingebürgert hat, bleibt auch mir nichts anderes übrig als mich seiner im Sinne eines alle Arten von Andijudaismus aller Zeiten bezeichnenden Ausdrucks zu bedienen.“

Aber die Juden in Europa, wenn sie unter sich waren, sprachen nicht von Antisemitismus, sondern von „Risches“ („Rosche“ war ein Antisemit). Dies vom Hebräischen „rascha“ = „frevelhaft, schuldig“. Der jiddische Begriff „Risches“ ist älter als der Begriff „Antisemitismus“.

Aber das Buch von Alex Bein trägt den Titel „Die Judenfrage“ und dies umfasst mehr als nur den Antisemitismus. Dazu gehört auch die Frage, wie das Judentum fast zwei Jahrtausende überleben konnte ohne eigenes Land. Populär wurde dieses Thema durch den Artikel von Bruno Bauer „die Judenfrage“ in den „Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst“, 1842. Alex Bein schreibt dazu:

„Keiner vor ihm hat die Judenfrage als Problem der Eingliederung der Juden in die christlichen Staaten Europas so scharf und umfassend zur Diskussion gestellt.“

Zwecks einer andern Formulierung der Judenfrage möchte ich Rudolf Kittel zitieren aus seinem Buche „Gestalten und Gedanken in Israel“ (Quelle&Meyer, Leipzig, 1925).

Dieser protestantische Theologe (1853 – 1929) wurde auch dadurch bekannt, dass er die hebräische Bibel mit allen Lesarten herausgab: BHK = biblia hebraica editione Kittel; in der Neuausgabe BHS = biblia hebraica Stuttgartensia sind auch die Lesarten durch die Qumranfunde berücksichtigt. Kittel schreibt:

„Seit mehr als zwei Jahrtausenden ist das Judentum Problem und Schicksal der Menschheit. Die Wahrheit bleibt bestehen, sei man dem Volke hold oder gram: die einen erkennen sie mit Stolz und Freude, die andern mit Schmerz – leugnen wird sie niemand.“

Sei es zum Guten, so fällt darunter der phänomenologische Gottesbeweis (siehe weiter unten), seis zum Schlechten, so fällt darunter der Antisemitismus. Obiger Gottesbeweis ist das Phänomen der Weiterexistenz des jüdischen Volkes, denn nach Karl Thieme („Judenfeindschaft“, Fischer Bücherei, Frankfurt, 1963), war es C. F. Graf von Reventlow, der auf die spöttische Frage Friedrich des Grosssen „Können Sie mir einen einzigen unwiderlegbaren Gottesbeweis nennen?“ antwortete: „Jawohl, Majestät, die Juden!“ (Alle „Gottesbeweise“ sind keine echten Beweise, sondern nur Gotteserweise = Gotteshinweise = Hinweise, dass die Existenz des einzigen Gottes möglich bis wahrscheinlich ist, also ohne Sicherheit, aber dies ist schon viel, ein Mehreres ist nicht möglich.)

Ich möchte Kittel noch weiter zitieren:

„David hat als Feldherr und Staatsmann von Gottesgnaden ein Reich gegründet, das für seine Zeit und Umgebung eine ausserordentliche Leistung und für alle Zeiten eine achtunggebietende Grösse darstellt. Aber was ist das gegenüber der Schöpfung Alexanders oder Napoleons? Was gegenüber den Weltreichen, die Israel am Nil und am Tigris und am Euphrat umgaben? Salomo hat sich einen Tempel und eine Residenz errichtet, die in Israel für lange ihresgleichen suchten. Er hat sie mit einer Pracht umgeben, die ihn zum Sprichwort für alle Zeiten werden liess. Aber was war seine Schöpfung verglichen mit den Tempeln von Theben und den Palästen von Ninive und Babylon? Was seine Künstler gegen Phidias und Praxisteies? Hat Israel der Welt nichts anderes zu bieten als was diese Grossen in ihm ihr als Grösstes gaben – wir hätten keinen Grund, neben jenen Grosstaten und Grossleistungen der Geschichte viel Aufhebens von Israel zu machen.

Rom hat ausserdem der Welt den Staat und das Recht geschenkt, Hellas hat sie am Born der Weisheit und der Kunst trinken gelehrt. Auch dem hat Israel nichts, was ihm gliche, gegenüber zu stellen. Aber es hat die Welt Höheres gelehrt: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“ Mehr als Staat und Recht, mehr als Kunst und Weltweisheit bedeutet es, den Geist in die ewigen Tiefen zu versenken, aus denen alles Leben quillt. Und mehr als die Schätze aller Weisheit gilt das eine Kleinod, das der Seele den Frieden auf Erden schafft und ihr, kommt ihr Stündlein, das Scheiden von dieser Erde leicht macht: die Zuversicht im Gedanken an die Gottheit. Israel ist das Volk der Religion. Es hat einen Gottesglauben in sich zutage gebracht und an die Welt weitergegeben, der für sich selbst eine Grosstat der Geschichte bedeutet, grösser als alles, was vor ihm war und was nach ihm kommen sollte auf irgendeinem der andern Gebiete des Lebens. Judentum, Christentum und Islam sind aus Israel hervorgegangen. Noch heute nähren wir uns geistig von dem, was es brachte. Auch wo etwa der Gottesglaube längst abgetan scheint oder wo man in kurzsichtiger Ablehnung alles scheinbar Fremden das Erbe Israels zu verleugnen sucht, auch da zehrt man von ihm, oft ohne es zu ahnen.“

Zum zuvor genannten phänomenologischen Gottesbeweis – wozu im obgenannten Buche „Judenfeindschaft“ Ernst von Schenck schreibt „… die Existenz des Judentums in seiner letzten transzendenten Begründung“ – steht Erstaunliches in der Bibel. So steht im 5. Buch Mose: „Und der Herr wird euch unter die Völker zerstreuen und nur eine geringe Zahl von euch übrig bleiben unter den Nationen.“ Berühmt ist was der Prophet Jesaja dazu sagt (ich führe es unter veränderter Reihenfolge derVerse an):

„Wer gab Jakob den Plünderern preis und Israel den Räubern? ists nicht der Herr, wider den wir gesündigt haben (…) auf dessen Gesetz sie nicht hörten?… Ihr werdet fliehen, bis ihr ein Rest seid (…) Doch ich will nicht ewig hadern und nicht ohne Ende zürnen (…) An jenem Tag aber werde der Rest Israels und die Entronnen vom Hause Jakobs (…) sich in Treue stützen auf den Herrn (…) Ein Rest wird umkehren (zu Gott; dies kommt doppelt vor) (…) Um meines Namens willen halte ich hin meinen Zorn, verschone ich dich (…) (und dieses Überleben Israels ist ein von Gott weissagtes Wunder. Wozu soll dies gut sein?) Du aber Israel, mein Knecht*, ich habe dich erwählt (…)Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob (…) ich helfe dir (…) dein Erlöser ist der Heilige Israels (…) Siehe, mein Knecht, wie sich viele über ihn entsetzen, so entstellt, nicht mehr menschlich war sein Aussehen, verachtet war er (…) So wird er viele in Erstaunen setzen (…) der Herr hat mich entsandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen, zu heilen die gebrochnen Herzens sind (…) Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, dass er die Wahrheit unter die Völker hinaustrage (…) Ich habe dich zum Bundesmittler für das Menschengeschlecht, zum Licht der Völker gemacht (unter der Vermittlung des Christentums), Gebundene herauszuführen aus dem Gefängnis und die in Finsternis sitzen aus dem Kerker (…) grosse und herrliche Lehre zu geben (und nun erst noch die Aktualisierung des Wunders: die Wiederentstehung des Staates Israel) (…) mit grossem Erbarmen werde ich dich sammeln (…) Ein Reis wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais und ein Schoss aus seiner Wurzel Frucht tragen (…) An jenem Tag wird der Herr die Hand erheben, den Rest seines Volkes loszukaufen, der übrig blieb, die Versprengten Israels wird er zusammenbringen und die Zerstreuten sammeln aus den vier Säumen der Erde (…) Denn der Herr wird sich Jakobs erbarmen und Israel noch einmal erwählen und sie in ihr Heimatland versetzen (…) Freuen soll sich die Wüste und das dürre Land.“

*(Daraus ist ersichtlich, dass der „Knecht Gottes“ nicht ein einzelner Mensch ist, sondern das Volk Israel als Ganzes.)

Und tatsächlich: als ich vor mehr als einem halben Jahrhundert Israel besuchte, war es in weiten Teilen noch öd und heute ist es in weiten Teilen grün. Noch etwas Merkwürdiges: Etliche der landwirtschaftlichen jüdischen Pioniere waren Linkssozialisten, sogar Atheisten und bei Jesaja steht (Jes 65.1):

„Ich liess mich finden von denen, die mich nicht suchten.“

Auch derWiederaufbau des Tempels ist erfolgt, wenn man damit das geistige Zentrum versteht. Früher waren die Tempel das geistige Zentrum, dann die Klöster und Kirchen und heute sind es die Universitäten und die hebräische Universität von Jerusalem ist weitherum berühmt. (Dies ist der zionistische Gottesbeweis; denn die Wiedererstehung eines Staates Israel ist ein von Gott vorausgesagtes Wunder. Der phänomenologische Gottesbeweis ist eine Voraussetzung dazu.)

3. In media res

Der freundliche Antiquar in Insbruckverschaffte mir eine Originalausgabe von Hitlers „Mein Kampf“, ferner einen Ahnenpass und anderes, als ich sagte, dass ich Jude sei und dies zu Studienzwecken benötige. Dann aber bot er mir zum Kaufe ein kleines Büchlein an. Es hiess: „Der Judenstein oder Geschichte des Martertodes des unschuldigen Kindes Andreas von Rinn“ (herausgegeben mitWagner’schen Schriften, Innsbruck).

Dazu die Abbildungen 1 und 2.

Es wurde 1845 gedruckt. Bei meinem Exemplar fehlen die Seiten 25/26 und der Schluss ab Seite 166. Zuerst dachte ich, dass dies doch zu veraltet sei. Wer glaubt heute noch an jüdischen Ritualmord? Aber dann kaufte ich das Buch dennoch. Ich ahnte nicht, dass Jahrzehnte spätervon muslimischen Fernsehanstalten gerade solches geschah: reisserisch und als lebensecht auch in Schulen vorgeführt wurde, um den Hass auf Juden und nicht nur auf Israeli aufzuheizen. Zur Orientierung zitiere ich hier aus dem Buche „Die schönsten Tirolersagen“ von Karl Paulin (Pinguin, Innsbruck, 1980):

„Anderle von Rinn

Im Dorfe Rinn lebte um die Mitte des 15. Jahrhunderts eine arme Taglöhnerswitwe, Maria Oxner, mit ihrem dreijährigen Knaben Andreas. Als die Mutter eines Tages, am 12. Juli 1462, auf die Ambraser Felder zum Kornschneiden ging, übergab sie ihr Kind seinem Taufpaten, dem Weisseibauern von Rinn Hannes Mayr, der ihr hoch und heilig versprach, das Anderle wie seinen Augapfel zu hüten. Der Göt aber liebte allzusehr das Geld und einen guten Tropfen, und so hatten Jüdische Kaufleute, die auf der Allbögener Hochstrasse von der Bozener Messe her des Weges kamen, leichtes Spiel, als sie den Weisseibauern beredeten, ihnen das kleine Anderle, das sie vor dem Hause spielend angetroffen hatten und das ihnen gar so gut gefalle, zu überlassen.

Die Bedenken des Bauern verscheuchten die fremden Männer mit dem Versprechen, dem Knaben eine gute Erziehung zu geben und ihn zum wohlhabenden Mann zu machen. Ganz wurde aber Hannes gewonnen, als ihm die Juden einen Hut voll blinkender Taler für das Kind und für ihn selbst zurückliessen. Die Männer aber schleppten das Anderle mit sich und verübten an ihm im nahen Birkenwalde ein schauerliches Verbrechen. Auf einem grossen Stein entkleideten sie das Kind, knebelten seinen Mund und schnitten ihm die Adern am ganzen Körper auf, so dass es in stummer Qual verbluten musste. Dann hingen die Unmenschen den entseelten Körper an einen Birkenbaum und suchten das Weite. Zur gleichen Stunde spürte die Mutter mitten in ihrer Arbeit auf den Ambraser Feldern einen warmen Blutstropfen auf der rechten Hand. Sie wischte ihn zuerst achtlos ab, da fiel ein zweiter und gleich darauf ein dritter Tropfen auf ihre Hand. Der Herzschlag der Mutter stockte, sie ahnte nun, dass ihrem Kinde Böses widerfahren sein müsse, und eilte heim, hinauf nach Rinn. Auf die bange Frage der Mutter, wo denn das Kind sei, erzählte der Göt ihr von den fremden Männern und wies der Frau den Hut voller Taler vor. Da wandelten sich zum Entsetzen des Hannes die Geldstücke in raschelndes, welkes Laub. Den verräterischen Göt aber befiel in der jähen Erkenntnis seiner unseligen Tat Wahnsinn.

Die unglückliche Mutter durchsuchte nun mit ihren Nachbarinnen die ganze Umgebung und fand bald zu ihrem Entsetzen den Leichnam des Kindes an der Birke hoch über den blutbefleckten Stein hängen. Das Knäblein wurde unter grosser Anteilnahme des Volkes zunächst auf dem Friedhof zu Rinn bestattet. Als dort viele Wunder geschahen und eine herrliche Lilie aus dem Unschuldsgrab hervorwuchs, erbauten die Rinner über dem Martergrab eine Kirche, in der die Gebeine des Anderle, bekleidet mit kostbaren Gewändern, in der einen Hand eine goldene Palme, in der anderen ein goldenes Messerlein, oberhalb des Altars zur allgemeinen Verehrung aufgestellt wurden. Die Mörder des Kindes sind nie gefunden und für ihre Untat bestraft worden, der leichtsinnige Göt musste in seinem Irrwahn jahrelang mit schweren Ketten in einem Stall gehalten werden, bis ihn der Tod von seinem Elend erlöste.

In den Ambraser Feldern steht heute noch eine Kapelle zum Gedenken an die drei Blutstropfen. Droben am Judenstein wird seit 1670 die stattliche Kirche des Anderle von Rinn viel besucht.“

Abb. 1: Der Judenstein, Titelblatt

Abb. 2: Der Judenstein, zentrale Stelle des Buches

Befremdlich im Text ist die Durchführung im Indikativ. Man hätte schreiben können: „Die Sage geht, die Juden hätten…“ Und tatsächlich, wenn wir den Text einer weiteren Sage aus diesem Buch lesen, müssen wir noch mehr staunen:

„Pilatus im Tirol.

Von dem römischen Landpfleger Pilatus, der Jesus den Juden zur Kreuzigung übergeben hatte, geht die Sage, dass er nach seinem Tod als Geist in die Alpen verbannt worden sei. Bekanntlich trägt ein Berg am Ufer des Vierwaldstättersees in der Schweiz den Namen Pilatus.

Auch im Tirol glaubt man, dass Pontius Pilatus in einem Bergsee gebannt wurde, vielleicht in den See am Sonnwendjoch oder in den Pillersee. Dort leidet Pilatus furchtbare Qualen, die ihren Höhepunkt jedes Jahr in der Karwoche erreichen. Daher hört man den Pillersee zu dieser Zeit oft brüllen wie einen wilden Stier.“

Allgemein dürfte doch bekannt sein, dass die Kreuzigung Jesu durch die Römer ausgeführt wurde. Die Juden haben diese Tötungsart nie ausgeführt, es ist also gerade umgekehrtvon dem was im Sagentext steht. Es ist dies gerade eine Verkehrung und Verkehrungen kommen im Antisemitismus häufigvor, weil sie bequem sind. Denn das Meiste braucht dabei nicht erfunden zu werden, hier die handelnden Personen und die Kreuzigung; lediglich die Schuld muss umgekehrt werden.

Dass man korrekt über den Judenstein berichten kann, zeigt der Band „Tirol“ der Dehio- Handbücher über die Kunstdenkmäler Österreichs (Anton Schroll, Wien, 1980), worin unter anderem steht:

„Ehemalige Wallfahrtskirche sei. Andreas von Rinn und unschuldiger Kinder, in landschaftlich reizvoller Umgebung. Kleine barocke Kirche, erbaut über dem sogenannten Judenstein, auf dem 1462 der kaum dreijährige Andreas Oxner einem Ritualmord zum Opfer gefallen sein soll…Die heutige Kirche aufjnitiative von Hippolytus Guarinoni zurückzuführen (von ihm die Legende erfunden?). Erbaut 1670…Wallfahrt seit 1965 aufgehoben…“

Tatsächlich finden sich in den Archiven aus damaliger Zeit keine Hinweise auf ein totes Kind oder verhaftete Juden. Auch wurde Andreas von Rinn von der katholischen Kirche nur selig gesprochen, im Unterschied zu Simon von Trient, der heilig gesprochen wurde und von dem sich in den Archiven Unterlagen befinden.

Wohlverstanden, die barocke Kirche ist über diesen Judenstein gebaut worden: auf ihm waren Puppen, die die Juden und Anderle darstellten und an der Decke waren entsprechende Gemälde vorhandan. Als ich in den 80er Jahren nach Rinn kam, war der Judenstein in der Kirche übermauert und die Deckengemälde übermalt worden. Stattdessen war ein eindrücklicher Text vorhanden, der zur Friedfertigkeit ermahnte. Aber man muss sich vorstellen, wie das z.B. auf Kinder wirkte, denn bis 1965 fanden dort noch Wallfahrten statt (mit vollständigen Ablass, falls die Wallfahrt am 12. Juli stattfand). In einem Buch von Christian Loge mit dem Titel „Gibt es jüdische Ritualmorde?“ (Moser, Graz, 1934; Loge bejaht dies; ich werde daraus zitieren) fand ich eine Abbildung eines der Deckengemälde der Wallfahrtskirche; ich bringe es als Abbildung 3.

Abb. 3: Deckengemälde aus Rinn, heute übermalt

4. Die Komponenten des Antisemitismus

Nun werde der Text des Buches über den Judenstein ausführlich betrachtet.

  1. Kapitel: Das glückliche Ehepaar. (Simon und Maria Oxner, beide arm aber glücklich.) Da steht: „…sie waren beide gerechtvor Gott und wandelten nach den Satzungen des Herrn…“ Bemerkung dazu: das hebräische Original hat für „Herr“ den Eigennamen des Judengottes, nämlich „Jahwe“ oder noch genauer das Tetragramm „J-h-w-h“,(weil im Hebräischen die Vokale nicht geschrieben werden, ist die Aussprache des Tetragramms unsicher, aber die Aussprache „Jehova“ ist falsch). Doch das obige Zitat zeigt eine positive Haltung zum Judentum, was zum nachfolgenden Antijudaismus im Widerspruch steht.
  2. Kapitel: Geburt des seligen Kindes. (Andreas wird 1459 geboren; Name nach dem Kirchenpatron von Rinn.)
  3. Kapite: Tod des Vaters.
  4. Kapitel: Die Mutterliebe, „…und welche Liebe ist grösser als die Mutterliebe…“
  5. Kapitel: Der Taufpate, (ist Johann Mayr und Besitzer des Hofes wo Oxners wohnen; er ist ein schrecklicher Säufer): „Denn mitjedem Zug aus der Flasche entzieht man sich gleichsam einem Teil der Vernunft, bis man sie ganz weggeschwemmt hat.“
  6. Kapitel: Die Hochstrasse. (= die Landstrasse zu den Bozener Märkten)
  7. Kapitel: Die Juden. (Zu dieser Überschrift: es handelt sich um einen Kollektivbegriff, es gilt also der Kollektivismus. Dies ist eine wichtige Antisemitismus-Komponente.)

    Hier müssen wir eine längere Einschaltung machen:

    Zum Kollektivismus ist Walther Rathenau zu zitieren und zwar aus seinem Buch „Zur Mechanik des Geistes“ (S. Fischer, Berlin, 1918):

    „Das Gesetz des kollektiven Phänomens. Es besagt: nichts ist hinzugetreten, aber es sind Hemmungen aufgehoben.“

    Ein Beispiel dazu beantwortet die Frage, wie Menschen der deutschen Einsatzgruppen 1941 Tausende von jüdischen Zivilisten ermorden konnten: sie sahen, wie die Genossen mordeten, so mordeten sie auch. Und es fehlte auch an Mut, sich dagegen zu wehren: Man wollte nicht sozial auffallen. So tat man, was die andern auch taten: soziales Beharrungsvermögen (so nach Hans Buchheim in Bernd Naumanns Buch „Auschwitz“, Fischer, Frankfurt, 1968). Im gleichen Buch andernorts gesteht ein SS-Mann: „Uns wurde das Denken abgenommen“ und so geschah eine Suspendierung des Unrechtsbewusstseins. Dies war ein Negatives vom Kollektiven. Nun ein Positives: das Bedürfnis der Zusammengehörigkeitvon Gleichartigem = Homogenitätsbedürfnis, verbunden mit der Ablehnung von Ungleichartigem (Heterogenem) ist eigentlich ein natürliches und schönes Gefühl.

    Dem Kollektiven entspricht im Individuellen, dass man aus unbewusstem Selbstschutz so zu sein bestrebt ist, wie die Gruppe der Umgebung ist (Assimilationsbedürfnis), wobei der Umgebungsdruck sich bis zum Gruppenzwang verstärken kann. Dessen Wirkung ist Verhaltenstransfer: man übernimmt die Einstellung der Andern. (Assimilation zur Gruppe ist Selbstschutz).

    Aber nun ist der Begriff, Jude“ historisch belastet mit allerlei Urteilen und Vorurteilen, wovon die Begründungen meist nicht mehr bekannt sind oder unbewusst sind. So bemerkte Bismarck 1847 auf dem Bundestagvon Frankfurt:

    „ (…) Ich gestehe ein, dass ich voller Vorurteile (gegenüber den Juden) stecke; ich habe sie, wie man sagt, mit der Muttermilch eingesogen und es will mir nicht gelingen, sie wegzudisputieren.“

    Dies ergibt die Antisemitismus-Komponente „historical fame“ (= geschichtlicher Ruf).

    Das 7. Kapitel fängt nach der Überschrift „Die Juden“ wie folgt an:

    „Unter den Kaufleuten, welche im Jahr 1462 auf ihrer Reise zum Bozner Frohnleichnam-Markte den Weg über die Hochstrasse einschlugen, befanden sich auch etliche Juden…“

    Aber wenn die Überschrift „die Juden“ lautet, was eigentlich „alle Juden“ bedeutet, so stimmt das mit „etliche Juden“ nicht überein. diese Tendenz, von einem Juden auf alle zu schliessen bildet die Antisemitismus-Komponente „Generalisierung“ (= Verallgemeinerung).

    Doch fahren wir mit dem Text des 7. Kapitels weiter:

    „Wie viel derselben es gewesen, woher sie gekommen und wie sie geheissen, ist niemals bekannt geworden. Daran ist auch sehr wohl geschehen, weil diese Unmenschen ihre Namen mit einer Untat befleckt haben, die ihn unwürdig macht, unter Menschen je mehr genannt zu werden. Doch fluchen wir diesen Elenden nicht, – vielmehr bemitleiden wir sie…“

    Bei diesem „Wir – Sie“ müssen wir einen Exkurs einschalten. „Wir-Sie“ sind erstens zwei Kollektive und zweitens sind sie irgendwie feindlich zu einander. Arthur Koestler schreibt (in „Auf fremden Plätzen“, Europa Verlag, Wien, 1984):

    „In den Truppenbetreuungskantinen… brachte man uns bei, auf dem uralten Klischee zu beharren, dass Menschen im Allgemeinen in „Sie“ und „Wir“ eingeteilt werden.“

    Und diese Zweiteilung ist uralt: es gab sie schon bevor es Juden gab. Dazu schreibt Freud (in „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“):

    „…dass im psychischen Leben des Individuums nicht nur selbsterlebte, sondern auch bei der Geburt mitgebrachte Inhalte wirksam sein mögen, Stücke von phylogenetischer Herkunft, eine archaische Erbschaft.“

    Phylogenese ist das Stammesgeschichtliche, zum Unterschied des Ontogenetischen, der Entwicklung des Individuellen (über Ontogenese und Antisemitismus siehe später). Instinkt und Trieb sind phylogenetisch- ontogenetisch bestimmt und Freud schreibt dazu (in „Abriss der Psychoanalyse“):

    „Nach langem Zögern und Schwanken haben wir uns entschlossen, nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Todestrieb“ (ich ziehe für letzteren die Bezeichnung Aggressionstrieb vor),

    (Zum Todestrieb ist noch eine Ergänzung angebracht: die islamischen Selbstmordterroristen. Bei ihnen erfolgt wegen Unzufriedenheit mit sich selbst eine Aggression nach innen, die aber durch die Lehre von Mullahs, dass das Töten von Ungläubigen den Eintritt ins Paradies bewirke, zumindest teilweise nach aussen umgestülpt wird.)

    Dieses „Wir“ (= in-group) und „Sie“ (= out-group) kann man nun verstärken, ähnlich wie man in der Chemie durch Disproportionierung grössere chemische Stabilität erhält, also so, dass wenn man den Zusammenhalt mittels Erostrieb verstärkt, dass dann automatisch der Aggressionstrieb auch verstärkt wird und umgekehrt. Dadurch, dass der Nationalsozialismus es verstand, den Hass auf die Juden zu verstärken – z.B. indem Streicher im „Stürmer“ die Ritualmorde als Realität hinstellte – konnte ein geradezu euphorischer Zusammenhalt unter den „Volksgenossen“ erreicht werden, der sich militärisch leicht missbrauchen liess, was viele „Ehemalige“ (nach dem Krieg) zum geradezu nostalgischen Urteil führte: „Es war eigentlich eine grosse Zeit“. So hat der Antisemitismus eine soziointegrative Funktion entwickelt. Diese phylogenetisch-ontogenetische Triebbereitschaft bewirkt die Antisemitismus-Komponente „Aversionalität“ (= Feindschaftlichkeit) sobald Fremdartiges stört: Xenophobie = Angstvor Fremdem oder Heterophbie = AngstvorAndersartigem. So werden bei gewissen Tierarten Albinos von den eigenen Eltern getötet. Beim Menschen wird der Hass auf andersartig Aussehende Rassismus genannt. Aber man kann das auch positiv auffassen: Homogenitätsbedürfnis: Freude an Gemeinsamkeit, die bewirkt Heimatliebe, aber die übertriebene Form ist Nationalismus und liegt dem „Völkischen“ zugrunde. Der Unterschied ist: bei Heimatliebe ist das Positive betont, bei Nationalismus ist das Negative betont, weil alles Fremdvölkische negativiert wird. Zum Positiven gehört, dass man bei gemeinsamen Heimatland sich selber wieder erkennt, zu sich selber steht, was als Identitätsrecht betrachtet werden muss. Das Identitätsrecht berechtigt gegen Masseneinwanderung zu sein, was folglich in Grenzen berechtigt und positiv ist.

    Weil die Trieblichkeit für alle Menschen gilt, ist die Antisemitismus-Komponente „Mehrheitlichkeit“ leicht möglich. Das Triebliche ist auch die Grundlage des Antisemitismus und daher ist auch derAntisemitismus etwas Natürliches, ja sogar manchmal das Normale. Dazu schreibt Ralph Giordano (in „Die zweite Schuld“, Rasch & Röhring, Hamburg, 1987): „Das Erschreckende beim Nationalsozialislmus war eben die Normalität seiner Anhänger.“ Ferner schreibt Viktor Klemperer in seinem Tagebuch (Aufbau-Verlag, Berlin): „Schrecklich immer die Selbstverständlichkeit (…) von den SS-Bestialitäten.“ Da die Juden zerstreut leben, bilden sie eine Minderheitlichkeit und die Nichtjuden eine Mehrheitlichkeit (wovon ein Teil Antisemiten sind). Als Minderheit haben die Juden die Tendenz Opfer zu sein und die Nichtjuden die Tendenz Täter zu werden.

    Betrachten wir nun die Fortsetzung des Textes dieses 7. Kapitels:

    „…und beten wir gleich dem göttlichen Heiland am Kreuze: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!“ weil ihnen das Licht des wahren Glaubens nicht leuchtet“

    Hier haben wir nun den Antijudaismus, den wir weiter oben angesagt haben. Denn hier wird ohne Beweisbarkeit behauptet, dass nur der christliche Glaube wahr ist und der jüdische nicht, wobei aber andernorts im selben Buch dem Alten Testament zugestimmt wird.

    Bezüglich dem Judentum hat das Christentum eine ambivalente Haltung. Einerseits wird das Judentum als Grundlage des Christentums anerkannt: so steht im Johannesevangelium 4.22 „das Heil kommtvon den Juden“, andererseits steht im gleichen Evangelium 8.44 „Ihr (Juden) stammtvom Teufel als eurem Vater ab“. Das ergibt eine negative Einstellung für viele Juden den Christen gegenüber, so dass diese gleichsam auch einen unsichtbaren Rucksack mit Vorurteilen tragen, eine Art „historical retro-fame“.

  8. Kapitel: Der misslungene Versuch.

    Die Juden sind in der Herberge in der Nähe des Oxnerschen Hofes und sehen von dort aus „das engelhaft schöne Kind und sofort erwacht in ihnen die Begierde, sich desselben zu ihrer teuflischen Absicht insgeheim zu bemächtigen…“ Bemerkungen dazu: Wiederum haben wir das „Teuflisch“, aber das Judentum kennt eigentlich keinen Teufel (der Versucher im Buch Hiob ist untypisch, Hiob ist ein Nichtjude) und keine ewig brennende Hölle (im Talmud kommt das Fegefeuer vor mit maximal einem Jahr Aufenthalt), Anschliessend kommt noch das Wort „geheim“ vor, das in diesem Text mehrfach vorkommt. Der Geheimnisvorwurf ist im Zusammenhang mit dem Judentum geradezu eine Antisemitismus-Komponente, denn das Judentum ist dadurch gekennzeichnet, dass seitAlters her der Analphabetismus gering ist und alles schriftlich vorliegt und also nichts geheim ist. Auch die Kabbala ist keine Geheimlehre, sondern die jüdische Mystik und der Sohar – das wichtigste Buch der Kabbala – war eines der ersten jüdischen Bücher, das gedruckt wurde.

  9. Kapitel:EinneuerAnschlag.

    Da steht: „(…) und kaum sahen sich die Juden mit ihm (dem Göt) allein, so rückten sie mit ihrem Geheimnis der Bosheit heraus (…)“ (Also wieder der Geheimnisvorwurf).

  10. Kapitel: Die Verführung
  11. Kapitel: Der Seelenhandel

    „Was das Zureden der Juden und die Kraft des Weines noch nicht ganz zu Stande gebracht hatte, das vollendete das Geld. Diese schändlichen Seelenverkäufer (…)“

    Da haben wir wieder eine Verkehrung: der Göt ist Seelenverkäufer, die Juden Seelenkäufer.

  12. Kapitel: Zurückkunft der Juden.
  13. Kapitel: DerAbschied.
  14. Kapitel: Die Übergabe.
  15. Kapitel: Das Ungewitter.

    „aber sie achten es nicht…und bleiben es auch gewöhnlich so lang, bis das Mass der Sünden erfüllt ist und die Zeit der Gnade für sie zu Ende ist.“

    (Ein starkes Ungewitter hätte den Verbrechern Gelegenheit zur Umkehr gegeben)

  16. Kapitel: Der Marterstein.

    „Fest entschlossen ihre Beute, die ihnen beinahe wieder entronnen wäre, nicht mehr aus ihren Händen zu lassen, eilten die verstockten Juden mit dem Kinde dem Birkenwalde zu, der sich unweit des Weisselhofes längs des Bergrücken hinzieht. Fast in der Mitte desselben kam ihnen ein grosser Stein zu Gesicht, der ihnen zu ihrem Vorhaben ganz wie gemacht schien. Sie beschlossen daher, sich desselben als Altar zu bedienen, um darauf ihr Opfer zu schlachten, das sie mit sich schleppten. Sogleich verwandelte sich ihre verstellte Freundlichkeit gegen das arme Kind in schäumende Wut. Wie heisshungrige Wölfe fallen sie alle zugleich über das wehrlose Lämmlein, reissen demselben die Kleider vom Leib, und legen es entblösst und gebunden auf den Marterstein hin. Vergebens bricht das arme Waislein in ein klägliches Angstgeschrei aus und rufet wehmütig die liebe Mutter zu Hilfe. Diese ist leider zu weit entfernt, um das bitterliche Weinen ihres Kindes zu hören und damit es auch niemand in der Nähe zu hören bekomme, schnüren die Unmenschen den Hals des Kindes so eng zusammen, dass es keinen vernehmlichen Laut mehr von sich geben kann. Nun umgeben sie es mit ihren Mordinstrumenten, schneiden ihn mit ihren Messern am ganzen Leib die Adern entzwei, verstümmeln es mutwillig an einzelnen Gliedern und quälen und martern es mit unmenschlicher Grausamkeit – langsam zu Tode. Nachdem sie so das letzte Tröpflein Blut ihm ausgepresst und damit die schon mitgebrachten Flaschen gefüllt hatten, nehmen sie den entseelten Leichnam des ermordeten Kindes und hängen ihn, weil kein Kreuz in Bereitschaft war, an den nächsten Birkenbaum auf, um so das Jüngerlein seinem gekreuzigten Meister auch nach dem Tode noch ähnlich zu machen…“

    Diese schreckliche Anklage der Juden bildet eine Negativierung der Juden und damit eine wichtige Antisemitismus-Komponente. Wenn sie berechtigt wäre, wäre der Antisemitismus etwas Gutes. Aber „die Adern entzwei“ bedeutet die Arterien geschnitten (die Venen sind mehr innen und verzweigt) und das hätte wie beim Schächten infolge Blutsverlustes sofortige Ohnmacht zur Folge und das „langsam zu Tode“ muss unrichtig sein. Diese Unrichtigkeit ist eine inhärente Unrichtigkeit, weil sich im Text selber widersprechend (Unrichtigkeit ist ebenfalls eine wichtige Antisemitismus-Komponente.). Aber auch exhärent (ausserhalb dieses Textes) können wir die Unrichtigkeit nachweisen: das alte Testament verbietet den Juden (und dies ist einzigartig und dies ist glaube ich bei keinem andern Volk so) jeglichen Blutgenuss und zwar nicht nur von Menschenblut, sondern auch von Tierblut. Es ist dies vielleicht sogar das im Alten Testament meistgenannte Verbot:

    (3.Mo 17.10) „ Eine ewige Satzung für all eure Geschlechter in all euren Wohnsitzen sei: alles Unschlitt und alles Blut sollt ihr nicht essen.“

    (Denn die Antisemiten werfen den Juden vor, Blut für die Mazzot = die Osterbrote zu verwenden.)

    (3.Mo 17.10) „Und jedermann aus dem Hause Israel oder von den Fremdlingen, die unter ihnen weilen, der irgend Blut isst, so werde ich meinen Zornblick richten auf diese Person, die das Blut gegessen und werde sie ausrotten aus der Mitte dieses Volkes.“

    (3.Mo 17.12) „Darum sage ich zu den Kindern Israel: keiner von euch esse Blut, auch der Fremdling der unter euch weilt esse kein Blut.“

    (3.Mo 7.26/27) „Und kein Blut sollt ihr essen (…) es sei von Vogel oder Vieh. Jeder der irgendwie Blutisset, derselbe soll ausgerottet werden aus seinen Volksstämmen.“

    (5.Mo 12,16) „Nur das Blut sollt ihr nicht essen, auf die Erde sollst du es ausgiessen wie Wasser.“

    Also nicht in Flaschen füllen, abgesehen davon, dass das Blut dort schnell gerinnen würde, wie die Christen es wissen müssten, denn diese essen Blutwürste, nicht die Juden. Um die Blutgerinnung zu vermeiden, müsste man das Blut längere Zeit in einem Kessel schlagen. So ist der Vorwurf an die Juden nicht nur unrichtig, sondern sogar unvernünftig, irrational. Ein Beispiel für die Antisemitismuskomponente Irrationalität bildet die Amplifikation (= Ausweitung), wovon in Bernard Lewis Buch „Semites and Antisemites“ (Deutsche Ausgabe: Frankfurt, 1987) steht:

    „…in allen antisemitischen Schriften vorkommende Behauptungen, dass nicht nur alle Juden böse sind, sondern dass alles Böse jüdisch ist“

    Dazu zitiere ich kurz als ein Beispiel dazu aus Ayaan Hirsi Alis Autobiographie (später mehr darüber):

    „In Saudi-Arabien waren an allen Übeln die Juden schuld. Wenn die Klimaanlage plötzlich den Geist aufgab oder kein Wasser mehr aus dem Hahn kam, behaupteten die saudischen Frauen nebenan, das sei das Werk der Juden.“

    Aber auch ein unberechtigter Vorwurf bewirkt für die Juden Aversionalität (= Abneigung), leider eine wichtige Antisemitismus-Komponente, die bis zum Mord führen kann.

    Dabei gilt die wichtige Aussage von Jean-Paul Sartre (in „Réflexions sur la question juive“, Erstdruck 1945):

    „Der Antisemitismus ist kein jüdisches Problem, er ist unser Problem (…).“

    Und nur zu oft gilt Schillers Wort (Aus Wilhelm Teil):

    „Es kann der frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

    (Ein Beispiel liefert die Hamas in Gaza.)

    In Folge von Aversionalität entstehen oft Schuldgefühle („Das schlechte Gewissen“) oder sollten entstehen, aber sie scheinen oft zu fehlen. In Wahrheit aber äussern sie sich vom Unbewussten her in irgendwelchen Inkongruenzen oder Ungereimtheiten (Beispiele in späteren Kapiteln).

  17. Kapitel: Die drei Blutstropfen.

    (Durch diese lebendige Schilderung wird die Empörung gegen die Juden noch gesteigert.)

  18. Kapitel: Das ängstliche Suchen.
  19. Kapitel: Der Sündenlohn.

    (Das Geld im Hut verwandelt sich in Laub.)

  20. Kapitel: Das schmerzliche Wiederfinden.
  21. Kapitel: Das Begräbnis.
  22. Kapitel: Die Erhebung.

    (Darin wird das Beispiel der Ritualmordanklage von 1475 von Simon von Trient erwähnt und) „die Bauern von Rinn dachten nun im Ernst daran, ihrem seligen Marterkinde dieselbe Ehre zu erweisen“ (und damit Verdienst aus der Wallfahrt zu erlangen).

In weiteren Kapiteln wird vom Kirchenbau und anschliessend darüber berichtet, wie beim Gebet auf Fürbitte des seligen Kindlein von Rinn, verschiedene wundersame Heilungen geschahen. Einige Beispiele dazu:

„Martin Jabinger, Messner am Judenstein, bezeugte von sich selbst, in seiner Kindheit von der Blatternseuche so übel zugerichtet worden zu sein, dass er an beiden Augen erblindete. Von seiner Mutter ermahnt, auf die Fürbitte des seligen Kindes von Rinn ein kindliches Vertrauen zu setzen, sei, als er von einem sanften Schlummer erwachte, das beinahe erloschene Augenlicht vollkommen wieder hergestellt gewesen.“

„Barthlmä Steinberger von Ebenwald hatte einen fünfjährigen Sohn, der noch kein Wort zu reden vermochte. Er führte ihn zum Judenstein und von dieser Zeit an redete der Knabe ohne Anstand.“

„Fast etwas Aehnliches ereignete sich mit dem sprachlosen achtjährigen Söhnlein des Jakob Mayr von Hall. Kaum sah der Knabe die Abbildungen der Juden auf dem Marterstein, rief er: Vater! Schau dort, der Jud mit dem Messer!“

Zur Aversionalität ist noch nachzutragen, dass sie meist weitergegeben wird und dies meistens ohne Worte, unbewusst durch Verhaltenstransfer geschieht. (Die Begründung geschieht bewusst und wird bewusst weitergegeben, wohingegen das Verhalten unbewusst weitergegeben werden kann. Da das Unbewusste viel weiter ist als das Bewusste, ist der Verhaltenstransfer viel häufiger und wirksamer als der Begründungstransfer.) Die Juden beantworten die Aversionalität mit Gegenaversionalität, z.B. mit Solidarität untereinander oder mit Verachtung der „Gojim“ (= Völker der Nichtjuden).

Nun zur Ontogenese als Antisemitismus-Komponente, denn wie sich die phylogenetische Trieblichkeit auswirkt, hängt nicht zuletzt von der Ontogenese ab. Die persönliche Unzufriedenheit macht, dass man eher z.B. beim Rassismus die eigene Minderwertigkeit unbewusst verschiebt, wobei seltsamerweise die eigene Rasse immer die vorzügliche ist. Insbesondere wenn die Juden als minderwertige Gegenrasse erklärt wird, so wird irrational dazu den doch Minderwertigen grosse Macht und Fähigkeiten zugesprochen.

Bei Verarmung und sozialer Deklassierung, aber noch viel mehr bei ursprünglicher Armut, besonders auf dem Land (deutlich in unterentwickelten Gebieten) äussert sich die langandauernde Unzufriedenheit zunehmend in Wut, die sich bei günstigen Gelegenheiten (Abwesenheit von Strafverfolgung bei Revolutionen und im Krieg) in pöbelhaften antisemitischen Aktionen ausdrückt, in ethnisch-völkisch bedingten Mordorgien.

Im Buch von Jakob Honigsman „Juden in der Westukraine“ (Hartung-Gorre Verlag, Konstanz, 2001) steht:

In Polen und der Westukraine der Vorkriegszeit (wie überall sonst) erwies sich der Pöbel als Nährboden und Träger des Antisemitismus. Der Pöbel hatte seinem Wesen nach weder eine Klassen- noch eine nationale Zugehörigkeit*, obwohl er aus Vertretern unterschiedlicher sozialer Gruppen bestand. Konturen nahm er erst in der Masse an, indem er eine allgemeine, von klaren Orientierungen freie Unzufriedenheit ausdrückte. Der Pöbel kann nicht vernünftig reagieren, denn er verfällt primitiven Einflüssen, ist für jede Demagogie offen und dient nur als Werkzeug für Verbrechen, die in fremdem Namen begangen werden. „Der Pöbel kann einfach und konkret gelenkt werden, denn er verlangt nach keinen Überlegungen, ist bar jeder Moral. Gerade deshalb hat der Antisemitismus einen unschätzbaren Wert für alle reaktionären Bewegungen“, so Kolakowski, „besonders in Zeiten sozialer Zusammenstösse.“

(Letzteres Zitat ist vom polnischen Philosophen Leszek Kolakowski in „Novoe vremja“, 1990.)

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