Liebe Freunde, ein Zyklus in meinem Leben geht zu Ende, ich habe meine Anmeldung zur Altersrente abgeschickt, und ab Mai des Jahres 2015 gehöre ich zu den Pensionierten.
Etwas hat sich überraschend erneuert in diesem Jahr 2014, und so ist viel Lust und Freude wieder aufgewacht, dieses Buch hier zu schreiben, ein Dankeslied an das, was unser Leben reich macht, Freundschaft, die über unsere Positionen im Leben hinausreicht, die verbinden kann, was sich im Verlaufe der Jahre getrennt hat.
Und so bin ich diesem feinen, goldenen Faden gefolgt, der sich im Verlaufe meines Lebens immer wieder gezeigt hat, und entlang dieses goldenen Fadens haben sich die Geschichten dieses Buches hier aufgereiht.
Oft ist es so, dass uns ein Schock wieder an diesen goldenen Faden erinnert, Anfang dieses Jahres war es der unverhoffte Tod eines Menschen, der mir und vielen so viel Reichtum gebracht hatte, Paco de Lucía, ein wunderbarer Flamencogitarrist. Das Leid, das sich befreite während diesen ersten Tagen des Jahres 2014, hat einen ganzen Blumenstrauss an Erinnerungen hervorgebracht, welch verschiedene wunderbare Formen der Freundschaft es gibt; und so versucht dieses Buch, Euch einen weiten Bogen zu spannen, über die Jahrhunderte hinweg, in so unterschiedliche kulturelle Zusammenhänge hinein.
Das Ziel ist ein einfaches: Es soll uns alle, und mich ebenso, daran erinnern, dass Leben in jeder Kultur, in jedem sozialen Zusammenhang, in jedem Land, immer diese gleichen Voraussetzungen braucht, dass die Menschen sich in ihnen entfalten können, das Leben aller reich wird, reich an Werten, die Freude, Zuversicht, Verständnis, warmherziges und weitherziges Leben hervorbringen.
Keine einfache Arbeit, heute so wenig wie in anderen Epochen. Wenn wir die Nachrichten verfolgen, scheinen wir mitten in einem grossen Prozess zu stehen, der von uns neue Formen verlangt, unser Menschsein zu festigen, Positionen zu überprüfen, eigene ebenso wie gemeinsame, nicht nur an unserer eigenen Sichtweise, sondern viel mehr daran, was sie für andere bedeuten, welche Folgen für all jene sichtbar werden, die heimatlos sind, fünfzig Millionen Menschen auf der Welt sind auf der Flucht, hat die UNO errechnet.
Woher wollen sie ihre auch nur kleinste Sicherheit erhalten, - wir alle wissen, was es braucht, dass wir uns sicher fühlen können - schlafen zu können, essen zu können, nicht überfallen zu werden, nicht bedroht, beschränkt, in Abhängigkeiten gezwungen, angefeindet zu werden? Freundschaft wird viele Formen annehmen müssen, neue Formen, dass wir an unserem Menschsein wachsen können. Auch wenn der Hintergrund ein sehr ernster ist, erzählen die Geschichten hier einen Strauss von Beispielen, wie sich Freundschaft im Leben zeigt:
Jene von Paco de Lucía, wie seine Freundschaft mit der Gitarre und der Flamencomusik Reichtum geschaffen hat, für uns alle - jene eines Scherenschleifers, der mit dem Generalabonnement in der Schweiz unterwegs ist - jene von zwei jungen Burschen mit einem Glas Whisky in ihrer Hand - jene von Harûn er-Rashîd in Bagdad, warum er den beiden wichtigsten Hofmusikern nicht die Möglichkeit gab, auf einen Buzzer zu hauen - jene eines jungen Gitarrenbauers und seinem Vater, dem Zimmermann in Sevilla - jene einer Freundschaft, die noch nicht geboren ist, und schliesslich jene, die dem Buch den Namen gegeben hat - Dost Chelo - eine unverbrüchliche Freundschaft zwischen einem Musiker mit einer Lebensaufgabe und seinem Cousin.
Viel Freude beim Lesen, herzlichen Dank für Eure Freundschaft!
Zürich, Oktober 2014
Puran
Amigos, Paco se fue, y yo me quedo llorando…
Es ist nicht einfach, Worte zu finden, meine Kehle ist zu, verknotet, und wenn ich etwas sagen wollte, käme zuerst ein Schwall von Trauer und Tränen. Doch eigentlich ist es ja nicht wirklich ein trauriger Grund, der dies verursacht, es ist mehr das Erkennen einer Dimension, die meine Ordnung in den Gedankenschubladen aufrüttelt. Er war einfach so selbstverständlich ein Leuchtturm in meinem Leben, der da war, völlig frei davon, je befragt werden zu müssen: 'Bist Du wirklich Leuchtturm?' Jedes Mal, wenn ich etwas hörte von ihm, beflügelte er einfach, verkörperte mein Verständnis von 'Zuhause in der Welt', und das ist nun nicht mehr, so…
Paco de Lucía, geboren 1947 in Algeciras, spielte am Mittwoch, dem 26. Februar 2014, am Nachmittag mit seinen Enkelkindern am Strand von Cancún in Mexiko. Er fühlte sich nicht so wohl und ging zurück zum Haus, sagte zu seiner Frau: 'Es fühlt sich so kalt an, rufe doch bitte einen Arzt.' Und eine halbe Stunde später war seine Seele schon aufgebrochen, dahin, woher sie gekommen war.
Und am Abend des darauf folgenden Tages hatte die Nachricht schon die ganze Welt umrundet, in allen Tagesschau-Berichten wurde sie verbreitet: 'Paco de Lucía, Erneuerer der Flamenco-Musik, ist an einem Herzinfarkt gestorben, er wurde sechsundsechzig Jahre alt'.
Das ist die äussere Nachricht, sie beschreibt, wie wir ihn gekannt haben, seine gebündelte Vitalität, meisterhaft in sprudelnde Kreativität umgesetzt, keiner hat alte, traditionelle Formen auf so bewegende, farbige Weise mit neuem Leben gefüllt wie er.
Das letzte Mal, als ich so fühlte, ist schon lange her; es war, als Max Frisch starb, im Jahre 1991. 'Wer wird nun sagen, was gesagt werden muss, wenn er nun nicht mehr da ist?' Ich hätte keinen gefunden, ich fühlte mich als Waise, der nun selber an seinem Mut, an seiner Ausdruckskraft, an seiner Präzision wirklich arbeiten müsste, ohne sich darauf verlassen zu können, 'dass ja Max Frisch schon sagt….'
Doch nun bei Paco ist es völlig anders; mit der Nachricht heute kommt nur eine enorme Welle der Bewunderung und Freude, was er alles geschaffen hat, mir fehlen ja nur drei Jahre bis zu meinem eigenen 66. Geburtstag. Eine ozeanweite Freude, wie er, einfacher, scheuer Mensch, dem, was sein Element war, Form gab, Ausdruck schuf, so dass ich das Gefühl bekomme, ich bräuchte sicher noch drei weitere Leben vor mir, um das ausdrücken zu können, was ich noch in Musik fassen wollte, wenn ich mich an Paco erinnere.
Das erste Mal sah und hörte ich ihn vor etwa vierzig Jahren (schon so lange her). Er gab ein Konzert in der ETH-Aula in Zürich, nur mit seinen Brüdern Ramón und Pepe. Und ich sass etwa fünf Meter vor ihm, auf dem Boden; ich weiss nicht ob mit offenem Mund, während zwei Stunden, aber so fühlte es sich an. Seine Hände sprühten, zauberten aus seiner Gitarre eine Intensität an Leben, dass ich einfach wusste: das ist auch mein Leben, diese enorme subtile Präzision. So viel motorisches Wissen und Lernen gehört dazu, um die Gitarre zu deinem Ausdrucksmittel zu machen, was du an Tiefe in Gedanken und Gefühlen mitteilen möchtest. Das Schönste, was wir auf Erden erleben und erarbeiten können, auch heute noch empfinde ich so. 'Dieser Mann nutzt in seinem Leben, was ihm mitgegeben wurde, er versteht, was Verantwortung bedeutet gegenüber dem, was wir an Talent erhalten, und das Resultat ist ein Jubel des Menschseins!'
Die schönste Form zu leben, in dieser Verantwortung, was immer sie mit sich bringen wird, ein Zuhause, auf das wir uns verlassen können!
Su trayectoria - die Bahn seines Lebens: (ein schönes Wort, la trayectoria, es vermittelt das Gefühl eines Bogens, einer Flugbahn, das, was die Taube bewegt, über eine grosse Distanz sicher zu ihrem Schlag zurückzufinden). Der kleine Francisco Sánchez wurde in eine Gitarristenfamilie geboren, die Mutter war Portugiesin, Lucía la Portuguesa, wie sie im Quartier genannt wurde. Seine Geburtsstadt Algeciras liegt entre dos aguas, zwischen zwei Meeren, Al-Djazira al-Hadra ist ihr alter maurischer Name; wenn du in dieser Stadt wohnst und von der Anhöhe über die Bucht hinaus aufs Meer blickst, dann schaust du nach Afrika, die Küste Marokkos ist in Sichtweite, wenn der Levante bläst und die Sicht klar ist. Rechterhand blickst du auf den Atlantik, und linkerhand beginnt das Mittelmeer, el mediterráneo; steife Brisen und gebieterische Wellenfronten aus dem Atlantik, wärmende und sanfte Winde von deiner linken Seite her.
Drei der fünf Kinder der Familie waren flamencos in ihrem Quartier Fuentenueva, Ramón und Pepe, die beiden älteren, Paco der jüngste. Sie erlebten oft, wie ihr Vater, Gitarrist und Begleiter von Tänzern und Sängern, an eine juerga eingeladen wurde; wenn ein Señorito seine Umgebung, seine Freundin oder ihre Eltern beeindrucken wollte, so kaufte er sich ein paar Künstler, er hatte das Geld und sie die Kunst, von der er sich erhoffte, dass seine novia sich geneigt zeigen würde, später am Abend. Pacos Vater konnte sich nicht erlauben, Angebote auszuschlagen, ein Leben von 'der Reichen Gnaden'.
Der junge Paco war wach, nahm wahr, erkannte Zusammenhänge, und schämte sich wohl oft, für seinen Vater, für die Umstände. Und er orientierte sich an dem, was sein Vater bewunderte, sie waren mit Niño Ricardo befreundet; dieser war damals schon über sechzig Jahre alt und Leuchtturm unter den Flamencos jener Zeit. Er wohnte in Sevilla und lehrte die drei Jungen das Gitarrespielen, das heisst, er gab ihnen die ersten Impulse, zeigte ihnen, wie man aus Tonleitern Spielfelder machen konnte, Schnörkel ziehen, Tempoläufe zu zweit, zu dritt, und liess sie dann spielen - Treibhausbedingungen, fruchtbare Erde und drei eifrige Kleine, die es als sportliche Herausforderung und Freude betrachteten, ihre Finger und Hände zu all den Bewegungen zu führen, die Leben versprachen, wie man es sich nur wünschen kann.
Und im Jüngsten wurde etwas sichtbar, man könnte es mit einem Diamanten vergleichen; was immer da hervor zu scheinen begann, das wollte dieser Kleine selber schleifen, polieren, putzen, betrachten, auf Unreinheiten untersuchen, verbessern, ausbessern… Etwas bewegte ihn voran, eines der Motive war wohl, diese Scham des Ausgebeutetwerdens hinter sich lassen zu können, die Scham, etwas zu lieben, das nicht viel Geld einbrachte und viel mehr zu fordern schien als je zurückkommen würde.
Mit elf Jahren hatte dieser Junge schon alles verschlungen und gelernt, was Manuel Sanchez Serrapí, eben Niño Ricardo, in seinem ganzen langen Leben erarbeitet hatte. Niño Ricardo hob die Gitarre aus ihrem vorherigen Status heraus; zuvor war sie Begleitinstrument für Sänger und Tänzer, eine Einleitung, die Akkorde als Stütze für die Tonhöhe des Sängers ('ponla en el tres, por medio' waren die Anweisungen des Sängers - lege 'la cejilla', den Capodaster auf den dritten Bund und spiele dann 'por medio', das heisst, leg die Finger auf die Saiten in der Mitte des Griffbrettes - übersetzt für den Gitarristen hiess dies - Akkorde D-Moll, C, B, A als Basis, transponiert um drei Bünde nach oben, das war die Stimmlage des Sängers) - der Gitarrist ist der 'Diener' der beiden anderen Elemente des Flamencos, Singen und Tanzen, er muss alle Elemente kennen, und er gibt beiden den 'Teppich', den Orientierungsrahmen, die Basis, was Rhythmus, Harmonien und rhythmische Ornamente betrifft - taketiketake taketiketake taketatan taketatan taketatan…
Wie Pacos Vater hatte Niño Ricardo Hunderte von Tänzern und Sängern begleitet im Verlaufe seines langen Lebens, und er begann, die Gitarre selber als Sängerin zu sehen, und so schuf er sein ganzes Leben lang neue falsetas, Improvisationen innerhalb der gegebenen Liedformen; die Gitarre sang, gleichwertig wie der Sänger, eigene coplas, Verse, die in sich eine neue Sprache schufen.
Und in diesem neuen Feld, das Niño Ricardo auf den Feldern der Flamencos erschlossen und bebaut hatte, Frucht von sechzig Jahren Lebenserfahrung und Arbeit an der Gitarre, darin fühlte sich der elfjährige Paco schon zu Hause, hatte alles gelernt, worin sein Maestro seine ganze Lebenserfahrung gelegt hatte. Und der Junge stand erst am Anfang.
Aunque la vida en constante movimiento es mi naturaleza,
tú eres mi verdadero ser, o quietud.
Obwohl das Leben in ewiger Bewegung meine Natur ist,
bist du doch mein eigentliches Wesen, o Stille.
Vadan - Alankaras
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Einem Elfjährigen sagen solche Aphorismen sicher wenig, da willst du ausprobieren, zeigen, dass deine kleine Sonne in dir wirklich mit Kraft scheinen kann, du lässt keine Gelegenheit aus, dies zu zeigen. 'La chispa' lässt dich hüpfen vor Freude, der kleine Funken, der dich in Bewegung hält; was du da alles noch lernst, seitwärts, ohne wahrzunehmen, das ist dir noch nicht so wichtig, dein Lehrer gibt dir nur wenige Richtlinien, lässt dich ausprobieren, sagt vielleicht nur: 'Diese Falseta kommt aus Alcalá de Guadaira, jene aus Lebrija, aus Moron de la Frontera, von Diego del Gastor, diese von Moraíto aus Jerez', und wenn du sie gut spielst, antwortet er vielleicht mit einem Olé… Wenn du sechzig bist, dann lächelst du bei diesem Aphorismus, würdest deinem Schüler auch nicht mehr sagen, ihn selber herausfinden lassen…
Paco wurde auch in eine besondere Zeit hinein geboren, ein ganz besonderes Treibhaus, die starren Formen der spanischen Gesellschaft begannen sich aufzulösen, eine Öffnung wurde möglich in vielen Bereichen. Und so ging der Junge zusammen mit den bekanntesten Sängern, Tänzern und Gitarristen seiner Zeit auf eine Welttournee, die Lippmann und Rau, eine deutsche Agentur, auf die Beine gestellt hatte. El Lebrijano, Matilde Coral, Paco Cepero, El Farruco, Juan Maya, der junge Camarón de la Isla, alle waren sie dabei. Er begann als dritter Gitarrist, und in jedem Land brauchte er als Fünfzehnjähriger eine besondere Arbeitsbewilligung.
Ein fröhlicher Haufen Gitarristen, Sänger und Tänzer, die nicht wollten, dass es ihnen langweilig würde. Und so sassen sie jeweils heimlich zusammen und erfanden neue Elemente für den Auftritt am Abend, überraschten die anderen damit, dass es nicht so ablief wie geplant, sondern etwas Neues dazukam, auf das sich alle vor dem Publikum einstellen mussten. Und bald schon bauten sie ein Gitarrensolo in den Abend ein, Paco allein vor ausverkauftem Haus, überall auf der Welt. Und da hörte er das erste Mal: '¡Paco, viva la madre que te parió!' - Es lebe die Mutter, die dich zur Welt gebracht hat!
Ein Ausruf aus dem tiefsten Herzen einer spanischen Seele! Ich weiss nicht, ob ihn dies dazu gebracht hat, seinen Künstlernamen Paco de Lucía auszuwählen, es würde Sinn machen, Paco der Lucía. Wir sind uns soviel Herzlichkeit in unserer Sprache nicht so gewohnt.
* * *
Im Jahr 1977, als ich selber in Sevilla wohnte und meine Hände, meine Ohren, mein Herz sich langsam vertraut machten mit der Flamencogitarre, täglich drei, vier, sechs Stunden, zweimal die Woche im Unterricht, zuerst bei Manolo, später bei Isidoro Carmona - da las ich jeweils El País, die erste 'internationale' Zeitung Spaniens, mit einem Sonntagsmagazin von hoher literarischer Qualität - ich freute mich, diese besondere Form der spanischen Würde vor dem Wort und der Musik zu geniessen.
Bei einer dieser Sonntagsfreuden las ich ein Interview mit Paco de Lucía, es bewegte mich sehr. Er sagte: 'Ich wünschte mir, die Leute liessen mich einfach in Ruhe'; damals war er etwa dreissig Jahre alt. In den zwölf Jahren zuvor hatte er etwas geschaffen, was zuvor nicht möglich schien. Auf der Welttournee mit seinen Freunden war er auch nach New York gekommen; da wohnte ein Altmeister der Flamencogitarre, Sabicas, Agustín Castellón, der während des Bürgerkrieges ausgewandert war und nicht mehr nach Hause kehren wollte.
Natürlich gingen sie alle den Sabicas besuchen und feierten miteinander eine dieser juergas, nach denen sich Hunderte von aficionados, die Fans, ihre Finger ablecken würden, um dabei sein zu können. Ein feines Nachtessen, Fino de Jeréz, Tapas, und Musik, die ganze Nacht. Sabicas war sehr beeindruckt von Pacos Virtuosität, und gab ihm einen Rat: 'Paco, ich höre in dem, was Du spielst, immer auch noch Niño Ricardo, von dem Du ja so viel gelernt hast. Du bist noch so jung, aber jetzt kommt die Zeit, wo Du Deine eigene Sprache suchen musst; Du hast Deine Verantwortung im Leben, und sie hat Dir die Möglichkeit gegeben, Sprache zu schaffen, mit Deiner Gitarre. Nimm sie an, diese Verantwortung, es gibt keinen, der dies so tun könnte wie Du! Nimm sie an, für uns alle, für jene im Exil und für jene, die zu Hause wohnen!'
Und Paco nahm die Verantwortung so an, wie er schon als Kleiner geschliffen und poliert hatte; er lernte José Torregrosa kennen, einen andalusischen Komponisten und Arrangeur; die Plattenfirma Philips nahm ihn unter Vertrag, und zwischen 1967 und 1977 schufen die beiden eine musikalische Revolution, Schritt für Schritt; jede Platte, die erschien, zeigte auf, was sich in ihm entfaltete: La fabulosa guitarra, El duende flamenco, Fuente y Caudal, und schliesslich Almoraima.
Aus virtuosen traditionellen Formen der Tientos, Mineras, Siguiriyas, Soleares, Tarantos, Bulerías und wie sie alle heissen, in Jahrzehnten gefestigte Formen, da wurde mit jedem Mal eine umfassendere Sprache, die in sich Weite, Liebe, Hingabe trug, wie sie zuvor nicht fassbar schien. Und da war sie einfach, diese Sprache, und sie brachte Hunderte von Gitarristen in Spanien dazu, nachspielen zu wollen, selber schaffen zu wollen. Entre Dos Aguas war die Rumba, die alle lernen wollten, ich natürlich auch, selbstverständlich! Den ersten Teil, den habe ich, vor dem zweiten habe ich kapituliert, so viel sprühendes Tempo bringen meine Finger nicht hin! Die Freude vermindert sich deswegen nicht.
Es war offensichtlich Bestimmung, dass in diese gleiche Zeit hinein auch Camarón de la Isla geboren wurde, ein junger Zigeuner aus San Fernando, in der Bucht von Cádiz; José Monge Cruz verliess die Schule mit zehn Jahren, arbeitete in der Schmiede seines Vaters und wollte Torero werden. Doch seine Stimme trug etwas Besonderes, una 'voz afillá', sie drückte ein gleiches Gefühl der Verantwortung aus, wie es Paco in seiner Gitarre zum Ausdruck brachte, 'confianza en el hombre, nunca la tengas, hermana!' Vertraue nie einem Menschen, Schwester! Und gerade weil die Wirklichkeit für den jungen Camarón so war, umso intensiver sang er davon; Schwanenfedern, zwischen denen ein Messer verborgen liegt, so hört sich sein Gesang an.
Die beiden gehörten einfach zusammen, und eine ebenso kreative Zeit begann in ihrer Zusammenarbeit.
Almoraima - liebe Freunde, wenn Ihr hören möchtet, was ich zu beschreiben versuche, dann hört euch diese Musik an. Es ist für mich immer noch die schönste, vollständigste, ausgereifteste Arbeit, die ich je gehört habe, die je in der natürlichen Folklore eines Volkes entstanden ist. Paco schuf sie ein Jahr vor diesem Interview, das ich so erschreckt gelesen hatte. Eine Sprache des Jubels, der Reife, des Mitgefühls, Wegweiser in die Zukunft, in den Kompositionen dieser Almoraima, eine Synthese, wie sie tausend Jahre zuvor mit Zyriab schon einmal Al-Andalus beflügelt hatte.
Und dann das: 'Ich wünschte, die Leute liessen mich einfach in Ruhe.' Ich las weiter, versuchte zu verstehen, was er meinte: 'Jedes Mal, wenn ich die Gitarre in die Hand nehme und etwas Neues schaffen will, kommt dieses Bild: Aus den Saiten kommen Tausendernoten heraus, und dies tötet mich beinahe, macht mir Angst. Aus dem Inneren sprudelt es, drängt mich, weiter zu komponieren, Neues zu schaffen; und immer endet es, dass noch mehr Geld daraus wird!' Philips hatte die Maschinerie in Bewegung gesetzt, natürlich, jede Komposition mündete in eine neue Platte, jede neue Platte zog ein Jahr Konzerte nach sich, Welttourneen, nun meistens allein oder mit seinen Brüdern.
Und überall das Gleiche, ob in Helsinki, Tokio, Sydney, Cadaqués, San Francisco, Buenos Aires, oder wo immer. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, überall ausverkaufte Häuser, ein ganzes Jahr lang unterwegs, von Hotel zu Hotel, von Konzertsaal zu Konzertsaal. Escalofriante, es schaudert mich, wenn ich mitfühle. Und nach jedem Konzert, wenn du ausgelaugt, müde und überfüllt bist mit Eindrücken, da drängen sich all jene heran, die in der Garderobe noch rasch ein paar Worte wechseln wollen, ein Foto machen, Schulterklopfer allenthalben; du siehst sie heute, wo du keinen mehr sehen willst, und morgen siehst du den gleichen Gesichtsausdruck wieder, in einer neuen Stadt, ein neues Gesicht, wieder nur für einen Tag. Der Ausdruck ist der gleiche, die Gesichter austauschbar, nichtssagend, in so kurzer Zeit. Natürlich verstehst du ihre Freude, ihre Überschwenglichkeit, aber nicht in einem solchen Mass. Da lassen dir die Umstände nur eine Wahl: zieh dich so weit wie möglich in dich selber zurück, lieber Paco, und möge dich der Allmächtige beschützen vor dem zerstörerischen Zuviel an Applaus und Gier!
Paco wollte ja auch geben, das Beste, was er hatte, es wurde zu einem Paradox, das nicht aufzulösen war. Te consuma, es frisst dich auf, auch Camarón frass es auf, er lebte sein kurzes Leben, seine zweiundvierzig Jahre, mit Heroin. Paco kämpfte sich anders durch diese Klippen. Was ihn wirklich über eine Grenze hinaus geschubst hatte, war etwas ganz anderes. Er, dem der Flamenco einzige Heimat war, alles, was er kannte, liebte, schuf, das war Flamenco als Begriff einer Heimat, zu der du einfach gehörst; wie die Luft, die du atmest, das Wasser, das du trinkst, du kannst dir gar nichts anderes vorstellen.
Almoraima:wir kommen da nicht mehr mit!'.