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Nr. 2861

 

Der Flug der BRITOMARTIS

 

Attilar Leccore im Einsatz – als Agent der Tiuphoren

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Während sich der Arkonide Atlan ins vermutete Herz dieser Macht begeben hat – die Ländereien jenseits der Zeit –, ist Perry Rhodan von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Die Gegenwart, wie er sie kennt, wird nicht nur durch die Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind.

Es gelingt Perry Rhodan, eine Abwehrwaffe gegen die Indoktrinatoren – die gefährlichste Waffe der Tiuphoren – zu entwickeln: Diese ParaFrakt genannte Technologie muss er nun möglichst schnell galaxisweit verbreiten, um gegen die über 45.000 Tiuphorenraumschiffe bestehen zu können. Um die Tiuphoren abzulenken, startet DER FLUG DER BRITOMARTIS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Attilar Leccore – Der TLD-Chef lässt sich auf ein riskantes Spiel ein.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin der Liga Freier Terraner arbeitet an einem fast geheimen Projekt.

Thembinkosi John, Reeva Ntoni, Zyl und Pladutares – Vier Chefs melden sich freiwillig für eine überaus gefährliche Mission.

»Was macht uns als Individuen aus, was begründet und bewahrt unsere Identität?

›Die persönliche, einzigartige ÜBSEF-Konstante natürlich!‹, werden sofort die meisten in diesem Raum antworten.

Das ist schon richtig, nach derzeitigem Stand der Forschung.

Aber wie viel mehr wissen wir wirklich über das Mysterium des Selbst-Bewusstseins als unsere Altvorderen? Wie viel mehr als jene, die weiland dafür noch den Begriff ›Seele‹ gebrauchten?«

Geoffry Abel Waringer, Einführungsvorlesung zur Theoretischen Hyperphysik, ca. 412 NGZ

 

 

Prolog (I)

Gewissensbisse eines Killers

 

Bin ich ein Mörder?

Ja, ich habe getötet. Heimtückisch. Nicht zum ersten Mal.

Und ich würde es wieder tun.

Bin ich ein Verräter?

Ja, ich habe die Seiten gewechselt. Mehrfach. Logischerweise musste ich dadurch jene enttäuschen, die mich für loyal hielten.

Oft möchte ich das nicht mehr erleben.

Bin ich trotzdem bisher mir selbst und meinen Idealen treu geblieben?

Ja, sicher.

Oder?

Eben beseitige ich die Spuren meiner letzten Tat. Gründlich, professionell. Restlos.

Das kann ich gut. Niemand wird mir etwas nachweisen können. Daran zweifle ich nicht.

Ich sollte zufrieden sein, stolz auf meinen Teilerfolg, aber ...

Mich quälen andere Zweifel, tiefer gehende. Existenzielle. Ich weiß nicht, wie lange ich sie ertragen kann.

Bin ich ein Lügner?

Ha! Wenn ich eine Frage rückhaltlos bejahen kann, ist es diese. Ich bin der geborene Betrüger, förmlich erschaffen zum Tarnen und Täuschen, zum Vorspiegeln falscher Versprechungen.

Alles und jeden vermag ich zu belügen und in die Irre zu führen; sogar, fürchte ich, mich selbst.

Lange halte ich das nicht mehr aus. Die permanente Scharade zehrt an meinen Nerven.

Groß ist die Verlockung, dem ewigen Versteck- und Verwirrspiel ein Ende zu bereiten. Mich zu erklären, ich selbst zu sein. Endlich, ein für alle Mal, Konstanz in mein eigenes Leben zu bringen. Eine Entscheidung zu treffen, unwiderruflich. Und dann dabei zu bleiben.

Schön wäre das.

Ich sehne mich, lechze nach Klarheit. Nach Vereinfachung, Bestätigung. Erleichterung und, ja, Erlösung.

»Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust«, schrieb irgendwann irgendwo irgendein Dichter.

Der Glückliche! Bei mir sind es momentan deren drei. Mindestens.

Eine davon sollte die »richtige« sein. Würde man meinen. Aber kann es überhaupt ein richtiges, gerechtes, ehrliches Leben geben, innerhalb von so viel Falschheit?

Während ich akribisch den Tatort reinige, versuche ich, diese störenden Stimmen beiseitezuschieben. Und scheitere. Immer wieder drängen sie sich in mein Denken, ob ich will oder nicht.

Was bin ich? Wozu bin ich geworden, seit ich mich weiter vorgewagt habe denn je?

Ich schrecke zurück. Dennoch weiß ich, dass ich mir demnächst die Frage aller Fragen werde stellen müssen: Wo gehöre ich hin?

Wem schließe ich mich definitiv an? Wo finde ich letztlich Heimat?

Auf den Punkt gebracht: Was will ich eigentlich sein?

Wer bin ich?

Prolog (II)

Das jüngste Gericht, etwa eine Woche davor

 

»Die Chefs«, wie sie sich heimlich bezeichneten, trafen einander nicht in der Offiziersmesse; auch nicht in einer der vielen anderen Kantinen der BRITOMARTIS, eines achthundert Meter durchmessenden Schlachtschiffs der APOLLO-Klasse.

Sie schlichen, jeder und jede für sich, durch selten frequentierte Wartungsgänge. Sie vertrauten sich gesperrten, weil im Normalbetrieb nicht benötigten Antigravschächten an. Oder sie huschten über Nottreppen.

Auf diese Weise wichen sie den unzähligen Sensoren der Bordüberwachung aus. Um schließlich, nahe den Ringwulst-Hangars, in einem Raum zu landen, den es laut offiziellem Verzeichnis gar nicht gab.

Reeva Ntoni fand das Getue lächerlich. Sie war das jüngste Mitglied der Geheimgesellschaft und erst vor Kurzem rekrutiert worden.

Allerdings hatte kein Geringerer als der Schiffskommandant sie in den äußerst elitären Zirkel eingeführt. Da sie keine Närrin war und sich's mit Thembinkosi John nicht verscherzen wollte, kam Reeva abermals dem Zusammenruf nach, wenngleich mit gemischten Gefühlen.

Sie übermittelte den speziellen Kode. Nachdem das Schott vollkommen geräuschlos aufgeglitten war, trat Reeva ein.

»Hallo«, sagte sie.

Die drei anderen erwiderten den Gruß. Alle hatten sich bereits Schürzen mit hochwertigen, Schmutz abweisenden Nano-Beschichtungen umgebunden.

»Herzlich willkommen«, sagte der Kommandant, ein ziemlich genau fünfzig Jahre alter Oxtorner.

Er bestand darauf, salopp mit der Kurzform Kosi angesprochen zu werden. »Wir dachten schon fast, du würdest uns die Gefolgschaft aufkündigen.«

»Nicht doch«, wehrte Reeva halbherzig ab. »Ich wurde aufgehalten. Mein stellvertretender Feuerleitoffizier hat mich trotz meiner Freischicht zurate gezogen, weil bei den Routine-Überprüfungen der Schiffsartillerie Fehlermeldungen aufgetreten waren.«

Die BRITOMARTIS verfügte über eine beachtliche Offensiv- wie auch Defensiv-Bewaffnung: zwanzig Transformkanonen zu je 300 Megatonnen, ebenso viele Impulsstrahler. Hinzu kamen dreißig Überlicht-MVH-Geschütze, zehn Sublicht-MVH-Geschütze und ein Paratronwerfer. Zur Verteidigung standen Prallschirme, Paratron- und Hochenergie-Überladungsschirme sowie eine hypermagnetische Abwehrkalotte bereit.

»Müssen wir uns Sorgen machen?«, fragte Zyl, der von Aralon stammende Leiter der Bordklinik. Er runzelte die hohe Stirn, die in einen haarlosen, von zahlreichen Mikro-Implantaten überwucherten Spitzkopf auslief.

»Nein. Alles ist in bester Ordnung. Es gab bloß Unregelmäßigkeiten innerhalb der Kontrollprogramme.« Dabei sah Reeva nicht zufällig Pladutares an, den Vierten im Bunde.

»Gewollte Obsoleszenzen«, sagte der Posbi, der für die Hauptpositronik, die bordinterne Kommunikation sowie Funk und Ortung zuständig war. »Wir speisen derlei von Zeit zu Zeit ein, um zu verhindern, dass die Mannschaft vor Langeweile verdummt. Wie ein uraltes Sprichwort meines Volkes lautet ...«

Reeva verdrehte die Augen und setzte fort: »Vertrauen ist gut, Wachsamkeit ist besser, und so weiter. Bitte, erspar mir die Belehrungen!«

»Du weißt gar nicht, um welche Bereicherungen deines Wissensschatzes du dich beraubst, Oberstleutnant Ntoni. Ich entsinne mich spontan einer überaus lehrreichen Anekdote aus der Frühgeschichte der Hundertsonnenwelt ...«

»Welche mich genau gar nicht interessiert«, unterbrach Reeva abermals den Posbi, dessen bordinterner Spitzname nicht grundlos Plaudertasche lautete. »Jedenfalls, alles behoben, auch ohne deine Hilfe. Alles paletti.«

»Nun denn«, sagte Kosi John. Er schürzte die Lippen und schmatzte lautstark. »Da die BRITOMARTIS für die nächsten Stunden sich ohne unsere Führung ihren Weg durch den Leerraum pflügen wird ... lasst uns tun, wozu wir uns an diesem Ort versammelt haben. Lasst uns ...«

Wie aus einem Munde riefen er, der Ara und der Posbi: »Lasst uns kochen!«

 

*

 

Reeva Ntoni fügte sich ein.

Anfänglich mit einem gewissen Widerwillen. Bald aber verfiel sie dem Reiz der Perfektion, der von diesem Raum und den darin Tätigen auf sie ausstrahlte und überschwappte.

Es war schlichtweg die ultimate Küche. Alles gab es: Molekülblitzer. Subatomare Um-Integratoren. Den besten, weil geradezu unheimlich exakt einstellbaren Griller/Smoker des Universums.

Und so weiter.

Was dabei zubereitet wurde, spottete jeder Gastronomie-Kritik. Reeva und ihre Mitverschwörer delektierten sich an olfaktorischen und gustatorischen Genüssen, wie sie im ganzen bekannten Kosmos höchstwahrscheinlich nur einer winzigen Minderheit von Auserwählten vergönnt waren.

Sie zelebrierten ihre gemeinsame Sucht. Sie schlemmten, gaben sich der Völlerei hin. Hemmungslos.

Nach wie vor sah Reeva keinen Grund für die übertriebene Geheimniskrämerei. Weder war es für Führungsoffiziere verboten, sich in der Freizeit mit kulinarischen Eskapaden zu vergnügen; noch hätte das, falls es publik geworden wäre, ihrem Ansehen bei der Mannschaft Schaden zugefügt.

Aber egal.

Vielleicht basierte ein nicht unwesentlicher Teil der Sinnesfreude auf Exklusivität. Darauf, dass niemand außer ihnen davon wissen durfte.

 

*

 

Hinterher fläzten sie sich in Liegestühlen. Nicht ohne sich gegenseitig mit herzhaften Rülpsern und Flatulenzen zu erheitern.

Pladutares, der Posbi, hielt wacker mit, obwohl er die Verdauungsgeräusche ganz offensichtlich simulierte. Schließlich ernährte er sich – beziehungsweise sein Gehirnplasma – auf völlig andere Weise als die drei Humanoiden.

»Schön«, sagte Kosi John, »ist das Leben.«

Niemand widersprach.

Der Kommandant strich sich über die Bauchwölbung. »Und damit das so bleibt, habe ich eine dringliche Anfrage ans Oberkommando eingereicht.«

»Welchen Inhalts?«, fragte Zyl träge, mit matter Stimme.

»Nun, ich habe uns vorsorglich für den nächsten Hochrisiko-Einsatz nominiert, den die Liga-Flotte für einen Raumer unserer Schiffsklasse plant. Um durch neue Eindrücke neue Ideen zu erschließen, für neue Ingredienzen, neue Formen der Zubereitung. Für das nächste, jüngste Gericht. Hat jemand Einwände, oder seid ihr bei mir?«

Reeva Ntoni horchte in sich hinein. Sie griff nach dem Trinkkelch, leerte ihn auf einen Zug und schmeckte nicht den geringsten Anlass zur Kritik.

Wer das üppige Leben liebte, wer es dermaßen schamlos genoss wie sie und die anderen »Chefs«, musste sich ab und an den möglichst schlimmsten Widrigkeiten stellen. Kein Süß ohne Saures, kein Salzig ohne Bitterkeit – und alles nichts ohne umami.

»Wir sind bei dir, Kommandant«, sagte Reeva, satt und glücklich. Dabei sagte sie nichts als die Wahrheit. Sie wischte fettige Speisereste aus den Mundwinkeln. »Wohin geht's?«

»Keine Ahnung. Was halt ansteht. Woher soll ich das wissen? Lassen wir uns überraschen!«

1.

Fallen, Spieße, Tricks und Möhren

28. September 1518 NGZ

 

Perry Rhodan begrüßte die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der kurzfristig einberufenen Konferenz einzeln mit Handschlag. »Cai. Attilar. Willkommen an Bord der RAS TSCHUBAI. Danke, dass ihr so schnell gekommen seid. Gucky. Sichu. Danke für euren Beistand.«

»Wer wären wir«, sagte Cai Cheung, »deinem dringlichen Anruf nicht zu folgen?«

Rhodan schmunzelte. »Unabkömmliche Würdenträgerinnen, zum Beispiel?«

Die Solare Premier war nach Arun Joschannans Tod von beiden Kammern der LFT zur kommissarischen Residentin bestellt und von den Liga-Bürgern per Wahl in dieser Funktion bestätigt worden. Bereits vor mehr als zwei Monaten hatte sie wegen der Bedrohung durch den Zeitriss Vorbereitungen für eine Evakuierung des Solsystems eingeleitet.

Mit der Umsetzung hatte sie Residenz-Minister Otieno Portella beauftragt.

»Auch ohne mich oder dich«, versetzte Cai süffisant, »kann das Solsystem bestehen. In dieser Stunde und in den nächsten Stunden. Sonst wäre ich nicht hier. – Also, worum geht's?«

»Unser aller guter Freund, der Direktor des Terranischen Liga-Dienstes«, sagte Perry, »möchte uns einen kühnen Plan präsentieren.«

»Na, da bin ich ja mal gespannt.«

 

*

 

Nachdem Perry Rhodan ihm auffordernd zugenickt hatte, sagte Attilar Leccore: »Du hast dich entschlossen, ins Helitassystem zu fliegen, nach Tefor, um den Mutanten Dienbacer abzuholen.«

»Weil wir ihn und seine Parafähigkeiten dringend benötigen, ja.«

»Trotz meiner Warnung, es könnte sich um eine Falle handeln.«

»Weshalb ich mich nicht allein, sondern mit der RAS TSCHUBAI auf den Weg machen werde. Ich trete Vetris-Molaud keineswegs ungeschützt entgegen. – Worauf zielst du ab?«

»Das Stichwort heißt ›Falle‹. Was andere können oder könnten, bringen wir Terraner allemal ebenfalls zusammen. Ich rege an, umgekehrt den Tiuphoren eine Falle zu stellen.«

Das war Perry nicht neu. Jedoch hatte sich Attilar Leccore noch nicht dazu bequemt, Details auszuformulieren. »Nämlich wie?«

»Die Tiuphoren hätten fast Erfolg damit gehabt, uns auf eine für uns bis dahin unbekannte Weise zu infiltrieren. Sie haben meinen Stellvertreter Sybrand Herzog übernommen, mit dem Ziel, äußerst sensible Daten zu erbeuten.«

»Was ihnen beinahe gelungen wäre.« Der von einem tiuphorischen Bewusstsein kontrollierte TLD-Vizechef hatte erst im letzten Moment gestoppt werden können.

»Wir sollten uns diese Sache zunutze machen«, sagte Leccore. »Indem wir den Spieß umkehren und den Tiuphoren geben, wonach sie verlangen: die Bauunterlagen unserer Anti-Indoktrinatoren-Waffe.«

Perry Rhodan lehnte sich zurück und widerstand dem Impuls, die Narbe auf seinem Nasenrücken zu befingern. »Das meinst du anders.«

»Selbstverständlich meine ich das andersrum. Stellt euch einmal vor, wir würden es schaffen, den Tiuphoren Daten zuzuspielen, die in wichtigen Punkten von der wirklichen Waffe abweichen. Ein Kuckucksei, sozusagen. Wenn deswegen die tiuphorischen Ingenieure in die Irre geleitet werden, gewinnen wir einen möglicherweise entscheidenden Vorsprung.«

»Schön wär's«, warf Sichu Dorksteiger ein. »Aber worauf gründet dein Optimismus?«

»Unsere Feinde wissen nicht, dass ihr Agent gescheitert ist. Wir können ihnen also vormachen, was immer wir wollen.«

»Blödsinn!«, piepste Gucky schrill. »Ich habe gegen diese Typen gekämpft. Sie mögen aus unserer Sicht Barbaren sein, aber dumm sind sie nicht. Vor zwanzig Jahrmillionen haben sie unsere gesamte Galaxis erobert und verwüstet!«

»Und?«

»Was – und?«

»Die Tiuphoren«, sagte Attilar Leccore, »kommen aus tiefster Vergangenheit. Durch den Zeitriss wurden sie in unsere Gegenwart gespült. Mittlerweile haben sie sich bedenklich gut orientiert, und ihre Systeme angepasst. Trotzdem ziehen sie im Wesentlichen ihre uralten Strategien vor.«

»Weil sie damit bis jetzt immer gewonnen haben«, sagte Sichu Dorksteiger. »Darüber, dass wir gewissermaßen von einem Anachronismus angegriffen werden, brauchen wir nicht zu diskutieren. Leider handelt es sich um eine zwar veraltete, jedoch Schrecken erregend effektive Vorgangsweise.«

»Du unterschätzt sie.«

»Ich? Hast du mir zugehört? Ich sagte gerade ...«

»Dass sie immer gleich vorgehen würden, genau gleich wie schon vor zwanzig Millionen Standardjahren. Aber das stimmt nicht. Im Gegenteil. Sie passen sich an, oberflächlich. Wie ihr es auf eurer Zeitreise ebenso versucht habt.«

»Du widerlegst deine eigenen Argumente schon wieder. Wir kamen unter gänzlich anderen Voraussetzungen dorthin, oder besser dannhin ...« Sichus sonst so volltönende Stimme versiegte. »Oh«, hauchte sie. »Ich verstehe.«

»Nicht wahr? Akklimatisierung, um eine mangelhafte Metapher zu bemühen. Adaptation. Wie auch immer: Die Umgebung wirkt auf dich ein, ganz von selbst, unweigerlich. Das Ambiente erwischt dich, über kurz oder lang, quasi auf dem falschen Fuß. Darin liegt unsere Chance.«

Sichu Dorksteiger vollführte eine Geste des Einverständnisses. Auch Gucky schwieg.

»Was schwebt dir vor?«, fragte Perry Rhodan.

 

*

 

»Wir nutzen das Terrain aus«, sagte Attilar Leccore. »Ganz in der Tradition der ältesten Schriften über die Kriegskunst, die wir kennen.«

Gucky grinste und zeigte dabei seinen einzigen Zahn. »Ich teleportiere mitten in die feindliche Bastion, schnappe mir den Obermufti, und dann ...«

»Wäre nichts gewonnen. Es gibt keine Schlüsselperson bei den Tiuphoren, nicht in Gestalt eines charismatischen Führers, an dem alles hängt und von dessen Befehlen alles abhängt. Du könntest, eventuell, mit sehr viel Glück, den amtierenden Tomcca-Caradocc entführen und somit ausschalten. Worauf sogleich ein ebenso fähiger Nachfolger dessen Position einnehmen würde.«

»Dann klaue ich halt den auch noch und den nächsten und ... Okay«, gab der Ilt kleinlaut bei. »Kapiert. Das würde nie aufhören.«

»Richtig. In der Milchstraße operieren Zigtausende Sterngewerke. Nichts, im Vergleich zur Größe unserer Galaxis und zur Leere des Raums zwischen den Milliarden von Sonnensystemen. Jedoch zu viele, da die aus Überzeugung nomadischen Tiuphoren nicht rasten noch ruhen würden, bis sie sämtliche Lebensinseln überfallen und alle hoch entwickelten Zivilisationen ausgerottet hätten.«

»Wie sie es wahrscheinlich schon einmal vollbracht haben«, erinnerte Sichu Dorksteiger. Falls der Zeitriss sie nicht davon abgehalten hat ... denkbar wäre es.

»Ja«, sagte Attilar Leccore. »Eben.«

 

*

 

»Eben deshalb«, griff Perry Rhodan den Faden auf, »müssen wir uns diesem Irrsinn entgegenstemmen, mit allem, was wir haben.«

Gucky nieste, dass es seinen ganzen, schmächtigen, pelzigen Leib durchschüttelte. »Bloß, wie?«

»Gesundheit. – Wenn ich in meinem bisherigen Leben etwas gelernt habe«, sagte Attilar Leccore bedächtig, »dann, dass scheinbar übermächtige Gegner am ehesten mit ihren eigenen Tricks zu schlagen sind.«

»Würde meine bescheidene Erfahrung dem zuwiderlaufen«, bekräftigte Rhodan, »säße ich nicht an diesem Tisch. Aber was heißt das konkret?«

»Man könnte den Tiuphoren vormachen, dass es eine Anti-Indoktrinatoren-Waffe gäbe, die bislang aber nur in zwei Schiffen verbaut wurde: in der RAS TSCHUBAI – und in einem mittelgroßen, für experimentelle Bestückungen ausgerüsteten Schlachtschiff. Welches die neue Waffe auf den Prüfstand stellen soll, indem es ein tiuphorisches Sterngewerk attackiert.«

»Hm. Könnten die Tiuphoren nicht mittlerweile darüber informiert sein, dass die RAS TSCHUBAI diesen Test bereits erfolgreich abgeschlossen hat?«

»Davon ist auszugehen. Aber die RAS TSCHUBAI könnte dabei in Erfahrung gebracht haben, dass das Waffensystem zwar im Prinzip funktioniert, jedoch die Intelligenzwesen an Bord im Einsatzfall mental beschädigt. Weswegen die Waffe seither weiterentwickelt und auf ein überwiegend robotisiertes Schiff verbracht worden wäre.«

Erneut nieste Gucky. Rhodan sah ihn fragend an. Als Aktivatorträger sollte er eigentlich gegen Erkältung immun sein.

»Keine Sorge«, raunte der Ilt. »Ich hatte vorhin eine winzige Portion plophosische Pfeffermöhrchen, und davon muss mir was in die Nase gestiegen sein.«