Nr. 2862
Das Geschenk des Odysseus
Auf der Hauptwelt des Neuen Tamaniums – ein Unsterblicher und ein Toter
Michelle Stern
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.
Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.
Während sich der Arkonide Atlan ins vermutete Herz dieser Macht begeben hat – die Ländereien jenseits der Zeit –, ist Perry Rhodan von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Die Gegenwart, wie er sie kennt, wird nicht nur durch die Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind.
Es gelingt Perry Rhodan, mit dem ParaFrakt-System eine Abwehrwaffe gegen die Indoktrinatoren – die gefährlichste Waffe der Tiuphoren – zu entwickeln und die Völker der Galaxis in einem Bündnis zu vereinen. In dieser Situation erhält er DAS GESCHENK DES ODYSSEUS ...
Perry Rhodan – Der Terraner betritt die Zentralwelt des Neuen Tamaniums.
Vetris-Molaud – Der Herr über das Neue Tamanium sieht sich zugleich in der Tradition Perry Rhodans, seiner lemurischen Vorfahren und der Meister der Insel.
Gucky – Der Mausbiber bekommt es mit dem Geschenk des Odysseus zu tun.
Germo Jobst – Der junge Mann aus der Falschen Welt muss seine besonderen Fähigkeiten trainieren.
Du bist auf dem Weg nach Tefor, willst einen Feind treffen und Hilfe von ihm einfordern. Sein Name ist Vetris-Molaud. Er hat dich bereits einmal verraten, hat dich zur Aufgabe gezwungen, ausgeliefert und dafür einen Preis erhalten, dessen Wert unermesslich ist. Er ist nicht so sehr dein Feind, aber der Feind jener Milchstraße, die du gerne sehen würdest. Aber auch Bostich war das einst, und nun eint euch der Gedanke an ein Friedensprojekt, das weit über die Milchstraße hinausgeht.
Vor vier Jahren hat Vetris-Molaud dich an die Onryonen übergeben, die Handlanger des Atopischen Tribunals, die dich nach wie vor als Kardinal-Fraktor für den Weltenbrand sehen. Dafür überließen die Atopen ihm einen Zellaktivator und machten ihn zu einem Unsterblichen.
Nun fliegst du ihm entgegen, dem Verräter, dem Staatsmann, dem Maghan, dem Unsterblichen.
Warum tust du dir das an?
Weil du etwas benötigst, das nur er dir geben kann: Du brauchst Dienbacer, den Positronikleser. Wird Vetris-Molaud ihn zur Verfügung stellen? Oder betrügt er dich, opfert dich auf dem galaktopolitischen Schachbrett, tauscht dich erneut ein gegen Macht, diesmal vielleicht gegen die Konstruktionspläne der Linearraumtorpedos?
Du weißt nicht, wie Vetris-Molaud derzeit zum Atopischen Tribunal steht, doch du kennst die Theorie, dass der Maghan selbst einmal ein Atope werden wird. Maghan wird zu Matan. Kann das wirklich geschehen? Und ... was bedeutet das für die Gegenwart?
Du weißt, dass du Angst haben, Zweifel an deinem Vorhaben hegen solltest, aber du bist ruhig; ein beständig leuchtender Planet in einem Meer aus hektisch flimmernden Sternen.
Das ist dein Weg. Dein Instinkt sagt dir, dass es der richtige Weg ist. Er ist das Risiko wert. Terra, die Liga Freier Terraner und das Galaktikum müssen vor den Tiuphoren geschützt werden.
1.
Anflugsorgen,
RAS TSCHUBAI
Germo Jobst schloss die Augen und konzentrierte sich. Er fühlte in sich hinein, wurde ganz zu einem mentalen Empfänger, analog einem Netz, das durchs Wasser trieb und in dem sich Gedankeneindrücke wie Fische verfingen oder eben durchschlüpften. Oder, um ein anderes unvollkommenes Bild zu benutzen: Es war, als müsste er in einem Haufen aus Hunderten grauer Multikom-Geräte ein silbernes entdecken.
Der junge Mann aus einer potenziellen Zukunft nahm über die verschiedenen Signalstärken wahr, dass es an Bord der RAS TSCHUBAI unfassbar viele Lebewesen gab, dass sie etwas fühlten, sich bewegten. Doch ihre Gedankenmuster waren selten mehr als unscharfe Schemen, die sich kaum voneinander unterschieden. Grau in Grau. Kein Silber.
Immer wieder hörte er ein Summen. Mal erschien es ihm aggressiv, mal höhnisch, als wollte es ihn verspotten.
Germo blinzelte, rieb sich über die schief stehende Schulter, in der sein Psi-Induktor zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt saß, und schaute in den Lagerraum hinein. »Es geht einfach nicht. Ich versuche es jetzt seit zehn Minuten!«
Farye Sepheroa zog die Beine im Schneidersitz auf die Kiste, die sie als Sitzplatz nutzte. Einer größeren Person wäre das kaum gelungen. Sie blies sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht. »Gib nicht auf. Gucky verlässt sich auf dich. Du hast mich gefunden. Vier Mal.«
»Das war einfach.« Germo ließ den Kopf hängen. »Aber Gucky finde ich eben nicht! Er ist mentalstabilisiert, kann seine Gedanken abschotten – und er nutzt Schirme, um mich zu testen. Wenn ich seine Gedankenmuster schon an Bord nicht ausfiltern kann, wie soll ich es in einer Großstadt wie Apsuma schaffen, auf einem Planeten wie Tefor mit sieben Milliarden Bewohnern? Ich bin keine Hilfe für Perry.«
»Unsinn.« Farye lächelte. »Du hast die RAS TSCHUBAI mithilfe deiner Paragaben aus dem Hyperfrost geholt, schon vergessen?«
»Das war etwas anderes. Die Hydrokinese funktioniert auf völlig unterschiedliche Art als das Passivorten.«
»Versuch es weiter! Du packst das!«
Rhodans Enkelin hatte leicht reden. Sie stand nicht auf dem Prüfstein.
Germo schloss erneut die Augen. Er nahm den intensiven Geruch nach Eichenholz wahr, der den Lagerraum durchdrang. Perry Rhodan brachte dem Tamaron Vetris-Molaud ein Gastgeschenk: zehn Barriquefässer hochwertigen, terranischen Wein samt weiteren Spezialitäten, die Germo daran erinnerten, dass er seit Stunden nichts gegessen hatte. Er sehnte sich nach einem warmen Kakao und Gebäck.
Gucky, ermahnte er sich gedanklich und machte sich wieder an die Arbeit. Er stellte sich die RAS TSCHUBAI vor, die Gänge und öffentlichen Räume des Kugelraumers, in denen sich Besatzungsmitglieder aufhielten; die Hangars, die Quartiere und Ogygia, jene einzigartige Erholungslandschaft im Herzen des Fernraumschiffs, die wie eine grüne Lunge war. Durch die Signalstärken schätzte er ab, wo sich die Quelle der Sender befand. Die Phantasie malte ihm ein Bild: Überall huschten oder verharrten graue Schemen aus Gedankenmustern.
Obwohl sich Germos Gabe durch das konsequente Training erweitert hatte, nahm er vor allem solche Personen deutlich wahr, die er kannte. Bei engen Freunden erspähte er sogar manchmal Gedankenbilder.
Einer von diesen Schemen musste Gucky sein. Oder grenzte der Mausbiber sich bewusst ab? Verbarg er sich mit einem Schutzschirm vor Germos Ortung? Im bevorstehenden Einsatz konnte es gut sein, dass er Gucky durch eine Abschirmung orten musste.
Das Problem war, dass das Orten ein rein passives Talent war. Ein aktives Suchen erlaubte es nicht. Bisher hatte er geglaubt, dass Prallschirme seine Wahrnehmung ebenso wenig einschränkten wie seine Teleportationsfähigkeit. Nun aber zweifelte er. Konnte er womöglich durch einen Schutzschirm hindurch schlechter oder gar nichts empfangen?
Die Zweifel waren wie Steine auf dem Weg. Germo schob sie zur Seite. Er stellte sich ein Bild vor, das ihm half: Er betrachtete seinen Geist als eine Art Lichtwelle, die sich im Schiff ausbreitete und in der alles, was dachte, Schatten warf. Er stellte sich vor, wie das Licht Besprechungsräume und Suspensionsalkoven passierte, Triebwerke und Geschützstellungsringe; wie es weiterraste, bis zum Rumpf flutete, hinaus in die Kälte des Alls und wieder zurück. Dabei stellte er sich die Positionen der Besatzungsmitglieder vor. Gleichzeitig versuchte er ein abweichendes, starkes Gedankenmuster ausfindig zu machen, wie auffällige Schatten in der Lichtwelle. Gucky war Telepath und Germo inzwischen vertrauter als die meisten anderen an Bord. Angespannt versank Germo ganz in seiner Innenwelt, prüfte Muster für Muster.
»Buh!«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Germo riss die Augen auf, teleportierte vor Schreck mehrere Meter und stolperte bei der Ankunft über die eigenen Füße. Im letzten Moment fing er sich und fuhr mit heftig pochendem Herzen herum.
Hinter ihm stand Gucky in einem leichten Kampfanzug. Der Mausbiber zeigte den Nagezahn. Das etwas über einen Meter große Wesen mit dem samtigen, braunen Fell wirkte, als wäre es die Unschuld in Person. »Da bin ich!«
»Sehr witzig«, sagte Germo. Am Rand seiner Wahrnehmung beobachtete er Farye, die sichtlich gegen ein Grinsen ankämpfte. »Wo warst du?«
Gucky griff in die Luft, über den dort abgelegten Holoprojektor. Ein Plan der RAS TSCHUBAI baute sich auf. »In einem der angedockten Kreuzer der MARS-Klasse unter einem mittleren Schutzschirm. Hast du mich gefunden?«
»Nein.«
»Nächster Versuch! Dieses Mal bleiben wir zusätzlich über die Multis in Verbindung.«
»Warte, ich ...«
Der Mausbiber verschwand. Er war erneut in irgendeinen Teil der RAS TSCHUBAI teleportiert.
»Buklukmist! Gut, dass dieses verdammte Schiff so winzig ist, sonst wäre die Aufgabe ja richtig schwer!«
Farye machte ein mitfühlendes Gesicht. »Du schaffst das. Mach es einfach wie bei mir.«
Germo presste die Lippen zusammen und ersparte sich eine Erwiderung. Langsam zweifelte er daran, dass Perry Rhodan richtig gehandelt hatte, als er ihn in das Einsatzteam gewählt hatte, das nach Tefor ging. Was sollte er tun, wenn Perry und Gucky in Apsuma unterwegs waren und er im Ernstfall weder die Gedankenmuster des einen noch des anderen fand?
»Spiel dich mit Gucky ein«, hatte Rhodan ihm eindringlich geraten. »Ihr müsst einander finden können, eine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, auch wenn du kein klassischer Telepath bist. Je besser ihr eure Begabungen aufeinander abstimmt, desto sicherer sind wir.«
So viel zu den Anweisungen eines quasi Unsterblichen. Leider sah die Umsetzung schwerer aus als gedacht.
»Also schön.« Wieder verwandelte sich Germos Geist in seiner Phantasie, wurde zu einer Welle aus Helligkeit, die über das Schiff raste und nach dem einen, silbernen Schemen unter den grauen suchte. Er spürte ein Signal, das anders war. Wie eine Sinusschwingung mit deutlich längerer Frequenz als die der anderen Wellen. Hastig prüfte Germo, wie weit der Empfänger entfernt sein mochte. Instinktiv gelang es ihm, eine Richtung zu bestimmen. »Die Zentrale! Er ist auf dem COMMAND-Level!«
»Falsch«, kam es aus dem Multifunktionsgerät, das Germo am Handgelenk trug. Gucky konnte darüber mithören. »Bin ich nicht. Mach weiter.«
»Aber ...«
»Keine Diskussion. Oder glaubst du, ich wüsste nicht, wo ich bin?«
Germo verkniff sich eine Erwiderung und versuchte es erneut. Frust breitete sich in ihm aus. Am liebsten hätte er gegen eines der Weinfässer getreten.
Er war so froh gewesen, gebraucht zu werden. Nicht wie die Fässer um ihn her abseits gelagert zu werden, sondern am Geschehen teilhaben zu dürfen.
Er wollte Perry Rhodan helfen, um jeden Preis. Rhodan hatte bereits viel dazu getan, jene potenzielle Zukunft zu verhindern, aus der Germo kam, die »Falsche Welt«. Dort herrschte der jetzige Tamaron Vetris-Molaud als Matan, als machtvoller Diktator, der jeden Widerstand gegen sich mit verborgener Gewalt unterdrückte. Es war ein Regime des Terrors unter der Oberfläche eines scheinbar heilen Sternenreichs.
Aber wie sollte Germo helfen, wenn es ihm nicht gelang, seine Orterfähigkeiten zu verbessern?
»Verstanden«, sagte er. Sein Hals fühlte sich eng an. Er konzentrierte sich erneut. Suchte nach Abweichungen.
Vergeblich.
Gucky erschien aus dem Nichts vor ihm. Der Mausbiber gähnte demonstrativ. »Ich denke, das reicht. Wir müssten bald bei Laurel und Hardy ankommen.«
»Laurel und Hardy?« Farye schwang die Beine von der Kiste. »Meinst du Lavaral-Harrit, das Doppelsonnensystem?«
»Sicher. Aber Lavaral-Harrit ist ein langweiliger und einfallsloser Name. Laurel und Hardy ist viel besser. Das waren Komiker im zwanzigsten Jahrhundert, auch bekannt als ›Dick und Doof‹. Erst kürzlich gab es eine Neuauflage ihrer Filme mit zwei grünen Quallenwesen in der Hauptrolle. Aber die beiden Sonnen hätten auch was gehabt.«
Germo senkte den Blick. »Dass du ständig Witze machst! Wir sind bald da, und ich bin nicht bereit.«
»Doch, das bist du.« Gucky lehnte sich seitlich an Faryes Kiste. »Du hattest mich in der Zentrale auf dem COMMAND-Level aufgespürt. Ich habe gelogen.«
»Was? Warum?«
»Um deine Frustrationsgrenze zu testen. Und dein Selbstvertrauen. Beides darf größer werden.«
»Oh.« Germo rieb sich an der Schulter. »Verstehe. Die Botschaft ist angekommen.«
Farye kraulte Guckys Fell. »Und nun? Ein letzter Versuch mit mehr Selbstvertrauen?«
»Nein.« Der Mausbiber legte den Kopf schief, damit sie besser hinter eines seiner Ohren kam. »Die Einsatzbesprechung steht an. Wir wollen den Großen nicht warten lassen.«
*
Die beiden roten Sonnen erschienen Perry Rhodan wie riesige, feurige Augen, die ihn aus der Schwärze des Alls anstarrten, als wollten sie ihre Kräfte mit ihm messen.
Das System mit dem Namen Lavaral-Harrit war 420 Lichtjahre vom Helitassystem entfernt – dem Ziel ihrer Reise. Das Solsystem dagegen lag über 50.000 Lichtjahre hinter ihm. Er hatte es trotz der wachsenden Bedrohung durch den Zeitriss zurückgelassen, um von Vetris-Molaud Hilfe zu suchen.
Einen Moment hatte Rhodan den Eindruck, die Sonnen im Holo würden warnend aufblinken. Er lächelte über den Gedanken. Gab es ein deutlicheres Anzeichen dafür, dass er angespannt war? Obwohl er sich ruhig fühlte, war er sich der Bedeutung des anstehenden Treffens überdeutlich bewusst.
Es war das erste Mal, dass er persönlich auf Vetris-Molaud traf, einen Mann, der die Geschicke in der Milchstraße mehr und mehr beeinflusste und sich zum Diktator aufgeschwungen hatte. Es war ein Treffen, das mit Sicherheit interessant werden würde, selbst dann, wenn Vetris-Molaud keine hintergründigen Pläne damit verfolgte.
Rhodan lehnte sich im Kontursessel zurück, schaute auf die Datumsangabe auf dem Multikom: 4. Oktober 1518 NGZ, vierzehn Uhr Terrania-Standardzeit.
Als wäre der Gedanke ein Stichwort, öffnete sich die Gleittür des kleinen Besprechungsraums nahe der Zentrale. Farye Sepheroa, Gucky sowie Germo Jobst traten ein. Hinter ihnen folgten Gholdorodyn, der Kosmopsychologe Etin Farks und der Zweite Pilot der RAS TSCHUBAI, Cascard Holonder. Als Letzter kam Major Jonas Pakuda, der Kommandant der SAMY GOLDSTEIN.
Gholdorodyn, der gut drei Meter große Kelosker, wankte auf den kurzen Beinen unter dem tonnenförmigen Rumpf schwerfällig auf den größten Sessel zu und plumpste förmlich in den Sitz. Der Blick aus den vier Augen richtete sich auf die Getränke in der Tischmitte, unter denen auch ein Krug Limonade mit Kokosgeschmack stand, an der Gholdorodyn neuerdings offenbar besonderen Gefallen fand. Rhodan sah ihn kaum noch etwas anderes trinken.
Während Etin Farks so vergnügt wie eh und je aussah – was durch die bunte Freizeitkleidung unterstrichen wurde –, erschien Cascard Holonder wie ein Trauergast auf einer Beerdigung. Kaum dass er saß, zog er einen Block und einen Stift hervor und kritzelte Striche auf das Papier. Der Pilot kannte seine Aufgabe und wusste, dass er die SAMY GOLDSTEIN mit dem Einsatzteam an Bord nach Tefor bringen sollte, sobald die RAS TSCHUBAI im Ortungsschutz der Sonne Lavaral geparkt war. Ein Fremder hätte denken können, Holonder wäre langweilig. Das Gegenteil war der Fall. Holonder halfen seine Zeichnungen, sich zu konzentrieren.
Nachdem alle sich mit Getränken versorgt hatten, eröffnete Rhodan die Sitzung. Er wandte sich direkt an Gucky und Germo Jobst. »Wie weit seid ihr damit, euch aufeinander einzuspielen?«
Gucky zuckte mit den Tellerohren. »Wir werden immer besser. Ich bin sicher, dass Germo mich auf eine Entfernung von mehreren Kilometern ausfiltern kann, wenn ich mich ihm öffne, selbst wenn ich unter einem schwachen Schirm bin. Ich finde ihn ohnehin, auch über weite Strecken. Seine Gaben sind so stark, dass er für mich regelrecht heraussticht, wenn ich nach ihm espere.«
»Das sind gute Neuigkeiten.« Rhodan lehnte sich zurück. »Mein Plan sieht vor, dass Gucky, Etin Farks und ich zum Tamaron gehen, während Farye und Germo sich unauffällig in der Hauptstadt umhören. Ich hätte gerne Informationen aus erster Hand, wie die Stimmung auf Tefor ist.«
Etin Farks streckte den Zeigefinger hoch, als wollte er eine Bestellung aufgeben. »Ich weise darauf hin, dass Vetris-Molaud es als Affront auffassen wird, wenn er offiziell als Tamaron tituliert wird. Er nennt sich selbst Maghan, und inzwischen tun das die meisten anderen auch.«
»Eben deshalb werde ich ihn Tamaron nennen. Der Titel ist jedenfalls ein demokratischerer als der des Maghans.« Rhodan hatte nicht vor, sich von Vetris-Molaud einschüchtern zu lassen. Ihm war der Affront durchaus bewusst.
»Ich verstehe.«
Pakudas gestutzter Vollbart verzog sich mit dem fein lächelnden Mund. »Das wird dem Schmock aber gar nicht gefallen.«
»Das mag sein, aber damit muss er leben.« Rhodan schaute in die Runde. »Gibt es weitere Dinge, die im Raum stehen, oder können wir fortfahren?«
Holonder ließ den Stift sinken. »Ich halte es nach wie vor für unbotmäßig gefährlich, was wir tun. Die Onryonen werden sich vor Freude Knoten in die Spitzohren machen, wenn Vetris-Molaud dich an das Tribunal ausliefert.«
»Das haben wir bereits diskutiert. Ich weiß um die Gefahr, und wir werden jede denkbare Sicherheitsmöglichkeit nutzen. Gholdorodyn wird Farye und Germo mit Winkern ausstatten. Germo wird im Notfall zur Verfügung stehen, falls Gucky mattgesetzt wird. Auch wir werden Winker haben, mit denen wir bei Anzeichen einer Bedrohung auf die AORATOS überwechseln können, wo sich Gholdorodyn samt seinem Kran aufhalten wird.«
Rhodan bemerkte, wie Germo bei den Worten unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte. Der junge Mutant wirkte nervös.
»Es ist nicht gefährlicher, als auf ein Tiuphorenschiff zu springen«, sagte Farye beinahe vergnügt. Sie schien sich auf den Einsatz zu freuen. Immerhin ging es in tefrodisches Gebiet, zu dem sie als Tefroderin eine gewisse Verbundenheit und Neugier fühlte, auch wenn sie nicht von Tefor stammte.
»Eben das ist es doch«, wandte Holonder ein. »Weil Vetris-Molaud uns erwartet.«
Gucky machte eine wegwischende Handbewegung. »Und wir erwarten, dass er uns erwartet. Das nenne ich ein Patt.«
»Die Entscheidung ist längst gefallen.« Rhodan hatte nicht vor, länger darüber zu diskutieren. »Ich gehe das Risiko ein, weil wir Dienbacer brauchen. Der Positronikleser kann überprüfen, ob unsere wichtigsten Positroniken von Indoktrinatoren befallen sind oder nicht. Ich will mir nicht vorstellen, was geschieht, wenn es den Indoktrinatoren tatsächlich gelungen wäre, nicht nur AGENT GREY, sondern auch LAOTSE und OTHERWISE umzudrehen. Wir sind es gewohnt, uns auf unsere Superpositroniken zu verlassen. Sollten nanotechnische Einheiten der Tiuphoren diese Knotenpunkte Terras befallen haben und in ihrem Sinne beeinflussen, wäre das eine Katastrophe.«
Alle nickten. Es ging dabei nicht nur um sensible Daten, sondern um ein ganzes Netzwerk aus möglichen Zugriffen auf andere relevante Technikverbünde. Die Terraner waren von Positroniken umgeben, erleichterten sich mit ihnen das Leben. Was geschah, wenn sich die Maschinen gegen sie wandten, war ein Szenario des Grauens.
Rhodan hoffte, dass der tefrodische Mutant Dienbacer Klarheit und im schlimmsten Fall Abhilfe schaffen konnte. Im Grunde hatte Vetris-Molaud ihnen die Hilfe Dienbacers bereits zugesagt: Falls Rhodan bereit wäre, persönlich im Helitassystem aufzutauchen, würde er Dienbacers Unterstützung erhalten.
Ob der Diktator sich an sein Wort hielt, blieb abzuwarten.
Da niemand etwas ergänzte oder fragte, fuhr Rhodan fort. »Außerdem habe ich weitere Ziele.« Er blickte zu Germo, der aus einer anderen Zeit kam. »Ich will die Meister-Statue Zeno Kortins mit eigenen Augen sehen und abschätzen, ob sie eine Gefahr darstellt. Vielleicht finden wir einen Weg, wie sie sich ausschalten und zerstören lässt. Hierfür werden wir MUTTER an Bord der SAMY GOLDSTEIN zu Rate ziehen. Sie hat relevante Daten aus der Zukunft über die Meister-Statue und verfügt über außergewöhnliche Möglichkeiten.«
Das Kleinraumschiff konnte sich aus dem Stand heraus versetzen und verstand es, sich meisterlich zu tarnen. Es war ein zusätzliches Hilfsmittel, sollten die Winker versagen.
Germo zog die Schultern hoch. »Denkst du, es gibt den Mannthron bereits?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn ich unserem Geheimdienst glauben kann, nein. Die Meister-Statue ist bislang nicht mit einer Art Thron verschmolzen, auf dem Vetris sitzt. Dennoch könnte der Geist Zeno Kortins den Tamaron beraten. Vielleicht spielt er ihm Informationen und Machtmittel aus der Zeit der Meister der Insel zu.«
Rhodan verkniff es sich, auf Germos Schulter zu schauen. Ob der Psi-Induktor, der latente Paragaben verstärken und zum Ausbruch bringen konnte, auf das Wirken der Zeno-Kortin-Statue zurückging? War er ein Geschenk aus der Vergangenheit für einen machtbesessenen Diktator?
»Ich hätte das grüne Mistding schon auf Connoort zerstören sollen«, sagte Gucky. Obwohl er flapsig klang, sah Rhodan den Schauer, der durch den Körper des Ilts lief.
Gucky hatte gehörigen Respekt vor dem Relikt aus der Zeit der Meister der Insel. Er war dabei gewesen, als Vetris-Molaud die Statue mithilfe von Mutanten zum Leben hatte erwecken wollen.
Inwieweit der Versuch tatsächlich geglückt war, wussten sie nicht mit Sicherheit. Doch Germos Berichte aus seiner Zeit deuteten darauf hin, dass die Meister-Statue im Laufe der kommenden Jahrhunderte ein enormer Machtfaktor werden würde.
Farye beugte sich vor. »Und – was noch? Du sprachst von mehreren Zielen.«
»Ich will herausfinden, wo Vetris derzeit steht. Ja, er hat mich und Bostich damals an die Atopen verkauft, keine Frage. Aber wo bezieht er Position in unserer aktuellen Lage? Wir haben die Pläne zum ParaFrakt-Schirm vorangebracht. Wir sind wertvolle Verbündete gegen die Tiuphoren. Wie nahe steht er den Atopen und Onryonen wirklich? Und wie steht er vielleicht heimlich zu den Tiuphoren? Der Tamaron ist machtbesessen. Es ist denkbar, dass er versucht hat, ein Bündnis einzugehen oder auf irgendeine Weise mit den Tiuphoren zu kooperieren.«
Gucky stieß ein Schnauben aus. »Du glaubst solche Gerüchte? Das hat dieser Agent, dieser Camaxi Texolot uns einzureden versucht. Vergiss es! Wir haben diese Kunstschlächter in der Vergangenheit erlebt. Ich habe ihre Gedanken gelesen. Kein Tiuphore würde ein Bündnis eingehen mit einem Planetenkriecher.«
»Du hast die Gedanken einiger weniger Tiuphoren gelesen. Wir wissen zu wenig über sie, um ein Bündnis ausschließen zu können. Es ist jedenfalls auffällig, dass vor allem die Jülziish in Angriffe und Überfälle verwickelt werden, die Tefroder jedoch kaum.«
Farye runzelte die Stirn. »Du denkst wirklich, Vetris-Molaud könnte mit diesen Bestien gemeinsame Sache machen?«
»Es sind eine Menge Dinge möglich. Eben deshalb brauche ich dich und Germo in der Hauptstadt. Findet heraus, wie die Stimmung ist und welche Gerüchte es gibt.«
Gucky nippte an einem Glas mit Karottensaft. »Ich sorge dafür, dass ihr unerkannt ankommt, sobald wir in Planetennähe sind.«
»Du wirst vielleicht in eine Überwachungsoptik geraten«, sagte Rhodan. »Unser Geheimdienst sagt Vetris nach, dass er seinen Planeten mit Optik- und Orterausstattung samt fünfdimensionaler Messungen genauestens im Blick hat. Er ist mit Mutanten vertraut. Am besten springst du mehrfach, verwischst deine Spur und sorgst für Ablenkung.«
Gucky zeigte seinen Nagezahn. »Soll ich den Tamaron in seinem Schlafzimmer besuchen?«
»Etwas in der Art. Nur eine Nummer unauffälliger und weniger selbstmordgefährdend. Ich bin sicher, dir fällt etwas ein.« Rhodan schaute in die Runde. »Hat jemand eine Frage?«
Niemand sagte etwas. Nachdem er die Versammlung beendet hatte, blieb Rhodan noch eine Weile sitzen, während die anderen nacheinander den Besprechungsraum verließen.
Er zog die beiden Zeichnungen zu sich, die Cascard Holonder liegengelassen hatte. Die erste zeigte einen elfzackigen Stern, das Wahrzeichen und den Regierungssitz des Neuen Tamaniums – den Stern von Apsuma. Die zweite stellte einen der Techno-Skorpione dar, die Vetris-Molaud begleiteten und bewachten.