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1. Auflage 2016
© 1962, 1997, 2016 der deutschsprachigen Ausgabe:
cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Neubearbeitung 2016
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien 1956 unter dem Titel:
»Five On a Secret Trail« bei
Hodder and Stoughton Ltd, London.
Enid Blytons Unterschrift und »Fünf Freunde«
sind eingetragene Warenzeichen von Hodder and Stoughton Ltd.
© 2016 Hodder and Stoughton Ltd.
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Marita Mooshammer-Lohrer
Bearbeitung: Kerstin Kipker
Umschlagabbildung und Innenillustrationen: Gerda Raidt
Umschlaggestaltung: semper smile, München
SaS · Herstellung: AJ
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-17092-9
V002
www.cbj-verlag.de
Empfindliche George
»Mutter! Mutter, wo bist du?«, rief George, als sie ins Haus stürmte. »Mutter! Schnell!«
Aber nichts rührte sich. Georges Mutter war im Garten hinter dem Felsenhaus, um Blumen zu holen.
George rief noch einmal, jetzt mit der ganzen Kraft ihrer ohnehin sehr lauten Stimme: »Mutter! Mutter! Wo bist du? Es ist wichtig!«
Im Haus wurde eine Tür aufgerissen und Georges Vater erschien. Er musterte seine Tochter. »George! Was soll dieser Lärm? Ich stecke mitten in einer schwierigen …«
»Vater, Timmy ist verwundet!«, rief George. »Er sprang …«
Ihr Vater schaute auf Timmy, der geduldig hinter George stand, und schnaubte hörbar. »Verwundet! Mir scheint, er ist kerngesund. Wahrscheinlich hat er sich wieder einen Dorn eingetreten – und gleich denkst du, die Welt geht unter, schreist durchs ganze Haus und …«
»Aber Timmy ist wirklich verwundet«, unterbrach George ihn und unterdrückte krampfhaft die Tränen. »Sieh doch.«
Aber ihr Vater war wieder in sein Arbeitszimmer zurückgegangen und knallte die Tür.
»Na, George, was ist denn nur wieder los?«, erkundigte sich ihre Mutter, die nun hereinkam.
»Mutter, Timmy hat sich verletzt.« George schluchzte. »Sieh nur!«
Sie kniete neben dem Hund nieder und klappte vorsichtig ein Ohr nach vorn. Hinter dem Ohr war eine Risswunde, die stark blutete. Timmy winselte leise und in Georges Augen standen Tränen.
»Wie ist das denn passiert?«, fragte die Mutter und sah sich die Wunde an.
»Er wollte über einen Graben springen und hat den Stacheldraht nicht gesehen«, berichtete George.
»Geh mit ihm zum Tierarzt«, riet die Mutter. »Vielleicht muss die Wunde genäht werden. Sie scheint mir doch recht tief zu sein. Armer, guter Timmy, ein Glück, dass es nicht das Auge war.«
In größter Eile sauste George mit Timmy über die Feldwege bis zu dem Haus des Tierarztes. George war sehr besorgt und atmete auf, als sie merkte, dass der Arzt, der Timmy gut kannte, die Sache nicht allzu ernst nahm.
»Ein paar Stiche, dann heilt das schön zu«, meinte er. »Wirst du ihn halten, während ich die Wunde behandle? Er wird kaum etwas spüren. So, alter Knabe – halt still, so ist’s recht!«
Fünf Minuten später bedankte sich George herzlich bei dem Arzt.
»Schon gut, George. Jetzt darfst du ihn nur nicht sich an der Wunde kratzen lassen«, sagte der Tierarzt, während er sich die Hände wusch.
»Ja, was soll ich denn dagegen tun?«, fragte George besorgt.
»Du musst ihm einen großen Kragen aus Pappe machen«, erklärte der Tierarzt, »rund um den Hals und weit abstehend, damit er mit der Pfote nicht an die Wunde herankommt.«
»Aber Timmy wird das nicht mögen«, gab George zu bedenken.
»Es ist aber die einzige Möglichkeit, ihn am Kratzen zu hindern«, meinte der Arzt und rief den nächsten Patienten auf.
George machte sich mit Timmy auf den Heimweg. Als sie schon beinahe zu Hause waren, setzte Timmy sich plötzlich hin und wollte mit der Hinterpfote sein verwundetes Ohr kratzen.
»Nein! Timmy, nein!«, rief George aufgeregt. »Du darfst dich nicht kratzen! Sonst geht die Wunde wieder auf!«
Timmy schaute sie fassungslos an. Nun gut, wenn das Kratzen George plötzlich so aufregte, würde er damit eben warten, bis er allein war. Aber George durchschaute Timmy.
»Verflixt! Ich muss ihm tatsächlich diesen Pappkragen machen. Vielleicht hilft Mutter mir dabei.«
Die Mutter half ihr gern. George sah zu, wie ihre Mutter den Kragen aus Pappkarton ausschnitt, ihn um Timmys Hals legte und die Enden mit Klebeband zusammenfügte. Timmy schaute verdutzt drein, aber er hielt geduldig still.
Als der Kragen fest um seinen Hals saß, versuchte er mit den Vorderpfoten den ungewohnten Halsschmuck abzustreifen. Als das nicht gelang, hob er die Hinterpfote, um sein Ohr zu kratzen, aber auch das blieb erfolglos. Er kratzte nur den Pappkarton.
»Mach dir nichts draus, Timmy«, tröstete George ihren Hund, »in ein paar Tagen ist alles vorbei.«
Da kam Georges Vater aus dem Arbeitszimmer. Als er Timmy mit dem Kragen sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Dann lachte er: »Ach, Timmy, du siehst mit deiner prachtvollen Halskrause aus wie Königin Elisabeth I.!«
»Lach nicht über ihn, Vater«, sagte George vorwurfsvoll. »Du weißt doch, Hunde vertragen es nicht, wenn man sie auslacht.«
Timmy schien tatsächlich gekränkt zu sein. Er wandte Georges Vater seine Kehrseite zu und begab sich sichtlich beleidigt in die Küche. Von dort kam ein leises Kichern und dann lachte jemand an der Küchentür laut auf. Es war der Milchmann.
George war wütend und blieb es den ganzen Tag über. Jeden, der nur den Mund aufmachte, um etwas über die komische Halskrause zu sagen, fauchte sie wild an. Wie gemein von den Leuten, sich über Timmy lustig zu machen! Hatten sie denn kein Mitleid?
»George, Liebling, nimm es doch nicht so schwer«, sagte ihre Mutter. »Er wird sich bald daran gewöhnen.«
»Alle lachen über ihn«, grollte George.
»Bald kommt Anne zu Besuch. Das bringt dich und Timmy auf andere Gedanken.«
Anne war Georges Cousine. Und George hieß eigentlich nicht George, sondern Georgina. Sie wurde ihrer ruppigen Art wegen oft – sehr zu ihrem Gefallen – für einen Jungen gehalten
George hielt es noch einen Tag aus. Dann aber, nachdem sie wegen Timmy Streit mit ihrem Vater, mit drei spottenden Jungen und mit dem Zeitungsjungen gehabt hatte, beschloss sie, keinen Tag länger im Felsenhaus zu bleiben.
»Wir nehmen mein kleines Zelt und gehen zusammen irgendwohin. Nur du und ich«, teilte sie Timmy mit. »Wir suchen uns einen Platz, wo niemand dich sieht, bis die Wunde verheilt und der schreckliche Kragen weg ist.«
»Wuff«, machte Timmy, als wäre er mit Georges Vorschlag einverstanden.
So schlich also George in der nächsten Nacht, als im Felsenhaus alles still war, mit Timmy die Treppe hinunter. Auf den Esszimmertisch legte sie einen Zettel. Leise holte sie ihr Fahrrad aus dem Schuppen und schnallte ihr Zelt und den Rucksack darauf, in dem sich Wechselkleidung und Proviant befanden.
»Nun komm schon«, flüsterte sie Timmy zu. »Wir hauen ab. Ich fahr ganz langsam und du läufst nebenher. Bell um Himmels willen nicht!«
Am nächsten Morgen gab es ziemlichen Wirbel im Felsenhaus.
»Ach du liebe Zeit!«, rief Georges Mutter, als sie den Brief gelesen hatte. »Schau, Quentin, George ist mit Timmy ausgerückt. Wer weiß, wohin.«
Ihr Mann griff nach dem Zettel und las ihn vor:
»Liebe Mutter! Ich gehe für ein paar Tage mit Timmy fort, bis sein Ohr besser ist. Ich habe mein Zelt und einige Sachen mitgenommen. Mach dir bitte keine Sorgen. Sag Anne, sie soll ans Ende des Birkenweges kommen, wenn sie mit mir zelten will. Ich werde sie dann dort um zwölf Uhr abholen. Herzlichen Gruß, George.«
Anne als Dritte im Bunde
Als Anne ankam, war sie enttäuscht, dass Timmy und George sie nicht mit lautem Hallo begrüßten. Tante Fanny erzählte Anne von Timmys Verletzung und dem großen Pappkragen, der an allem schuld war.
Anne musste lachen. »O Tante Fanny! George geht nichts über ihren Timmy, stimmt’s? Ich werde natürlich ein oder zwei Tage mit ihr zelten. Onkel Quentin wird froh sein, wenn er uns los ist.«
»Wie geht es Julian und Dick?«, erkundigte sich ihre Tante. Sie hatte ihre Neffen, Annes Brüder sehr gern. »Kommen Julian und Dick in diesen Ferien nicht zu uns?«
»Keine Ahnung«, sagte Anne. »Sie sind noch in Frankreich auf Klassenfahrt. Die beiden fehlen mir in den Ferien sehr – und George wird sie sicher auch vermissen!«
Punkt zwölf Uhr stand Anne geduldig am Birkenweg, einem schmalen, gewundenen Pfad zwischen Ginsterbüschen und schlanken Birken.
»Verflixt!«, schimpfte Anne. »George wird mich doch nicht vergessen haben?«
Sie setzte sich neben einen großen Ginsterbusch in den Schatten. Kaum hatte sie sich niedergelassen, zischte es in unmittelbarer Nähe: »Psssssst!«
Anne fuhr hoch. Sie sprang auf und ging um den Busch herum. Da saßen George und Timmy halb verdeckt unter den Zweigen.
»Hallo!«, rief Anne überrascht. »Hallo, Timmy, Guter! Wie geht’s deinem kranken Ohr? Er sieht wirklich putzig aus mit diesem Kragen, George!«
George kroch unter dem Busch hervor. »Ich habe mich hier versteckt, falls Vater oder Mutter mitgekommen wäre, um mich nach Hause zu holen«, erklärte sie. »Ich bin froh, dass du gekommen bist, Anne!«
»Natürlich bin ich gekommen«, erwiderte Anne. »Was soll ich denn allein im Felsenhaus? Ich verstehe übrigens, dass du mit Timmy losgezogen bist. In dem Kragen sieht Timmy wirklich ulkig aus, aber eigentlich auch sehr lieb.«
George war dankbar, dass Anne nicht wie die meisten Leute über Timmy gelacht hatte. Sie lächelte ihrer Cousine zu, und Timmy sprang so begeistert an Anne hoch, dass sie fast umfiel.
»Komm, ich zeig dir meinen Zeltplatz«, sagte George. »Er wird dir sicher gefallen. Ganz in der Nähe ist eine Quelle, also haben wir genug Wasser zum Trinken. Hast du noch etwas zu essen dabei?«
»Tante Fanny hat mir Berge von Broten zurechtgemacht. Sie ist dir nicht böse, George.«
George war plötzlich viel besser gelaunt und sie machten sich auf den Weg. Timmy folgte ihnen dicht auf den Fersen. Ab und zu schoss er davon, wenn er ein Kaninchen gewittert hatte.
»Wann kommen Julian und Dick?«, wollte George wissen.
»Vielleicht kommen sie in diesen Ferien überhaupt nicht«, meinte Anne.
Georges Gesicht verfinsterte sich sofort. Sie blieb stehen und starrte Anne bestürzt an. »Was? Aber sie sind doch in den Ferien immer gekommen! Oder wir sind zusammen irgendwohin gefahren«, sagte sie. »Ohne Julian und Dick macht es überhaupt keinen Spaß.«
George war jämmerlich zumute. Nun lagen die Ferien vor ihnen und plötzlich drohten sie total langweilig zu werden. Die Jungs hatten immer Stimmung ins Haus gebracht. Wie viele Abenteuer hatten sie schon zusammen erlebt! Und nun kamen sie nicht!
»Wenn die Jungen nicht kommen, ist hier total tote Hose«, sagte sie und seufzte.
»Mir macht das nicht so viel aus«, meinte Anne. »Ich brauch nicht immer irgendwelche Abenteuer wie du und die Jungen.«
»Ich kann mir Ferien ohne die Jungen überhaupt nicht vorstellen«, jammerte George. »Wir wären dann doch nicht die berühmten fünf Freunde.«
Mit »Wuff!« gab Timmy seine Zustimmung. Er ließ sich nieder und versuchte wieder einmal vergebens sein Ohr zu kratzen. Doch schien er es nicht tragisch zu nehmen. Sekunden später jagte er einem Kaninchen nach.
»Sind wir bald da? Wir laufen schon ziemlich lange«, fragte Anne im Weitergehen.
»Wir müssen noch auf den Hügel vor uns hinauf und auf der anderen Seite hinunter«, erklärte George. »In der Nähe steht eine Hütte, ’ne richtige Bruchbude. Am Anfang dachte ich noch, da wohnen Leute drin, doch dann hab ich gesehen, dass das Ding bald zusammenkracht. Das Schönste sind noch die Wildrosen drum herum, die wachsen innen und außen und scheinen die Bude zusammenzuhalten.«
»Kann man in der Nähe irgendwo baden?«, fragte Anne.
»Ich weiß nicht. Wir können die Gegend ja mal richtig auskundschaften«, schlug George vor. »Mein Badezeug habe ich für alle Fälle dabei. Sieh mal, jetzt kannst du einen Teil der Hütte sehen. Mein Zelt steht gleich dahinter. Ich wollte näher an der Quelle sein.«
Bald hatten sie Georges Lagerplatz erreicht.
»Ich habe Hunger, wollen wir nicht erst mal essen? Tante Fanny hat Dutzende von Broten geschnitten«, erzählte Anne. »Sie sagte, wenn wir sie in dieser Dose aufbewahren, trocknen sie nicht aus und reichen ein, zwei Tage, bis wir eben wieder zurückkommen.«
Sie setzten sich in die Sonne und machten sich über die Schinkenbrote her. Timmy war mit einigen Hundekuchen beschäftigt und bekam ab und zu ein Stück Brot. Als sie durstig wurden, schnappte sich George einen Becher und zeigte Anne die Quelle. Offensichtlich war sie von den Leuten benutzt worden, die die alte Hütte bewohnt hatten. Sie war mit Steinen eingefasst und das Wasser sprudelte kristallklar durch eine steinerne Rinne.
»Es ist eiskalt!«, rief Anne. »Einfach köstlich!«
Sie setzten sich mit ihrem kühlen Getränk wieder ins Heidekraut. »Es ist friedlich hier«, sagte Anne. »Weit und breit kein Mensch. Nur Vögel und Kaninchen. So gefällt’s mir.«
Kaum hatte sie das gesagt, drang aus der Ferne ein Geräusch herüber, ein greller Ton, als ob Metall auf Stein schlug. Sie hörten es noch einmal und noch ein drittes Mal, dann war es wieder still.
»Was war das?«, fragte George neugierig.
»Ich weiß nicht.« Anne zuckte die Schultern.
Nach einer Weile hörten sie es noch einmal und wieder wurde es still. Die beiden Mädchen machten die Augen zu und schliefen ein.
George wachte auf, als Timmy von einem Spaziergang zurückkehrte.
»Timmy! Woher hast du den Knochen?« rief sie. »Anne, hast du ihm einen Knochen mitgebracht?«
»Einen Knochen?«, murmelte Anne noch halb im Schlaf. »Nein, hab ich nicht. Warum?«
»Weil Timmy einen gefunden hat«, erklärte George. »Und an dem Knochen ist gekochtes Fleisch, es ist also kein Kaninchen oder etwas, was Timmy gefangen hat. Timmy, wo hast du den her?«
»Wuff!«, antwortete Timmy, wedelte mit dem Schwanz und widmete sich wieder der Leckerei. Er wirkte zufrieden.
Plötzlich hörten sie das metallene Geräusch wieder und George zog die Stirn kraus.
»Ich glaube, es ist doch noch ein Zeltplatz in der Nähe, Anne. Komm, wir wollen es auskundschaften und uns vergewissern. Ich bin dafür, dass wir unser Zelt verlegen, wenn jemand in der Nähe ist. Komm, Timmy!«