Originalausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2016
Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt
Umschlagabbildungen Zeichnung Heinrich Mann © Eva Herrmann/VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Zeichnung Klaus Mann © Thea Sternheim/Heinrich Enrique Beck-Stiftung, Basel
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc.
All Rights Reserved.
Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.
Satz Dörlemann Satz, Lemförde, Germany
ISBN 978-3-644-05371-7
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-05371-7
Am 20. November 1905 schreibt Thomas Mann seinem Bruder Heinrich einen Brief. Er berichtet, dass er nun Vater geworden sei; seine Frau Katia hatte am 9. November die Tochter Erika geboren: «Es ist also ein Mädchen: eine Enttäuschung für mich, wie ich unter uns zugeben will, denn ich hatte mir sehr einen Sohn gewünscht und höre nicht auf, es zu thun. Warum? ist schwer zu sagen. Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meinerselbst unter neuen Bedingungen. Oder so. Nun, er braucht ja nicht auszubleiben.»
Ein Jahr später, fast auf den Tag genau, erfüllte Katia den Wunsch ihres Mannes. Der ersehnte Sohn kam am 18. November 1906 zur Welt: «Vergnügten Herzens melde ich Dir die glückliche Geburt eines wohlgebildeten Knäbleins.»
Mit diesen Worten informierte der stolze Vater den Freund Kurt Martens über die Ankunft des neuen Erdenbürgers, der bei der Taufe die Vornamen Klaus Heinrich Thomas erhielt.
Klaus Heinrich Thomas Mann: Was für eine Hypothek! Der Rufname «Klaus» nahm Bezug auf den Lieblingsbruder der Mutter: Katias Zwilling Klaus Pringsheim, den Musiker und Dirigenten, der später Richard Strauss, Richard Wagner und seinen Lehrer Gustav Mahler in Tokio und im pazifischen Raum heimisch machen sollte. «Heinrich»: Das war die Reverenz an den großen Bruder des Vaters, dessen Ruhm damals den des Jüngeren zeitweilig überstrahlte. Und schließlich «Thomas», der Vater, der von dem Neugeborenen eine Vervollkommnung und Erweiterung der eigenen Existenz erhoffte.
«Das Werk des Vaters steht vor uns, und wir bilden uns und lernen von ihm.»
So lautete das brave Bekenntnis des knapp zwanzigjährigen Klaus Mann. Doch in Wirklichkeit war er schon früh um Abgrenzung vom berühmten Vater bemüht. Er lebte, sobald er das Münchner Elternhaus verlassen hatte, in vieler Hinsicht einen Gegenentwurf zur Existenz des ‹Zauberers›. Während Thomas Mann in seinem abgeschirmten Arbeitszimmer mit eiserner Disziplin Weltliteratur produzierte, nach einem genau geregelten Tagesplan, wählte der älteste Sohn eine ruhelose Existenz, die ihn von Ort zu Ort trieb, von einem Hotelzimmer zum nächsten. Während der Vater die Neigungen zur Homosexualität unterdrückte und ein gutbürgerliches Leben führte, machte Klaus Mann aus seiner Veranlagung zur gleichgeschlechtlichen Liebe keinerlei Geheimnis – weder in seinen Werken noch im Alltag. Und während Thomas Mann ein repräsentatives, geordnetes Dasein führte und sich selbst jegliche Exzesse versagte, wählte Klaus ein freies und ausschweifendes Leben, das ihn oft an Abgründe und in Grenzsituationen führte. In seiner ersten Autobiographie «Kind dieser Zeit» hat der Sohn die Unterschiede zwischen sich und dem Vater präzise benannt: «Das Extravagante, Exzentrische, Anrüchige gegen das maßvoll Gehaltene; das irrational Trunkene gegen das von der Vernunft Gebändigte und Beherrschte. Während ich diese Gegensätze konstruierte und auch wirklich erlebte, war mir natürlich am Beifall keines Menschen wie an seinem gelegen.»
Und Heinrich Mann, der Onkel? Es gibt nicht viele Zeugnisse über den Einfluss Heinrich Manns auf die heranwachsenden Kinder seines Bruders Thomas. Vermutlich haben sie ihn nicht oft gesehen in jungen Jahren – auch dank der großen politischen Entzweiung zwischen Thomas und Heinrich, dem ‹Bruderzwist› in den Jahren 1914 bis 1922. Für Klaus Mann war das die Zeit zwischen seinem achten und seinem sechzehnten Lebensjahr, eine für jeden Menschen prägende Phase. Doch auch aus der Zeit der Versöhnung der Brüder sind wenige Kontakte bekannt.
Im Oktober 1923 schreibt Thomas Mann seinem Bruder aus Bozen. Die ältesten Kinder Klaus und Erika, 16 und 17 Jahre jung, hatten heimlich eine Reise nach Berlin unternommen und dort ausgiebig das Nachtleben genossen, den Eltern aber erzählt, sie gingen in Thüringen mit Freunden wandern. Die Sache flog auf, und Onkel Heinrich musste als erzieherische Autorität herhalten. Der bekümmerte Vater schrieb dem älteren Bruder erleichtert: «Dank, daß ihr halft, den schlimmen, instinktlosen Kindern den Kopf zu waschen. Gott wecke ihnen den Verstand mit der Zeit!»
Das erste erhaltene Stück Korrespondenz zwischen Klaus und Heinrich Mann ist eine Postkarte. Am 26. März 1924, einen Tag vor Heinrichs 53. Geburtstag, schicken Erika und Klaus dem Onkel einen Glückwunsch in die Leopoldstraße nach Schwabing, handgeschrieben von Erika: «Lieber Onkel Heinrich! Zu Deinem Geburtstag gratulieren wir Dir sehr schön. Hoffentlich geht es Dir gut, – wir haben Dich ja schon so sehr lange nicht mehr gesehn. Dürfen wir nicht einmal wiederkommen, – ehe Klaus und ich endgültig von München weggehn? – Nochmals alles Gute und beste Grüße auch an Tante Mimie von Erika und Klaus.»