Dominic Musa Schmitz
Ich war ein Salafist
Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt
Aufgeschrieben
von Axel Spilcker
Econ
Das Buch
Mit 17 gerät er an eine Moschee-Gemeinde, in der Sven Lau wirkte. Dominic wird fanatischer Salafist. Er lebt streng nach Koran und Sunna, trägt Pluderhosen und Gebetsmütze, stimmt in »Alahu akbar«-Rufe mit ein und hört auf, Frauen die Hand zu geben.
Zu beten und Menschen zu missionieren wird sein neuer Lebensinhalt. Er wird Assistent des salafistischen Predigers Sven Lau, der die Propaganda übers World Wide Web für sich entdeckte. Dominic hilft ihm, via YouTube Clips zu verbreiten und damit die radikale Spielart des Islam in Deutschland zu verwurzeln. Einige seiner Brüder driften so sehr ab, dass sie sich der Terrormiliz »Islamischer Staat« anschließen.
In seinem Buch erzählt Dominic Musa Schmitz, warum er sich dem Islam und dem Salafismus zuwendete. Er berichtet, wie sich die Szene um Pierre Vogel und Sven Lau radikalisierte und was er dort erlebte: extremen Hass und bigotte Heuchelei, vorgestanzte Denk- und Sprechschablonen, unbedingten Willen zum Gehorsam. Nach und nach begreift Dominic, dass sein Heil nicht im Salafismus liegt. Er will sich nicht mehr vorschreiben lassen, was er zu denken und fühlen hat. So kehrt er Schritt für Schritt zurück aus der salafistischen Finsternis.
Ein schockierender und brisanter Insider-Bericht, der die salafistische Gefahr für alle greifbar macht.
Der Autor
Dominic »Musa« Schmitz, * 1987, wuchs nahe Mönchengladbach auf und befreite sich 2013 endgültig aus den Fängen des Salafismus. Heute betreibt er einen Online-Handel für Düfte und ist in der Aufklärungsarbeit tätig – unter anderem mit seinem YouTube-Kanal »MusaAlmani«, in dem er für einen friedlichen Islam wirbt.
»Ich halte Dominic Schmitz für eine Schlüsselfigur bei der Auseinandersetzung mit dem deutschen Salafismus, da er aufgrund seines eigenen Werdegangs gerade für diese gefährdeten Jugendlichen authentisch ist und somit einen großen Beitrag für eine Deradikalisierung leisten kann. Und ich bewundere sein Engagement, das nicht ganz ungefährlich für ihn ist, und seinen Mut.«
Claudia Dantschke – Leiterin von HAYAT-Deutschland, Beratungsstelle Deradikalisierung
Dominic Musa Schmitz
Ich war ein Salafist
Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt
Aufgeschrieben
von Axel Spilcker
Econ
Um die Persönlichkeitsrechte einiger Akteure zu wahren, wurden Namen und Details verändert. Alle in diesem Buch dargestellten Ereignisse, Szenen und Dialoge haben sich aber wie beschrieben so oder in sehr ähnlicher Weise abgespielt.
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ISBN: 978-3-8437-1254-5
© der deutschsprachigen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Umschlaggestaltung: FHCM GRAPHIS, Berlin
Titelfoto: © Hans Scherhaufer, Berlin
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Über das Buch und den Autor
Titelseite
Impressum
Prolog
Vom Kiffer zum strenggläubigen Konvertiten
Rebellischer Eiferer
Engel und Dämonen
Musa, der Deutsche
Der digitale Brandstifter
Hochzeit binnen einer Woche
Die große Wallfahrt mit Pierre Vogel
Freund, Salafist, Terrorist
New Muslim Army
Meine dritte Pilgerfahrt
Der Zerfall der Sunnah-Moschee
Leben in zwei Welten
Schlüsselerlebnisse zum Ausstieg
Frag den Musa
Danksagung
Feedback an den Verlag
Empfehlungen
Da steht er unten vor der Haustür und krakeelt zu mir hoch in den dritten Stock.
»Dominic, komm runter«, brüllt der ungebetene Besucher durch die Sprechanlage.
»Warum?«, frage ich gereizt.
»Los, komm aus deiner Wohnung!«
Die Stimme nimmt einen bedrohlichen Unterton an: »Dominic, komm jetzt runter und sag mir das mal alles ins Gesicht«, schreit der Mann.
Ich gehe zum Fenster und betrachte mir den Wüterich unten auf dem Bordstein eine Weile. Er trägt einen Vollbart, ist Anfang 30, mittelgroß und trommelt permanent gegen die Haustür. Ein diffuses Gefühl der Angst beschleicht mich. Ismail, so wollen wir ihn nennen, führt sich auf wie ein Wahnsinniger.
Wohlweislich spricht er mich nicht mit meinem muslimischen Namen Musa an, so wie er mich früher genannt hat, als wir noch Freunde waren.
In seinen Augen bin ich ein Verräter, ein Aussteiger, kein wahrer Muslim mehr. Einer, der sich in seinem Videoblog sowie in Interviews mit TV- und Printmedien gegen das radikal-islamische Gedankengut der hiesigen Salafisten-Szene wendet. Einer jener vermeintlich weichgespülten Muslime, die dem wahren Glauben den Rücken gekehrt haben. Für ihn bin ich ein Abtrünniger, kein Bruder mehr.
In meinen YouTube-Clips wende ich mich offen gegen die Propaganda führender Hassprediger wie Pierre Vogel, Sven Lau oder Ibrahim Abou Nagie. Sie treiben Hunderte junger sinnsuchender Menschen mit falschen Dogmen über den Islam den Terrormilizen »Islamischer Staat« (IS) oder »Dschunud asch-Scham« in Syrien und im Irak in die Arme.
Drei meiner Weggefährten folgten dem Lockruf in den »Heiligen Krieg« gegen die Ungläubigen, die Kuffar. Einer dieser Dschihadisten kommandiert inzwischen eine »deutsche Einheit« einer tschetschenischen IS-Truppe. Dabei war Daniel früher ein eher scheuer, friedfertiger Mensch gewesen. Im Laufe der letzten Jahre wandelte er sich zu einem Hardcore-Salafisten.
Unten beginnt Ismail an meiner Haustür zu rütteln: »Komm jetzt runter und zeig, dass du so cool bist wie auf den Videos.«
So wie er reagieren viele meiner ehemaligen Mitstreiter, wenn sie mich auf der Straße in Mönchengladbach sehen. Die Brüder von einst wenden das Prinzip des Takfir gegen mich an: Ihrer Meinung nach bin ich ein Ausgestoßener aus der Gemeinschaft der wahren Gläubigen, weil ich mich von ihrer kruden salafistischen Lehre abgewandt habe.
Für sie gibt es keine Freundschaft zwischen Christen und Muslimen, keinen Frieden, sondern nur die islamische Mission (Da’wa). Wer sich weigert, den Glauben Allahs anzunehmen, wird auf ewig in der Hölle bestraft. So einfach, so unsinnig sind die Regeln.
Leute wie der Schreihals Ismail da unten sagen: »Du bist ein Heuchler, deswegen bist du raus.« Andere wiederum argumentieren: »Du bist sowieso raus, weil du nicht mehr unserem Weg folgst.« So oder so ist für mich das Leben nach meinem Ausstieg nicht leichter geworden.
Im Gegenteil. In Mönchengladbach geht es zu wie in einem großen Dorf. Zwangsläufig läuft man sich hier immer wieder über den Weg. Das gilt auch für ehemalige Freunde, die heute meine Feinde sind. Deshalb schaue ich mich immer wieder um, wer kommt aus welcher Richtung? Sobald ich meine Wohnung verlasse, schaltet mein Gehirn in eine Art Alarmmodus um. Automatisch scanne ich mein Umfeld, ein normales Leben ist längst nicht mehr möglich. Dreimal stand ich kurz vor einer Schlägerei. Im Internet und in den Kommentaren zu meinem Videoblog häufen sich die Drohungen.
Wenn ich etwa über die Kirmes in meinem Heimatviertel laufe, werfen mir viele junge Muslime böse Blicke zu. Oft sind es Jugendliche, die alles andere als einen gottgefälligen Lebenswandel betreiben. Sie kiffen, klauen, zocken Handys ab – und doch fühlen sie sich als die wahren Anhänger Allahs.
Ich aber gelte als der Heuchler (Munafiq), als ungläubiger Hund. Für salafistische Hardliner gibt es da nur ein Urteil: den Tod, weil ich ein sogenannter Abtrünniger bin (Murtad). Eine abstruse Weltsicht – gewiss, aber dennoch real und gefährlich.
Bis vor wenigen Jahren habe ich in vielen Aspekten genauso eindimensional gedacht, genauso gefühlt wie meine Gegner heute. Musa al-Almani haben sie mich damals genannt. Musa, der Deutsche. Musa, der Salafist. Ich war ein fanatischer Jünger Allahs.
Mit 17 Jahren bin ich zum Islam konvertiert, abgetaucht in eine fundamentalistische Parallelwelt voller Hass gegen alle Andersdenkenden, gegen die »ungläubigen« Christen und Juden. Vollgepumpt mit einer unbändigen Wut auf die normalen Bürger in meiner Heimatstadt Mönchengladbach, die nichts mit dem Koran am Hut hatten.
Ich war Musa, der Konvertit, ein Feind westlicher Werte, ein Gegner moderner Kleidung. Für mich gab es keine Musik mehr, kein Fernsehen, keine Frauen, keine Party, kein Spaß – keine Hobbys, keine Diskussion mehr, kein Nachdenken, kein kritisches Hinterfragen. Mein Leben orientierte sich an der Sunna, der Handlungsweise des Propheten Mohammed aus dem Frühmittelalter. Weltliche Gesetze kümmerten mich nicht. Als einzige Richtschnur folgte ich der Scharia, der islamischen Gesetzessammlung, die untreue Eheleute steinigen lässt und Dieben die rechte Hand abtrennt.
Doch das ist jetzt vorbei.
»Hör auf, über die Leute Lügen zu verbreiten«, schallt es zu mir herauf. Ismail redet sich weiter in Rage.
»Ich habe es nicht nötig, mich mit dir auseinanderzusetzen«, sage ich in die Sprechanlage. »Ich habe auch keine Angst vor dir.«
»Das ist mir egal«, erwidert Ismail, »die Zeit des Streichelns ist vorbei«, droht er in seiner sonderbar blumigen Sprache, die so typisch ist für Salafisten.
Lange Zeit dachte ich genauso wie der Randalierer an meiner Haustür, verblendet von der Idee, dass im Islam nur ein Gut oder Böse existiert. Wer nicht richtig glaubt, wer am Tag nicht fünf Mal die Gebete spricht und sich an die archaisch-salafistische Auslegung der Gebote des Propheten hält, der war in meinen Augen kein richtiger Muslim.
Ich folgte den Hasspredigern Pierre Vogel und Sven Lau, inzwischen Stars der stetig wachsenden Islamisten-Szene hierzulande. Vogel, ein Ex-Boxer aus Köln, gab mir im Jahr 2006 kurz nach meinem Übertritt zum Islam den Namen Musa, arabisch für Moses.
Schon damals erkannten beide die Bedeutung der Propaganda via Internet. Sven Lau machte mich zu seinem Videoproduzenten, der seine Botschaften über eigene YouTube-Kanäle ins World Wide Web einspeiste.
Ich gehörte zum engsten Kreis, als die salafistischen Ideologen in Mönchengladbach die Organisation »Einladung zum Paradies« (EZP) gründeten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, und eine ganze Stadt gegen sich aufbrachten.
Ich war Zeuge, wie Vogel und Lau über die Jahre hinweg ihre Anhänger radikalisierten, und bekam hautnah mit, wie sie ihre ursprünglichen Werte verrieten.
Durch die Werbung im Netz erfuhr das Projekt EZP weit über die niederrheinischen Grenzen hinaus ein Riesenecho. Pierre Vogel avancierte zu einem der führenden Web-Imame der Republik. Im Netz erreichte die Salafisten-PR schnell die Resonanz, die die alte Predigergarde um den Leipziger Vorbeter Hassan Dabbagh mit ihren Islam-Seminaren nie erreicht hatte.
EZP schien der Schlüssel für Da’wa zu sein, für die Mission, für den Siegeszug der Salafisten in Deutschland. Ein islamischer Gottesstaat zwischen Schleswig-Holstein und Bayern? Nicht lachen bitte. Es gibt Eiferer, die von so etwas träumen. Diese Menschen wollen keine Wahlen, kein Grundgesetz, kein Parlament, keine Toleranz, kein Miteinander der Religionen. Ginge es nach ihnen, herrschte fortan eine dumpfe islamisch-religiöse Diktatur, gälten Scharia und Todesstrafe.
Davon will ich in diesem Buch erzählen – von der geistigen Brandstiftung, die eine friedliche Religion wie den Islam für ihre militanten Zwecke pervertiert. Ich will von meinem Leben unter radikalen Salafisten berichten, von einem Dasein in einer Sekte, von der schleichenden Gehirnwäsche, an deren Ende ein junger Mann namens Dominic sein ganzes früheres Ich, sein kritisches Denken, sein Selbst ausgeknipst hatte, als würde er seine Seele verkaufen.
Ich erging mich in hohlen Phrasen. Schnell verfestigte sich bei mir das Bild der unterdrückten Muslime durch den Westen, angeführt durch die USA. Unsere Religion macht uns stark, hieß es. Wir weichen keinen Millimeter zurück, lautete die Devise.
Von diesem Standpunkt aus war der Weg nicht mehr weit zur späteren Dschihad-Ideologie. Der Heilige Krieg gegen die Ungläubigen, ausgetragen anfangs in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York, fortgesetzt in Somalia, im Jemen, im nordafrikanischen Maghreb, im Irak und in Syrien – stets erzählte man uns, diese kriegerischen Auseinandersetzungen seien einzig die Schuld des Westens.
Die Flugzeugattacken in die zwei Türme des World Trade Center werteten wir als Fake. Nicht Osama Bin-Laden und sein Terrornetzwerk Al-Qaida standen hinter dem Massenmord. In unserem Kreis kursierten absurde Verschwörungstheorien: Entweder fungierten die Israelis als Drahtzieher oder gar die US-Amerikaner. Wir glaubten, die damalige republikanische Regierung Bush wolle auf diese Weise ihren imperialistischen Feldzug gegen die Muslime legitimieren.
Ich glaubte jedes Wort, jeden Satz der Tiraden der Salafisten-Prediger. Und zwar so sehr, dass ich alle meine Freunde, Bekannten, meine Eltern, mein ganzes früheres Umfeld hinter mir ließ.
Meine Schilderungen beginnen mit einem orientierungslosen Gesamtschüler, der keinen Bock mehr auf die Penne hat. Ich bin ein Scheidungskind. Kiffen, Saufen, Mädels, Rap-Songs bestimmen meinen Alltag – bis ich durch einen marokkanischen Freund den Koran entdecke.
Ich schließe Freundschaften, lerne das Leben in einer islamischen Gemeinschaft, in der Moschee, kennen. Die Menschen sind freundlich. Sie nennen dich Achi (Bruder), sie beten mit dir, sie essen mit dir, sie hören dir zu – du fühlst dich plötzlich ernst genommen, wie befreit. Dein früheres Leben erscheint dir sinnlos, du hast plötzlich deinen Platz gefunden, du willst nur noch eines: Allah dienen.
Du konvertierst, pilgerst nach Mekka, tauschst deine Jeans gegen einen langen Kaftan. Musik ist plötzlich haram (Tabu), keine Frauen, keine durchsoffenen Nächte mehr. Du lässt dir einen Bart wachsen, kürzt die Hosen unten auf die Länge, die schon der Prophet Mohammed getragen haben soll. Auf den Straßen Mönchengladbachs erregt dein orientalischer Aufzug großes Aufsehen – oft auch Kopfschütteln. Die Reaktionen machen dich stolz und wütend zugleich. Du fühlst dich wohl in der Rolle des Außenseiters. Ein Rebell.
Du schottest dich völlig ab. Was zählt, sind nur noch deine täglichen Gebete, die Moschee, deine Brüder, die Mission für die salafistische Bewegung um Sven Lau und Pierre Vogel.
Anfangs hast du noch das Gefühl, selbst entscheiden zu können. Du glaubst, auf dem Weg Gottes zu sein. Du denkst, du tust das einzig Richtige. Allahs Wohlgefallen zu erlangen. Dabei folgst du in Wahrheit nur islamistischen Gelehrten und ihrer radikalen Interpretation des Koran. In der Szene kursieren diese Werke als Leitfaden für das gesamte Leben. Tatsächlich propagieren solche Bücher einzig den Hass auf alles Westliche.
Für mich aber war es die unumstößliche Wahrheit, der wahre Islam. Widerspruch dagegen wäre einem Sakrileg gleichgekommen. Salafismus und Islam waren in meinen Augen eins. In unseren Kreisen gab es nur diese eine Sicht der Dinge, alles andere wäre Verrat gewesen. Nur zu gut ist mir folgender Satz in Erinnerung geblieben: »Du darfst doch selber denken, solange du nicht dem Islam widersprichst.«
Ich habe lange gebraucht, um aus dem Alptraum aufzuwachen. Aber ich habe es geschafft – trotz aller Anfeindungen. Wie ich das erreicht habe und warum, das will ich hier erzählen.
Heute schimpfen mich meine ehemaligen Brüder einen »Wischi-waschi-Muslim«. Sie werfen mir vor, ich würde den Islam verbiegen und wenden, um den Ungläubigen zu gefallen.
Ein friedliches Miteinander kommt für diese Typen nicht in Frage. Einmal sagte mir einer: »Musa, du weißt ja, wir nutzen die Meinungsfreiheit hier, aber in unseren Ländern gibt es die natürlich nicht für Christen.« Es waren Momente, die mich aufhorchen ließen, die mich nachdenklich machten. Heute ist mir klar, dass genau dieser Fakt das Fundament dafür bildet, dass unterschiedliche Religionen friedlich zusammenleben könnten. Ohne die Freiheit im Denken und im Glauben ernte ich nur Hass und Zerstörung. Ich habe lange gebraucht, um mir das bewusst zu machen.
Dennoch bin ich Muslim geblieben. Ich habe meinen Glauben an Allah nicht aufgegeben. Der Islam leitet mich. Die Nähe zu Gott, dem Allmächtigen, ist nach meiner Auffassung nirgends so perfekt, so direkt, so allumfassend wie gerade in dieser Religion. Es gibt keine Engel, keine Heiligen, keine Kirchenväter, die zwischen mir und dem Herrn stehen.
Lässt man die falschen salafistischen Lehren hinter sich, so eröffnet sich ein offener Glauben an den einzigen Gott, der da wohnt im Himmel. Das mag für Atheisten banal klingen, aber mir ist es ein wichtiger Baustein meines täglichen Lebens.
Das heißt nicht, dass ich andere Religionen verabscheue. Ganz im Gegenteil. Ich bin einen langen Weg zurück aus der »Hölle« gegangen, um zu begreifen, dass jeder religiöse Mensch seinen Glauben leben soll, ja leben muss! Nur so, kann Frieden herrschen – in Deutschland, im Nahen Osten, auf allen Kontinenten. Und nur, wenn wir für diese Idee aufstehen und kämpfen, werden wir die Hetzer des IS und deren salafistische Wegbereiter hierzulande stoppen können.
Leider gibt es in Deutschland noch viel zu wenige Prediger oder Moscheevereine, die offensiv gegen die intoleranten Protagonisten der Salafisten-Szene vorgehen. Internet, Facebook, Twitter oder YouTube sind für viele Imame, die solche Umtriebe ablehnen, immer noch Fremdworte.
Bislang beherrschen einzig die radikalen Brandstifter die sozialen Medien. Diese Leute haben im Netz mit ihren Lügen über den Koran die Meinungshoheit erobert. Genau dort aber fangen sie ebenjene jungen Leute ein, die wie ich auf der Suche waren. Auf der Suche nach einem Halt, nach einem Sinn, nach einem Anker in einer säkularen Welt, mit all ihren Verlockungen, wo gutes Aussehen und Kohle eine viel wichtigere Rolle spielen als Empathie für den Nächsten.
Jeder versucht sein eigenes Ding zu machen. In einer freien Gesellschaft zählt das Individuum, der Leistungsstarke. Dann bist du angesagt, dann bist du man of the match. Mir fehlten Gemeinschaft, Wertschätzung, Liebe und Zuneigung. Das sind genau die Schwachpunkte, die den salafistischen Bauernfängern nach wie vor Tausende junger Menschen in die Arme treiben.
Auf meinem YouTube-Kanal »MusaAlmani«, findet sich die Rubrik »Frag den Musa«, in der ich auf die Fragen meiner Zuschauer eingehe. Inzwischen klicken 4000 Zuschauer meine Seite an – täglich werden es mehr. Wir disputieren, ich kommentiere und hake nach. Es gibt natürlich auch üble Einträge, Beschimpfungen und Drohungen. Das ist mein neues Leben.
Und deshalb schreibe ich dieses Buch. Es soll aufrütteln. Ich will vor jenen falschen Predigern warnen, die das Denken junger, sinnsuchender Menschen mit ihren Hasstiraden vergiften. Ich möchte über Salafistenführer berichten, die ihre eigenen Werte verraten, über üble Streitereien wegen Spendengeldern, Ehebruch, über interne Machtkämpfe, die so gar nichts mit dem Image eines gütigen Predigers gemein haben. Dies ist der Report eines Insiders: einmal Salafismus hin und zurück.