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George MacDonald Fraser

Flashman und der Engel des Herrn

Die Flashman Manuskripte, Band 10

Kuebler Verlag

DAS BUCH

Harry Flashman erscheint es wegen einer seiner üblichen Affären ratsam, Kalkutta schnell zu verlassen und so tritt er eine Reise an, auf der er in Südafrika gekidnappt und nach Amerika verschifft wird. Dort drängen ihn verschiedene Parteien, sich dem Sklavenbefreier John Brown anzuschließen. So kommt er 1859 nach Harpers Ferry in Virginia, wo John Brown und seine Gruppe von Radikalen planen, den ersten Schuss im Krieg gegen die Sklaverei abzufeuern.

DER AUTOR

George MacDonald Fraser wurde vor allem berühmt durch die „Flashman Manuskripte“, einer Serie historischer Romane. Dabei handelt es sich um die fiktiven Memoiren von Sir Harry Flashman, einem hoch dekorierten britischen Offizier im Ruhestand, der auf seine Abenteuer zwischen 1840 und 1890 zurückblickt, die ihn unter anderem mit Bismarck, Abraham Lincoln, Crazy Horse, General Custer, Lola Montez und vielen anderen zusammengeführt hatte. Geboren wurde Fraser 1925, wurde Soldat und kämpfte in Burma. Er wurde Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor (unter anderen „Die drei Musketiere“ und den James-Bond-Film „Octopussy“). Er starb 2008.

JOHN BROWN

John Brown (* 1800, 1859) war ein amerikanischer Abolitionist, der gegen die Sklaverei in den USA kämpfte. Im Jahr 1855 schloss er sich mit sechs seiner Söhne und seinem Schwiegersohn zusammen und startete einen Anti-Sklaverei-Guerilla. Nach einem erfolglosen gewaltsamen Versuch in Harpers Ferry 1859, Sklaven zum Aufstand zu bewegen, wurde er hingerichtet.

Flashman und der Engel des Herrn

Harry Flashman und John Brown
in Virginia 1858-59

Band 10 der Reihe „Die Flashman Manuskripte“

Aus den nachgelassenen Papieren Harry Flashmans

Herausgegeben und bearbeitet von

George MacDonald Fraser

Herausgeber der deutschen Ausgabe: Martin Compart

Ins Deutsche übertragen von Dr. Marion Vrbicky

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Impressum

Weitere Informationen: www.kueblerverlag.de

Ungekürzte deutsche Erstausgabe

Copyright © 2016 der deutschen Ausgabe by Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim

Copyright © 1990 by George MacDonald Fraser,

FLASHMAN AND THE ANGEL OF THE LORD

Übersetzung aus dem Englischen von Dr. Marion Vrbicky. Herausgeber der deutschen Ausgabe der Flashman-Manuskripte: Martin Compart.

Umschlaggestaltung: Grafissimo! Daniela Hertel.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Einscannen oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN Printausgabe 978-3-942270-90-8

ISBN Digitalbuch, EPUB: 978-3-86346-118-8

Vorbemerkung

Von all den Rollen, die Sir Harry Flashman, V.C. im Laufe seiner bemerkens- und beklagenswerten Karriere gespielt hat, ist die eines Kreuzfahrers wohl die am wenigsten wahrscheinliche. Die bislang neun Bände seiner Papiere, welche seit ihrer Entdeckung in einem Auktionshaus in den Midlands im Jahr 1966 veröffentlicht wurden, bieten eine Aufzählung von Skandalen, in welchen wenig zu spüren ist von menschlichem Mitgefühl, geschweige denn von Altruismus. Ab dem Tag seines Hinauswurfs aus der Rugby School in den späten 1830er Jahren (einprägsam beschrieben in „Tom Brown's Schooldays“), erfüllte Flashman als erwachsener Mann die schändliche Verheißung des Knaben; der primitive Speichellecker und Raufbold reifte zu dem feigen Verschwender und Schurken, der, durch Zufall und schamlosen Opportunismus, zu einem der renommiertesten Helden des viktorianischen Zeitalters wurde: dem unwilligen Anführer der Light Brigade, dem durch schnelle Flucht Überlebenden in Afghanistan und am Little Big Horn, dem anrüchigen Paladin der Krim und des Sepoy-Aufstandes, dem kriecherischen Chronisten vieler anderer Konflikte, Katastrophen und Intrigen, in welchen er eine unrühmliche, aber selten unrentable Rolle spielte.

So findet man ihn in diesem zehnten Band seiner Erinnerungen mit anfänglichem Unglauben nicht nur beteiligt an, sondern als Anführer eines Unternehmens, das, wenn auch hoffnungslos und fehlgeleitet, dennoch mit dem Glanz der heroischen Selbstaufopferung leuchtet und einen Ehrenplatz im Pantheon der Freiheit einnimmt. John Browns Überfall auf Harpers Ferry war eine schreckliche Torheit, die in blutigem und unvermeidlichem Scheitern endete, und half, den katastrophalsten aller Bürgerkriege auszulösen, aber sein Ziel war groß und nobel; nie wurde der Weg zur Hölle mit edleren Absichten gepflastert. Unnötig zu sagen, diese waren nicht Flashmans Absichten. Er kam mit größtem Widerwillen nach Harpers Ferry, durch die Bosheit alter Feinde und die Wahnvorstellungen von alten Freunden, und benahm sich in jeder Hinsicht mit bekannter Perfidie, bis auf eine Sache: sein Auge für Ereignisse und Menschen war so klar und gewissenhaft wie immer, und es kann sein, dass seine Erzählung ein neues und unerwartetes Licht auf einen kritischen Moment in der amerikanischen Geschichte wirft. Ebenso auf bemerkenswerte Gestalten der Vorkriegsjahre – unter ihnen ein Präsident, den es nie gab, ein legendärer Detektiv und Geheimagent, und der seltsame, schreckliche und einfache Visionär, von dem die Welt nur einen Namen und ein Lied kennt, und der auszog, die Sklaverei mit zwanzig Männern und vierzig Schuss Munition für immer abzuschaffen.

Es ist eine erstaunliche Geschichte, selbst für Flashman, aber mein Vertrauen in diese Ehrlichkeit, die er in seinen Schriften zeigt (wenn schon nirgendwo sonst), scheint durch die Genauigkeit, mit der seine Erzählung zu den bekannten Fakten passt, gerechtfertigt.

Wie bei den früheren Ausgaben der Papiere, habe ich mich an die Wünsche ihres Kustoden, Mr. Paget Morrison gehalten, und beschränkte mich auf die Verbesserung der Rechtschreibung des Autors und die Bereitstellung von Fußnoten und Anhängen.

George MacDonald Fraser

Kapitel 1

Als ich eines Tages am See in Gandamack saß, meinen Nachmittagsbrandy schlürfte, meine Urenkel verfluchte, weil sie die Gänse quälten, und über das Geschrei von Elspeth nachdachte, die darauf wartete, dass ich die Kinder mit Dreck und Bonbonresten verschmiert ins Haus zum Tee brachte, erklang auf einem Grammophon irgendwo im Haus eine Blasmusikkapelle, ein weit entferntes, schläfriges Brummen, das bis über die Wiese und unter die Bäume drang. Ich glaube, ich muss mitgesummt oder mit meiner Flasche im Takt des altvertrauten Marsches gewippt haben, denn auf einmal kroch der Bösewicht Augustus (ein furchtbarer Spitzname für ein an sich anständiges Kind, aber der stammt nicht von mir) aus den Wasserpflanzen und stand rotzend vor mir, den Kopf nachdenklich zur Seite geneigt.

„Ich glaube, Urgroßvater“, sagte er, „das ist Gory Halooyah.“

„So ist es, junger Galgenstrick“, sagte ich, „und Glory Halleluja ist es, was dich von deiner Urgroßmutter erwartet, wenn sie dich so sieht. Wo zum Teufel ist dein anderer Schuh?“

„Untergegangen“, sagte er und plapperte los: „Jombrowns Körper liegt vawesend in 'nem Grab, Jombrowns Körper liegt …“

„Oh! U'g'oßpapa hat ein böses Wo't gesagt!“, quietschte die tugendhafte Jemima, eine wahre Flashman, so schön wie sie widerlich ist. „Ich hab's gehö't! E' sagte, ‚T-L‘!“ Sie sagte wirklich „T-L!“

„U'g'oßmama sagt, Menschen, die solche Wo'te sagen, kommen ins Schlimme Feue'!“

Schlimmes Feuer, so so – meine vornehme Elspeth hat nie die ekligen Umschreibungen ihrer alten Heimat Paisley vergessen.

„Wird er nicht, nichts gibts!“, rief meine kleine treue Alice, ein weiterer Zweig an dem alten Flashman-Baums, sowohl kokett als auch eine Schmeichlerin. Sie sprang auf die Bank und klammerte sich an meinen Arm. „Denn ich lass ihn nicht ins Schlimme Feuer gehen, nicht wahr, Urgroßvater?“ Sie sah mich mit ihren Vergissmeinnicht-Augen schmachtend an, vier Jahre alt und unschuldig wie Kleopatra.

„Fürchte, du hast da nichts mitzureden, Liebes.“

Teufel ist sowieso kein schlimmes Wort“, sagte John, fast sieben und Anführer des Rudels. „Der Pfarrer hat es gesagt, in seiner Predigt am vergangenen Sonntag – Teufel! Er sagte es zwei Mal – Teufel!“, wiederholte er, mit Befriedigung. „Also, zum Teufel mit dir, Jemima!“ Hört, hört. Tapferer Junge, dieser John.

„Das wa' in de' Ki'che!“, erwiderte Jemima, die das Zeug zu einem feinen Anwalt hat, ausgenommen ihre Gewohnheit, die Zunge heraus zu strecken. „Es ist in O'dnung in der Ki'che, aber wenn du es d'außen sagst, ist es seh', seh' schlecht und Gott wi'd dich st'afen!“ Diese kleine Baptistin!

„Was bedeutet vawesen überhaupt, Urgroßvater?“, fragte Augustus.

„Alles ist verfault und stinkt“, sagte John. „Das passiert, wenn man begraben wird. Du wirst ganz quatschig und die Würmer fressen dich –“

„Iiiiih!“ Worte können das Entzücken in Alices Stimme nicht beschreiben. „War Jombrown so, Urgroßvater, ganz verfault –“

„Nicht, so wie ich mich an ihn erinnere, nein. Aber seine Zehenspitzen haben manches Mal aus den Stiefeln geschaut.“

Das brachte Lachanfälle, wie ich es geahnt hatte, außer bei John, der ein ernsthaftes Kind ist und Dinge gerne genau untersucht.

„Sowas! Kanntest du ihn, Urgroßvater – John Brown aus dem Lied?“

„Nun ja, John, ich kannte ihn … vor langer Zeit. Wer hat dir von ihm erzählt?“

„Miss Prentice, in der Sonntagsschule“, antwortete er, und schlug nach seiner Cousine Jemima, die versuchte, Alice von mir zu lösen, indem sie in ihr Bein biss. „Sie sagt, er war der Engel des Herrn, der für die Befreiung aller Nigger in Amerika aufgehängt wurde.“

„Du sollst nicht Nigge sagen.“ Wieder Jemima, natürlich, die ihre Zähne von Alice nahm und herüber kletterte, um sich an meinen anderen Arm zu hängen. „Es ist nicht nett. Du solltest Nege' sagen, oder nicht, U'g'oßpapa? Ich sage imme' Nege'“, fügte sie hinzu, triefend vor Frömmigkeit.

„Wie sollen wir sie nennen, Urgroßvater?“, fragte John.

„Nenn sie, wie es dir gefällt, mein Sohn. Es ist nichts im Vergleich zu dem, wie sie uns nennen.“

„Ich sage imme' Nege' –“

„Urgroßvater sagt Nigger“, kam von dem verwirrten Augustus. „Viele, viele Male.“ Er zeigte mit einem schmutzigen Finger anklagend auf mich. „Du hast gesagt, dass der verdammte Nigger Jonkins, der Boxer –“

„Johnson, Kind, Jack Johnson.“

„– du hast gesagt, er legt es darauf an, kleiner gemacht zu werden.“

„Habe ich das? Ja, Jemima, Liebste, ich weiß, Gus hat ein anderes böses Wort gesagt, aber ein Dame sollte so etwas gar nicht bemerken, weißt du –“

„Was meinst du mit kleiner machen?“, fragte Alice und zwirbelte meinen Backenbart.

„Sein Selbstwertgefühl etwas vermindern, mein Schatz … Ja, Jemima, ich habe keinen Zweifel daran, dass du Gus bei Urgroßmutter verpetzen wirst, dass er verdammt gesagt hat, aber wenn du das tust, dann sagst du das Wort auch selbst, pass auf … Was, Gus? Ja, wenn ich das über den Boxer gesagt habe, dann habe ich es auch so gemeint. Aber weißt du was, mein Junge, wenn du Leute beschimpfst, dann kommt es darauf an, mit wem du redest …“ Und das stimmt auch. Angeber wie Johnson[1] und das Gesindel unter den Rekruten und die meisten weißen Brüder sind eine Sache – aber wenn Sie gesehen haben, wie Ketshwayos Nokenke-Regiment den Staub aufwirbelt und die Assegais auf die Schilde aus Ochsenhaut trommeln, „Suthu, suthu! 's-jee, 's-jee!“, wenn sie bei Little Hand den Hang hinauf stürmen … gut, das ist Schwarz in einer anderen Farbe, und man braucht ein anderes Wort für diese Kerle. Und Gott verhüte, dass ich Miss Prentice beleidige, so …

„Ich denke, es ist am besten, wenn ihr Neger sagt, Kinder. Das ist das höfliche Wort, also –“

„Was ist mit Niggermusik?“, fragte Alice, die an meinem Kragen herumzupfte.

„Das ist in Ordnung, weil die Musiker unter der Schminke weiß sind“, sagte John ungeduldig. „Halt deine Klappe, Alice – ich will was über John Brown hören, und wie er alle … alle Negersklaven in Amerika befreit hat, oder nicht, Urgroßvater?“

„Nun, nun, John … nein, nicht ganz …“ Und dann schwieg ich und nahm einen Schluck aus meiner Flasche und dachte darüber nach.

Wer bin ich denn, zu sagen, dass er es nicht getan hat? Es war sowieso fällig, aber wenn da nicht der alte J.B. und seine bescheuerten Träume gewesen wären, wer kann schon sagen, wie sich die Dinge entwickelt hätten? Kleine Nägel halten das Scharnier der Geschichte zusammen, wie Bismarck gesagt hatte (er sagte solche Dinge!), in jener Nacht, als wir auf dem Weg nach Tarlenheim waren … und hat nicht Lincoln selbst gesagt, dass Mrs. Stowe jene kleine Dame war, die den Großen Krieg mit „Onkel Toms Hütte“ begonnen hat? Nun, John Brown aus Ossawatomie, verrückter und mörderischer alter Pferdedieb, der er war, spielte eine ebenso große Rolle bei der Befreiung der Farbigen wie sie es tat – jawohl, oder Lincoln oder Garrison oder irgendeiner von ihnen, denke ich. Ich habe selbst mein Bisschen dazu beigetragen – nicht freiwillig, da können Sie sicher sein, und in jener grässlichen Nacht habe ich auf jedem Schritt des Weges Seward und Pinkerton verflucht … und als ich so darüber nachdachte und über den See auf die große Eiche starrte, die ihren ersten Abendschatten warf, schienen die schrillen Stimmen der Kinder zu verblassen und an ihrer Stelle kamen die rauen Schreie und das Krachen der Schüsse in der Dunkelheit, und statt dem Duft von Rosen füllte der Geruch von Schwarzpulver das Maschinenhaus, die Schüsse der Miliz zersplitterten das Holz und surrten uns um die Ohren … der junge Oliver verblutete sein Leben auf dem Stroh … die hagere Vogelscheuche mit seinem ergrauten Bart und den brennenden Augen zog den Hahn seines Karabiners zurück … „Seid standhaft, Männer! Verkauft euer Leben teuer! Gebt jetzt nicht nach!“ … Und J.E.B. Stuarts Augen auf mir, die mich zwangen (ich schwöre es), den Abzug zu drücken …

„Wach auf, Urgroßvater!“ „Erzähl uns von Jombrown!“ „Ja, mit seinen herausgestreckten Zehenspitzen, die stinken!“ „Erzähl's uns, erzähl's uns!“

Ich kam aus dem dunklen Sturm bei Harpers Ferry zurück in den friedlichen Sonnenschein von Leicestershire und die vier kleinen Gesichter sahen mich mit der liebevollen Ungeduld an, welche die krönende Belohnung der Urgroßvaterschaft ist: John, gut aussehend und ernst und aufmerksam; Jemima ein Jahr jünger, saubere, blasse Perfektion mit ihren langen rabenschwarzen Haaren und Wimpern, die dafür geschaffen sind, Herzen zu betören (eindeutig Selinas Tochter); die kleine goldene Alice, Elspeth wie aus dem Gesicht geschnitten; und der Jüngste, Augustus, voller Sünde unter dem Schlamm, ein Grenzland-Rabauke in einem aufgeweichten Matrosenanzug … und der einzige Schmerz ist, dass man mit einundneunzig[2] nicht hoffen kann, sie noch als Erwachsene zu sehen …

„John Brown, hmmm? Nun, das ist eine lange Geschichte – und Urgroßmutter wird uns bald zum Tee rufen … nein, Alice, er hatte keine Flügel, obwohl Miss Prentice ganz recht hat, sie nannten ihn den Engel des Herrn und auch den Racheengel …“

„Was heißt Rache?“

„Jemandem etwas heimzahlen … nein, John, er war ein ganz gewöhnlicher Kerl, wirklich, eher dünn und knochig und schäbig, mit einem struppigen Bart und sehr hellen, grauen Augen, die aufleuchteten, wenn er wütend war, immer so wild und düster! Aber er war auch ein freundlicher alter Gentleman –“

„War er so alt wie du?“

„Himmel, Kind, niemand ist so alt! Er war ältlich, aber ziemlich rüstig und voller Tatendrang … mal sehen, was sonst? Er war ein großartiger Koch, er konnte Schinken und Eier machen und braune Bratkartoffeln, die einem den Mund wässrig werden ließen.“

„Hat er auch Kedge'ee[3] gemacht? Ich hasse das g'auenhafte Kedge'ee, pfui!“

„Was ist mit den Sklaven, und dass er viele Menschen getötet hat und dass er gehängt wurde?“ John rüttelte voll Ungeduld an meinem Knie.

„Nun, John, ich denke, er hat ziemlich viele Menschen getötet … Wie, Gus? Na wie wohl, mit seinen Pistolen – er hatte zwei, genau wie die Cowboys, und er konnte sie in einem Augenzwinkern ziehen, so schnell.“ Und er war verdammt nahe dran, den Kopf deines Urgroßvaters wegzuschießen, in einer Minute schläft er und in der nächsten verstreut er Blei durch den ganzen Laden, verflucht soll er sein. „Und mit seinem Säbel … obwohl, das war, bevor ich ihn kannte. Wohlgemerkt, er hatte ein anderes Schwert in unserem letzten Kampf – und ihr werdet nie erraten, wem es einmal gehört hatte. Friedrich dem Großen! Was sagt ihr dazu?“

„Wer ist Friedrich der Große?“

„Ein deutscher König, John. Bisschen eine Schwuchtel, glaube ich; er gebrauchte Parfüm und spielte Flöte.“

„Ich denke, Jombrown war g'auenhaft!“, verkündete Jemima. „Menschen zu töten ist falsch!“

„Nicht immer, Liebes. Manchmal muss man, oder sie töten dich.“

„Urgroßvater hat Menschen getötet, sehr oft“, protestierte der zähe Augustus. „Urgroßmama hat mir erzählt, dass er Soldat war, stimmt doch, oder nicht? Hat sie umgebracht, ganze Haufen von –“

„Das ist etwas ganz ande'es“, sagte Jemima, mit einem zustimmenden Lächeln, das mich gut dazu bringen konnte, mein Testament zu ihren Gunsten zu überarbeiten. „Fü' Soldaten ist es in O'dnung, Menschen zu töten.“ Und ihren Worten folgte ein Echo, ein halbes Jahrhundert alt, die tiefe, ruhige Stimme von J.B. selbst, wenn er sich an das Massaker am Pottawatomie erinnerte … „Sie hatten ein Recht, getötet zu werden.“ Es war ein warmer Nachmittag, aber ich zitterte.

„Urgroßvater ist müde“, flüsterte John. „Lasst uns zum Tee hineingehen.“

„Was – müde? Nicht ein bisschen!“ Man kann nicht zulassen, dass die Urenkel Mitleid haben, auch nicht mit einundneunzig „Aber Tee ist eine großartige Idee! Wer hätte gerne eine Ladung Lebkuchen, hm? Ich sag euch was, ihr Welpen – ihr macht euch fein, kämmt euch die Haare, findet Gus anderen Schuh, du ziehst deine Socken an, Alice – ja, Jemima, du siehst schon jetzt wie eine Prinzessin aus – und wir marschieren zum Tee. Zumindest ihr marschiert, während ich den Takt angebe und mich um die Nachhut kümmere. Wird das nicht lustig sein? Und wir singen sein Lied, während wir gehen –“

„Jombrowns Körper? Gory Halooyah?“

„Genau dieses, Gus! Jetzt aber, reiht euch auf, die größten auf der rechten Seite, die kleinsten auf der linken – die Hacken zusammen, John, Augen nach vorn, Jemima, zieh den Bauch ein, Augustus, hör auf zu kichern, Alice – und ich werde euch ein paar wichtige Verse lehren, die ihr noch nie gehört habt! Bereit?“

Ich nehme nicht an, es gibt auf der Welt auch nur eine Seele, die Englisch spricht und heute nicht den Refrain singen könnte, aber natürlich war er noch nicht geschrieben worden, als wir nach Harpers Ferry gingen – J.B.s Armee aus Lumpengesindel, Abenteurern, entflohenen Sklaven, Viehdieben und Irren. „Gottes Kreuzfahrer“ hatten uns einige Enthusiasten genannt – aber dann wieder habe ich gelesen, dass wir „großspurige, fluchende Raufbolde und Ungläubige“ waren (na, dann danke, Sir). Wir waren einundzwanzig, fünfzehn Weiße (einer davon, voller Angst, kann ich Ihnen sagen), sechs Schwarze, und alle ganz darauf eingestellt, Dixie zu erobern, wenn Sie das glauben können! Wir haben es damals nicht ganz geschafft – aber wir haben es am Ende geschafft, bei Gott, mit Shermans Trompeten, die auf dreißig Meilen Breite eine Schneise bis zur Küste schlugen …

Nicht, dass ich verdammte zwei Cent dafür gegeben hätte, verstehen Sie mich richtig, und ich tue es immer noch nicht. Sie hätten ihren idiotischen Bürgerkrieg behalten können (von den Risiken für meine eigene Haut mal ganz abgesehen), es war der übelste, nutzloseste Konflikt in der Geschichte, der Massenselbstmord einer ganzen Generation der britisch-amerikanischen Rasse – und wofür? Die Freiheit der Schwarzen, die in ein paar Jahren ohnehin gekommen wäre, so sicher, wie die Sonne am Morgen aufgeht. Und all die Jungs hätten in der Dämmerung sitzen können und ihre Johns und Jemimas beobachten.

Dennoch habe ich ein Faible für das alte Lied – und für J.B., genau genommen. Ja, das Lied, von dem die Historiker sagen, es wurde von jedem Regiment der Union gesungen, weil es nicht „von John Browns schwachem Schwert erzählt, sondern von seiner Seele“. Seine Seele, bah – oft genug wurde der arme alte Verrückte noch nicht einmal erwähnt und es ging stattdessen so:

„Wild Bill Sherman hat 'nen Strick um den Hals und wir zieh'n ganz fest daran! Glory, Glory Halleluja …“, und so weiter.

Oder es ist „unser Sergeant-Major“ oder Jeff Davis, der von einem Baum mit sauren Äpfeln hängt, oder einer der nicht wiederholbaren Verse, welche die fromme Mrs. Howe dazu inspirierten, „Mine eyes have seen the glory“ zu schreiben.[4] Aber all das ist eine andere Geschichte, für einen anderen Tag … inzwischen unterrichtete ich meine kleinen Nachkommen in einigen Versionen, die ganz nach ihrem Geschmack waren, und wir marschierten bis zum Haus, die Kinder in Zweierreihe und der ehrwürdige Patriarch schmerzvoll hinterher humpelnd, Flasche in der Hand, und wir erzeugten sogar Echos mit unserem Gesang:

„John Browns Esel hat 'nen dicken Gummischwanz

und er rieb mit Öl ihn ganz!“

gefolgt von:

Unser Ur-Großpapa den Vizekönig rettete den Sieg

dort im alten Khyber Pass!

und endend mit:

Flash hat eine Armee von Hundert Bashi-Bosuks

und am End' sind alle tot! Glory, Glory Halleluja …

Geistvolles Zeug, und es war einfach nur Pech, dass der Bischof und andere hochnäsige Besucher schon beim Tee mit Elspeth und Miss Prentice saßen, als wir durch die Gartentür hereindonnerten, die feuchten und schmutzigen Kinderchen sangen mit voller Lautstärke und ich fiel der Länge nach über die Türschwelle, mitsamt meiner Brandyflasche. Na gut, die Kinderchen waren laut und verdreckt und ich mache nicht den besten Eindruck, wenn ich lang hingestreckt auf dem Teppich liege und der Branntwein tropft, aber so angewidert, wie seine Lordschaft drein schaute und Miss Prentice Zwicker festfror, hätte man denken können, ich hätte ihnen beigebracht, wie man Opium raucht und „One-eyed Riley“ singt.

Das Ende vom Lied war, dass die Kinder in Schande fortgescheucht wurden und statt Tee und Lebkuchen Milch und trockenes Brot bekamen. Gus wurde früh ins Bett geschickt – oh ja, natürlich hatte Jemima ihn verpfiffen. Und als die Gäste uns mit einem Geruch von Heiligkeit verlassen hatten und dabei die Säume ihrer Kleidung von mir weghielten und mitfühlende Bemerkungen zu Elspeth machten, ließ sie ihren Zorn auf mich los, nannte mich einen „Schlechten Einfluss, der mit seiner schlüpfrigen Kasernen-Art die unschuldigen Kinder verdirbt“, zuließ, dass sie ihre Füße nass machten, und ob mir klar war, was Schuhe heutzutage kosteten, und sie war „Furchtbar gekränkt“ und wie sollte sie dem Bischof jemals wieder in die Augen sehen, könnte ich ihr das erklären?

Reue war nie mein Stil und ist sowieso nutzlos, also ließ ich den Sturm über mich hinwegfegen, und später, nachdem ich sicher war, dass La Prentice gemütlich in ihrer Höhle saß, dort ihre Knute polierte und heimlich Gin trank, behaupte ich jetzt einmal, überfiel ich die Speisekammer und schmuggelte Lebkuchen und Limonade in das Kinderzimmer, wo ich ihnen auf ihr Drängen hin John Browns Geschichte erzählte (angepasst an die Ohren von Kindern). Sie schliefen mittendrin ein und ich auch, auf Johns Decke, zwischen all den Lebkuchenkrümeln. Schließlich wachte ich wieder auf, von einem sanften Kuss auf meine alte Stirn, und sah, wie Elspeth in liebevoller Verzweiflung den Kopf schüttelte.

Nun, das alte Mädchen weiß, dass dieser Sünder nicht mehr gerettet werden kann und dass Jemima recht hat: ich werde ziemlich sicher in das Schlimme Feuer kommen. Ich kenne aber einen, dem das erspart wird, und das ist der alte John Brown aus Ossawatomie, „dieser neue Heilige, denn niemals wurde jemand reiner oder mutiger von der Liebe zu den Menschen in Kampf und Tod geleitet“, und der „den Galgen so herrlich wie das Kreuz“ gemacht hat. Das ist die Meinung von Ralph Waldo Emerson über J.B. „Ein Heiliger, edel, tapfer, voll von Gottvertrauen“, „ehrlich, wahrhaftig, gewissenhaft“, vergleichbar mit William Wallace, Washington und Wilhelm Tell – das sind die Worte von Parker und Garrison, der ihn kannte, und sie machen noch nicht einmal die Hälfte seiner Verehrer aus. Wir reden von einer Mischung aus Jesus, Apollo, Goliath und Julius Caesar! Auf der anderen Seite … „ein Fälscher, geschickt, schlau, eitel, egoistisch, intolerant, brutal“, „ein skrupelloser Söldner, ein Pferdedieb, ein Heuchler“, den die Freilassung der Sklaven nicht scherte und der selbst gerne Sklavenarbeiter gehabt hätte, ein Lügner, ein Verbrecher und ein Mörder – das sagt sein jüngster Biograph. Interessanter Kerl, dieser Brown, würden Sie das nicht auch sagen?

Ein guter Teil von beiden Seiten ist wahr, und Sie können mein Wort dafür nehmen; ich bin ein Schurke, aber ich habe nichts davon, J.B.s Ruf zu ruinieren. Ich half, ihn dazu zu machen, weil ich ihm nicht in den Rücken schoss, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich wollte nicht und hätte sowieso nicht den Nerv gehabt.

Man könnte sogar sagen, dass ich ihn völlig ahnungslos auf den Weg zum unsterblichen Ruhm brachte. Ja, wenn es eine Gemeinschaft der Heiligen dort oben gibt, werden sie durch J.B. geschmückt, denn wenn der Engel des Gerichts alle seine Verbrechen und Lügen und Diebstähle und Torheiten und Täuschungen und kaltblütigen Morde aufgezählt hat, wird er dennoch gerettet sein, wenn bessere Männer verdammt sind. Warum? Denn wenn er es nicht wäre, gäbe es ein so allmächtiges Gebrüll der Entrüstung von den Himmlischen Heerscharen, dass das Firmament zerspränge; Gott würde das nie aushalten. Das ist das Schöne an einer Märtyrerkrone: sie überstrahlt alles und keine strahlt heller als die des alten J.B. Ich sage nicht, dass er es verdient hat; ich weiß nur, vielleicht besser als jeder andere, wie er dazu kam.

*** Anmerkungen ***

[1] John Arthur (Jack) Johnson (1878-1946), der erste schwarze Boxer, der den Weltschwergewichtstitel gewonnen hat, war der unpopulärste Champion und, nach Meinung der am meisten geachteten Boxsporthistoriker, der beste. Er gewann 1908 den Titel, indem er Tommy Burns aus Kanada besiegte, nachdem er ihm von Amerika nach England und schließlich nach Australien gefolgt war, und verlor ihn schließlich 1915 an Jess Willard aus den U.S.A. In den Jahren dazwischen war er das Opfer einer Kampagne von Rassenhass, welche in der Geschichte des Sports einmalig ist. In dieser rassenbewussten Zeit brachte Johnsons Arroganz innerhalb und außerhalb des Rings, seine Grausamkeit gegenüber Gegnern, seine weißen Frauen, sein selbstzufriedenes Lächeln, das vergoldete Zähne zeigte, der Vorfall, dass er eine Kaution verfallen ließ und nach Paris floh, um einer Gefängnisstrafe in Amerika zu entgehen (er hatte den Mann Act verletzt, als er eine Frau, mit der er eine Affäre hatte, über eine Staatengrenze brachte), und vor allem seine unbezweifelbare Überlegenheit in einer Sportart, die immer eine eigenartige Quelle für den Stolz der Weißen gewesen war, im Sportpublikum das Schlimmste hervor. Keiner war bösartiger als der Schriftsteller Jack London, der Burns „Begräbnis“, wie er es nannte, für den New York Herald verfolgt hatte und die berüchtigte „Prügelt den Nigger!“-Kampagne anführte, die „das goldene Lächeln aus Johnsons Gesicht entfernen sollte“. Er und andere überredeten Jim Jeffries, einen früheren Champion, zurückzukommen und Johnson um den Titel herauszufordern. Der Kampf fand im Jahr 1910 in Reno in Nevada statt und die Atmosphäre vorher war so aufgeladen (Rassenunruhen mit Toten waren nach einigen von Johnsons früheren Siegen ausgebrochen), dass Sir Arthur Conan Doyle eingeladen wurde, Schiedsrichter zu sein. Man hatte zu Recht das Gefühl, dass es auf der Welt keinen mehr respektierten Sportsmann gab und keinen, der einen beruhigenderen Einfluss haben konnte. Doyle wollte annehmen, aber seine eigene Kampagne gegen die Abscheulichkeiten in Belgisch-Kongo forderte all seine Aufmerksamkeit, und nach einer Woche des Zögerns lehnte er ab. Johnson gewann ganz leicht, es gab keine Störungen und die Suche nach einer „Weißen Hoffnung“ dauerte noch weitere fünf Jahre, bis Johnson dem riesigen, aber unerfahrenen Willard unterlag (freiwillig, wie viele meinen). Flashmans Meinung über Johnson wurde von vielen geteilt, abgesehen von seiner fraglosen Brillanz als Techniker im Ring, war der schwarze Champion keine liebenswerte Figur, aber es ist nur gerecht, einen anderen, wohlbekannten viktorianischen Herren zu zitieren, der die seltene Ehre hatte, gegen ihn im Ring anzutreten, und auf seinen eigenen Füßen wieder hinausging. Victor McLaglen war ein bewunderter britischer Schwergewichtskämpfer, lange bevor er Filmschauspieler wurde. Er hielt in einem Kampf gegen Johnson 1909 sechs Runden bis zu einem Unentschieden durch und schrieb danach, dass der Champion „wie ein Gentleman kämpfte“, „unzweifelhaft der am schwersten zu treffende Mann war, den er je gesehen hatte“ und auch „der charmanteste Gegner“ (siehe Terry Leigh-Lye, In This Corner, 1963; Nat Fleischer und Sam Andre, Pictorial History of Boxing, 1959; M. und M. Hardwick, The Man Who Was Sherlock Holmes, 1964; Jack London im New York Herald, 1908, Victor McLaglen, Express to Hollywood, 1934).

[2] Flashman wurde 1822 geboren, also wurden die vorliegenden Erinnerungen vermutlich 1913 geschrieben, zwei Jahre vor seinem Tod.

[3] Kedgeree – indisches Curryreisgericht

[4] Der berühmte Marsch, eines von vielen Liedern über John Brown, die im Bürgerkrieg gesungen wurden, entsprang angeblich „einer sarkastischen Melodie, die Männer in einem Regiment aus Massachusetts als Seitenhieb gegen einen Sergeant John Brown aus Boston erfunden hatten“. Wenn es so war, dann wurde es bald mit dem berühmten Abolitionisten in Verbindung gebracht. Ein Soldat der Union, Private Warren Lee Goss, berichtet, dass das 12. Massachusetts Regiment, als es am 24. Juli 1861 den Broadway entlang marschierte, „das damals neue und immer aufregende Lied John Browns Body“ sang. Fünf Monate später schrieb Mrs. Julia Ward Howe (1819-1910), Autorin, Reformerin und Abolitionistin, neue Worte zu der alten Melodie; sie erschienen danach als „The Battle Hymn of the Republic“ in der Zeitschrift Atlantic Monthly. Eine Tradition (auf die Flashman anspielt) besagt, dass sie angewidert von den Worten war, welche sie die Soldaten singen hörte. Die akzeptierte Version ist, dass sie und einige Freunde patriotische Lieder sangen und einer von ihnen andeutete, dass neue Strophen angebracht wären (siehe Stephen B. Oates, To Purge This Land With Blood, 1970, der Boyd B. Stutler, „John Brown‘s Body“ und Warren Lee Goss, „Going to the Front“ in: Battles and Leaders of the Civil War, Vol 1, Hrsg. R.U. Johnson und C.C. Buel, 1887, zitiert).