Autorin:
Ulrike Strätling
Als Printmedium erschienen:
im Printsystem Medienverlag, D-71296 Heimsheim
Mail: info@printsystem-medienverlag.de
www.printsystem-medienverlag.de
ISBN 978-3-945833-41-4
E-Book-Verlag:
Joy Edition, E-BOOKS and more, Gottlob-Armbrust-Straße 7, D-71296 Heimsheim
Mail: info@joyedition.de
Copyright:
E-Book © 2015 by Joy Edition, E-BOOKS and more, Heimsheim
Buchgestaltung:
Grafik- und Designstudio der Printsystem GmbH
1. Auflage, November 2015
Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form vervielfältigt, übersetzt, abgelichtet oder mit elektronischen Systemen verbreitet werden.
ISBN: 978-3-944815-59-6
Gedankengänge – Freitagabend
Warum nur in aller Welt ist es so schwer, ein vernünftiges Buch zu schreiben? Verflixt noch mal, ich bekomme das einfach nicht hin. Jährlich erscheinen tausende neue Bücher, von bekannten und unbekannten Autoren. Jeder Promi schreibt ein Buch – ob es gut ist oder nicht, die Leute werden es kaufen, und der Verlag reibt sich die Hände. Es gehört wohl schon zum guten Image, ein Buch zu veröffentlichen. Und vielen gelingt es auch noch, alles in wohlformulierte Worte zu packen, mit fesselnden Handlungen. Bloß ich kriege das nicht hin. Zumindest nicht so richtig, so an einem Stück mit Spannung, Höhepunkt und Ende. Und habe ich dann doch mal eine zündende Idee und endlich alles zu Papier gebracht – dann will es niemand haben. Das ist zum Haareraufen. Jahrelang sitze ich schon mit angespitztem Bleistift da, und das Papier ist immer noch leer. Ich glaube, das nennt man Schreibblockade, eine mächtig lange Schreibblockade. Zu lange! Nun bleibt mir nicht mehr allzu viel Zeit. Wenn mir nicht bald etwas einfällt, wird es nie etwas.
Inzwischen bin ich alt geworden, noch nicht uralt, aber schon ganz schön alt. Jedenfalls bin ich nicht mehr jung, aber auch nicht zu alt, um mich nicht mehr jung zu fühlen. Nur manchmal fühle ich mich alt, aber das sage ich niemandem. Es ist ja allseits bekannt, dass man über das Alter einer Frau nicht spricht. Darum mogel ich oft, aber nur, wenn ich mich gerade jung fühle. Eigentlich fühle ich mich oft jung, aber das zeige ich dann auch nicht, weil andere das albern finden würden. Immer hübsch dem Alter entsprechend benehmen, sonst zerreißen sich die Leute die Mäuler: „Wie die sich benimmt.“ Oder: „Die zieht sich an wie ein Teenager.“ Oder: „Die flippt doch aus!“ Ich habe das alles schon mit bekommen, wenn hinter meinem Rücken getuschelt wird und wenn die Finger auf mich zeigten.
Aber Tatsache ist nun mal, dass ich das meiste von meinem Leben gelebt habe und nicht mehr viel übrig ist. Was ich nur nicht so ganz verstehe – gestern war ich noch jung, knackig, faltenfrei und voller Energie. Das Alter hat sich nicht bei mir angekündigt, es hat mich einfach von heute auf morgen und dazu noch hinterlistig von hinten überrollt. Wie eine Walze, wie eine Herde wild gewordener Moschusochsen: es kam, sah und siegte. Das Schlimme daran ist, ich habe es noch nicht einmal gleich bemerkt. Andere mussten mich erst darauf aufmerksam machen und mir sagen, dass das Alter da ist, sich eingenistet hat und nicht mehr gehen will. Und dann merkte ich: Das Alter ist hartnäckig und es hinterlässt überall Spuren, egal wo es sich gerade aufhält.
Da kann man cremen, zupfen und klatschen, das Alter macht sich nichts daraus. Noch nicht einmal ein anständiges Gebet hilft. Auch der Gang in die Kirche ist vergeblich, kann man sich sparen, denn das Alter ist immun dagegen, und die Falten sowie die schlaffe Haut gehen davon auch nicht mehr weg.
Die Tage, an denen ich mich alt fühle, habe ich diesem ungebetenen Gast zu verdanken, wenn er sich ungefragt in meinen Knochen austobt. Über Sport und diverse Dehnübungen, ja sogar über hoch angepriesene Salben lacht sich das Alter kaputt. Man kann das Alter noch nicht einmal rausschmeißen, ihm kündigen oder sonst etwas machen, es hat Wohnrecht auf Lebenszeit. So komme ich zu der Erkenntnis, dass das Alter sehr übel ist und mir meine restlichen Jahre gehörig vermiesen wird. So viel steht fest, daran ist nichts zu machen.
Und dabei bin ich noch gar nicht so alt, ich bin nur am Ende meines Jungseins.
Anscheinend sind nicht alle meiner Meinung. Da steht mein Mann eines Morgens vor mir und sagt, nach einer für mich schlechten Nacht: „Du siehst heute Morgen ganz schön alt aus. Hast du gestern auch schon so viele Falten um den Mund herum gehabt?“ Das zieht einen ganz schön runter. Und als wenn das der Feststellungen nicht genug wäre, meint er beim Frühstück: „Deine Hände haben so viele braune Flecken. Ist das normal? Kann man was dagegen tun? Wenn ja, mach was.“
„Das sind Altersflecken“, sage ich nur, und der Tag ist für mich gelaufen.
Ich hatte mal gedacht – also vor gefühlten hundert Jahren, als ich noch jung war –, mir würde das Altern nichts ausmachen, es gehört schließlich zum Leben dazu. Ich wollte, naiv wie ich war, ganz in Ruhe und mit viel Humor und vor allem mit Eleganz alt werden. Ich stellte es mir sogar schön vor. Ach war ich blöd! Nun, wo es soweit ist, weiß ich nicht damit umzugehen. Ich konnte mich ja noch nicht einmal vorbereiten. Eigentlich will ich das widerwärtige Alter nicht, aber ich werde ja nicht gefragt. Was nun? Sicher wird sich Schwermut bei mir einstellen. Und das wäre das frühzeitige Ende.
Nicht mit mir! Ich mache es dem Alter schwer. Es wird an mir zu knacken haben. Ich werde diesem üblen Mitbewohner ein Schnippchen schlagen. Wenn es meint, es könne mit mir machen, was es will, mich lahm legen, sprachlos und wehrlos machen, mich hässlich werden lassen und meine Haare grau färben, dann ist es schief gewickelt. Es gibt tolle Haarfärbemittel, es wird sich wundern. Ich sage dem Alter den Kampf an, bis dass es sprachlos und machtlos ist.
Gleich morgen fange ich an!
Samstag
Ich erwache mit viel Energie und guter Laune. Doch als ich etwas später in den Spiegel sehe, sinkt der Gutelaunepegel um die Hälfte. Da ist es wieder, das Alter, dieses Monster. Ich muss es aufhalten! Stoppen geht ja nicht, aber zumindest ein bisschen stoppen, sodass es sich nicht in Windeseile ausbreiten kann, um mich dann womöglich noch in eine Seniorenresidenz zu bringen. Ich komme zu der Erkenntnis, dass ich Ziele brauche. Gute Ziele, die mich jung halten. Der heutige Samstag eignet sich hervorragend, um darüber nachzudenken.
Ich gehe zu meinem schon lange angespitzten Bleistift und schreibe mir die Zahlen eins bis zehn auf das weiße Blatt Papier, welches bereits ewig lange darauf gewartet hat, beschrieben zu werden.
Gut, das gefällt mir schon mal. Ich denke kurz darüber nach, wie viele Jahre ich in etwa noch zu leben habe. Ein paar sind es schon noch – und wenn ich mich jung halte, werden es sicherlich noch ein paar mehr.
Der erste Punkt fällt mir sofort ein. Sorgfältig schreibe ich das Wort Urlaub hinter meinem ersten Punkt. Dass ich das Wort überhaupt noch in meinem Wortschatz habe, grenzt an ein Wunder. Urlaub hält jung. Und weil ich seit Urzeiten keinen Urlaub hatte, bin ich auch wahrscheinlich etwas schneller gealtert. Ich werde reisen, mit oder ohne Ehemann. Das wird die erste große Barriere für den Kameraden Alter in mir.
Punkt zwei schließt sich gleich an. Eine Ferienwohnung. Dort, wo es mir am besten gefallen hat, werde ich mir eine Ferienwohnung nehmen. Dann kann ich an meinem Lieblingsort sein, wann immer ich will. Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Zeit läuft, sie rennt, sie nimmt keine Rücksicht auf mich. Also muss ich handeln.
Punkt drei ist ganz wichtig und sehr nötig. Ich brauche eine Freundin. Und zwar eine, bei der auch schon das Alter die Herrschaft übernommen hat. Eine Freundin hält jung, auch wenn sie schon alt ist. Die Jahre zählen nicht. Die Hauptsache ist, wir kämpfen gemeinsam gegen das Alter. Zusammen sind wir stark, meine Busenfreundin und ich.
Punkt vier ist besonders wichtig für mich. Ich will endlich ein Buch schreiben, mein Buch, ein besonderes Buch, was nicht so ist, wie all die anderen Bücher, die es so gibt. Und wenn es sich dann gut verkauft, kann ich mir mit Leichtigkeit eine Ferienwohnung leisten.
Bei Punkt fünf bin ich mir nicht so sicher, finde aber die Idee ganz prickelnd. Tanzen! Tanzen soll ganz besonders jung und fit halten, auch den Geist, sozusagen vorbeugend gegen Alzheimer. Oder kann vielleicht sogar vor Alzheimer, dem schleichenden Vergessen, schützen. Oh, ich hoffe doch sehr stark, dass mein eigenes Alter nicht ganz so boshaft ist. Alzheimer kann ich nun gar nicht gebrauchen. Ich möchte nicht meine lieben Erinnerungen verlieren, nicht mehr wissen, wer ich bin und wo ich wohne, meinen Mann nicht mehr erkennen und mich in der Welt nicht mehr zurechtfinden. Oder letztendlich in meiner eigenen Welt leben. Der Gedanke macht mir Angst, trotzdem unterstreiche ich den Punkt.
Punkt sechs dient einzig und allein dem Spaßfaktor und der Neugier. Das allein soll ja schon jung halten. Ich möchte einmal mit einem Hubschrauber fliegen. Hubschrauber faszinieren mich. Ein Traum würde in Erfüllung gehen.
Punkt sieben dient der körperlichen Erholung. Eine Reinigungsfrau für die Wohnung. Ich habe dann mehr Zeit für mich und meine Ziele, würde meine Knochen schonen und vor allem die Hände. Scharfe Putzmittel sind Gift für die Hände, und ich habe nicht vor, das Alter zu unterstützen. Putzen ist nichts für mich. Putzarbeiten haben mich noch nie begeistert, es gibt Wichtigeres. Manche Frauen oder auch Männer putzen ja gerne. Meine Friseurin ist auch so eine, die gerne schon vor der Arbeit ihren Haushalt in Ordnung bringt. Und das mit Leidenschaft. Ich putze nur, wenn es dringend notwendig ist. Aber wahrscheinlich kann ich mir sowieso keine Reinigungskraft leisten. Wieder ein Grund mehr, ein Buch zu schreiben, denn wenn das erste große Honorar kommt, habe ich ja genug Geld. Punkt sieben kann ja auch später in Angriff genommen werden.
Punkt acht gefällt mir. Ich brauche ein Hobby. Doch ich muss erst darüber nachdenken, was für ein Hobby mir in den nächsten Jahren das Leben versüßen wird. Ein Hobby regt das Gehirn an und muntert die eventuell eingeschlafenen Gehirnzellen wieder auf. Mit beiden Händen kreativ sein, ist schon für das Gehirn eine Herausforderung. Das wird dem Alter bestimmt nicht gefallen, es wird sich sehr schwer tun, an meine Gehirnzellen zu kommen.
Sogleich fällt mir Punkt neun ein. Spazieren gehen, jeden Tag wenigstens dreißig Minuten. Bewegung stärkt die Muskeln und den Kreislauf. Dazu wäre die Freundin gut, zu zweit läuft es sich unterhaltsamer. Ich allein werde mich bestimmt nur selten dazu aufraffen können. Aber das werden wir ja sehen. Der Punkt steht.
Punkt zehn fällt mir gleich ganz spontan ein. Lange schlafen, viel schlafen, das setzt Hormone frei, die dem Alter nicht gefallen. Schönheitsschlaf nennen das viele weibliche Promis nicht zu Unrecht. Ob das so stimmt, wird sich dann herausstellen. Ich muss diesen Punkt unbedingt sehr ernst nehmen.
Zufrieden schaue ich auf mein gut gefülltes Blatt Papier. Mir kommen Zweifel, ob ich das alles verwirklichen kann. Zehn Punkte sind ganz schön viel, und bei einigem wird es nicht leicht sein, das Ziel zu erreichen. Ersatzpunkte. Genau – ich brauche Ersatzpunkte, wenn das eine oder andere nicht klappen sollte.
Ich nehme noch einmal den Bleistift. Ich muss ihn anspitzen, wer hätte das gedacht.
Ersatzpunkt elf. Ein neuer Haarschnitt muss her, das verjüngt schon mal rein äußerlich.
Ersatzpunkt zwölf soll mich mal wieder ab und zu in die Kirche führen. Vielleicht begegne ich dort meiner zukünftigen Freundin. Und beten schadet nie.
Ersatzpunkt dreizehn soll ein Pilgerweg sein. Nicht dass ich Buße tun will, aber ich möchte es gerne machen, doch ich weiß jetzt schon, dass dieses Ziel wohl kaum zu erreichen ist.
Ersatzpunkt vierzehn, weiß ich noch nicht. Nun bin ich zufrieden. Der erste Schritt ist getan.
Beim Mittagessen nutze ich gleich die Gelegenheit, meinen Mann zu fragen, ob er mit mir in den Urlaub fährt. Nein, er will nicht. Dachte ich mir schon. Er ist nun mal nicht der Urlaubstyp. Aber ich will und ich bitte ihn, mir im Internet ein hübsches Örtchen an der Nordsee zu suchen. Punkt eins ist in Angriff genommen. Urlaub – schon bei dem Gedanken fühle ich mich um einige Jahre jünger. Neue Eindrücke sammeln, andere Wege gehen, Urlaubsbekanntschaften schließen und mal nicht alltägliche Dinge tun. Da wird das Alter dumm gucken.
Ich fühle mich gerade ruhig und entspannt. Ein guter Moment, um über ein Hobby nachzudenken. Womit würde ich mich gerne mal in meiner Freizeit beschäftigen? Was würde mich in positive Stimmung versetzen und was würde mich fordern, damit mein Gehirn auch mal eine Abwechslung bekommt? Malen, ja, Malen wäre schön. Romantische Landschaften oder das Meer mit seinen Wellen und Schaumkronen. Darüber den Himmel mit weißen Wolken, unter denen die Möwen fliegen. Bäume sind auch gut, saftige alte Bäume mit knorrigen Stämmen. Bäume machen sich immer gut, sie sind wie ein Zeichen des langen Lebens. Ich beschließe, von all dem so richtig angespornt, in der kommenden Woche Farben, Pinsel und Leinwände zu kaufen. Und wenn dann die Malutensilien bei mir zu Hause sind, kann ich dem Alter schon mal damit drohen. Gegen Farben wird es ja wohl nicht auch noch immun sein. Ich probiere es auf jeden Fall aus. Ich freue mich auf die Pinselschwingerei.
Mein Mann googelt unterdessen eifrig. Gerade ruft er mich wieder, und ich eile zu ihm. Er zeigt mir kleine Ortschaften in Ostfriesland, die auch allesamt sehr schön sind. Doch das, was ich mir so vorgestellt habe, ist leider nicht dabei. Ich lasse ihn weitergoogeln und ziehe mich zurück. Den Rest des Tages will ich verbummeln.