Michael Seitlinger / Jutta Höcht-Stöhr (Hg.)
Wie Zen-Meditation mein Christsein verändert
topos taschenbücher, Band 1039
Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus
Erfahrungen von Zen-Lehrern, u.a. von
Michael von Brück, Willigis Jäger, Niklaus Brantschen
topos taschenbücher
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
www.topos-taschenbuecher.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8367-1039-8
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5030-1
E-Pub: ISBN 987-3-8367-6030-0
2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen bei der
Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer.
Umschlagabbildung: © thomasfuer/photocase
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Stefan Bauberger
Niklaus Brantschen
Michael von Brück
Pia Gyger
Willigis Jäger
Johannes Kopp
Peter Lengsfeld
Gundula Meyer
Karl Obermayer
Bogdan Snela
Jeroen Witkam
Detlef Witt
Doris Zölls
Michael Seitlinger
Wir freuen uns, diese zweite, überarbeitete und neue Ausgabe des 2004 erstmals unter dem Titel Wie Zen mein Christsein verändert erschienenen Buches (mit zwei weiteren Auflagen 2005 und 2006) veröffentlichen zu können.
Was hat sich getan in diesen zehn Jahren hinsichtlich dieser Frage „Wie Zen mein Christsein verändert“ bzw. „Wie Zen-Meditation mein Christsein verändert“, wie die Neuausgabe jetzt heißt?
In einer Hinsicht ist es etwas ruhiger geworden um dieses Thema. Die Zen-Übung hat sich noch weiter integrieren können im Umfeld christlich-kontemplativer Spiritualität. Sie ist darin noch selbstverständlicher und normaler geworden. Die Frage, ob Zen bzw. die Zen-Meditation mit einer christlichen Grundhaltung zu vereinbaren ist, stellt sich nicht mehr so sehr als Kontroverse. Wer sich angesprochen fühlt, tut es einfach und fragt nicht etwa danach, ob er es „darf“.
In anderer Hinsicht ist das Thema Zen und christliche Spiritualität nach wie vor aktuell. Das Interesse an einer Kultur der Achtsamkeit, einer Haltung und Übung gesammelter innerer Gegenwärtigkeit, ist ungebrochen und sogar noch angewachsen. Die medienwirksamen Debatten über zunehmende stressbedingte Erschöpfungs- und Burnoutfälle in einer schneller gewordenen Zeit tun ihr Übriges dazu. Der Begriff „Achtsamkeit“ ist dabei heute zum Schlüsselwort in der gesamten Meditationsszene avanciert. Die Kultur der Achtsamkeit ist natürlich viel älter; sie findet sich prominent in der Tradition des Zen genauso wie in der – nicht zuletzt durch sie neu inspirierten – kontemplativen Spiritualität des Christentums.
Die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes sind bekannte Zen-Lehrende, die sich vertieft auf die Zen-Meditation eingelassen haben und Zeugnis geben von ihrer persönlichen Erfahrung: Wie hat die Übung des Zen ihr Verständnis vom Leben und Christsein verändert? Als Pioniere einer vertieften Achtsamkeitskultur können sie auch heute noch wertvolle Inspirationen geben und zeigen, wie Zen und christliche Spiritualität auf kreative Weise vermittelt werden können.
München, Juni 2015
Michael Seitlinger, Jutta Höcht-Stöhr
Wenn man heute in ein Kloster, ein Exerzitien- oder Tagungshaus oder auch in eine christliche Kirchengemeinde kommt, findet man nicht selten einen Raum mit einem ästhetischen Arrangement von schwarzen Sitzkissen und hölzernen Sitzschemeln, gepflegtem Teppich, einer Klangschale, ein paar Kerzen und vielleicht noch einem kunstvoll angeordneten Blumenschmuck. Was man in so einem Raum tut, ist eben so schlicht wie die Einrichtung, nämlich sitzen, einfach dasitzen, mit wachem Geist ganz dem gegenwärtigen Moment hingegeben – allenfalls unterstützt ein Wort oder die Beobachtung des Atems die innere Sammlung.
Eine neue Kultur der Spiritualität hat sich ausgebreitet, nicht zuletzt im Umfeld der christlichen Kirchen, eine Spiritualität, die den Weg in den Seelengrund sucht und weniger an theologischen Einsichten interessiert ist als an der Erfahrung des ungeteilten Geistes, um darin Gott zu finden – jenseits der menschlichen Vorstellungen und Gedankengebäude. Dieser Weg wurde auch im Christentum als Kontemplation gelehrt – eine radikale Form intensiven Betens. Viele Mystiker aus dem Christentum der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart geben Zeugnis von diesem Weg und der Erfahrung der Einheit mit Gott auf dem Gipfel des Wegs.
Die breite Wiederbelebung dieser Übungsform heute verdankt sich allerdings einem neuen Impuls: der Begegnung des Westens mit der Zen-Meditation, die im japanischen Zen-Buddhismus beheimatet ist. Untrennbar verbunden mit der Integration der Zen-Meditation ins Christentum ist der Jesuitenpater Hugo M. Enomiya-Lassalle. Er ist Ende der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts als christlicher Missionar nach Japan aufgebrochen. 1943 hat er unter japanischen Zen-Meistern die Schulung in der Zen-Praxis aufgenommen, und seit Ende der Sechzigerjahre ist er als „Missionar der Zen-Meditation im Christentum“ auf zahllosen Reisen in den Westen zurückgekehrt, um sie dort bekannt zu machen.
Sein wichtigster Lehrer war der japanische Zen-Meister Yamada Kôun Roshi, von 1970 bis 1989 Oberhaupt der Sanbô-Kyôdan-Schule, heute umbenannt in Sanbô-Zen-Schule1, einer Reformbewegung im Zen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand und Zen sowohl für Laien als auch für Nicht-Buddhisten öffnete. Yamada Kôun Roshi hat diese Begegnung zwischen Zen und Christentum wesentlich mitbestimmt und mit ermöglicht und ist für viele weitere Zen-Lehrer und -Lehrerinnen aus dem Christentum prägend gewesen, wie auch die Beiträge dieses Buches zeigen. Ihnen hat er die Zen-Übung als Vertiefung ihres eigenen christlichen Glaubens erschlossen.
Pater Lassalle sah in der Zen-Meditation einen Weg, das zu finden, was er bei den tiefsten christlichen Zeugen des mystischen Betens ausgedrückt sah. Eine Reihe von weiteren Christen ist seinem Weg gefolgt, um vertieft in die Zen-Praxis und ihre spirituelle Erfahrungswelt einzutauchen. Vor allem unter Ordensleuten ist die Zen-Meditation auf fruchtbare Resonanz gestoßen, was nicht verwunderlich ist, denn im Umfeld der Klöster hat die kontemplative Spiritualität im Christentum ihre traditionelle Heimat. Einigen hat Zen eine wesentliche Vertiefung ihrer Spiritualität eröffnet, sie sind zurückgekehrt als Lehrer des Zen. Zum Teil haben sie sich auch für eine Wiederentdeckung der christlichen Mystik eingesetzt und die Tradition der Kontemplation als mystischen Weg des Christentums neu belebt. Sie sind so etwas wie die erste Generation von christlichen Zen-Lehrern und haben ihrerseits die weitere Verbreitung dieser spirituellen Übungsform vorangetrieben, Übende begleitet und wieder Zen-Lehrer bzw. Kontemplationslehrer hervorgebracht.
So gibt es heute ein weit verzweigtes Netz an Klöstern, Exerzitienhäusern, Orten in der Kirche und anderen Stätten, in denen die Praxis der Zen-Meditation bzw. der Kontemplation gepflegt wird. Zählt man den Kreis derjenigen dazu, die sich für diese Übungsform und ihre Grundanschauungen interessieren und von ihnen inspiriert sind, kann man von einer beachtlichen Bewegung sprechen, die im Umfeld christlicher Spiritualität entstanden ist.
Der vorliegende Band versammelt Erfahrungen von Zen-Lehrern und -Lehrerinnen v. a. aus Deutschland, aber auch aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden, die dieser ersten oder zweiten Generation angehören. Als Theologinnen und Theologen, Pfarrerinnen, Priester und Ordensleute erzählen und reflektieren sie ihren persönlichen Weg der Begegnung und Integration von Zen-Übung und Christsein. Darüber hinaus setzen sie ihn in Beziehung zu Aussagen der christlichen Mystik, zu Einsichten der biblischen Exegese, der Dogmatik und der Erkenntnistheorie.
Eine spannende – und manchmal auch spannungsvolle – Zusammenschau ist so entstanden. Deutlich ist: Es gibt nicht nur ein Weise der Rezeption. Und Leserinnen und Leser werden – je nach ihrer eigenen Herkunft und Geschichte – größere Nähe oder Distanz zu unterschiedlichen Beiträgen empfinden.
Der Band ist durch eine Veranstaltungsreihe der Evangelischen Stadtakademie München und des Interreligiösen Forums der Katholischen Hochschulgemeinde an der TU München in den Jahren 2003 und 2004 angeregt worden.2 Die Rezeption und Inkulturation des Zen im Christentum ist kirchlicherseits ja nicht unwidersprochen geblieben. Die Veranstaltungsreihe wollte den Dialog vertiefen und die Reflexion vorantreiben. Das ist auch das Anliegen dieses Buches. Im Nachwort wird auf einige Konfliktpunkte und mögliche Klärungsansätze eingegangen.
Wir danken allen Autorinnen und Autoren, die sich spontan oder unter Zurückstellung erster Bedenken daran beteiligt haben. Dank ihrer Mitwirkung ist so ein Überblick entstanden, der eine frühe Phase der Integration von Christentum und Zen-Übung dokumentiert. Die Verbindung von biografisch-existenzieller Schilderung und gedanklicher Rückbindung an Tradition gibt diesem Band sein besonderes Profil.
1Roshi (jap.): Zen-Meister; Sanbô-Kyôdan-Schule bzw. Sanbô-Zen-Schule: Schule der „Drei Schätze“, gemeint sind Buddha, Dharma, Sangha (Buddha, die Lehre, die Gemeinschaft).
2Vortragsreihe „Wie Zen das Christentum verändert“ mit Michael von Brück, Willigis Jäger, Niklaus Brantschen, Pia Gyger und Johannes Kopp.
In einem katholischen Jugendhaus, das ich oft besuchte, wurde ein Kurs für Yoga und Meditation angeboten. Leider musste man mindestens 16 Jahre alt sein, und ich war erst 15. Ich hatte das Gefühl, eine wichtige Chance verpasst zu haben. Ein Jahr später ging wieder ein Kurs los, und diesmal war ich dabei. Das war mein Einstieg in Zen, ganz im christlichen Rahmen. Ich besuchte dann auch einige Zen-Kurse im Meditationshaus der Franziskaner in Dietfurt.
Einige Jahre später, schon vor meinem Eintritt in den Jesuitenorden, kam mein erstes Sesshin1 mit Pater Lassalle, Jesuit und Pionier der Zen-Meditation im Christentum. Es war sehr fordernd, weniger körperlich als psychisch. Dieses Sesshin hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen, und ich war noch einige Jahre lang damit beschäftigt, das aufzuarbeiten, was es in mir ausgelöst hatte.
In den folgenden Jahren war ich im Noviziat der Jesuiten, zur Einführung in den Orden, besonders auch zur spirituellen Schulung. Wir sollten, neben anderen Gebeten, eine Stunde am Tag der Betrachtung widmen, was eine Form der Meditation von biblischen Texten ist. Eine weitere Stunde übte ich jeden Tag Zen-Meditation. Es gab glücklicherweise noch andere Novizen, die dasselbe Interesse hatten. Auch der Leiter des Noviziats war dafür offen. Ich las in dieser Zeit viele Texte von Mystikern. Während mir sonst manche theologische und auch spirituelle Bücher ziemlich hohl vorkamen, haben diese Texte mein Herz und meine Sehnsucht angesprochen. Anschließend konnte ich auch wieder Zen-Sesshin mit Pater Lassalle besuchen. Immer noch war ich ein Anfänger, der die ersten tastenden Schritte auf diesem Weg ging.
Meine Zen-Meditation war in dieser Zeit eine Form des täglichen Gebets: einfach zur Ruhe kommen und in Gottes Gegenwart da sein. Es war ein mühsamer Weg ohne große Erfahrungen, und das blieb es noch lange Zeit. Nachträglich bin ich sehr froh, dass mir die Geduld und Energie geschenkt wurde, durchzuhalten. Die Motivation für meine Meditation war in dieser Zeit geteilt. Eine große Rolle spielte die innere Not, mit mir zurechtzukommen. Aber es war ganz wesentlich auch die Sehnsucht nach Gott, dieselbe Sehnsucht, die mich Jesuit hatte werden lassen. Ich war dankbar, mit Pater Lassalle und anderen, denen ich begegnen durfte, Menschen gefunden zu haben, die offensichtlich auf diesem Weg Erfüllung gefunden hatten. In all dieser Zeit war es aber für mich kaum ein Thema, dass Zen eine buddhistische Meditation darstellt und im Buddhismus verwurzelt ist, obwohl ich mich für die asiatische Kultur und den Buddhismus durchaus begeistern konnte.
Wenn auch die Übung der Meditation ohne aufregende Erfahrung ablief, geschah in dieser Zeit doch eine tiefe Umformung meines Glaubens. Diese stand in Zusammenhang mit einer großen Krise. Mein ganzes Leben schien seinen Sinn verloren zu haben, und das verdichtete sich bei der Feier des Gottesdienstes und beim Beten. In der Zen-Meditation übte ich damals nicht mit Koan2 | aber meinen Umgang mit dieser Krise kann ich nachträglich wie das Lösen eines Lebenskoan verstehen. Die Zen-Meditation war eine große Hilfe, um mich dieser Frage nach dem Sinn zu stellen. Das war eine Weise, diese Frage lebendig werden zu lassen, ihr Raum zu geben, ohne dass ich von vornherein schon eine religiöse oder sonst eine Antwort geben musste. Nach ein paar Wochen, die mir endlos vorkamen, löste sich die Frage auf und wich einer Gewissheit, die ich nicht in Worte fassen konnte.
Glaube wurde für mich ein Geschenk, eine Gnade. Er bestand nicht mehr nur darin, mich an Gewissheiten zu klammern. Ein Vertrauen, das letztlich keinen fassbaren Grund hat und das gerade deshalb unzerstörbar ist. Paulus zählt den Glauben zu den Gaben des Geistes. Er wächst aus der Beziehung zu Gott, zu Christus. Im Verständnis des Mahayana-Buddhismus3 verhält sich der Glaube zum „Geist“ wie das Licht zur Lampe: Er ist eine natürliche Funktion des „Geistes“ (die christliche Theologie nennt dasselbe „übernatürlich“). Aber diese Natürlichkeit muss erst wieder gefunden werden.
Diese Art des Glaubens erwächst aus der Spannung zwischen einem ersten Glauben und dem Zweifel – so lehrt es Zen, und so erging es mir in dieser Krise. Der Zweifel ist nicht der Feind des Glaubens, sondern die echte Auseinandersetzung mit dem Zweifel gehört zum Glauben und führt zum Glauben. Es geht im Glauben nicht nur um irgendwelche allgemein einsichtigen Wahrheiten, sondern um eine umwälzende neue und gute Botschaft. Diese ernst zu nehmen umfasst den Zweifel.
Nach zwei Jahren Studium der Philosophie kam ich zu einem einjährigen Praktikum in ein Flüchtlingslager in Malaysia. Dort waren Flüchtlinge untergebracht, die mit Booten aus Vietnam geflohen waren. Die meisten von ihnen waren Buddhisten. Diese Zeit war nicht nur persönlich sehr wichtig und prägend, sondern auch durch die Begegnung mit dem Buddhismus, zu der es kam. Ich war Supervisor für eine Gruppe von Flüchtlingen, die mit großem Einsatz für Kinder und Jugendliche im Lager sorgten, die ohne Angehörige gekommen waren. Auch die meisten meiner Mitarbeiter waren Buddhisten. Was ich am Anfang gar nicht recht fassen konnte, war, wie sie und auch andere im Lager darauf reagierten, dass ich Jesuit war. Für sie war ich ein Mönch, und sie hatten davor großen Respekt und religiöse Wertschätzung, obwohl ich Christ war. Ein paarmal war ich auch zu Feiern im buddhistischen Tempel eingeladen. Einmal kam ich dabei mit einem der Leiter dieses Tempels ins Gespräch. Er fragte mich nach christlicher Theologie, und ich stellte fest, dass er in vielen Dingen besser Bescheid wusste als ich. Diese Buddhisten haben durch ihre Offenheit, durch ihr echtes Interesse und durch ihre Wertschätzung für mein Christentum einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen. Damit haben sie mein Christentum verändert.
Manche arrogante Formen des Denkens über andere Religionen, die mir auch später noch manchmal im Theologiestudium begegneten, hatten jede Plausibilität verloren.
Im Matthäusevangelium wird die Geschichte erzählt, wie eine heidnische Frau mit der Bitte zu Jesus kommt, sie zu heilen. Sie stimmt ihn, der sie zunächst zurückweist, durch ihren großen Glauben um (Matthäus 15,21–28). Die Begegnung mit dieser Frau überzeugt, „bekehrt“ Jesus, der zuerst darauf besteht, „nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“ zu sein, dazu, dass seine Mission größer ist. Die interreligiöse Begegnung ist „gefährlich“, weil sie Überzeugungen aufbricht, die in Jahrhunderten von (oft berechtigter) Verteidigung gegen andere Religionen und von großartiger missionarischer Tätigkeit gewachsen sind. Diese Überzeugungen vermischen die universale christliche Botschaft mit chauvinistischen Einstellungen. Die Initiativen von Papst Johannes Paul II. zum interreligiösen Dialog sind ein großer Schritt in die richtige Richtung, uns durch die offene Begegnung mit Menschen anderer Religionen bekehren zu lassen.
An die Zeit im Flüchtlingslager schloss sich das Theologiestudium an. Gegen Ende dieses Studiums, als es auf die Priesterweihe zuging, wuchs in mir eine neue und noch viel deutlichere Sehnsucht nach einem spirituellen Weg. Die religiöse Sehnsucht, die Sehnsucht nach Gott, die für mein Leben grundlegend war und die mich in den Jesuitenorden geführt hatte, war noch nicht gestillt. Gleichzeitig war mein Leben inzwischen ziemlich geordnet. Und als Priester hatte ich bald auch eine deutlich sichtbare Position als „religiöser Mensch“. Diese Diskrepanz zwischen meinem inneren Empfinden und dem Äußeren ließ mich neu suchen. Schon vor der Priesterweihe besuchte ich wieder ein Sesshin, und danach ging ich richtig auf die Suche nach einem spirituellen Meister, der mich den Weg führen sollte.
Meine Übung des Zen war zu diesem Zeitpunkt viel freier als am Anfang. Erstens waren es weniger meine Probleme mit mir selbst, die mich zur Übung trieben, sondern es war viel stärker eine wirklich spirituelle Suche. Zweitens hatte ich keinerlei Ehrgeiz, es im Zen zu etwas zu bringen. Da ich einige Jahre lang nicht auf Sesshin gewesen war, hatte ich das Privileg, an das Zen von Neuem wie ein Anfänger heranzugehen, mit einer ganz neuen Suche, wenngleich ich auch in den Jahren vorher täglich treu meditiert hatte.
Während ich bisher immer sehr skeptisch gewesen war, wenn es hieß, man müsse sich an einen Meister binden, war es jetzt wesentlich die Begegnung mit meinem Meister Pater Ama Samy, Jesuit aus Indien, die mir einen ganz neuen Zugang zu Zen erschloss. Die Wirklichkeit eröffnete sich mir in einer neuen und überwältigenden Weise, der Beginn eines Erwachens zu einer neuen Existenz. Ein Geschenk.
Als ich nach diesem Beginn des Erwachens die Messe mitfeierte, war es wie etwas ganz Neues, Umwerfendes. Noch deutlicher war die Veränderung für mich, als ich selbst die Messe zelebrierte. Plötzlich wurde durchsichtig, was das alles bedeutet. Dasselbe erlebte ich beim Lesen der Bibel. Ich hatte keine neuen theologischen Einsichten gewonnen, sondern das, was ich immer schon „gewusst“ hatte, wurde ein lebendiges Wissen, das mich innerlich ergriff.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Damit waren längst nicht alle meine Probleme gelöst. In vieler Hinsicht spürte ich und spüre ich immer noch umso schmerzhafter, wie weit mein Leben von dem entfernt ist, worauf die Wirklichkeit des Erwachens hindeutet. Doch auch diese innere Gespaltenheit ist von einem grundlegenden Glauben umfasst und darin geborgen.
Mit diesem Schritt des Eindringens in den Geist von Zen begann erst der Weg, und mit jedem Schritt eröffnete sich und eröffnet sich weiterhin ein Mysterium, das lockt und ruft und fordert, weiterzugehen. Im Zen spricht man vom notwendigen Prozess der Integration. Der Reichtum, der in der ersten Andeutung des Erwachens aufscheint, muss sich entfalten, sich differenzieren, muss Fleisch werden. In diesem Prozess wurde aus meinem Eindringen in Zen auch ein Eindringen in den Buddhismus. Das geschah zunächst im Verborgenen, gleichsam unter der Hand, ohne dass ich das bewusst wollte und steuerte, vor allem durch die Auseinandersetzung und Assimilierung von Texten und Ritualen. Einige längere Zeiten des Zen-Trainings im Zen-Zentrum Bodhizendo von Pater Ama Samy sowie mein Terziat (eine spirituelle Ausbildungsphase der Jesuiten) in Indien waren wichtige Stationen auf diesem Weg der Integration.
Weit verbreitet ist das Vorurteil, Zen sei eine antiintellektuelle Bewegung. In diesem Prozess der Integration waren aber die intellektuelle Reflexion und das Studium des Zen eine große Hilfe für mich, ebenso des Buddhismus, der Fragen des interreligiösen Dialogs, der ignatianischen Spiritualität und nicht zuletzt die Beschäftigung mit theologischen Fragen. Dabei wurde mir klar, wie wichtig das Hineingehen in den Buddhismus für meinen Weg gewesen war und noch sein würde.
Dieses Eindringen in den Buddhismus war nicht einfach ein individueller Weg für mich, sondern er war und ist eingebunden in die Sangha, d. h. in die Verbindung mit meinem Zen-Meister und denen, die mit mir auf dem Weg waren und sind. Es war und ist ein Hineingenommensein. Ich begreife diese, meine und unsere Begegnung mit dem Buddhismus nach dem Modell des interreligiösen Dialogs. Nur geschieht dieser Dialog nicht zwischen Personen, die verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören, sondern verlagert in das Innere eines jeden selbst.
Dabei geht es nicht um die Vermischung zweier Religionen, nicht darum, eine Einheitsreligion zu schaffen. Oft wird ein transreligiöses Verständnis von Zen propagiert: Zen sei reine religiöse Erfahrung, und das sei der Ausgangspunkt und Zielpunkt jeder Religion. Die Erfahrung transzendiert nach dieser Auffassung die konkrete Form jeder konkreten Religion. Ein passenderer Ausgangspunkt für den interreligiösen Dialog ist die Auffassung, dass jede Religion ein System von vielen Elementen ist, von heiligen Schriften, ethischen Regeln, Gemeinschaftsleben, Ritualen, und so weiter, die zu einer letztgültigen Transformation des religiösen Menschen helfen sollen. Jede Religion bildet eine Gesamtheit, deren Teile nur in dieser Gesamtheit verständlich sind. Grundlegende Glaubensüberzeugungen werden nur von dem ganz verstanden, der in dem System der jeweiligen Religion schon drinnen ist. Und jede ausgereifte Religion kann aus ihrer Sicht berechtigt davon sprechen, dass sie das Heil universal verwirklicht.
Auf diesem Hintergrund wurde mir verständlich, warum ich in der Übung des Zen irgendwann aufgehört hatte, die buddhistischen Begriffe, die besonders in der Arbeit mit Koan eine Rolle spielen, immer in christliche Begriffe zu übersetzen. Ich konnte sie einfach in ihrem buddhistischen Kontext stehen lassen. Und gerade das befruchtete mein Verständnis vom Christentum. Die Fruchtbarkeit eines Dialogs erwächst eben gerade daraus, anzuerkennen, dass die Welt des Anderen in entscheidenden Punkten grundlegend verschieden ist von der meinen, und dass ich deshalb aus der Begegnung lernen kann.
Die letzte religiöse Erfahrung ist zwar tatsächlich jenseits aller Begriffe. In gewisser Weise verschwindet derjenige, der diese Erfahrung macht, in ihr, sodass gar niemand mehr da ist, der Erfahrung macht. Aber die Deutung der Erfahrung ist unumgänglich und wichtig, und erst in dieser Deutung geschieht das, was im Zen als Rückkehr auf den Marktplatz ganz wichtig genommen wird. Diese Deutung braucht Sprache und ist eingebunden in eine Religion mit ihrer Tradition.
Insofern erschloss mir Zen gerade durch die damit verbundene Begegnung mit dem Buddhismus auch den Wert meiner eigenen christlichen Tradition neu. Nur auf dem Hintergrund dieser Tradition konnte ich überhaupt den Weg gehen. Gleichzeitig erkenne ich, dass der Weg hinein in den Buddhismus, der zeitweilig auch mit einem schmerzhaften scheinbaren Verlust meines Christentums verbunden war, mir nicht nur den Buddhismus als wunderbare Religion, sondern auch meinen christlichen Ausgangspunkt neu erschlossen hat.
Das Christentum braucht nicht den Buddhismus, es ist in seiner Weise vollständig, aber manche wesentliche Elemente seiner Tradition sind in der heutigen Praxis nicht so lebendig, wie sie sein könnten und müssten. Karl Rahner hat die Zeichen der Zeit richtig erkannt, wenn er davon sprach, der Fromme der Zukunft werde ein Mystiker sein oder er werde nicht mehr sein. Die Begegnung mit Zen und die Zen-Übung durch Christen kann das Christentum erneuern, nicht in einer entfremdenden Weise, sondern um die eigenen Wurzeln, zu denen die Mystik gehört, neu zu entdecken und zu leben.
Im Zen unterscheidet man zwei innere Bewegungen, die man mit Vorsicht auch als Stufen der Entwicklung lesen kann. Diesen Bewegungen entsprechen Weisheit, Einsicht, Erleuchtung einerseits und Mitgefühl, liebende und tätige Aufmerksamkeit andererseits.
Die erste Bewegung wird als „Aufstieg“ bezeichnet. Eine Geschichte, die diese Bewegung illustriert, ist das Koan 28 im Mumonkan4. Tokusan, ein großer Gelehrter des Buddhismus, hatte davon gehört, dass im Süden Chinas eine Lehre vertreten wurde, die ihm häretisch erschien. Es war die Lehre des Zen von einer besonderen „Übertragung“ außerhalb, jenseits und über allen schriftlichen Lehren. Durch die Begegnung mit einer offensichtlich im Zen geschulten Verkäuferin geriet er in Zweifel. Nach einem langen Gespräch mit dem Zen-Meister Ryutan wollte er – es war schon Nacht geworden – heimgehen. Draußen war es stockdunkel, und deshalb bat er Ryutan um eine Lampe. Dieser trat mit ihm ins Freie, und als er ihm die Lampe überreichte, blies er sie aus. Da, in dieser plötzlichen Dunkelheit, erkannte Tokusan, was es mit dieser Lehre außerhalb der Schriften auf sich hatte. Er verbrannte alle seine Schriften.
Der Aufstieg führt über die Begriffe, über alle Unterscheidungen hinaus. Es geht um das ganz Andere, Unbegreifliche, Absolute, Transzendente. Dieses wird im Aufstieg unvermittelt erfasst. Das ist eine überwältigende Erfahrung, aber viel mehr als Erfahrung. „Du wirst dich fühlen wie ein Stummer, der einen Traum gehabt hat: Sprachlos kennst du ihn nur für dich selbst.“5 Christlich gesprochen ist Gott immer ganz anders, er ist allem Geschaffenen gegenüber „mehr unähnlich als ähnlich“ (Viertes Laterankonzil der Kirche, 1215). Es ist wichtig, den Mond nicht mit dem Finger zu verwechseln, der auf den Mond zeigt, die Hinweise auf Gott nicht mit der göttlichen Wirklichkeit zu verwechseln. „Darum bitten wir Gott, dass wir Gottes ledig werden“ – so bringt es Meister Eckhart in paradoxer Sprache in einer seiner Predigten zum Ausdruck (Predigt Nr. 52).
Oben war von zwei Bewegungen die Rede. Zum Aufstieg gehört der Abstieg, bzw. nach dem Aufstieg kommt der Abstieg. Es genügt nicht, „auf einer hundert Fuß hohen Stange zu sitzen. Man muss von der Spitze der Stange einen Schritt vorwärts treten und seinen Körper in alle Richtungen des Weltalls zeigen.“6 Erst das ist wirkliches Erwachen. Im Zen ist die Krankheit wohlbekannt, diesen Abstieg vermeiden zu wollen. Man verbleibt in der Schwelgerei in Erfahrungen, spricht stolz von seinen besonderen Erfahrungen und so weiter (Man verzeihe bitte alles, was ich in diesem Artikel geschrieben habe!). All das wird erst dadurch fruchtbar, dass es in die Konkretheit und Kompliziertheit des Lebens integriert wird. Das heißt, aus der Unaussprechlichkeit in die Sprache zurückzukehren, in die Welt der Begriffe und Unterscheidungen, der religiösen Tradition, der Gemeinschaft der Gläubigen, die Welt der Rituale und Lehren und vor allem in die Welt des Mitgefühls, der liebenden und tätigen Aufmerksamkeit. Gott ist inkarniert, Christus steht dafür, dass sich die Transzendenz nicht abgehoben von dieser Welt zeigt, nicht in einer Weltflucht, sondern in Immanenz, in Geschichtlichkeit, darin, ganz in dieser Welt zu leben.
Ein bisschen vereinfacht kann man sagen, dass die Sehnsucht vieler moderner Christen nach Spiritualität und nach Zen darin gründet, dass von ihnen der Abstieg ohne Aufstieg verlangt wird. Die Modernisierung des Christentums in den letzten Jahrzehnten, so notwendig und gut sie war, hat dies nicht verbessert. Nächstenliebe oder Mitgefühl gründet aber in Gott, sie ist nicht primär eine moralische Forderung, sondern ein Geschenk Gottes: „Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.“ (1 Johannes 4,10) Deshalb braucht es beide Bewegungen, Aufstieg und Abstieg.
Bekehrung bedeutet nicht einfach nur, in Zukunft moralisch besser zu handeln, sondern es geht um eine „Umwälzung des Grundes“, wie es im Zen ausgedrückt wird. Bekehrung ist keine moralische Leistung, sondern eine Gnade, ein Geschenk, und sie ist mit einer ganz neuen Sicht auf die Welt und auf sich selbst verbunden. Oft wird in christlichen Kreisen dem Zen vorgeworfen, Selbsterlösung zu predigen. Aber es ist ein großes Missverständnis, wenn damit gemeint wäre, dass es eine Leistung des Menschen ist, sich zu erlösen. Es geht, in Zen-Worten, um eine Rückkehr zum wahren Selbst, zum ursprünglichen Gesicht, oder anders gesagt, zum göttlichen Grund, und dieser Grund ist es, der erlöst.
1 Intensive Zen-Übungstage.
2 Koan sind kurze Texte, die in der Zen-Schulung eine wichtige Rolle spielen. Meist handelt es sich um Erzählungen von Dialogen zwischen früheren Zen-Meistern und ihren Schülern. Der heutige Schüler muss auf Fragen, die im Koan vorkommen, passende Antworten finden. Viele Koan sind paradox und können nicht logisch durch begriffliches Nachdenken gelöst werden, sondern nur durch den intuitiven Sprung auf eine tiefere Ebene des Begreifens.
3 Neben dem frühen Buddhismus eine spätere wichtige Schulrichtung des Buddhismus, der u. a. in China und Japan verbreitet ist.
4 Eine wichtige Sammlung von Koan aus dem 13. Jahrhundert, vgl. auch: Mumonkan. Die torlose Schranke, neu übertragen und kommentiert von Kôun Yamada, ins Deutsche übersetzt von Ludwigis Fabian und Peter Lengsfeld, München 1989.
5 Aus dem Kommentar von Zen-Meister Mumon, des Verfassers des Mumonkans, zu seinem ersten Koan.
6 Mumokan, 46. Kanon.
In meinem Buch Auf dem Weg des Zen. Als Christ Buddhist1 habe ich ausführlich und sehr persönlich dargestellt, wie mich die Erfahrung mit dem Zen oder, besser gesagt, die Zen-Erfahrung geprägt und wohl auch verändert hat. Im Folgenden beschränke ich mich auf das Thema Gebet, wobei ich sehr stark Bezug nehme auf die Schlussüberlegungen im genannten Buch.
Gelegentlich werde ich gefragt, ob Buddhisten auch beten können. Mir scheint, in dieser Frage schwingt eine andere Frage mit, nämlich die Frage nach Gott. So wird die Frage nach dem Gebet zur Testfrage des buddhistisch-christlichen Dialogs. Ich möchte die Frage nicht abstrakt stellen, sondern ganz konkret: Hat mein buddhistischer Nachbar, meine Nachbarin, die Zen praktiziert, eine Beziehung zu der Wirklichkeit, die wir Gott nennen? Und wenn ja, geben sie dieser Beziehung in dieser oder jener Form Ausdruck? Mit Blick auf unsere christliche Gebetspraxis können wir die Frage auch persönlich und existenziell stellen. Dann lautet sie: Kann ich in der sogenannten nachchristlichen Ära noch beten?
Das Gebet ist für viele zum Problem geworden. Die bislang geläufige Formel „Beten heißt sprechen mit Gott“ greift nicht mehr. Das Gespräch verlangt nämlich ein Gegenüber, verlangt Wort und Antwort. Gott aber sehen und hören wir nicht, jedenfalls nicht so, wie wir im alltäglichen Gespräch den Gesprächspartner, die Gesprächspartnerin sehen und hören – und darauf angewiesen sind, dass wir sie sehen und hören. Gott scheint zu schweigen, und so schweigt auch der Mensch, oder er sucht nach Mitteln, dieses Schweigen zu übertünchen, indem er sich etwa ein Bild macht von Gott. Aber gerade so wird er hinter dem Bild versteckt, das wir zwischen uns und ihn schieben. Das führt, wie Martin Buber einmal gesagt hat, zu einer „Gottesfinsternis“, in der Gott für uns ähnlich verborgen ist wie die Sonne zur Zeit der Sonnenfinsternis. Etwas ist zwischen die Sonne und uns getreten, nämlich der Mond; etwas ist zwischen Gott und uns getreten, nämlich das Bild, das wir von ihm gemacht haben.