Kommunikation der Zukunft
BLOGS – Der Meilenstein in der Direktvermarktung
Kommunikation der Zukunft
BLOGS – Der Meilenstein in der Direktvermarktung
Der englische Bestseller
»Naked Conversations«
Aus dem Amerikanischen von
B. Michael Andressen
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
scoble@finanzbuchverlag.de
Copyright der Originalausgabe
© 2006 by Robert Scoble and Shel Israel
All rights reserved.
This translation is published under license.
Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel „Naked Conversation.
How Blogs are Changing the Way Businesses Talk with Customers“
bei John Wiley & Sons, Inc.
Covergestaltung: Angelika Feldwieser
Gesamtbearbeitung: Agentur MCP, Holzkirchen
Lektorat: Dr. Renate Oettinger
Übersetzer: B. Michael Andressen
Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Printed in Germany
Robert Scoble / Shel Israel, Kommunikation der Zukunft
2. Auflage 2013
© 2007 FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.
ISBN (Print) 978-3-89879-812-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-459-1
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-838-4
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
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eBook by ePubMATIC.com
Für unsere Ehefrauen Paula Israel und Maryam Scoble.
Wir hätten es ohne Euch nicht geschafft, und wir hätten es auch gar nicht gewollt.
Inhalt
Vorwort
Einführung: Von Bloggern und Hufschmieden
I Was ist los?
1 Seelen der Borg
2 Alles ändert sich nie
3 Mundpropaganda und Steroide
4 Direkter Zugang
5 Kleine Firmen, große Reichweite
6 Consultants, die wissen, worum es geht
7 Überleben der Publizisten
8 Blogs und nationale Kulturen
9 Rosen haben Dornen
II Blogging richtig und falsch
10 Wie man es verkehrt macht
11 Wie man es richtig macht
12 Wie man nicht gemobbt wird
13 Blogging in Krisenzeiten
III Das große Bild
14 Emerging Technology
15 Das Zeitalter der Konversation
Danksagungen
Scoble und Israel
Ich hatte mein bestes Jahr der letzten 20 Jahre!
Wieso? Am 27. Juli 2004 habe ich zu bloggen angefangen. Ich hatte Spaß daran. Mein „Kundenkreis“ hatte Spaß daran.
MEIN LEBEN HAT SICH VERÄNDERT ... DANK ... BLOGGING.
ICH HABE DIE „KONVERSATION“ MEINES LEBENS ... MIT MEINER ... „COMMUNITY“ ... WELTWEIT.
Robert Scoble, hat zuerst im Alleingang, dem „IMPERIUM DES BÖSEN“ (Microsoft, wer sonst?) ein menschliches Gesicht gegeben ... dank seiner Bloggs.
„Business Blogging“ ist unglaublich wichtig ... oder kann es sein, wenn man einige „einfache Regeln“ befolgt ... Offenheit & Ehrlichkeit & Coolness (nicht exakt die typischen drei Geschäftsregeln)
Dieses Vorwort (Ich habe über 50 „Vorwörter“ geschrieben) ist ... PERSÖNLICH.
Bizz Blogging ... FUNKTIONIERT. Es ist von ... MONUMENTALER WICHTIGKEIT.
(Oder kann sein.)
Diese Jungs wissen es.
Hört auf sie.
BITTE.
(Wenn nicht, seid Ihr selbst schuld.)
tom peters („Der Blogging Guru“)
Einführung:
Von Bloggern und Hufschmieden
„Es begann mit Gesprächen. Dann folgten Rundfunk und Fernsehen. Und jetzt sind wir wieder auf dem Weg zum Gespräch. Der Kreis schließt sich.“
Terry Catchpole, The Catchpole Corporation
Wenn Sie hier ein paar weiße Männer mittleren Alters erwarten, die über nackte Tatsachen sprechen, haben Sie das falsche Buch erwischt. Dieses Buch handelt von einer Revolution, die die Qualität der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden verändert. Es geht darum, all den Unsinn auszuschalten, der das Verständnis und das Vertrauen untereinander blockiert. Vor allem aber geht es um Blogging, das bislang mächtigste Instrument in dieser Revolution.
Naked Conversations ist keine objektive Untersuchung, obwohl wir hart daran gearbeitet haben, gerecht und genau zu sein. Wir sind Blogging Champions. Wir glauben, dass Blogging nicht nur für Firmen interessant ist, die gerne näher am Kunden sein möchten, sondern dass es unverzichtbar ist. Wir denken, dass Unternehmen, die nicht bloggen, in naher Zukunft bis zu einem gewissen Grad als zweifelhaft gelten, sodass sich die Leute fragen, ob diese Firmen etwas zu verbergen oder Angst vor dem haben, was ihre Mitarbeiter zu sagen haben.
Es ist kein Scherz, wenn wir behaupten, dass eine Revolution im Gange ist. Aus Ihrer Perspektive mag Ihre Firma heute noch die gleiche sein, die sie gestern war. Ihre PR-Abteilung kann noch so viele Informationen verbreiten, Ihre Direktmarketingkampagnen können Antwortquoten von mehr als zwei Prozent erbringen – von Menschen, die nie gefragt werden wollten –, aber die Dinge werden, wie Sie sicher bereits wissen, immer kostspieliger und immer weniger effektiv.
Zwischen gestern und heute startet laut New York Times, Pew Research und anderen Quellen fast sekündlich ein neuer Blog. Manche sind tatsächlich das Werk von Teenagern und politisch Besessenen, aber eine zunehmende Anzahl von Bloggern spricht über Geschäfte.
Vielleicht drehen sich diese Gespräche auch über Ihre Geschäfte, um Ihren Markt, Ihre Kunden oder Produkte. Die Chancen sind hoch, dass Leute, die heute in Blogs noch nicht über Ihre Firma reden, es bald tun werden. Sie würden gut daran tun, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen, und wenn Sie nur denen danken, die Ihr Loblied singen, oder um mögliche sachliche Fehlinformationen zu korrigieren. Wenn Sie die Blogosphere – das weltweite Netzwerk der Blogs – ignorieren, erfahren Sie nicht, was die Leute über Sie denken. Sie können nicht von ihnen lernen, und sie werden Sie nicht als einen aufrichtigen Menschen betrachten, der sich um sein Geschäft sorgt und um dessen Reputation.
Naked Conversations handelt davon, wie und weshalb Sie an der Konversation teilnehmen sollten. Es erklärt Ihnen auch, wie man „intelligent“ bloggt, um Erfolg zu haben – nicht unter dem Aspekt, wie man welche Hilfsmittel benutzt, sondern welche Strategien man wie einsetzt. Naked Conversations sagt Ihnen, weshalb Unternehmer Mitarbeiter des mittleren und höheren Managements ermuntern sollten, nach Herzenslust zu bloggen und über die Geschäftsbereiche zu reden, die sie am besten verstehen. Wir erklären, weshalb es sich lohnt, diese Mitarbeiter vor den Verfechtern des Status quo zu schützen, die gerne alle Nachrichten kontrollieren und zusammenfassen würden.
Wenn Sie sich dazu entscheiden, an dieser Form der Kommunikation teilzunehmen, wird es Ihrer Firma gut tun, und Ihre Kunden werden zufriedener sein. Sie werden bessere Produkte und einen besseren Service entwickeln, indem Sie sich das Wissen der anderen zunutze machen. Obendrein werden Sie einen Haufen Geld sparen, wenn Sie teure Marketingstrategien canceln, die nicht nur nicht funktionieren, sondern auch die Leute langweilen.
Wir können nicht versprechen, dass Blogging Sie größer, dünner oder männlicher macht. Genau wie Sie sind wir durch zu viele derartige Behauptungen abgestumpft. Was wir tun können, ist, Ihnen eine große Zahl von Unternehmen vorzustellen, die bloggen – erfolgreich bloggen. Ein großer Teil dieses Buches gibt anerkannten Bloggern die Gelegenheit, ihre Geschichten zu erzählen. Wir zitieren sie so oft wie möglich, damit Sie sie selber beurteilen können. Hin und wieder stimmen wir nicht mit dem, was sie sagen, überein. In diesen Fällen bringen wir unsere eigene Meinung respektvoll zum Ausdruck. Wir haben bereits einige Passagen aus Naked Conversations in unserem eigenen Blog veröffentlicht und ein paar Kommentare von Leuten hinzugefügt, die uns nicht zustimmen. Wir verdanken diesen Besuchern unseres Blogs viel. Sie waren die Quellen für viele Geschichten, die wir hier erzählen. Sie waren unsere Faktenprüfer. Kurz gesagt, sie haben uns geholfen, ein besseres Buch zu schreiben.
Wir hoffen, dass einige dieser Beispiele für Sie und Ihre Firma relevant sind. Wir haben mit Bloggern gesprochen, die sowohl in Fortune-10-Aufsichtsräten als auch alleine in Konzernzentralen agieren. Wir berichten von japanischen Zahnärzten und den Besitzern von Sportmannschaften, T-Shirt-Herstellern und einem Schneider, der die mit am teuersten Anzüge der Welt herstellt. Nehmen Sie sich Zeit, wenn Sie dieses Buch in einer Buchhandlung ansehen, und blättern Sie diese Kapitel in Ruhe durch, um herauszufinden, ob irgendeiner dieser Consultants, Technologen, Unternehmer, Handwerker, Gastronomen, Rechtsanwälte, Bauunternehmer, Start-up-Unternehmer und Vorstandsvorsitzenden etwas über Blogging zu sagen haben, das für Sie nützlich sein könnte. Wenn Sie online sind, können Sie alle Interviews unter http://nakedconversations.com nachlesen. Wir bieten längere Versionen der meisten Interviews an, damit Sie genau verfolgen können, was die Leute im Einzelnen genau zu sagen hatten.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Naked Conversations unterstützt Blogging, aber es zeichnet auch die Schattenseiten auf. Wir untersuchen die Risiken und Einschränkungen wie Zeitaufwand, gesetzliche Bedenken, Konflikte mit PR-Abteilungen, Kündigungsgründe, Weitergabe von Wettbewerbsinformationen und so weiter. Wir sagen auch, was jeder von diesen Bloggern – es sind über 100 – ungeachtet seiner geschäftlichen Ambitionen interessant gefunden hat.
Naked Conversations versucht ein „Gesamtbild“ des Bloggings zu vermitteln. Einerseits kann ein Blog einfach nur ein Werkzeug sein, andererseits ist dieses Werkzeug eine der mächtigsten Komponenten, die die kommunikative Revolution, die schon seit geraumer Zeit im Gange ist und ihrem Höhepunkt zustrebt, hervorgebracht hat. Die Revolution findet innerhalb der Unternehmenskommunikation statt, und zwar nicht nur mit Kunden, sondern mit dem gesamten Umfeld – Partnern, Lieferanten, Mitarbeitern, Kunden, Interessenten, Investoren und den gesamten Medien.
Es hat bereits zuvor jede Menge Kommunikationsmöglichkeiten, wie E-Mail, SMS, Instant Messaging, Chatrooms und das Telefon, gegeben. All diese Werkzeuge benutzen Technologien, um Menschen die Möglichkeit zu geben, miteinander auf direkte, informelle Weise zu kommunizieren. Blogger warnen sich nicht gegenseitig vor zukunftsweisenden Ankündigungen, die Wiederverwendung von geistigem Eigentum oder dass ihre Augen blutunterlaufen werden könnten, wenn sie eine Kopfschmerztablette nehmen. Sie versprechen sich nicht gegenseitig, dass weißere Hemden bessere Ehen ausmachen oder dass der Verzicht auf Zigaretten die Qualität des Testosterons bei männlichen Stadtbewohnern verbessert.
Blogger reden einfach miteinander. Sie machen grammatikalische Fehler. Sie springen von einem Punkt zum nächsten und wieder zurück. Sie unterbrechen sich gegenseitig, um Fragen zu stellen, machen Vorschläge und liefern provozierende Argumente. Diese Art der Unterhaltung baut Vertrauen auf. Einer der Pioniere des Bloggings, Dave Winer, nennt es „Komm-wie-du-bist-Gespräche“ und erklärt, dass er sich freut, wenn er hin und wieder mal einen Tippfehler entdeckt, denn das zeigt die Authentizität ungefilterter Texte einer realen Person.
Umgekehrt sind Blogger aber auch genauso misstrauisch wie andere Leute, wenn sie auf die geschliffenen Texte offizieller Sprecher stoßen. Sie benutzen Ausdrücke wie „angegossen“, um ihr Misstrauen darüber zum Ausdruck zu bringen, dass kein menschliches Leben darin zu spüren ist. Sprecher benutzen eine merkwürdige Sprache, die wir „Unternehmenssprache“ nennen, ein widersprüchliches Gemisch aus vorsichtiger Juristensprache, durchsetzt mit Übertreibungen aus dem Marketingbereich. Unternehmenssprecher reden nur mit Leuten, wenn sie es wollen, und nicht, wenn die Leute zuhören wollen. Sie benutzen Anzeigen, Pressemitteilungen, Direktmarketing und Websites, um ihre Ziele zu erreichen. Es ist wie der Kalte Krieg. Die Leute kaufen oder entwickeln Filter und Technologien wie TiVo und Spamfilter, um diese Marketingnachrichten auszusondern. Anbieter entwickeln jedoch immer neue Methoden, um diese Filter zu umgehen. Wenn allerdings Kunden mit ihnen sprechen wollen, bedienen sich eben diese Anbieter einer Mischung aus Technik und Bürokratie, wie Sprachverarbeitung und FAQ auf Internetsites, oder sie benutzen uninformierte und unterbesetzte Callcenter, um die Stimmen der Kunden auszublenden und menschlichen Kontakt zu vermeiden.
Die meisten Leute haben einen negativen Eindruck vom Marketing. Ein führender Kommunikationsspezialist eines Konzerns gab uns gegenüber zu, dass er die Pressemitteilungen aus seiner eigenen Abteilung gar nicht mehr lesen würde. „Sie sind einfach ein Haufen Mist“, erklärte er uns und fügte hinzu: „Aber wir haben ein paar richtig coole Blogger.“ Wir fanden seine „unternehmensfeindliche“ Haltung weit verbreitet in Konzernen, kleineren Unternehmen und Home Offices. Diese Stimmung ist ein Schlüssel dazu, weshalb Blogging einen wachsenden Einfluss gewinnt.
In Naked Conversations geht es darum, dass Unternehmen und Umfeld auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren. Das ist nicht wirklich neu. Es ist genau das, was Bäcker, Metzger und Kerzenzieher bereits praktizierten, bevor ihre Geschäfte Teile einer Kette, eines Franchise-Unternehmens oder eines Baumarktes wurden beziehungsweise bevor sie ihnen zum Opfer fielen.
Die Bewegung wurde im Jahre 2000 in Gang gesetzt, als das Buch The Cluetrain Manifesto mit seinen Argumenten den Nerv traf, dass Märkte Gesprächsforen sind – vor allem für arbeitslose Entwickler, die dabei sind, notwendige Werkzeuge für Blogs zu konstruieren, und für Marketingfachleute, die sich darüber wundern, dass sich etwas ändert.
Im Prinzip kann Naked Concersations nicht viel zu dem hinzufügen, was bereits in Cluetrain gesagt worden ist. Wir sehen aber auch keine Veranlassung dafür. Wir glauben, dass allgemeine Wahrheiten, wie es einer der Autoren von Cluetrain richtig bemerkte, ganz selbstverständlich sind. David Weinberger, einer der Autoren von Cluetrain, benutzt die E-Mail Adresse self@evident.com. Wir finden es besonders treffend.
In den sechs Jahren, die seit Erscheinen jenes Buches vergangen sind, ist eine ganze Menge passiert. Blogging hat auf drei Kontinente übergegriffen. Als wir dieses Projekt vor weniger als einem Jahr begannen, betrachteten die meisten Unternehmen Blogging noch als vorübergehende Modeerscheinung. Inzwischen haben viele Manager und Führungskräfte die Angst davor bestätigt. Das ist ein Fortschritt – zumindest kommt es uns so vor. Der Philosoph Arthur Schopenhauer beobachtete einst: „Alle Wahrheiten durchleben drei Stadien: Zuerst ist es Verhöhnung, zweitens wird heftig opponiert, drittens wird es als Selbstverständlichkeit akzeptiert.“ Blogging hat die Phasen der Ablehnung und der Wut größtenteils überwunden. Unternehmen sehen inzwischen das große Potenzial des Bloggings und haben damit begonnen, es ihren Bedürfnissen anzupassen.
Inhaber und Geschäftsführer, mit denen wir sprachen, erzählten uns von dem Stress, den die Umstellungen und Veränderungen mit sich brächten. Zehn Jahre zuvor empfanden viele die gleiche Art Stress, als das Internet explodierte. Und in zehn Jahren ist es wahrscheinlich etwas anderes. Bis dahin wird Blogging so ein alter Hut sein wie heute die Websites. Wir werden zurückblicken und uns darüber mokieren, wie altmodisch 2006 alles war.
Aber wir bezweifeln, dass die kommunikativen Kapazitäten des Bloggings jemals als antiquiert angesehen werden. Es ist die erste Technologie, die es ermöglicht, eine einfache Kommunikation weltweit ohne Zeitverzögerung zu führen, und es ist die erste, die die Unternehmenskommunikation dezentralisiert und von den bisherigen Kontrollorganen befreit. Gleichzeitig werden geographische Barrieren niedergerissen, die Beziehungen zwischen Leuten, die ähnliche Interessen teilen, bislang eingeschränkt hatten.
Wir sind nicht ganz sicher, wie wir diese Revolution nennen sollen. Während wir Naked Conversations schrieben, hörten wir, dass das Phänomen als dialogorientiertes Marketing, Marketing mit Quellenoffenheit, wechselseitiges Marketing und sogar Eckladen-Marketing bezeichnet wurde. Wir finden, dass alle passen, und vielleicht ist es bezeichnend für diese neue Art des Marketings, dass es keinen eigentlichen Namen dafür gibt. Niemand kann eine Marke daraus machen, und doch interessiert es viele Leute.
Wie in jeder Revolution wird es natürlich Verluste geben. In diesem Fall gehen wir davon aus, dass es Verfechter und Befürworter herkömmlicher Marketingstrategien sein werden, die damit argumentieren, dass bislang alles gut funktioniert hat. Vielleicht sollten sie nach Hause gehen und ihre Familien fragen, was sie von Fernsehwerbung, Junk-Mails und Bannern halten. Wir prophezeien ihren Niedergang ohne Schadenfreude und behaupten nicht, dass Marketingstrategien an sich überflüssig geworden sind – lediglich jene in den elektronischen Medien, die sagen: „Wir reden. Sie hören zu“ sollten möglichst bald der Vergangenheit angehören.
Wir glauben, dass diejenigen, die sich nicht anpassen, schon bald das gleiche Schicksal erleben wie der Hufschmied im vergangenen Jahrhundert. Als er zum ersten Mal ein Auto gesehen hat, muss er über die rührende mechanische Kuriosität gelacht haben. Vielleicht hat er auch einen mächtigen Arm gehoben und mit einem verwirrten Ausdruck in seinem Gesicht seinen schweren Hammer auf den Amboss niedersausen lassen, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass viele seiner Zunftgenossen schon bald arbeitslos sein würden.
Unser leidenschaftlicher Rat an Sie: Schließen Sie sich der Konversation jetzt an. Der Einstieg ist einfach, die Vorteile sind groß, und Blogging macht zufälligerweise auch noch Spaß.
Freuen Sie sich auf Naked Conversations. Besuchen Sie unsere Blogsite1 und sagen Sie uns, was Sie denken. Wir sind immer zu einem guten Gespräch bereit.
I
Was ist los?
„Nichts Großes geschieht, und nichts Großes kann vollendet werden ohne Leidenschaft.”
G. W. F. Hegel
1 Seelen der Borg
„[Unternehmen] können keinen Hochverrat begehen, noch können sie geächtet oder exkommuniziert werden.“
Sir Edward Coke (1552–1634)
Wie leben in einer Zeit, in der die meisten Menschen großen Konzernen misstrauen. Medien berichten von Gesetzesübertretungen, Anschuldigungen und altmodischem Plünderungen, aber das ist nur ein Teil des Problems. Es gibt eine grundsätzliche Auffassung, wonach große Unternehmen und Konzerne von schmierigen Rechtsanwälten und auf die Banken fixierten Consultants geführt werden, die eine Armee von willfährigen, Drohnen ähnlichen Angestellten überwachen. Unternehmen werden als Monolithen wahrgenommen, ohne Seelen. Kurz gesagt, wir sehen keine Menschlichkeit.
Seit langem schon sitzt Microsoft in den ersten Reihen der Unternehmen, an die man denkt, wenn man sich das Gesamtbild anschaut. Microsoft wird häufig als räuberisch und herzlos wahrgenommen und hat die Reputation eines skrupellosen, alles niederwalzenden Mitbewerbers, der sich vor Gericht mit Staatsanwälten rumschlägt und seinen Kunden Schwachstellen und frustrierende Störimpulse zumutet. Um zu sehen, was die Leute von Microsoft halten, müssen Sie nur die Suchmaschinen konsultieren. Als wir bei Google „Evil Empire + Microsoft“ eingaben, erhielten wir 471.000 Antworten. Die Worte „Microsoft sucks“ brachten 669.000 Einträge, und „Microsoft + Borg“ generierten mehr als eine Viertelmillion Einträge.
In Wirklichkeit ist Microsoft kein Monolith, sondern eine Organisation, die aus mehr als 56.000 Individuen besteht, von denen die meisten keine oder nur wenig Ahnung haben, welche Sünden in der Vergangenheit begangen worden waren und von wem. Ein großer Teil dieser Mitarbeiter war noch nicht im Unternehmen, als es zu den Kontroversen kam, und falls doch, waren sie meistens noch zu weit unten in der Hierarchie, um etwas mitzubekommen. Und gut dokumentierte Schwachstellen bei Microsoft-Produkten werden möglicherweise durch die Tatsache verstärkt, dass fast jeder Microsoft-Produkte benutzt. Trotzdem ist das Unternehmen ohne Zweifel durch diese Blessuren in seiner Reputation beschädigt. Einige talentierte Leute weigern sich schlicht, dort zu arbeiten, und viele von denen, die dort arbeiten, geben zu, dass sie manchmal ziemlich demoralisiert sind durch die negativen Einflüsse.
In den vergangenen Jahren hat Microsoft ernsthafte Versuche unternommen, sein öffentliches Image zu verbessern. Walter Mossberg, Autor der einflussreichen Personal-Technology-Kolumne des Wall Street Journals, beobachtete Folgendes:
Seit dem Ende des Antikartellverfahrens versuchte Microsoft es mit einer massiven Charmeoffensive. Systematisch legte es einen Rechtsstreit nach dem anderen mit der Konkurrenz und Regierungen bei. Bill Gates [Vorstandsvorsitzender] ist ruhiger geworden, weniger kämpferisch in der Öffentlichkeit, seit er den Posten als CEO aufgegeben hat. Seine Wohltätigkeitsstiftung ist in der Öffentlichkeit gut angekommen. Und das Unternehmen hat zahlreichen Angestellten erlaubt, ein menschliches Gesicht beim Blogging zu zeigen. Alles zusammen hat dem Image gut getan.
Unsere informellen Nachforschungen haben es ebenfalls bestätigt. Wo immer wir nachgeschaut haben, haben wir festgestellt, dass die Abneigung gegen das Unternehmen erneut nachgelassen hat. Eine genaue Durchsicht der Google-Ergebnisse zeigte, das die Zahl neuerer negativer Artikel rückläufig ist. Die Presse schlägt inzwischen bei Microsoft neutralere Töne an, und angesehene Magazine wie Fortune und The Economist haben kürzlich ein, wenn auch nur zaghaftes, Loblied gesungen. Hinzu kommt, dass Produkteinführungen wie MSN Spaces (Microsofts kostenloser Blogging-Service) bei Fachleuten mit weniger Vorbehalten aufgenommen wurde als erwartet.
Selbst der häufig dämonisierte Gates scheint die etwas freundlichere Aufnahme zu genießen. Gegen Ende des Jahres 2004 besuchte der Vorstandsvorsitzende ein halbes Dutzend Veranstaltungen in Silicon Valley und schien sich wohler zu fühlen als bei vergangenen Besuchen. Medienvertreter zeigten sich überrascht und auch ein wenig enttäuscht, dass die meisten Fragen aus dem Publikum eher freundlich waren. Die wenigen provokanten Wortmeldungen aus dem Publikum bezogen sich mehr auf Sicherheitsfragen und Linux Server und entsprachen nicht den üblichen ethischen Hetzreden. Eie andere anekdotenhafte Geschichte ist, dass der fünf Jahre alte „Evil Empire Blog“ im Januar 2005 geschlossen wurde. Sein Autor behauptete, er sei nicht mehr nötig gewesen, weil die etablierten Medien die Themen gut abdeckten. Andere bemerkten, dass die Zahl der Leser zurückging.
Selbst Mitch Kapor, Vorstandsvorsitzender der Open Source Application Foundation (OSAF), der sein Missfallen über Microsoft lange unverblümt zum Ausdruck gebracht hatte, scheint milder geworden zu sein. Während einer Konferenz im Mai 2004 sagte er in einem Interview: „Lieder über Evil Empire zu singen mag noch immer Spaß machen, aber es ist eigentlich nur noch etwas für alternde Hippies.“ Andere langjährige Kritiker wie Steve Jobs, CEO bei Apple, Scott McNealy, Mitbegründer von Sun Microsystems, und Larry Ellison, CEO bei Oracle, äußern sich nicht mehr.
Neben diesen anekdotischen Begebenheiten hat Microsoft auch handfeste Beweise: Untersuchungen zeigen, dass die Kunden dem Unternehmen heute mit mehr Vertrauen begegnen.
Pressebeobachter bemerkten ebenfalls eine positive Veränderung in den Aussagen von Lesern. Der Chefredakteur von PC Magazine, Michael J. Miller, erzählte uns: „Ich denke, viele Leute, vor allem in Silicon Valley, sehen Microsoft inzwischen mit anderen Augen. Es gibt sicher eine ganze Menge Gründe dafür, inklusive Microsofts größerer Präsenz im Valley, ein freundlicherer Kontakt mit der Industrie und die Post-Internet Bust Economy.“
Aber eine wachsende Zahl von Microsoft-Beobachtern und Leuten im mittleren Management bei Microsoft glauben, dass es noch einen anderen Grund gibt – Blogging. Und die Leute, die es tatsächlich tun, sind sich absolut sicher, dass sie etwas verändern.
Menschen, nicht Borg
Joshua Allen, XML Team Program Manager, bestätigte, dass verschiedene Faktoren an der offenkundigen Wahrnehmungsverschiebung beteiligt seien, aber er habe das Gefühl, dass: „Blogging ohne Frage den größten Anteil daran hat“. Allen war Microsofts erster Blogger. Sein derzeitiger Blog, Better Living through Software1, begann im Jahr 2000, etwa zur gleichen Zeit, als die Anschuldigungen und Angriffe gegen Microsoft ihren Höhepunkt erreichten. Regierungen wollten das Unternehmen zerlegen, und die Bewegung „Alles, nur nicht Microsoft“ entwickelte Eigendynamik. Intern herrschte damals ein Klima der Angst: „Wir fürchteten uns davor, rauszugehen und mit den Leuten zu reden. Wir machten uns Sorgen, dass wir das Unternehmen mit schlechter Publicity in Schwierigkeiten bringen könnten.“ Allen fragte weder seine Vorgesetzten noch die Juristen oder die PR-Abteilung um Erlaubnis. Er begann einfach seinen Blog, denn: „Ich wollte sagen, ich arbeite für Microsoft, und man kann mit mir reden.“
„Ich wusste, dass ich nichts Dummes in der Öffentlichkeit sagen würde, und ich dachte, dass es ein guter Test sei“, erinnert er sich. Allen hoffte, dass ihm Kollegen folgen würden, wenn er anfing zu bloggen. „Wir mussten deutlich machen, dass wir richtige Menschen waren und nicht der Borg.“ Er dachte, seine Unternehmenskultur sei dem Blogging förderlich. Wie andere Blogger bei Microsoft, die wir interviewten, zitierte er CEO Steve Ballmer, der die Mitarbeiter von Microsoft ständig dazu ermunterte, wann immer und wo immer es ging, mit den Kunden zu reden.
In weniger als einem Monat erhielt sein Chef die erste interne E-Mail, in der Allens Entlassung gefordert wurde. Derartige E-Mails folgten regelmäßig.
Ein paar Mitarbeiter, die Allen nahe standen, begannen allmählich, seinem Beispiel zu folgen. Als sie ungefähr 15 waren, fing man in der Rechtsabteilung an, sich Gedanken über ein eventuelles Risiko zu machen. Nach Aussagen von Allen bewegten sich die Blogger nur noch wie auf Eierschalen. „Jeder machte sich Sorgen, dass jemand etwas Dummes tun könnte und alles zusammenbrechen würde. Auch die Juristen waren nach wie vor beunruhigt und gaben Richtlinien heraus.“
Im März 2005 gab es mehr als 1.500 aktive Blogger bei Microsoft. „Die Juristen sind noch immer in Sorge.“ Allen zuckte mit den Achseln. „Bis jetzt hat noch niemand etwas so Dummes angestellt, dass wir Richtlinien zum Blogging brauchen, und niemand ist bislang zitiert worden.“
Während die Juristen sich über Risiken Gedanken machten, waren einige Kunden hellauf begeistert. Ein großer Teil bemerkte nicht einmal, dass er in einem Blog gelandet war. Die Kunden waren mehr an der wechselseitigen Unterhaltung interessiert, die stattfand, als an der Frage, wie es funktioniert. Sie waren froh, dass sich eine reale Person bei Microsoft mit ihnen unterhielt, ihnen zuhörte und antwortete.
Die Unterhaltungen zogen weitere Gespräche nach sich. Leute wie Dave Winer, der Vater der Blogging-Technik, Doc Searls, Co-Autor der Blogging-Bibel The Cluetrain Manifesto, und Tim O’Reilly, Gründer und CEO von O’Reilly Media, wiesen auf Allens Blog hin. Die Tatsache, dass ein Mitarbeiter von Microsoft bloggte, war Neuigkeit genug für Winer, um seine Leser im Jahr 2000 fünf Mal auf Allens Blog aufmerksam zu machen. Allen erinnert sich, dass er Post von Leuten bekam, die einfach nur neugierig waren und sehen wollten, was das Evil Empire im Sinn hatte. „Andere Blogger verlinkten sich und sagten: ‚Genau das ist es, was der Borg denkt.’“
Aber Winer, den man lange für Microsofts schärfsten Kritiker gehalten hatte, fragte immer wieder, weshalb nicht mehr Leute bei Microsoft bloggten, und jedes Mal begannen anschließend ein paar mehr zu bloggen. Allen hatte das Gefühl, das sich mit steigender Zahl ein Unternehmen aus lauter Individuen entwickelte, das mehr „einer Herde Vieh glich als dem Borg. Die Leute entdeckten auf einmal, dass es innerhalb des Unternehmens Lager und Trends gab.“
Rückblickend meint Allen: „Ich denke, Microsofts Image wurde einfach weicher. Die Menschen, inklusive Journalisten, wissen heute viel mehr über Microsoft.“ Möglicherweise noch signifikanter war seiner Meinung nach dem positiven Einfluss auf die Moral der Mitarbeiter und die Fähigkeit des Unternehmens, neue Talente anzuziehen.
Aber das Management ist nach wie vor weit davon entfernt, einer Meinung über die Vorteile und die Verantwortlichkeit des Bloggings zu sein, und es könnte sein, dass der Mangel an Blogging-Regeln diese Ambivalenz noch verlängert. Während einige Vorstände Aktionen befürworten, die die Blogger dazu verurteilen, ihren Mund zu halten, unterstützen andere Führungskräfte die Blogger und halten ihnen den Rücken frei. Selbst der Vorstandsvorsitzende Bill Gates scheint keine internen Regelungen anzustreben, vielmehr gehört er zu den Befürwortern, die sowohl den Wert als auch die Unvermeidbarkeit des Unternehmens-Bloggings sehen. Im September 2005 dankte er Co-Autor Scoble für sein Blogging und seine Arbeit im Channel 9. „Sie geben den Menschen einen Eindruck von den Menschen hier. Sie bauen Brücken. Die Leute fühlen sich mehr als Teil von diesem. Vielleicht werden sie uns sagen, wie wir unsere Produkte verbessern können“, sagte Gates bei einem Exklusivinterview.
Tony Perkins, CEO und Herausgeber von AlwaysOn, the blogazine of innovation, berichtete in der Hartcover-Ausgabe von AlwaysOn von Bemerkungen, die Gates bei einem Dinner in seinem Haus am Lake Washington in Seattle gemacht hatte. Nach Aussage von Perkins gab Gates zu, dass „Blogging die Kommunikation sehr einfach macht. Es hat keine Nachteile wie E-Mails und Websites. Letztendlich werden die meisten Unternehmen Blogs einsetzen, um mit Kunden, Zulieferern und Mitarbeitern zu kommunizieren, weil es wechselseitig und befriedigender ist.“
Perkins fügte hinzu: „Gates weiß, das die Überzeugungskraft der Blogosphere nahezu am Explodieren ist und dass Marketing- und PR-Fachleute die Realität akzeptieren müssen, oder sie riskieren, die Kontrolle über ihre Botschaften zu verlieren.“ Gates’ Bemerkungen Perkins und Scoble gegenüber scheinen zu zeigen, dass Gates es weder in Erwägung zieht, die Blogs zu schließen, noch ihren strategischen Wert in Frage stellt.
Allen vermittelt uns freundlicherweise einen Eindruck von der Kurzsichtigkeit der Anhänger der Anti-Blogging-Politik: Persönlich denke ich, dass [Microsofts Blogging-Gegner] es gut meinen, aber sie machen sich zu viele Gedanken, und sie unterschätzen die Macht der Mundpropaganda.“
Was lernen andere Unternehmen aus Microsofts Erfahrungen? Allen meint dazu: „Es wird nicht Ihr ganzes Unternehmen zusammenbrechen, wenn Sie es tun, und Ihre Kunden werden Sie lieben.“
Gates in the Way
Lenn Pryor war beeindruckt von den technologischen Fähigkeiten des Unternehmens. Als er dort 1998 als technischer Evangelist begann, war ihm das volle Ausmaß der weltweiten Unpopularität der Firma nicht bewusst.
„Das Erste, was ich lernte, war, dass die Leute nicht sehr erbaut waren, wenn ich Kunden besuchte“, erklärte er. „Was sich hinderlich in meinen Beziehungen auswirkte, war die Tatsache, dass ich für Microsoft arbeitete. Die zwei Personen, die Microsoft repräsentierten – Bill Gates und Steve Ballmer –, standen mir im Weg.“ Er hatte das Gefühl, dass er in die Ecke gedrängt wurde, weil er mit „zwei der reichsten Männer der Welt“ in Verbindung stand.
Pryor würde diese Erfahrung immer wieder machen. Er würde mit einem Kunden ausgehen. Sie würden eine recht angenehme Zeit miteinander haben; dann würde der Kunde plötzlich für eine Weile still und nachdenklich sein und schließlich herausplatzen: „Wissen Sie, Lenn, ich bin wirklich überrascht, dass Sie ein so netter Kerl sind. Das hatte ich nicht erwartet.“ Pryor würde fragen: „Und warum nicht?“ Worauf der Kunde antworten würde: „Weil Sie Microsoft sind, und Microsoft ist der Inbegriff des Bösen. Sie wirken einfach nicht so böse, also können Sie es entweder ziemlich gut verbergen, oder ich habe Sie falsch eingeschätzt.“
Diese Erfahrungen störten Pryor. Nur weil er Microsoft vertrat, waren die Kunden der Meinung, dass er nicht zuverlässig sein könnte. Er litt jahrelang unter diesem Dilemma.
Alle zwei Jahre gab es für eine Woche eine kurze Unterbrechung im Hass auf Microsoft, und zwar immer dann, wenn die Microsoft Professional Developer’s Conference (PDC) stattfand. Ungefähr 6.000 Entwickler trafen sich mit 2.000 Leuten von Microsoft. Sie sahen die neuesten technologischen Prototypen, teilten Ideen, aßen Pizza, tranken, lachten, zeigten sich gegenseitig Familienfotos und waren einander verbunden. „Wir waren tatsächlich jedermanns Freunde. In den Augen unserer Kunden wurden wir menschlich, und sie wurden es in unseren. Alle Missverständnisse waren verflogen“, erinnerte sich Pryor.
Aber mit dem Ende der Veranstaltung endete auch die Magie. Pryor wusste, dass die positiven Gefühle verschwinden würden, wenn er sich nichts einfallen ließ, um sie aufrechtzuerhalten. „Wir wären wieder die bösen Jungs von Microsoft gewesen.“ Es war eine lange Woche gewesen. Er hatte einen emotionalen Katzenjammer und fuhr mit einer Erkältung nach Hause. Als er ein paar Tage später gerade dabei war, eine ausgiebige Dusche zu nehmen, um die Müdigkeit abzuschütteln, kam ihm der erlösende Gedanke.
Während der PDC hatte es eine persönliche Verbindung gegeben. Für die Mitarbeiter von Microsoft waren die Kunden eine Woche lang mehr als nur Statistiken, und die Kunden sahen die Vertreter von Microsoft als richtige Menschen. Wenn es Pryor gelang, diesen vermenschlichenden Faktor ins tägliche Leben zu bringen, konnte sich das Verhältnis zwischen Microsoft und seinen Kunden für immer ändern. Was Microsoft brauchte, stellte Pryor fest, war eine Art offener Kanal, der Microsoft vermenschlichen würde – eine gewaltige Herausforderung, wenn es jemals einen geben würde. Vielleicht, dachte Pryor, könnte er eine Form von Reality TV bei Microsoft schaffen, das er unter Leuten verbreiten konnte, die das Internet nutzten. Er musste nur mit einer Kamera die Entwickler und technischen Gurus von Microsoft so zeigen, wie sie wirklich waren, wenn sie arbeiteten. Er würde das Bildmaterial unbearbeitet lassen, ohne Marketingpolitur und ganz sicher ohne einen aalglatten, braun gebrannten Kommentator im Anzug.
Die Idee wurde eine Weile bei Microsoft diskutiert, bis die Entscheidung für Channel 9 fiel, den cleveren, improvisierten Video-Blog – und gleichzeitig den einzigen offiziellen Unternehmens-Blog. Der Name ist vom offenen Audiokanal von United Airlines (UA) abgeleitet, auf dem die Passagiere den Piloten während des Starts und der Landung zuhören können. Pryor kannte ihn gut, denn dieser Channel 9 hatte ihm geholfen, seine Flugangst zu überwinden: „Ich hatte dieses gespannte Verhältnis zu United Airlines und seinem Produkt. Ich fürchtete mich zu Tode vor ihrem Produkt, selbst wenn ich es beruflich nutzen musste und mir niemand dabei half, mich bezüglich ihres Produkts oder ihres Unternehmens besser zu fühlen. „Kommt Ihnen das bekannt vor?“ Pryor lächelte verschmitzt über seine eigene Metapher. Pryor erklärte, dass er seine Flugangst überwunden hatte, indem er etwas über das Leben eines Piloten erfuhr. „Je besser ich ihn kennen lernte, umso mehr spürte ich, dass seine besten Interessen meine besten Interessen waren. Ich glaube nicht, dass es einen besseren Vergleich gibt, um zu beschreiben, was die Leute über Microsoft fühlen, als diejenigen, die Angst vorm Fliegen haben.“
Microsoft beschloss also, dass Pryor und sein Team einen eigenen Channel 9 aufbauen sollten. Seine Idee war, „einfach unser Leben mit Leuten zu teilen, um ihnen zu zeigen, dass wir auch Menschen sind, und dann werden sie uns vertrauen“. Er malte sich aus, dass Channel 9 den Evangelismus neu definieren würde. Historisch betrachtet haben Evangelisten die Tugenden ihres Produkts gepriesen, indem sie das Wort über die Eigenschaften und Vorteile verbreiteten. Pryor wollte das Augenmerk von den Produkten auf persönliche Beziehungen lenken.
Pryor und sein Mitarbeiter Jeff Sandquist präsentierten diese Idee ihrem Chef, Vic Gundotra, dem Generaldirektor der Evangelismus-Plattform, für den die Idee, dass ein Mann herumlaufen und mit einer Videokamera die Leute in Gängen und Büros filmen und über ihre Arbeit und ihr Leben befragen sollte, ein wenig verrückt klang. Aber sie gefiel ihm, und er beauftragte die beiden, sie weiterzuverfolgen. Sie kamen überein, dass das Projekt unauffällig beginnen sollte, ohne großes Marketing-Tamtam. Ihnen war auch klar, dass es bei Microsoft Leute gab, die dagegen waren. Gundotra würde ihnen Rückendeckung und Unterstützung gewähren.
Pryor musste sein Team neu zusammenstellen. Da war dieser Typ, Robert Scoble, er war relativ neu und hatte seinen Platz bei Microsoft noch nicht so richtig gefunden. Pryor kannte Scoble flüchtig. Winer war ein paar Jahre zuvor Scobles Mentor und Boss bei Winer’s User Land gewesen. Als ein profilierter, passionierter und vielleicht fanatischer Blogger hatte er bis zu 50 Eintragungen pro Nacht auf seiner persönlichen Scobleizer2 Site.
Bevor er nach Redmond ging, war Scoble NEC’s Evangelist für den Tablet PC gewesen. In dieser Funktion hatte er an einer Konferenz für Entwickler teilgenommen, bei der er Ballmer öffentlich den Rat gab, „Microsoft ein menschlicheres Gesicht zu geben“. (Ballmer belohnte die Idee mit einem signierten Dollar.) Als NEC anfing, seinen gefeierten flachen PC auszuliefern, sorgte Scoble dafür, dass zwei Leute in Redmond jeweils gleich einen der ersten Lieferung bekamen. Einer war Gates. Der andere war Gundotra, der ihn schließlich einstellte.
Scoble war nicht der charakteristische Microsoft-Typ und mit Sicherheit niemand, den man in einem Front Office erwartete. Pryor sagte immer: „Robert legt seine Schwächen offen auf den Tisch. Er ist neugierig wie ein Kind, und es ist schwer, ihn nicht zu mögen und ihm zu vertrauen.“ Scoble hatte seinen „Scobleizer“ bereits begonnen, der sich häufig kritisch mit Microsoft auseinandersetzte, aber er fiel Pryor auf, weil die meisten Kritiker versuchten, Microsoft unterhalb der Gürtellinie zu treffen. „Robert hatte immer eine Art, die mich dazu bewog, ihm zuzuhören. Er sagte zum Beispiel: ,Ihr Jungs habt etwas falsch gemacht. Lasst mich Euch erklären, weshalb es mir weh tut und weshalb es Euch weh tut und warum ich glaube, dass Ihr es besser machen könnt.’ Robert erzählt einem viel über sich selbst. Er geht damit ein Risiko ein. Seine Kritiken kommen aus dem Herzen.“
Tatsächlich hatte Pryor zuerst das Konzept, eine Videokamera innerhalb von Microsoft einzusetzen, im vorhergehenden März zur Diskussion gestellt, als Gundotra Scoble bei NEC abwarb und zu Microsoft holte. Gundotra hatte Scoble zu einem Sonics-Basketballspiel eingeladen, bei dem Michael Jordan seinen letzten Auftritt im Vereinstrikot in Seattle haben sollte. Es stellte sich heraus, dass Gundotra es nicht zum Spiel schaffen würde, und so bat er Pryor in letzter Minute, für ihn einzuspringen. Nachdem Jordan vorgestellt worden war, warfen die beiden keinen Blick mehr aufs Spielfeld. Stattdessen verbrachten sie drei Stunden damit, über das Videokonzept zu diskutieren. Sie interessierten sich nicht einmal dafür, wer das Spiel gewonnen hatte, und verließen das Stadion in der Gewissheit, dass Scoble der richtige Kameramann wäre, falls ihre Idee jemals Wirklichkeit werden würde.
Kurz danach begann Scoble bei Microsoft, aber das Videoprojekt ruhte weiter, bis zu Pryors Offenbarung unter der Dusche. Scoble wurde Evangelist bei Microsoft und bloggte jede Nacht zu Hause. Sechs Monate vergingen, bis Pryor die Idee in der Duschkabine kam, den Microsoft-Video-Blog nach dem Vorbild von Channel 9 zu konzipieren. Nachdem er und Sandquist Gundotra die Idee erläutert hatten, stimmte Gundotra zu, dass Scoble der Interviewer werden sollte.
Das Team, das auch aus zwei Entwicklern, Bryn Waibel und Charles Torre, sowie dem Programmdirektor Sandquist bestand, stellte sich ein gemischtes Echtzeit-Format vor, mit vielen Kommentaren und sehr wechselseitig, wobei die Stimme des Publikums ebenso relevant sein sollte wie das Video selbst. Channel 9 sollte die reale Kommunikation fördern und nicht nur belangloses Zeug wiedergeben, bei dem den Leuten begeisterte Kommentare entgegengeschleudert wurden. „In meiner Vorstellung“, erinnerte sich Pryor, „konnte Microsoft die Kommunikation beginnen, aber es würde nicht funktionieren, wenn Microsoft die Kommunikation kontrollierte.“
Channel 9 begann als ein Text-Blog im Standardformat. Pryor erinnerte sich weiter: „Ich wollte, dass jeder ein Gesicht auf der Site hatte, um die Anonymität auszuschließen. Das Video kam kurz danach hinzu, wobei man Scobles Stimme hörte, der die Leute zu ihren Jobs und Projekten befragte. Die Zuschauer sahen Scoble nie, aber sie hörten ihn gelegentlich ein ‚Oh Mist’ murmeln, wenn er versehentlich gegen eine Wand lief, die er durch das Objektiv nicht gesehen hatte. Ein Forum ermöglichte es den Entwicklern, alle möglichen Themen zu diskutieren. Ein gemeinschaftliches System, ein Wiki, wurde eingerichtet, damit die Leute bei Microsoft und außerhalb mit der gleichen Software arbeiten konnten. „Wir demonstrierten, wer wir waren und wie wir arbeiteten. Wir sagten: ‚Kommt, schaut rein und seht und hört unsere Leute, hört unsere Gedanken und unsere Leidenschaften.’“ Und die Leute taten es – schätzungsweise 2,5 Millionen in den ersten sechs Monaten.
Wenn er nach den Risiken gefragt wurde, die ein Projekt beinhaltete, das so sichtbar und offen war, antwortete Gundotra, dass das Projekt dazu gedacht war, die Transparenz steigern, „was nicht mit einem hohen Risiko verbunden ist, es sei denn, man hätte etwas zu verbergen“. Er dachte, dass Channel 9 „einen Haufen optimistischer Computerfreaks, die dachten, sie könnten die Welt durch Software zum Besseren verändern“, genau porträtieren würde. „Ich war nicht bereit, Channel 9 zu machen – ich trieb die Entwicklung voran, besorgte das Geld und stellte das Team ein.“
Pryor sagte: „Wir nutzten Channel 9 als eine Möglichkeit, auf die Kunden einzugehen. Wenn die Leute etwas wissen wollten, machten wir ein Video darüber. Wenn ein neues Produkt herauskam, stellten wir es in einem Video vor. Wir begannen damit, die Fragen zeitgleich zu beantworten. Das war keine Dokumentation. Das war ein neuer Ansatz – ein interaktives Video mit richtigen Leuten, die mit den Kunden über ihre Arbeit sprachen.“
Channel 9 wurde im Allgemeinen als eine der innovativsten Formen des Blogging, oder besser, der Unternehmenskommunikation anerkannt. Es war der erste Video-Blog einer Firma. Es war der erste, der die Aussagen und Gesichter der Kunden auf die Titelseite brachte, der eine Form von „zeitlicher Gleichberechtigung“ für diejenigen schaffte, die Microsoft entweder priesen oder kritisierten. Es war der erste, der Wikis benutzte, um einem Produktteam die Möglichkeit zu geben, mit Kunden zusammenzuarbeiten, um Produkte und Upgrades zu verbessern. Es arbeitet mit RSS, einer Technologie, die die Syndikation auf jeder Seite ermöglicht, und war damit die erste vollständige Unternehmens-Site, die das konnte.
Es ist Raum für Spekulationen, wie sich Channel 9 weiterentwickeln wird. Die Konversation von Channel 9 verirrte sich ein Mal von ihrer ursprünglichen technikorientierten Bastion in die Politik. Während einige besorgt darüber waren, dass Microsoft die Kontrolle über die Konversation verloren hätte, war Pryor guten Mutes. Die Gesprächsverschiebung zeigte an, dass es im Channel 9 nicht länger um Microsoft ging: „Es geht um die Gemeinschaft. Vielleicht liegt die Zukunft von Channel 9 darin, ihn an die Gesellschaft zurückzugeben.“
Auch wenn Pryors Background im Marketing zu finden ist, meidet er Datengewinnung, und er sieht keinen Wert in Erhebungen. Aber er gibt zu, dass das Unternehmen Zahlen hat, die zeigen, dass Channel 9 die Wahrnehmung von Microsoft innerhalb von sechs Monaten vom Negativen ins Positive gewendet hat. „Es gibt keinen Zweifel, dass wir etwas bewegt haben“, sagt er und fügt mit sichtbarem Stolz hinzu: „Und wir haben es ohne eine Presseerklärung so weit geschafft.“
Pryor setzt Vertrauen in dem Einzelbericht, dass sich das Ansehen von Microsoft von einem negativen Netzwerk zu einem positiven Netzwerk gewandelt hat. Er bemerkte, dass die Blog Polling Site Technocrati3 berichtet, dass nahezu 1.300 Blogs mit Channel 9 verlinkt sind und dass Pub-Sub4 im März 2005 auf den 5.877. Platz von mehr als 8.5 Millionen Sites setzte, die zu diesem Zeitpunkt registriert waren.
Aber wo bleibt die Rentabilität?
Pryor gibt zu, dass beim Blogging die Unterstützung durch das Management „weit davon entfernt ist, unbeabsichtigt zu sein“. Auf der einen Seite gibt es Scoble und das ständig wachsende Team von bloggenden Angestellten, die das, was sie ein „Network Trust“ nennen, aufbauen und sich gleichzeitig bemühen, den ständigen Fluss an positiven Medienberichten nicht abreißen zu lassen. Auf der anderen Seite sind Leute, deren Job es ist, das Risiko zu reduzieren und Firmennachrichten zu kontrollieren. Und schließlich gibt es noch diejenigen, die an nichts glauben, dem kein Geschäftsmodell zu Grunde liegt, das eine Rentabilität als direkten Erfolg für den Aufwand aufweist.
Aber eine große Zahl der Menschen innerhalb des Unternehmens denken, dass sich das Risiko auszahlt. Sie spüren es in ihrem täglichen Leben. „Heute baut Microsoft wieder Beziehungen auf, die wir vor sechs Monaten verloren haben“, erklärt Pryor.
Trotzdem musste er zugeben, dass Scoble oder ein anderer prominenter Blogger eines Tages mit dem falschen Fuß aufstehen und kündigen könnte: „Wenn Robert geht, dann fällt das alles hier ins Wasser, aber hier geht es nicht mehr nur lediglich um eine einzelne Person. Man kann den Geist nicht wieder zurück in die Flasche stecken. Wenn Sie einmal festgelegt haben, wie Sie mit den Kunden kommunizieren wollen, können Sie nicht mehr zurück.“
Pryor, der inzwischen die Firma verlassen hat, bemerkt, dass Blogger den festgelegten Kurs zu respektieren haben. Zum Beispiel bringen Blogger Microsoft fast nie schlechte Nachrichten bei noch lancieren sie neue Produkte; trotzdem sind diese manchmal, kurz nachdem sie offiziell auf den Markt gekommen sind, bereits verkauft. Doch der größte Teil des täglichen Bloggings konzentriert sich auf ergänzende Informationen für Kunden. „Es ist nicht unsere Aufgabe, der New York Times sensationelle Neuigkeiten zu liefern.“ Dennoch behauptet er, dass Blogging häufig eine gute Presse bekommt; also muss es gut sein, um Kunden anzuziehen und zu halten.
Aber die Frage, die die meisten Leute beschäftigt, lautet: Was ist mit Gates und Ballmer? Gates gab in seinen Interviews mit Scoble und Perkins in AlwaysOn seine stillschweigende Billigung zum Blogging. Ballmers Position zum Blogging kam in einem anderen Exklusivinterview mit Scoble am 7. Juli 2005 auf Channel 9 klar zum Ausdruck, als Scoble seinen CEO fragte, weshalb er Blogging bei Microsoft erlaube.
„Ich glaube nicht, dass es in der Welt der Entwickler eine Rolle gespielt hätte, ob ich Blogging erlaubt oder nicht erlaubt hätte“, erwiderte Ballmer. „Aber ich denke, es ist eine großartige Möglichkeit für uns, um mit den Kunden zu kommunizieren – und, noch wichtiger: für unsere Kunden eine Möglichkeit, mit uns zu kommunizieren. Wir vertrauen unseren Leuten, die unsere Firma repräsentieren. Dafür werden sie bezahlt. Wenn sie nicht hier sein wollten, wären sie nicht hier. In gewisser Weise gehen Sie kein größeres Risiko ein, wenn Sie Leute in einem Blog zu Wort kommen lassen oder sie alleine zu Kunden schicken. Sie erreichen nur mehr Menschen. Wenn Leute geschult werden müssen, können wir das tun, aber ich finde, dass Blogging einfach ein großartiger Weg ist, um mit Kunden zu kommunizieren.“
Das klingt ziemlich definitiv für uns.
Diversity und Fanclubs
Ausdrucksweisen, Themen und Häufigkeit der Nachrichten sind bei Microsoft-Bloggern ganz unterschiedlich. Die Zahlen der Besucher der Microsoft Blogger Site schwanken zwischen weniger als zehn pro Tag und 10.000. Jedoch geht jeder Link in die Blogosphere, wo er von den am Thema interessierten Menschen gefunden werden kann.
Scoble mag Microsofts bekanntester Blogger sein, aber auch andere haben ihre Bewunderer. Betsy Aoki, eine Programm-Managerin der Gemeinde, hat einen Blog, der einen ganzen Fanclub5