Harville Hendrix hat uns in seinen Büchern So viel Liebe wie Du brauchst und Ohne Wenn und Aber den Weg zu einer gesunden und liebevollen Beziehung eröffnet. Gespannt warten wir auf seine Erkenntnisse über die tiefste Liebe, zu der wir Menschen fähig sind: die Liebe zu unseren Kindern. Gemeinsam mit seiner Frau Helen beschreibt er, wie Eltern ihre eigenen Verwundungen heilen und zurück zu ihrer emotionalen Ganzheit finden können, damit ihre Kinder zu glücklichen und integrierten Persönlichkeiten heranwachsen.
Wie wir unsere Eltern-Kind-Beziehung leben, lässt klare Rückschlüsse darauf zu, wie unsere eigenen Eltern mit uns umgegangen sind. Reagieren wir in manchen Situationen mit unseren Kindern ungewollt so wie unsere Eltern in unserer Kindheit, kann dies eine äußerst entmutigende Erfahrung sein.
Oder wir sehen es als Motivation, uns mit ungelösten persönlichen Themen auseinanderzusetzen, deren Wurzeln in unserer Kindheit liegen. So viel Liebe wie mein Kind braucht zeigt, welch großes Potenzial für persönliche Veränderung in uns schlummert, und wie wir dadurch an einer bewussten und gesunden Beziehung zu unseren Kindern bauen können.
So viel Liebe wie mein Kind braucht
Renate Götz Verlag
hat in Zusammenarbeit mit seiner Frau Helen LaKelly Hunt, Ph.D., die ImagoTherapie entwickelt, einen wirklich einzigartigen Heilungsprozess für Ehepaare, zukünftige Paare und Eltern. Harville Hendrix begann seine Berufslaufbahnder pastoralen Beratung und kann inzwischen auf mehr als dreißig Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung und als Paartherapeut in selbstständiger Praxis verweisen. Darüber hinaus leitet er Workshops, bildet Imago-Paartherapeuten aus und hält unzählige Vorträge.
Er schrieb u.a. die Bestseller: So viel Liebe wie Du brauchst - Der Wegbegleiter für eine erfüllte Beziehung und Ohne Wenn und Aber - Zur Liebe fürs Leben - für Singles und Paare. Gemeinsam mit seiner Frau Helen verfasste Harville u. a. das vorliegende Buch sowie Receiving Love - Transform Your Relationship by Letting Yourself be Loved und Receiving Love Workbook: A Unique Twelve-Week Course for Couples and Singles. (Alle genannten deutschsprachigen Bücher sind im Renate Götz Verlag erschienen.
Helen LaKelly Hunt, Ph.D.,
ist Psychologin und aktiv in der Frauenbewegung der USA. Sie wurde für ihre Arbeit zum weiblichen Selbstbewusstsein mit einer Eintragung in der National Women’s Hall of Fame geehrt. Von Beginn an war Helen LaKelly Hunt wesentlich an der Entwicklung der Imago-Methode beteiligt. Gemeinsam mit ihrem Mann entwickelte sie sowohl das Konzept der Imago-Paartherapie als auch deren Anwendung und Erweiterung für die Eltern-Kind-Beziehung. Helen und Harville haben sechs Kinder und leben in New Mexico, USA.
Harville Hendrix, Ph.D.
&
Helen LaKelly Hunt, Ph.D.
So viel Liebe wie mein Kind braucht
Der gemeinsame Weg in ein erfülltes Leben
Aus dem Amerikanischen übersetzt von
Margit Schröer
Fachliche Beratung: Maga Sandra Teml-Jetter
Renate Götz Verlag
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel
»Giving the love that heals - A guide for parents«
im Verlag Pocket Books, New York.
Copyright © 1997 by Harville Hendrix
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Margit Schröer
Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei
Renate Götz Verlag, A-2731 Dörfles
Umschlagabbildung Harville Hendrix und Helen LaKelly Hunt
© by IMAGO RELATIONSHIPS INTERNATIONAL
160 Broadway, East Building, Suite 1001 New York, NY 10038 U. S. A.
2. Auflage, August 2010
© Renate Götz Verlag, 2008
A-2731 Dörfles, Römerweg 6
e-mail: info@rgverlag.com
Layout und Gesamtgestaltung, © Coverbild »Leberblümchen« by
outLINE|grafik . Eva Denk . A-2340 Mödling . www.outlinegrafik.at
Produktion: Druckerei Paul Gerin, Wolkersdorf . www.gerin.co.at
Printed in Austria
ISBN epub: 978-3-902625-57-1
ISBN mobi: 978-3-902625-56-4
Hinweis: Die Arbeitsblätter zu allen Übungen finden Sie auch im DIN A4-Format als PDF-Download unter der Webadresse: www.rgverlag.com/H3K
Wir widmen dieses Buch unseren sechs Kindern,
die unsere besten LehrerInnen sind - jedes auf seine ganz persönliche Art!
Hunter, Leah, Kimberly, Kathryn, Mara und Josh
Eines der Schlüsselworte dieses Buches ist »conscious parenting«. In Anbetracht der Tatsache, dass abgesehen von einigen wissenschaftlichen Arbeiten bisher weder »das Beeltern« noch »die Beelterung« nachhaltig Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben, haben wir es vorgezogen, für den Begriff »conscious parenting« die Umschreibungen »bewusste Eltern-Kind-Beziehung(en)« und »bewusstes elterliches Verhalten« zu wählen. Das Verb »beeltern« hingegen, das durch seine Ähnlichkeit zum Verb »bemuttern« noch am ehesten Aufnahme in die deutsche Sprache finden könnte bzw. sollte, haben wir in homöopathischer Dosis verwendet. (Interessanterweise existiert das Wort »bevatern« bisher ebenfalls nicht im deutschen Sprachgebrauch).
Durchgängig gendergerechte Sprache zu verwenden hätte den Text oft unübersichtlich und langwierig gestaltet. So haben wir uns dem Prinzip »pars pro toto« verschrieben und nur an einigen Stellen, an denen es uns angemessen erschien, sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet (z. B. der/die Jugendliche).
Auch den Autoren ist es wichtig zu betonen, dass Väter stets in gleicher Weise angesprochen sind wie Mütter (vgl. Kapitel 1, Fußnote 13), obwohl aus Gründen der Lesbarkeit stellenweise nur Mutter und nicht immer Mutter/ Vater verwendet werden konnte. An einigen Stellen dieses Buches wiederum bitten wir Sie, »der Erwachsene«, »der Elternteil« und »der Partner« jeweils in seiner weiblichen und seiner männlichen Bedeutung zu interpretieren.
Der Begriff »Imago« (von lat. imago, das Bild) findet sich bereits bei Sigmund Freud. In der analytischen Psychologie ist die Imago das unbewusst im Kind entstehende erste Bild seiner Bezugspersonen, in der Regel Vater und Mutter. Im deutschen Sprachraum, insbesondere im Kontext der Imago-Beziehungstheorie, hat sich jedoch weitgehend die grammatikalisch nicht korrekte, aber durch die Konnotation Bild naheliegende sächliche Form »das Imago« eingebürgert. In der deutschen Ausgabe der Bücher So viel Liebe wie Du brauchst sowie Ohne Wenn und Aber von Harville Hendrix sowie im vorliegenden Buch So viel Liebe wie mein Kind braucht haben wir uns für die Verwendung des grammatikalisch korrekten Artikels »die« entschieden und hoffen, unsere Leser mit dem Begriff »die Imago« nicht zu irritieren.
Margit Schröer, Juni 2008
In meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Psychotherapeut und Lehrer genieße ich das Privileg miterleben zu dürfen, wie Menschen an ihren wichtigsten persönlichen Beziehungen arbeiten. Viele Jahre davon widmete ich mich vorrangig der Ehe und der Frage, wie Menschen ausgehend vom ersten Zauber ihrer romantischen Anziehung eine dauerhafte Partnerschaft voll Liebe und tiefer Freundschaft aufbauen könnten. Diese Frage interessierte mich in beruflicher, aber auch in persönlicher Hinsicht. Viele Jahre meines Lebens habe ich mich der herausfordernden Aufgabe gewidmet Rahmenbedingungen zu entwickeln, wie man (Ehe-)Partner darin unterstützen kann leidenschaftliche Freunde zu werden.
Als ich den Eindruck hatte, es wäre nun an der Zeit, mein Wissen auch in Buchform weiterzugeben, schrieb ich So viel Liebe wie Du brauchst - Der Wegbegleiter für eine erfüllte Beziehung. Meine Frau Helen inspirierte und unterstützte mich dabei. Helen und ich arbeiteten mit der Zeit immer intensiver zusammen und begannen auch gemeinsam zu schreiben - was sich darin zeigt, dass auf dem Cover dieses Buches nicht nur mein Name, sondern auch Helens Name zu finden ist.
Als Autoren dieses Buches möchten wir die wichtigste und herausforderndste aller Beziehungen in den Mittelpunkt stellen: die Elternschaft. Es wäre unnatürlich oder unglaubwürdig gewesen, hätten entweder Helen oder ich allein dieses Buch verfasst. Wir haben es gemeinsam geschrieben und verwenden deshalb auch bewusst das Wort »wir«. Bei Erfahrungen, die einen von uns beiden ganz persönlich betreffen, wird das erkennbar sein.
Wir freuen uns sehr über die Möglichkeit, unsere Gedanken zum Thema »Eltern-Sein« nun der Allgemeinheit und interessierten Berufsgruppen vorstellen zu können. Es ist beeindruckend, hier ein rasch wachsendes Interesse erkennen zu können. Wir spüren und erleben, welch großes Potenzial an Wachstum und Spiritualität in dauerhaften Partnerschaften steckt. Es wird uns eine Freude sein, uns mit diesem Thema weiterhin zu beschäftigen und neue Erkenntnisse dazu zu gewinnen.
Es ist gut nachvollziehbar, dass sich unser persönliches Interesse an Fragen zum Themenkreis »Eltern-Sein« aus unserem Privatleben und der Beziehung zu unseren eigenen Kindern ableitet. Deshalb möchten wir zu Beginn ein wenig über uns selbst und unsere Kinder erzählen. Wenn wir uns im Folgenden gemeinsam so persönlichen Themen wie Elternschaft und bewusste Eltern-KindBeziehung nähern, scheint es sinnvoll, einige Aspekte unseres Privatlebens einzubringen.
Wir sind eine Patchwork-Familie und haben sechs Kinder. Jeder von uns beiden brachte zwei Kinder mit in die Ehe und miteinander bekamen wir noch eine Tochter und einen Sohn. Wir haben beide ein Universitätsstudium in Psychologie abgeschlossen. Harville begann seine berufliche Laufbahn als Prediger einer Baptistengemeinde und in der pastoralen Beratung. Mittlerweile kann er auf jahrzehntelange Erfahrung als Psychotherapeut zurückblicken. Sein besonderer Schwerpunkt liegt in der Arbeit mit Paaren. Helen engagierte sich in dieser Zeit aktiv in ihrer Gemeinde und ihr besonderes Anliegen war es, benachteiligte Menschen, besonders Mädchen und Frauen, auf ihrem Weg zu begleiten.
Bei unserem Bemühen, aus acht verschiedenen Persönlichkeiten eine gemeinsame, funktionierende Patchwork-Familie zu machen, merkten wir, wie dringend und wichtig unsere Suche nach neuen Erkenntnissen über das Eltern-Sein war. Wir wollten herausfinden, was Familien helfen kann. Wir hatten sechs sehr gute Gründe, warum wir lernen wollten, wie es funktionieren könnte. Genauer betrachtet waren es sogar acht gute Gründe, wenn wir uns selbst dazuzählten. Eines der größten Geschenke aus unserer Lehrzeit als Eltern ist die Einsicht, dass jede Anstrengung, die wir unseren Kindern zuliebe tätigen, als doppelter Segen zu uns zurückkommt. Einerseits ist es ein Segen erleben zu dürfen, wenn unsere Kinder sich gut entwickeln. Das schenkt tiefe Zufriedenheit. Und andererseits ist es wirklich ein Segen, seine eigene Mitte zu finden und authentischer zu werden - durch jeden Rückschlag, von dem wir uns wieder erholen, durch jeden Konflikt, den wir miteinander lösen und durch jede Schwierigkeit, die wir bewusst meistern. Das, was wir unseren Kindern geben, schenken wir uns im Grunde selbst.
Das heißt nun nicht, dass es ein leichter Weg wäre. Nicht immer hatten wir selbst den Eindruck »gesegnet« zu sein. Eltern zu sein erschien uns oft als harte Arbeit und es wurde nicht gerade leichter dadurch, dass unsere Erziehungsstile zeitweise nicht übereinstimmten. Wir waren kein harmonisches Ganzes, kein kunstvoller Wandteppich, sondern eher ein paar bunte Wollknäuel in einem gemeinsamen Strickkörbchen.
Alle unsere Kinder waren uns wirklich gute LehrerInnen und jene beiden, die noch daheim wohnen, zeigen uns weiterhin, wohin unser Weg gehen kann. Wir haben das wichtigste Werkzeug für bewusste Eltern-Kind-Beziehungen, den Imago-Dialog, mit ihnen gemeinsam erarbeitet. Es war nicht so, dass wir diese Methode entwickelt hätten und danach unsere Kinder überredet, sie uns zuliebe auszuprobieren. Sie waren echte Partner, als wir austesteten, in welcher Form der Imago-Dialog und die Theorien der Imago-Methode in einer realen Familie mit realen Kindern und Eltern angewendet werden können. Unsere ganz persönlichen Unzulänglichkeiten, Missverständnisse und Fehler schwingen in diesem Buch ebenfalls mit. Manchmal schienen unsere Enttäuschungen und Erschöpfung überhand zu nehmen und unser einziger Trost war in solchen Momenten die Überzeugung, dass manchmal zwar keine großen Veränderungen möglich sind, aber jeder kleine Schritt zu mehr Selbstreflexion und Bewusstheit schon eine entscheidende Veränderung darstellt.
Unser beruflicher Werdegang
Man kann unsere Ehe als »Learning by Doing« definieren und sie ist geprägt durch sehr gute, auch berufliche Zusammenarbeit. So entwickelten wir unsere Theorien über Liebesbeziehungen, die wir Imago-Therapie bzw. Imago-Paartherapie genannt haben. Die wesentlichsten Inhalte dieser Methode betreffen die Ehe bzw. Partnerschaft, aber wir haben erkannt, dass alle Erkenntnisse über Partnerschaft für Elternschaft gleichermaßen relevant sind.
Wir haben beobachtet, dass jedes Bemühen um persönliche Veränderung sich positiv auf unsere Kinder auswirkt, weil sie dann unbelasteter aufwachsen und einen Großteil ihrer veranlagten Spiritualität bewahren können. Sie können so ein gesünderes und glücklicheres Leben führen - und sie müssen nicht zeitlebens versuchen ihre Kindheit zu verarbeiten. Die entscheidenden Hinweise, wo unsere tiefsten Verwundungen liegen, verdanken wir unseren Kindern. Sie durchschauen uns ganz besonders in Momenten, wo sich starke und unkontrollierte Gefühle in uns melden. Aufbauend auf dem, wofür unsere Kinder uns die Augen öffnen - was manchmal nicht angenehm für uns ist - können wir an einer bewussten Partnerschaft arbeiten. So wird es uns gelingen, zu seelisch gesunden und integrierten Persönlichkeiten zu werden und das auch unseren Kindern ermöglichen. So kann Eltern-Sein zu einem spirituellen Weg werden.
Wenn wir zurückblicken auf das, was uns in all diesen Jahren am meisten fasziniert hat, ist es keineswegs verwunderlich, dass unser starkes Interesse an Ehe und Partnerschaft sich auf das Thema Elternschaft und »bewusste Eltern-KindBeziehung« ausgeweitet hat. 1988 veröffentlichten wir das Buch So viel Liebe wie Du brauchst - Der Wegbegleiter für eine erfüllte Beziehung. 1992 folgte ein weiteres Buch mit dem Titel Ohne Wenn und Aber - Zur Liebe fürs Leben - für Singles und Paare, das sich besonders an Menschen wendet, die eine gute Partnerschaft aufbauen möchten. Weiters waren wir Ko-Autoren für zwei Arbeitsbücher, nämlich The Couples’ Companion und The Personal Companion. Sie enthalten viele konkrete Übungen und Anleitungen, durch welche die Grundgedanken unserer beiden ersten Bücher im Alltag geübt und gut umgesetzt werden können. Um unsere Gedanken und das vielfältige Arbeitsmaterial möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, entwickelten wir die Ausbildung zum zertifizierten Imago-Therapeuten sowie Workshops für Paare und Singles. Die Imago-Ausbildung und die Imago-Workshops werden inzwischen in vielen Ländern der Welt angeboten und Tausende von Paaren, die daran teilgenommen haben, berichten von unglaublichen Veränderungen in ihrer Beziehung.
Da wir immer wieder betonten, wie sehr sich die eigene Kindheit auf die spätere Ehe oder Partnerschaft auswirkt, gab es vermehrt Stimmen, die uns ermunterten, ein Buch über Elternschaft und eine bewusste Eltern-Kind-Beziehung zu schreiben. Zuerst zögerten wir noch. Wir mussten uns selbst nach Kräften bemühen, unsere Patchwork-Familie unter einen Hut zu bringen. Besonders mit unseren älteren Kindern gab es so manche Probleme - die Theorien über bewusste Elternschaft standen uns noch nicht zur Verfügung. Wir hatten selbst so viel zu lernen, dass wir uns noch nicht dazu imstande sahen, ein Buch darüber zu schreiben. Wir spürten, dass wir zuerst selbst »studieren« mussten, um später an andere etwas weitergeben zu können. Das taten wir auch. Und nun möchten wir unsere Erkenntnisse sehr gerne weitergeben, wenn wir uns auch weiterhin selbst als Studierende empfinden. Wir haben erkannt, dass es keine Experten auf dem Gebiet der Elternschaft gibt - es gibt nur Kinder und Eltern, die auf einem guten Weg sind. Unsere Beziehungen zu unseren vier älteren Kindern, die bereits auf eigenen Beinen stehen, sind nun deutlich besser, weil wir viel dazulernen konnten; und die Beziehungen zu unseren beiden jüngeren Kindern sind ausgesprochen gut. Trotz allem sehen wir uns selbst als Lernbeispiel und nicht als »leuchtendes Vorbild«.
Als wir das Buch So viel Liebe wie Du brauchst veröffentlichten, gab es bereits unzählige Publikationen zu diesem Thema. Dasselbe trifft auch auf die Themenbereiche »Eltern«, »Kind«, »Beziehung« und »Eltern-Sein« zu. Es gibt zahllose Bücher, Zeitschriften und Workshops, wo Eltern sich Anleitung holen können, wie sie besser mit ihren Kindern umgehen und das Leben mit ihnen mehr genießen können. Und dennoch sind wir überzeugt, dass wir in diesem Buch einige Punkte von zentraler Wichtigkeit für eine gute Eltern-Kind-Beziehung zu sagen haben, die in dieser Weise bisher noch nicht gesagt bzw. niedergeschrieben wurden.
Im Lauf der Zeit haben Pädagogen, Kinderpsychologen und andere Experten eine Menge über Kinder in Erfahrung gebracht. Dennoch beschäftigte man sich mehr mit den Kindern selbst als mit der Eltern-Kind-Beziehung. Wir wissen mehr über das Kind als Individuum, als darüber, wie Eltern und Kinder in jenem Rahmen der Verbundenheit funktionieren, der sie beide umgibt. Es gibt jede Menge an wissenschaftlichem Material darüber, wie man das »Überleben« seines Kindes sichern kann, aber wir wissen nicht viel darüber, wie man die Verbundenheit zu seinem Kind sichern kann. Dies ist nur im besonderen Rahmen der ElternKind-Beziehung möglich. 1
Als wir uns mehr und mehr mit der Beziehung zwischen Eltern und Kindern beschäftigten, kamen wir zu einer erstaunlichen Erkenntnis: jene Menschen, die die meisten Erfolgserlebnisse in ihrer Partnerschaft hatten, hatten auch die meisten Erfolgserlebnisse in ihrer Eltern-Kind-Beziehung. Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen Ehe und Elternschaft. Beiden liegt ein Entwicklungsprozess zugrunde, in dessen Rahmen man verschiedene Phasen beobachten kann. Beide beginnen mit romantischer gegenseitiger Anziehung, entwickeln sich zu einem Machtkampf und können sich schließlich, wenn wir unsere Sache gut machen und Glück haben, zu einer gesunden und stabilen wechselseitigen Beziehung entwickeln. Und unsere Imago, das internalisierte Bild von unseren Eltern, ist sowohl für unsere Partnerschaft als auch für unsere Eltern-Kind-Beziehung von grundlegender Bedeutung. Die Wahl unseres Ehepartners wird durch das unbewusste innere Bild beeinflusst, das wir von unseren eigenen Eltern übernommen haben und in uns tragen. Auch unser persönliches Verhalten als Eltern wird sehr stark von den verinnerlichten Erfahrungen beeinflusst, die wir mit unseren Eltern in unserer Kindheit hatten.
Andererseits gibt es aber auch deutliche Unterschiede zwischen Ehe (Partnerschaft) und Elternschaft. Wir dürfen nie von unseren Kindern erwarten, dass sie unsere Bedürfnisse in einem ähnlichen Ausmaß erfüllen, wie wir es von unserem Lebenspartner erhoffen. Die Verpflichtungen und Verantwortlichkeit Ihren Kindern gegenüber unterscheiden sich signifikant von den Verpflichtungen und der Verantwortlichkeit Ihrem (Ehe-)Partner gegenüber.
Das Wesentliche für das Gelingen einer Paarbeziehung und in gleicher Weise einer Eltern-Kind-Beziehung ist das echte Bemühen mehr Bewusstheit zu erlangen: das bedeutet, sich selbst, sein Gegenüber und seine persönliche Imago zu erkennen, die all unsere Entscheidungen und Verhaltensweisen beeinflusst. Menschen, die sowohl eine »gute« Ehe als auch eine »gute« Eltern-Kind-Beziehung haben, sind Menschen, die sich dazu bereit erklärt haben, sich mit vielem bewusst auseinanderzusetzen. Sie sind dazu entschlossen zu entdecken, was sich in ihnen verbirgt. Sie möchten vorurteilsfrei die Verbindungslinie zwischen den Verwundungen ihrer Vergangenheit und ihren Verhaltensweisen in der Gegenwart ziehen. Es sind Menschen, denen es gelingt, ihre Verteidigungsmuster zu überwinden und neue Arten des Reagierens zu erlernen, die weniger auf das eigene Ich bezogen, sondern mehr auf die Beziehung ausgerichtet sind.
Es kostet einiges an Mühe, das zu erlernen. Für die meisten Menschen ist es sehr ungewohnt und bereitet ihnen deshalb anfangs Schwierigkeiten. Aber es lohnt sich - denn es erfüllt unser Leben mit tiefem Sinn und neuem Glück. Gute zwischenmenschliche Beziehungen bereichern unser Leben in jeder Hinsicht. Sie schenken uns unter anderem das Gefühl der Harmonie in uns selbst und ein Gefühl der Lebendigkeit und tiefen Verbundenheit mit der Welt und den Menschen rund um uns. Tiefe Bewusstheit zu haben bedeutet, mit dem Universum in Einklang zu leben und zu schwingen ... zu einer überirdisch schönen Melodie.
Wenn Sie sich selbst zugestehen, das Profil Ihrer eigenen emotionalen Geschichte und somit die Hintergründe für Ihre heutigen Interaktionen in der Familie wahrzunehmen, dann werden Sie bald neue Energie verspüren. Sie können erkennen, wie Sie wirklich sind, und Sie können auch Ihre Kinder erkennen, wie sie wirklich sind. Bereits eine größere Bewusstheit hilft, viele Fehler zu vermeiden und jener Vision näherzukommen, die Sie für sich und die Kinder, die Sie lieben, haben.
Wie kann man nun eine größere Bewusstheit erreichen? 2 Wir hoffen, dass das vorliegende Buch Ihnen dabei eine gute Hilfe und Anregung sein wird. Dieses Buch soll aber kein Anleitungskatalog sein, obwohl es so manche konkrete Empfehlung für Eltern enthält. Um dem Bedürfnis nach konkreten Theorien und praktischen Anleitungen für bewusste Eltern-Kind-Beziehungen zu entsprechen, haben wir das Arbeitsbuch Parents’ Manual geschrieben. Es hilft zu erkennen, wie unsere Eltern mit uns umgegangen sind und wie sich das auf unser eigenes elterliches Verhalten auswirkt.
Weiters wurde 1998 das Buch Parents’ Companion: Meditations and Exercises for Giving the Love that heals (passend zum Originaltitel des vorliegenden Buches) veröffentlicht. Dieses Buch ist eine Sammlung von Impulsen, Übungen und praktischen Anleitungen, die Eltern helfen können, die Gedanken und Theorien des vorliegenden Buches in sehr praktischer und konkreter Form umzusetzen. Aufgebaut wie ein Begleitkalender schenkt es uns auf 365 Seiten für jeden Tag des Jahres einen konkreten Tipp für bewusste Elternschaft.
Unser Schwerpunkt in diesem Buch liegt darin Eltern neue Kraft zu schenken, und zwar durch die große Vision dessen, was für Eltern und Kinder möglich ist. Wir möchten zeigen, dass bewusstes Eltern-Sein eine heilende Kraft hat und dass ganz alltägliche Aufgaben und Gespräche eine Chance für geistiges und emotionales Wachstum sind. Wenn Eltern ihrem Kind geben können, was es braucht, so geben sie dadurch auch sich selbst jene Liebe und Zuwendung, die sie brauchen, um die eigenen Wunden zu heilen. So zeichnen sie einen Kreis der Liebe, der nicht nur sie und ihr Kind einschließt, sondern einen weitaus größeren Radius hat.
Jeder Elternteil ist einzigartig, jedes Kind ist einzigartig, und die Beziehung zwischen ihnen ist tiefer und komplexer, als wir uns je vorstellen können. Wir wollen die Vielschichtigkeit der menschlichen Erfahrungen nicht trivialisieren und vorgeben, dass die Interaktion mit Ihrem Kind einfach und vorhersagbar sei. Unser Ziel ist vielmehr, Ihnen herausfinden zu helfen, wer Sie sind, wer Ihr Kind ist, und Ihre Kompetenzen als Eltern zu stärken, indem Sie Informationen erhalten und ein waches Bewusstsein dafür bekommen, wie Kinder sich normalerweise entwickeln.
Sollte das für Sie nun utopisch klingen, dann seien Sie versichert, dass man keine besonderen Begabungen oder Fähigkeiten dazu braucht. Alle Eltern können bewusster werden, wenn sie sich dafür entscheiden. Bewusstheit ist ein natürlicher Zustand, der für jede(n) möglich und zugänglich ist. Es sind nur zwei Voraussetzungen dafür nötig: das Erkennen, dass man nicht so bewusst ist, wie man gerne sein möchte, und die Bereitschaft, ehrlich zu reflektieren.
Ein erster Schritt dazu wäre, dass Sie uns nun Ihr Vertrauen schenken, wenn wir behaupten, eine bewusste Eltern-Kind-Beziehung sei besser als eine unbewusste. 3 Beim Lesen dieses Buches nehmen Sie sich bitte auch Zeit, darüber zu reflektieren und nachzuprüfen, ob diese Aussage auch für Ihr persönliches Leben gilt. Wenden Sie die Methoden, die wir vorstellen, probeweise bei Ihren eigenen Kindern an, und sehen Sie, was geschieht. Wenn es sich bewährt und Sie sich für bewusstes Eltern-Sein entscheiden, können Sie am Ende dieses Buch schließen und voll Selbstvertrauen und Eigenständigkeit auf diesem Weg weitergehen.
Wir glauben, dass alle Eltern der Welt lernen könnten bessere Eltern zu sein. Aus dieser Überzeugung heraus veröffentlichen wir unsere Erkenntnisse und Vorschläge. Wenn Sie das Buch So viel Liebe wie Du brauchst bereits gelesen und sich für eine bewusste Partnerschaft entschieden haben, dann werden Sie mit manchen dieser Gedanken unter Umständen bereits vertraut sein und kaum Schwierigkeiten damit haben. Es ist aber keineswegs Vorbedingung für das Lesen dieses Buches, sich bereits mit dem Konzept bewusster Ehe und bewusster Elternschaft auseinandergesetzt zu haben.
Dieses Buch ist AlleinerzieherInnen genauso gewidmet wie Elternpaaren und Patchwork-Familien. Es wird das Interesse von Eltern wecken, die bereits Therapieerfahrung haben, unter Umständen in Imago-Paartherapie; das Interesse von Eltern, für die das noch völliges Neuland ist; von Eltern, bei denen es ganz gut läuft und von solchen, die noch einen langen Weg vor sich haben. Ganz sicher ist es nicht unsere Absicht, Eltern Schuld zuzuweisen, wenn es Schwierigkeiten mit ihren Kindern gibt. Wir wollen vielmehr zeigen, dass unsere Welt nicht perfekt ist - bereits unsere Entwicklung und unsere Eltern waren nicht perfekt, und nun sind wir selbst keine perfekten Eltern -, damit wir unsere Rolle als Eltern analysieren, verstehen und folglich auch verändern können. Beschuldigungen sind hier fehl am Platz. Wir möchten die Dinge so sehen, wie sie sind und auch so annehmen, wie sie sind. Mit der richtigen Unterstützung lässt sich erkennen, was wir verändern können.
Ihre Motivation, dieses Buch zu lesen, entspringt vermutlich dem Wunsch, eine bessere Mutter oder ein besserer Vater zu werden. Auch in vielen anderen Dingen unseres Lebens sind wir Lernende, selbst wenn wir bereits erwachsen sind. Wir möchten Sie nun einladen, uns gemeinsam mit einer neuen Vision der Eltern-Kind-Beziehung vertraut zu machen, die Ihre persönliche Ganzheit und die Ganzheit Ihres Kindes stärken und bewahren kann.
Harville Hendrix und Helen LaKelly Hunt, im Mai 1997
Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.
Mahatma Ghandi
Mit Spannung und Erwartung hat die Menschheit ein neues Jahrtausend erreicht. Manches erscheint zunehmend in einem neuen Licht. Es gibt zahllose Hinweise darauf, dass wir Menschen unser Leben unter geänderten Voraussetzungen betrachten. Wir richten unseren Blick offensichtlich mehr als bisher auf das Verbindende als auf das Trennende. 1 Eine interessante Definition ist das sogenannte »Dazwischen« 2, die interaktive Energie zwischen unterschiedlichen Subjekten, die jedes einzelne prägt und definiert. Unsere Wahrnehmung tendiert eher zu Kreisen, die miteinander in Verbindung stehen, und zum Konzept des Kontinuums, als zu scharf abgegrenzten Punkten. Unsere Beobachtungen und unsere Vorstellungen entsprechen Modellen von Interaktion und Verbundenheit - dort fühlen wir unsere Wahrnehmung bestätigt.
Diese neue Weltsicht hat sich gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts immer stärker durchgesetzt. Je mehr die Physik das Verhalten atomarer und subatomarer Teilchen erforscht hat 3, desto mehr haben ihre Theorien der Verbundenheit uns, die wir keine Physiker sind, geholfen, die dynamische Verbundenheit aller Dinge zu erkennen.
Diese relationale Perspektive war maßgeblich an der Entwicklung unserer persönlichen Theorien über das Eltern-Sein beteiligt. Wir verstehen Elternschaft als eine dynamische Beziehung, in der Eltern und Kinder einander fortwährend beeinflussen, sich weiterentwickeln und verändern. Unser persönlicher Schwerpunkt liegt auf der tiefen Verbundenheit von Eltern und Kindern, und das erklärt, warum wir auch an Themen, die Kinder betreffen, nachhaltig interessiert sind.
In vielen Situationen unseres Alltags begegnen wir Kindern oder können einen Bezug zu ihrer Welt herstellen. Ob wir gesellschaftliche Probleme diskutieren, ob wir Menschen darin unterstützen, ihre Beziehung neu zu gestalten, ob wir Sinn und Tiefe für unser Leben suchen - wir gelangen über kurz oder lang an einen Punkt, wo Kinder und ihre Lebensrealität mit betroffen sind. Wenn wir Meldungen über Gewaltverbrechen hören, fragen wir uns bestürzt, warum Jugendliche Zugriff zu Waffen haben. Wenn wir das Städtische Krankenhaus besuchen, machen wir uns Gedanken über jene Kinder, deren Eltern keine professionelle Behandlung bezahlen können. Wenn wir einen Artikel über das Waldsterben lesen, stellen wir uns die Frage, ob die Kinder späterer Generationen ohne Bäume aufwachsen müssen.
In unserer therapeutischen Arbeit haben wir uns auf den Bereich »Ehe und Partnerschaft« spezialisiert. Dieser Bereich inkludiert aber auch Erziehungsthemen, und von dort gelangen wir wiederum zur Lebenswelt der Kinder.
Bei uns selbst ist das nicht anders. Unser Leben dreht sich um unsere sechs Kinder, von denen vier bereits auf eigenen Beinen stehen, und zwei nochHause wohnen. In Gedanken sind wir immer mit ihnen verbunden, selbst dann, wenn wir die Tür schließen und uns konzentriert unserer Arbeit zuwenden. Wenn wir uns mit Freunden treffen, ertappen wir uns nach kurzer Zeit dabei, Neuigkeiten über unsere Kinder auszutauschen. Auch wenn wir verreisen, bleiben unsere inneren Uhren gewissermaßen auf den Tagesablauf unserer Kinder eingestellt. Wenn wir Zukunftspläne schmieden, zeigt sich, dass unsere Kinder auch weiterhin eine wichtige Rolle in unserem Leben spielen werden.
In unserer jahrelangen intensiven Auseinandersetzung mit Ehe und Partnerschaft konnten wir es gar nicht vermeiden, auch Einsichten in Erziehungsfragen zu gewinnen. Wir gelangten zu der Erkenntnis, dass wir eheliche Verhaltensmuster nur dann entschlüsseln konnten, wenn wir den Kindheitserfahrungen beider Partner auf den Grund gingen.
Diese Einsichten bilden den konzeptuellen Rahmen des vorliegenden Buches. Wir gewannen einen Einblick in die Komplexität familiärer Beziehungen, und daraus entwickelte sich das Konzept der bewussten Elternschaft. Wieder ein Hinweis darauf, dass alles miteinander in Verbindung steht. Wir möchten unsere Erkenntnisse hier in Form eines kurzen Überblicks anführen und im weiteren Verlauf des Buches detaillierter auf sie eingehen.
Wir erkannten, dass Verletzungen wie ein Erbe weitergegeben werden. Als wir Klienten über ihre frühkindlichen Erfahrungen befragten, begannen wir zu verstehen, wie negative Verhaltensmuster von einer Generation zur nächsten weitervererbt werden. 4 Hat ein Vater beispielsweise während einer bestimmten Entwicklungsphase entweder zu viel oder zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, wird es schwierig für ihn sein, das Wachstum seines eigenen Kindes in derselben Phase zu fördern. Nehmen wir an, seine Eltern haben ihn als 13-Jährigen nicht adäquat behandelt. Wenn sein eigenes Kind im selben Alter ist, wird er verunsichert sein, dessen besondere Bedürfnisse innerhalb der jeweiligen Entwicklungsphase zu erfüllen. Und genauso wird wiederum sein Sohn vor der Herausforderung stehen, seine Kinder in dieser Phase zu unterstützen ... Die Erkenntnis, dass Eltern ihre Kinder in der gleichen Entwicklungsphase verwunden, in der sie selbst verwundet wurden, eröffnete uns einen ganz neuen Blickwinkel für familiäre Probleme, die den Eltern selbst oft einfach rätselhaft erschienen.
Wir erkannten, dass Menschen heiraten und Kinder bekommen, weil das in ihrem inneren Wesen angelegt zu sein scheint. Es gibt aber keine »automatische Programmierung«, die ihnen hilft, diese Herausforderungen gut zu bewältigen. Wir fanden heraus, dass Menschen in der Hoffnung heiraten, dadurch ihr (seelisches) Überleben zu gewährleisten. Sie hoffen unbewusst, dass der Partner ihre unerfüllt gebliebenen Kindheitsbedürfnisse stillen kann. Wie das konkret gelingen könnte, wissen sie jedoch oft nicht. Menschen werden Eltern und haben die besten Absichten, die Überlebensbedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen und sie mit Freude großzuziehen. Wie das konkret gelingen könnte, wissen sie jedoch oft nicht. Sowohl für ihre Eltern-Kind-Beziehung als auch für ihre Partnerschaft nehmen viele Leute gerne Anleitung und Unterstützung in Anspruch, um ihre Ziele besser erreichen zu können.
Wir erkannten, dass genau jener Punkt, an dem Eltern im Umgang mit ihren Kindern »nicht mehr weiter wissen«, ein Hinweis darauf ist, wo sie selbst in ihrer Entwicklung »blockiert« wurden. Menschen zeigen dieselben Verhaltensmuster und Schwierigkeiten sowohl in ihrer Ehe als auch in ihrer Rolle als Eltern, weil diese Schwierigkeiten dieselben psychologischen Wurzeln haben. Wenn eine Frau ein bestimmtes Bedürfnis ihres Mannes nicht erfüllen kann, wird sie es mit großer Wahrscheinlichkeit auch ihrem Kind gegenüber nicht erfüllen können. Was sie ihrem Mann nicht geben kann, kann sie auch ihrem Kind nicht geben. Für uns war es ganz besonders interessant, den Grund dafür herauszuarbeiten. Die Tatsache, dass eine Frau ein konkretes Bedürfnis nicht erfüllen kann, hat mehr mit ihr selbst und mit ihrer Kindheitsgeschichte zu tun, als mit ihrem Mann, ihrem Kind oder damit, was die beiden von ihr brauchen. Sie kann nicht geben, was sie selbst nicht bekommen hat. Damit sie die legitimen Bedürfnisse ihres Kindes (und ihres Partners) sehen und erfüllen kann, muss sie zuerst erkennen, was sie selbst von ihren Eltern nicht bekommen hat. Dann muss sie für sich einen Weg finden, dieses Defizit auszugleichen. Wenn sie sich auf einen Heilungsprozess einlässt, kann sie sich von dem Zwang befreien, ständig eine Verteidigungshaltung einzunehmen. Das wiederum macht sie frei dafür, die Menschen in ihrem Umfeld wirklich wahrnehmen und ihnen »antworten« zu können.
Wir erkannten eine verblüffende Parallele zwischen den Zielen, ein bewusster Ehepartner bzw. ein bewusster Elternteil zu werden. Wir waren erstaunt, dass beide Ziele ganz ähnliche Fähigkeiten und Verhaltensweisen voraussetzen. Eine Frau, die eine bewusste Partnerin werden möchte, muss einiges an sich verändern: ihre Tendenz negativ zu reagieren, zu kritisieren, zu urteilen und sich defensiv zu verhalten. Es ist wichtig für sie, den Imago-Dialog anzuwenden; es ist wichtig, über sich hinauszuwachsen, sich sozusagen »zu dehnen«, um die Bedürfnisse ihres Partners erfüllen zu können, auch wenn sie sich dabei unbehaglich fühlt. Es ist wichtig, zu lernen, eine Atmosphäre emotionaler und physischer Sicherheit zu schaffen. Es ist wichtig, Grenzen zu setzen und einzuhalten, die sowohl Verbundenheit als auch Eigenständigkeit ermöglichen. Paare stehen hier vor genau denselben Herausforderungen wie Eltern, denen bewusstes ElternSein ein Anliegen ist. In beiden Fällen lernen Elternteile bzw. Partner, wie sie Sicherheit, Unterstützung und Struktur in ihr Leben integrieren können, um eine gute seelische und geistige Verbundenheit mit den Menschen zu pflegen, die sie lieben.
Wir erkannten, dass zwischen Elternschaft und Ehe ein entscheidender Unterschied besteht und zu berücksichtigen ist. In einer bewussten Beziehung wachsen die Partner über sich hinaus, indem sie »sich dehnen«, um den Bedürfnissen ihres Partners entgegenzukommen. Sie finden selbst Heilung, indem sie lernen, die Bedürfnisse ihres Partners zu erfüllen. Dieser Prozess ist ein wechselseitiger. Innerhalb einer Ehe bzw. Paarbeziehung ist es daher völlig in Ordnung, wenn wir uns nach Kräften um unser seelisches Wachstum bemühen, um die Bedürfnisse des anderen erfüllen zu können. Es ist aber nicht in Ordnung, wenn ein Erwachsener erwartet, dass sein Kind seine Bedürfnisse erfüllt. In der Beziehung zwischen Eltern und Kindern sind die Rollen nicht austauschbar. Eltern müssen ihre eigenen Kindheitsverletzungen in einer Erwachsenenbeziehung heilen - das kann nie die Aufgabe ihres Kindes sein.
Wir erkannten, dass Eltern dennoch in ihrer Elternrolle Heilung finden können. Das heilende Potenzial einer verbindlichen Partnerschaft liegt darin, dass die Partner zu ihrer »ganzen« Persönlichkeit zurückfinden, indem sie verlorene Selbstanteile neu integrieren. Sie können sich »dehnen« und über sich selbst hinauswachsen, indem sie lernen, dem Partner gerade das zu geben, was ihnen am schwersten fällt. Und dasselbe gilt für die bewusste Eltern-Kind-Beziehung: sie ist insofern heilend, als dass Eltern ihre persönliche Ganzheit wiedererlangen, indem sie sich dehnen, um die Bedürfnisse ihres Kindes zu erfüllen. Eine besondere Herausforderung für Eltern ist das während jener Entwicklungsphasen, in denen ihre eigene Entwicklung defizitär war. In der Paarbeziehung ebenso wie in der Elternrolle eröffnen sich gute Möglichkeiten, verloren gegangene Selbstanteile wieder zu integrieren. Partner oder Eltern zu sein eröffnet die Chance, für sich selbst genau das in Anspruch zu nehmen, was man seinem Partner oder seinem Kind schenkt. Das, was man gibt, bekommt man auch selbst. So gesehen sind sowohl Partnerschaft als auch Elternschaft eine Chance für persönliche Verwandlung. Sie sind eine Chance, Heilung zu finden, und dadurch unseren Charakter zu ändern.
Es macht uns betroffen, wenn wir sehen, wie viel Leid Menschen erleben, während sie versuchen, die »Schäden« ihrer Kindheit zu reparieren. In der Entstehungsphase dieses Buches haben wir uns diese Frage in ihrer globalen Dimension gestellt: Wie sähe das Leben von Erwachsenen aus, müssten sie nicht einen Großteil ihrer Zeit und Energie investieren, um über ihre Kindheit hinwegzukommen? Wie sähe unsere Gesellschaft aus, gäbe es weniger verwundete Erwachsene? Umgekehrt betrachtet drängt sich die Frage auf, ob unsere Gesellschaft überhaupt einen Weg aus der Krise finden kann, ohne in den Bereichen »Partnerschaft« und »Elternschaft« eine neue Ebene der Bewusstheit zu erreichen. 5
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen haben wir ein Theoriemodell über bewusste Elternschaft entwickelt, das sich auf eine philosophische Basis stützt: der geistige Hintergrund unseres Verständnisses von Eltern-Kind-Interaktionen.
Die Verbundenheit von Eltern und ihren Kindern hat uns zu einer Vision inspiriert, die wir poetisch und metaphorisch zum Ausdruck bringen möchten. Eine Metapher kann eine tiefer liegende Wahrheit ans Licht bringen und einen guten Bezug zum eigentlichen Kern einer Fragestellung herstellen. Das bedeutet nicht, dass unsere Vision der realen Welt nicht standhalten kann. Im Gegenteil, sie kann unser Denken und unsere Intentionen als Eltern entscheidend beeinflussen. Wir können versuchen, unser Handeln danach auszurichten und mit dieser Vision in Einklang zu bringen, um sie Realität werden zu lassen.
Unsere erste Metapher ist die gemeinsame »Lebenswelt« von Eltern und Kindern. Manchmal ist diese »Welt« so groß, dass sie bis zum Horizont reicht, und manchmal so klein wie der Raum zwischen zwei Menschen, die einander fest umarmen. Die Anziehungskraft, das tiefe innere Band, das die beiden in einer Beziehung zusammenhält, ist grundsätzlich stark, wobei das Alter eines Kindes oder seine physische Entfernung keine Rolle spielt.
Eine zweite Metapher, mit der wir Ähnliches zum Ausdruck bringen möchten, ist das Bild eines Wandteppichs. Wir können die Interaktionen zwischen Eltern und ihren Kindern mit einem Wandteppich voll lebendiger Erfahrungen vergleichen, der aus unzähligen Fäden und Knoten geknüpft ist. Jeder ist Teil des Gesamtbildes. Man kann nicht genau erkennen, wo ein Faden anfängt, der andere aufhört, und wo sie einander kreuzen - sie sind untrennbar miteinander verwoben. Und dennoch sind es einzelne, eigenständige Fäden, die man voneinander unterscheiden könnte. Es ist entscheidend, dass Eltern Grenzen respektieren und immer vor Augen haben, dass sie selbst und ihr Kind nicht dieselbe Identität haben. Dennoch sind ihre Lebensfäden miteinander verwoben. Das gilt sowohl für biologische Familien als auch für Familien, die erst im späteren Leben »zusammengefügt« werden.
Mit diesen beiden Metaphern wollen wir unserer festen Überzeugung Ausdruck verleihen, dass Eltern und Kinder zutiefst miteinander verbunden sind. Die Gedanken, Methoden und Anleitungen in diesem Buch beruhen durchwegs auf dieser Überzeugung. Sie und Ihr Kind sind in einer tiefen, »heiligen« Weise miteinander verbunden. Es gibt kaum eine tiefere Verbundenheit als jene zwischen Eltern und ihren Kindern. Seien Sie sich dessen bewusst und begegnen Sie einander mit Achtsamkeit und Respekt. Ihre Verbundenheit könnte auch verloren gehen.
Die Metapher des Wandteppichs ist unter anderem deswegen sehr passend, weil der Vergleich des Zerreißens ebenfalls zutrifft. Dieses Bild will Sie darin bestärken, achtsam mit Ihrem Kind umzugehen. Als Außenstehender können Sie »Risse« in der Beziehung anderer Eltern und Kinder oft deutlich erkennen. Früher oder später wird es Ihnen gelingen, sie auch bei sich selbst wahrzunehmen. Eine Mutter, die am Fußballplatz ihren Sohn anbrüllt, weil er nicht ins Tor getroffen hat, ein Vater, der die schulischen Leistungen seiner Tochter ins Lächerliche zieht sie kritisieren ihr Kind, weil sie sich selbst zerrissen fühlen. Manche dieser Risse sind minimal und können geflickt werden. Andere entwickeln sich zu großen, klaffenden Löchern, die weitervererbt werden, wenn Ihre Kinder erwachsen sind und eigene Familien gründen.
Wie kommt es zum Entstehen solcher Risse? Vermutlich haben Sie selbst schon bemerkt, dass es einfach Situationen gibt, wo Sie unachtsam mit Ihren Kindern umgehen, und Zeiten, wo Sie selbst in einer emotionalen Krise stecken. Die Gefahr eines Risses ist dann am größten, wenn Sie mit sich selbst beschäftigt sind, wenn Sie nicht erkennen, wie müde, ausgelaugt oder verärgert Sie sind oder wenn Sie sich einfach der Wirkung Ihrer Worte nicht bewusst sind. Sie begegnen Ihren Kindern unbewusst. Das passiert auch guten Eltern.
Wir möchten Sie darin bestärken, in der Beziehung zu Ihren Kindern mehr zu »flicken« als zu zerreißen. Es empfiehlt sich, die Verbindungen (»Nähte«), die schon existieren, zu verstärken - auch wenn Ihr Kind in eine andere Richtung zieht und zerrt. Wir möchten Sie ermutigen, bewusster zu registrieren, wie Sie mit Ihrem Kind umgehen. Wir möchten Sie zu absichtsvollem und überzeugtem Handeln ermutigen, damit Ihr Kind gut aufwachsen kann. Unser Konzept ist einfach zu verstehen. Und dennoch wissen wir, dass es nicht einfach ist, es im konkreten Leben umzusetzen.
Die tiefe Verbundenheit von Eltern und Kindern impliziert, dass wir besser für uns selbst sorgen müssen, wenn wir besser für unsere Kinder sorgen möchten. Wenn es Eltern gut geht, geht es auch ihrem Kind gut. Als Therapeuten haben wir erkannt, dass man kaum etwas Besseres für ein Kind tun kann, als seinen Eltern Gutes zu tun. Es ist entscheidend, Eltern zur Selbstreflexion und zur Selbsterkenntnis zu motivieren und sie beim Umsetzen ihrer Erkenntnisse zu unterstützen. Eltern müssen wissen, wie wichtig ihre eigene seelische, geistige und emotionale Gesundheit ist.
In diesem Buch werden Sie neue Einsichten in die Wichtigkeit eines achtsamen Umgangs miteinander gewinnen. Die kommenden Seiten mögen Ihnen Anleitung sein, sich in neue Verhaltensweisen einzuüben, die sowohl Ihnen als auch Ihren Kindern gut tun. In unseren Augen hat es aber Priorität, nicht nur zu lernen, was man tun soll, sondern zu lernen, wie man sein soll. Unsere Augen dafür zu öffnen, wie wir in Zukunft sein wollen, setzt voraus, die Interaktionsmuster zwischen Eltern und Kindern zu erkennen und zu verstehen.
Wir hatten vor kurzem ein Gespräch mit einer Mutter, das das eben Gesagte gut illustrieren kann. Wenn ihre vierjährige Tochter sich morgens ankleidet, endet das fast täglich in einem kleinen Drama. Die Tochter besteht darauf, ihre Kleidung selbst auszusuchen, ist aber dann mit ihrer Wahl nicht zufrieden. Was immer die Mutter dazu sagt, es verschlimmert die Situation nur. Die Mutter macht sich Selbstvorwürfe, weil sie oft die Geduld verliert. Und so beschreibt sie eine typische morgendliche Szene:
MUTTER:
(erkennt den trotzigen Gesichtsausdruck ihrer Tochter und wappnet sich für das Unausweichliche) Was ist los mit dir? Du siehst doch heute sehr hübsch aus?
TOCHTER:
Nein, tu ich nicht. Ich mag dieses Kleid nicht.
MUTTER:
Mir gefällt es. Aber wenn es dir nicht gefällt, warum ziehst du dann nicht etwas anderes an?
TOCHTER:
Dir gefällt das Kleid nicht! Du denkst, ich sehe doof darin aus.
MUTTER:
(kann ihren aufsteigenden Ärger kaum zurückhalten) Nein, das denke ich nicht. Wie kommst du nur darauf, dass ich so etwas glaube?
TOCHTER:
(weint) Weil du möchtest, dass ich etwas anderes anziehe!
Die Mutter wollte von uns wissen, wie sie sich in dieser Situation besser verhalten könnte. Es ist wahr, dass eine Verhaltensänderung auch eine Änderung der Situation bewirken könnte. Wäre die Mutter beispielsweise mit dem ImagoDialog vertraut gewesen - eine Methode, die wir in diesem Buch noch detailliert beschreiben werden - hätte sie sich darauf konzentriert, die Gefühle ihrer Tochter »zurückzuspiegeln«. Das Entscheidende in unseren Augen ist aber, dass die Mutter erkennen kann, was dieser Interaktion mit ihrer Tochter zugrunde liegt.
Für eine Vierjährige ist es ganz normal, ihre eigene Identität gegenüber jener ihrer Mutter auszutesten. Es ist gut zu wissen, dass solche Kämpfe in scheinbar banalen Angelegenheiten für die Entwicklung ihrer Eigenständigkeit gesund sind. Wenn eine Mutter erfährt, dass dieses Verhalten normal ist, und sich darauf einstellt, kann sie entspannt bleiben und auf das Drama ihres Kindes reagieren, ohne zu denken, mit ihr oder ihrem Kind sei etwas nicht in Ordnung. Zusätzlich wäre es ratsam, ihre eigene Vergangenheit zu erforschen, um herauszufinden, warum gerade dieses Verhalten ihrer Tochter ihren Ärger aktiviert.
Dieses kleine Beispiel verweist auf die wesentliche Aussage unseres Buches: bewusste Eltern sind sich der entwicklungsbedingten Bedürfnisse ihrer Kinder bewusst und sind bereit dazu, sie zu erfüllen, so gut es ihnen möglich ist. Sie kennen sich selbst gut genug, um zu wissen, warum sie in gewisser Weise auf ihr Kind reagieren. Sie sind bereit, sich zu verändern. Wenn sie die tieferen Aspekte einer Interaktion erkennen, können sie ihr Verhalten anders und bewusster ausrichten.
In diesem Buch möchten wir eine tiefe und umfassende Sicht von Elternschaft vermitteln, auf der Eltern aufbauen und in ihrem Handeln größtmögliche Bewusstheit erreichen können. So wird ihr Tun zum Ausdruck ihrer Persönlichkeit werden. Ihr eigenes Selbst wird dadurch beeinflusst und geprägt, dass sie sich als Eltern und als Menschen bewusster wahrnehmen und mehr »Einblick« bekommen.
In uns lebt die großartige Vision, dass Menschen in einer bewussten Ehe oder Freundschaft Heilung finden könnten, bevor sie selbst Kinder haben! Dass Männer und Frauen dank der Höhen und Tiefen ihrer Ehe zu ihrer persönlichen Ganzheit zurückfinden könnten, bevor sie den Schritt setzen, eine neue Generation großzuziehen! Nicht mehr »ein braves Kind« oder ein »gedeihliches Familienumfeld« wären die Kriterien für gelungene Elternschaft, sondern das Erkennen der eigenen Verwundungen und das Einlassen auf einen Heilungsprozess. Immer mehr Menschen könnten erkennen, dass die seelische Ganzheit eines Kindes von der integrierten und balancierten Persönlichkeit seiner Bezugspersonen abhängt.
Das ist aber noch Zukunftsmusik. Die meisten Menschen wissen nicht, dass gerade jene, mit denen sie nahe zusammenleben, Auslöser und Unterstützung für ihre persönlichen Veränderungen sein können. Wir hoffen, dass Eltern, die ihren persönlichen Heilungsprozess vor der Geburt ihrer Kinder nicht vollenden konnten, und das sind die meisten von uns, durch Erziehungsfragen neuerlich angeregt werden, sich auf die Suche nach heilsamen Wegen zu machen. Auf diese Weise verbindet sich das Verarbeiten der eigenen Kindheit ganz mit dem Ziel, die Elternrolle gut zu erfüllen. Beide Bestreben fusionieren, bereichern und stärken einander in einer beeindruckenden Synergie.